[1086] Drey und siebenzigstes Schreiben.

Anmerkungen von der Stadt Venedig, ihren Opern, Carnaval und andern Ergötzlichkeiten.

Mein Herr!


Von Padua bis Venedig werden fünf und zwanzig italienische Meilen gerechnet, welche man in acht Stunden zurück leget. Rand links: Barken von Padua nach Venedig. Die Barken, deren man sich hiebey bedienet, sind bequem eingerichtet, mit Fenstern und Bildhauerarbeit versehen und angemalt. Man bezahlt höchstens einen Louis d'or, wenn man ein solches Fahrzeug,Brucello oder Burchiello genannt, für sich oder seine Gesellschaft allein miethet. Man bleibt bis un die Lagune[1086] auf einem Canale und dem Flusse Brenta1, welcher vermittelst vier Schleusen zu solcher Fahrt bequem gemacht ist, und die Gelegenheit hat, daß die Barken mit Pferden gezogen werden können, wie in Holland mit den Treckschnyden geschieht. Die Fahrt ist angenehm, sonderlich wegen der Aussichten, die das Auge allenthalben ergötzen. Sobald man nur zwo italienische Meilen von Padua zurück geleget hat, findet sich linker Hand ein schönes Gebäude und angenehmer Garten, so einem, der den Namen Giovanelli führet, gehöret. Rand rechts: Garten des Giovanelli. Eine Allee von Cypressen, gute Hecken, mit Laubwerke bedeckte Kabinette und eine große Anzahl von wohlgearbeiteten Statuen geben dem Garten keine geringe Zierde. Drey Meilen von dannen kömmt man an des Pisani Garten, welcher außer den borromäischen Inseln der schönste ist, welchen ich mich in Italien gesehen zu haben erinnere, weil ich nicht von den kostbaren Gebäuden, die in den römischen Gärten zu finden sind, rede, sondern einzig und allein von der Anordnung des Gartens selbst. Rand rechts: Garten des Pisani. Vermuthlich übertrifft mit der Zeit dieser pisanische Garten viele andere auch an Pracht der Gebäude, wenn der Bau davon unternommen wird. Itzt muß man sich noch begnügen mit schönen Aussichten, Irrgärten, Theatern, Hecken, Galerien von Limonen, Portalen und vortrefflichen Statuen. An diesem Garten wird erst seit zwanzig Jahren gearbeitet und unglaubliches Geld gewendet.

Der fünf Meilen noch weiter gegen Venedig hin liegende Garten des Veneri würde für angenehm paßiren können, wenn man den pisanischen nicht vorher gesehen hätte. Rand rechts: Garten des Veneri.

Fünf italienische Meilen vor Venedig fängt die See an, in welcher man aber zur Zeit der Ebbe fast allenthalben den Boden mit Stangen erreichen kann. Rand rechts: Lagune. Man kann auch aus der Fläche des Wassers urtheilen, wo die Fahrten (so fleißig aufgeräumet werden müssen) gehen. Die etwas großen Barken werden hier an ein kleines Boot, das voraus rudert, vermittelst eines Strickes verknüpfet, und aus der Barke selbst giebt man mit Ruderstangen einige Hülfe. Die hier und da in der See aufgerichtete Balken oder Seulen deuten die zu vermeidende seichte Gegenden an. Auf der Mittagsseite von Venedig hat die See eine mehrere Tiefe, sonderlich in gewissen Fahrten; vollbeladene große Schiffe aber können nirgends bis an die Stadt laufen, welches nicht wenig zu dieses Ortes Sicherheit beyträgt. Auf der Seite gegen das Land braucht man alle Sorgfalt und ersinnliche Mittel, damit aus der seichten Gegend nicht mit der Zeit ein fußfestes Land werde, und mithin die Stadt den Vortheil ihrer sichern Lage verlieren möge, wie ihr LucasGAVRICVS prophezeihet hat, wenn er unter andern schreibt: Rand rechts: Gauricus Prophezeihung von der Stadt Venedig.


E pelago emergens tellus fœcunda colonis

Præbebit miseris alimenta e frugibus altis

Nec nautæ pisces capient in litore sicco.

Sed varios pueri flores & gramina pingues

Læta boves, hasta non remis pulchra uventus

Certatim ludent, mœsto spectmte Senatu.


Dieses ist auch die Ursache, warum man einen Theil der Brenta magra durch einen Canal mehr nach der Mittagsseite abgeleitet hat, weil man hoffet, es werde hiedurch weniger Sand von dem Strome in die so genannte Laguna geführet werden.

Sannazar hat die Lage der Stadt in den sechs folgenden Versen beschrieben, und von der Republik Venedig für jeden Vers hundert Louis d'or zum Geschenke erhalten.
[1087]

Viderat Adriacis Venetam Neptunus in undis

Stare urbem, & toti ponere jura mari.

Nunc mihi Tarpelas quantumvis Jupiter arces

Objice, & illa tui mœnia Martis, ait.

Si Pelago Tiberim præfers, Urbem aspice utramque,

Illam homines dices, hanc posuisse Deos.

Rand links: Sannazars Verse zum Lobe der Stadt Venedig.


Ehemals las man auch in der Kirche St. Marci folgendes Gespräch zwischen einem Fremdlinge und einem alten Manne, deren jener mit dem BuchstabenA, als Advena, rem S. als Sene unterschieden wird. Rand links: Von einem andern Lobe der Stadt.


A. Die antique Senex Venetæ quis conditor Urbis?

SJupiter. Aunde arces?SAttica. A. Scorta?S Venus.

A. Mœnia?SNeptunus. A. nummi?SDido. A.Bellica?SMavors.

A. Artes?SMercurius. A. jura?SMinerva dedit.

Non mirum est si altas inter caput exhibet urbes,

Quam tot cœlestes composuere Deæ


Es hat aber OctaviusFERRARIVS mit nicht weniger Kunst in der Prolusione XXVII, de Veneta Mumficentia, seine Gedanken in ungebundener Redefolgender Gestaltaus gedrücket: Urbis ipsius, veluti terris marique, ambigui loci lege, exemptæ, utriusque arbitræ, situs mirabilis vel ipsis civibus nihil admirantibus. Innatans profundo moles atque instabili elemento æternitatis æmula compago, scandentes æquore arces, tecta cœlo minantia, ac multiplici contignatione Urbs urbi imposita: nudata mœnibus Sparta, virorum robore, sed magis concordia munita: fluentibus muris ac reciproco undarum aggere vallata: humili vadorum, turrium minas æquantium fossa cœcisque brevibus inaccessa: intercurrentibus rivis veluti venis, torpentis stagni gravitas eventilata, ac mille pontium nexu pars altera rerum telluri juncta: eremigata continens, inambulatum pelagus, atque iisdem emissariis, extremis terrarum finibus admota civitas, navigabili gentium commercio, atque hospitali litorum omnium adpulsu fertilis: rursus rerum toto orbe nascentium mercator Oceanus se urbis meditullio insinuans, ut, ubi nihil nascitur, nihil desit: alter veluti cymbarum populus, ac pensilibus thoris, impulsæ lacertis rostratæ lecticæ.

Etliche Inseln, als da sind S. Erasmo, il Lido di Palestrina und il Lido di Malamocco dienen der Stadt zum Schutze wider die Wellen des Meeres. Rand links: Il Lido di Malamocco. Muscheln und Meercreaturen. Pulmo marinus. Letztgenannte Insel liegt zwo italienische Meilen von der Stadt, ist sehr schmal und etwa vier bis fünf italienische Meilen lang. An ihrem Ufer nach der See finden sich vielerley Muscheln, Seegewächse und andere Meercreaturen. Insonderheit habe ich den pulmonem marinum virgamm, der als ein weißer Schleim oder als eine gelée mit braunen und gelben Strichen aussieht, in ansehnlicher Größe daselbst angetroffen. An vielen Muscheln ist eine Art von Meergrase, Fucus marinus genannt, an andern auch die sogenannte Lactuca marina festgewachsen. Rand links: Fucus marims. Rand links: Lactuca marina. Sowohl diese als andere Muscheln kann man gar sauber machen und reinigen, wenn man sie in Eßig leget, und hernach die darauf sitzende grobe oder schwarze Schale mit einem Messer ablöset. Rand links: Wie die Muschelschalen gereiniget werden? Ich halte mich bey der Beschreibung dieser kleinen Inseln destoweniger auf, weil Joh. Jerem. Zannichelli ein eigenes Werk von der Historia Naturali derselben hinterlassen hat, welches sein Sohn Joh. Jakob Zannichelli in kurzem herauszugeben gedenket. Rand links: Zannichelli Hist. natural. dieser Inseln. Von diesen beyden Männern werde ich meinem Herrn besser unten noch einige Nachrichten ertheilen. Es verdienet auch des Trevisani Werk della[1088] Laguna di Venezia, welches im Jahre 1715 in 4 allhier herausgekommen ist, gelesen zu werden.

