[1034] Siebenzigstes Schreiben.

Nachrichten von Vicenza.

Von Verona nach Vicenza sind dreyßig italienische Meilen, in einer zwar steinichten, dabey aber jedoch fruchtbaren und angenehmen Gegend. Rand rechts: Gegend.

Vicenza hat viele gute und artige Gebäude, deren nicht wenige mit Statuen oben besetzet sind. Rand rechts: Der Stadt Häuser. Markt. Absonderlich ist der Platz vor dem Rathhause wohl bebauet, und fehlen ihm nur Springbrunnen, um La Piazza di Navona im Kleinen abzubilden. Nachdem diese Stadt unter die Gewalt der Venetianer gekommen, haben sie (wie sie in ihren meisten Städten zu thun pflegen) auf einer hohen Seule das Wapen von St. Marco, nämlich einen geflügelten Löwen, aufrichten lassen. Auf einer andern dergleichen Seule ist die Statue des Heilandes zu sehen.

Das Rathhaus oder il Palazzo della Ragione hat einen großen Saal, der aber nicht sauber genug gehalten wird. Rand rechts: Rathhaus. In dem Zimmer, worinnen die peinlichen Gerichte gehalten werden, hat Tiziano das jüngste Gericht gemalet. Rand rechts: Gemälde. Auf einem andern Stücke hat Paris Bordone die Geschichte des trunkenen Noä und seiner Söhne abgebildet. Es sind hie und da in diesem großen Gebäude noch andere schöne Gemälde anzutreffen; es ist aber Schade, daß solche meistentheils das gehörige Licht nicht haben, sondern an dunkeln Orten stehen. An der Facciata liest man: Rand rechts: Inscription.


Si quæ, Cœlicolæ magni, Vicentia ponit

Vos aræ & cum aris aurea templa juvant.

Ingentem hanc molem æternum servate per ævum

Protegite & seclis innumerabilibus.

Namque ipsam æterno Bernardi erexit honori

Grati æterno animi signa futura sui.


Es hat sich in dieser Stadt eine Gesellschaft gelehrter Leute zusammen gethan, so den Namen der Olympicorum führet, und ihre Absicht hauptsächlich auf das Aufnehmen der Beredsamkeit in der italienischen Sprache richtet. Rand rechts: Academia Olympicorum. Diese hat in der Akademie oder dem Gebäude, woselbst sie sich versammlet, durch den berühmten vicentinischen Baumeister Andr. Palladio, ein Theater bauen lassen, welches wegen seiner bequemen Einrichtung gesehen zu werden verdienet. Rand rechts: Theater. Es wird solches wenig gebraucht, und ist nur ein einzigesmal die Opera Sophonisbe darauf vorgestellet worden. Die Perspectiven des Theaters sind artig eingerichtet, und vornher mit vielen Statuen der römischen Kaiser und einiger Weltweisen gezieret. Das Parterre hat gleich falls verschiedene Statuen, und seine Sitze nach Art der alten Amphitheatern.

Von dem alten römischen Theater, dessen rudera man sonst in den Gärten von Pigafetti und Gualdi zeigte, ist gar nichts mehr zu sehen, und der Platz in einen bebaueten Hof verwandelt worden. Rand rechts: Altes römisches Theater.

Außer der Stadt, nämlich auf dem Campo Martio, ist ein Triumphbogen, zu welchem obgedachter Palladio die Zeichnungen gemacht, aufgeführet, und hat man an selbigem die[1035] Baukunst der Alten an dergleichen Werken nachzuahmen gesucht. Rand rechts: Triumphbogen. Ehemals wurde der jährliche Markt, so vom 15 October bis zu Ende solches Monats währet, auf dem Campo Martio gehalten, es ist solcher aber seit etlichen Jahren in die Stadt verleget worden. Rand links: Campus Martius.

In des Comte Montenari Hause findet sich ein schön gemalter Saal, viele Stuccoarbeit und eine kleine Galerie von Gemälden. Rand links: Pallast des Comte Montenari.

Der Palazzo del Comte Chiragado ist auf einem großen Platze gelegen, und von guter Baukunst. Rand links: imgl des Comte Chiragado.

