[984] Sechs und sechszigstes Schreiben.

Nachrichten von Modena und Reggio.

Die Gegend zwischen Bologna und Modena ist angenehm und fruchtbar, was insbesondere den Weinwachs anlangt. Rand links: Weinwachs. Die Einwohner wissen die Trauben bis in den Monat August des künftigen Jahres frisch zu erhalten, wozu sie kleine wider die äußere Luft und das Tageslicht wohlverwahrte Kammern gebrauchen, in welche sie nur mit einem Lichte, und zwar so wenig es seyn kann, gehen. Rand links: Wie man die Trauben lange aufbehält. Daselbst liegen die Trauben nicht auf dem Fußboden, sondern erhöhet über schmalen Stöcken, also daß sie so viel möglich frey bleiben, und muß eine jede Beere, die faul wird, sorgfältig abgenommen werden, ehe sie andere anstecket.

Das Rindvieh dieses Landes ist sehr groß und meistentheils von weißer Farbe. Rand links: Weißes Rindvieh mit Zimbeln. Die Bauern spannen vor einen Wagen sechs bis acht Ochsen, welche mit vielen hellen Zimbeln behängt sind, und mit ihrer nicht unangenehmen Musik schon von weitem sich hören lassen.

Kurz nachdem man die Stadt Bologna hinter sich gelassen, kömmt man an den Fluß Reno, welcher zwar die meiste Jahreszeit klein ist1, dennoch aber Brücke von zwey und zwanzig Bogen aus Backsteinen hat. Rand links: Brücke über den Reno. Diese Brücke ist sieben gemeine Schritte breit und vierhundert und siebenzig lang. Nach dem hiesigen Maaße giebt man ihr eine Länge[984] von achthundert und zwey und siebenzig Fuß, und eine Breite von dreyzehn. Wegen der Menge des darauf befindlichen Volkes brach sie im Jahre 1530, als Karl der fünfte seinen Einzug zur Krönung darüber hielt, und kamen viele Leute dabey zu Schaden, welches etliche schon damals als eine Vorbedeutung ansahen, daß Karl der fünfte der letzte Kaiser seyn würde, der die Krone vom Pabste sich wollte aufsetzen lassen.

Nicht weit von Bolognahaben die Triumviri M. Lepidus, M. Antonius und C. Octavius das Verbindniß, welches hernach der römischen Republik viel Blutes gekostet, aufgerichtet. Rand rechts: Ort, wo Lepidus, Antonius und Octavius ihr Bündniß geschlossen. Daß solches auf einer kleinen Insel geschehen, bezeuget PLVTARCHVSin Cicerone c. 67. und in Antonio c. 24, wie auch DIOlib. 46. welcher hinzu thut, daß der bey Bologna fließende Strom (nämlich der Rhenus) besagtes Eyland mache. Kein einziger in der Nachbarschaft von besagter Stadt befindlicher Fluß hat eine solche Insel, welche sich zu der Beschreibung der angeführten Geschichtschreiber schicket, und muß nur eine Gegend verstanden werden, die meistentheils mit Wasser umgeben gewesen; ob aber solche bey Bagneto am Einflusse des Lavino in den Reno, oder bey Bagno, wo der Bach Dosio sich mit dem Reno vereiniget, oder auch in der Nachbarschaft des Dorfes Trebo di S. Giovanni eigentlich zu suchen sey, ist schwer zu entscheiden.

Vierzehn italienische Meilen von Bologna fährt man nahe am Fort Urbano vorbey, welches aus fünf Bastionen besteht, und vom Pabste Urban dem achten als ein Schlüssel des Kirchenstaats an dieser Seite angeleget worden. Rand rechts: Fort Urbano. Bald darauf kömmt man vermittelst einer Fähre über den kleinen Strom Panaro, der noch fünf italienische Meilen von Modena entfernet ist, und zur Gränze zwischen diesem Herzogthume und dem Staate von Bologna dienet. Man liest daselbstan einem aufgerichteten Steine folgende martialische Worte, welche mehr einem kriegerischen Monarchen geziemen, als dem Haupte desjenigen Ordens, wovon der Heiland sagt: Die weltlichen Könige herrschen, – – ihr aber nicht also: Rand rechts: Martialische Gränzinscription.


Viator

Hic est limes agri Bononiensis

Et Ecclesiasticæ ditionis initium

Quod ut

Urbanus VIII. Pont. Max.

Tectum sartumque redderet,

Arce munitissima, ut mox videbis, excitata

Sie Pontificiæ Majestati, sie subditorum securitati consuluit,

Ut exinde clavibus imperterrite

Ovilis Dominici gereret curam,

Et gladio truculento arceret luporum rabiem.


Modena ist eine alte Stadt, deren in der römischen Historie oftmals gedacht wird. Als Decius Brutus darinnen belagert war, gebrauchte sich Hirtius einiger durch Hunger dazu abgerichteten Tauben als Bothen2, um den Belagerten Nachricht von seinem Vorhaben zu geben, und dergleichen wieder vom Brutus zu erhalten. Rand rechts: Bothschaften durch Tauben. Zum Andenken dieser Geschichte richtet man noch heut zu Tage in Modena Tauben ab, daß sie mit Zetteln aus der Stadt an bestimmte Orte fliegen und Antwort zurück bringen. Daß dergleichen in Aleppo und etlichen[985] andern morgenländischen Städten noch gewöhnlich sey, bezeugen die Reisebeschreibungen3: und was die von den Spaniern bedrängte Stadt Leyden für Vortheil aus dergleichen Bothschaften gezogen, ist aus der Historie des sechszehnten Jahrhunderts bekannt genug4.

Die Stadt Modena rühmet sich, viele berühmte Männer hervorgebracht zu haben, unter welche der Juriste und Geschichtschreiber Carolus Sigonius; der insbesondere wegen der nach ihm benennten Tuba berühmte Medicus Fallopius; der treffliche Maler Anton Corregio; die Poeten Alexander Tassoni und Fulvius Testi; der Baumeister Jakob Barocci da Vignola; der Kardinal Jakob Sadoletus und der kaiserliche General von Montecuculi, zu rechnen sind. Rand links: Berühmte Leute aus Modena.

Ein sonderbares Andenken der Tapferkeit ihrer Einwohner, wird in der Domkirche an einem elenden hölzernen und mit Eisen beschlagenen Wassereimer gezeiget, welchen die Modeneser, ich weis nicht bey was für einer Gelegenheit, von den Bolognesern erbeutet und als einen Beweis, daß sie in eine feindliche Stadt eingedrungen, mit sich genommen haben. Rand links: La Secchia rapita. Die eigentliche Ursache des Krieges war, daß die von Bologna die Städte San-Cesareo und Nonantola den Modenesern nicht wieder herausgeben wollten. Die Sache fiel unter dem Kaiser Friedrich dem zweyten vor, und gab Anlaß, daß sein natürlicher Sohn Enzius, König von Sardinien, von den Bolognesern gefangen und in solcher Gefangenschaft bis an sein Ende behalten wurde. Weil die Einwohner von Modena den Geminianus, die von Bologna aber den Petronius zu ihren Schutzheiligen haben: so hat man daher zu selbiger Zeit die Parteyen mit den Namen der Geminianer und Petronianer belegt. Alessandro Tassoni hat den ganzen Handel auf eine lächerliche und burlesque Art in seinem Gedichte, La Secchia rapita, beschrieben, und, um das Werk kurzweiliger zu machen, vorgegeben, als sey der ganze Krieg wegen dieses Wassereimers, welchen die Modeneser geraubet hätten, erreget worden. Rand links: Des Tässoni Gedicht. Querengo, ein Poete von Pavia und guter Freund des Tassoni, schreibt sehr artig davon in folgenden an Tassoni gerichteten Versen:


– – – pugnataque sævis

Prœlia dissidiis, Rhenumque Padumque tumentes

Cædibus, ob raptam lymphis putealibus urnam

Concinis, immistis socco ridente cothurnis.


Hexam. Carm. lib. V.


Nic. BOILEAV DESPREAUX hat in Nachahmung des modenesischen Poeten seinen Lutrin geschrieben. Man setzet übrigens an des Tassoni Gedichte die allzufreyen und keuschen Ohren unanständigen Ausdrückungen aus. Der Eimer selbst hängt in einem Thurme der Domkirche an einer eisernen Kette, und muß man durch sechs Thüren gehen, ehe man dazu kömmt. Man zeiget ihn auch nicht, ohne Trankgelder abzufodern.

Der Leichnahm des h. Geminianus liegt in eben dieser Kirche begraben, worinnen auch die vom Guido Reni gemalte Darstellung Christi im Tempel verdienet gesehen zu werden. Rand links: Domkirche.[986]

Vor der Kirche stehen verschiedene große Löwen, auf welchen kleine und dünne Seulen des Gebäudes ruhen.

Die Jesuiten haben in Modena eine schöne Kirche, deren Gewölbe nach dem Dessein des Padre Bossy gemalet ist. Rand rechts: Jesuiterkirche. Die Altäre sind mit guter Marmorarbeit gezieret. Hinter dem Hauptaltare ist die Geschichte des heil. Bartholomäus inetlichen großen Gemälden vom Procaccini abgebildet.

Die Theatinerkirche pranget mit einem Hauptaltare, worinnen die marmornen Seulen und Statuen sehenswürdig sind. Rand rechts: Theatinerkirche. In dem Chore hat Galati von St. Vincentius Leben und Märtyrertode fünf Stücke à fresco gemalet.

Die Kirche St. Dominici wird anitzt ganz erneuert: und so viel man aus der Capella del Rosario und denen nebst einer schönen Statue der Madonna aus weißem Marmordarinnen befindlichen Seulen von vermischtem weißen undblauen Marmorurtheilen kann, prächtig genug werden. Rand rechts: Kirche St. Dominici.

St. Margaretha gehört den Dominicanern, und zeiget man daselbst etliche gute Statuen, so den Heiland, die zween Schächer und etliche Apostel vorstellen, und vom Antonio Begarelli aus terra cotta verfertiget sind. Rand rechts: Kirche St. Margarethä. Vornehmlich aber hat man die ben der Kreuzigung Christi stehende und von zwo andern Marien unterstützte Mutter Christi nicht außer Acht zu lassen, welche sämmtliche Stücke zwar auch nur von terra cotta, aber vom Corregio sowohl modeliret als angemalet sind.

In dem Collegio St. Caroli Borromäi werden beständig siebenzig bis achtzig junge Edelleute unterhalten, und sowohl in Wissenschaften als Exercitiis unterwiesen. Rand rechts: Collegium St. Caroli Borromäi. In dem Saale desselben sind die Portraite der vornehmsten Leute, die nach diesen Anstalten erzogen worden, aufgestellet.

Das herzogliche Schloß wird ein ansehnliches Gebäude werden, ist aber noch nicht viel über die Halfte fertig. Rand rechts: Herzogliches Schloß. In der Galerie, die nach der Schloßkirche geht, sind die Santidella Casa abgemalet, und unter andern die Lebensgeschichte der heil. Beatrix vorgestellet, von welcher man glaubt, daß sie allezeit drey Tage vorher anklopfet, wenn jemand aus der herzoglichen Familie sterben soll. Rand rechts: Vorbedeutung eines Todesfalls in der herzoglichen Familie. Schöne Gemälde. Die meisten Zimmer haben gute Plafonds, wie auch andere schöne Gemälde aufzuweisen, unter welche zu rechnen sind ein großes Stück, so die Wirkungen der Pest vorstellet; Titiano mit seiner Frau und Sohne, die sämmtlich der heil. Maria ihre Ehrerbiethung bezeugen, eine sitzendeMadonna mit vier herum stehenden Heiligen, alle in Lebensgröße vom Antonio Corregio, die heil. Maria nebst St. Georgen und etlichen Knaben, von eben demselben; zwey Stücke vom Ludov. Caracci, davon das eine die heil. Mariam in Gesellschaft vieler Heiligen, und das andere ihre Himmelfahrt abbildet; Paolo Veronese und seine Familie, die vor Maria und ihrem Kinde niederfallen; das Opfer Abrahams auf einem großen Stücke, vom del Sarto; zehn Gemälde vom Julio Romano; die Anbethung der drey Weisen aus Morgenlande, und die Hochzeit zu Cana, beyde vom Paolo Veronese; eine schöne Landschaft auf Kupfer gemalet; ein in Rubinen, Amethysten, Türkissen und andern[987] Juwelen gefaßtes Nachtstück, auf welchem Corregio Mariam Magdalenam vorgestellet, wie sie in der Wüste auf der Erde liegt und in einem Buche liest. St. Rochus, wie er Almosen austheilet, vom Hannibal Caracci, welches Stück ehemals in derScola di S. Rocco zu Reggio gestanden, von dem Herzoge zu Modena aber gegen eine gute Copey vertauschet worden; St. Georgius von Dosso da Ferrara. Die gleiche Größe der Stücke machet, daß öfters Gemälde zusammen kommen, welche ihrem Inhalte nach am wenigsten sich zusammen schicken, wie ich denn unter andern die Bacchanalia auf einem großen Stücke nächst bey einem andern, auf welchem der Heiland das Kreuz zu seinem Tode trägt, bemerket habe. Was aber wegen seiner Vortrefflichkeit gleich anfangs hätte angeführet werden sollen, ist La Notte di Corregio, oder das unvergleichliche und wohl erhaltene Stück, auf welchem dieser Meister das in dem Schooße seiner Mutter liegende Kindlein Jesus gemalet hat. Rand links: La Notte di Corregio. Gleichwie des Corregio Stärke nicht sowohl in einer untadelhaften Zeichnung als vielmehr in dem trefflichen Coloris und Clair-obscur bestund: also muß man gestehen, daß er, was diese letzte Wissenschaft anlangt, fast alle seine Kunst allhier zusammen gezogen habe. Das Kind ist gleichsam mit einem halbdurchsichtigen Körper abgebildet, welcher einen so hellen Schein von sich giebt, daß davon die benachbarten Jiguren ihr gehöriges Licht bekommen, und man das ganze Werk nicht ohne Verwunderung und Vergnügen anschauen kann. Es wurde im Jahre 1522 verfertiget, und nicht höher als mit zweyhundert und acht Lire di moneta vecchia Reggiana bezahlet, welche nach heutigem Gehalte des Geldes etwan acht Louisd'or ausmachen5.

Giuseppe MariaMITELLI hat davon einen Kupferstich in Foglio reale herausgegeben, welchen Rossi zu Rom für zehn Bajocchi verkaufet. Des Antonio Allegri di Corregio Gemälde werden anitzo desto höher geschätzet, je wenigere man von ihm hat, weil er viele Zeit auf seine Arbeit wandte, und nur zwey und vierzig Jahre alt wurde.

In dem Spiegelkabinette finden sich lauter Portraite der herzoglichen Familie. Rand links: Spiegelkabinet. Wegen der gemalten Plafonds ist zu bedauren, daß die Decken vieler Zimmer Ritzen und Sprünge bekommen.

Der Garten ist etwas entfernet vom Schlosse, und mit samt seiner Orangerie von keiner sonderlichen Schönheit. Rand links: Garten. Nahe dabey besieht man den Marstall.

In dieser Gegend der Stadt stehen auch des Herzogs Staatswagen, worunter etliche mit guter Bildhauerarbeit versehen sind. Rand links: Marstall. Viele solcher Kutschen sindaus der alten Zeit und von ungewöhnlicher Größe.

Die Aufsicht über die herzogliche Bibliothek hat Ludovicus AntoniusMVRATORIVS, der vorher über die Bibliothecam Ambrosianam zu Mayland gesetzt gewesen, und sowohl wgen seiner Antichità Estensi ed Italiane, davon der erste Theil im Jahre 1717 in Folio zu Modena herausgekommen, als auch wegen der weitläuftigen Sammlung der Scriptorum Italicorum, worüber er die Aufsicht hat, bey allen Gelehrten in großem Ruhme ist6. Rand links: Bibliothek. Von denManuscriptis der modenesischen Bibliothek handelt D. Bern. deMONTFAVCON im Diario Italic. p. 31,s.[988]

Der Herzog von Modena hat seit 1710 auch das Fürstenthum Mirandola an sich gebracht, dessen sich der letzte Herzog desselben, Franciscus Maria Picus ex capite feloniæ verlustig gemachet hatte. Rand rechts: Wie Mirandola an den Herzog von Modena gekommen. Es stund zwar darauf, daß dieser letztgedachte Prinz vermittelst Erlegung einer Summe von hundert tausend Ducaten zu dem vorigen Besitze seines Landes hätte gelangen können, und wurde die Sache durch eine vorgeschlagene Heirath mit einer Tochter des Grafen Karl Maximilian von Thurn, welcher bey der verwittweten Kaiserinn Eleonora Obersthofmeister war, sehr befördert, weil man besagter Gräfinn, welche Hofdame bey der Kaiserinn war, diese gute Heirath gern gegönnet hätte; allein weil man das Eisen nicht schmiedete, so lange es warm war, und mit der baaren Bezahlung der hundert tausend Ducaten nicht richtig-inhielt: so gieng im Jahre 1710 im April die kaiserliche Hofkammer von diesen Tractaten wieder ab, und verkaufte das Herzogthum Mirandola für eine Million Gulden an den Herzog von Modena, welcher auch den 12 März im Jahre 1711 von dem Kaiser damit belehnet wurde. Als damals der Herzog von Modena zu Bestreitung solcher Ausgabe zweymal hundert tausend Gulden in Deutschland aufnehmen und die Hypothek auf das Land Mirandola geben wollte, suchte sein Gesandter den Leuten glauben zu machen, daß die jährlichen Einkünfte dieses kleinen Fürstenthums sich auf hundert tausend spanische Pistolen beliefen. Rand rechts: Einkünfte des Herzogs. Allein ich zweifele, ob Modena und Mirandola zusammen, nach Abzug desjenigen, so nothwendig abzuziehen ist, ein mehrers ertragen; obgleich der Herzog von der Macina oder dem Mahlgelde, wie auch von den Appalti oder Monopoliis, Pachten und Zöllen ansehnliche Summen zieht. Der andere Sohn des itzigen Herzogs Rainalds, Namens Johann Friedrich, hat sich lange Zeit in Wien aufgehalten, und seinen Bruder den Erbprinzen Franciscus Maria wegen der mit des Herzogs Regenten Tochter Charlotte getroffenen Vermählung verdächtig zu machen gesucht, in der Hoffnung, daß der Kaiser in die Absonderung des Fürstenthums Mirandola von dem übrigen Staate von Modena seine Einwilligung geben sollte. Rand rechts: Uneinigkeit zwischen den beyden Prinzen: Es hat sich dieser Prinz solche Sache absonderlich im Jahre 1722 sehr angelegen seyn lassen: und wie man sagt, zu mehrerer Beförderung seines Suchens, eine Heirath mit einer Prinzeßinn Sobiesky, die Geschwisterkind mit dem Kaiser ist, in Vorschlag gebracht. Allein seine Bemühung war vergeblich, und starb er selbst im Jahre 1727, im sieben und zwanzigsten seines Alters. Der vorige Besitzer des Herzogthums Mirandola aus dem Hause Pico hat sich nach Spanien gewendet, und daselbst im 1715 Jahre die Bedienung vom Oberstallmeister bekommen.

Es ist aber itztgedachte Uneinigkeit zwischen den beyden Brüdern nicht die einzige gewesen, wodurch einige Zeit her die herzogliche Familie zerrüttet worden; sondern es hat sich solche auch zwischen dem Vater und dem Erbprinzen geäußert. Rand rechts: Wie auch zwischen dem Herzoge und dem Erbprinzen. Die Gelegenheit dazu gab der harte Umgang, welchen der Vater gegen den Sohn hatte, und man den hitzigen Rathschlägen des Premierministers Salvatico, eines Paduaners, beymaße. Diesem schrieb man auch die Drückung der Unterthanen und viele Ungerechtigkeiten, die man wollte bemerket haben, zu; daher es endlich zu einem so harten Wortwechsel zwischen dem Erbprinzen und Salvatico kam, daß dieser für rathsam fand, sich gleich des folgenden Tages in sein Vaterland zu[989] begeben. Man hat zwar nach der Zeit viele Versuche gethan, um das gute Verständniß zwischen Vater und Sohn wieder herzustellen, auch äußerlich den Frieden wieder gestiftet; allein das innerliche Mistrauen ist (wie in dergleichen Fällen, die einmal zu Weiterungen ausgeschlagen sind, zu geschehen pflegt) dadurch keinesweges gehoben, und führet der Vater seinen Hofstaat zu Modena, der Sohn aber mit seiner Gemahlinn zu Reggio7.

Frankreich hat nicht gern, daß Italien in noch mehrere kleine Souverainitäten getheilet sey, sondern wünschet vielmehr, daß solche nach und nach wieder vereiniget werden mögen; weil es glaubt, daß die vielen getheilten Fürstenthümer dem Kaiser Gelegenheit geben, mit mehrerer Gewalt und Ansehen in Italien zu regieren. Rand links: Interesse der Krone Frankreich in Ansehung der italienischen Staaten. Dieses ist gewiß, daß bey entstehenden Kriegen in Italien die Kaiser ansehnliche Beyträge von den italienischen Prinzen ziehen, und man sie der Pflichten, womit sie dem römischen Reiche in Ansehung ihrer Lehen verwandt sind, gar wohl zu erinnern weis. Allein dieses ist ihnen höchstnöthig, und würden sie ohne solches Andenken vielleicht gänzlich auf die Gedanken gerathen, daß sie Souverainen wären, und den deutschen Churfürsten nichts nachzugeben hätten. Das Ceremoniel, welches sievor sich und ihre Gesandten an vielen auswärtigen Höfen zu verschaffen gewußt, stärket sie nicht wenig in ihren hohen Gedanken, und erinnere ich mich hiebey, was dem Churbraunschweig-Lüneburgischen Gesandten am kaiserlichen Hofe, Herrn von Huldenberg begegnet, als er im 1698 Jahre wegen der Vermählung der Kaiserinn Wilhelmine Amalia an dem modenesischen und etlichen andern italienischen Höfen war. Rand links: Hohe Prätension der italienischen Fürsten. Denn als der Herzog von ... einsmals von den italienischen Prinzen zu sprechen kam, setzte er hinzu: die deutschen Chur- und Fürsten hätten zwar viele Macht und Einkünfte; allein ihm deuchte doch, daß die italienischen Fürsten in ihrem Lande mit mehrerer Souverainité regierten; wobey er zu Behauptung seines Satzes anführte, daß von den deutschen Chur- und Fürsten an den Kaiser appelliret würde, welches von den ita lienischen Prinzen nicht geschehe. Rand links: Von ihrem vermeynten Jure de non adpellando. Der Herr von Huldenberg versetzte: es sey der Herzog übel berichtet, wenn er glaube, daß man von den Churfürsten appelliren könne, und gebe es auch viele Reichsfürsten, welche das Jus de non adpellando bis auf gewisse Summen hätten; übrigens aber sehe er auch nicht, warum in Wien eine Appellation von den Gerichten eines italienischen Fürsten nicht sollte angenommen werden. Der Herzog blieb dabey, daß kein Exempel vorhanden sey. Nach der Tafel nahm der Herr von Huldenberg Gelegenheit, diese Unterredung allein gegen den vornehmsten Minister, mit welchem er in einiger Vertraulichkeit lebte, fortzusetzen und diesen zu fragen: ob es wahr, daß man in Italien kein Exempel einer Appellation an den Kaiser habe? Als der Minister solches bejahete, und der Herr von Huldenberg fragte: wie es die italienischen Fürsten denn anfingen, zu verhindern, daß niemand per modum adpellationis wider sie klagte, weil doch kein[990] Gesetz in diesen Fällen dem kaiserlichen Hofe die Hände binde? wollte jenerlange Zeit mit der Sprache nicht heraus, bis er endlich auf ferneres und inständiges Anhalten dem Herrn von Huldenberg auf beyde Seiten der Brust mit dem Finger etliche sanfte Stöße gab, mit beygefügten Worten: Facciamo tic, tac, tic, tac, um dadurch zu verstehen zu geben, wie sie diejenigen Leute, so sich dergleichen unterstehen wollten, durch ihre bravi assassiniren ließen. Hierüber lachte der Herr von Huldenberg mit dem Beysatze: es sey dieses ein treffliches Vorrecht, und dessen sich die italienischen Prinzen vor den deutschen Fürsten zu rühmen große Ursache hätten etc.

Ich kehre aber wieder zurück nach der Stadt Modena, in welcher man fünf und dreyssigtausend Seelen zählen will, welches mir jedoch zuviel und keinesweges glaublich vorkömmt. Vor den meisten Häusern sind bedeckte Gänge, wie in Bologna, unter welchen man vor Regen und Sonnenhitze sicher ist. Wegen ihrer ungleichen Höhe und Breite aber geben sie der Stadt eine gar schlechte Zierde. Vom Handel und Wandel fällt wenig in die Augen: und obgleich jährlich eine Menge von Masken (welche allhier am besten gemacht werden sollen) nach Venedig und anderwärts verkaufet wird, so kann doch solcher geringe Zufluß zur Aufnahme der Stadt wenig beytragen.

Mit dem Grunde und Boden der modenesischen Gegendhat es eine sonderbare Beschaffenheit, die von den Liebhabern der Naturgeschichte wohl bemerket zu werden verdienet, und dem Systema von dem vornehmsten Ursprunge der Petrefactorum aus der allgemeinen Sündfluth, kein geringes Gewicht giebt. Rand rechts: Sonderbare Beschaffenheit der stratorum terræ. Man findet aller Orten, sowohl in der Stadt, als in dem umliegenden Lande häufiges und gutes Wasser; allein man muß bis drey und sechszig Fuß tief graben, ehe man solches erreichet. In den ersten vierzehn Fußen finden sich Steine, Ueberreste von gepflasterten Wegen und von Gebäuden, woraus genugsam abzunehmen ist, daß die Lage der Stadt ehemals viel niedriger gewesen, als man heut zu Tage sieht. Nach diesen kömmt eine harte und feste Erde, worauf man bequem bauen können, nicht anders als wäre sie dieterra virginea oder Jungfererde, welche vorher noch nicht gerühret gewesen, und zu dem Grunde von großen Gebäuden pflegt gesucht zu werden. Unter dieser festen Erde entdecket man eine andere schwarze und morastige, worinnen Meerschilf, Blätter, Aeste und Stämme von Bäumen, häufig gefunden werden, auch sogar in der Tiefe von vier und zwanzig Fuß unversehrte Kornähren ausgegraben worden sind. Wenn diese Lage vorbey, kömmt man auf einen kreidigen Boden, der in einer Tiefe von acht und zwanzig Fuß seinen Anfang nimmt. Sobald die Arbeitsleute denselben erreichet, sind sie sicher, daß von stärkerem Zuflusse des unreinen Wassers nichts mehr zu befürchten sey. Dieser kreidige Grund ist ohngefähr eilf Fuß tief, und mit vielem Muschelwerke angefüllet. Er endiget sich[991] in der Tiefe von neun und dreyßig Fußen, und folget darauf ein morastiges Erdreich von der Tiefe zweener Fuße, worinnen abermals Binsen, Schilf, Blätter von Kräutern, und Aeste von Bäumen angetroffen werden. Ferner kömmt ein stratum cretaceum, so wieder eilf Fuß dick ist, und also bis auf den zwey und funfzigsten Schuh von der äußersten Fläche hinunter reichet. Unter solchem liegt abermal ein zween Fuß dicker sumpfiger oder morastiger Grund, der dem vorigen gleicht, und unter sich eine kreidige Erde hat, welche aber nicht so dick, als die vorige ihres Gleichen ist. Wenn diese vorbey, so zeiget sich nochmals eine morastige Lage oder stratum palustre, das auf einem weichen, sandigen und mit Kiese vermischten Grunde sich endiget. Dieses scheint der ursprüngliche und anfänglich von der Natur gelegte Boden zu seyn, auf welchem hin und wieder noch Muscheln und andere Kennzeichen der Meeresüberschwemmung angetroffen werden. Itztgedachter Boden ist fest, und braucht mannur eine geringe Höhlung in denselben zu machen, um einereiche Sammlung von gutem Wasser, welches in den eingefaßten Brunnen nachmals hoch empor steigt, zu erhalten. In den kreidigen Lagen finden sich keine Stämme von Bäumen, sondern solche sind nur in den sumpfichtenstratis anzutreffen8. Es wird nicht undienlich seyn, allhier mit anzufügen, was für Veränderungen des Grundes und Bodens sich hervorgethan, als zu Anfange des vorigen Jahrhunderts auf Befehl der Stadtobrigkeit in Amsterdam ein Brunnen, der zweyhundert und zwey und dreyßig Fuß in der Tiefe hält, gegraben wurde. Rand links: Strata oder Beschaffenheit des Grundes und Bodens zu Amsterdam. Es ist solcher noch heutiges Tages in dem Oudemannshause zwischen der Doelestraße und Rußland anzutreffen, undliest man daselbst auch einen angeschlagenen und gedruckten Zettel, der die obgedachte Abwechselung der stratorum andeutet.

Anfänglich nämlich fand man eine gewöhnliche Gartenerde,

die in der Tiefe hielt 7 Fuß.

2) Schwarzen Torf 9 Fuß.

3) Weichen Thon 9 Fuß.

4) Sand 8 Fuß.

5) Erde 4 Fuß.

6) Thon10 Fuß.

7) Sand, auf welchem die Häuser

von Amsterdam insgemein als

auf den rechten Grund gerammelt

oder pilotiret werden10 Fuß.

9) Thon 2 Fuß.

10) Weißen Sand 4 Fuß.

11) Trockne Erde 5 Fuß.

12) Moorerde 1 Fuß.

13) Sand14 Fuß.

14) Sandigen Thon 3 Fuß.

15) Mit Thon vermengten Sand 5 Fuß.

16) Sand, so mit kleinen

Seemuscheln vermischt war 4 Fuß.

17) Einen Thongrund102 Fuß.

18) Sand 31 Fuß tief, allwo man

aufgehört hat zu graben31 Fuß.

232 Fuß.
[992]

Es ist bekannt, daß man in den holländischen und frießländischen Torfgruben oder Veenen öfters Asche, Kohlen, Knochen, Topfscherben, Bäume und dergleichen findet. Rand rechts: Lage der Bäume in den Torf-Veenen. Daß solche aber durch eine Wasserfluth überschwemmet und begraben worden, kann man auch daraus abnehmen, daß alle solche Bäume einerley Lage haben, indem sie mit ihren Aesten oder Kronen nach der Gegend zwischen Osten und Norden liegen, die Wurzeln aber nach Südwesten kehren.

In dem modenesischen Gebiethe, vornehmlich bey St. Polo, nicht weit von Reggio, findet man eine treffliche alcalische Erde, die von den Italienern Terra Vergine aurea genennet wird. Rand rechts: Terra Vergine aurea. Bisweilen trifft man sie als Pulver, bisweilen als einen fetten und öligen Tufstein an. Man bereitet sie zu einem Mehle, welches so sein als vomAmido, weich, weiß und ohne den geringsten Geschmack ist. Rand rechts: Ihr medicinischer Gebrauch. Zu Venedig machet man viel Wesens daraus, und setzet sie der Terræ Samlæ, dem Bolo bianco und der Terræ Silesiacæ an die Seite, als ein kräftiges Mittel wider Gift, Fieber, Disenterie und das malum hypochondriacum9.

Unten am Berge des Castello di Monte Baranzone und zwar in einem Orte il Fiumetto genannt, gräbt man Brunnen, die dreyßig, vierzig und mehr Ellen tief sind, da sich denn mit dem Wasser auch ein auf demselben schwimmendes Oel eräuget. Rand rechts:Oglio di Naphta oder Petroleum. Dieses ist das Oglio di Naphta oder Olio di Sasso, so auch Petroleum genennet wird. Im Herbste und Frühlinge fließt es am meisten zu, und nimmt man es alle vierzehn Tage aus den verschlossenen Brunnen. Seine Farbe ist röthlich: und wenn ein solcher Brunnen vertrocknet, gräbt man ihn nur tiefer oder leget einen neuen an. Außer diesen sind beym Castello di Monte Gibbio drey dergleichen Brunnen, die nicht aufhören zu fließen. Das Oel, so sie geben, ist von gelblicher Farbe und das beste dieser Lande. Das Petroleum wird zu Einbalsamirungen, Firnissen, Farben und Arzeneyen gebraucht, und nicht nur allhier, sondern auch in dem Parmesanischen, desgleichen im Neapolitanischen, in Sicilien, etlichen Inseln des Archipelagi, Indien, in den mittäglichen Gegenden des Königreichs Frankreich, und andern Orten gefunden10.

Etliche Gelehrte halten es für eine Speciem succini liquidi, so nach seiner Verhärtung den Namen von Börnstein bekömmt: und gründet sich diese Meynung auf des BOCCONIS Bericht, daß er mitten in einem Stücke Börnstein etliche Tropfen Petrolei gefunden, und daß der Börnstein in Sicilien nur an den Küsten, wo Petroleum sich eräuget, an andern aber nicht, angetroffen werde. Rand rechts: Vom Ursprunge des Börnsteins. Wie weit der Satz des OligeriiIACOBAEI eines Dänen, der von diesem Oele insbesondere geschrieben hat, gegründet sey, nämlich daß es hart und solide würde, wenn man es mit Spiritu Nitri koche, habe ich noch keine Gelegenheit zu untersuchen gehabt. Dieses ist indessen ausgemacht, daß das Meerwasser bey der Hervorbringung des Börnsteins nicht nöthig sey, weil man solchen auch in Gegenden, die weit von der offenbaren See entfernet sind, antrifft. Das Harz der Fichten oder Tannen hat gleichfalls nichts dabey zu thun. Beydes bezeugen die Gegenden von Foligno, Ancona und Sessa im päbstlichen Gebiethe, in welchen nicht wenig Börnstein, Schwefel und verschiedene Bergharze ausgegraben, aber keine Fichtenwälder gefunden werden. Bey Quercola und al Sasso im Modenesischen ist der Börnstein gleichfalls nicht rar, und zwar in einem Erdreiche, in welches sich vielesPetroleum gezogen hat. In den lüneburgischen Landen habe ich selbst an[993] vielen Orten, die mit der salzigen See keine Gemeinschaft haben, sondern zehn und mehr Meilen davon entlegen sind, ansehnliche Stücke von Börnstein gesammlet, welchem es so wenig an der Härte in der Arbeit, als an der Eigenschaft, leichte Dinge, wenn es vorher gerieben wird, an sich zu ziehen, mangelt. Insbesondere wird er sehr gut in einer ehemals ms, rastigen Gegend, Wirl genannt, so zum freyherrlichen bernstorsischen Gute Gartow gehöret, ausgegraben, und zwar von verschiedenen Arten, indem einige Stücke gelb und durchsichtig, andere weiß und trübe oder gleichsam wolkig, noch andere aber schwarz oder eigentlich der sogenannte Gagates sind. Diese Stücke Börnstein liegen einzeln in einer Torferde mit vielen Fäsichen kleiner Wurzeln und grauem Sande eingehüllet, auf welche Art sie auch in verschiedenen preußischen Bergen ausgegraben werden. Dabey findet sich insgemein mancherley Holz; worein sich viel Schwefel und Harz gezogen hat.

Die Elbe wirst an vielen Orten schöne Stücken Börnstein aus; man findet dergleichen auch in einem languedokischen Gebirge Bugarach genannt, der aber nicht so hart als der preußische ist, und von den Einwohnern der Gegend in ihren Lampen verbrauchet wird.

Damit man aber den Einwurf nicht machen möge, als sey vielleicht das salzige Meerwasser vor alten Zeiten durch Ueberschwemmungen an viele anitzt von der See entfernte Gegenden gebracht, und dadurch die Zeugung oder Vollendung des Börnsteins befordert worden: so füge ich dieses noch hinzu, daß der Börnstein täglich sich noch in der Erde zeuge und aus einem flüßigen oder weichen Wesen ein harter Körper werde. Eine deutliche Probe davon hat mir vor wenig Jahren ein bey Gartow ausgegrabenes Stück, welches anitzt in dem Kabinette des Chev. Sloane zu London ist, an die Hand gegeben, als auf dessen Fläche ein verdorretes Birkenblat (welches alle seine Adern und Spitzen aufs genaueste dem Börnsteine, worauf es lag, da er noch weich war, eingedrücket hatte) zu bemerken war. Nun hätte solches Blatt nicht ganze Jahrhunderte, ohne daß es verfaulet und vermodert wäre, allhier seyn können, zumal da die Strata oder Lagen, in welchen sich der Börnstein bey Gartow findet, nur zween bis vier Fuß in der Tiefe sind.

So viel ich mich erinnere gesehen zu haben, sind die in Börnstein eingeschlossene Thiere keine andere, als welche auf dem fußfesten Lande leben, nämlich Mücken, Spinnen, Ameisen, Heuschrecken und dergleichen; in etlichen hat man auch Mineralien bemerket; welche Dinge alle andeuten, daß ihre Einschließung nicht erst in der See geschehen, obgleich die See in Preußen, Sicilien und andern Orten solche Stücke, die es vorher von den Stratis der Erde und des Ufers abgespület hat, wieder auf den Strand werfen kann, odersolche Dinge auch durch Netze heraus gezogen werden.

Diejenigen, so den Ursprung des Börnsteins in einem Gummi oder Harze von Bäumen suchen, bedenken nicht, daß der Börnstein niemals im Wasser, wie die Gummi zu thun pflegen, schmelze, auch noch kein Vegetabile gefunden worden, aus welchem man ein harziges Oel und acidum volatile hätte ziehen können, wie mit dem Börnsteine und andern fossilibus geschieht. Der zerlassene Börnstein verliert seine Härte und Durchsichtigkeit, behält aber die Eigenschaft, Spreu, oder leichte Fäsichen von Papier und andern leichten Dingen an sich zu ziehen, welches die neuern Philosophen, so etwas mehreres als die qualitates occultas anzuführen gedenken, den subtilen salzigen und schwefelichten Theilen, woraus der Börnstein besteht, zuschreiben, indem diese durch das Reiben sich absondern, die den geriebenen Ort des Börnsteins umgebende Luft verdünnen, und dadurch Gelegenheit geben, daß die äußere viel dickere Luft mehr auf sie dringen, dabey auch die ihr in Weg kommenden leichten Fäsichen mit sich gegen den Börnstein, wo die Luft mehr verdünnet ist, nehmen kann.[994]

Zwo italienische Meilen von Sassuolo im Modenesischen ist eine Oeffnung der Erde, La Salsa genannt, welche öfters Rauch, Flammen, Asche und nach Schwefel stinkende Steine, deren manche vierzig Ellen hoch in die Luft getrieben werden, auswirft. Rand rechts: Feuer auswerfender Berg La Salsa. Es geschieht solches gemeiniglich im Frühlinge und Herbste, bisweilen auchmit vielem Lärmen und Knallen. Der Berg, auf welchem sich dieser Schlund findet, wird durch den vielen Auswurf ganz unfruchtbar. Wenn er tobet, werden die petrolischen Brunnen vonSasso und Monte Gibbio sehr trübe. PauloBOCCONE in seinem Museo di Fisica & di Esperienze, so im Jahre 1697 in Quart zu Venedig herausgekommen ist, will bemerket haben, daß La Salsa einigen Zusammenhang und Gemeinschaft mit dem sicilianischen Berge Aetna nicht nur in Ansehung der Wirkung, sondern auch was die Zeit anlangt, habe, und solches insonderheit den 10, 11 und 12 May 1693 bemerket worden sey.

In der Gegend von La Salsa findet man vielerleyPetrefacta, Cochleitas, Turbinitas, Dentales, Tubulitos varios, rectos & intortos, von welchen ich aber nicht weis, ob sie auch tief in der Erde liegen. Rand rechts: Petrefacta.

In dem Bache della Salsa bey Sassuoli trifft man Zähne vom Hippopotamo, wie auch Tubulitas Vermiculares verschiedener Größe an. Ferner sammlet man bey Sassuoli, Buccinitas, Caryophylla marina fossilia Scheuchzeri, Turbinitas fasciculatos, læves & striatos, Turbinitas cylindroideos etc. und auf demMonte delle Meraviglie große Chamas ventricosas. Die übrigen Petrefacta, welche man in dem modenesischen Gebiethe findet, sind vornehmlich: Conchitæ valvis æqualibus lævibus & rotundis; Conchitæ oblongi & læves; Conchitæ striati, transversim rugosi; Conchitæ in longum & transversim minutissime striati; Cochleitæ cælati; Cochleitæ trochiformes; Chamæ von sonderbarer Größe; Chamæ læves, rhomboideæ; Chamæ ventricosæ; Pectines auriti; Pectunculitæ tam in longum quam transversim striati; Tellinitæ subrotundi minutissime striati; Pectunculi læves; Ostreitæ imbricati; Ostreitarum opercula; Ostreitæ rugosi; Murices auriti, oris recurvi; Turbinitæ muricati verschiedener Arten; Turbinites auriti, oris dentati; Umbilici fossiles, alias opercula cochlearum cælatarum etc.

Endlich ist noch zu erinnern, daß PLINIVSlib. II, c. 95 einer schwimmenden Insel in dem Gebiethe von Modena gedenket, von welcher aber heut zu Tage niemand mehr etwas weis. Rand rechts: Schimmende Insel.

Zwischen Modena und Rubiera kömmt man vermittelst einer sehr langen Brücke über den kleinen Fluß Secchia. Rand rechts: Rubiera. Rubiera liegt eine Post von Modena auf dem halben Wege nach Reggio. Rand rechts: Regggio. Dieser letzte Ort ist besser gebauet und mit schönern Straßen versehen, als die Stadt Modena, scheint ihr auch an Größe wenig nachzugeben.

Insbesondere ist die Straße, an welcher jährlich ein berühmter Markt gehalten wird, sowohl wegen ihrer Länge als großen Breite zu besehen, und fehlet ihr nichts, als daß sie in keiner geraden Linie fortläuft.

In der Domkirche bemerket man am Hauptaltare die vom Vincenzo Gotti gemalte Himmelfahrt Mariä, nebst vier marmornen Statuen vom Clemente da Reggio, von welchem Meister auch die vor der Kirche befindlichen Statuen Adams und Evä sind. Unter den Grabmaalen kommen viele vor, so die Familie der Maleguzi betreffen, und verdienetinsbesondere das Monument Horatii Malegutii, Montis Obizi Comitis, welcher Gesandter an den spanischen König Philipp den zweyten gewesen, auch des Pabstes Pius des fünften Leben beschrieben hat, und im Jahre 1583 gestorben ist, in Augenschein genommen zu werden. Dem Denkmaale Ugonis Rangonii, Legati Pauli V. ad multos Principes, rechter Hand in[995] der Tribuna mangelt es gleichfalls nicht an sonderbaren Schönheiten. Ver der Tribuna sind sechs treffliche marmorne Statuen, und in einer Nebenkapelle die marmornen Bildnisse St. Fabians und St. Sebastians zu sehen.

Die Kirche della Madonna ist hell und oben gut gemalet. Rand links: Kirche della Madonna. S. Prospero.

Vor S. Prospero stehen sechs Löwen, welche sonst zu Piedestaux gedienet haben. In der Kirche selbst ist die vom Camillo Procaccino gemalte Decke, welche unter andern das jüngste Gericht vorstellet, und in der Sacristey der vom Kreuze genommene Heiland nebst den dreyen Marien vom Ludov. Caracci, sehenswürdig.

Der Weg zwischen Modena und Parma ist ein Theil der alten Viæ Æmillæ und sehr angenehm. Rand links: Via Æmilia. Man fährt stets in Gärten und Alleen, an deren beyden Seiten weiße Maulbeerbäume gepflanzet sind, um welche sich die Weinreben schlingen und obenher wieder mit einander verbinden. Rand links: Annehmlichkeit dieser Wege. Die ganze Ebene besteht in fruchtbaren Gründen und Feldern, so vermittelst der Obstbäume und Weinstöcke, die allenthalben reihenweise gepflanzet sind, den Augen eine angenehme Weyde geben.

Fünf Meilen von Reggio kömmt man auf einer sehr langen Brücke über den Fluß Lenza, welcher allhier die Gränzscheidung zwischen den Herzogthümern Modena und Parma machet. Rand links: Der Fluß Lenza die Gränze zwischen Modena und Parma.

Noch dießseits desselben und in dem modenesischen Gebiethe liegt linker Hand das Schloß Canossa, so heut zu Tage einer Familie dieses Namens gehört, und in der Historie der mittlern Zeiten wegen des Aufenthalts, welchen die mächtige Gräfinn Mathildis dem Pabste Hildebrand oder Gregorius dem siebenten daselbst gegeben, berühmt ist. Rand links: Schloß Canossa. Allhier mußte der Kaiser Heinrich der vierte, in der strengsten Kälte, in wollenen Bußkleidern und mit bloßen Füßen, indem Vorhofe des Pallastes drey Tage lang stehen, Hunger und Durst leiden, und mit Thränen um Barmherzigkeit bitten, ehe sich der Pabst bewegen ließ, ihn in den Schooß der Kirche wieder aufzunehmen11. Rand links: Schimpfliche Pönitenz des Kaiser Heinrichs des vierten. Von dem verdächtigen Umgange des Pabstes mit der Marhildis können LAMBERTVS Schaffnaburgensisad ann. 1077. p. 809, und derAVCTORApologiæ pro Henrico IV, p. 219 nachgelesen werden12.

Verschiedene Protestanten bedienen sich dieser angeführten Zeugnisse, um die Histoire scandaleuse des römischen Hofes vollständiger zu machen: und wenn man einwendet, Hildebrand sey ein alter magerer Mann, und Mathildis gleichfalls nicht mehr gar jung gewesen; so berufen sie sich auf das gemeine Sprüchwort: Alter schade der Thorheit nicht. Allein wenn man aus der Geschichte der damaligen Zeiten das Temperament des Pabstes Gregorius des siebenten untersuchet, so wird sich leicht zeigen, daß Ehr- und Geldgeiz in solchem Grade bey ihm geherrschet haben, daß die Wollust nicht viel dagegen wird haben aufkommen können. Solchen Gemüthern ist die Enthaltung von fleischlichen Wollüsten gleichsam angebohren: und wenn sie auch einmal durch eine starke Versuchung zu einem Fehltritte verleitet werden; so schämen sie sich desselben doch gar bald, und die Arbeitsamkeit, Ernsthaftigkeit, ein hartes unbewegliches Gemüth, und andere Unternehmungen, welche in der Welt für edel und groß angesehen werden, gewinnen alsbald wiederum die Oberhand.

Fußnoten

1 SIL. Ital.Lib. VIII: – – Parvique Bononia Rheni.


2 PLIN. Hist. Nat. c. 73: Magnis in rebus fuere internuntiæ (colmnbæ) – – Quid vallum & vigil obsidio atque etiam retia amne prætenta profuere Antonio per cœlum eunte nuntio?


3 Daß Mahomet durch abgerichtete Tauben seinen Betrügereyen einen arglistigen Schein zu geben gewußt habe, bekräftigen diejenigen Schriftsteller, welche das Leben dieses falschen Propheten beschrieben, denen Rodnic. XIMENESIn histor. Arabum;Georg.ELMACEN. in histor. Sarac. Joh. CVSPINIAN. de Turcarum origine & religione und Ioh. Henr. HOTTINGERin histor. oriental. beyzufügen sind.


4 Man hat in Leyden diese um das gemeine Beste sowohl verdiente Tauben nach ihrem Tode ausgestopfet, getrocknet und zum Andenken auf dem Rathhause aufbehalten. Des Jani Dousä Taube, so sich mit in der Anzahl dieser geflügelten Bothen befunden, hat über dieses die Ehre gehabt, daß der berühmte Daniel Heinsius zwey artige Carmina, eines in lateinischer unddas andere in griechischer Syrache, zu ihrem Lobe verfertiget. Wie man sich der Tauben zu gleichem Nutzen in den Belagerungen von Harlem im Jahre 1573, Ziricksee, 1575, und Gertruydenberg, 1593 gebraucht, kann man aus Strada, Meterano und andern niederländischen Geschichtschreibern selbiger Zeiten ersehen.


5 RICHARDSONTraité de la Peintute e de la Sculpture, Tom. III, p. 682.


6 Das Leben dieses um das Reich der Wissenschaften sehr verdienten Mannes haben nicht nur viele Italiener, sondern auch unter den Deutschen Herr Rathlef und Herr Brücker beschrieben. Seine Scriptores rer. Ital. in sieben und zwanzig Bänden, und sein Thesaurus veterum inscriptionum in vier Bänden sind Zeugen seiner nützlichen Arbeitsamkeit. Den meisten Beyfall hat sein vorzüglich schönes Werk von italienischen Geschichten in neun Bändene erhalten. Und unter so vielen Uebersetzungen, womit Deutschland gleich als miteiner Sündfluth überschwemmet wird, verdienet die Uebersetzung dieses Werks wegen seines unleugbar großen Nutzens den meisten Ruhm. Die neuesten Nachrichten aus Modena melden, daß Herr Muratorius in seinem hohen Alter die Anzahl der blindgewordenen Gelehrten verumehret habe.


7 Der Herzog Rainaldus der erste starb int Jahre 1737 und hat ihm der berühmte Muratori folgende Grabschrift gemacht: Quis hic claudatur, si quæris Lector, accipe. RAINALDVS I. Mutinæ, Regii, Mirandulæ Dux, Marchio Estensis, Rhodigiique Comes, natue est VII. Kal. Maji Anno Chr. MDCLV. diem vero suum obiit VII. Kal. Novembris Anno MDCCVII. Antea S. R. E. Cardinalis, deinde Dux creatus, singulari pietate ac Religionis amore ita excelluit, ut in eo vivum Christiani Principis exemplum unusquisque semper animadverterit. Tum solutus, tum conjugatus, rigidus continentlæ custos, temperantiæ in victu sollicitus sectator, nullis unquam illecebris se dimoveri ab honestatis tramite passus est. Cum inclyta Brunsuicensium Ducum, nune in Magna Britannia Regnantium, interruptum per plura secula sanguinis nexum, Affinitates etiam cum Augustissima Austriaca Gente & cum Potentissima Francorum Regum Prosapia, renovavit. Bellicas procellas, quibus non semel agitatus est, invicto animo tulit, felici exitu superavit. Erat illi eximia ingenii atque judicii perspicacia, in politicis rebus rara industria atque sedulitas. Nullus ad eum accedebat, qui eloquemiam non miraretur, prudentiam, comitatem & affabilitatem encomiis non prosequeretur. Pueris ac puellis paupertate pressis nobile domicilium Mutinæ constituit atque dotavit. Vt in eadem urbe Sacra Templa restaurareutur, pietas augeretur; ut inter populos Pax & Justitia regnaret, operam perpe-tuo dedit. Ducatu Mirandulæ, Marchionatu Concordiæ, Comitatu Novellariæ in Italia, aliisque in Hungaria ditionibus avitum Principatum auxit. Sed heu mors omnia solvitl Laboribus denique & ætate confectus, Ducatus suarumque virtutum Heredem relinquens FRANCISCVM MARIAM Filium, mme in Servia & Bosnia contra Turcas illustria bellicæ fortitudinis signa prodentem, sepulcro huic, quod Avia piissima, Isabella Principissa de Sabaudia inchoatum, sibi posterisque suis ipse perfecit, apud Clericos Regulares corpus commendavit.


8 Conf, BernardinusRANAZZINIde fontium Mutinensium admiranda scaturigine, Mutinæ, 1692, 4to.it. MONTFAVCONDiar. Italic.


9 Conf.BOCCONISObservat. Phys. VI.


10 BOCCON. Observat. Physic. V, XXX, XXXI.


11 BARON. Annal. Tom. XI, ad ann. 1077, n. XVIII, p. 524. DONNIZOin vita Mathildis, lib. XI, c. 1 & 7. ARNVLPHVSMediolanensis, lib. IV Gestorum Mediolanens. c. VIII, p. 746. Die großen Herren in Europa erkennen nicht, wie vieles sie der Reformation Lutheri zu danken haben, wenn auch nur ihre zeitliche Wohlfahrt und die äußerliche Sicherheit ihrer Staaten in Betrachtung gezogen werden sollteA1.


12 Denen Geschichtschreibern, welche die Wollust des Pabsts Gregorius verdammen, ist LEOOstiens. in chron. Cassin. l. III, c. 49 beyzufügen. SIGBERT.Gemblac. und ALBERIC. ad a. 1085 wollen uns überreden, daß Gregorius sein mehr als unartiges Verfahren gegen den unglücklichen Kaiser Heinrich auf dem Sterbebette von ganzem Herzen bereuet habe, denen man aber das Stillschweigen anderer glaubwürdigen Geschichtschreiber entgegen setzen kann.


A1 Man lese hiebey Balth. BEBEL. de beneficiis magistratui politico a Luthero exhibitis, Georg. Henr.GÖTZEde beneficiis œconomicis Lutheri ministerio exhibitis, und Ioh. Hermann. FÜRSTERAVde meritis Lutheri in œconomiam publicam & privatam, Rintel. 1749. 4.


Quelle:
Johann Georg Keyßler. Neueste Reisen durch Deutschland, Böhmen, Ungarn, die Schweiz, Italien und Lothringen. Theil 2. Hannover 1751, S. 996.
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