I.

»Es ist wahr: Dies Wien mit seinem Stefansturm, seinen schönen Frauen, seinem öffentlichen Gepränge, und wie es, von der Donau mit unzähligen Bändern umgürtet, sich in die blühende Ebene hinstreckt, die nach und nach zu immer höherem Gebirge aufsteigt, dies Wien mit all seinen Erinnerungen an die größten deutschen Meister muß der Phantasie des Musikers ein fruchtbares Erdreich sein.« So schreibt Robert Schumann, der einmal nahe daran war, sich dort häuslich niederzulassen, in dem berühmten Aufsatze über Schuberts von ihm ans Licht gezogeneC-dur-Symphonie. Und so präsentierte sich auch dem jungen Brahms die Stadt der Verheißung, sein »musikalisches Rom«, nachdem er, vom Norden kommend, in der zweiten Septemberwoche des Jahres 1862 die Donaubrücke zum ersten Male passiert hatte. Wien machte ihm ein gar befreundliches Gesicht, und der romantische Blick auf den majestätischen Strom, die inselreichen, grünbebuschten Auen und die steil abstürzenden Felsen des Kahlengebirges mit den Zinnen Klosterneuburgs im duftigen Hintergrunde erinnerten ihn anheimelnd an Nieder-Elbe und Ober-Rhein. Noch wärmer fühlte sich der Sohn des Volkes von dem fröhlichen Gewimmel des nahen Praters angesprochen, und er betrachtete es für ein glückliches Omen, daß er auf seiner ersten Exkursion, die er vom Hotel »Zum Kronprinzen«, seinem Absteigequartier, aus unternahm, an der Ecke der Jägerzeile und Novaragasse (im zweiten Stock des Hauses Nr. 39) ein passendes Zimmer mit der Aussicht auf den »Stern« und die Wipfelriesen des Praters erhielt.

In den vierundzwanzig Jahren, die seit Schumanns Wiener Aufenthalt verflossen waren, hatte sich die Stadt äußerlich nicht viel verändert. Das Wien der Sechzigerjahre war, so merklich die heutige weit ausgebreitete Weltstadt von ihm absticht, im großen und ganzen noch das trauliche, auf einen verhältnismäßig[1] engen Raum zusammengedrängte Wien der Kongreßzeit und stand noch so, wie Mozart, Beethoven und Schubert es verlassen hatten, wenn es auch gerade damals Anstalten traf, sich wieder einmal gründlich zu verjüngen. Schon wurde von einem Alt- und Neu-Wien gesprochen; die ehemaligen Vorstädte sollten nach und nach in städtische Bezirke übergehen. Aber, obwohl der einengende und trennende Gürtel der Basteien und Glacis mit dem Falle der Festungsmauern längst gesprengt, der Stadtgraben längst ausgefüllt worden war, so machte sich die alte strenge Grenzscheide doch auch in der neuen Ordnung noch immer fühlbar, und der Unterschied zwischen der zum ersten Bezirke erhobenen »Inneren Stadt« und den anderen acht Bezirken trat charakteristisch hervor. Wer zu einer der Straßenöffnungen, welche durch die Zerstörung der Festungstore entstanden waren, ins Freie hinausging, konnte beim Überschreiten der erst im Werden begriffenen Ringstraße noch immer glauben, in irgend eine kleine Stadt zu kommen. Jeder der äußeren Bezirke ähnelte einer solchen; jeder für sich und alle miteinander behaupteten der vornehmen Mutterstadt gegenüber als selbständig herangewachsene Kinder ihr eigentümliches Wesen, und ihre bewußte Selbständigkeit drückte sich zum Teil im Namen (»Leopoldstadt«, »Josefstadt«) aus. Die Verschiedenheit der durch das hügelige Terrain und den Lauf der vom Wiener Waldgebirge zufließenden Gewässer bedingten Lage mag bei der Mehrzahl dieser Stadtteile frühzeitig zur Ausprägung ihrer besonderen Physiognomie beigetragen haben, und nur allmählich und in langen Zeitläuften konnten sich deren Merkmale abschleifen und verwischen.

Hier fand ein Kenner und Liebhaber deutschen Kleinbürgertums wie Brahms unerschöpflichen Stoff zu anregenden Beobachtungen. Was an der Elbe und am Rhein weit auseinander lag und nur mit Mühe zu erreichen war, schien ihm hier auf einem welt- und kunstgeschichtlich bedeutenden Erdenfleck zusammengerückt, und jeder Spaziergang, den er unternahm, verlief als bequeme Promenade durch die Jahrhunderte einer mit der Gegenwart verbundenen Vergangenheit. Wien war von jeher eine moderne Stadt, und seine Erweiterungen sind immer Verschönerungen gewesen. Von den genialen Baumeistern Karls VI., den Fischer von Erlach, Lukas von Hildebrand und Dominik Martinelli, deren [2] Schöpfungen den von Prachtbauten des Hochadels durchsetzten Häuserreihen der inneren Stadt ihr festliches Gepräge geben, läuft eine niemals völlig unterbrochene Wellenlinie der Schönheit bis zum heutigen Tage fort, und die abirrende Mode findet immer wieder auf den von jenen Bahnbrechern vorgezeichneten Weg zurück. Brahms wurde ein ausgesprochener Verehrer Fischers von Erlach. Die Karlskirche und das Hotel Munsch am Mehlmarkt gehörten zu seinen besonderen Lieblingsgebäuden, das »Kasino« auch noch deshalb, weil Mozart, der dort Subskriptionskonzerte (1786) veranstaltete, in der »Mehlgrube« sein c-moll-Konzert gespielt hat.

Derartige Stätten der Erinnerung aufzusuchen, Gnadenorte eines geheiligten Andenkens, das die Großmeister der Tonkunst mit ihrem getreuen Jünger verband und eine Art von persönlicher Beziehung zu ihren Vorfahren herstellte, ließ sich der nordische Gast eifrig angelegen sein. Ebenso pietätvoll wie Schumann, der »nach den ersten geräuschvollen Tagen« den Währinger Friedhof besuchte, um an den Gräbern Beethovens und Schuberts, jener beiden Künstler, die er »am höchsten unter den neueren Musikern verehrte«, ein »Blumenopfer« niederzulegen, pilgerte Brahms dort hinaus. Seine Neigungen stimmten mit denen Schumanns überein, und die schwärmerische Vorliebe für Beethoven und Schubert trieb ihn noch weiter in der Gegend umher, die gerade im laubfärbenden Spätsommer ihre besonderen Reize entfaltete. Nicht nur im Geiste wollte er auf den Pfaden seiner Vorgänger wandeln. Es durchschauerte ihn das Gefühl ihrer Nähe, wenn er denselben Erdboden berührte, den ihre Füße gestreift, wenn er dieselben Höhen erstieg, von denen sie zur Stadt hinuntergeblickt, wenn er vielleicht an demselben Tische saß, auf den sie ihr Haupt gestützt hatten. Das persönliche Andenken an die Unsterblichen war damals frischer als heut. Noch lebten viele, die sich rühmen konnten, sie mit eigenen Augen gesehen zu haben. Die Beethoven-Häuser in Döbling und Heiligenstadt, wo der Schöpfer der »Eroica« und »Pastorale« manchen arbeitsfrohen Sommer verbrachte, die Gartenwirtschaften, in denen er oder Schubert einzukehren pflegte, sind heute ebenso bekannt, wie die Favoritwege der beiden Tondichter, auf denen sie, des Gottes voll, durch das blühende Gelände dem [3] nahen Gebirge zuschritten. Wer ihnen in ihre weltabgeschiedene Einsamkeit nachfolgte, mußte die »Linie« passieren.

Vor der Linie, wie der nach der letzten Türkenbelagerung von 1683 aufgeworfene äußere Festungswall genannt wurde, welcher die städtischen Bezirke von den siebenunddreißig Vororten Wiens in scharfen Zacken abgrenzte, entwickelte sich damals ein eigentümliches, freies und ungebundenes Leben. Dort endete das städtische und begann das ländliche Wien; die letzten Spuren des einen begegneten sich mit den ersten des andern, und sie trafen in jenen zahlreichen Vergnügungslokalen überein, die den Wiener an Sonn- und Feiertagen aus dem Häuschen lockten, falls er es nicht vorzog, mit Kind und Kegel das fröhliche Getümmel des Praters, des Hauptsammelplatzes aller Volksbelustigungen, zu vermehren. So lagen die vornehme Residenz, die bürgerliche Kleinstadt und das urwüchsige Dorf, welche mit der Zeit in der Millionenstadt aufgehen sollten, noch gegliedert beisammen, ein dreifacher Ring menschlichen Behagens und zugleich eine stufenweis abgeteilte Staffel des sich mit den Kulturfortschritten steigernden Genusses. Mühelos und nach Belieben konnte, wer da wollte, jeden Tag die Zustände des gemeinen Lebens wechseln und vertauschen, bald mit dem Bauern sich als Naturkind fühlen, bald mit dem »Hausherrn vom Grund« am Pfahlbürgertum kleben, bald mit dem Elegant über das Parkett gleiten, und in jedem Falle gewiß sein, sich in menschenwürdiger Gesellschaft zu bewegen. Denn in dieser einzigen Stadt, die ein Universum im kleinen bedeutet, hat noch keiner den natürlichen Boden unter den Füßen verloren. Ihre Einwohner sind und bleiben, mögen sie was immer sein und vorstellen, vor allem – Menschen. Die »Rückkehr zur Natur« braucht ihnen nicht erst gepredigt zu werden, da sie sich von der Natur nie allzuweit entfernt haben. Das fashionable Wien bringt den Sommer in den Tausenden von gartenumgebenen Landhäusern zu, die meilenweit nach Süden und Westen, bis zum Semmering und nach St. Pölten hin, auf dem Wiesen-und Waldboden zerstreut liegen. Die sanft gerundeten grünen Kuppen des Wienerwaldes aber, welche auf die mit ihren Kirchen und Palästen in der welligen Fläche prangende Stadt herniederschauen, verheißen auch dem Ärmsten den frischen Kranz des Lebens. Freie [4] Bergeslüfte umspielen sein Haupt, und der heitere Glanz des deutschen Südens lacht ihm in das allzeit fröhliche Herz. Dieselbe Sonne, welche die Traube an den Abhängen des Gebirges reif kocht, daß sie einen würzigen, schmackhaften Wein gibt, der das Blut warm und leichtflüssig erhält, hat auch die Sprache des Süddeutschen vor dem Erstarren und Verblassen bewahrt, und die sympathischen Laute des »Weanerischen« erscheinen in ihren Vokalen gleichsam gerötet und gebräunt.

Da die gute Mutter ihre köstlichsten Gaben den bevorzugten Kindern auf dem Präsentierteller darreichte, so wäre jeder ein ausgemachter Narr, wenn er sein Teil nicht dankbar annähme und mit Appetit verzehrte. Dem Hange zum Wohlleben, der dem Wiener eigen ist, geht der Sinn für das Schöne zur Seite, und dieses erscheint ihm am vertrautesten in der Gestalt des Anmutigen und Gefälligen. »Ich versichere Sie,« schreibt der junge Mozart an seinen Vater, »daß hier ein herrlicher Ort ist und für mein Metier der beste Ort von der Welt,« und ein andermal: »Was mich am meisten gefreut und verwundert hat, war das erstaunliche Silentium und mitten im Spiel das Bravoschreien.« Es gibt kaum ein empfänglicheres und dankbareres Konzert- und Theaterpublikum als das wienerische. Allerdings übertrifft denn auch, was ihm von Genüssen der Kunst dargeboten wird, in der Regel alles an anderen Orten hierin Geleistete. Die beiden Hoftheater, die Oper am Kärntnertor und das kleine Schauspielhaus auf dem Michaelerplatze leuchten den übrigen Musentempeln, die ihre Bühnen in der Vorstadt aufgeschlagen haben, mit glorreichem Beispiele voran. Auch das Volksstück und die Lokalposse, bis hinunter zu den niedrigsten Erscheinungen des Brettels, verleugnen nicht den kultivierten gesunden Boden, der sie mit den vornehmen Kunstinstituten verbindet; sie heben das Gemeine durch den Witz, das Temperament und die Anmut ihrer Darsteller in eine reinere Sphäre. Wiener Kunst ist von altem Adel, und wie jeder Wiener von seinesgleichen als »Herr von« ... angeredet wird, als ob für ihn schon mit der Geburt eine das Standesniveau erhöhende persönliche Auszeichnung verbunden wäre, so vergißt auch die Wiener Muse in ihrer saloppsten Tracht nicht den verpflichtenden Vorzug ihrer Abkunft. Ihr Wesen kennzeichnet sich dadurch als echt und [5] wahr, daß es, der natürlichen Entwickelung folgend, vom Sinnlichen ausgeht, zum Geistigen fortschreitet und ins Übersinnliche transszendiert. Raimunds unschuldig-tiefsinnige Zaubermärchen und Nestroys freche Possen zeigen diesen Prozeß so gut wie Grillparzers allzu menschliche Tragödien und Bauernfelds sein pointierte Lustspiele, und deren Darsteller konnten ihren Dichtern nur dann den niemals versagenden Zauber abgewinnen, wenn sie so unbekümmert und resolut wie diese ihre ernsten und heiteren Aufgaben anfaßten. Nestroy war am 25. Mai 1862 gestorben, aber der Geist des genialen Zynikers lebte fort. Im Karltheater wurden romantisch-komische Lebensbilder, Possen und Vaudevilles à la Raimund und Nestroy kultiviert. Das Theater an der Wien machte ihm mit Zauberkomödien (Haffners »Sternenjungfrau«) und großen Possen unter der Ägide der Gallmeyer Konkurrenz. Im Kaitheater (Karl Treumann) florierte die Operette, im Thaliatheater das Spektakelstück, und im Josefstädter Theater, wo Fürst seine anzüglichen Couplets vortrug, das Räuberstück. Die drei erstgenannten Bühnen hatten während der Saison 1862/63 italienische Operngesellschaften zu Gaste geladen; im Kaitheater sang die Artôt, im Theater an der Wien die Tietjens, im Karltheater Adelina Patti mit Zelia Trebelli um die Wette. Hofoper und Burgtheater erlebten wieder eine ihrer vielen Blüteperioden, die dem laudator temporis acti, als welcher sich der »raunzende« Wiener mitunter gefällt, regelmäßig zur unwiderbringlich verlorenen, vielbetrauerten guten alten Zeit zusammenfließen. Im Burgtheater regierte noch der große Dramaturg Heinrich Laube, der sein weiches schlesisches Herz wie eine Edelkastanie mit spitzen Stacheln bewehrt hielt, und dessen barsche und kurz angebundene Bärbeißigkeit den Wienern einen grund-, aber nicht nutzlosen, gewaltigen Schrecken einjagte. Alle Rollenfächer waren vorzüglich mit ersten Künstlern besetzt. Shakespeares Tragödien standen im Vordergrunde des Interesses, Hebbels »Nibelungen« wurden zur Aufführung vorbereitet, und die junge Wolter hatte gerade als Hermione im »Wintermärchen« Aufsehen erregt. Neben ihr agierten die Rettich, Haizinger, Peche, Kronau, Bognar, Hebbel, Gabillon und Baudius, die im Verein mit den Sonnenthal, Anschütz, Fichtner, La Roche, Förster, Wagner, Baumeister, [6] Lewinsky, Gabillon, Schöne, Beckmann und Meixner ein Musterensemble bildeten. Die Oper – das neue Haus war eben erst im Entstehen begriffen1 – versammelte unter dem Intendanten Salvi und den Hofkapellmeistern Esser und Dessoff ein erlesenes Personal in den Sängerinnen Dustmann, Wildauer, Krauß, Liebhart, Bettelheim und den Sängern Ander, Walter, Bignio, Mayerhofer, Beck, Draxler und Schmidt.