In des Comte Wale Hause hat der König Friedrich der fünfte von Dännemark, als er auf seiner letzten italienischen Reise durch Vicenza kam, logiret. Rand links: Comte Wale. Man sieht darinnen eine Sammlung von guten Gemälden.

Die Stadt ist von keiner sonderlichen Größe, und dennoch rechnet man in derselben sieben und funfzig Kirchen, Klöster und Hospitäler. Rand links: Menge der Klöster etc. Die Domkirche hat nichts sehenswürdiges.

Vor andern verdienet die Dominicanerkirche wegen ihres Hauptaltars und dar daran befindlichen eingelegten florentinischen Arbeit besehen zu werden. Rand links: Dominicanerkirche. Solche stellt am Palliotto die Verkündigung Mariä, ferner die Einsetzung des heil. Abendmahls und drittens die Auferstehung Christi vor. Die übrigen Zierrathen des Altars, so in Bluhmen und Statuen bestehen, sind nicht weniger wohl gerathen. Man zeiget allhier auch die vom Paolo Veronese gemalte Anbethung der Weisen aus Morgenlande. Rand links: Reliquie. Wegen eines Dorns aus der Krone des Heilandes, welchen der h. Ludwig König von Frankreich, an einen Bischof von Vicenza, und solcher wieder hieher verehret hat, wird diese Kirche auch della Santa Corona benennet.

An der Facciata der Kirche St. Barbarä stehen die Worte: Rand links: Kirche St. Barbarä.


Senio fatiscens Ecclesia

V. Kal. Matt. A. MDCXCV. horrendis motibus

Universa nutante Urbe

Propemodum excussa

E situ ac ruderibus elegantior exsurgit

A. MDCCII.


In der Kirche di S. Maria in Campagnaao hat Pordenone die Decke und verschiedene Kapellen gemalet. Rand links: S. Maria in Campagnano.

Die Theatinerkirche wird anitzt wieder neu gebauet.

Der Mons Pietatis ist ein schönes Gebäude, und darinnen eine ansehnliche öffentliche Bibliothek anzutreffen. Rand links: Mons Pietatis.

Außer der Stadt liegt die Kirche della Madonna in Monte, so eine gute Facciata und innenher eine große Menge aufgehängter Gelübde hat. Rand links: Madonna in Monte. Das Vornehmste, so allhier zu besehen, ist ein großes Gemälde vom Paolo Veronese in demRefectorio des Klosters. Solches stellet den mit Pilgrimen zu Tische sitzenden Pabst Gregorius den großen oder eine andere Mahlzeit vor, welcher auch der Heiland beywohnet. Rand links: Anmerkung über ein Gemälde des Paolo Veronese. Die Malerey an diesem Stücke ist trefflich, die Erfindung aber sehr elend, man mag für eine Mahlzeit daraus machen, welche man wolle. Der Pabst sitzt oben an (jedoch ohne Krone), hernach folget Christus, welcher ohne sonderliches Ansehen vorgestellet ist. Bey ihm sitzt ein Kardinal, und auf der andern Seite steht ein anderer Kardinal, der eine große Brille auf der Nase hat. Ein Page, so spanisch gekleidet ist, wartet auf und trägt einen Hund auf den Armen. Unter dem Tische[1036] zeiget sich eine Katze und dabey ein Affe etc. Von dem Berge, worauf diese Kirche mit ihrem Kloster liegt, ist die Aussicht sehr angenehm, und reichet solche für ein gutes Gesicht bis Padua. Rand rechts: Aussicht Auf der einen Seite des Berges hat man zu mehrerer Bequemlichkeit der Proceßionen und Pilgrime von unten bis oben eine breite Treppe angeleget, bey deren Anfang im Thale ein Triumphbogen und linker Hand desselben eine Statue Mariä mit folgender Unterschrift zu sehen ist: Rand rechts: Inscription.


Havrà di marmo il core

E l'alma di Diamante

Chi qui passando avante

Non piega gli occhi al petto

E con la mente pia

Nun dice Ave Maria.


Vicenza liegt zwischen zween Bergen in einer weitläuftigen Ebene, und nennet man ihr Gebieth wegen seiner Fruchtbarkeit insgemein den Garten und das Schlachthaus von Venedig. Rand rechts: Lage der Stadt. Die Bäche Leogra, Loroto, Asteguello, Debeta, Rerone und Tribualo bewässern seine Wiesen, und der kleine Strom Bachiglione fließt mitten durch die Stadt. Rand rechts: Fruchtbarkeit der Gegend.

Des Comte Valmarano Garten ist der schönste, den man um Vicenza findet, und verdienet er wegen seiner Lage, Hecken, bedeckten Gänge, schattigten Kabinette und Alleen unter die angenehmsten von Italiengerechnet zu werden. Rand rechts: Schöner Garten des Comte Valmarano. Unter andern ist ein bedeckter Gang vonCedro- und Orangenbäumen über zweyhundert gemeine Schritte lang, welcher sowohl das Auge als den Geruch vergnüget. Längst desselben ist ein breiter Canal gezogen, auf welchem, so bald man nur pfeift, eine Menge großer Barben undanderer Fische zum Vorscheine, um gefüttert zu werden kommen. Rand rechts: Inscription desselben. Ueber dem Eingange des Gartens an der Seite nach Verona liest man:


Si te, ingredientem graviores forte

Huc usque insecutæ sunt curæ,

Eas velint nolint procul

Nunc ut abeant facito

Hilaritati namque & genio

Pars hæc potiss. dicata est.

Cedros hosce qui dempserit

Floresve carpserit

Is sacrilegus esto,

Vertumnoque & Pomonæ,

Queis sunt sacri,

Pœnas luito.

Civis, Amice, Advena,

Qui loci amœnitate cupis oblectarier,

Securus huc ingredere

Teque largiter recrea.

Nullus intus canis,

Nullus Draco,

Nullus falce minaci Deus,

Omnia sed tuta benigneque exposita.[1037]

Sic voluit Comes LEONARDUS VALMANARA

Hortorum dominus

Modestiam quod tuam & continentiam

Custodem fore fidat opportunum.

Anno MDXCII.


Das hiesige Land hat guten Weinwachs, und rühmet man insbesondere an den vicentinischen Weinen, daß sie den Podagricis keine Beschwerlichkeit verursachen. Rand links: Weinwachs.

Die Einwohner werden vor andern Italienern der Rachgierde beschuldiget, und saget man in gemeinen Reden: gli Assassini Vicentini. Rand links: Rachgierde der Italiener und insbesondere der Vicentiner. Ob man ihnen recht oder unrecht thue, kann ich nicht sagen: dieses aber ist gewiß, daß sich Reisende, und insbesondere die Deutschen, welchen man nachsaget, daß sie allzuhitzig und zu eilig gleich zum Prügeln schreiten, durch ganz Italien wohl in Acht zu nehmen haben, daß sie sonderlich mit den Postillons und anderm gemeinen Volke keine Händel anfangen, weil viele solche Leute von der Rachgierde also getrieben werden, daß sie einem Reisenden sechs bis acht Posten heimlich folgen, und eine Gelegenheit, sich an ihrem Beleidiger auf eine verrätherische Art zu rächen, ablauren.

Vor offenbarer Gewalt hat man sich nicht leicht zu fürchten; allein destoweniger kann man für seine Sicherheit zulängliche Sorge tragen.


Omne anima timidum crudele.


Man sieht auch einen Meuchelmord in Italien mit ganz andern Augen, als in andern Ländern, an. Wenn man an einem italienischen Orte bestohlen wird, und auf der Straße oder auf dem Markte dem Diebe nachschreyt oder andern Leuten zuruft, solchen aufzuhalten, bekömmt man leichtlich Hülfe; allein wenn man jemanden als einem Mörder nachruft, findet sich niemand, der dem Thäter etwas in den Weg lege, sondern man läßt ihn ungehindert eine Kirche, ein Kloster, oder eine andere Freystäte erreichen, woselbst man hernach dem Bösewichte, zu Ehren der heiligen Stäte, allen Vorschub zu seiner sichern Flucht und Rettung von der weltlichen Obrigkeit angedeihen läßt. Ich erinnere mich, daß in Pistoja ein Postillon, der mich fuhr, in einer Stube des Posthauses schelmischer Weise mit einem Messer erstochen wurde, ohne daß jemand unter mehr als zehn Personen, die gegenwärtig waren, sich die geringste Mühe gab, den Thäter anzuhalten.

