Vorwort

zur fünften Ausgabe.

[13] Wir haben in dem vorstehenden Begleitwort zur 4. Ausgabe dieses Bandes die Gesichtspunkte erörtert, unter denen es uns nicht allein möglich, sondern ratsam erschien, einen Neudruck desselben ohne irgendwelche wesentliche Eingriffe in den vorhandenen älteren Text zu veranstalten. Seitdem sind nun aber weitere vier bis fünf Jahre verflossen und eine Reihe maßgebender, in dieser Zwischenzeit erfolgter Publikationen durfte den gebieterischen Anspruch darauf erheben, bei diesem Neudruck berücksichtigt zu werden. Es sind dies einerseits die Briefe Wagners an seine erste Gattin,1 nebst der kurz vorher erschienenen Sammlung der ›Familienbriefe‹ (1907); andererseits die gerade für die Dresdener Periode so überaus wichtigen Briefe des Meisters an seinen damaligen Chef Geheimrat von Lüttichau, einstweilen noch nicht in ihrem vollen Wortlaut, doch aber in sehr reichhaltigen Auszügen mitgeteilt im 5. Jahrgange der Zeitschrift ›Die Musik‹. An diese schließen sich in derselben Zeitschrift die an den Generalintendanten der Kgl. preußischen Hofmusik, Grafen Wilhelm von Redern gerichteten Briefe.2

Den Briefen an seine Frau verdanken wir für die Schilderung gewisser auswärtiger Vorgänge einen Reichtum lebendiger Details, welche uns durch ihre Anschaulichkeit instand setzen, diese in all ihren Einzelheiten mit zu erleben. Wir rechnen hierzu die Episode des ›fliegenden Holländers‹ in Berlin (1844), des ›Rien‹ in Hamburg (1844) und in Berlin (1847), auf welche durch diese Einzelheiten in so mancher Beziehung ein ganz neues Licht fällt; nicht minder aber den kurzen Ausflug nach, Wien (1848), für dessen Behandlung uns bisher nur Quellen dritten Ranges zu Gebote standen. Endlich durfte durch eben diese Briefe an Minna die Episode in Bordeaux (1850) dem bisher darüber schwebenden Dunkel entrückt werden. Für die [14] Dresdener örtlichen Verhältnisse wiederum, in denen der junge Meister volle sechs Jahre seines Lebens widerstrebend auszudauern hatte, für die Kämpfe, Hoffnungen und wachsenden Enttäuschungen, deren Schilderung einen großen Teil des Inhaltes des vorliegenden Bandes ausfüllt, waren die Briefe an Lüttichau von hervorragender Wichtigkeit.

Dieselben sind daher, da eine nachträgliche Hineinverflechtung des in ihnen kundgegebenen Tatbestandes an zerstreuten einzelnen Stellen sich ohne Beeinträchtigung des vorhandenen Textes nachträglich nicht durchführen ließ, im wesentlichen als neuhinzugetretene Dokumente chronologisch eingefügt worden: Dokumente der überall großen und vornehmen, selbstlosen Gesinnung ihres Urhebers und zugleich der jedesmal dadurch beleuchteten besonderen Situation. Für zahlreiche anderweitige, hier nicht besonders aufzuzählende Detailausführungen, gelegentlich auch Zurechtstellungen, hatte sich im Laufe der Zeit ein reichhaltiger Stoff aufgesammelt, den wir hier zum ersten Male dem Leser darbieten Gelegentlich ist es uns dabei auch vorgekommen, daß dieser oder jener einzelne Zug, nachdem er bereits geraume Zeit in unseren Akten gelegen, da wir zu lange Zeit damit zögerten, schon vorher an anderer Stelle ohne unser Zutun zuerst an das Licht gebracht worden ist.

Somit dürfen wir dem freundlichen Leser das ursprüngliche Werk, in seinen Grundlinien nirgends verändert, doch aber wesentlich bereichert und innerlich erneuert darbieten, in dem befriedigten Bewußtsein, daß es dem nie zu erreichenden Ziele einer erstrebten Vollkommenheit wenigstens um einige Schritte näher gerückt ist.

Es erübrigt uns schließlich noch als eine angenehme Pflicht, Herrn Postrat Pretzsch in Chemnitz, als einem dankbar verehrten freiwilligen Mithelfer am Werke auch öffentlich unseren wärmsten Dank für die nicht geringe Liebenswürdigkeit auszudrücken, mit welcher er aus selbstloser Begeisterung für die Sache und mit hingebender Sorgfalt inmitten aller anstrengenden Berufsgeschäfte dennoch der von ihm erwählten ebenso mühsamen als zeitraubenden Aufgabe sich unterzogen hat, mit uns gemeinschaftlich die Druckkorrekturen dieses Bandes zu lesen. Daß unseren gemeinsamen Bestrebungen zum hohen Ziel der Korrektheit trotzdem noch ein so flagranter Druckfehler entgangen ist, wie der, welcher auf Seite 135 die ›Christnacht‹ (im Titel von Ferdinand Hillers Oper) in eine ›Christennacht‹ verwandelt und sie mithin einer Art von Bartholomäusnacht für nichtjüdische Komponisten bedenklich angenähert hat, – das mögen uns die Manen Hillers vergeben.


Riga, im März 1910.


Fußnoten

1 Richard Wagner an Minna Wagner, 2 Bde. Berlin 1908.


2 Die Musik, 2. Jahrgang, unter dem Titel ›Richard Wagner und die Berliner General-Intendantur‹, vonDr. W. Altmann.


Quelle:
Glasenapp, Carl Friedrich: Das Leben Richard Wagners in 6 Büchern. Band 2, Leipzig: Breitkopf & Härtel, 1905, S. 13-16.
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