Welcher verwirrende Überfluß von neuen Genüssen und Eindrücken stürmte auf den Zugereisten ein! Brahms machte mit der theaterlustigen Jugend gemeinsame Sache und erklomm nach mühsam erkämpftem Einlaß im Theater den Olymp der vierten Galerie, sobald der Zettel etwas Besonderes versprach! Von der Wiener Kunstmusik war außer den in unvergleichlicher Vollendung aus geführten Vokalmessen, welche an jedem Sonntagvormittag in der Hofkapelle gesungen wurden, noch nichts zu hören, da die Konzertsaison erst im November begann. Dafür entschädigte ihn die eigentliche Wiener Musik, welche nicht in der inneren Stadt, sondern vor der Linie mit dem jungen Wein verzapft wurde, und ihre bodenständigen, originellen und charakteristischen Weisen fesselten ihn womöglich noch stärker, als alles, was ihm später vorgesungen, gegeigt, gespielt und geblasen werden sollte. Wo immer in den weingesegneten Vororten, in Nußdorf und Grinzing, Sievering und Neustift, Dornbach und Hernals, die zwischen den Rebenhügeln gelegenen Buschenschenken ihren mit Fichtenreisern geschmückten Arm nach dem vorübergehenden Spaziergänger ausstreckten, um ihn zur Einkehr heranzuwinken, traf er ein lauschiges Versteck mit vergnügten Menschen, die auf rohgezimmerten Bänken an ebensolchen Tischen saßen, gemütlich ihr Viertel »Heurigen« tranken, schier andächtig den Volkssängern und -musikanten lauschten und, wenn der herbsüße Wein die Zungen gelöst hatte, sich wohl auch aktiv mit Singen und Jauchzen an der Musik beteiligten. Die fliegenden Kapellen, welche von Schenke zu Schenke ziehen, bis in jeder der letzte Tropfen ausgetrunken ist, bestehen gewöhnlich aus drei bis sechs Mann. Erste Violine und das »picksüße Hölzel«, die Klarinette, wechseln in der [7] Melodie ab, zweite Violine, Zither, Gitarre, Harfe oder Harmonika sorgen für die Begleitung. Ihr Programm sind die neuesten »Gsangeln« und »Gstanzeln« und Tänze, aber auch ältere sentimentale Lieder, Wiener Walzer und Steyrische Ländler, mit denen sie freigebigen Liebhabern nach Verlangen aufwarten. Nur ausnahmsweise einmal verläuft sich ein gelernter Professionist in ein solches Orchester, um seine verkrachte Existenz wieder zurechtzuleimen; in der Regel werden die Kosten der Unterhaltung von Leuten bestritten, die niemals geordneten Musikunterricht genossen haben. Und doch sind Meister ihrer Kunst dabei und Erfinder, die manchen professionellen Komponisten ausstechen, wenn sie von ihrer eigenen Poesie und Musik etwas zum Besten geben. Fast alle aber haben soviel Sinn für Rhythmus und Harmonie im Leibe, daß sie weder aus dem Takte kommen, noch unrein spielen oder falsche Bässe nehmen. Hier strömen die Quellen, aus denen die Lanner und Strauß geschöpft, hier empfing auch Franz Schubert, der genialste und vielseitigste Repräsentant der Wiener Tonmuse, der die Quintessenz des Wienerisch-Musikalischen abgezogen und in kristallklare Kunstformen gegossen hat, viele seiner fruchtbarsten Inspirationen. Nicht übersehen werden darf, daß gleich der Wiener Rasse auch die Wiener Musik ein Mischprodukt ist. Die fremden Nationen, welche an den Grenzen der Ostmark Jahrhunderte hindurch unter Krieg und Frieden mit den Deutschen in innigem Wechselverkehr standen, führten ihnen musikalische Elemente zu, die sich vortrefflich amalgamieren ließen. So berührten sich der Melodienreichtum des feurigen Italieners und die Modulationsfähigkeit des weichen Slaven mit dem rhythmischen Gefühl des selbstbewußten Magyaren, um vom Formensinn des bildsamen Deutschen zu einer unauflöslichen idealen Einheit verschmolzen zu werden. Die Werke Haydns, Mozarts und Beethovens, die, obwohl sie alle drei keine geborenen Wiener waren, doch ihre besten Anregungen von Wien erhielten, zeugen davon.

Brahms, der allezeit ein eifriger, fast leidenschaftlicher Anhänger der Wiener Volksmusik blieb, war erstaunt über die ganz unglaubliche Fülle von Talent, die er von den untersten Schichten der Bevölkerung an bis hinauf zu den höheren Gesellschaftskreisen verbreitet fand, und er begriff die oft beklagte, auch ihm in der Folge schmerzlich [8] nahegehende Tatsache, samt ihren Ursachen und Wirkungen, daß ein so verschwenderisch begabtes Volk seine ihm innewohnende ursprüngliche Produktivität aller von außen hergeleiteten fremden Bildung vorzieht. Der Durchschnittswiener, dem das Wirts- und Kaffeehaus den politischen und geselligen Verkehr, der Journalismus die Literatur, der Volkssänger den Künstler ersetzt, hat kein besonders lebhaftes Bedürfnis nach höheren geistigen Genüssen, die mühsam erworben, teuer erkauft und gründlich verarbeitet werden müssen, wenn sie ihren Zweck erreichen sollen.


»Weithin Musik, wie wenn im Baum

Der Vögel Chor erwachte,

Man spricht nicht, denkt wohl etwa kaum

Und fühlt das Halbgedachte.«


Ob dies ein Segen für das Volk ist, wollen wir nicht untersuchen, daß es aber einen Gewinn für den fremden produzierenden Künstler bedeutet, hat noch jeder von ihnen an sich erfahren, der Charakter genug besaß, um seine Persönlichkeit im »Capua der Geister« siegreich zu behaupten. Grillparzers »Abschied von Wien« richtet seinen Mahn- und Warnruf an Schwächere als an einen Brahms. Wohl schlugen die Sirenenklänge der Kaiserstadt betückend an sein Ohr, aber sie betörten und verführten ihn nicht. Er war von Hause aus so stark in sich gefestigt und durch seine frühen leidvollen Erfahrungen so abgehärtet, daß er den auf ihn eindringenden Lockrufen das süßeste Echo in seiner Brust erwecken und mit ihnen spielen konnte, ohne ihrem Zauber zu erliegen. Mochte er zuweilen noch so tief in den Strudel des großstädtischen Lebens hinabtauchen, als der tüchtige, wohlgeübte Schwimmer, der er war, fand er bald immer wieder Oberwasser und lachte der glücklich entronnenen Gefahren am gesicherten Ufer.2

[9] Vom Prater waren die Exkursionen des neuen Ankömmlings ausgegangen, und in den Prater liefen sie immer wieder zurück. Mit der Zeit wurde ihm die von Kaiser Josef seinen lieben Wienern eröffnete Erholungsstätte ein unentbehrliches Bedürfnis, und besonders in den letzten Jahren seines Lebens hielt sich Brahms ganze Tage lang, vom anbrechenden Morgen bis zum sinkenden Abend, dort auf, verschob wohl auch dem Prater zuliebe seine Sommerreisen und nahm immer schweren Herzens Abschied von dem Jagdrevier seiner guten Laune. Er frühstückte in der »Krieau«, aß beim, »Braunen Hirschen«, im »Schweizerhause« oder beim, »Eisvogel« zu Mittag, trank seinen Kaffee im Garten, wo das Damenorchester aufspielte, und saß bis spät in die Nacht in der »Csárda« bei den Zigeunern. Sämtliche Wirte, Schaubudenbesitzer, Gaukler, Karusselltreiber, Akrobaten, Hutschenschleuderer, Marktschreier, Salamimänner, Weckenweiber, Händler und Hausierer kannten ihn. Besonders waren die Kinder hinter ihm her, für die er die Taschen voll Kreuzer und Süßigkeiten hatte. Nie war er mitteilsamer, liebenswürdiger und umgänglicher als bei solchen Gelegenheiten. Durchreisenden Bekannten einen Begriff von der Wiener Gemütlichkeit zu geben und sich dabei an dem aufrichtigen oder geheuchelten Erstaunen des deutschen Fremdlings zu weiden, der ihm beschämt und neidisch zugestehen mußte, daß die Wiener Leute das »scharmanteste Volk« seien und Wien die schönste Stadt der Welt – erfüllte ihn mit lebhafter Genugtuung. (Was ihn freilich durchaus nicht hinderte, die Wiener selbst fürchterlich abzukanzeln und ihnen deutsche Musterstädte als unerreichbares gutes Beispiel vor Augen zu rücken!) Im Prater ging dem Sänger des deutschen Volksliedes das Herz auf, flossen ihm die Lippen vom Lobe Wiens über. »Hier ist des Volkes wahrer Himmel, hier bin ich Mensch, hier darf ich's sein!« konnte er mit Faust ausrufen. Wenn er aus den einsamen Partien des wilden Praters von produktiven Morgenspaziergängen, beladen mit [10] seiner »Tracht unsterblicher Gedanken«, in den Wurstlprater zurückkehrte, wurde er mit den Fröhlichen erst recht froh und überbot die Ausgelassensten an Ausgelassenheit. Man denke sich den Autor des Deutschen Requiems und des Parzengesanges bei den Klängen einer Trompetenleier den riesigen Chinesen des Calafatischen Karussells umkreisen, oder stelle sich ihn vor, wie er der Primgeigerin des Damenorchesters für einen seiner »Ungrischen« dankt, unter Hutschwenken die Rutschbahn hinunterfährt, der ihm nachlaufenden Kinderschar »Zuckerln« zuwirft und, auf jedem Knie ein Buberl und Maderl, dem glorreichen Kampf zwischen Hanswurst und Teufel beiwohnt! Aber man vergesse dabei nicht, daß Brahms auch der Verfasser der flotten Wiener Walzer, der »Liebes«- und »Zigeunerlieder« und des wienerischen G-dur-Quintetts ist, das mit dem C-dur-Quintett Schuberts auf das glücklichste rivalisiert! ...

Nachdem Brahms die ersten Tage seines Wiener Aufenthaltes dazu benutzt hatte, sich in Stadt und Land gehörig umzutun, ging er daran, die wenigen Bekannten, von denen er in Wien wußte, aufzusuchen. Natürlich erweiterte sich der Kreis seiner Bekanntschaften sehr schnell, da jeder, den er kennen lernte, der Mittelpunkt eines neuen Kreises war, so daß bei der entgegenkommenden Wiener Gastlichkeit seine Verbindungen sich bald ins Unabsehbare verzweigten. Einer der ersten Besuche galt seiner Freundin Bertha, die ihm 1859 als Schülerin Graedeners und Mitglied seines Hamburger Frauenchors nahe getreten war. Er überraschte sie, von der er seit ihrem Abschied von Hamburg nichts gehört hatte, bei einer angenehmen Arbeit. Sie schrieb gerade die Adressen für die Versendung zu ihrer Verlobungsanzeige und mußte sich den Scherz, er habe doch gebeten, sie möge auf ihn warten, da er ganz gewiß kommen werde, gefallen lassen. Von Vater Porubszky herzlich bewillkommnet, befreundete sich Brahms auch mit Fräulein Berthas Bräutigam, Herrn Arthur Faber, und an manchem Abend erscholl das musikalische Pfarrhaus in der Dorotheergasse noch anhaltender als sonst von Gesang und Spiel. Zu seiner Freude erfuhr Brahms, daß Karl Graedener, der durch die Vermittlung des frei- und kunstsinnigen Pastors die Organistenstelle an der evangelischen Kirche in Wien erhalten hatte, sich auch in seine Professur am Konservatorium der Gesellschaft [11] der Musikfreunde einzuleben beginne, und überzeugte sich schon am nächsten Tage von dem zunehmenden Wohlstande seines alten Freundes und Landsmannes.3 Bei ihm traf er am 15. September mit Julie von Asten zusammen, an deren Mutter er von Klara Schumann empfohlen worden war.

Frau Schmuttermayer v. Asten bewohnte mit ihren drei talentvollen Töchtern Marie, Julie und Anna ein geräumiges Quartier im »Gundelhof« auf der Brandstätte, einem historisch merkwürdigen uralten Wiener Hause. Klara Schumann kehrte dort ein, so oft sie in Wien konzertierte, und Julie wurde bei dieser Gelegenheit ihre Schülerin. Nun nahm sich Brahms der jungen Dame und ihrer weiteren musikalischen Ausbildung an, kam mehrere Male in der Woche zum Musizieren und schwelgte dabei in dem »schönen« Wiener Kaffee, den Frau v. Asten besonders sein zu bereiten wußte. Auf eine Äußerung von Brahms hin, daß er in Wien doch seinen Hamburger Frauenchor vermisse, veranlaßten Julie und ihre Schwester Anna,4 mehrere Damen vom Singverein zu regelmäßigen Chorübungen unter Brahms' Leitung im Gundelhof zusammmenzukommen. Es war eine Eliteschar von musikalischer Intelligenz und klangvollen Stimmen – lauter Solostimmen, die sich zum Teil auch als solche in Konzerten hören ließen. Karoline Bettelheim, Ottilie Hauer, Marie Geisler und Frau Anna Franz, geborene Wittgenstein, gehörten dazu. Von ihnen spannen sich Fäden zu neuen Beziehungen hinüber. Mit Frau Franz und deren ausgebreiteter Verwandtschaft, wie mit Ottilie Hauer, der Tochter des Fabriksarztes in Öd bei Gutenstein (später Frau Dr. Ebner), mit Marie Geisler, die Brahms' Schülerin wurde, ehe sie sich mit dem Kulturhistoriker und Philosophen Professor Dr. Karl Grün verheiratete, auch mit Karoline Bettelheim, der Schülerin Karl Goldmarks und nachmals berühmten dramatischen Sängerin, blieb Brahms fortan [12] durch dauernde Freundschaft verbunden. Von Julie v. Asten wurde ihm endlich auch jene Künstlerin zugeführt, die berufen war, seine Lieder dem Wiener Publikum ins Herz zu singen: Frau Marie Wilt, eine in jeder Hinsicht außerordentliche Erscheinung. Ihr umfangreicher, mächtiger Sopran stellte alles in Schatten, was sich neben ihm hören ließ, und wirkte überwältigend wie eine elementare Kraft. Die zügellose, urmusikalische Natur der Wilt gebändigt und veredelt zu haben, war das Verdienst ihres treuen Beraters und Lehrers Dr. Josef Gänsbacher. Ein vielseitig gebildeter und tätiger Mann, absolvierter Jurist und Advokaturskonzipist, trat er als Musiker von Passion und Beruf in die Fußstapfen seines berühmten Vaters, des tirolischen Freiheitskämpfers von 1813 und Domkapellmeisters bei Sankt Stephan (1823 bis 1844) und kam als Sänger, Violoncellist, Klavierspieler, Liederkomponist und Musikpädagoge zu allgemeinem Ansehen. In ihm, dem enthusiasmierten Bewunderer seiner Kunst, lernte Brahms das Prachtexemplar eines besonderen Menschenschlages kennen und lieben, den Abkommen südtirolischer Latinogermanen, dessen ausdrucksvoller, edel profilierter Charakterkopf das Modell zu einem Walther von der Vogelweide abgeben konnte.5 Gänsbacher, der später Professor am Wiener Konservatorium wurde, war schon damals eine in der musikalischen Welt Wiens beliebte und geachtete Persönlichkeit und sollte im Laufe des folgenden Jahres Veranlassung finden, Brahms in ungeahnter Weise zu fördern.