Die Saffes oder Visitatores und Zöllner halten in dem Lacune hie und da fleißige Wache, damit keine verbothene oder unverzollete Waaren in die Stadt gebracht werden. Rand rechts: Visitatores. Sie scheuen sich aber sehr vor den Deutschen, von welchen ihnen nicht jederzeit allzuglimpflich begegnet worden, und sind sie insbesondere gar behutsam, wenn man seine eigene Barke hat. Allenfalls kann man mit einem geringen Trankgelde von allem Verdrusse abkommen.

Es ist nicht zu leugnen, daß die zerstreuet liegende Inseln und die mitten aus dem Wasser hervorragende Kirchen und Gebäude der Stadt von weitem ein prächtiges Ansehen geben, auch die an den meisten Orten unmittelbar an die Häuser stoßende Canäle einem Fremden desto wunderbarer vorkommen, je weniger man dergleichen anderswo zu sehen bekömmt. Rand rechts: Prospect der Stadt. Indessen, wenn man den St. Markusplatz und etliche wenige andere Oerter ausnimmt, so thut man der Stadt nicht allzugroßes Unrecht, wenn man saget, sie sey in Vergleichung vieler anderer gar nicht schön. Rand rechts: Ihre Hauser. Absonderlich sind die Häuser von schlechter Baukunst und haben hierinnen die Grachten oder Canäle von Amsterdam einen großen Vorzug vor Venedig. Rand rechts: Vergleichung mit Amsterdam. Il Canale maggiore hat zwar seine Schönheiten von der großen Breite und etlichen daran stehenden Häusern, die etwas besser als die andern gebauet sind; allein die übrigen Canäle sind desto schlechter, krumm und enge, haben auch die Beschwerlichkeit, daß sie im Sommer wegen des vielen Unflats, der hereinkömmt, übel riechen. Rand rechts: Canäle. Man hat zwar auch in der Stadt die Veränderung der Ebbe und Fluth, welche etwas später als alle sechs Stunden abwechselt und in der Höhe des Wassers ordentlicher Weise einen Unterschied von vier bis fünf Fuß machet; allein dieselbe ist nicht hinlänglich, die kleinen Canäle gehörigermaßen auszuspülen, und habe ich etliche mal bemerket, daß kleine Bündel Stroh oder andere auf dem Wasser schwimmende Dinge in zween bis drey Tagen kaum dreyßig bis vierzig Schritte von der Gegend, woselbst sie anfänglich gelegen, weggebracht worden. Rand rechts: Ebbe und Fluth. Das Wasser ist auch gar nicht hell, sondern von dunkler Farbe.

Die Gondoln gehen zwar sehr geschwinde, sind aber übrigens ein trauriges Fahrzeug, weil sie schwarz angestrichen und mit schwarzem Tuche oderSerge beschlagen sind. Rand rechts: Gondoln. Es können nicht über vier oder fünf Personen darinnen sitzen, und weil man nicht aufgerichtet seyn kann, so ist es nicht viel anders, als wenn man in einen Sarg hinein kriechen müßte. Man zahlt täglich sieben bis acht Lire für eine Gondol, ausgenommen am Himmelfahrtstage, da man ein mehrers geben muß. In demFond der Gondol ist die linke Hand die vornehmste, weil der vorderste Ruderer auf der rechten Hand sitzt und dadurch demjenigen, der auch auf dieser Seite ist, die freye Aussicht benimmt. Die Gondoliers wissen einander mit großer Geschwindigkeit auszuweichen, und dienen ihnen die Worte stacando oder stali zur Losung, wenn der andere ihnen entgegen kommende rechter Hand von ihnen halten soll; premando aber oder premi, wenn er nach der linken sich zu wenden hat. Es ist sogar auch den Nobili verbothen, sich anderer als schwarzer Gondoln zu bedienen, damit die Begierde, einander am Prachte dieser Fahrzeuge zu übertreffen, nicht zu vielen unnöthigen Ausgaben Gelegenheit geben möge. Den neuvermählten Damen der Nobili wird allein im ersten und andern Jahre ihres Ehestandes mehrere Freyheit gegönnet. Den Fremden würde zwar frey stehen, ihr Geld sowohl mit kostbaren Gondoln als der dazu gehörigen Equipage nach Gefallen zu verzehren; allein dieselben bleiben selten so lange Zeit hier, daß es rathsam wäre, auf diese besondere Einrichtung bedacht zu seyn. Es sind dannenhero die Gesandten die einzigen,[1089] welche sich mit kostbaren Gondoln von andern unterscheiden und in selbigen auch ihren Einzug halten. Es ist an solchen weder Malerey und Bildhauerkunst noch Verguldung gesparet.

Die Canäle durchschneiden die ganze Stadt; allein man kann auch vermittelst der kleinen Brücken (deren über fünf hundert gezählet werden), und wenn man keinen Umweg scheuet, gar weit zu Fuße herum gehen. Rand links: Brücken. Die meisten Häuser, welche unmittelbar am Wasser liegen, haben auf der andern Seite auch ihre Thüren, woraus man zu Fuße nach den benachbarten Plätzen kommen kann. Rand links: Straßen. Diese Straßen aber sind gar enge, und wenn es geregnet hat, seht schlimm zu gehen, weil man wegen der breiten und glatten weißen Steine, womit sie beleget sind, gar leicht fällt. Absonderlich hat man alsdann sich auf den Brücken, so fast alle zusammen ohne Geländer sind, und ihre Treppen von obgedachten Steinen haben, wohl vorzusehen.

Es zielet mit auf dieselben das Sprüchwort, nach welchem man sich in Venedig vor vier P. nämlichPietra bianca, Putana, Prete und Pantalone in Acht zu nehmen hat. Rand links: Was an Venedig auszusetzen. Vier P. Das letzte P. deutet entweder auf die Gaukler und Quacksalber, oder auf die Nobili, weil das gemeine Volk in seinen groben Reden sie mit dergleichen Namen zu belegen pflegt. Man tadelt insgemein auch in Venedig die Menge derjenigen, so in der Regierung zu sprechen haben; die vielen und starken Donnerwetter, welche sich des Sommers eräugen, und die allzu große Menge der Festtage: troppo teste, troppo feste, troppo tempeste.