Die gemeinsten vicentinischen Bürger sollen in Unterschriften von Contracten und dergleichen Documenten den Titel von Comte Vicentino ihrem Namen beyschreiben, und gründet sich solches Recht auf die Antwort, welche, wie man vorgiebt, Karl der fünfte gegeben, als er einsmals in Vicenza um des ungestümen Anhaltens vieler reichen Bürger, welche die gräfliche Würde verlangten, los zu werden, im ScherzeTodos Contes gesagt1. Rand links: Ob alle Bürger zu Vicenza Grafen sind?

Der Apotheker della Vale, so alia Piazza wohnet, besitzt eine schöne Sammlung von Petrefactis, und sonderlich von veronesischen Fischen. Rand links:Petrefacta. Liebhaber dieser natürlichen Merkwürdigkeiten sammlen an vielen Orten des vicentinischen Gebiethes Pectunculos striatos, Echinos und Chelonites. Insonderheit finden sich auf dem so genannten Kreidenberge Conchitæ bivalves, Tellinitæ, Musculitæ, Buccinitæ, Turbinitæ per longum & transversim striati, Pectinitæ auriti, Pectinitæ cum striis latissimis distincti, Pectunculi leviter striati, Echini, Cochloites, vertebræ piscium etc. Von dem Kapuzinerberge nahe bey Schium, so nach[1038] Nordwesten und gegen die Gränzen von Trident liegt, hat man Echinitas discoideos, Chelomtes, Pectines und Gagates.

Von Schio noch weiter gegen Norden, findet man an einem Berge, il Monte Summano genannt, öfters Münzen und Alterthümer. Rand rechts: Monte Summano. Den Namen des Gebirges leiten einige von seiner Höhe her, andere aber von einem Tempel Plutons, dessen rudera man noch auf demselbigen, wie nicht weniger folgende Inscription finden soll: Plutoni Summano aliisque Diis Stigiis. (FABRETT. Inscript. p. 87). Rand rechts: Vom Plutone Summano. Ein abgebrochenes Stück von einem Altare, welches Plutoni Summano geheiligt und zu Vicenza in S. Maria in Monte gewesen, führet GRVTERVST. I, P. MXV, n. 7 an.Summanus scheint dem MACROBIO und Martiano CAPELLAEde Napt. Philo Log. lib. 2 für Summo oder Principe Manium gesaget zu seyn; daß es aber ein Beynamen Plutonis sey, ist noch nicht ausgemacht, und können sie gar wohl als zwo besondere Gottheiten angesehen werden. OVIDIVS, der die Fabeln der heydnischen Theologie wohl innen hatte, muß selbst nicht gewußt haben, was er aus Summano machen soll, weil er Fastor. lib. VI, v. 731 setzt:


Reddita, quisquis is est, Summano templa feruntur,

Tunc cum Romano, Pyrrhe, timendus eras.


Von Vicenza bis Padua sind achtzehn italienische Meilen in einem fruchtbaren und ebenen Lande. Rand rechts: Weg von Vicenza nach Padua. Man kann auch zu Wasser vermittelst des Bachiglioni oder Medoace minoris von einem dieser zween Orte zum andern kommen; allein dieses geht langsam und beträgt die Weite sechszig italienische Meilen.

Vicenza, den 3 May

1730.

Fußnoten

1 Da Karl der fünfte denen Bürgern zu Vicenza keine Einkünfte angewiesen, woher sie ihren gräflichen Staat führen könnten: so darf man sich über den Ursprung des Sprüchworts nicht verwundern: Permultos Comites Vincentia nutrit egenos.


Quelle:
Johann Georg Keyßler. Neueste Reisen durch Deutschland, Böhmen, Ungarn, die Schweiz, Italien und Lothringen. Theil 2. Hannover 1751, S. 1039.
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