Einen nicht minder warmen Verehrer hatte sich Brahms bereits von Düsseldorf und Hamburg her erworben in der Person J.P. Gotthards. Dieser, ein Schüler Simon Sechters, der als [13] Violin- und Violaspieler vielfach in Privatkonzerten und Quartetten mitwirkte, war 1858 in Gustav Lewys Musikalienhandlung als Geschäftsführer eingetreten und hatte dort die beste Gelegenheit gehabt, die ersten Werke des von Schumann angekündigten neuen Messias zu studieren. Er teilte sie einem Zirkel gleichgesinnter Freunde mit, dem außer Gänsbacher die Musiker Sigmund Bachrich, J.N. Dunkl, Karl Goldmark, Louis Lackenbacher, Adolf Müller junior, Karl Nawratil, Gustav Nottebohm und Julius Epstein angehörten. 1861 war Gotthard zu Spina übergegangen, und auf sein Betreiben hatte sich eine Gesellschaft von jungen Leuten, die im Gasthaus zum »Lothringer« am Kohlmarkte zusammenkamen, als »Wiener kaufmännischer Gesangverein« konstituiert, der 1862 ein Konzert zum Besten des Schubert-Denkmals gab und für den August desselben Jahres ein Musikfest unter Gotthards Leitung6 plante. Das Programm sollte einige Novitäten bringen, und der Dirigent wandte sich brieflich an Brahms in Hamburg mit der Bitte um einen Chor. Brahms antwortete, daß er noch nicht daran gedacht habe, Lieder für Männerchor »zusammenzusuchen«, daß also auch das Chorlied »Geleit«, von welchem Gotthard erfahren hatte, bis zum August schwerlich gedruckt werden würde, schickte ihm aber auf wiederholtes Drängen das Verlangte. Sein undatierter, im Frühsommer 1862 in Hamburg geschriebener Brief verdient deshalb besondere Beachtung, weil er beweist, daß von den fünf Liedern für vierstimmigen Männerchor, die erst 1867 als op. 41 bei Rieter-Biedermann erschienen, das dritte, eben jenes »Geleit«, im Sommer 1862 schon komponiert war. Auch die übrigen vier mögen um dieselbe Zeit (1861–62) in Hamburg entstanden sein. Alle fünf, bis auf das altdeutsche »Ich schwing' mein Horn ins Jammertal«, das, zuerst vierstimmig für den Chor der Hamburger Frauen geschrieben, nach op. 41 noch einmal in op. 43 als Lied für eine Singstimme erscheint, sind auf Texte von patriotischen Soldatenliedern gesetzt, die aus Karl Lemckes »Liedern und Gedichten« [14] herrühren. Brahms brauchte die in ihrer musikalischen Behandlung nahe mit einander verwandten Kompositionen nur aus seinen Papieren »zusammenzusuchen«, um sie dem Verleger als gangbares Heft zu überreichen. Sein Mangel an Geschäftssinn erklärt es, daß er dies erst nach den Kriegen mit Dänemark und Österreich getan hat. 1861 waren Lemckes Gedichte bei Hofmann & Campe in Hamburg als das Neueste vom Jahre erschienen. In den singbaren, frischen Weisen, die Brahms zu den Soldatenliedern erfand, hätten sie als Ausdruck der Zeitstimmung schnell ihr Glück gemacht. Damals sang man begeistert: »Schwarz-Rot-Gold ist das Panier!« und träumte von der Einigung aller deutschen Stämme unter Österreichs Führung, dem alten Ideale der Burschenschaft. Der Bruderkrieg zwischen Preußen und Österreich schlug dem Volke so tiefe und schmerzliche Wunden, daß auch nach der Schlacht bei Königgrätz und der Gründung des Norddeutschen Bundes in Deutschland noch viele mit der neuen, in ihren Zielen schwer erkennbaren Umgestaltung der politischen Verhältnisse keineswegs einverstanden waren. In seiner Vaterstadt bekam Brahms die anzüglichsten und beleidigendsten Satiren auf König Wilhelm und dessen Ratgeber Bismarck zu hören – wurden doch beide sogar auf der Bühne eines Hamburger Theaters als »Anjust Lehmann« und »Fritze Fischmarkt« dem allgemeinen Gelächter preisgegeben! – und daß Brahms noch 1867 als eifernder »Großdeutscher« den Entscheidungskrieg für ein nationales Unglück hielt, bekräftigte er symbolisch, indem er seinen schwarzrotgoldenen Soldatenliedern den altertümlichen, madrigalartigen Trauerchor »Ich schwing' mein Horn ins Jammertal«7 voranstellte. Von [15] dem Refrain »Mein Jagen ist verloren«, der als Schlußkadenz wie in Heinrich Isaaks »Innsbruck, ich muß dich lassen« klagend hinausgezogen wird, fällt ein trübes, gebrochenes Licht auf das Ganze. Aber die hellen Farben der bald marschmäßig, bald frei nach dem wechselnden Schlag des kampffroh pochenden Herzens bewegten Soldatenlieder lassen sich nicht dämpfen; ihre populären Weisen und gesunden Harmonien erquicken jedes Ohr.

Wem sie durchaus nicht eingehen wollten, das waren die ehrenwerten Mitglieder des »Wiener kaufmännischen Gesangvereins«. An der eigentümlichen Betonung in Nr. 2: »Freiwillige her!« werden sie sich schwerlich gestoßen haben. Dennoch verweigerten sie dem alten Soldaten von Nr. 3 die ersten und letzten Ehren, protestierten unisono gegen das »Geleit«, und Gotthard legte in Folge dessen, in seinem Brahms gekränkt, die Direktion nieder. Dafür vermittelte er dann bei Spina den Verlag des Psalms op. 27 und der Duette op. 28 und überbrachte dem hocherfreuten Komponisten, dem gerade das Geld ausgegangen war, neunzig Taler in Silber. Diesen und anderen Verdiensten hatte es Gotthard zu verdanken, daß er zu der Tafelrunde von »Professoren«8 gezogen wurde, die sich während der Sechzigerjahre um Brahms versammelte, im Hinterstübchen des Herrn Vater – so hieß der Wirt eines bescheidenen, in einer engen Seitengasse der inneren Stadt gelegenen Speisehauses. Der Name gab natürlich willkommenen Anlaß zu allerlei Witzen, und es stand den losen Zechbrüdern wohl an, wenn sie sich auf Sohnespflichten oder auf das vierte Gebot beriefen. Sie ehrten den »Vater« und entschuldigten sich: »Es tut mir leid, aber dieser Abend gehört dem Vater.« Der Maler Canon und der Bassist Förchtgott (berühmt als Sänger Loewescher Balladen) gehörten ebenfalls zur Gesellschaft.

[16] Beim »Vater« sprach auch Julius Epstein vor, damals einer der ersten Pianisten Wiens, der alle Jahre vor ausverkauftem Saale sein Konzert gab. Ein Mozart- und Beethoven-Spieler par excellence, durfte er sich rühmen, aus einem einzigen, beliebig aus der Mitte einer Mozartschen oder Beethovenschen Sonate herausgegriffenen Takte sofort das Werk zu erkennen, in welches die paar Noten hineingehörten. Er hatte die Brahmsschen Klavierkompositionen zuerst bei Bertha Porubszky gesehen, und diese Freundin war es auch, die Brahms veranlaßte, Epstein aufzusuchen. Beide verfehlten einander, bis Brahms seinen Verehrer endlich zu Hause traf. Wie erstaunte Epstein, als ein schmächtiger, blonder, zarter Mensch, den er für einen Schulgehilfen hielt, schüchtern bei ihm eintrat und mit leiser Stimme errötend zu ihm sagte: »Ich heiße Brahms«! Epstein hörte Brahms Klavier spielen und war hingerissen von diesem unvergleichlichen, ganz genialen Spiel, von dem er einen so tiefen, entschiedenen und charakteristischen Eindruck empfing, wie von keinem anderen vor- und nachher.9 Auch Gotthard stimmt damit überein, wenn er sagt: »Wer nicht Brahms bei sich zu Hause, sozusagen in Hemdärmeln, losgelöst von allem gesellschaftlichen Zwange gehört hat, weiß nicht, was er als Pianist zu leisten im Stande war. Sein Spiel, großzügig wie kaum eines der anderen großen Berufsspieler, hat sich fest in meinem Gedächtnis eingeprägt.« Brahms sagte Epstein, er habe zwei Klavierquartette aus Hamburg mitgebracht, »auf die er etwas halte« (g-moll und A-dur). Als Epstein ihn fragte, ob er sie nicht einmal in einem größeren Saale probieren wollte, erwiderte Brahms: »Nein, lieber in Ihrer kleinen, gemütlichen Wohnung.« Daraufhin eilte Epstein zu Hellmesberger und lud das Quartett nebst Gänsbacher, Gotthard u.a. zum Frühstück ein.

Es war eine bedeutungsvolle, folgenreiche Zusammenkunft, die im Oktober 1862 bei Epstein stattfand. Der Zufall hat hier ein wenig Vorsehung gespielt und Musikgeschichte gemacht. Epstein wohnte in der Schulerstraße, unweit des Stefansplatzes, No. 853 (heute No. 8) im Camesinaschen Hause. In diesem Hause hat Mozart drei der fruchtbarsten und glücklichsten Jahre seines kurzen [17] Lebens zugebracht, von 1784–1787. »Figaros Hochzeit«, die »Maurerische Trauermusik«, das d-moll-Konzert und die c-moll-Phantasie sind zwischen den düsteren Mauern geschaffen worden. Hier war es, wo Wolfgang Amadeus seinem von Salzburg zu Besuch gekommenen Vater in Gegenwart Haydns die drei diesem gewidmeten Streichquartette vorspielen half, und Haydn ausrief: »Ich sage Ihnen vor Gott und als ein ehrlicher Mann, daß ich Ihren Sohn für den größten Komponisten anerkenne, von dem ich nur immer gehört.« Hier dürfte es ferner gewesen sein, daß der sechzehnjährige Beethoven den Meister, bei dem er in die Lehre gehen wollte, mit seiner Phantasie über ein ihm von Mozart gegebenes Thema in Erstaunen setzte, und dieser, den Finger auf dem Munde, den im Nebenzimmer plaudernden Freunden Stillschweigen gebot, mit den Worten: »Auf den gebt acht, der wird einmal in der Welt von sich reden machen!« Und in dem nämlichen Hause der Verkündigung und Erfüllung war es nun auch, wo Hellmesberger nachdem er das g-moll-Quartett mit Brahms vom Blatte gespielt, und der Enthusiasmus der Spieler wie der Zuhörer sich von Satz zu Satz gesteigert hatte, um nach dem feurigen Schlußrondo alla Zingarese in lauten Jubel auszubrechen, erhitzt und erregt die Violine aufs Bett warf, den Komponisten in die Arme schloß, küßte und zu der Gesellschaft sagte: »Das ist der Erbe Beethovens!«10 Später, als Hellmesberger sich zu den Gegnern des »Erben Beethovens« schlug, die sich offen und insgeheim zahlreich [18] erhoben, sobald Brahms erst in Wien ansässig geworden war, ließ er sich nicht gern an jenen Vorfall erinnern und behauptete, »bei Epstein zu viel kroatischen Wein getrunken zu haben«.

Josef Hellmesberger, der zweite Sohn des Violinmeisters Georg und in der Musikerdynastie Hellmesberger der hervorragendste Träger seines berühmten Namens, konnte für ein Musterbeispiel des genialen Wiener Musikers gelten. Auf seinem Instrument ein Virtuose ersten Ranges, war er doch, im Gegensatze zu Joachim, eher eine leicht bewegliche, in vielen Farben schillernde Natur als ein fest in sich geschlossener künstlerischer Charakter. Abhängig von der Inspiration des Augenblickes und am hinreißendsten, wenn er seinen momentanen Eingebungen folgte, durfte er sich Freiheiten herausnehmen, die man keinem anderen verziehen hätte, und selbst das Gewaltsame erschreckte bei ihm nicht, weil er ihm den blendenden Schein einer überraschenden, ganz à propos zu Tage geförderten Notwendigkeit zu geben wußte. Als Solist wie als Primgeiger seines von ihm mit souveräner Oberhoheit beherrschten Streichquartetts, das von 1845 an beinahe ein halbes Jahrhundert hindurch florierte, sprang er oft ziemlich eigenmächtig und willkürlich mit den Meisterwerken der Klassiker um, wenn er auch nicht so weit ging wie Liszt, der sich eines Virtuoseneffektes wegen Änderungen und Entstellungen des authentischen Textes zu Schulden kommen ließ. Sein Spiel hatte den heißen Atem, den unruhigen Puls menschlicher Leidenschaft, seine Geige den überirdischen Ton einer Engelsstimme. Gewisse lyrische Partien in Beethovens letzten Quartetten, um deren Popularisierung sich Hellmesberger große Verdienste erwarb, wie den Variationensatz des Es-dur-Quartetts, das »Dankgebet eines Genesenen«, die Kavatine aus op. 130, ferner das Violinsolo imBenedictus der Beethovenschen missa solemnis, oder auch Schuberts Kammermusik von Hellmesberger zu hören, war ein unvergleichlicher Genuß und bleibt für den Glücklichen, der ihn gehabt, ein unverlierbarer Schatz der Erinnerung.

Brahms, sofort von dem jovialen, witzigen und schlagfertigen Wiener eingenommen, wußte die Ehre nach Gebühr zu schätzen, die ihm Hellmesberger erzeigte, der, auf das Manuskript des g-moll-Quartetts deutend, sagte: »Das müssen Sie an meinem [19] ersten Quartettabende spielen!« Das Zusammenspiel mit dem großen Geiger und dessen Genossen F. Dobyhal (Bratsche) und H. Röver (Violoncell), zu denen im Streichquartett Matth. Durst als zweite Violine hinzutrat, hatte ihm keine geringe Meinung von der schnellen Auffassung und der Gewandtheit der Wiener Musiker beigebracht, und er willigte freudig ein.11 Am 16. November 1862, einem Sonntag, erschien Brahms zum ersten Male vor dem Wiener Publikum, und zwar gleich vor dessen höchstem Areopag. Die Hellmesbergerschen Quartettproduktionen, die in Zwischenräumen von vierzehn Tagen an acht Sonntag-Nachmittagen der Saison von 5 bis 7 Uhr stattfanden, versammelten im Saale der Gesellschaft der Musikfreunde unter den Tuchlauben immer eine Menge von Kennern und Liebhabern, welche kein Plätzchen unbesetzt ließ und den Vorträgen mit andächtiger Aufmerksamkeit lauschte. Vielen war schon vorher die zierliche Jünglingsgestalt mit dem blonden, blauäugigen Johanneskopfe aufgefallen, die überall zu sehen war, wo sich auf musikalischem Gebiet etwas Besonderes ereignete.12 Und seit Anfang November hatte so mancher Tag sein musikalisches Ereignis gehabt.

Anfang November begannen die »Philharmonischen Konzerte« ihren ersten Zyklus, dem, seit Otto Dessoff (1860) die Leitung des von Otto Nicolai geschaffenen, von Karl Eckert konsolidierten Instituts übernommen hatte, immer ein zweiter Zyklus von vier Konzerten angegliedert wurde, so daß sich, wie noch heute, die acht statutenmäßigen Philharmonischen Konzerte über die ganze Saison verteilten. Auch sie bedeuteten eine musikalische Sonntagsfeier, und das Publikum strömte zur Mittagsstunde nach beendigter Messe, bei welcher die Hofmusiker beschäftigt waren, in hellen Scharen dem Kärntnertortheater zu, dessen Inneres sich bei dieser Gelegenheit immer in einen Konzertsaal verwandelte. Ihren Weltruf haben die Wiener Philharmonischen Konzerte in [20] erster Linie Otto Dessoff und dessen energischer, zielbewußter Direktion zu verdanken. Der anfangs mit Mißtrauen betrachtete und bespöttelte »kühle« Norddeutsche wußte dem oft allzu fahrigen und disziplinlosen Wesen der Orchestermusiker, von denen sich jeder mit Recht als Künstler fühlte, das erforderliche Gegengewicht zu geben, so daß sie sich, des stetig wachsenden Erfolges froh, seiner Führerschaft immer williger unterordneten. »Eines hatten Dessoffs Vorgänger ihm aufgespart: Versäumtes in der Wahl der aufzuführenden Werke nachzuholen, sowie auch jüngere Kräfte zu berücksichtigen. Das Unternehmen gewann unter ihm so sehr an Bedeutung durch künstlerische Zusammenstellung der Programme, gediegene Ausführung, Anerkennung und Zuspruch von Seite des Publikums, daß mit seinem Eintritt gleichsam ein neuer Abschnitt in der Geschichte dieser Gesellschaft beginnt.«13 Aus dem vielversprechenden Konservatoriumsschüler, dem Brahms 1853 in Leipzig zuerst begegnete, war ein gründlich gebildeter, ausgezeichneter Musiker, aus dem strebsamen Jüngling ein ganzer, ihm an praktischer Erfahrung überlegener Mann geworden. Bei Dessoff ist der um zwei Jahre ältere Brahms noch einmal in die Schule gegangen. Nicht daß er, wie Felix Mottl, Arthur Nikisch, Wilhelm Gericke, Ernst Schuch, Richard v. Perger, Heinrich v. Herzogenberg u.a. Unterricht bei ihm genossen hätte: der unerschütterliche, seiner Sache völlig sichere Leiter großer. Chor- und Orchestermassen, welcher wie die Inkorporation des »Vollkommenen Kapellmeisters« in Oper und Konzert ihm leibhaftig vor Augen stand, blieb fortan sein Muster. Ihm lernte der ehemalige Taktschläger der Detmolder Akademie und des Hamburger Frauenchors, wie der zukünftige Dirigent der Wiener Singakademie und der Gesellschaftskonzerte so manchen Kunstgriff, so manches Zunftgeheimnis ab, das ihm auf theoretischem Wege nimmermehr zugekommen wäre.14 Brahms schloß sich eng an Dessoff an, der seit 1861 in glücklicher Ehe mit Frau [21] Friederike, der Tochter des Düsseldorfer Theaterdirektors Georg Meisinger, lebte, einer für die Kunst begeisterten, anmutigen und frohsinnigen musikalischen Dame, welche in den Rezepten der Küche ebenso genau Bescheid wußte wie in den Partituren ihres Mannes. Kein Wunder, daß Brahms bald ein häufiger Gast des Dessoffschen Hauses wurde. So oft und so lange er in Wien war, lag bis zu Dessoffs Übersiedelung nach Karlsruhe (1875) nach den Sonntagskonzerten stets das Kuvert für ihn gedeckt auf dem einfachen, aber schmackhaften Mittagstische.

In jenem Philharmonischen Konzerte vom 2. November 1862 lernte Brahms das Hofopernorchester und das Wiener Publikum von ihrer Glanzseite kennen. Das waren keine gewöhnlichen, aus allen Gegenden der Windrose zusammengefegten Mietstruppen, die ihren Drill- und Exerziermeister in Verlegenheit setzen, das war eine gleichgeborene, auserlesene, edle Künstlerschar, für die ein Wink des inspirierten Führers genügte, um sie zum Höchsten anzuspornen, war das »Orchester von Poeten«, welches Berlioz für ein Beethovensches Adagio begehrte. Ihr wunderbares Zusammenspiel, der weiche, leuchtende und erwärmende Glanz ihrer Instrumente berauschten das Ohr des Zuhörers, die Individualisierung und zarte Beseelung der gleichsam persönlich hervortretenden melodischen Solostimmen sprachen wie mit überirdischen Zungen zu seinem Geiste.15 So schön hatte Brahms weder die Ouvertüren zu Glucks »Iphigenie« (mit dem Wagnerschen Schlusse) und Schumanns »Genoveva«, noch Mendelssohns a-moll-Symphonie jemals zuvor gehört, und er fand es begreiflich, daß das Scherzo der Symphonie von dem in stürmischen Jubel ausbrechenden Auditorium da capo begehrt wurde. Wie Mozart schreibt, daß es ihm in Salzburg immer zumute gewesen sei, als ob er den hölzernen Sesseln und Tischen etwas vormusiziere, so mochte auch er schaudernd an das verstockte, zugeknöpfte Hamburger Publikum zurückdenken, das nur in ganz außerordentlichen Fällen einmal aus sich herausging. Wer ihm damals gesagt hätte, daß der [22] junge feurige Gustav Walter, der die Tenor-Arie aus Mozarts »Entführung« mit ergreifender Innigkeit sang, dereinst der überzeugte und beredte Interpret seiner Lieder sein würde! Ähnliche, ihn überraschende und erfreuende Vorgänge wiederholten sich in dem großen Händel-Konzerte, mit dem die Gesellschaft der Musikfreunde am 9. November ihr goldenes Jubiläum feierte, wenn er sich auch wunderte, daß die Festaufführung des »Messias« für Wien als die erste vollständige16 angekündigt wurde, und aus ihrer Art hervorging, daß weder die Mitwirkenden noch der Dirigent (Johann Herbeck) die richtige Fühlung mit ihrem Gegenstande und dem gewaltigen Sänger des Messias hatten. Aber auch hier: welcher edle Vollklang von Chor- und Orchestermassen, welches kostbare Material, welche Musikfreude und welcher Enthusiasmus! Der Kaiser, umgeben von den Mitgliedern seines Hauses und an der Seite seiner holdseligen, jungen Gemahlin, wurde beim Eintritt in die Loge mit Fanfaren und jubelndem Zuruf begrüßt,17 Anschütz sprach einen von Josef Weilen gedichteten Prolog, und der festlich beleuchtete große Redoutensaal der Hofburg bildete den stilvollen Prunkrahmen zu dem prächtigen Gesamtbilde. Eine Probe verfeinerter Wiener Gemütlichkeit bekam Brahms an dem Gesellschaftsabende zu verkosten, der dem Festkonzert auf dem Fuße folgte und sämtliche Mitwirkende nebst deren Angehörigen und Bekannten beim »Sperl« in der Leopoldstadt zum Tanze vereinte. Da ging es hoch her, und Johann Strauß schlug mit dem Fiedelbogen seiner Zaubergeige den Takt dazu.

Um wieder auf den 16. November 1862 und das erste Auftreten Brahms' bei Hellmesberger zurückzukommen, so stimmen die Berichte der Ohrenzeugen darin überein, daß die Persönlichkeit und das Klavierspiel des fremden Künstlers dem Publikum besser gefielen als das neue Werk, das er aus dem Manuskript vortrug. »Mit jener Bonhommie empfangen, die das Wiener Publikum fremden, [23] talentvollen Künstlern gegenüber immer an den Tag legt, wurde Herr Brahms am Schlusse durch öftere Hervorrufe ausgezeichnet.« (Zellner a.a.O.) Den meisten Anklang und den stärksten Beifall fand das ungarisierende Finale des Quartetts, und es schadete nichts, daß dem Violoncellisten dabei der Steg umschlug und zersprang, im Gegenteil, man freute sich, den »feschen« Csardas, dessen Passagen der Komponist so hurtig über die Saiten rollen ließ, wieder von vorn zu hören. Die Kritik wußte mehr zu tadeln als zu loben. Die melodische Erfindung des Werkes, schreibt die »Deutsche Musikzeitung«, sei nicht bedeutend, die Haltung des Ganzen monoton, es fehle an den erforderlichen Gegensätzen, während wieder der allzu realistische Zigeunertanz schroff und unmotiviert von den vorhergehenden Sätzen absteche, in denen sich »der schwärmerische deutsche Jüngling par excellence« offenbare usw. usw. Noch abfälliger äußerte sich L.A. Zellner, der seit 1855 seine viel gelesenen »Blätter für Musik« herausgab: »Öde, Sturm, Graus, Frost, Vernichtung, Trostlosigkeit sind die Vorstellungen, welche diese, von keinem lichten oder milden Strahl auch nur auf Augenblicke erleuchteten und durchwärmten Nachtbilder hervorrufen.« Hanslick, auf dessen Urteil in der »Presse« ganz Wien zu warten pflegte, schwieg sich über das g moll-Quartett gründlich aus. Er mochte auf eine persönliche Einladung des Komponisten gerechnet haben, und da diese ausblieb, ebenfalls ausgeblieben sein. Tatsache ist, daß Brahms, der, wie er sagte, »ein viel zu bescheidener Jüngling« war, um die flüchtige Bekanntschaft vom Niederrheinischen Musikfeste des Jahres 1855 für sich auszunutzen, dem Obergewaltigen der Kritik erst zeigen wollte, was zu leisten er fähig sei, ehe er den Vielbeschäftigten mit seinem Besuche behelligte. Hanslick aber mußte nach den Antezedentien über die vermeintliche Nichtachtung des jungen Mannes verstimmt sein. Doch holte er das Versäumte ein, nachdem Brahms sich in einem eigenen Konzerte dem Publikum als Tondichter und Virtuose vorgeführt hatte.18 – Besuche bei Simon Sechter, dem berühmten Theoretiker, und seinem großen Landsmanne, dem Dichter Friedrich Hebbel, trugen ihm wertvolle Erinnerungsblätter ein. Hebbel, der bereits kränkelte [24] (er starb am 13. Dezember 1863), verehrte ihm das schöne Distichon:


»Perlen hast du gesät, auf einmal beginnt es zu hageln,

Und man erblickt sie nicht mehr; hoff auf die Sonne, sie kommt!«


Schon zehn Tage vor seinem Auftreten bei Hellmesberger schreibt Brahms an Joachim, der zum Kummer des Freundes, des leidigen Broterwerbes wegen,19 wieder auf längere Zeit nach England gegangen war, er würde von allen Seiten gedrängt und getrieben, selbst ein Konzert zu geben, und fügt lakonisch hinzu: »Am Ende geschieht's wirklich.« Es war durchaus gegen seine Grundsätze und Absichten, und er hätte sich wohl kaum zu einem so »abenteuerlichen Wagnis« entschlossen, wenn er nicht, halb gegen sei nen Willen, dazu gezwungen worden wäre. Hinter seinem Rücken mietete der gute Epstein, der sein Lebenlang immer unterwegs war, um irgend einem Nebenmenschen einen Liebesdienst zu erweisen, für den 29. November den Musikvereinssaal, nachdem er sich der Mitwirkung des Hellmesbergerschen Quartetts versichert hatte. Brahms mußte also wohl oder übel daran. Auf dem Programm standen das A-dur-Quartett und die Händel-Variationen; außerdem spielte der Konzertgeber Bachs Orgel-Tokkata in F und SchumannsC-dur-Phantasie op. 17, ein Stück, das, unglaublicherweise, in Wien noch niemals öffentlich vorgetragen worden war, auch von Klara Schumann nicht. Dazwischen sangen Frau Franziska Passy-Cornet, seine alte Hamburger Gönnerin, die seit Jahren Professorin am Wiener Konservatorium geworden war, und Herr E. Förchtgott einige Lieder und Balladen. Das Konzert hatte zwar keinen durchschlagenden, immerhin aber einen, mit jeder Nummer sich steigernden warmen Erfolg. Wiederum war es der Pianist, nicht der Tondichter, der die Zuhörer gefangen nahm. Zwar nötigte das großartige Variationenwerk, [25] dessen Schlußfuge, wie Selmar Bagge berichtet, Brahms in einem Tempo nahm, das selbst dem mit der Sache Vertrauten es schwierig machte, zu folgen, den Musikern Respekt und Bewunderung ab, desto weniger aber konnten sie sich mit dem A-dur-Quartett befreunden. Nur Bagge trat dafür ein, nannte es eine »durchweg verständliche, sein und interessant gearbeitete, liebenswürdige Komposition« und unterzog das Werk dann noch von Leipzig aus, wohin er Ende 1862 übersiedelte, in der fortan bei Breitkopf & Härtel unter seiner Redaktion wieder erscheinenden »Allgemeinen Musikalischen Zeitung« einer eingehenden Würdigung.20 Ebendort fand später (1865) Bagges abfälliges Urteil über dasg-moll-Quartett (mit seiner Einwilligung) durch Deiters die gehörige Korrektur. Ihm, dem ehemaligen Organisten an der evangelischen Kirche in Wien, hatte besonders der geniale Vortrag der Bachschen Orgel-Tokkata imponiert, die Brahms mit seinen zehn Fingern besser herausbrachte als andere mit Händen und Füßen, wobei er dem Klavier einen »eigentümlichen orgelmäßigen gleichen Klang« entlockte.21 »Es ging alles klangvoll, mit großer [26] Ökonomie der Steigerungen, aber auch mit breit ausgelegtem Ton bei den Hauptstellen vor sich.« Die Tokkata, wie überhaupt alle Bachschen Orgel- und Klavierwerke, zeigten Brahms auf der Höhe seiner virtuosen Meisterschaft. L.A. Zellner schrieb: »Um Brahms als Klavierspieler richtig zu würdigen, muß man sich auf seinen Standpunkt stellen. Er gehört nicht zu jenen, die ein Stück jahrelang üben, um es mit vollendeter Glätte und auf den äußersten Effekt zugespitzt hinzustellen. Er hat vielleicht keines der Stücke die er spielte, so recht, wie man zu sagen pflegt, in den Fingern. Allein er hat sie alle im Kopfe. Er spielt Euch, wenn Ihr wollt, den ganzen Bach, den ganzen Beethoven, Schubert, Schumann daher. Und wenn da hin und wieder eine Note danebengeht, oder eine Nuance minder prononciert, eine Passage minder glatt zum Vorschein kommt, was liegt daran? Spielt er doch nicht Klavier, um Klavier, sondern um den Komponisten zu spielen! Und das kann er, dazu verfügt er über die ausreichendste Technik. Andere, die es nicht können, mögen am Mechanischen tifteln und feilen; von Brahms verlangt man so etwas gar nicht.« Dieses wohlwollende Urteil hinderte Brahms nicht, sich abfällig über die »historischen Konzerte« und die Arrangements älterer Musikwerke auszusprechen, mit denen der einflußreiche, den Dilettantismus begönnernde Harmonium-Virtuose auch bei Hofe aufwartete. Zellner bearbeitete alles mögliche für das aus der älteren Physharmonika entstandene Liebhaberinstrument, das er, mit eigenen Verbesserungen versehen, frisch in die Mode gebracht hatte. In seinen Konzerten lösten altdeutsche Schlachtgesänge, ritterliche Minne- und bürgerliche Meisterlieder, Pachelbelsche Orgelphantasien, Zachausche Choraltrios, Menuette und Adagios aus klassischen Kammermusikstücken, Suiten und Konzerten einander ab, und er fand kein Arg darin, sich dafür in seiner eigenen Zeitung zu loben, indem er über jede seiner bunt zusammengewürfelten, die Künstlerschaft Wiens [27] stark in Kontribution setzenden Aufführungen ausführliche Referate befreundeter Kollegen in extenso zitierte. Brahms schlug es kurzweg ab, in diesen Konzerten mitzuwirken, und übersah, daß sie doch auch ihr Gutes hatten, insofern, als sie auf ihre Weise das Interesse für historische Musik förderten. Damit zog er sich eine Gegnerschaft zu, die um so gefährlicher wurde, je weniger offen sie in der Folge hervortrat, nachdem Zellner erst Professor der Harmonielehre und Generalsekretär der Gesellschaft der Musikfreunde geworden war; Zellner verschanzte sich in den Mauern des Konservatoriums mit Gleichgesinnten (abtrünnigen Freunden und eifersüchtigen Nebenbuhlern), um gegen den Verhaßten zu intrigieren.22

Brahms selbst war mit dem Erfolge seines Konzertes sehr zufrieden. Am 30. November schreibt er darüber nach Hause:23


»Liebe Eltern,


Ich hatte gestern große Freude, mein Konzert ist ganz trefflich abgelaufen, viel schöner, als ich hoffte.

Nachdem das Quartett recht wohlwollend aufgenommen war, habe ich als Klavierspieler außerordentlich gefallen. Jede Nummer hatte den reichsten Beifall, ich glaube, es war ordentlich Enthusiasmus im Saal.

Jetzt könnte ich freilich ganz gut Konzerte machen, aber an Lust fehlt mir's, denn es nimmt mich für die Zeit zu sehr ein, so daß ich zu nichts anderem kommen kann. Ich soll bei diesem Konzert auf die Kosten gekommen sein, im übrigen war natürlich der Saal mit Freibilletten gefüllt.

Ich habe so frei gespielt, als säße ich zu Haus mit Freunden, und durch dies Publikum wird man freilich ganz anders angeregt als von unserm.

Die Aufmerksamkeit solltet Ihr sehn und den Beifall hören und sehen!

[28] Übrigens will ich noch sagen, daß Herr Bagge wohl der einzige war, der über mein Quartett so absprechend schreibt, die übrigen Tageblätter lobten mich damals sehr.24

Ich bin sehr vergnügt, daß ich das Konzert gegeben habe.

Nun seid Ihr Eure Gäste wohl wieder los, und da findet sich auch wohl eine Minute Zeit, mir zu schreiben?

Teilt Herrn Marxsen diesen Brief mit und auch, daß Bösendorfer vor Neujahr keinen Flügel schicken könnte, da sie zu viel für Konzerte gebraucht werden.

Soll ich mich nun um einen andern für ihn bekümmern, ich erwarte Ordre.

Grädener ging es neulich in seinem Konzert, was Publikum und Kritik betrifft, sehr schlecht. Er wurde in den Blättern furchtbar bearbeitet.25 Meine Serenade wird andern Sonntag, wie ich denke, aufgeführt.

In meinem Konzert gestern wollte ich Gesangsachen von mir aufführen, was mir furchtbar viel Lauferei und Unangenehmes machte, das ist ein Hauptgrund, weshalb ich endlich Ruhe will.

Am Mittwoch habt Ihr zusammen gesessen beim Eierpunsch? Schreibt mir davon und überhaupt was.

Die hiesigen Verleger, namentlich Spina und Lewy, drängen mich seit dem Quartett um Sachen, indes gefällt mir in Norddeutschland manches besser, und sonderlich die Verleger, und fürs erste entbehre ich lieber die paar Louisdors, die diese vielleicht mehr zahlen würden.

Kommt Avé öfter zu Euch, hat er Euch was Besonderes von Stockhausen erzählt?26

Wie steht's mit dem photographierten Mädchen- Quartett, bekomme ich's nicht?27

[29] Und NB. Jedesmal vergesse ich's beim Schreiben zu fragen, ob denn Fritz28 jetzt ganz und gar gesund ist? Und ist er denn recht fleißig? Er sollte darauf los studieren, daß er nächsten Winter Triosoireen in Hamburg geben kann, ich wollte ihm sehr an die Hand gehn. Nur muß er fleißig üben und sich umschauen in der Musik.

Schreibt bald und habt lieb


Euern Johannes.


Herrn Marxsen herzliche Grüße und vergeßt nicht wegen Bösendorfer.«


Unter den Berufenen, die ihr Votum für und wider den Hamburger Künstler abgaben, steht Eduard Hanslick mit seinem wohlwollenden, besonnenen und vorsichtigen Urteil obenan. Hanslick führte seit 1855 das Musikreferat bei der »Presse«, der damals angesehensten, von den ausgezeichnetsten Schriftstellern des In- und Auslandes bedienten Wiener Tageszeitung, und bekleidete seit kurzem auch eine außerordentliche, eigens für ihn geschaffene Professur der Geschichte und Ästhetik der Musik an der Wiener Universität. Er hatte diese Stellung nicht seiner epochemachenden kleinen Schrift »Vom Musikalisch Schönen« allein zu verdanken, die, oft wieder aufgelegt und in fast alle lebenden Sprachen übersetzt, seinen Namen über die Welt verbreitete,29 sondern noch mehr [30] den Verdiensten, die er sich als Tagesschriftsteller um die ästhetische Erziehung der Öffentlichkeit erwarb. In Wiener akademischen Kreisen war man weniger exklusiv und rigoros als auf mancher kleinen deutschen Universität, wo schon die Erteilung dervenia legendi von allerlei unumgänglichen Vorbedingungen abhängt und eine Fakultät die andere eifersüchtig überwacht. Auch blickte der Fachgelehrte hier nicht hochmütig auf den Zeitungsschreiber herab. Der Wert des Schriftstellers wurde weder nach Masse, Gewicht und Format seiner Arbeiten, noch nach der Dauer und Mühe des Studiums abgeschätzt, die er darauf verwendet, und es war sowohl dem Professor erlaubt, ein geistreicher Journalist zu sein, wie es dem Journalisten unter Umständen ermöglicht wurde, ein langweiliger Professor zu werden. Für das Feuilleton und speziell für das Musikfeuilleton war Hanslick geradezu eine bahnbrechende Erscheinung. Keiner verstand es besser, das Publikum zu belehren, indem er es unterhielt, über so subtile und ungreifbar in der Luft zerrinnende Dinge, wie es die Werke und Vorträge der Tonkünstler sind. Er schob dem Leser seine Meinung gewandt und unauffällig unter; der freundlich Getäuschte nahm sie gläubig für die eigene und fühlte sich überrascht und geschmeichelt, den feinhörigen, geschmackvollen Kritiker auf seiner Seite zu wissen. Der enge Raum bedingt die knappe Form der Darstellung; er zwingt den Feuilletonisten, sich zusammenzufassen, mit wenig Worten viel zu sagen, und verleitet ihn zum häufigeren Gebrauche von Antithesen, Paradoxen, Wortspielen, epigrammatischen Wendungen und Pointen. Solche Behelfe des witzigen Kritikers, die, wenn sie wirken sollen, außer dem Talent des Spruchdichters eine fast dramatische Fähigkeit der Disposition voraussetzen, erfordern die strengste Selbstzucht, die schärfste Überwachung, die gewissenhafteste Ökonomie. Skribler, welche, um zu blenden und zu verblüffen, auf Geist ausgehen, besitzen gewöhnlich keinen oder sehen [31] sich gerade da von ihm verlassen, wo sie ihn am nötigsten hätten. Andere wieder verfallen durch dieselbe Sucht, Aufsehen zu erregen, einer unerträglichen monotonen Manier und bezahlen ihre Augenblickserfolge mit der niederschlagenden Erkenntnis ihrer ephemeren Wirkung. Ihnen gegenüber verdient Hanslick als Muster gerähmt zu werden. In seinen Aufsätzen steht jeder Satz an der richtigen Stelle, die Gedanken drängen und überstürzen sich nicht, Prägnanz und Klarheit des Ausdrucks wetteifern mit dessen Anmut und Natürlichkeit. Der eigentümliche Stil seiner Schreibweise, welcher ein adäquater Ausdruck seiner Persönlichkeit ist, artet niemals zur Manier aus und behält die unvergängliche Frische der ersten Konzeption. Seine Feuilletons sind gleichsam die zerstreuten Blätter eines Buches; das erste atmet denselben Geist, bekennt sich zu derselben Gesinnung des Verfassers wie das letzte, und sie brauchten nur gesammelt und gebunden zu werden, um ein gehaltvolles, interessantes und historisch wichtiges Werk zu repräsentieren.30 Hanslick war nicht der Liebediener der Öffentlichkeit, sondern ihr Führer, und wenn sich das Publikum einmal, von den großsprecherischen und anmaßenden Verheißungen anderer betrogen, von ihm abwandte, so kehrte es aus der führerlosen Konfusion und Irre bald wieder reuig zurück zu dem Altmeister der Kritik, dessen offenkundige, menschliche Schwächen noch immer liebenswürdiger sind als die unmenschlich geschraubten und verschrobenen Forcen seiner inferioren, einander überlärmenden Widersacher. Was Hanslick in allen Fällen die unanfechtbare Überlegenheit seiner hervorragenden Position sicherte, war neben seiner vornehmen Gesinnung und der heiteren Ruhe seines beweglichen Geistes die konzentrierte Kraft seiner Darstellung. Der Künstler in ihm durfte sich zu der Höhe derjenigen erheben, über welche er urteilte, auch wenn sie vermöge ihrer mächtigeren Phantasie Größeres und Belangreicheres schufen: auf seinem Schaffensgebiete stand er ihnen gleich.

[32] In seinem Urteile über Brahms ist Hanslick lange zurückhaltend gewesen, und es artete auch, als er mit dem Tondichter das brüderliche Du getauscht hatte und von der hohen Meisterschaft seiner Kunst innig durchdrungen war, niemals in überschwängliches Lob aus, wie diejenigen uns einreden wollen, die den großen Kritiker so gern unredlicher Parteilichkeit zeihen. Sie, die ihre Götzen und deren vielgepriesene Wundertaten mit dem dröhnenden Posaunenschall der Reklame zu feiern pflegen, entrüsten sich über jeden sanften Flötenlaut, der nicht zum Ruhme ihrer Auserwählten ertönt. Hanslick meint31, es sei derzeit noch ein bedenkliches Unternehmen, Brahms' Talent und Wirksamkeit abzuschätzen. Zwar habe der Komponist sich von der wilden Genialität seiner Jugendwerke, die so unwiderstehlich abschreckend anzog, zu reiferen Schöpfungen emporgearbeitet, aber gerade in seinen neuesten Werken tauchten Fragezeichen und Rätselbilder auf, die eine Lösung erst in der nächsten Periode seines Schaffens finden würden. Er spricht von einem »Nebelflor grübelnder Reflexion«, der die Frische seiner Erfindung trübe, und diese Metapher blieb bis auf den heutigen Tag ein Schlagwort für die Verkleinerer der Brahmsschen strengen, aber lichten und hohen Tonmuse. Er nennt die Themen des,A-dur-Quartetts trocken und nüchtern und vermißt den großen fortströmenden Zug der Entwicklung. Das Quartett und andere neuere Sachen von Brahms mahnen ihn bedenklich an Schumanns letzte Periode, gerade wie ihn Brahms' Anfänge an Schumanns erste Periode erinnerten. »Nur zu der goldklaren, reisen Mittelzeit des echten Schumann bietet uns sein Lieblingsschüler bisher noch kein Seitenstück.« Man vergleiche mit diesen und anderen Äußerungen Hanslicks, welche zeigen, wie wenig er noch in die Kunst des vermeintlichen Schumannschülers eingedrungen war, die Verzückungsdelirien, in denen sich die Wortführer der Neudeutschen wälzten, sobald irgend eine noch so geringfügige »Tat« ihrer Häupter dazu aufforderte! Trotz solcher Bedenken wird am Schlusse des ihm gewidmeten Feuilletons Brahms ermuntert, ein zweites Konzert zu geben, und ihm nahe gelegt, die Schumannsche Phantasie, deren Vortrag den eingefleischten [33] Schumannianer hingerissen hatte, zuwiederholen. Brahms entsprach diesem Wunsche insoweit, als er am 6. Januar des neuen Jahres noch einmal als Konzertgeber vor das Wiener Publikum trat und außer Beethovens Prometheus-Eroika-Variationen und Bachs Chromatischer Phantasie mit Fuge, Schumanns für Wien ebenfalls neue f-moll-Sonate (»Concert sans orchestre«) spielte. Von eigenen Kompositionen trug er seine dritte Sonate op. 5 vor, und Frau Marie Wilt sang vier seiner Lieder (»Treue Liebe«, »Parole«, »Liebestreue« und »Juchhe«). Das lyrische Intermezzo wird von Hanslick kurz abgetan.32 Dagegen rühmt er das Andante der Brahmsschen Sonate und sagt, es gehöre zum Innigsten, was in der neueren Klaviermusik existiert. Wie sehr der Klavierspieler dem Publikum gefiel, beweist der Umstand, daß Brahms am Schlusse des Konzerts so lange herausgerufen wurde, bis er einen der von ihm für zwei Hände gesetzten Schubertschen charakteristischen Märsche zugab, und der Referent des »Fremdenblattes« (Speidel?) konnte resümieren: »Brahms hat sich in kurzer Zeit die Gunst des hiesigen Publikums erworben.« Hanslick aber schließt seinen Bericht mit den Worten: »Hoffentlich denkt Brahms nicht daran, von Wien, wo er als Mensch und Künstler so viele und warme Freunde erworben hat, schon Abschied zu nehmen.«33 Für die Mitwirkung der Frau Passy-Cornet, die Brahms bei seinem ersten Auftreten unterstützt hatte, revanchierte er sich, indem er zu einem Konzert der Sängerin (am 20. Dezember 1862) ein paar kleinere Stücke von Schumann und mit Hellmesberger die E-dur-Violinsonate von Bach beisteuerte. Da Brahms überdies von Hanslick als Illustrator zu einem Zyklus musikalischer Vorlesungen zugezogen wurde, welche der vom Dozenten zum Professor avancierte Gelehrte im Saale des alten Rathauses vor der besten Wiener Gesellschaft abhielt – er begann am 21. Februar 1863 mit Beethoven, und sein Partner spielte die Sonate op. 111 – so bewegte sich Brahms bald im Zentrum des geistigen Wien.

Auch als Orchesterkomponist fand Brahms Gelegenheit, sich in Wien hervorzutun. Die beiden großen Konzertinstitute der Philharmonischen und Gesellschaftskonzerte teilten sich in die beiden [34] Serenaden. Dessoff kündigte die A-dur-Serenade für den zweiten Zyklus der Philharmonischen Konzerte an. Der Schöpfer und Leiter des »Singvereins« aber war gleich nach dem Auftritt im Camesinaschen Hause von seinem Freunde und Kollegen Hellmesberger auf das vom Himmel gefallene Genie aufmerksam gemacht worden und hatte die D-dur-Serenade für das zweite Gesellschaftskonzert an die Spitze des Programms gestellt. Wie Hellmesberger kam auch Herbeck Brahms mit offenen Armen entgegen, aber auch seine fast freundschaftliche Wärme erkaltete im Laufe der Jahre.34

Johann Herbeck, der seine glänzende Dirigentenlaufbahn 1852 als bescheidener Regens Chori bei den Piaristen begonnen hatte, verband das Genie des Feldherrn mit dem Ehrgeiz des Eroberers. Für ihn bedeutete jedes Podium eine Art von Schwungbrett, das ihn zu einem neuen, höheren Posten beförderte, und wenn es das Amt eines Generalissimus singender und geigender, blasender und schlagender Kriegsvölker gegeben hätte, so würde er es sicher in seinen Besitz gebracht haben. Er wurde 1856 Chormeister des Wiener Männergesangvereins, 1859 artistischer Direktor der Gesellschaft der Musikfreunde, 1863 Vize-, 1866 erster Kapellmeister an der Hofkapelle, 1869 erster Kapellmeister und 1870 Direktor der Wiener Hofoper, und er nahm diese Stellen meist, wie man feindliche Positionen nimmt, im Sturme, mit fliegenden Fahnen, unter klingendem Spiel, ohne viel nach den berechtigten Wünschen und Ansprüchen von Vorgängern und Mitbewerbern zu fragen – sie sanken in die Bresche, er erstieg den gesprengten [35] Wall. Am wohlsten fühlte sich dieser Napoleon des Konzertsaales an der Spitze großer Massen, und seine Kraft wuchs mit der Zahl der Köpfe, die er befehligte. Er war der Mann der Versammlungen, der Demonstrationen, der feierlichen Akte; kein Dirigent hat wohl so viele Musikfeste mit solchem Erfolge geleitet wie er. Sobald er unter dem dröhnenden Applause des Auditoriums, den Taktstock in der Hand, vor die Front des Riesengerüstes trat, mit kräftigem Ruck den schlanken, biegsamen Körper zum Pult emporschnellte, die dunkle Mähne seines lang herabwallenden Haupthaares in den Nacken schüttelte und das Zeichen gab zur Entfesselung tönender Elemente, rötete sich sein blasses, ausdrucksvolles Gesicht bis zur mächtig gewölbten Stirn hinauf, und seine Augen schossen feurige Blitze: der Beherrscher der Öffentlichkeit genoß seinen Triumph. Außer seiner gebieterischen Erscheinung besaß Herbeck eine Fülle seltener und vorzüglicher Eigenschaften: »ausgebreitetes, musikalisches Wissen, Kunstbegeisterung, Verstandesschärfe, feinstes Gehör, rasches Anempfinden für den Geist fremder Tondichtungen, aufopfernde Tätigkeit, männliche Entschlossenheit, einnehmend persönlichen Verkehr, geniale, faszinierende Führung. Niemand vermochte ihm zu widerstehen, und wo zuweilen doch noch ein Mitglied aus Schüchternheit oder Lässigkeit zurück stand, genügte ein Blick, eine energische Handbewegung, es an seine Pflicht zu erinnern.«35

Zu der Brahmsschen Serenade hatte Herbeck nur zwei Proben abgehalten, und das war, wie die übereilte Aufführung bewies, zu wenig gewesen. Immerhin gefiel das Werk, zumal in seinen kürzeren Sätzen, und Brahms war in der Gesellschaft der Musikfreunde kein Fremdling mehr. Ein noch günstigeres Schicksal harrte der »jüngeren, zarten Schwester«-Serenade, obwohl sich die Feinheiten ihrer Instrumentation im großen Raum verloren. Sie erfuhr, nach Hanslick, eine äußerst günstige Aufnahme. »Der jedem Satz folgende lebhafte Beifall wurde am Schluß in dem Maße größer, als der bescheidene Komponist auf seinem Galeriesitz immer kleiner wurde.«36

[36] Einer der aufmerksamsten und interessiertesten Teilnehmer der Brahmsschen Erfolge war ein junger blasser Mann, aus dessen schlaffem, etwas verlebtem Gesicht ein dunkles Augenpaar müde und gelangweilt in die Welt blickte, als wollte es fragen: Wozu das alles? Er stellte sich Brahms als der Pianist Karl Tausig vor, nachdem er ihm seine Begeisterung über dasg-moll-Quartett schriftlich ausgesprochen hatte. »Carlo«, notiert Cornelius in seinem Wiener Tagebuche, »hat an Brahms geschrieben und ihm Komplimente über sein Quartett gemacht. Er freut sich, noch unverdorbene, rückhalt- und neidlose Bewunderung in sich zu finden.« Der Schüler Thalbergs und Liszts war zwei Jahre vor Brahms aus Dresden nach Wien gekommen, um hier für jene Musik, die seine überreizten Nerven allein noch in Erregung versetzen konnte, Propaganda zu machen. Im Alter von zwanzig Jahren glaubte der frühreife Jüngling mit Kunst und Leben bereits abgerechnet zu haben; glücklicherweise war dies ein Irrtum.37 Als Klavierspieler hatte er alle seine Rivalen überflügelt; er wußte, daß es keinen gab, der ihn in einer Technik erreichte, welche die Vorzüge seiner Meister, die tadellose Glätte Thalbergs und die heroische Kühnheit Liszts, miteinander vereinigte, und das gelöste Problem hatte mit seiner Schwierigkeit den letzten Reiz für ihn verloren. Da rüttelte ihn die plötzliche Begegnung mit dem unberührten, fast mädchenhaft scheuen Nordländer, der, obwohl um acht Jahre älter, noch jünger aussah als er, und in allem für seinen vollkommenen Widerpart gelten konnte, aus seiner Lethargie auf. Sein Erscheinen war ihm wie ein leise heraufglimmendes Morgenrot, die Verheißung eines neuen, besseren Tages, und er klammerte sich mit allen gesunden Fasern seiner zerrütteten Natur an Brahms. Die Gegensätze berührten und zogen sich an. Auch Brahms fühlte sich von dem seltsamen, fast unheimlichen Wesen Tausigs, der den geborenen polnischen Juden durch die raffinierteste Kultur in einen kosmopolitischen Elegant von tadellosen [37] Manieren verwandelt hatte, eigentümlich gefesselt. Bald entspann sich zwischen ihnen eine Kameradschaft, die, durch die Gemeinsamkeit geselliger und künstlerischer Interessen, noch mehr aber durch die Vornehmheit ihrer Charaktere befestigt, zu herzlichem Einvernehmen führte. Brahms lud sich gern in der fashionabeln Wohnung zu Gast, die Tausig in der Währingerstraße innehatte, nachdem er von Cornelius und den »Weißgerbern«38 weggezogen war, spielte mit ihm vierhändig oder lag auf dem Diwan, konsumierte den ältesten Kognak und die neuesten schlechten Witze, rauchte türkischen Tabak dazu und ließ sich von Tausig in die Geheimnisse der Schopenhauerschen Philosophie einweihen, die damals der Jugend den Kopf verdrehte wie später die aphoristische Aberweisheit Nietzsches. Und Tausig wieder besuchte nicht minder häufig seinen neuen Freund in der Czerningasse, in welche Brahms bei Anbruch des Winters gezogen war, und ließ es sich in dem freundlichen Stübchen bei selbstgebrautem schwarzen Kaffee wohl sein, oder begleitete den Naturschwärmer in den verschneiten Prater. Schopenhauers Hauptwerk, »Die Welt als Wille und Vorstellung«, durchzustudieren, gewann Brahms nicht über sich, er hatte an den »Parerga« genug und fertigte die Phantasmen und Sophismen des radikalen Philosophen mit derselben, von Beethoven übernommenen skeptischen Bemerkung ab, die er dann auch auf Nietzsche anwendete: das Gegenteil der von ihm aufgestellten Behauptungen werde wohl ebenso wahr sein. Über das poesievolle Kapitel »Zur Metaphysik der Musik« wurde eifrig debattiert, und auch Tausigs älterer Freund, Peter Cornelius, den Brahms von seiner Weimar-Leipziger Zeit her kannte, nahm gelegentlich an den musikalischen Unterhaltungen und philosophischen Gesprächen teil. Brahms hatte eine herzliche Freude, als er den lieben selbstlosen, weltunkundigen Menschen und seinen Künstler wiedersah, mit dem er, trotz dessen anscheinend so innigem Verhältnisse zu Liszt und seiner Musik, vom ersten Augenblick ihrer Bekanntschaft an lebhaft sympathisierte. Das Merkwürdige war, daß Tausig und Cornelius, wenn sie mit Brahms konzertierten, »durchaus keine Lisztianer [38] sein und gewesen sein wollen und übrigens freilich mit dem kleinen Finger mehr leisten als die übrigen Musiker mit dem ganzen Kopf und allen zehn Fingern.«

So schreibt Brahms Ende des Jahres 1862 an Joachim und fügt hinzu: »Wagner ist hier, und ich werde wohl Wagnerianer heißen, hauptsächlich natürlich durch den Widerspruch, zu dem ein vernünftiger Mensch gebracht wird, gegenüber der leichtsinnigen Art, wie die Musiker hier gegen ihn sprechen.« (Joachim erwidert: »Du ein Wagnerianer? Der Kasus macht mich lachen!«) Diese Briefstelle kennzeichnet die Gesinnung und das Verhalten von Brahms gegen Wagner zur Genüge und korrespondiert auch mit den Bedenken, die ihm der »Protest« von 1860 erregte39. Im ganzen ist sich Brahms darin treu geblieben, daß er die Hyperbeln und Exaltationen der Wagneranbeter vor guten Bekannten und Freunden bespöttelte, wobei er das Haupt des Vergötterten tunlichst schonte, gegen die blindwütenden Lästerer und absolut negierenden Krittler des selbst in seinen Verirrungen noch großen, weltbewegenden Künstlers aber einen ziemlich schneidigen und sattelfesten kleinen Wagnerianer hervorkehrte, den die wenigsten in ihm gesucht hätten. Er versäumte keines der drei Monstre-Konzerte40, in welchen der vom Rhein nach Wien am 19. November 1862 zur Wiederaufnahme der »Tristan«-Proben zurückgekehrte Dichter-Komponist Fragmente aus den im Entstehen begriffenen »Meistersingern« und dem »Ring des Nibelungen« persönlich vorführte. »Neben mir in der Loge«, berichtet Wendelin Weißheimer in seinen Erinnerungen,41 »saß Johannes Brahms, den ich bei Cornelius kennen gelernt hatte«. Er blieb während des ganzen Konzerts kühl und zurückhaltend. Als ich ihn nach der hinreißenden Wiedergabe der Faust-Ouvertüre durch Zeichen zum Mitapplaudieren animierte, sagte er: »Ach, Herr Weißheimer, Sie zerreißen sich ja Ihre weißen Glacéhandschuhe!« In Wien kam er nicht ein einziges Mal zu Wagner.42 Der ehrliche [39] Weißheimer, der so manches köstliche Detail aus seinem Verkehr mit Wagner der lachenden Nachwelt überliefert hat, fügt entrüstet hinzu: »Diese Äußerung charakterisierte Brahms so kurz und bündig, daß sie mir unauslöschlich im Gedächtnis blieb. –« Von dem folgenlosen Verhältnisse, das sich zwischen Brahms und Wagner entspann, wird noch weiter die Rede sein.

Daß der vertraute Umgang mit Cornelius und Brahms höchst günstig auf Tausig eingewirkt hat, sollte sich bald genug auch in dessen Klavierspiel, erweisen. Hanslick schreibt die menschliche Art, mit der Tausig das zuvor von ihm oft brutalisierte und malträtierte Instrument zu behandeln anfing, direkt dem wohltuenden Einflusse von Brahms zu.

Ein bleibendes Denkmal der Freundschaft zwischen den beiden Künstlern ist uns in den »Variationen über ein Thema von Paganini« erhalten, die 1866 bei Rieter-Biedermann als op. 36 herauskamen. Sie sind im Winter 1862/63 in Wien komponiert worden, und Brahms hat ihnen, nicht ohne Absicht, den Haupttitel »Studien für Pianoforte« vorangesetzt. Ein unübertreffliches Meisterwerk der Klavierpädagogik höheren Stils, stellen sie in jedem ihrer zweimal vierzehn Stücke dem durch die verschiedensten Schulen der Geläufigkeit gegangenen Virtuosen fast ebenso viele Probleme der Technik auf, und nur derjenige, der diese alle so zu lösen vermag, daß die Etüde hinter der Variation verschwindet, darf von sich behaupten, er beherrsche sein Instrument vollkommen. Durch die Art, wie Brahms den Vorteil des Verlegers zu wahren wußte, indem er ihn ermächtigte, auf dem äußeren Umschlage der Noten den Haupttitel zu unterdrücken43 – der findige Rieter versteckte ihn dann auch auf dem inneren mehr, als er ihn exponierte, im Ornament einer flatternden Banderole – hat er ein Sinnbild für das Werk geschaffen und das klavierspielende Virtuosentum herausgefordert, die Hauptsache zur Nebensache zu machen. Das Thema dem zweiten Hefte wieder vordrucken zu lassen, kostete ihn einen besonderen Entschluß. Er willigte in die Zweiteilung des Werkes vor allem aus praktischen[40] Rücksichten, in der Erwägung, daß die achtundzwanzig, bezw. dreißig Variationen auf einmal des Guten doch zu viel wären, und wohl auch im Hinblick auf ihren Lehrzweck, der das geistige Band zwischen ihnen lockere.44 Aber an der Existenz eines solchen geistigen Bandes dürfen wir nicht zweifeln. Selbst wenn sie nicht durch die zweimal zum Finale erweiterte Form der letzten, jedes Heft abschließenden Variation angedeutet würde, ließe sie sich an der wählerischen Sorgfalt, mit der die einzelnen aneinander gereiht und voneinander abgehoben wurden, nachweisen. Es kam dem Komponisten doch nicht bloß nebenbei darauf an, daß die Etüden zugleich den Ausdruck wechselnder Stimmungen gäben, und er wollte nur dem Vergleich mit seinen anderen derartigen Werken vorbeugen, der in der Dat zum Nachteil des letztern ausfallen müßte. Das Thema Paganinis eignete sich für eine Darlegung technischer Schau-und Prunkstücke besser als für die Entfaltung jener ernsteren und tieferen musikalischen Kunst, welche die Händel-Variationen beseelt. Des Aufputzes seiner Schnörkel beraubt, sieht es unerfreulich dürr und kahl aus. Ein hölzernes Gerüst für Girlanden, allenfalls im Stande, einen leichten Gartenpavillon zu stützen, aber kein Fundament für ein solides Haus! Und doch rahmen die Blätter und Blüten der Brahmsschen Erfindung so manches liebevoll ausgeführte Bild ein, und es hängt nur von den Qualitäten des Spielers ab, die feineren Züge gewinnend hervortreten zu lassen. Durchblättern wir das erste Heft: Verborgene Sehnsucht seufzt in der rhythmisch verschobenen fünften Variation, tiefe Empfindung ringt sich aus den hemmenden Synkopen der zehnten empor, ein zartes, heimliches Elfengeflüster durchsäuselt die elfte, eine gespenstische Schattenjagd huscht in den Imitationen der zwölften vorüber! Im zweiten Heft bringt die vierte Veränderung mit ihrem graziösen Walzer der Wiener Tanzmuse eine schmeichlerische Huldigung dar, zaubert der Hexentanz der achten die Gestalt des dämonischen Geigers (Paganini) hervor, brausen [41] die mächtigen Oktaven der neunten und zehnten ihr Sturmlied, singt die Mittelstimme der zwölften ihre freundliche Bitte, beschwören die übermäßigen Intervalle der dreizehnten ein dunkles Wehe. Die Haupttonart (a-moll) wird im ganzen beibehalten; sie wechselt nur dreimal mit A- und einmal mit F-dur. Um so reicher sind die Modulationen im einzelnen; besonders interessant erscheinen in dieser Beziehung die chromatische neunte und die nach Dur überleitende zehnte Veränderung des ersten, die von rollenden Terzen- und Dezimenläufen begleitete erste Variation des zweiten und die Finalsätze beider Hefte. Noch mannigfaltiger als das harmonische wird das rhythmische Element ausgestaltet, oft in der verwegensten Art, die selbst einem von Schumann gehörig eingeteufelten Metriker zu schaffen macht. In der fünften Variation des ersten Heftes wird der Zweiviertel- mit dem Sechsachteltakt dergestalt verkuppelt, daß die begleitende der melodieführenden Stimme in der Gegenbewegung folgt, ihr den Vortritt überläßt und dann scheinbar immer um ein Achtel zu spät kommt. Die siebente Variation des zweiten Heftes aber ist eine rhythmische böse Sieben der gefährlichsten Art. Da beginnt die Begleitung mit Sechzehnteltriolen im Auftakt, der ihre Figur verschiebt und sie in Konflikt mit der melodischen, ungerade gemessenen Mittelstimme bringt, welche sie außerdem noch auszuführen hat, während die Hauptmelodie in geradem Takt ruhig darüber hinweggeht:


1. Kapitel

Das Spiel wird noch erschwert, wenn in der Wiederholung die Achtel der Oberstimme zu Sechzehnteln verdoppelt werden. Die Hände lösen einander ab, wie überhaupt durchgängig das Prinzip [42] beobachtet wird, beiden Händen abwechselnd dieselben Aufgaben zuzuweisen, um sie gleichmäßig auszubilden und von einander zu emanzipieren. Die Linke soll immer genau wissen, was die Rechte tut, darf sich dies aber nicht merken lassen. »Wer bei diesen Doppelgriffen, diesen Spannungen, diesen überschlagenden Partien niemals strauchelt, der ist auf dem besten Wege, ein Paganini des Klaviers zu werden. Für diejenigen, wel che sich auf die Klavierkonzerte von Brahms technisch vorbereiten und in die Eigentümlichkeit seines Klavierstiles eindringen wollen, gibt es kein besseres Mittel als diese Variationen op. 35.« (Hermann Kretzschmar.)45

Gemäß ihrer Doppelnatur benutzte Brahms seine Variationen nicht nur zum Privatstudium – zu seiner Schülerin Marie Geisler (Frau Prof. Grün), die ihn einmal beim Üben überraschte, sagte er: »Das sind meine Fingerübungen!« – sondern auch zum Konzertvortrage. Er spielte sie in Wien zuerst am 17. März 1867 (in einem eigenen Konzert). Sein Freund Tausig, dem als dem »Paganini des Klaviers« das Werk so recht in die Finger komponiert worden war, nahm die Variationen gleich nach ihrem Erscheinen in sein Repertoire auf und spielte sie zuerst am 25. März 1867 in der Berliner Singakademie.

Außer den Paganini-Variationen besitzen wir noch ein köstliches Andenken an die erste Wiener Zeit in dem vierstimmigen Liede »An die Heimat«. Brahms komponierte es zu Weihnachten46 und goß die sehnsüchtigen Empfindungen des in der Fremde umsonst auf eine Freudenbotschaft harrenden Vereinsamten, der das schöne Fest der Kinderzeit, abgetrennt von seinen Lieben, verbringen mußte, in seine rührenden Klänge. Fast ein Jahrzehnt hatte das Sternausche Gedicht im Hamburger Liederheft geschlummert, [43] nun er weckte es der in seinen Taschenbüchern Blätternde zu neuem, unvergänglichem Leben. Er fühlte den tiefen, wehevollen Sinn der halbvergessenen Worte wie sein eigenes Schicksal. Die alte Liebe seiner Jugend stieg aus dem Schattenreiche wieder auf, und sie verfloß mit allem, was ihm teuer war in der fernen, verlassenen Heimat. Mit diesem Liede hat Brahms sich zum Sänger des Heimwehs gemacht, der das jedem guten und anhänglichen Menschen innewohnende Gefühl vom Grund aus erschöpfte. Mit der zweimaligen Apostrophe eines an- und abschwellenden Seufzers beginnend und bis zum letzten Hymnus und Gebet sich aus breitend und steigernd, eröffnet das Lied die lange Reihe ergreifender Gesänge ähnlichen Inhalts, die mit dem trotzigen »Kein Haus, keine Heimat« (op. 94) und dem trostlosen »Ein Wanderer« (op. 106) ihren Abschluß findet.