Etliche rechnen sechszig, andere aber zwey und siebenzig Inseln, aus welchen die Stadt Venedig bestehen soll; allein wenn man alle Plätze, die nach und nach in den Lacunen erhöhet und durch Pilotirung des Grundes zu Aufführung einiger Gebäude geschickt gemacht werden, für Inseln rechnen wollte, würde die Zahl derselben noch viel höher hinanreichen. Rand links: Anzahl der Inseln. Etliche Theile der Stadt sind vermuthlich vom Anfange her und ohne Zuthun der menschlichen Hülfe Inseln, oder auch diese ganze Gegend voralters fußfestes Land gewesen, weil man nicht absehen kann, woher die daselbst befindliche Quellen von süßem Wasser ihren Ursprung haben sollten, wenn der Grund und Boden nur durch Menschen Hände in das salzige Seewasser gelegt worden wäre. Rand links: Woher die Quellen von süßen Wasser kommen? Müssen dannenhero die Adern des süßen Wassers aus dem gebirgichten fußfesten Lande ihre Feuchtigkeit hieher bringen, weil auf den Inseln der Stadt selbst keine Hügel oder auch nur so viel unbebaueter Platz ist, auf welchem sich der Nebel, der Thau oder das Regenwasser sammeln und in unterirdische Gänge durchfeigen könnte. Man zählet in Venedig bey zwey hundert Brunnen; allein das Wasser ist in gar wenigen gut, und sammlet man daher in vielen Privathäusern den Regen in Cisternen, welche man auch mit Flußwasser aus der Brenta füllet. Rand links: Cisternen. Wasser zur Beckerey auf der Insel St. Helena. Auf der Insel St. Helena ist ein wasserreicher Schöpfbrunnen, welcher der daselbst angelegten Beckerey dcs Biscuits für die Land- und Seetruppen große Dienste leistet. Der Rocken taugt nicht wohl dazu, sondern man nimmt schlechten Weizen und auf jeden Stair Mehles ein halbes Pfund Salz. Ob es gleich aus Weizen gemacht wird, so ist es doch sehr schwarz. Es arbeiten beständig sechszig Mann in dieser Beckerey, und werden dazu sechs und vierzig Oefen gebraucht. Das Brodt oder Biscuit hält sich über dreyßig Jahre. Die ganze Gegend um die Insel St. Helena ist sehr seicht, und das Meer an etlichen Orten kaum eines Fußes tief, daher[1090] man sich viel Mühe giebt, den sich mehrenden Schlamm mit besondern Maschinen herauszubringen.

Wenn man Brodt mit Seewasser bäckt, so ist solches zwar anfänglich eßbar; allein es wird mit der Zeit so bitter, daß man es nicht genießen kann. Rand rechts: Anmerkung über die Bitterkeit des Seewassers. Vossius war der Meynung, es sey das Wasser des Meeres nahe am Grunde und in der Tiefe nicht so gesalzen, als bey seiner obern Fläche; allein die Erfahrung hat das Gegentheil gelehret, nachdem man solche Gefäße tief hinunter gelassen, welche man erst, nachdem sie den Grund erreichet, öffnen und wieder zuschließen können2. Wäre Vossius Meynung gegründet gewesen, so hätte die Schiffahrt großen Vortheil in leichterer Erlangung des trinkbaren Wassers erhalten können: Allein da der salzige Geschmack und die Bitterkeit des Meerwassers zur Hauptursache die Auflösung der salzigen und harzigen Stratorum oder Bänke hat; so kann es nicht anders seyn, als diese zwo Eigenschaften müssen immer zunehmen, je mehr sich das Wasser seinem Grunde nähert. Der salzige Geschmack hat die Oberhand, weil das Salz eher als das Harz vom Wasser aufgelöset wird.

Man rechnet den Umfang der Stadt auf sechs italienische Meilen, und braucht man ungefähr zwo Stunden, um sie völlig mit einer Gondol zu umfahren. Rand rechts: Umfang der Stadt. Die Anzahl der Einwohner wird auf zwey mal hundert tausend Seelen geschätzet, die Inseln Murano, la Giudeca und was sich auf den Schiffen aufhält, mit darunter begriffen. Rand rechts: Anzahl der Einwohner.

Die berühmtesten Wirthshäuser sind l'Aquila nera, il Lione bianco und il Scudo di Francia. Rand rechts: Wirthshäuser. Es ist aber daselbst etwas theuer zu zehren. à S. Giorgio ist seit einem Jahre eine gute Gelegenheit für Fremde angeleget, da man täglich für zwey Zimmer und zwo Mahlzeiten nur sieben Lire3 giebt, und wenn man bisweilen außerhalb speiset, drey Lire abzieht. Für den eigenen Diener wird die Hälfte bezahlt. Ein Miethlakey kostet täglich in allen drey Lire. Rand rechts: Weine. Der Wein, welchen man in den Wirthshäusern bekömmt, ist schlecht; es handeln aber einige Klöster mit verschiedenen Weinen, und giebt es viele andere Keller, woraus man sich versorgen kann. Absonderlich finden die Liebhaber von starken Weinen, dergleichen il Vino di Malaga, di Malvasia, di Cypro, di Capo d'Istria, und andere sind, Gelegenheit ihren Geschmack zu vergnügen.

Wer sich außerordentlich speisen lassen will, und einen guten Koch bey sich hat, kann eine sehr gute Tafel halten, weil sowohl von Gartengewächsen als andern Eßwaaren eine große Menge aus der Terra ferma zugeführet wird. Rand rechts: Eßwaaren. Insbesondere giebt sowohl die See als die in den Golfo sich ergießende Flüsse eine reiche Abwechselung von guten Fischen, Krebsen, Muscheln und Austern, welche letztern zwar groß genug sind, am Geschmacke aber den holländischen und englischen nicht beykommen. Rand rechts: Austern und Fische. Ihr Fleisch ist gar weich, und die Gegend um das Arsenal, woselbst sie in großer Menge gefangen werden, also beschaffen, daß man nicht allzuviel auf die Reinlichkeit gedenken darf, wenn man solche Austern mit Appetit essen will. Indessen kommen ihrer auch viele von der Insel Murano. Ich kann nicht umhin, die vornehmsten Gerichte, welche aus der See und den Flüssen, ob gleich nicht auf einmal und zu jeder Jahreszeit, in Venedig auf den Tisch geliefert werden können, allhier einzurücken:

1) Albero; 2) Anguilla; 3) Angusigola; 4) Asiato; 5) Astaca; 6) Astado; 7) Baraccola; 8) Barbone; 9)Baicolo; 10) Bobba; 11) Bosegua; 12) Brancino;[1091] 13) Calamareto; 14) Calamara; 15) Cappa dentale; 16) Cappa longa; 17) Cappa Santa; 18)Capparazzolo; 19) Cappari; 20) Chieppa graffa; 21) Chieppa di Po; 22) Cievolobottolo; 23) Cievolo Bosega; 24) Cievolo Caostello; 25) Cievolo Detregon; 26) Cievolo Volpin; 27) Coppesa; 28) Corbetto; 29) Dentale; 50) Gambari; 31) Gambarelli; 32)Gò; 33) Grancio; 34) Granceolla; 35) Granciporo; 36) Latticioli; 37) Lizza; 38) Lucerna; 39) Luccio; 40) Luccio da Latte; 41) Masenetta; 42) M. rsiono: 43) Menola; 44) Molecca; 45) Molli da Paraguai; 46) Morona fresca; 47) Orada di Canale; 48)Orada di Porto; 49) Orada di Valle; 50) Orada vecchia; 51) Ostrica; 52) Paganello; 53) Panocchia segnata; 54) Panocchia col corallo; 55) Passara; 56)Passarino da Latte; 57) Peverazzo; 58) Poressa; 59) Raina; 60) Rombo; 61) Sardella; 62) Sardellina; 63) Sardone; 64) Schiia; 65) Seppa; 66) Seppolina; 67)Sfoglio; 68) Sgombro; 69) Soazo; 70) Sparo; 71)Sturione; 72) Suro; 73) Tenca; 74) Ton; 75) Variolo; 76) Verzelato; 77) Volpino. Rand links: Reichthum der adriatischen See an Fischen. Carnavalsergötzungen. Die Küste von Neapolis wird unter die fischreichsten von Italien gerechnet, indessen aber pflegt man doch zu sagen, daß zu Venedig in einem Monate mehr Fische, als zu Neapolis in einem ganzen Jahre gefangen werden.

Was die Ergötzlichkeiten, deren die Fremden in dieser Stadt genießen, anlangt, so setzet man zwar insgemein das Carnaval oben an; ich zweifele aber, daß dasselbe solchen Rang behaupten würde, wenn ein unparteyischer Richter den Ausspruch thun sollte.

Junge Leute, die nur in sündlicher und ausgelassener Freyheit ihren Zeitvertreib suchen, finden zwar hier Gelegenheit genug, ihre Begierden, wo nicht zu sättigen, jedoch wenigstens zu ermüden; allein diese Gelegenheit fehlet ihnen auch zu anderer Zeit, und sonderlich um das Himmelfahrtsfest nicht, ist auch also beschaffen, daß man alle Schamhaftigkeit auf die Seite gesetzt haben muß, wenn man an solcher wilden Lebensart Belieben finden will. Die Curtisanen, welche mit großer Unverschämtheit ihre Dienste anbiethen, sind öfters solche cloacæ publicæ, welche wegen ihres lüderlichen Lebens und Spitzbübereyen in den benachbarten kaiserlichen Erbreichen des Landes verwiesen worden, und öfters die Kennzeichen der Ruthe oder des Galgens noch auf dem Rücken führen. Rand links: Curtisanen. Aus den Maskeraden machen zwar die Italiener überhaupt ein großes Wesen, und geht man gemeiniglich die ganze Zeit des Carnavals über (die Vormittage der Freytage bis auf den letzten, an welchem die Larven erlaubt sind, ausgenommen) verkleidet; allein solche Vermummelungen laufen gemeiniglich auf eines hinaus, und begnügt man sich öfters nur einen Schlafrock oder Mantel anzulegen, und eine Maske vor das Gesicht zu nehmen. Rand links: Maskeraden. Der viele Gebrauch der Masken verursachet, daß man zu solcher Zeit wenige Bekanntschaften machet, auch wenig oder nichts von Merkwürdigkeiten besieht, sonderlich da es verbothen ist, verkleidet in die Kirchen oder Kloster zu gehen. Die Jahreszeit des Carnavals ist auch also beschaffen, daß man wegen des oftmaligen Regens, Frostes und Schnees und der davon entstehenden Flüsse, Husten und Schnuppen öfters das Zimmer hüten muß, wenn man sich der Gefahr von schlimmen Fiebern nicht unterwerfen will.

Der Redoute sieht man sich bald satt, und läßt es der meisten Reisenden Beutel nicht zu, sich viel in das Spiel zu mischen, zumal da man mit ganz ungewöhnlichen Karten spielet, und es etwas gar rares wäre, wenn ein Fremder sich rühmen könnte, daß er hiebey großen Vortheil gehabt habe. Rand links: Redoute. Es ist in dem Redoutenhause niemanden als den Nobili erlaubet, banco zu halten, und sitzt bey jedem Banquier eine oder zwo maskirte Damen, welche das Recht haben, ihn zu erinnern, wenn er etwas zu seinem Schaden versehen sollte.[1092]

Die Banquiers sind ohne Masken, die Pointeurs aber behalten dieselbe vor dem Gesichte. Der Eingang in die Redoutenzimmer wird keiner Maske versagt, und ist daher leicht zu erachten, in was für einem Gedränge man sich gemeiniglich befindet. Der allgemeine Sammelplatz der Thorheiten ist währenden Carnavals auf dem St. Markusplatze, allwo auch die Marerschreyer und andere aufs Geld der Einfältigen laurende Müßiggänger ihre Schaubühnen aufgeschlagen haben. Rand rechts: Carnavalslust auf dem St. Markusplatze. Die abgeschmackteste Figur machen die alten Weiber oder Männer, so auf einem Tische sitzen und als Oracula um Rath über den Ausgang künftiger Dinge berathfraget werden. Rand rechts: Astrologi und Wahrsager. Damit solches unter dem großen Haufen Volkes mit desto mehrerer Sicherheit und Beybehaltung des Geheimnisses geschehen möge, bedienen sie sich eines langen eisernen Sprachrohres, dessen Mundloch sie dem Fragenden hinreichen, damit er ihnen mit leiser Stimme scin Anliegen entdecken könne, welches siebey der weiten Oeffnung des Rohres deutlich vernehmen. Hingegen wenn Antwort ertheilet wird, hält der Fragende sein Ohr an den sich öffnenden Trichter des Sprachrohres. Man kann ohne Lachen nicht ansehen, wenn bisweilen noch blöde junge Mägdchen sich diesen Wahrsagern nähern und mit vieler Furcht und noch etwas Schamhaftigkeit, wie man aus ihren Minen und Gebärden urtheilen kann, nach ihrem Schicksale in Liebesangelegenheiten sich erkundigen. Um sich in desto mehrern Credit zu setzen, haben diese Wahrsager etliche schlechteGlobos oder astronomische Instrumente auf ihren Tischen stehen. Es mangelt sogar nicht an Priestern und Pfaffen, welche mit vielem Vertrauen öffentlich ihre Zuflucht zu dergleichen Leuten nehmen.

An denen Galerien, die um den Markusplatz gehen, sind verschiedene Coffehäuser, worinnen sich die Fremden häufig einfinden. Rand rechts: Coffehäuser. Warum man sich nicht darinnen setzen kann? Ehemals konnte man sich darinnen setzen und mit aller Bequemlichkeit Unterredungen pflegen; allein dieses geht nun nicht mehr an, weil keine Bänke und Stühle ferner darinnen geduldet werden, nachdem es ausgekommen, daß des kaiserlichen Gesandten Balognos Sohn sich dieser Gelegenheit und der Masken bedienet, währenden Carnavals mit verschiedenen Nobili sich allhier zu unterreden.

Uebrigens ist der Gebrauch der Masken nicht nur in der Carnavalszeit, sondern auch bey verschiedenen andern Gelegenheiten verstattet, z. E. an den vier Tagen, da die Republik ihre öffentliche Banquette giebt; wenn Regatten oder andere dergleichen Ergötzlichkeiten ausländischen Prinzen zu Ehren angestellet werden; Wenn Nobili Hochzeir machen, Procuratores S. Marci und Patricii erwählet werden oder ihr Amt antreten. Rand rechts: Gelegenheiten zu Maskeraden. Desgleichen wenn Gesandte, der Patriarch, oder der Primicerio etc. ihren Einzug halten.

Das venetianische Frauenzimmer erwartet alle solche Gelegenheiten mit großem Verlangen; allein die Männer sind nicht weniger auf ihrer Hut, um vor unanständigen Zierrathen ihrer Stirn befreyet zu bleiben, und ist es niemanden zu rathen, sich mit den verführerischen Sirenen weit einzulassen, weil solches öfters mit dem Leben bezahlet werden muß. Indessen gleichwie der Umgang mit dem Frauenzimmer in Italien sich seit dem Anfange dieses Jahrhunderts überhaupt sehr verändert hat, also ist dieses auch in Venedig geschehen, indem man nicht nur ehrbaren Damen des Morgens, da sie noch nicht in ihrem Staate sind, Visiten geben, sendern sie auch mit anderer Gesellschaft zu Gaste haben, oder in Wirthshäusern Piquenies anstellen kann4. Rand rechts: Umgang mit dem Frauenzimmer. Ja es kömmt schon so weit, daß Gesellschaften von beyderley Geschlechte zusammen treten und bey Tanzmeistern Bälle geben. Allein dieses sind keine Gelegenheiten, woran Fremde leicht Theil nehmen können, sondern es gehöret[1093] eine vorhergegangene lange Bekanntschaft dazu, wenn man solcher Freyheiten mit genießen will.

Am letzten Donnerstage des Carnavals, an welchem die ausgelassene Freyheit am höchsten getrieben wird, hätzet man hie und da in den Straßen, wie auch auf dem Markusplatze Ochsen. Rand links: Beschluß des Carnavals. Man kann aber dergleichen Feste de'Tori auch außer der Carnavalszeit alle Freytage Vormittags bey den Fleischbänken ansehen.

Die italienischen Komödien sind überhaupt gar schlecht, und hat man sich auch von den venetianischen nicht vieles zu versprechen. Rand links: Komödien. Die ganze Absicht der Acteurs geht nur dahin, die Zuhörer lachen zu machen; und um solchen Endzweck zu erreichen, sparet man weder abgeschmackteGrimacen und Stellungen noch grobe Zoten.

Unter die vornehmsten Ergötzlichkeiten sowohl des Carnavals, als der Himmelfahrtszeit, ist die italienische Opera zu rechnen, von welcher überhaupt ich meinem Herrn noch nichts berichten wollen, bis ich auch die hiesige Musik gehöret hätte. Rand links: Opera. Es ist nicht zu leugnen, daß in diesem Stücke die Italiener alle Nationen übertreffen, und ist es nicht zu verzeihen, wenn die Franzosen ihre Opernmusik mit der italienischen in Vergleichung bringen wollen. Rand links: Vergleichung der italienischen Opera mit der französischen. In Paris sind die Decorationes des Theaters sehr schön, die zwischen den Acten unterlaufende Tänze und Bälle vortrefflich; die Franzosen geben ihren Recitativen eine mehrere Annehmlichkeit, indem sie solche mehr nach der Art von Arien einrichten, sie gebrauchen sich auch des Chores und der Duetten mehr als die Italiener. Dieses alles sind Sachen, worinnen die Italiener von jenen noch etwas gutes annehmen könnten; allein was die Composition und absonderlich die Execution selbst anlanget, bleiben die Franzosen weit zurück. Dieser ihre Arien sind meistentheils als Chansons à boire eingerichtet, und mit so wenigen Veränderungen gesetzet, daß man fast glaubet, man höre immer einerley. Die Semitonia oder Transitiones von einem Tone zum andern werden von den Sängerinnen allzulang ausgedehnet, auch dabey gemeiniglich mit einem Triller oder Tremulanten auf der letzten Sylbe begleitet. Wenn eine neue Opera aufgeführet wird, und die Franzosen gleich des andern Tages eine Arie nicht mit singen können, so gefällt sie ihnen nicht. Mit den Arien des italienischen Theaters aber verhält es sich ganz anders, und obgleich die Nation eine große Neigung und natürliche Geschicklichkeit zur Musik hat, so gehöret doch mehrere Zeit dazu, um ihrer Sänger und Sängerinnen künstliche Arien nachzuahmen, ja manche Stücke des Farinelli und der Faustina müssen auch von den geschicktesten Stimmen ungesungen bleiben. Vielleicht treiben die Italiener die Freyheit, welche sie ihren Vocalisten geben, um nur ihre Kunst sehen zu lassen, allzuweit, und würde erst diejenige Opera gut seyn, welche aus der italienischen und französischen Singart zusammen gesetzt wäre. An der Instrumentalmusik ist in Paris nichts auszusetzen, und findet man die trefflichsten Meister daselbst. Guignon, ein Italiener, hat wenige seines gleichen auf der Violin; Demarets und Battiste sind vortrefflich auf der Viola di Gamba; Blavet auf der Flûte traverse, und Fabio auf der Archi-Lute.

Unter den Sängern in Italien machet heut zu Tage niemand dem Carlo Broschi detto Farinelli, sowohl was die fertige Geschmeidigkeit der Gurgel, als die Schönheit der Stimme antaagt, den Rang streitig. Rand links: Von dem Sänger Farinelli. Er hat ohne fistuliren drey und zwanzig ganze Tone in seiner Gewalt, und weil sich niemand erinnert, seines gleichen jemals gehöret zu haben, so ist man auf die Gedanken gerathen, daß dieses eine außerordentliche Gabe der heil. Jungfrau Maria sey, welche sie der Mutter des Farinelli für die sonderbare Aadacht, so diese beständig zu ihr getragen, als eine außerordentliche Gnadenbelohnung an ihrem Kinde verheißen und gegeben[1094] habe. Er ist erst zwey und zwanzig bis drey und zwanzig Jahre alt, und kann es also in seiner Wissenschaft noch sehr hoch bringen.

Nach ihm verdienet unter den Sängern in Italien Giovanni Carestini wegen seiner Manieren und starken Stimme das meiste Lob, und folgen ihm Senosino, Giacimo Fontana detto Farfarello, Gaetano Majorano detto Caffarello, Angelo Amerovoli, Nicolini, Gaetano Valetta di Milano etc. welches lauter Leute sind, denen die Natur die Zierde des Bartes versaget hat. Rand rechts: Carestini etc. Dieser Mangel nebst der klaren und weibischen Stimme machet, daß es anfänglich gar fremde vorkömmt, wenn solche glatte Gesichter auf das Theater kommen, und als blutdürstige Kriegeshelden die ihrigen zur Tapferkeit anfrischen. Allein bey Opern sieht man nicht auf das Vergnügen eines scharfsichtigen Urtheils, sondern auf die Kützelung der Ohren, daher man auch die Wahrscheinlichkeit der Intriguen in diesen Schauspielen so wenig als die geschickte und poetische Ausdrückung der Gedanken suchen muß. Die Musik der Arien wird öfters eher componiret als der Text, und alsdann muß sich derjenige, welcher diesen verfertiget, unterweilen gefallen lassen, in die ihm bedeuteten Sylben ein Wort, so die Vocales e oder a hat, zu bringen, weil diese zween Tone diejenigen sind, auf welchen eine geschickte Gurgel am besten ihre künstlichen Läufe und Triller anbringen kann. Die italienische Sprache hat dieses zum voraus vor andern, daß sie wegen der Menge ihrer Vocalium, womit sich auch alle ihre Substantiva endigen, sehr bequem zum singen ist. Rand rechts: Warum die italienische Sprache vor andern zur Vocalmusik bequem.

Unter den itzigen italienischen Sängerinnen ist der Rang noch streitig, und sind etliche desfalls für die Francesca Cuzzoni Sandoni, andere aber für die Faustina Bordoni. Beyde können sich keiner Schönheit rühmen; indessen ist jedoch der Cuzzoni Gesicht besser, auch ihre Stimme heller und von mehrern Tonen. Rand rechts: Von den Sängerinen Faustina und Cuzzoni.Jalousie unter ihnen. Hingegen hat die Faustina sehr angenehme Manieren zu singen, mehrere Kunst und Veränderungen, schärfere Triller und eine bessere Action oder Lebhaftigkeit auf dem Theater als Cuzzoni. Weil keine der andern weichen will, so singen sie nirgends beysammen; sonderlich nachdem sie beyde aus England vor kurzer Zeit wieder zurück gekommen, woselbst sie einander allen möglichen Verdruß zu machen bedacht gewesen. Man suchte zwar solche Geschichte auf das Theater zu bringen, da z. E. zwo verliebte oder eifersüchtige Prinzeßinnen eingeführet und so viel möglich aller Vorzug vermieden wurde; allein dieses half der Uneinigkeit nicht gänzlich ab. Gleichwie die Heftigkeit der Staatsparteyen in England sich leicht in vielen andern Dingen, die zur Regierung des Landes nicht gehören, äußert: also ergieng es auch mit diesen zwo Sängerinnen. Rand rechts: Warum sie England verlassen? Der eigentliche Anfang dieser Spaltung gehöret nicht hieher, und melde ich nur, daß die Partey, so wider den Hof war, sich für die Faustina erklärten. Die zween Directores der Musik nahmen gleichfalls Partey, und gleichwie der berühmte Händel in der Composition der Faustina savorisirle, und ihr Gelegenheit zu Anbringung ihrer Geschicklichkeit gab, also that Buonancini dergleichen für die Cuzzoni. Die besten Freunde zerfielen über diesen Handel, und sonderlich nahm sich das Frauezimmer mit gewöhnlicher Hitze desselben an. Diejenigen, so für die Faustina waren, machten ein Geräusch und Lärmen, wenn die Cuzzoni auf dem Theater sang, und auf gleiche Weise suchten der Cuzzoni Anhänger die Faustina in ihrem Singen zu hindern. Endlich da man die Subscriptiones zum Unterhalte der Opera erneuern sollte, waren viele, welche allen Beytrag versagten, wenn Faustina ferner singen würde; andere hingegen wollten ferner nichts mehr geben, so lange Cuzzoni auf dem Theater erscheinen würde. Wollte man auch in dieser geringen Sache den Frieden und die Ruhe wieder hergestellet haben, so mußte man den Schluß fassen, beyde Heroinen aus England zu lassen. Händel reisete darauf selbst wieder nach Italien, um solche Sängerinnen auszusuchen, welche[1095] mit mehrerer Einigkeit beysammen leben könnten. Rand links: Von Madem. Somis. In Turin gab er sich viele Mühe, Mademoiselle Somis, eine Schwester des berühmten Violinisten und Directors der königlichen Kapelle, dahin zu bereden, daß sie ihm nach London folgen möchte. Allein der Bruder hielt es seiner Ehre zu nahe, daß sie auf dem Theater erscheinen sollte, obgleich der englische Mini. ster d'Allene sich anheischig machte, ihr auf fünf bis sechs Jahre lang, jährlichtausend Pfund Sterling oder zwanzigtausend Livres de Piemont für ihren beständigen Gehalt zu liefern und sicher in Turin auszahlen zu lassen; ohngeachtet sie, als eine Person, die erst anfangen sollte, sich an das Theater zu gewöhnen, die erste Rolle noch nicht haben könnte. Rand links: Großes Geld, so in England an dergleichen Personen gewendet wird.

Was die Faustina in England für Geld müsse gemacht haben, kann man daraus abnehmen, daß, da sie sich gewöhnlicher Weise die Einkünfte von einer einzigen Vorstellung der Opera ausgedungen hatte, ihre Anhänger ihren Eifer für sie auf solche Art sehen lassen, daß selbiger einzige Abend ihr funfzehnhundert Pfund Sterling eingetragen, ja allein Myladi – – – ihr währenden ihres Aufenthaltes daselbst an baarem Gelde und andern Geschenken über tausend Pfund Sterling zugewandt hat. Hierinnen kam dieser Sängerinn ihr angenehmer Umgang wohl zu statten, und war keine Gesellschaft von der ihr günstigen Partey so vornehm, worinnen man sie nicht gern hatte. Ob nun gleich für dergleichen Leute beyderley Geschlechts in England vieler Vortheil zu machen ist, sie auch daselbst hochgeachtet werden, so gehen sie doch nicht gern dahin, unter dem Vorwande oder weil sie glauben, daß die salzige Seeluft einer seinen Stimme gefährlich und nachtheilig sey. Der Faustina und Cuzzoni haben ihre englischen Reisen keine Veränderung verursachet, und ist zu vermuthen, daß man mit der Zeit von solchem Vorurtheile zurückkommen werde. Bis hieher haben die Engländer viele Mühe, den Farinelli nach London zu ziehen, vergeblich angewandt5, welches aber vielleicht auch von dem großen Gelde, das die Sänger und Sängerinnen in Italien sammlen können, herrühret. Farinelli bekam für sein Singen in diesem letztverwichenen Carnaval zu Venedig fünfhundert Pistolen, und die Cuzzoni tausend Zechini. Faustina verdiente um eben diese Zeit zu Turin innerhalb fünf Wochen, in welchen sie etwan funfzehn mal sang, fünfhundert Louisdor, und itzt zahlt man ihr zu Venedig wegen der Opera, die um die Zeit der Himmelfahrt sechs oder acht mal gespielet wird, dreyhundert Louis d'or. Senesino wurde im letzten Carnaval zu Turin mit sechshundert Louis dor bezahlet. Er hat über zwanzigtausend Livres de Piemont Interessen von ersparten Capitalien, ein Haus bey Siena, so ihm über hundert tausend Livres de Piemont gekostet, und gedenket er inskünftige nicht mehr auf dem Theater zu erscheinen, sondern von seinen Gütern zu leben.

Die Faustina hat gleichfalls ein großes Vermögen vor sich gebracht, und wird sich nächstens mit dem berühmten Musico, Johann Adolph Hasse, einem Braunschweiger, welchen man in Italien dem Händel schon an die Seite zu setzen anfängt, verheirathen6. Es[1096] sind aber auch einige unter diesen Leuten, welche nicht wissen, was sparen ist, und gleichwie es ihnen nicht sauer ankömmt, große Summen zu verdienen, also lassen sie solche auch mit delicaten Essen und Trinken, prächtiger Kleidung und anderer kostbaren Lebensart, absonderlich aber mit hohen Spielen wieder unter die Leute kommen. Rand rechts: Wie viele ihren Gewinnst wieder durchbringen. Ich erinnere mich hie bey, daß ehemals am turinischen Hofe ein junger reisender Franzose einer Sängerinn, Barbarruccia genannt, für einen einzigen nächtlichen Besuch, zweyhundert Ducaten anbiethen ließ; welche ihm aber zur Antwort vermeldete: er möchte sich dergleichen Gedanken nur vergehen lassen, denn wenn ihr seine Person so anständig als sie ihr wirklich misfällig wäre, sollte es ihm nicht nur nichts kosten, sondern sie wollte ihm auch noch zweyhundert Louis d'or für seine geleisteten Dienste zum Geschenke geben. Rand rechts: Was in Turin mit der Barbarnccia vorgefallen.

Außer der Faustina und Cuzzoni sind Selvai oder Maria Maddalena Frigeri, Anna Ciro, Giustina Turcotti, Cerosina und Lancetti berühmte Sängerinnen. Rand rechts: Andere itztlebende Sängerinnen. Der Churfürst von Bayern läßt seit etlichen Jahren ein Frauenzimmer, la Rosa genannt, zu Venedig in der Singkunst unterrichten, welche große Hoffnung von sich giebt. In der Composition werden außer dem Händel, der sich itzt in London aufhält, obgedachter Hasse, Nic. Porpora, Director der Musik in dem Ospedale degl' Incurabili zu Venedig, Giov. Porta, Maëstre di Capella del Ospedale della Pietà di Venezia, Geminiano Giacomelli, Luca Antonio Predieri hochgeachtet. Rand rechts: Componisten.

Die Italiener führen zwischen den Actibus der Opern etliche lustige Personen ein, welche durch allerley burlesques und kurzweiliges Singen, wozu eine große Fertigkeit und viele Uebung erfodert wird, bey den Zuhörern ein Gelächter erwecken. Rand rechts: Zwischenspiele in Opern. Sie gebrauchen sich auch vieler Bälle und Tänze, bey welchen anitzo die zwo Schwestern Galetti und absonderlich eine Tänzerinn Aquilante, viele Ehre einlegen. Rand rechts: Tänze. Allein diese Ballette sind so wenig mit den parisischen Operntänzen zu vergleichen, als wenig die in Paris itztlebende Cammargo ihres gleichen in hohen Tänzen hat.

Bey den italienischen Opern ist noch zu bemerken, daß die Verfertiger ihrer Texte gemeiniglich auf den ersten Blättern der gedruckten Exemplare sich mit einer ausdrücklichen Protestation verwahren, wie sie im Herzen rein katholisch wären, und man die im Texte vorkommende Worte von Idolo, Numi, Deità, Fato, Fortuna, Adorare und dergleichen, nicht anders als poetische Scherze anzusehen habe. Rand rechts: Lächerliche Protestation der Autorum von gedruckten Opern.

Wenn man im Carnaval nicht zu Venedig gewesen, so thut man am besten, seine Reise also einzurichten, daß man gegen das Fest der Himmelfahrt Christi in dieser Stadt sey. Rand rechts: Luftbarkeiten des Himmelfahrtsfestes. Ja wenn man eines von diesen beyden versäumen soll, so wollte ich rathen, das Carnaval vielmehr als dieses zu missen; weil man zu itziger Zeit alle Annehmlichkeiten des Carnavals mit Maskeraden und Opern hat, und nichts als die Redouten nebst den letzten Thorheiten[1097] der Fastnachtslust abgehen, welche durch die Annehmlichkeit der itzigen Jahreszeit, durch den Jahrmarkt und die Solennitäten der Vermählung mit dem Meere genugsam ersetzet werden. Der Jahrmarkt fängt am Sonntage vor der Himmelfahrt an, und dauret bis Pfingsten. Zu solcher Zeit ist der St. Markusplatz mit Kramläden, die straßenweise eingerichtet sind, fast ganz besetzet, auch die Läden in denen engen Straßen, die an diesen Platz stoßen und le Mercerie genannt werden, mit allerhand Kaufmannswaaren angefüllet.

Des Abends vor dem Himmelfahrtstage werden dieVesperæ mit vielem Gepränge gesungen, und das wunderthätige Blut Christi nebst andern kostbaren Heiligthümern, die in St. Marci Schatze verwahret sind, in dasiger Hauptkirche ausgesetzet.

An dem Himmelfahrtsfeste selbst, nachdem gegen zehn Uhr Vormittags ein Zeichen mit Abfeurung etlicher Canonen und Läutung der Glocken gegeben worden, besteigt der Doge, oder (wenn dieser krank) der Vicedoge (welcher allezeit einer von den sechs Conseglieri ist) den Bucentaurum, und fährt damit unter der Begleitung von vielen tausend Barken und Gondoln, etlichen wohlgezierten Galeeren und den kostbaren Fahrzeugen der Ambassadeurs zwischen den Inseln St. Erasmo und il Lido di Malamocco etwan zweyhundert Schritte weit in die See. Unterwegens kömmt der Patriarch (welcher an diesem Morgen nach einem alten Gebrauche, der die mäßige Lebensart der Geistlichen von vergangenen Zeiten noch im Andenken erhält, in dem Kloster der Olivetanermönche auf der Insel St. Helena mit Kastanien und Wasser tractiret worden) nebst einem Theile der Clerisey auf denBucentaurum und beschenket den Doge nebst der Signoria mit künstlich verfertigten Bluhmen oder bouquets, welche diese hernach bey ihrer Zurückkunft an gute Freunde schicken. Rand links: Des Doge Vermählung mit dem Meere. Auf einem Fort des Lido sind etliche Canonen gepflanzet, welche bey der An- und Zurückkunft des Doge abgefeuert werden; die am Strande des Lido gestellte Musketerie läßt sich sowohl als das Geschütz des Castels auf der Insel Rasmo oder Erasmo gleichfalls hören. Beyde Inseln sind nur zwo italienische Meilen von der Stadt entfernet, und weil der Lido auf dieser Seite eine Erhöhung hat, so kann man von dannen besagten Auszug und das mit Fahrzeugen fast ganz bedeckte Wasser nicht ohne Vergnügen ansehen. Indessen stimmen die Musici der St. Markuskirche auf dem Bucentauro etliche Hymnos an, und werden besondere Gebethe verrichtet, bis der Doge über die zwey Forts von Lido und St. Rasmo hinausgekommen, da er denn ein wenig an der Seite des Lido fortfährt, und das hintere Theil des Schiffes, woselbst er sitzt, nach der Seite der offenbaren See richten läßt. Alsdann gießt der Patriarch ein Gefäß mit Wasser, so mit besondern Gebethen geweihet worden und wider die Stürme des Meeres gut seyn soll, in dasselbe; der Doge aber läßt durch eine Oeffnung bey seinem Sitze einen goldenen Ring in die See fallen, mit beygefügten Worten: Desponsamus Te Mare, in signum veri perpetuique dominii. Der Ring ist zwar von Golde, aber ohne andere Kostbarkeit, also daß sein Werth sich nicht über drey bis vier Thaler belaufen mag. Rand links: Ursprung dieser Ceremonie. Diese Ceremonie soll vom Pabste Alexander dem dritten zur Dankbarkeit für die von den[1098] Venetianern geleistete Hülfe, und nachdem diese unterdem Doge Sebastian Ziani im Jahre 1177 des Kaiser Friedrichs des ersten Sohn, Otto, in einer Seeschlacht nicht nur überwunden, sondern auch gefangen bekommen, eingesetzet worden seyn. Die ganze Geschichte ist noch vielem Zweifel unterworfen, und insbesondere der Umstand, daß der Kaiser sich bey seiner Aussohnung mit dem Pabste, von diesem auf den Hals treten lassen, offenbar erdichtet7. Rand rechts: Fabel, daß der Pabst Friedrichen dem ersten auf den Hals getreten. Indessen werden an diesem Tage verschiedene gedruckte Bogen, auf welchen diese Fabel oder darauf verfertigte schlechte Poesien enthalten sind, öffentlich herum getragen und verkaufet.

Wie weit sich der Venetianer Herrschaft über das adriatische Meer erstrecke, ist dieses Ortes nicht zu untersuchen. Rand rechts: Gegenwart des kaiserlichen Gesandten bey der Vermahlung des Meeres. Dieses ist gewiß, daß der Pabst dasjenige, was er selbst nicht hatte, keinem andern geben können. Allein hiebey ist auch dieses zu bewundern, daß der kaiserliche Gesandte die allezeit ohne die geringste Protestation diesem Gepränge beywohnet, und sowohl als der französische Gesandte, den Doge in dem Bucentauro begleitet. Der spanische Ambassadeur erscheint bey keinem öffentlichen Gepränge, nachdem die Venetianer dem französischen den Rang über ihn eingeräumet haben.

In dem Rückwege steigt der Doge auf dem Lido aus, und höret daselbst in der Kirche St. Nicolai die Messe, welche der Patriarch hält. Des Abends werden die Vornehmsten des Raths, und diejenigen, so den Doge auf dem Bucentauro begleitet haben, auf dem herzoglichen Pallaste bewirthet. Die dabey zu brauchende Schauessen, so in Gondoln, Castelen und andern Figuren bestehen, sind aus weißer Stärke oderAmidon und Zucker verfertiget, und werden den ganzen Tag gezeiget.

Der Namen Bucentoro, soll von dem ersten Schiffe, das zu diesem Gepränge gebraucht worden, und die Statue eines Centauri zum Zeichen gehabt, herkommen. Rand rechts: Etymologie des Bucentauri. Bu deutet in der alten Sprache dieser Stadt eine sonderbare Größe an, und eben diesen Verstand hat auch die griechische Particula B8, wie aus dem Zeugnisse VARRONISde Re rustica erhellet8.

In dem Arsenal stehen drey dergleichen Fahrzeuge, deren das erste im Jahre 1520, das andere 1605, das letzte aber erst vor zwey Jahren erbauet worden ist. Es ist leicht zu erachten, daß man in der neuern Arbeit allezeit die vorhergehende zu übertreffen gesuchet habe. Der neueste Bucemoro, so eine Art von Galeazza ist, hat hundert Fuß in der Länge, ein und zwanzig in der Breite, und zwey und vierzig Ruderbänke, die unter den zween Hauptsälen verborgen sind, und deren jede mit vier Ruderknechten besetzet wird. Rand rechts: Beschreibung des neuesten Bucentaari. Man nimmt aber hiezu keine Galeriens, sondern Leute aus dem Arsenal, die insbesondere wegen dieses Himmelfahrtsfestes eine Erkenntlichkeit genießen. De außer diesem Vermählungsgepränge kömmt der Bucentaurus nicht aus dem Arsenal, sondern er liegt daselbst im Trockenen unter einem Verdecke, aus welchem er nur acht Tage vor der Himmelfahrt ins Wasser gebracht, und noch acht Tage hernach darinnen gelassen wird.[1099]

Die Bildhauerarbeit an dem neuesten Bucentauro stellen die heydnischen Meergötter, Nymphen, Flüsse, Seethiere; Muscheln, die Bildnisse der Gerechtigkeit, der Wahrheit, Treue und Wachsamkeit, des Friedens, des Ueberflusses, des Apollo und der neun Musen, die zwölf Monate, Triumphe, und viele wohl ausgesonnene Symbola vor. Die Verguldung ist von einem Venetianer Giovanni Adami, und hat zehn bis zwölftausend Ducati d'argento gekostet. So schön aber der Bucentoro nach seiner Art ist, so wenig ist jedoch zu leugnen, daß die königliche englische erste Jacht ein noch prächtigers Ansehen hat, ob sie gleich nicht so viel kostet.

Bey der Lustreise des Bucentauri finden sich zwar auf demselben drey Seeofficiers, die den Namen vonAmmiragli, und zwar der erste dell'Arsenale, der andere del Portodel Lido, und der dritte del Porto di Malamocco führen; allein das eigentliche Commando hat der erste, welcher auch einen in der That lächerlichen Eid vorher ablegen muß, daß er ungeachtet alles Sturmes und Wetters den Doge frisch und gesund zurück liefern wolle. Bey solchem Schwur waget er nicht viel, weil bey dem geringsten starken Winde die Solennität auf den nächsten Sonntag verschoben wird, entweder aus allzugroßer Furcht, den Doge und die Signoria in einige Gefahr zu setzen, oder weil man gern einen Vorwand hat, die vielen Fremden, so aus der Terra ferma und andern Orten hieher gekommen, länger aufzuhalten, und von ihrem Gelde der Stadt ein mehreres zuzuwenden.

Am Himmelfahrtsfeste Nachmittags finden sich indem Corso oder Canale von Murano viele hundert Barken und Gondoln ein, die sich im Wettlaufen üben, und ist es zu verwundern, wie wohl sie einander auszuweichen und alle Wendungen aufs geschickteste zu machen wissen. Rand links: Wettlauf der Gondoln. Die Masken sitzen in den Gondoln, man höret allenthalben Musik und jedermann suchet sich auf seine Art zu belustigen.

Wenn auswärtige vornehme Prinzen sich in Venedig aufhalten, pflegt ihnen die Republik gemeiniglich die Ergötzung einer Regatta oder eines Wettlaufes der Gondoln auf dem großen Canale zu geben. Rand links: Regatta. Das Wort Regatta scheint von der aurigatione in den ludis Cir Censibus seinen Ursprung genommen zu haben.

Eine andere Lustbarkeit gab es sonst auf einer Brücke bey St. Barnaba, worauf die Castellani undNicoloti gegen einander kämpften, und von beyden Seiten viele in das Wasser geworfen wurden. Rand links: Kampf der Castellani und Nicoloti. Diese Brücke ist sieben gemeine Schritte breit, achtzehn lang und ohne Geländer. Das Wasser wird unter derselben tiefer gemacht, wenn eine Bataille gehalten werden soll. Man darf hiebey weder raufen noch kratzen, sondern allein mit den Aermen und Fäusten seine Kunst oder Stärke sehen lassen. Bisweilen ließen Fremde auch einzelne Paare auf der Mitte der Brücke, woselbst vier Fußstapfen gegen einander in Stein gehauen und eingelegt sind, kämpfen, und wurde dem Ueberwinder eine Geldcollecte zu Theile. Seit etlichen Jahren aber ist diese Belustigung verbothen, nachdem sie zu einem Auflaufe Anlaß gegeben, und das gemeine Volk die Häuser, aus welchen die Cavaliers zugesehen, mit Steinen übel zugerichtet hatten.

Venedig

den ... May 1730.

Fußnoten

1 Die Brenta scheint der Alten Meduacus maior zu seyn, und vielleicht ist aus seiner verderbten Aussprache der Namen seines Einflusses oder Hafens; welcher heute zu Tage Porto di Malamocco heißt, entstanden.


2 Der Comte Marfigli hat bey Marseille durch wiederholte Versuche mit dem Barometer gefunden, daß das Seewasser in der Tiefe um einen Grad wärmer, als das obere sey.


3 Sieben und dreyßig und eine halbe Lire machen eine spanische oder französische Pistole aus. Ein Species-Ducaten, so hier Ungaro genennet wird, gilt ein und zwanzig Lire, ein Zechino zwey und zwanzig Lire. Fünf Lire sind ein Rheinischer Gulden.


4 Die Piquenies haden ihren Namen von einem Traiteur in Berlin, welcher sie zuerst veranlasset hat.


5 Farinelli hat sich endlich im Jahre 1734 bewegen lassen, nach England zu gehen, da er sich aber jährlich zwey tausend fünf hundert Pfund Sterling, welche bey vierzehn tausend Thaler betragen, ausgedungen hat. Er blieb nicht lange in London, weil ihn der spanische Gesandte in seines Königes Dienste engagirte, um durch seine Musik zuweilen die melancholischen Gedanken Philipys des fünften zu vermindern.


6 Als Faustina sich on dem churbayerischen Hofe hören ließ, machte v. Reindl. ein Patricius in München, folgende lateinische Poesie auf dieselbe:


Vocalis Musicæ Prodigio,

Philomelæ Suavissimæ,

FAVSTINÆ BORDONI, nunc HASSE.

Vt laudes, FAVSTINA, Tuas hoc carmen adumbret,

Tu, precor, angelica carmina voce canas.

Quidquid enim laudis, quidquid dicatur honoris,

Id minus est meritis, inclyta Virgo, Tuis.

Auditum recreant alii, Tu sola medullas

Cordis & attenti pectoris ima petis.

Cantandoincautas mentes, dum guttura pandis;

Humano major prodit ab ore sonus

Mœstos exhilaras, languentes erigis, ægros

Dulce foves, per Te gaudia luctus habet.

Blandisanæ vacis palamam Tibi cedit Aëdon;

Et celeres motus suavis alauda stupet.

Exornat reliquos, sed Tecum ornata superbit

Musica, quodque Tibi dat, capitipsa, decus.

Quisquis in hoc studio primos sibi poscit honores,

Hic quod miretur, non imitetur, habet.

Hæc sola in terris, quantum gustare superna

Mortali fas est, gaudia voce refert.

Vive igitur Faustina diu, lætare, perenna,

Dum prælibatis Fausta fruare bonis.


7 Die bodenlosen Stützen, worauf sich das ganze Vorgeben gründet; haben Majus und Heumann in eignen Abhandlungen umgestürzet. Nauclerus ist, wie es scheint, der erste, der diese Hirngeburt ausgebrütet hat. Schedel aber, Sabellikus und andre leichtgläubige Schriftsteller sind ihm blindlings gefolget. Die Fabel ist desto verdächtiger, da alle Scriptores coævi schweigen, und selbst der Bischof von Salerno, Romualdus, der doch dabey zugegen gewesen seyn soll. nichts davon gedenket. Noch mehr. Der Pabst, der in seinen an die Bischöfe zu York und Durham abgelassenen Schreiben alle Umstände des getroffenen Vergleichs erzählet, schweigt gänzlich stille. Andre reden von der Sache ungewiß und zweifelhaft, und es sieht dem großmüthigen Friedrich gar nicht ähnlich, te herabgelassen haben.


8 Lib. II, C. 5: Novi, Menas, majestatem boum, & ab his dici pleraqueagna, ut βκσυκον, großen Feigen, βλμος der äußerste und unerträglichste Hunger, βυδΨος ein starker Durst, βοωπις ein Mensch mit großen Augen. Conf.FERRAR. Epist p. 131. Man sieht aus diesen Exempeln, wie man dem Homer wenigstens in diesem Stücke zu nahe thut, wenn man ihn beschuldigt, er habe seine Göttinnen, die er wegen ihrer Schönheit rühmen wollen, Iliad. lib. I, v. 551, 568 schlechterdings die Ochsenäugigen (wie sie nämlich βοώπιδα erklären) genennt.


Quelle:
Johann Georg Keyßler. Neueste Reisen durch Deutschland, Böhmen, Ungarn, die Schweiz, Italien und Lothringen. Theil 2. Hannover 1751, S. 1100.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Stramm, August

Gedichte

Gedichte

Wenige Wochen vor seinem Tode äußerte Stramm in einem Brief an seinen Verleger Herwarth Walden die Absicht, seine Gedichte aus der Kriegszeit zu sammeln und ihnen den Titel »Tropfblut« zu geben. Walden nutzte diesen Titel dann jedoch für eine Nachlaßausgabe, die nach anderen Kriterien zusammengestellt wurde. – Hier sind, dem ursprünglichen Plan folgend, unter dem Titel »Tropfblut« die zwischen November 1914 und April 1915 entstandenen Gedichte in der Reihenfolge, in der sie 1915 in Waldens Zeitschrift »Der Sturm« erschienen sind, versammelt. Der Ausgabe beigegeben sind die Gedichte »Die Menscheit« und »Weltwehe«, so wie die Sammlung »Du. Liebesgedichte«, die bereits vor Stramms Kriegsteilnahme in »Der Sturm« veröffentlicht wurden.

50 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.

444 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon