[1008] Acht und sechszigstes Schreiben.

Reise nach Cremona und Mantua.

Von Piacenza bis Cremona sind achtzehn italienische Meilen in einem guten und fetten Lande, worinnen aber die Wege nicht so angenehm und wohl unterhalten sind, als die Via Æmilia bis Piacenza ist. Rand links: Wege bis Cremona.

Vor Cremona kömmt man vermittelst einer Fähre über den Po, weil unterhalb Turin keine Brücke mehr über diesen Strom anzutreffen ist. Rand links: Po-Strom. Er ist hier ohngefähr von der Breite, welche der Rhein bey Manheim hat, nimmt aber hernach noch stark zu. ThomasBVRNETin Theoria sacra telluris rechnet, daß der Po alle Stunden achtzehn Millionen Cubicfuße Wassers in den Golfo di Venetia ausschütte, welches ich dahin gestellet seyn lasse.

Cremona hat eine Universität, welche vom Kaiser Sigismund gestiftet, anitzt aber in einem gar schlechten Zustande ist. Rand links: Cremona. Universität. Fortification. Die Befestigungswerke der Stadt sind von keiner Wichtigkeit, und hat dieser an sich kleine und fast unansehnliche Ort, einen guten Theil seiner Reputation in diesem Jahrhunderte dem Anschlage, welchen der Prinz Eugen im Jahre 1702 auf denselben gemacht hatte, zu danken. Rand links: Des Prinzens Eugenius Anschlag 1702. Vermittelst eines Verständnisses, das die Kaiserlichen mit etlichen Bürgern und insbesondere mit einem Geistlichen, Namens Cosoly, welcher an der nahe beym Walle gelegenen Kirche di S. Maria Nuova Priester war, unterhielten, hatten sie sich schon der Porta Santa und des Palazzo Publico, worinnen der Marechal de Villeroy logiret war, bemächtiget, nachdem sie den 1 Februar durch einen Canal oder Wasserleitung, die schon ehemals den Franzosen gedienet hatte, diesen Ort zu überrumpeln, in die Stadt gekommen waren. Das Unglück aber der Kaiserlichen wollte, daß diejenigen Truppen, so dieses kühne Unternehmen unterstützen sollten, da sie sich bey Nacht und Nebel verirret, zu spät kamen, und den Franzosen (denen die Irrländer bey solcher Gelegenheit durch ihre unwankelbare Treue gute Dienste leisteten) Zeit ließen, sich von dem Schrecken zu erholen, und in gute Verfassung zu setzen, dergestalt, daß man sich mit der Ehre, den Villeroy mitten aus[1008] einer Besatzung von achttausend Mann entführet zu haben, begnügen lassen mußte. Die Franzosen haben in der ersten Hitze und aus Haß gegen den Priester Cosoly die Kirche S. Maria Nuova niedergerissen, und dergestalt dem Erdboden gleich gemacht, daß man nichts mehr davon sieht. Nahe bey dem Orte aber, wo die Kirche gestanden, und bey der Porta Santa, sieht man den Canal, wodurch die Deutschen in die Stadt gekommen, und welcher anitzt sowohl innen als auswärts mit einem eisernen Gatter verschlossen ist.

Cremona hat viele Thürme, davon aber auch der höchste nicht verdienet, daß man so viel Wesens daraus mache, als insgemein geschieht, und hat er in Italien, was die Höhe anlangt, nicht nur viele seines Gleichen, sondern auch manche, die ihn übertreffen. Rand rechts: Vornehmster Thurm, worauf der Kaiser Sigism. und der Pabst Joh. der drey und zwanzigste, zu gleicher Zeit gewesen. Der Kaiser Sigismund und Johann der drey und zwanzigste sollen einsmals mit einander oben darauf gewesen seyn, und den damaligen Herrn der Stadt, Gabrino Fundolia, der gleichfalls gegenwärtig war, hernach nichts mehr gereuet haben, als daß er diese Häupter der Christenheit nicht herunter gestürzet, und sich durch solche That nach dem Exempel des Herostrats, der den Tempel der Dianæ Ephesiæ in Brand gesteckt, einen unsterblichen Namen erworben habe.

In der Domkirche ist ein schönes und mit gutenbas-relief geziertes marmornes Grabmaal Francisci Sfondrati, nebst etlichen Gemälden von berühmten Meistern zu besehen. Rand rechts: Domkirche. Vor dem Eingange der Kirche stehen zween Löwen, auf deren jeden eine Seule ruhet. Dergleichen findet man auch vor dem besondern Gebäude des Baptisterii, welches achteckigt, groß, hoch und mit zwo oben herum gehenden Galerien versehen ist. Rand rechts: Dominicanerkirche. Die Dominicanerkirche hat gute Gemälde und einen trefflichen Hauptaltar von Lazuli, Achat und kostbarem Marmor. Ueber dem Bogen seines Gewölbes zeiget sich eine gemalte Madonna, die zum Zeichen ihres sonderbaren Schutzes ihren Mantel über drey Ordensbrüder und drey Nonnen hält. Auf dem Platze vor der Kirche ist die Statue St. Dominici aufgerichtet, welche in der rechten Hand ein Kreuz hat, und in der linken einen Hund, der eine brennende Fackel im Munde hält. Rand rechts: Statua S. Dominici. Die Unterschrift ist folgende:


S. Dominico

Ord. Præd. um SS. Rosi ac S. Inq. is Instit

Fidei Reparatori ac Orbis

Viro

Pietate eximio, Charitate optimo, Religione maximo,

Patri

Devotissimus filius posuit


Die Peterskirche, so den Canonicis Regularibus gehöret, ist schön, hell, hoch gewölbt und mit guten Gemälden versehen. Rand rechts: Kirche St. Petri. Man verwahret allhier den Leichnam der heil. Mariæ Ægyptiacæ, welche ihre Jugend in einer lüderlichen Lebensart zugebracht, nachmals aber Buße gethan haben soll. Rand rechts: Leichnam der h. Mariä Aegyytiacä. Ihr Bildniß auf dem Altare ist nicht schwarz gemalet, und irren diejenigen sehr, welche sie auch in diesem Stücke von der Mutter Christi, die man an etlichen Orten mit einem schwarzen Gesichte gefunden haben will, nicht unterscheiden. Diese letztere wird insbesondere mit dem Namen von Madonna di Loreto beleget.

Die Augustiner haben eine gute Bibliothek, auch viele Gemälde in ihrer obwohl dunkeln Kirche. Rand rechts: Augustinerkirche.

Von Cremona bis Mantua sind vierzig italienische Meilen. Rand rechts: Bozzolo. Auf halbem Wege kömmt man durch eine artige kleine Stadt Bozzolo genannt, die ein Schloß hat, und der[1009] Hauptort des kleinen Fürstenthums gleiches Namens ist. Drey Meilen von dannen setzt man bey S. Martino di Marcaria über den mittelmäßigen Fluß Oglio. Rand links: Fluß Oglio. Schlimme Wege. Zur Winterszeit, wenn es stark geregnet, muß der Weg zwischen Cremona und Mantua wegen des tiefen Erdreichs fast unbrauchbar seyn, weil sogar itziger Zeit, obgleich das trockne Wetter schon lange angehalten, noch übel zu fahren war. Rand links: Fruchtbarkeit der Gegend. Die Unbequemlichkeit wird durch die Fette der ganzen umliegenden Gegend reichlich ersetzet, und kann man sich nicht genug verwundern über die Fruchtbarkeit der Felder und Wiesen, die reihenweise mit Bäumen, um welche sich die Weinreben schlingen, bepflanzet sind. Die Menge der Nachtigallen, so sich in diesem Striche Landes aufhalten, giebt ihm in der itzigen Jahreszeit eine neue Annehmlichkeit. Man wird in Italien der schönen Gegenden fast gewohnt, dergestalt, daß man sie mit der Zeit nicht mehr so sehr, als anfänglich geschieht, achtet; ich bin aber versichert, daß derjenige, so z. E. in den gebirgichten Theilen von Franken, Tirol, Salzburg, auf dem Harze, sächsischen Bergstädten, desgleichen in den Wäldern von Thüringen und Pommern, in den sandigen Gegenden von Schlesien, der Markgrafschaft Brandenburg und Meklenburg, oder in den Heiden von Lüneburg und Westphalen erzogen worden, und auf einmal in die auserlesensten Prospecte von Italien gebracht werden sollte, ganz ungemeine Regungen und Vergnügen empfinden würde. Rand links: Daß man der angenehmen Prospecte endlich gleichsam gar gewohne.

Mantua liegt in einem See oder Moraste, welchen der in dieser Ebene austretende Fluß Mincio machet. Rand links: Lage von Mantua. Auf der Seite von Cremona ist dieser Morast nur zwey bis dreyhundert Schritte breit, gegenüber aber erstrecket er sich viel weiter, und ist er daselbst beynahe eine italienische Meile breit. Rand links: Vom Flusse Mincio. Der Mincio fließt durch die Stadt, welche eine gute Citadelle hat, übrigens aber mehr von der Natur als Kunst befestiget ist. Von CLAVDIANOSexto Cons. Hon. wird nicht unbillig


– – – tardusque meatu

Mincius – – –


genannt, und machen die im Sommer aus dem faulen Wasser aufsteigenden Dünste die Luft so ungesund, daß niemand, der es ändern kann, in Mantua bleibt. Rand links: Ungesunde Luft. Man zählet allhier achtzehn Pfarrkirchen und vierzig Klöster, welche unstreitig zu viel sind für einen Ort, der nach Abzug der kaiserlichen Besatzung, die aus drey bis viertausend Mann anitzt besteht, nicht über zehntausend christliche Einwohner hat. Rand links: Zahl der Kirchen und Klöster. Die Anzahl der Juden beläuft sich auf, vier bis fünftausend, welche ihren eigenen Ghetto, oder ihr besonderes Quartier haben, dessen Thore alle Abend verschlossen werden. Rand links: Der christlichen Einwohner. Unter denen vier oder fünf Synagogen, die sie besitzen, ist die vornehmste nicht übel gebauet, und ihre Decke, um mehreres Tageslicht zu haben, durchbrochen und ausgeschnitten. Rand links: Der Juden.

Seit den letzten Kriegsläufen, und da kein Hof mehr vorhanden, ist der Ort in grosses Abnehmen gerathen, da er sonst eine gute Handlung hatte, und absonderlich die Seidenfabriken vieles Geld ins Land zogen. Rand links: Abnehmen der Handlung. Von dem blühenden Zustande, dessen sich Mantua in alten Zeiten zu erfreuen hatte, kann VIRGILIVS im zehnten Buche der Æneidos nachgelesen werden. Rand links: Jul. Cäsar Scaligers Lob dieser Stadt. Von Iulio CæsareSCALIG FRO hat man folgende auf sie verfertigte artige Poesie:


Maxima cum veteri turgeret Etrurta regno

Sceptraque terrarum jungeret aucta mari;

Mole nova tumuit soliisque excrevit avitis,

Ut premeret forti jura aliena pede;

Inde est in superas deducta colonia terras,

Non tamen his potuit Mantua tota dari.[1010]

Clara viris, felix Ducibus, divo inclyta Cygno,

Quem vitreis aluit Mincius Andis aquis.

Mantua dives avis magno non cesserit orbi,

Tota tamen parte hac vincitur ipsa sui.


Noch im vorigen Jahrhunderte machte ihr die daselbst von den Herzogen angelegte Schatz- und Kunstkammer vielen Ruhm; allein als im Jahre 1630 den 18 Jul. die Stadt vom kaiserlichen General Colalto, mit Sturm eingenommen wurde, geriethen alle diese Kostbarkeiten, so etliche Millionen werth waren, den Soldaten in die Hände, von welchen sie theils verderbet, theils zerstreuet und solchen Leuten zugewandt wurden, welche schlechte Kenner davon waren, und ihren Preis nicht verstunden. Rand rechts: Vortrefflichkeit ihrer ehemaligen Schatz- und Kunstkammer. Ein Soldat war damals so glücklich, daß er achtzigtausend Ducaten Beute machte, dabey aber hatte er ein so leichtsinniges Gemüth, daß er diese Summe in einer Nacht wieder verspielte, weswegen ihn Colalto des andern Tages hängen ließ. Rand rechts: Strafe einer lüderlichen Verschwendung. Was etwa nach dem Verlauf solcher Zeit wieder angeschafft worden, ist in den Kriegsunruhen des itzigen Jahrhunderts wieder darauf gegangen, und insonderheit vieles von den Franzosen weggenommen worden. Rand rechts: Itziger Zustand. Indessen besieht man noch auf dem Schlosse etliche Säle, deren Plafonds vom Julio Romano gemalet sind; etliche bureaux oder Schreibkabinette von Schildkröten; verschiedene Tische von eingelegter florentinischer Arbeit, zu welcher schöne Stücke von Lapis Lazuli und Achat genommen worden; etliche marmorne Statuen und Brustbilder; einen Mohrenkopf, auf einem Bruststücke von weißem Marmor; dessen Kopfschmuck mit seiner eingelegten kostbaren Arbeit den indianischen Cottonsehr genau nachahmet; zwey große Gemälde von Palma; zwey andere von Costa; vier große Stücke, so Schlachten wider die Türken vorstellen; eine vom Annibal Caracci gemalte Heiliginn in einer Kapelle; zwo Galerien von Portraiten; drey obgleich dunkele, jedoch à fresco wohl gemalte Säle, welche aber schlecht in Acht genommen werden. Die große Galerie, welche sonst mit allerley Raritäten angefüllet war, ist anitzt sehr ausgeleeret, und findet man nichts darinnen, als vier große Globos mit zween kleinern, einen alten ausgestopften Meerochsen, und einen alten Kaiser, der vom Titiano auf Holz gemalet ist. Es sollen dergleichen zwölfe fast von unschätzbarem Preise gewesen seyn; es sind aber die übrigen eilfe weggenommen, und nur dieser zurück gelassen worden, weil das Holz daran geborsten ist. Außer solchem Schaden hat man noch vieles mit Fleiße an diesem Stücke verdorben. In den Schränken an der Wand werden noch etliche Gerippe von Thieren aufgehoben. Der herzogliche Pallast ist groß und weitläuftig, aber alt und ohne Symmetrie. Die Grotten in den Gärten gehen gänzlich ein. Rand rechts: Treffliche Reitschule. Das beste ist noch die Reitschule, dergleichen man in Ansehung ihrer Grottenwerke, Seulen, Bildhauerarbeit, rings herum gehenden Galerie und ansehnlichen Höhe, sonst nirgends findet. Die dabey befindliche Reitbahn ist gleichfalls wohl angeleget.

In der Schloßkirche ist ein reicher Schatz von Reliquien, goldenen und silbernen Kreuzen, Statuen und anderm kostbaren Altargeräthe. Rand rechts: Schloßkirche. Man sieht daselbst auch zwey große Gemälde, deren das eine die Taufe Konstantins des großen, und das andere den Märtyrertod des heil. Andreä vorstellet. Beyde sind von Costa il vecchio, und sollen für jedes tausend Louis d'or gebothen worden seyn.

Mantua ist ein Bißthum, so unmittelbar unter dem päbstlichen Stuhle steht. Rand rechts: Domkirche. An der Kirche hat Julius Romanus eine Probe seiner Baukunst gegeben, auch die Decken des Kreuzganges und der Tribuna gemalet. Rand rechts: Gemälde. Es sind noch verschiedene Stücke von andern Malern vorhanden, worunter die Berufung Petri und Andreä zum Apostelamte, desgleichen die Hinrichtung einer Märtyrinn, der man die Brust mit Zangen abzwickt, zu[1011] rechnen ist. Das schönste aber ist ein Nachtstück, auf welchem Paolo Veronese den h. Antonium del fuoco abgebildet hat. Rand links: Treffliches Stuck vom Paolo Veronese. Es steht solches in der obern Sacristey, und kann nicht ohne Verwunderung angesehen werden. Es zeiget sich darauf zugleich eine schöne fette Weibsperson: und muß Paolo Veronese ein sonderlicher Liebhaber dieser taille gewesen seyn, weil er auch in andern Gemälden, und sonderlich in den vielen Vorstellungen, die er von der Hochzeit zu Cana verfertiget hat, so oft schönes Frauenzimmer dabey abzubilden ist, keine magern sondern lauter fette Personen dazu wählet. Rubens und Vandyck, welche überhaupt des Paolo Veronese Malerey sich zum Muster vorgestellet hatten, folgen ihm auch in diesem Stücke. Die Domkirche ist geräumig, und durch Seulen in fünf naves oder Gänge vertheilet.

In der Kirche St. Agnes ist ein Ecce homo sehr schön vom Dolci gemalet. Rand links: Kirche St. Agnes. Der Thurm dieser Kirche steht nicht gerade, sondern ist ein wenig abhängig.

In Ansehung der Reliquien ist die Kirche St. Andreä für die vornehmste in ganz Mantua zu halten, weil man daselbst einen vom heil. Longinus aufgesammelten Theil des Blutes, welches der Heiland am Stamme des Kreuzes vergossen, zu verwahren glaubt. Rand links: Hängender Thurm. Rand links: St. Andreä Kirche. Ich überlasse der scholastischen Theologie zu untersuchen, ob das auf die Erde gefallene Blut Christi mit der Zeit wie anderes vertrocknet oder verfaulet, oder ob der Heiland solches mit gen Himmel genommen, und wie weit der Satz richtig sey: Rand links: Blut Christi. Quod Christus semel assumsit, nunquam deposuit vel dimisit1. Rand links: Ritterorden dieses Blutes. Mir gnüget allhier nur aus der Historie zu bemerken, daß der Herzog Vincentius der erste zu Ehren dieses Heiligthums im Jahre 1608 bey der Vermählung seines Prinzen Franciscus, den Ritterorden Sanguinis Christi, oder Redemtionis aufgerichtet, der aus zwanzig Cavalieren besteht, und den Herzog von Mantua zum Oberhaupte hat2. An dem Ordensbande liest man um zween Engel, die einen gekrönten Kelch mit drey Blutstropfen halten, die Worte: Nihil isto triste recepto. An der Ordenskette werden die WorteDomine Probasti, aus dem sechszigsten Psalme, auf abwechselnden Schildlein bemerket. Zwölfe von diesen Rittern haben die Schlüssel zu dem Kästchen, worinnen das heil. Blut aufgehoben wird, und eines jeden Schlüssel öffnet sein besonderes Schloß, dergestalt, daß keine völlige Eröffnung des Kästchens anders, als in Beyseyn aller dieser zwölf Personen vor genommen werden kann. Itztgedachte Reliquie wird alle Charfreytage öffentlich zur Verehrung des Volkes ausgestellet, und die übrige Zeit in dem weitläuftigen unterirdischen Gewölbe der Kirche auf einem Altare verwahret. Außen vor der Kirchthüre liest man die deutlich ausgedruckten aber dem Verstande nach sehr verwirrten und dunkeln Worte:
[1012]

Bonifatii3 Papæ IX. XIII. Wcerslai Romanorum Regis XXVII. ann. I. ejus sacricruoris hic inventione facta sub Leone PP III. et Carulo magno D XC ann. III. sub Leone IIII. et Herrico III. erectionisque eo tempore hujus aecclesiæ sub Bonifacio Comite Beatrice et Matilda CCCLIIII. Rand rechts: Verwirrte Inscription.


Außer itztgedachten Heiligthume liegt noch rechter Hand, wenn man in die Kirche geht, in einer Kapelle der Leichnam des h. Longinus, welcher obgedachtes Blut Christi nach Mantua gebracht haben soll4. Rand rechts: Leichnam des h. Longinus.

Auf eben dieser Seite findet sich folgendes Epitaphium: Rand rechts: Epitaphium.


Hic insperata requiesco Carolus urna,

Crudeli rapuit quem modo Parca manu.

Hac quicunque via transis mihi crede viator

Heu nota est nulli mortis acerba dies.


Linker Hand beym Eintritte in die Kirche zeiget sich in einer Kapelle des berühmten Malers Andreas Mantegna Brustbild, an welchem jedes Auge in der Mitte mit einem kleinen Diamanten, die aber weggestohlen worden, soll versehen gewesen seyn. Rand rechts: Grabmaal Andr. Mantegna. Die Unterschrift ist:


Esse parem noris, si non præponis, Apelli

Ænea MANTINIÆ qui simulacra vides,


Auf dem Fußboden ist folgende Nachricht in Stein gegraben:


Ossa Andreæ Mantinlæ famosissimi pictoris cum duobus filiis in sepulcro per Andream Mantiniam nepotem ex filio constructo repofita. MDLX.


Auf dem Altare steht noch ein Gemälde von diesem Meister, das die Geburt Johannis des Täufers vorstellet.

Andreas Mantegna, der im Jahre 1451 gebohren und 1517 verstorben ist, wird von etlichen Scribenten für den Erfinder der Kupferstiche oder vielmehr Abdrucke von Figuren, wiewohl ohne Gewißheit angegeben. Rand rechts: Ob Mantegna die Kupferstiche erfunden. Denn zu der Zeit, da des RobertiVALTVRII Werk vom Kriegeswesen mit vielen Figuren von Waffen, Maschinen, Gebäuden etc. zu Verona im Drucke heraus kam, nämlich im Jahre 1472, war Mantegna noch ein junger Mensch: und verschiedene andere Umstände machen glauben, daß Matthäus Pasti die Figuren zu obgedachtem Werke verfertiget habe. Man sieht auch nicht, daß Mantegna etwas zu dem Drucke der Fabeln Aesopi, die in Sonneten mit Figuren im Jahre 1479 zum Vorscheine[1013] kamen, beygetragen, zugeschweigen, daß man aus dem Ansehen des Buches, welches Coster ums Jahr 1440 zu Harlem gedruckt hat, fast schließen sollte, daß seine Kunst mehr eine Abdruckung von Holzschnitten, die die Buchstaben einer ganzen Seite begriffen, gewesen, als eine solche Erfindung, die mit unserer heutigen Buchdruckerey, welche die Buchstaben einzeln zusammenfüget und wieder auseinander nimmt, überein gekommen wäre. Dieses ist indessen nicht zu leugnen, daß Mantegna besagte damals neue Kunst mehr in Aufnehmen und Gebrauch gebracht hat.

Bey einer Nebenpforte der Kirche sieht man eine zwar große aber nicht dicke metallene Glocke, so mit acht Oeffnungen gleichsam als mit Fenstern durchbrochen ist. Rand links: Durchbrochene Glocke. Diese haben einen Fuß in der Breite und drey in der Höhe. Was es für eine eigentliche Bewandniß damit habe, weis niemand zu sagen, und was man von dem ehemaligen Klange der Glocke erzählet, wie solcher nämlich so stark gewesen, daß er schwangern Frauen die Kinder abgetrieben, sind offenbare Fabeln.

Uebrigens istdie Kirche St. Andreäaltundinwendig ohne alle Zierrathen; ihr mittleres Gewölbe aber trefflich hoch und sieben und zwanzig gemeine Schritte breit. Rand links: Breite des Gewölbes. An der Hauptthüre ist vielerley Bluhmenwerk in schönen bas-reliefs von Marmor zu sehen.

In St. Aegidii Kirche ist Bernhard Tasso, der Vetter des großen Poeten Torquati Tasso, begraben; den eigentlichen Platz seiner Ruhestäte aber weis man nicht zu zeigen. Rand links: Kirche St. Aegidii. Von des Sohnes Grabmonument ist anderwärts schon Erwähnung geschehen.

Baptista Mantuanus, ein berühmter Theologe, Philosophe und Poet des funfzehnten Jahrhunderts, wie auch General des Karmeliterordens, liegt in der Kirche dieser Mönche begraben, und zwar linker Hand wenn man hinein geht, in der Cappella della Madonna. Rand links: Bapt. Mantuani Grab bey den Karmelitern. Es ist zu verwundern, daß man einem Manne, der sowohl der Stadt, als dem Orden, dessen Haupt er war, viele Ehre gemacht, kein Denkmaal aufgerichtet hat. Gegenüber und auf der andern Seite zeigen sich nahe beym Haupteingange der Kirche eine Laute, Harfe, Violine, Trompete und andere musikalische Instrumente in marmornen bas-reliefs, zwischen welchen man folgendes Epitaphium einer Sängerinn liest: Rand links: Grabmaal einer Sängerinn.


Inspice, Lege, Defle!

Catharina Martinella Romana

Quæ vocis modulatione & flexu

Sirenum cantus facile

Orbiumque cœlestium melos præcellebat

Insigni ea virtute, morum suavitate,

Forma, Lepore ac Venustate

Ser. Vinc. Duci Mant

Apprime cara

Acerba eheu morte sublata

Hoc tumulo

Beneficentissimi Principis jussu

Repentino adhuc casu mœrentis

Æternum quiescit

Nomen mundo, Deo vivat anima

Obiit adolescentlæ suæ anno XVIII,

Die VIII. Mart.

MDCVIII.
[1014]

Von der Keuschheit dieses Frauenzimmers wird nichts gedacht, und das bloße Lob, daß sie insigni virtute gewesen, wird vielleicht manchen, der da weis, in was für einem weitläuftigen Verstande man das Wort Tugend und Virtuosus zu nehmen pflegt, nicht abschrecken, zu glauben, daß diese schöne Sängerinn eine Maitresse des Herzogs gewesen, bey deren Verluste er etwas mehr als eine schöne Stimme beklaget hat.

Uebrigens ist in dieser Kirche noch ein schönes marmornes Grabmaal, so einem gewissen Andreasio aufgerichtet worden, in Augenschein zu nehmen. Rand rechts: Grabmaal Andreasii.

Julius Romanus ist in der Kirche St. Barnabä, die den Servis S. Mariæ oder Serviten gehört, begraben; weil aber viele Veränderungen und Verbesserungen daselbst gemacht worden, so wissen die Mönche den eigentlichen Ort, wo er liegt, nicht anzuzeigen. Rand rechts: Kirche St. Barnabä. Rand rechts: Julius Romanus Grab und Haus. In dieser Kirche ist die von Carlo Cignani Bolognese gemalte Hochzeit zu Cana nicht außer Acht zu lassen. Nahe bey der Kirche, und dem Pallaste des Cavaliere de Gonzague gegenüber findet sich das Haus, worinnen Julius Romanus gewohnet, und über dessen Eingange eine schöne Statue des Mercurs steht.

Bey den Jakobinern oder Dominicanern habe ich mich vergeblich bemühet, das Grabmaal Johannis de Medicis (eines Vaters des florentinischen Herzogs Cosmus des ersten), welcher nach etlicher Meynung allhier beerdiget worden, zu finden, ob mir gleich die Mönche fleißig suchen halfen. Rand rechts: Dominicanerkirche. Hingegen sieht man ein schönes marmornes Denkmaal Petri Strozzi, und sowohl im Chore als in der Sacristey gute Bildhauerarbeit im Holze. Der Leib einer Beatæ, Ossana Andreassa genannt, wird allhier mit großer Verehrung aufgehoben.

Um den hohen Altar der Thcatinerkirche stehen sieben große Gemälde vom Guercino. Rand rechts: Gemälde der Theatinerkirche. Ferner sieht man daselbst ein Stück, so einen knieenden Märtyrer, welchem ein Henker den Kopf abzuhauen begriffen ist, vorstellet. Der Meister davon ist Ludov. Caracci, und findet man dergleichen auch in der Domkirche. Itztgedachtes Gemälde der Theatinerkirche hat zu seinen Seiten zwey schöne Stücke vom Lud. Massari, einem Lehrlinge des Lud. Caracci.

In St. Theresia ist ein schöner Altar und treffliches Tabernakel, so beyde aus Achat und kostbarem Marmor zusammen gesetzet sind. Rand rechts: St. Theresia. Auf den Seiten stehen zween Engel nebst zwo andern Statuen aus weißem Marmor.

Die Kirche di quarante hore hat eine schöne Facciata, gute Gemälde und acht vom berühmten Barbarigo aus Stucco verfertigte Statuen, die den David, Salomon und etliche Propheten vorstellen. Rand rechts: Chiesa di quarante hore. Außen über der Kirchthüre zeiget sich die Verkündigung Mariä en bas-relief und auf jeder Seite eine Statue.

Il Palazzo della Giustizia hat einen großen Saal, und an der Wand eine Statue des sitzenden Virgils, die aber nicht wohl gerathen ist. Rand rechts: Palazzo della Giustizia.

Unter den Privatgebäuden sind die Palläste des Conte Manzelli, Valenti und Benedetto Sorti die vornehmsten. Rand rechts: Privatpalläste.

Die Stadt Mantua hat jenseits des Sees drey Vorstädte, nämlich gegen Mitternacht Porta Fortessa, gegen Nordosten il Borgo di S. Giorgio, und gegen Mittag il Thé. Nach dieser letzten geht man durch diePorta Virgiliana, über welcher das Brustbild des Virgils zu sehen ist. Rand rechts: Vorstädte. Eine halbe Vierthelstunde davon liegt il Palazzo di Thé. dessen Gebäude dem Buchstaben T gleicht. Rand rechts:Porta Virgiliana. Il Palazzo di Thé. Das unterste Stockwerk davon ist anitzt den kaiserlichen Küraßierern eingeräumet, von welchen es, wie leicht zu erachten, gar schlecht in Acht genommen wird; die obersten Zimmer aber hat man wegen der trefflichen Fresco-Gemälde, so darinnen sind, besser bewahret und verschlossen. Rand rechts: Julius Romanus Gemälde. Julius Romanus hat den Bau dieses Lustschlosses angegeben und die meisten Gemälde, wo nicht selbst gemalet; dennoch nach seinen Zeichnungen[1015] verfertigen lassen, auch bey etlichen selbst die letzte Hand angeleget. Die vornehmsten Stücke sind der Fall des Phaeton und der Sieg des Jupiters über die Riesen.

Von der Porta Virgiliana wendet man sich linker Hand, und setzet vermittelst einer Fähre über den Mincio, um nach einer herzoglichen Menagerie, die zwo italienische Meilen von Mantua liegt, zu kommen. Rand links: Porta Virgiliana. Diese führet den Namen von Virgiliana, und soll Maro daselbst in einer Grotte dem Studiren obgelegen haben. Es ist aber nicht das geringste, so die Mühe des Weges belohne, anitzt mehr daselbst zu sehen. Nahe dabey liegt das Dorf Pietola, so ehemals Andes geheißen, und der Geburtsort Virgilii Maronis ist. Rand links: Geburtsort Virgils.

Mantua

den 26 April, 1730.

Fußnoten

1 Unsere Gottesgelehrten haben gegründete Ursachen, warum sie den Satz behaupten: Sanguinem Christi pro universo mundo effusum non computruisse vel ad nihilum redactum esse, sed eumdem numero in venas Christi readsumtum fuisse. Die Schriftstellen der nähern Offenbarung 1 Petr. 1,18. 19. Ps. 16,10. Apostelg. 20, 28. Ebr. 9,12 und 1 Joh. 5,8 streiten offenbar wider die Verwesung, und diejenigen verdienen einen billigen Tadel, welche noch in unsern Tagen die Ueberreste des Blutes Christi aufweisen wollen. Man lese KOEBER. diss. de sanguine Christi, p. 81,89,311.


2 Man kan hievon mit mehrerm nachsehen PLATINAMin Historia Mantuana, p. 7, sq. POSSEVINVMin Gonzaga, lib. VIII. Scipionis AgnielliMAFFEI,Episcopi Casaliensis Annales, Lib. II, cap. 8,9, Lib. III, cap. 1, Lib. VII, c. 3; Lib. VIII, c. 3, Lib. XII, c. 2, etc.


3 Bonifatii steht auf dieso Art in der Inscription geschrieben, gleichwie man daselbstauch Wcerslai, Carulo, Herrico und accelestæ findet.


4 Der gute Longinus scheint ganz unschuldig daran gewesen zu seyn, daß er die Anzahl der Heiligen in der römischen Kirche vermehren müssen. λογκη das ist der Name der Lanze, womit die Seite Christi geöffnet worden, und welcher allem Ansehen nach diesen Heiligen zur Weltgebohren hat. Wie viel man wider die ächte Gültigkeit desselben einwenden könne, lehret Georg. Henr. GÖTZEin diss. de centurione sub cruce Christi. Dem Jesuiten Franciscus Raimundus hat dieser Heilige zu ganz erbaulichen Gedanken Gelegenheit gegeben ap. Ant. POSSEVIN. de poës. p. 206:


Ecras utiliter, mundo, Longine, quod hasta

Divium reseras sanguinolente latus:

Funera das matri, solatia dulcia moestis,

Prodige cœlestis quam bene perdis opes!

Regna patent, arcana patent, nova sacra parantur,

Tartara tartareo cum duce victa jacent.

Infelix felixque simul feliciter erras,

Perque scelus veniam sed sine fraude paras.

Dum latus ingreditur, tua te felicior hastaest,

Grandia regna tenes fi sapis hasta mane.

Talia nec possem nec regna relinquere vellem,

Si semel intrassem, si sapis hasta mane.

Per quam nunc tot opes, oracula, regna patescunt,

Non erit hæc mundo lancea, clavis erit.


Quelle:
Johann Georg Keyßler. Neueste Reisen durch Deutschland, Böhmen, Ungarn, die Schweiz, Italien und Lothringen. Theil 2. Hannover 1751, S. 1016.
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