Brahms hätte nicht der treue Sohn seiner Vaterstadt sein müssen, wenn ihm nicht sein unbezwingliches Heimweh überall hin nachgegangen wäre. Die Freuden, Genüsse und Erfolge, die er in Wien davontrug, konnten ihm keinen vollen Ersatz bieten für den väterlichen Tisch in der Fuhlentwiete und die Studierstube in der Schwarzestraße von Hamm. Seine wechselnden Stimmungen kommen in den an Joachim gerichteten Briefen nebenbei und halbversteckt zum Ausdruck; denn Brahms hütete sich, alle seine in Betracht fallenden Erwägungen und Bedenken laut werden zu lassen. Vermied er es, selbst zu dem vertrautesten Freunde unter vier Augen von seinen persönlichen Angelegenheiten und Zuständen zu reden, so hielt er als Briefschreiber noch mehr mit ihnen zurück. Gleichwohl kann er sein Heimweh ebensowenig verbergen wie seine Empfänglichkeit für die Wiener Reize und Genüsse, und sein Unmut über die, wie er meinte, unschlüssigen Hamburger bricht in den Worten aus: »Schafften die Betreffenden einem dort doch etwas mehr Musiktätigkeit, daß man nicht gar so faul daläge, nichts Vernünftiges hörte und gar nichts Vernünftiges tun könnte, da ginge ich nicht weg, um anderswo mindestens meinen Ohren was Gutes zu tun!« Am 29. Dezember schreibt er: »Es ist hier ganz gut, aber ich gehe doch wohl wieder nach Hamburg.« Am 2. Februar weiß er noch nicht, was der Frühling bringen wird. Es sei wohl recht kindlich, räsonniert er[44] wenn er sich locken lasse, nachzudenken, daß der Sommer sich schön zusammen (mit Joachim) verlebe. Trotzdem werde er der Narr sein und zur schönsten Jahreszeit den Prater und die Berge lassen und zu Muttern gehen. In dieser Sache sei er sehr altmodisch. Er wünsche, hin und her fahren zu können Dann ginge er jetzt nach Hamburg und Hannover, und wenn der Mai komme, hin, wo es am schönsten sei. Er müsse jedoch zufrieden sein, wenn sein Geldbeutel an einem Ort, in Wien oder in Hamburg aushalte, Strapazen vertrage er (der Beutel) nicht. – In demselben Briefe vom 2. Februar meldet er, daß Laub sechs Quartettabende in Wien geben wollte, und fügt hinzu: »Er ist wirklich ein ausgezeichneter Geiger. Was ihm abgeht, mich entzücken zu können, das fehlt ihm als Menschen so sehr, daß man es gar nicht verlangt und erwartet. Das ist aber auf der anderen Seite mit Hellmesberger und schließlich mit jedem so.« In nächster Zeit käme Raff, der Komponist der Preissymphonie »An das Vaterland«.47 Von Tausig und Cornelius habe er gehört, daß Liszt wahrscheinlich in ein Kloster ginge. Ihm (Brahms) scheine das der rechte Schluß und förmlich noch zu fehlen an dem merkwürdigen Leben des Mannes. –

Bald darauf erhielt Brahms die Nachricht von der Verlobung seines Freundes Joachim mit Amalie Weiß (eigentlich Schneeweiß), der jugendschönen Altistin des Hannoverschen Hoftheaters. Der Brief, der die frohe Botschaft brachte, schneite ihm, wie er zurückschreibt, in eine Stimmung hinein, daß er ihn tief ergriff. »Kann ich doch hier nicht aufhören zu denken, ob ich, da ich mich doch vor anderen Träumen besser hüte, lieber hier alles, außer einem, genieße und wahrnehme, oder nach Hause gehe, eines habe, eben zu Hause bin und alles andre lasse.« Diese dunkle, nach Deutung verlangende Briefstelle zeigt uns Brahms am Scheidewege zwischen Hamburg und Wien; seine Begriffe von Gebundenheit und Freiheit, Amt- und Berufspflichten, Philistertum und Künstlerschaft wogen durcheinander. Noch glaubt er, im Hinblick [45] auf die ihm vor seiner Reise gemachten Versprechungen, die offene Wahl zu haben, und das Beispiel des Freundes bestärkt ihn mächtig in seiner, wie er in Wien einsehen lernte, etwas kleinbürgerlichen und von ererbten Vorurteilen eingeengten Anschauung des Lebens. Er möchte und könnte es wohl auch so gut treffen wie der Freund, behaglich am eigenen Herde Hände und Herz wärmen, in Amt und Würden sitzen und die geliebte Göttingerin heimführen, die ihm noch immer durch den Kopf geht, obgleich er in Gefahr war, sein Herz an Frau Dustmann, den Wiener Fidelio, zu verlieren, die ihm in Wien noch verführerischer entgegentrat als im Sommer auf dem Musikfest am Rhein. Doch der Mut, mit fester Hand sein Schicksal zu ergreifen, scheint ihm jetzt verdächtig und kommt ihm fast wie Leichtsinn vor. Er bewundert Joachim, daß er ganz ungeniert und dreist die »reifsten und schönsten Paradiesäpfel pflücke«, aber er bewundert ihn mit einem leisen, geheimen Schauer, weil ihm die Ahnung aufdämmert, daß man sich mit der Muse nicht verheiraten könne, und er weiß nichts Besseres zu tun, als zu wünschen, »es möge alles so schön und gut werden, wie es eben an sich gut und schön und wünschenswert ist«. Er will sich auf die Zeit freuen, »wo er auch bei Joachim, wie schon bei manchem treulosen Freunde, an einer Wiege kauern kann und vergessen, Betrachtungen anzustellen, das liebe lachende Kindergesicht sehend«. Seinerzeit werde er ihm »ein wundervolles altes katholisches Lied zu häuslichem Gebrauche schicken«, ein schöneres Wiegenlied lasse sich nicht auftreiben:


1. Kapitel

48


Nun habe er einen Grund mehr, nach dem heimatlichen Norden [46] Von dem eigentlichen »Grund« mit zwei Vornamen, dem Friedrich Wilhelm Grund, Direktor des Philharmonischen Konzertvereins und der Singakademie in Hamburg, spricht Brahms in seinen Wiener Briefen nicht. Und doch war dieser Grund der stärkste, der ihn nach der Heimat zurückzog. Wenn es dem Komitee inzwischen gelungen war, den verdienten Kunstveteranen in Ruhestand zu versetzen, so konnte er seiner Berufung nach Hamburg täglich und stündlich gewärtig sein. Hatte er doch in Wien die Weihen des »musikalischen Rom« empfangen und weit über Verhoffen hinaus Gelegenheit gehabt, sich ihrer würdig zu zeigen! Er war nicht nur in den beiden größten Wiener Konzertinstituten und im Quartett Hellmesberger als Komponist aufgetreten, sondern hatte auch in eigenen und fremden Konzerten49 als ausübender Künstler geglänzt und binnen verhältnismäßig kurzer Zeit sich eine geachtete Position im Musikleben Wiens errungen. Zum Überfluß wurde ihm auch noch die Chormeisterstelle der Wiener Singakademie »hingehalten«, nachdem er am 10. April 1863 im Konzert seiner Freundin Julie von Asten sechs seiner Frauenchöre (darunter drei mit Akkompagnement von Harfe und Hörnern) dirigiert hatte. Der verlangte Befähigungsnachweis war also in jeder Hinsicht von ihm erbracht worden. Warum zögerte man in Hamburg noch immer mit dem entscheidenden Worte? Brahms hatte schon zu Weihnachten wieder daheim zu sein gehofft; denn bis dahin sollte die Angelegenheit geordnet sein. Nun zog der Frühling [47] bereits ins Land, die Saison neigte sich ihrem Ende zu, Grund dirigierte nach wie vor die Philharmonischen Konzerte, und Brahms konnte sich noch immer nicht von Wien trennen. Im März endlich traf eine Nachricht aus Hamburg ein, die den ungeduldig Wartenden aber weniger erfreute als überraschte und befremdete. Am 6. März 1863 hatte dort eine Symphonie-Soiree des Philharmonischen Konzertvereins stattgefunden, bei welcher dem Publikum außer dem gewöhnlichen Ohrenschmause noch ein besonderes Schauspiel dargeboten wurde. Nach der ersten Nummer des Programms, einer Haydnschen Symphonie, nämlich überließ der greise Dirigent das Kommando einem jungen fremden Künstler, der sich in Hamburg allgemeiner Gunst erfreute, und dieser Fremde war – Freund Julius Stockhausen. Für eine symbolische Handlung brauchte dieser extemporierte Direktionswechsel nicht gerade angesehen zu werden, da sich der Vorgang ohne jede Feierlichkeit vollzog, und doch war es eine solche gewesen, wenngleich der Schein des Zufälligen, wohl auch mit Rücksicht auf Brahms, sorgfältig gewahrt wurde. Stockhausen war zum »Paulus« nach Hamburg gekommen, den er Ende März unter Grunds Leitung in der Petrikirche singen sollte und sang. Er hatte sich zuvor in der Stille gründlich mit Dirigentenstudien beschäftigt, um gelegentlich einen leitenden Posten übernehmen zu können, und er glaubte vielleicht, dem müden Grund nur einen augenblicklichen Gefallen zu erweisen, als er ihm den Taktstock aus der Hand nahm, um unter jubelndem Zuruf der begeisterten Zuhörer Bruchstücke aus Beethovens Prometheus-Musik und Schuberts C-dur-Symphonie mit Schwung und Feuer vorzuführen. Auch Brahms konnte an einen Zufall denken und sich das Manöver sogar zu seinen Gunsten deuten, als habe Grund seine Direktionsmüdigkeit öffentlich markieren und dem mit Brahms befreundeten Sänger den Stab der Herrschaft in Abwesenheit des berufenen Nachfolgers nurpro cura leihen wollen, damit er ihn dann jenem übergäbe. Bald aber öffnete, was er weiter von Hause erfuhr, Brahms die Augen. Am 13. April schreibt er an Joachim, er fürchte sich vor der offiziellen Anfrage, ob er die Chormeisterstelle in Wien annehmen wolle, da er dies dann doch ernsthaft bedenken müßte. In Wien könne er genußvoll und gut leben ohne Anstellung, während er in Hamburg nicht ohne solche gelangweilt [48] herumschlendern dürfe. Und er sei Esel genug, zu bedauern, daß es ihm ging wie dem König von Griechenland, und daß ihr frommer Freund (das betreffende Komiteemitglied), der immer seufzte, er, Brahms, wäre ihm der Wichtigste in Hamburg, die Tür hinter ihm zumachte, als er den Rücken wandte zu einer Spazierfahrt. Der erhoffte Antrag blieb aus. Schon im nächsten Philharmonischen Konzert war Stockhausen Alleinherrscher, Joachim spielte unter seiner Leitung das Beethovensche Konzert, und von Grund verlautete nichts weiter. Am 6. Mai gab dann Stockhaufen noch ein großartiges Konzert zum Besten des Pensionsfonds für Hamburger Musiker, das ihm die Herzen der Orchestermitglieder ebenso zuwandte, wie es die Sympathien des Publikums verstärkte und vermehrte. Das Konzert bestand aus zwei Teilen; im ersten sang Stockhausen Schumanns Eichendorffschen Liederkreis, und im zweiten dirigierte er Beethovens Pastoralsymphonie. Damit war die Wahl des Dirigenten bei Vorstand und Publikum, bei den Musikern und der Kritik entschieden. In den Hamburger Zeitungen, die sich um Brahms und dessen Erfolge in Wien nicht im geringsten bekümmerten, wurde Stockhausens Maikonzert als das Programm für den künftigen Winter ausgerufen und zugleich als Bürgschaft dafür, »daß der Philharmonische Verein die Aufgabe, zu welcher ihn das Alter seines Bestehens und die außerordentliche Gunst des angesehensten Publikums beruft, in großem Umfange und in der schönsten Bedeutung erfasse.« – Joachim hielt mit seiner Indignation nicht zurück, sondern geigte dem Hamburger Komiteemitgliede Avé-Lallemant gründlich die Wahrheit. Stockhausen, schreibt er in einem ostensiblen Briefe, sei wohl der beste Musiker unter den Sängern, wie man aber bei der Wahl zwischen ihm und Brahms als Leiter eines Konzertinstituts sich für Stockhausen entscheiden könne, verstehe er nicht. »Gerade als Mensch eben, auf den man bauen kann, steht mir Johannes mit Begabung und Wissen erst recht hoch! Es gibt nichts, das er nicht fassen und mit seinem Ernst erobern könnte! Du weißt das ebensogut wie ich, und wäret Ihr ihm mit Vertrauen und Liebe alle im Komitee und Orchester entgegengekommen (wie Du als Freund es privatim immer tatest), statt mit Zweifel und Protektorenmienen, es hätte seiner Natur die Herbheit genommen, [49] während es ihn bei seinem Patriotismus für Hamburg, der fast kindlich rührend ist, immer bitterer machen muß, sich (für einen viel Geringeren an Talent und Charakter) hintangesetzt zu sehen. Ich darf nicht daran denken, um nicht zu traurig zu werden, daß seine engeren Landsleute sich die Mittel aus der Hand gegeben haben, ihn befriedigter, milder, und seine genialen Leistungen genießbarer zu machen. Ich möchte dem Komitee moralische Prügel (und körperliche dazu!) geben, daß es Dich mit Deinen Absichten im Stich gelassen hat. Die Kränkung Johannes' wird die Kunstgeschichte nicht vergessen. Doch basta.«

Brahms zürnte Stockhausen nicht, der ihn, wohl ohne es zu wissen und zu ahnen, da Brahms über seine Zukunftspläne nichts verlauten ließ, in der Vaterstadt bei seinen Landsleuten ausgestochen hatte. Aber in seiner besten Hoffnung getäuscht und um die Erfüllung seiner heißesten Wünsche betrogen, konnte er das ihm zugefügte Unrecht und die Kränkung, die er darüber empfand, lange nicht verschmerzen, und auch gegen den Freund blieb ein Stachel in ihm zurück. Sein Schicksal war entschieden. Er wurde der Unbehauste, Unbeweibte, Unbeamtete, der »unnütze Mensch«, als welchen er sich in Scherz und Ernst zu bezeichnen pflegte, und es blieb ihm nichts übrig, als ein neues, dem früheren bewußt entgegengesetztes Leben zu beginnen. Am 1. Mai endlich riß er sich von Wien los, ehe noch über die Chormeisterstelle bei der Wiener Singakademie eine Entscheidung getroffen worden war; Sohnespflichten und Heimweh riefen ihn nach Hause. Er hielt sich einige Tage bei Joachim in Hannover auf und war zu seinem dreißigsten Geburtstage wieder bei den Eltern. Sein Lied begleitete ihn, und schmerzlich tönte der seelenvolle Gesang in ihm nach:


»Heimat!

Gib mir den Frieden zurück,

Den ich im Weiten verloren,

Gib mir dein blühendes Glück!

Unter den Bäumen am Bach,

Wo ich vor Zeiten geboren,

Gib mir ein schützendes Dach,

Liebende Heimat!«


Fußnoten

[50] 1 Die feierliche Grundsteinlegung fand am 20. Mai 1863 statt.


2 Später, in den Siebzigerjahren einmal, frischte Brahms in eigener Weise die Erinnerung an Hamburger Jugenderlebnisse auf, indem er in einem Wiener »Beisel«, wo er mit mehreren Freunden seinen Tisch hatte, zum Danze aufspielte. Als er gewohnheitsgemäß eines Abends hinkam, fand er den Saal ausgeräumt und zu einem Balle hergerichtet. Eine der »feschesten« Wiener Lokalsängerinnen gab dort ihre Gesellschaft. Brahms wollte wieder weggehen, aber der Wirt lief ihm nach und sagte, das Fräulein habe eigens angeordnet, daß sein Tisch respektiert werde; es sei daher für ihn und die anderen Herren am alten Platze aufgedeckt. Da das Mißgeschick wollte, daß der Klavierspieler in letzter Stunde erkrankte, ein Ersatzmann aber nicht aufzutreiben war, so bedankte sich Brahms für die ihm widerfahrene Rücksicht, indem er sich an den Flügel setzte und so viele Walzer, Polkas, Quadrillen und Galopps zum besten gab, wie von ihm verlangt wurden.


3 Der knorrige, wenig umgängliche Mann glaubte trotzdem nicht nach Wien zu passen und ging schon 1865 wieder nach Hamburg zurück.


4 Frau Anna Schultzen-Asten, Schülerin der Viardot, folgte 1874 ihrer Schwester Julie, die ihr Ende der Sechzigerjahre nach Berlin vorangegangen war, als Gesangslehrerin an der Hochschule dorthin nach.


5 Im Sommer 1866 schreibt Brahms aus Baden-Baden an eine Schülerin Gänsbachers, Fräulein Nelly Lumpe, spätere Frau Professor Chrobak: »Es lebt sich auch so schön in Ihrer Kaiserstadt, die Menschen sind schöner als anderswo, wobei ich denn, da ich Ihnen schreibe, alle Ursache habe, an Ihren verehrten Lehrer zu denken. Übrigens teile ich Ihnen mit, daß ich diesem, Ihrem beneideten Lehrer, einigermaßen ähnlicher werde. Es gibt aber soviel schöne Dinge, in denen ich ihm zu folgen bestrebt sein dürfte, daß es wohl ein Rätsel ist, worin es mir denn mit einigem Erfolg gelingt!« Die Jösung des Rätsels ist: Brahms hatte sich zum erstenmal einen Ferienbart wachsen lassen.


6 Derselbe »Kaufmännische Gesangverein« war es auch, der am 22. Mai 1863 Richard Wagner zu dessen fünfzigstem Geburtstage in seiner Penzinger Villa einen Fackelzug brachte.


7 »Das Lied ist 1511 von dem jungen Herzog Ulrich von Württemberg gedichtet. Er liebte die schöne Markgräfin Elisabeth von Brandenburg, mußte jedoch aus politischen Gründen von ihr lassen, um sich mit der bayrischen Prinzeß Sabine, der man Schönheit nicht eben nachrühmen konnte, zu vermählen.« (G. Ophüls »Brahms-Texte«.) Vor 1866 lag eine verkehrte symbolische Anwendung des Liebesliedes nahe, welche von der Geschichte richtig gestellt und aufgehoben wurde. Sowohl die freie Hansestadt und Republik Hamburg, die es 1863 mit dem Augustenburger hielt, wie deren kurzsichtiger Sohn söhnten sich mit Kaiser und Reich aus, und der begeisterte Sänger des »Triumphliedes« und der »Fest- und Gedenksprüche« wollte dann nicht höher schwören als bei Kaiser Wilhelm und dem großen eisernen Kanzler. 1867 war es Brahms erwünscht, daß die Männerchöre in der Schweiz erschienen, weil er, wie er an den Verleger Rieter-Biedermann schreibt, das Werk nicht gern durch den Titel (Verlagsort) preußisch oder österreichisch machen wollte.


8 Unter den »Professoren« befanden sich der Violinist Josef König, der witzige Hornist Richard Lewy, ein lebendiger Anekdotenschatz, der Komponist Rufinatscha, der Violoncellist Heinrich Röver und die Geigenmacher Fischer und Lemböck.


9 Seine eigenen Worte.


10 In den Achtzigerjahren trafen wir uns öfters nach Abendkonzerten im Gasthof »Zum grünen Anker«, dessen italienische Küche Brahms in der Erinnerung an seine Romfahrten liebte, und gingen dann regelmäßig in das vis-à-vis vom Camesinaschen Hause gelegene Café Scheuchenstuel. Brahms, der mich auf die ihm selbst erst nachträglich zur Kenntnis gekommene Bedeutung des merkwürdigen Hauses, soweit sie Haydn, Mozart und Beethoven anging, aufmerksam machte, blieb jedesmal beim Austritt aus dem Café davor stehen und blickte eine Weile andächtig zu den hohen dunklen Fenstern hinauf, um dann mit einem tiefen Seufzer weiterzugehen. Er erzählte mir auch, daß er den Eigentümer von Nr. 8 bewegen wollte, eine Gedenktafel über der Tür anzubringen: »Hier komponierte Mozart 1786 seinen Figaro«, worauf jener ihn mit der Bemerkung abfertigte, es käme ohnedies schon Gesindel genug zu ihm herein. – Das Haus hat seine Tafel inzwischen erhalten.


11 L.A. Zellners »Blätter für Musik« avisierten die Mitwirkung des Komponisten im Quartett Hellmesberger am 12. Oktober, zugleich auch schon die in den Gesellschaftskonzerten bevorstehende Aufführung seiner D-dur-Serenade.


12 »Ich gäbe was drum,« schreibt Joachim aus London, »die großen Augen der Wiener (und Wienerinnen namentlich) über Johannes zu sehen.«


13 C.F. Pohl, Festschrift, verfaßt zur Feier des fünfundzwanzigjährigen ununterbrochenen Bestandes der im Jahre 1842 gegründeten Philharmonischen Konzerte in Wien. 1885.


14 Da es nicht allgemein bekannt ist, daß es zwei Sänger waren, denen Dessoff im Frühjahr 1860 seine Berufung nach Wien zu verdanken hatte, so seien hier Theodor Wachtel und Johann Nepomuk Beck genannt.


15 Als Dessoff 1875 Brahms seine Absicht, nach Karlsruhe zu gehen, mitteilte, erwiderte ihm dieser: »Wenn Sie sich andere Ohren für Ihr Orchester anschaffen können, so haben Sie recht in allem«.


16 Das war sie übrigens nicht einmal, da mehrere Nummern, darunter unbegreiflicherweise auch der hochdramatische Chor »Er trauete Gott« weggelassen wurden. Vgl. Hanslick, »Aus dem Konzertsaal« Ausg. von 1870 p. 250.


17 Anwesend waren außer dem kaiserlichen Paare die Kaiserin-Witwe Karolina Augusta, Erzherzog Franz Karl, Erzherzogin Sophie, die Minister Plener, Schmerling, Wickenburg und Bürgermeister Zelinka.


18 »Presse« vom 3. Dezember 1862.


19 In seinem Mißmut über Joachims Konzertreisen eifert Brahms: »Wer nun überhaupt Geld verdienen will, ist doch wohl des Teufels ganz und gar. Da weiß ich gar nichts weiter zu fragen und zu sagen. Daß man mit einiger Mühe gewissen Ekel vor Gewissem überwindet, kann ich nicht begreifen, ich brächt's mit allem möglichen nicht fertig«. (Brief vom Oktober 1862.)


20 »Allgemeine Musikalische Zeitung«, Neue Folge I, p. 626 f. Dieser Kritik war im Juli desselben Jahres eine an treffenden Bemerkungen reiche Studie Bagges über Johannes Brahms vorangegangen (p. 463 ff.), in welcher er mit Recht rühmen durfte, daß die bis 1862 von ihm redigierte (Wiener) »Deutsche Musikzeitung« den jungen Komponisten, »der nach dem überschwänglichen Urteile Schumanns ganz und gar dem entgegengesetzten Spruche des Publikums zu verfallen in Gefahr war, zuerst wieder mit aller Wärme echter Teilnahme der Musikwelt empfohlen hatte«.


21 Brahms nannte die Tokkata »die himmlische Drehorgel«. So berichtet Johanna Graßl von Rechten, die Tochter des Wiener Juristen und Universitätsprofessors. Ihr, der Schwägerin Karl Nawratils, verdanken wir noch folgende interessante Mitteilung: »Als Brahms 1862 im Musikvereinssaal unter den Tuchlauben konzertierte, suchten wir, Mutter und Dochter, ihn in seiner Wohnung in der Novaragasse auf, um ihn um seinen Unterricht zu bitten. In den nächsten Tagen schon präsentierte er sich in unserem Hause: ein blutjung aussehender, schlanker, rosiger, blonder Mann von äußerst anmutiger Art und großer Schüchternheit. So sprach er z.B. nicht zur Person, sondern ›zum Bild‹ derselben im gegenüberhängenden Spiegel. Bald besuchte er unser Haus sehr häufig, meist Sonntag abends. In der Woche war er sehr fleißig, der Geselligkeit gehörte bloß der Sonntag. Da war er häufig in übermütigster Laune. Oft spielte er stundenlang, besonders prachtvoll die Bachschen Orgelfugen. Da durfte sich niemand regen, keine Tür öffnen, sonst kam er aus dem Kontext. Die F-dur-Tokkata brauste auf – gewaltig! Das nannte er: die himmlische Drehorgel! – Eines Abends war er beim Nachtessen verdrießlich und einsilbig. Später darüber befragt, antwortete er: ›Wie konnte ich guter Laune sein, wenn der rechts in E-dur, der links in e-moll spricht!‹«


22 Nach dem Vortrage des A-dur-Quartetts wird ebendort Brahms der überflüssige schulmeisterliche Rat erteilt, sich durch Übungen im drei- und vierstimmigen Satze noch weiter zu vervollkommnen!


23 Der Brief ist in Faksimile-Reproduktion zuerst bei Reimann (»Johannes Brahms«) abgedruckt.


24 Bezieht sich auf das bei Hellmesberger gespielteg-moll-Quartett.


25 Karl Grädener hatte am 20. November mit Epstein, Förchtgott und dem Quartett Hellmesberger in einer Soiree eigene Kompositionen aufgeführt.


26 Über Stockhausen durchschwirrten damals verschiedene Gerüchte die musikalische Welt, u.a. hieß es, er solle als Leiter einer Hofopernschule nach Wien berufen werden.


27 Das Gruppenbild der Schwestern Betty und Marie Völckers, Marie Reuter und Laura Garbe in Hamburg. Vgl. I, 440 f.


28 Fritz Brahms, der Bruder des Tondichters.


29 Einen »Beitrag zur Revision der Ästhetik der Tonkunst« hat Hanslick die Abhandlung »Vom Musikalisch-Schönen« genannt und damit schon den polemischen Charakter seiner Untersuchung angedeutet. Seine Schrift ist eine Streitschrift für die Kunst, nicht bloß für die Musik, sondern auch für deren redende und bildende Schwestern. Hanslicks Absicht, den dreisten und will kürlichen Übergriffen der »Poesie-Musiker«, den lächerlichen Prätensionen der »symphonischen Dichter« einen Riegel vorzuschieben, zwang den Verfasser zu einer Einseitigkeit, die er in seinen übrigen Schriften selbst nicht aufrecht erhalten konnte. Jede Tendenz verleitet zu Über- oder Untertreibungen, und für eine solche allzu beengende und einschränkende Restriktion halten wir das »arabeskenartige Spiel mit Tönen, das lediglich durch melodische, rhythmische und harmonische Bewegung und Gestaltung die Phantasie angenehm errege und nur nebenbei durch Ideenassoziation auf die Empfindung wirke«, als auf welches Hanslick die Musik zurückführen will. (Die Formulierung der Hanslickschen Lehre stammt von Bernhard Scholz, und wir akzeptieren sie ihrer Kürze wegen.) Denn kein noch so gefälliges, sinnreiches und nach gewissen geistigen Normen geregeltes Tonspiel wäre imstande, die erschütternden seelischen Wirkungen der vom Reizenden bis zum Erhabenen alle Stufen der ästhetischen Empfindung durchlaufenden Tonkunst zu erklären. Hanslicks »Revision« verlangt nach einer Superrevision, und diese wäre die Sache eines philosophisch geschulten klaren Kopfes, der die Frage »Hat die Musik einen Inhalt?« nicht einzig vom Parteistandpunkte aus beantwortete.


30 Unter dem Generaltitel »Die moderne Oper« in neun Abteilungen von 1875–1900 erschienen, schließen sich die Sammlungen seiner musikalischen Aufsätze an seine »Geschichte des Konzertwesens in Wien« und die Schilderungen »Aus dem Konzertsaal« an. Anderthalb Jahrhunderte der Musik sind in diesen Schriften so eingehend behandelt, daß keine irgendwie hervorragende Erscheinung darin fehlt.


31 In dem oben erwähnten Bericht vom 3. Dezember.


32 Presse vom 8. Januar 1863.


33 Unter den Zuhörern des zweiten Konzertes befand sich Richard Wagner.


34 Ludwig Herbeck, der Sohn Johann Herbecks, schreibt in dem 1885 erschienenen Lebensbilde seines Vaters: »Als man Herbeck einmal von der geistigen Verwandtschaft Brahms' mit Robert Schumann sprach, äußerte er: ›Mit Schumann hat er nichts gemein als einen Mangel, die Verworrenheit. Schumann steht himmelhoch über Brahms.‹ Es erscheint angesichts eines solchen Urteiles geradezu lächerlich, aus Brahms, wie dies so häufig geschieht, einen Beethoven II machen zu wollen. Wenn einmal die Zeit alle Parteileidenschaften abgekühlt haben wird, dürfte sich auch das Urteil über Brahms klären, und die Schätzung seines Wertes auf das richtige Maß zurückgeführt werden. Herbeck hat oft im intimen Kreise – denn öffentlich war dies, da er selbst Komponist war, nicht gut möglich – sich geäußert, daß all die überschwänglichen Lobespsalmisten des Komponisten Brahms in den Augen der Nachwelt einmal recht lächerlich erscheinen werden.«


35 C.F. Pohl, »Denkschrift aus Anlaß des fünfundzwanzigjährigen Bestehens des Singvereins«.


36 Schon im März 1860 wollte Karl Eckert dieA-dur-Serenade in den Philharmonischen Konzerten aufführen, deren Dirigent er damals war. Sie wurde am 20. März probiert, fand aber den Beifall des Orchesters nicht. Frau Schumann, die am 9. April dort Schumanns a-moll-Konzert spielte, wohnte der Probe bei. (B. Litzmann Cl. Sch. III, 12.)


37 »Mein guter Tausig ist, abgesehen von seinem Schopenhauerschen Pessimismus, den leider üble Erfahrungen geschärft und bestärkt haben, der beste Mensch, der im letzten Grunde nur das Edle und Schöne will, und einzig an einem Stolz leidet, der vielleicht die größte, aber doch auch die nobelste Sünde ist.« Peter Cornelius an Dr. Josef Standthartner


38 »Unter den Weißgerbern« wurde ein Teil des dritten Bezirkes genannt.


39 Bd. I p. 403 f.


40 Die Aufführungen fanden am 26. Dezember 1862, am Neujahrstage und am 11. Januar 1863 im Theater a.d. Wien statt.


41 »Erlebnisse mit Richard Wagner« usw. S. 226 f.


42 Ein Irrtum, der, wie wir sehen werden, durch Tatsachen widerlegt wird.


43 Er schreibt ihm: »Für einen etwaigen äußeren Umschlag bitte ich dringend drucken zu lassen: Variationen usw. usw.«


44 Moriz Rosenthal interpellierte Brahms einmal, wie er es mit den Paganini Variationen gehalten wissen wolle. »Machen Sie nur,« erwiderte dieser ihm scherzend, »nach dem ersten Heft eine Pause, und wenn dann die Leute noch nicht genug haben und keine Ruhe geben sollten, so spielen Sie weiter!«


45 Hierher gehören noch die von Brahms nach anderen Meistern zu Studienzwecken ausgeführten, bei Senff 1869 und 1879 erschienenen Bearbeitungen: Webers Perpetuum mobile für die linke Hand, Chopins f-moll-Etüde, das Presto der Bachschen Violinsonate in g-moll I und II und die Bachsche Chaconne für die linke Hand allein, sowie die einundfünfzig, in zwei Heften bei Simrock 1893 herausgegebenen, rein technischen »Übungen für das Pianoforte«.


46 Nach einer persönlichen Mitteilung des Meisters. Das Lied erschien nebst zwei anderen »Quartetten für vier Solostimmen mit Pianoforte« erst 1874 als op. 64 bei C.F. Peters.


47 Die Gesellschaft der Musikfreunde in Wien hatte eine trockene Konkurrenz für Symphonien veranstaltet, eine Preisausschreibung ohne Preis. Joachim Raff und Albert Becker konnten sich in die mageren Ehren des Sieges teilen.


48 Brahms, der in der musikalischen Abteilung der Wiener Hofbibliothek und im Archiv der »Gesellschaft« fleißig hospitierte, fand das alte Weihnachtslied von Calvisius, das auch Liszt in seiner »Heiligen Elisabeth« benutzt hat, bei Corner und Meister. Die versprochene Komposition aber kam erst 1884 als »Geistliches Wiegenlied« in den Gesängen für eine Altstimme mit Bratsche und Pianoforte op. 91 heraus. Der erhoffte neue Weltbürger erschien an Brahms' 31. Geburtstag, und Brahms wurde sein Taufpathe.


49 Am 25. März 1863 spielte Brahms in einer zum Besten des Bürgerspitalfonds unter Dessoffs Leitung im Hofoperntheater gegebenen Abendakademie Beethovens G-dur-Konzert, Schumanns Fis-dur-Romanze und eine der Marches charactéristiques von Schubert. In demselben Konzert wirkten Karoline Bettelheim und Ferdinand Laub mit. Am 12. April wurde im Salon Streicher in der Ungargasse für den schwer erkrankten Violinvirtuosen und Komponisten H.W. Ernst eine zweite Soirée musicale veranstaltet, bei welcher Brahms außer einem Klaviersolo mit Hellmesberger Ernsts »Pensées fugitives« und mit Hellmesberger, Röver und der Bettelheim »Schottische Lieder« von Beethoven vortrug. Eine erste (»Pri vat«-)Soiree, die denselben wohltätigen Zweck verfolgte, war am 18. Dezember 1862 vorangegangen, bei welcher »Das Wechsellied zum Tanze« und die Duette op. 28 als Novitäten erschienen, und Brahms mit Julie v. Asten Schumanns Variationen für zwei Klaviere spielte.

Quelle:
Kalbeck, Max: Johannes Brahms. Band 2, 3. Auflage, Berlin: Deutsche Brahms-Gesellschaft, 1912, S. 1-51.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Jean Paul

Die unsichtbare Loge. Eine Lebensbeschreibung

Die unsichtbare Loge. Eine Lebensbeschreibung

Der Held Gustav wird einer Reihe ungewöhnlicher Erziehungsmethoden ausgesetzt. Die ersten acht Jahre seines Lebens verbringt er unter der Erde in der Obhut eines herrnhutischen Erziehers. Danach verläuft er sich im Wald, wird aufgegriffen und musisch erzogen bis er schließlich im Kadettenhaus eine militärische Ausbildung erhält und an einem Fürstenhof landet.

358 Seiten, 14.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon