II. Die Wanderjahre, aber nicht die entsagenden – in England, Schottland, Italien, der Schweiz und Frankreich 1829–32.

Die Ueberschrift dieses Abschnittes, im Gegensatz zu Goethe's »Wilhelm Meister's Wanderjahre oder die Entsagenden«, ist mit gutem Vorbedacht gewählt. Während der Held des Goethe'schen Romans nach mancherlei Verirrungen des Gefühls sich in Begleitung seines Sohnes Felix, um eines unverdienten Glückes erst würdig zu werden, als freiwillige Busse eine lange Entfernung von der geliebten edlen Braut auferlegt, so sehen wir unseren Felix, begleitet von dem Segen und der theilnehmenden Liebe der Eltern und Geschwister, die ihm überall hinfolgt, ausgestattet durch die Freigebigkeit des Vaters zu allen Bequemlichkeiten und Annehmlichkeiten der Reise sich auf eine Weltfahrt begeben, auf welcher er, obgleich immer in der reinsten und edelsten Weise das Leben im Umgang mit Kunst, Natur und bedeutenden Menschen in vollen Zügen geniesst. So sammelt er immer neuen Stoff zu den bedeutendsten Werken, denen er zum Theil schon unterwegs[63] eine feste Gestalt giebt, übt als Virtuos fleissig seine Kunst, nimmt in der besten Gesellschaft eine hervorragende Stelle ein, und wenn auch das Endresultat aller dieser Reisen schliesslich kein anderes ist, als der aus seinem patriotischen Herzen stammende Entschluss: »Nur Deutschland soll der Schauplatz meines Wirkens sein,« so bereitet ihm doch das Ausland, namentlich England, die ersten grossen Triumphe, und steigert, ohne seiner edlen Bescheidenheit zu schaden, das frohe Selbstbewusstsein seiner Kraft. Der Zeitraum dieser Wanderjahre erstreckt sich von 1829–1833, wenn auch nicht ohne einige Unterbrechungen durch einen längeren Aufenthalt in Berlin.

Die erste Reise M.'s nach England, an welche sich ein längerer Ausflug nach Schottland anschloss, darf allerdings gewissermaassen nur als ein Vorspiel seiner Wanderjahre betrachtet werden, denn er brachte den Winter von Anfang November 1829 bis Mitte Mai 1830 wieder im väterlichen Hause in Berlin zu. Aber in diesem Vorspiel liegen doch schon die wichtigsten Momente zur Weiterentwicklung des Lebensdramas des jungen Künstlers. England, wo ein Georg Friedrich Händel in höchstem Ansehen stand, ein Joseph Haydn so vielen Beifall gefunden hatte, endlich auch ein Karl Maria von Weber für London seinen Oberon geschrieben hatte, den er nach seinen schon sehr populär gewordenen Opern Freischütz und Preciosa erst noch im Frühjahr 1826 selbst dirigirte, war ein höchst geeigneter Boden, um ein so bedeutendes Talent zu immer grösserer Reife und steigender Anerkennung zu bringen. Bereits im Januar 1827 hatte Vater Mendelssohn bei Moscheles in London angefragt, ob er ihm riethe den Sohn reisen zu lassen. Moscheles' Antwort konnte nur bejahend ausfallen, doch hielt es wohl der Vater für zweckmässiger, zu diesem Reiseplan erst nach Vollendung der Universitätsstudien die Hand zu bieten. Jetzt, im Frühling 1829 war der Augenblick gekommen, wo der junge Künstler die Schwingen zum ersten selbständigen Fluge in die grosse Welt versuchen sollte. Ehe wir ihm aber dahin folgen, werfen wir noch einmal einen Rückblick auf seine schöpferische Thätigkeit. Mendelssohn hatte bis zu seiner Abreise nach London ohngefähr Folgendes componirt: Drei Quartette[64] in C moll, F moll und H moll für Pianoforte, Violine, Bratsche und Violoncell, 2 Sonaten, die eine für Pianoforte und Violine, F moll, die andere für Pianoforte allein, E dur, zwei Symphonieen in C moll und D dur, die grosse Ouvertüre in C mit dem Trompetenmotiv, 4 verschiedene Opern, unter denen die noch jetzt erhaltene »Hochzeit des Camacho«, 2 Hefte Lieder, jedes mit 12 Nummern (Op. 8 u. 9), verschiedene Lieder ohne Worte, die beiden Cantaten zum Dürerfest, und die drei Hauptwerke, Ouvertüre zum Sommernachtstraum, Meeresstille und glückliche Fahrt, sowie das Octett, und die beiden oben erwähnten Kindersymphonieen. Im Manuscript brachte er seinem treuen Lehrer Moscheles noch eine geistliche Cantate über einen Choral in A moll, eine sechzehnstimmige Hora und sein erstes Streichquartett in A moll mit, welchem er ein bereits zu Pfingsten 1827 in Sakrow bei Potsdam gedichtetes und componirtes Lied zu Grunde gelegt hatte. – Nach der Aufführung der Bach'schen Passion berichtete nun M. aus Berlin an Moscheles in London am 26. März über diese Aufführung und meldete zugleich seine bevorstehende Abreise dorthin. Moscheles hatte das Directorium der philharmonischen Gesellschaft in London bereits auf dieses ausserordentliche Talent aufmerksam gemacht und alles zu M.'s Empfange vorbereitet. Ebenso hatte sich auch sein Freund Klingemann bemüht, ihm ein trauliches Heim zu verschaffen. Am 10. April 1829 reiste Felix, begleitet von seinem Vater und seiner zärtlich geliebten Schwester Rebecka, zunächst nach Hamburg, wohin ihm Fanny noch einen liebenswürdigen Abschiedsbrief nachsendete. Jedenfalls verweilte er erst noch mehrere Tage in seiner Vaterstadt. Die Ueberfahrt nach London war nichts weniger als angenehm, lang und stürmisch. Unser junger Freund musste dem Poseidon viele schmerzliche Opfer bringen. Erst am 21. April meldet er dem »liebsten« Vater und »liebsten« Beckchen seine Ankunft. Der Brief, mitgetheilt in Hensel, Bd. I, S. 215 ist zu characteristisch, als dass ich ihn nicht hier wenigstens theilweise einreihen sollte.


»So eben in London glücklich angekommen, will ich nichts Anderes eher thun, als Dir von meiner Ankunft sogleich Nachricht geben. Unsere Fahrt war nicht schön und sehr lang, denn wir[65] sind erst heute (Dienstag) um 12 Uhr im Customhouse gelandet; von Sonnabend Abend bis Montag Nachmittag hatten wir den Wind entschieden entgegen und solchen Sturm, dass die ganze Schiffsgesellschaft seekrank wurde; wir mussten einmal des dicken Nebels wegen, ein andermal, um die Maschine in Ordnung zu bringen, einige Zeit still liegen; noch vorige Nacht mussten die Anker an der Mündung der Themse geworfen werden, um nicht auf andere Schiffe zu stossen; dazu nimm, dass ich von Sonntag früh bis Montag Abend mich von Ohnmacht zu Ohnmacht schleppte, vor Ekel an mir selbst und an allen Uebrigen auf Dampfschiff, England und namentlich auf meine Meeresstille fluchend, den Aufwärter nach Kräften scheltend und ihn endlich Montag Mittag fragend, ob man nun endlich London sehen könne, worauf er gleichgültig erwiderte, dass wir vor Dienstag Mittag nicht daran zu denken hätten; dann aber, um auch von der Lichtseite zu sprechen, gestern Abend den Mondschein auf dem Meere, und viele Hunderte von Schiffen um uns herumschleichend, heute früh die Fahrt auf der Themse, zwischen grünen Wiesen, rauchigen Städten, mit zwanzig Dampfbooten um die Wette rennend, alle Kähne bald überflügelnd, und endlich der fürchterlich massenhafte Anblick der Stadt!« ...


Ebenso dramatisch lebendig schildert M. den Eindruck der ungeheuren Riesenstadt auf ihn, wie auf Jeden, der sie zum ersten male sieht, in einem zweiten Brief, London, 25. April 1829:1


»Es ist entsetzlich! Es ist toll! Ich bin confus und verdreht! London ist das grandioseste und complicirteste Ungeheuer, das die Welt trägt. Wie kann ich in einen Brief zusammendrängen, was ich in drei Tagen erlebt habe? Kaum weiss ich mich noch der Hauptsachen zu entsinnen, und doch darf ich kein Tagebuch führen, sonst würde ich wieder etwas weniger erleben müssen; das will ich aber nicht, sondern Alles mitnehmen, was sich mir darbietet. Es geht um mich herum, wie in einem Strudel und dreht sich, und reisst mich fort, im letzten halben Jahre in Berlin habe ich nicht so viel Contraste und so viel Verschiedenes gesehen, als in den drei Tagen. Aber geht nur einmal von meiner Wohnung rechts ab Regent Street hinunter, seht die glänzende, breite, mit Säulenhallen besetzte Strasse (leider liegt sie heut schon wieder im dicken Nebel) und seht die Läden mit mannshohen Inschriften und die stage coaches, auf[66] denen die Menschen sich aufthürmen und wie hier eine Reihe von Wagen von den Fussgängern hinter sich gelassen wird, weil es sich dort vor eleganten Equipagen gestopft hat, und wie sich hier ein Pferd hochbäumt, weil der Reiter Bekannte in jenem Hause hat, und wie die Menschen gebraucht werden, um Ankündigungszettel herumzutragen, auf denen man uns die graziösen Kunstleistungen gebildeter Katzen verheisst, und die Bettler und die Mohren und die dicken John Bulls mit ihren dünnen schönen zwei Töchtern an den Armen. Ach diese Töchter! Uebrigens seid ruhig, es ist keine Gefahr in dieser Hinsicht, weder in dem damenreichen Hydepark, wo ich gestern fashionabler Weise mit Mad. Moscheles umherfuhr, noch in den Concerten, noch in der Oper (denn da war ich schon überall), nur an den Ecken und Querstrassen ist Gefahr, und ich sage mir da oft mit wohlbekannter Stimme leise vor: Nehmen Sie sich in Acht, dass Sie nicht unter die Wagen kommen. Das Gewirr, der Strudel! Ich will nur historisch werden, und ruhig erzählen, sonst erfahrt Ihr gar nichts, aber könntet Ihr mich nur sehen, neben dem himmlischen Flügel, den mir Clementis eben für die Dauer meines Hierseins geschickt haben, am lustigen Kaminfeuer in meinen vier Pfählen, mit Schuhen und grau durchbrochenen Strümpfen und olivenfarbenen Handschuhen (denn ich muss nachher Besuche machen) und nebenan mein immenses Himmelbett, in dem ich Nachts spazieren liegen kann, mit den bunten Gardinen und alterthümlichen Möbeln, meinen Frühstücksthee mit trockenem toast noch vor mir, die servant girl mit Papilloten, die mir eben meine neugesäumte schwarze Binde bringt und nach Befehlen frägt, worauf ich englisch höflich mit dem Kopfe nach hinten zu nicken versuche, und die vornehme, in Nebel gehüllte Strasse, und könntet Ihr nur die erbärmliche Stimme hören, mit der dort unten eben ein Bettler sein Lied anstimmt (er wird aber von den Verkäufern fast überschrieen) und könntet Ihr ahnen, dass man von hier nach der city drei viertel Stunden fährt und nun auf dem ganzen Weg und bei allen Durchsichten nach den Querstrassen denselben und noch weit grösseren Skandal erlebt und dass man dann etwa ein Viertel des bewohnten Londons erst durchschnitten hat, so mögt Ihr Euch erklären, dass ich halb verrückt bin. Aber historisch!«


Nächst dem reizenden Einblick, den uns diese genialen Schilderungen in das trauliche Heim des Tondichters und das colossale Treiben der ungeheuren Riesenstadt gewähren, interessirt uns zumeist der Eindruck, den er von der ersten Vorstellung der grossen italienischen[67] Oper mit der Malibran empfing. Noch ziemlich müde von der Reise liess er sich von Klingemann vor allem nach einem englischen Kaffeehause führen (denn hier, sagt er scherzend, ist alles englisch), las dort »natürlich« gleich die Times, und fand darin die Ankündigung von Othello, mit der first appearence der Mad. Malibran. Nachdem er mit Klingemann's Hülfe die nöthige Toilette gemacht, wobei graue Strümpfe und schwarze Binde eine grosse Rolle spielen, begiebt er sich nach Kings theatre wo er, in den pits für eine halbe Guinee Platz findet. Das Haus mit vielen Insassen schildert er drastisch und treffend:


»Grosses Haus, ganz mit purpurnem Zeuge besetzt, sechs Reihen Logen übereinander, mit purpurnen Vorhängen, aus denen die Damengesichter herausschauen, mit weissen grossen Federn, Ketten, Juwelen aller Art überdeckt; ein Geruch von Pomade und Parfüms strömte einem beim Eintreten gleich entgegen und machte mir Kopfschmerzen; in den pits alle Herren im Ballanzuge mit neufrisirten Backenbärten, überall gedrängt voll.« Ueber die Aufführung selbst sagt er: »Das Orchester recht gut, dirigirt von Herrn Spagnoletti (im December will ich ihn nachmachen, es ist zum Todtlachen) Donzelli (Othello) voll Bravour, sinnreichen Verzierungen, schreit und stösst schrecklich in die Stimme, singt fast immer ein wenig zu hoch, aber mit unendlichem haut gout (dahin rechne ich z.B., dass er in der letzten Wuthscene, wenn die Malibran fast unangenehm stark schreit und rast, alle Schlussfälle der Recitative, die er sonst heraustrompetet, nur ganz matt und leise und kaum hörbar hinwirft und dergl.). Die Malibran, eine junge, schöne, herrlich gewachsene Frau mit toupirtem Scheitel, voll Feuer, Kraft, Coquetterie dabei, die Verzierungen theils sehr gewandt und neu erfunden, theils der Pasta nachgeahmt (so wurde mir ganz wunderlich, als sie die Harfe nahm, und ich merkte, wie sie der Pasta alles in der Scene genau nachsang und endlich auch die sehr umherschweifende Stelle am Ende, die Dir, lieber Vater gewiss noch im Gedächtniss sein muss); dabei spielt sie schön, macht gute Stellungen, nur übertreibt sie alles das leider sehr oft und grenzt oft an das Lächerliche und Unangenehme. Doch will ich sie wieder hören, nur morgen nicht, weil sie wieder Othello giebt, und den werde ich nur hören, wenn die Sonntag etwa drin auftritt, die man in diesen Tagen erwartet.«2[68]


Etwa 2 Monate später hörte er die beiden grossen Künstlerinnen zusammen in Don Giovanni. Die Sonntag sang die Donna Anna, die Malibran die Zerline. Ueber diese Aufführung schreibt er in einem Briefe an Devrient am 19. Juni 1829:


»Neulich sah ich Don Giovanni von den Italienern, es ist komisch; Pellegrini sang Leporello, betrug sich wie ein Affe, setzte einen Schluss von zehn Rossini'schen Klatschtacten an seine erste Arie an, das Mandolinensolo ›deh vieni etc.‹, spielte einer mit dem Bogen sehr zart, verzierte es gebührend das zweite mal, und schloss in hohen Regionen. Ich rief stark da capo aus Grimm. Der Comthur hatte einen Pudermantel um. Die Malibran nahm Zerline ganz toll, nämlich als eine wilde, kokette spanische Bauerndirne, sie hat ein ungeheures Talent. Wie die Sonntag Donna Anna singt, wirst Du wissen.«


Trotz dem Tadel, der in diesen Urtheilen über die Malibran dem feurigen Lobe beigemischt ist, sieht man doch deutlich das lebhafte Interesse, welches der grosse Künstler für die ausserordentliche Künstlerin empfand. Der Vater M.'s fürchtete sogar eine kurze Zeit, dieses Interesse könne sich zur wirklichen Leidenschaft steigern, die den Sohn zu einer Unbesonnenheit hinreissen möchte; doch hatte er dazu keinen Grund.

Der junge Künstler selbst gewann in London bald eine hervorragende Stellung.


»Felix«, (schreibt Devrient in seinen Erinnerungen S. 81) »machte Aufsehen in London, die Musiker und Kenner frappirte seine jugendliche Meisterschaft, den vornehmen Kreisen imponirte es, dass in den grossen Gesellschaften, welche durch die berühmten Virtuosen der Saison gegen hohe Honorare verherrlicht wurden, er seine Kunstleistungen gewährte, ohne Geld dafür zu nehmen, also zur Gesellschaft gehörte. Ueber die Absonderung, welcher die bezahlten Virtuosen in diesen Cirkeln unterworfen waren, war Felix ganz empört; dass er die Malibran so ausgestossen am Ende des Saales sitzen gesehn, konnte er nicht vergessen.«


Höchst amüsant beschreibt M. in einem Briefe vom 1. Mai seinen Besuch eines phrenologischen Cabinets des Dr. Spurzheim, das ein junger Arzt zeigte. Eine Partie Mörder gegen eine Partie Musiker gehalten, interessirte[69] ihn sehr, und seine Physiognomik erhielt starke Bestätigung, es sei wirklich der Unterschied zwischen Gluck's Stirn und der eines Vatermörders höchst auffallend und nicht zu bezweifeln ...


»Eine junge hübsche Engländerin, mit der ich da war, bekam Lust zu wissen, ob sie zum Stehlen oder sonst zu Missethaten Neigung habe, und es kam dahin, dass die ganze Gesellschaft sich phrenologisch untersuchen liess; wie nun der Eine gutmüthig befunden wurde, und der Andere kinderliebend, jene Dame muthig, diese habsüchtig und wie besagte Engländerin sich die langen blonden Haare auflösen musste, weil der Doctor sonst kein Organ fühlen konnte, und wie sie dabei sehr hübsch aussah, und sich dann vor dem Spiegel wieder ordnete, so liess ich die Phrenologie sehr hoch leben, und lobte Alles ungemein. Dass ich Musiksinn haben musste und Einbildungskraft, konnte nicht fehlen; der Doctor fand später, ich sei ziemlich habsüchtig (!) liebte die Ordnung (?) und kleine Kinder und machte gern die Cour; die Musik sei aber vorherrschend. Uebrigens muss ich am Dienstag von meinem ganzen Kopf, mit Schädel, Gesicht und Zubehör die Maske in Gips nehmen lassen, und dann will ich Hensel's Aehnlichkeit controlliren!«


Noch interessanter ist ein Bericht in einem der nächstfolgenden Briefe vom 15. Mai über die Theilnahme unseres jungen Künstlers an zwei glänzenden Abendgesellschaften in den höchsten Cirkeln, zu welchen ihm jedenfalls schon sein Künstlername und seine vornehme Haltung Eingang verschafft hatten. Ueber die erste derselben schreibt er:


»Montag Abend Ball in Devonshire House beim Herzog von Devonshire; die Pracht aus den morgenländischen Märchen kommt zur Erscheinung, was Reichthum, Luxus, Geschmack an Schönheiten für ein Fest erfinden können, ist da gehäuft. Mit meinem hack kam ich an die Reihe der Equipagen, die fast die ganze Piccadilly herunterstanden, daher zog ich's vor, zu Fuss einzuziehen; kam in den Saal, wo der Herzog die Gäste freundlich empfing; ich hatte auf der Treppe hinter mir Leute hinaufgehen hören, mich aber nicht umgesehen, jetzt gewahrte ich zu meinem Schrecken, dass es Wellington und Peel gewesen waren. Im Haupttanzsaal war statt des Kronleuchters ein dicker breiter Kranz von rothen Rosen, etwa vierzehn Fuss im Durchmesser, der zu schweben schien, weil die dünnen Fäden, die ihn hielten, sorgfältig versteckt waren; auf dem Kranze brannten nun kleine Lichter zu Hunderten; an den[70] Wänden lauter Porträts in Lebensgrösse und ganzer Figur von van Dyk, rings umher eine Erhöhung, auf der die alten Damen mit Brillanten, Perlen und allen Edelsteinen überladen, Platz nahmen; in der Mitte tanzten die schönen Mädchen, unter denen man die himmlischsten Gestalten sieht; ein Orchester mit eigenem Director spielt dazu; die Nebenzimmer waren eröffnet, deren Wände mit Tizians, Coreggios, Leonardos und Niederländern behängt sind; unter den schönen Bildern nun die schönen Gestalten sich bewegen zu sehen und unter all' dem Treiben und in der allgemeinen Aufregung ganz ruhig und sehr unbekannt überall herumzuschleichen und Vieles ungesehen und unbemerkt zu sehen und zu bemerken – es war einer der schönsten Abende, die ich erlebt.«


Nicht minder interessant verlief eine Art grosser Gemälde- und Antikenschau beim Marquis of Landsdowne.


»Der arme Mann hatte seinen Antikensaal aufgemacht und empfing darin die Gesellschaft. Ein grosser gewölbter Saal, an dessen Enden zwei Rotunden sind, die von oben her erleuchtet waren; in den Rotunden nun purpurne Nischen, in deren jeder eine grosse graue antike Statue steht und droht. Zu deren Füssen sassen hier die alten Damen im Halbkreise, und in der Mitte des Saales drängten sich die Leute hin und her. Im Nebenzimmer war eine neugekaufte Landschaft von Claude Lorrain aufgestellt, der Aufgang der Sonne über einem Meereshafen. Die Treppe ist so gelegt, dass man, wie in den Hamburger Häusern, bis unter das Dach sehen kann, und sie war ganz dick mit Blumen umkleidet, unter denen liegende oder schlafende Statuen vorsahen ... Dass solche Herrlichkeit in unserer Zeit wirklich bestehen könnte, hätte ich nicht geglaubt. Es sind das keine Gesellschaften, es sind Feste und Feierlichkeiten.«


Nach dem Einblick in Alt-England's aristokratische Herrlichkeit, den uns dieser allerliebste, bei Hensel, Seite 223–25 zuerst abgedruckte Brief unseres Künstlers gewährt, richten wir unseren Blick nun auch auf des Letzteren eigene Thätigkeit. Es ist schon oben bemerkt, dass Moscheles die philharmonische Gesellschaft in London auf das ausserordentliche Talent seines jungen Freundes aufmerksam gemacht hatte. M. sollte nun in einem der letzten Concerte der Saison am 30. Mai in Argyll Rooms, dem grossen Saal dieser Gesellschaft, zum ersten mal in London auftreten. Es sollte eine seiner früheren Symphonieen[71] (C moll oder D dur?) unter seiner Direction aufgeführt werden, und er selbst wollte das Concertstück von Weber spielen. Was er über die Probe zu diesem Concert in einem Brief vom 26. Mai berichtet,3 ist zu interessant und characteristisch, als dass ich es nicht in mein Gesammtbild aufnehmen sollte.


»Als ich zur Probe meiner Symphonie in die Argyll Rooms trat, und das ganze Orchester versammelt fand, und gegen zweihundert Zuhörer, meistens Damen, aber lauter Fremde, und man erst die Symphonie von Mozart aus Es probirte, um dann die meinige vorzunehmen, so wurde mir zwar nicht ängstlich, aber sehr gespannt und aufgeregt zu Muthe; ich ging während des Mozart'schen Stücks in Regent Street etwas spazieren und sah mir die Leute an; als ich wiederkam, war Alles bereit und wartete auf mich. Ich stieg dann auf's Orchester, zog meinen weissen Stock aus der Tasche, den ich mir ausdrücklich habe machen lassen (der Riemer dachte, ich sei ein Alderman, und wollte durchaus eine Krone darauf befestigen) und der Vorgeiger Fr. Cramer zeigte mir, wie das Orchester stände, die Hintersten mussten aufstehn, damit ich sie sehen könne, und stellte mich ihnen Allen vor, und wir begrüssten uns, einige lachten wohl ein bischen, dass ein kleiner Kerl mit dem Stocke jetzt die Stelle ihres sonst immer gepuderten und perrückten Conductors einnähme.« (Mendelssohn dirigirte vom erhöheten Pulte aus, nicht von der Vorgeigerstelle, damals in London eine Neuerung.) »Dann ging's los. Es ging für das erste mal recht gut und kräftig und gefiel den Leuten schon sehr in der Probe. Nach jedem Stück applaudirte das ganze zuhörende Publicum und das ganze Orchester (das zum Zeichen des Beifalls mit den Bogen auf die Instrumente schlägt und mit den Füssen trampelt), nach dem letzten Stück machten sie einen grossen Lärm, und da ich das Ende musste repetiren lassen, weil es schlecht gegangen war, machten sie denselben Lärm wieder. Die Directoren kamen zu mir an's Orchester, und ich musste herunter, eine Menge Diener machen, J. Cramer war ganz erfreut, und überschüttete mich mit Lob und Complimenten; ich ging auf dem Orchester umher, und musste an zweihundert verschiedene Hände schütteln – es war einer der glücklichsten Momente meiner Erinnerung, denn alle die Fremden waren in einer halben Stunde zu Bekannten und zu Befreundeten umgewandelt.«[72]


Ueber den Erfolg im Concert selbst berichtet M. noch:


»Der Erfolg gestern Abend im Concert war grösser, als ich mir ihn je hätte träumen lassen. Man fing mit der Symphonie an; der alte J. Cramer führte mich an's Clavier, wie eine junge Dame, und ich wurde mit laut und lange anhaltendem Beifall empfangen. Das Adagio verlangten sie da capo, ich zog vor, mich zu bedanken und weiter zu gehen, aus Furcht vor Langerweile; das Scherzo wurde aber so stark noch einmal verlangt, dass ich es wiederholen musste, und nach dem letzten applaudirten sie fortwährend, so lange ich mich beim Orchester bedankte, und hands shakte, bis ich den Saal verlassen hatte.«


Die Times schrieb über dieses erste Auftreten M.'s in ihrer Nr. vom 1. Juni: »Das Sonnabendsprogramm kündigte M.F. Mendelsohn's erstes öffentliches Auftreten in London an. Dieser junge Professor ist, glauben wir, ein Enkel oder Neffe des berühmten Jüdischen Philosophen Moses Mendelssohn, und hat in Deutschland nicht allein als Pianofortespieler, sondern auch als Componist schon einen bedeutenden Ruf erlangt. Er trug am Sonnabend eine Fantasie, Composition von Carl Maria von Weber vor.« (Die Times meint das bekannte Concertstück.)

Von der unendlichen Freude der Familie Mendelsohn über diese ersten grossen Erfolge des Sohnes giebt ein rührend zärtlicher Brief Fanny's, aus Berlin am 4. Juni 1829, an Klingemann Kunde. Ebenso berichtet M. selbst in einem zweiten, recht humoristischen, höchst unterhaltenden Briefe an die Familie vom 7. Juni nochmals über sein Auftreten in diesem Concert, sowie über eine Landpartie, die er zu seiner Erholung, anfänglich zu Fuss, nach Richmond machte. Am Schlusse dieses Briefes gedenkt er noch eines wunderlichen Auftrags, über den er zwei Tage innerlich gelacht habe. Er sollte auf den Wunsch Sir Alexander Johnstons, Gouverneurs der Insel Ceylon, ein Lied componiren, mit welchem die Eingeborenen den Jahrestag ihrer Emancipation feiern sollten. So komisch M. auch diesen Auftrag fand, freute er sich doch darüber als über ein Unicum, das nur in London möglich sei. (Man sehe beide höchst lesenswerthe Briefe in Hensel, a.a.O., Bd. I, Seite 226–30.)[73]

Einen noch weit bedeutenderen Erfolg errang M. bei einem zweiten Auftreten in Argyll Rooms in dem Concert des berühmten Flöten-Virtuosen Drouet am 24. Juni, in welchem ausser dem Genannten und seiner Frau auch die Garcia und einige andere bedeutende Sänger und Sängerinnen mitwirkten. M. spielte darin das Es dur-Concert von Beethoven, dessen Aufführung früher die englischen Musiker für eine Unmöglichkeit erklärt hatten. Er erntete dafür rauschenden Beifall, noch grösseren aber für seine Ouvertüre zum Sommernachtstraum, die er zum ersten mal in London aufführte und in der oben angedeuteten Weise selbst dirigirte. Sie wurde stürmisch da capo verlangt.

Dieselbe Ouvertüre machte wieder den Anfang eines Concerts zum Besten »der überschwemmten Schlesier«, welches die Sonntag hauptsächlich auf die Veranstaltung M.'s am 13. Juli wieder in Argyll Rooms gab, und in welchem er selbst mit Moscheles ein von ihm componirtes Concert für zwei Flügel in E dur spielte. Die erste Idee zu diesem Wohlthätigkeitsconcert entsprang einem Briefe Nathan's, des jüngsten Sohnes Moses Mendelsohn's, der in Schlesien lebte, und über das grosse Unglück seiner Landsleute an Abraham berichtet hatte. Felix Mendelssohn ergriff die Idee mit allem Feuer, und gewann die Sonntag, die ursprünglich in einem Concert für die vom gleichen Unglück heimgesuchten Danziger schon im Mai hatte singen wollen, die Lust dazu aber verloren hatte, durch stürmisches Zudrängen und zum Theil selbst durch List. Auch die Musiker machten Schwierigkeiten; sie prophezeiten, zumal bei dem vorgerückten Sommer, einen leeren Saal, benahmen sich zum Theil sehr kalt und unfreundlich, und machten auf die Kosten aufmerksam, die man nicht herausbringen würde, aber M. hatte sich nach Empfang eines Briefes seines Vaters und der Abschrift desjenigen seines Onkels geschworen, es sollte und müsste nun gehen, und das Concert müsse gegeben werden, »so trieb ich,« schreibt er in einem Briefe an Onkel Nathan vom 16. Juli, »immerfort, es wurde angezeigt, eine Menge hohe Herrschaften (u.a. die Herzöge von Clarence und Kent, der Prinz Leopold von Sachsen-Coburg, die Prinzessinnen Esterhazy,[74] Polignac) nahmen Patronage an, alle ausgezeichneten Sänger mussten schon honoris causa umsonst singen, viele Instrumentalspieler hatte die Sonntag sich verpflichtet, viele thaten es mir zu Gefallen, kein Name, der nur irgend in der Saison geglänzt hatte, fehlte auf dem Programm, und auf einmal war die Sache fashionable; von nun an war der gute Ausgang entschieden, die ganze Stadt sprach davon. Im höchsten Grade interessant und belustigend ist, was M. über die erste Probe zu dem Doppelconcert aus E mit Moscheles in einem Briefe an die Familie in Berlin unterm 10. Juli schreibt.«4


»Gestern hatten wir in der Clementi'schen Fabrik die erste Probe, Mad. Moscheles und Herr Collard hörten zu, und ich amüsirte mich himmlisch dabei, denn man hat keinen Begriff von unserem Coquettiren, und wie Einer den Andern fortwährend nachahmte und wie süss wir waren. Das letzte Stück spielt Moscheles ungeheuer brillant, er schüttelt die Läufe aus dem Aermel. Als es aus war, meinten sie Alle, es sei so schade, dass wir keine Cadenz machten, und da buddelte ich gleich im letzten Tutti des ersten Stücks eine Stelle heraus, wo das Orchester eine Fermate bekommt, und Moscheles musste nolens volens einwilligen, eine grosse Cadenz zu componiren. Wir berechneten nun unter tausend Possen, ob das letzte kleine Solo stehen bleiben könnte, da die Leute doch applaudiren müssten. ›Wir brauchen ein Stück Tutti zwischen der Cadenz und dem Schlusssolo,‹ sagte ich. ›Wie lange Zeit sollen sie denn klatschen?‹ fragte Moscheles. ›Zehn Minuten, I dare say,‹ sagte ich. Moscheles handelte herunter bis auf fünf. Ich versprach, ein Tutti zu liefern, und so haben wir förmlich Maass genommen, gestickt, gewendet und wattirt, Aermel à la mameluke eingesetzt, und ein brillantes Concert zusammengeschneidert. Heut' ist wieder Probe, da giebt's ein Musikpickenick, denn Moscheles bringt die Cadenz mit, und ich das Tutti.«


Ueber das Concert selbst schreibt M. in dem obengenannten Briefe an Onkel Nathan weiter:


»Als ich eine Stunde vor dem Anfang des Concerts am vorigen Montag vor den Argyll Rooms (die der Besitzer gleichfalls umsonst gab) vorbei kam und die Menschenmasse mit ihren fremden Gesichtern[75] hineinströmen und sich drängen sah, als ich dann später auf's Orchester ging, und das ganze Orchester mit schönen geputzten Damen besetzt, alle Logen gefüllt, die Vorsäle sogar voll Menschen fand, so war mir unbeschreiblich froh und freudig zu Muthe, und es that mir nur leid, dass man hier keinen grösseren Concertsaal hat, denn an hundert Menschen mussten abgewiesen werden. Es sind zwischen 250 und 300 Guineen eingekommen, die dem preussischen Gesandten hier übergeben und durch ihn nach Schlesien geschickt werden.«


Sehr ergötzlich ist, was M. über gewisse, auf dem Zettel in Umlauf gesetzte Gerüchte bemerkt, die Sonntag habe von vielen hohen Personen in ihrem Vaterlande Brief und Aufforderung erhalten, der König von Preussen habe sich an die Sonntag gewendet, Beschreibungen der Verwüstungen seien den Einladungen an die Patronages aus dem Bericht eines Augenzeugen wörtlich in's Englische übersetzt beigelegt, welches alles nur auf Person und Brief des werthen Onkels Nathan zurückzuführen war. Dann fährt er noch fort:


»Das Concert war unstreitig das beste im ganzen Jahre; zu einer Arie war nicht Zeit; die vielen Sänger konnten nur in Quartetten und dergleichen verwendet werden, und dennoch dauerte es beinahe vier Stunden. Die Sonntag hat sechs mal gesungen, Drouet flötete, Moscheles spielte ein Concert für zwei Claviere von meiner Composition mit mir, meine Ouvertüre zum Sommernachtstraum kam auch vor etc. etc. Genug davon, das Beste ist, dass es gewesen und voll gewesen ist.«


Eine höchst ergötzliche Episode bringt noch ein Brief an die Familie in Berlin vom 17. Juli dieses Jahres. »Das Concert für die Schlesier war prächtig, das beste in der Saison; Damen guckten hinter den Contrabässen hervor; als ich auf's Orchester kam, liessen mich Johnstons Ladies rufen, die zwischen Fagotte und das Basshorn gerathen waren, und fragten mich, ob sie wohl da gut hören könnten; eine Dame sass auf einer Pauke, die Rothschild und die K. Antonio campirten auf Bänken im Vorsaale, kurz, die Sache war äusserst brillant.« (Hensel, a.a.O., Bd. I, Seite 238–40.)

Nach diesen musikalischen Grossthaten durfte sich[76] unser jugendlicher Held wohl eine Zeit der Ruhe und Erholung gönnen. Er suchte und fand sie auf einer Reise über Edinburg nach den schottischen Hochlanden bis zu den Hebriden, aber er empfing durch die Reiseeindrücke zugleich die Impulse zu mehreren seiner bedeutendsten Werke, namentlich zu der nachher »die schottische« genannten A moll-Symphonie, der Ouvertüre zur Fingalshöhle oder den Hebriden, und einer Reformations-Symphonie. In der letzten Woche des Juli reiste er mit seinem Pylades Klingemann von London nach Edinburg ab. Der erste Brief von Edinburg, den uns Hensel, a.a.O., S. 240 u. ff. überliefert hat, datirt vom 28. Juli. Die Stadt mit ihrer schönen freien Lage, der reinen, wenn auch scharfen Luft, den grossartigen Naturumgebungen, der Aussicht auf die hohe, blaue See, unermesslich weit, bedeckt mit weissen Segeln, schwarzen Dampfschornsteinen, kleinen Insecten von Kähnen und Böten, Felsinseln und dergleichen, gefiel ihm ausserordentlich.


»Was soll ich's beschreiben? Wenn der liebe Gott sich mit Panoramenmalen abgiebt, so wird's etwas toll. Wenige Schweizer Erinnerungen können dies schlagen, es sieht Alles so ernsthaft und kräftig hier aus; dazu ist gar morgen ein Wettstreit der Hochländer auf der Bagpipe, und so kamen Viele in ihrem Anzug aus den Kirchen, führten ihre geputzten Mädchen siegreich am Arme, sahen stattlich und wichtig in die Welt hinein; mit den langen rothen Bärten, den bunten Mänteln und Federhüten, den nackten Knieen und ihrer Sackpfeife in der Hand gingen sie ganz ruhig vor dem halbzerstörten grauen Schloss auf der Wiese vorbei, wo Maria Stuart glänzend gelebt hat und wo sie Rizzio hat ermorden sehen. Es kommt mir vor, als ginge die Zeit sehr schnell, wenn ich so viel Vergangenheit neben der Gegenwart vor mir habe.«


Nicht minder interessirten und gefielen ihm die Schottländerinnen.


»Die Zeit und der Raum gehen zu Ende und Alles läuft wieder auf den Refrain hinaus, wie freundlich die Menschen und wie freigebig der liebe Gott in Edinburg sind. Auch sind die Schottländerinnen zu beachten, und wenn Mahmud Vaters Rath befolgt und ein Christ wird, so werde ich an seiner Statt ein Türke, und lasse mich in der Nähe hier nieder.«[77]


Sehr wichtig für die Entwicklungsgeschichte des Mendelssohn'schen Genius ist, was M. am Schlusse seines letzten Briefes aus Edinburg, am Vorabend seiner Abreise von da am 30. Juli schreibt:


»In der tiefen Dämmerung gingen wir heut' nach dem Palaste (Holyrood), wo Königin Maria gelebt und geliebt hat; es ist da ein kleines Zimmer zu sehen, mit einer Wendeltreppe an der Thür; da stiegen sie hinauf und fanden den Rizzio im kleinen Zimmer, zogen ihn heraus, und drei Stuben davon ist eine finstere Ecke, wo sie ihn ermordet haben. Der Kapelle daneben fehlt das Dach, Gras und Epheu wachsen viel darin, und am zerbrochenen Altar wurde Maria zur Königin von Schottland gekrönt. Es ist da alles zerbrochen, morsch und der heitere Himmel scheint hinein. Ich glaube, ich habe da heut' den Anfang meiner Schottischen Symphonie gefunden.«


Hier haben wir also einen Schlüssel zum Verständniss dieser bedeutendsten reinen Instrumentalcomposition Mendelssohn's, von einem tiefernsten schwermüthigen Charakter, der schon in der gewählten bis auf die letzten 30–40 Tacte des letzten Satzes streng durchgeführten Tonart liegt. Es ist ein Kampf der Elemente und menschlicher tragischer Leidenschaft, den diese Symphonie darstellt, eine kaum zu ertragende Melancholie, wenn nicht im letzten Satz noch die Sonne des Friedens durchbräche. Uebrigens war mit jenem Besuche des alten halbverfallenen Schlosses nur der Keim gegeben. M. hat ihn mehrere Jahre mit sich herumgetragen, und die Composition erst in Berlin vollendet. Zum ersten male wurde die Symphonie in Leipzig am 13. März 1842 im 19ten Gewandhausconcert aufgeführt, gleich darauf im 20ten wiederholt, ebenso in London am 13. Juni desselben Jahres im philharmonischen Concert zum erstenmal gegeben. An beiden Orten fand das Werk grossen Beifall.

Von Edinburg sollte die Hochlandsfahrt, die am 31. Juli angetreten wurde, über Stilling Perth, Dunkeld und die Wasserfälle nach Blair Atholl gehen, von da zu Fuss über die Berge nach Inverary, Glencoe, den Inseln Staffa und Isla. Hier sollten die Reisenden ein paar Tage bleiben, weil M. von Sir Alexander Johnston[78] eine Empfehlung an Sir Walter Campbell, den Besitzer und Herrn der letztgenannten Insel, hatte. Von da den Clyde hinauf nach Glasgow, dann nach dem Ben und Loch Lomond, nach Loch Earn, Ben Vorlich, Loch Katrin, dann heraus nach Cumberland. M. hatte auch einen Empfehlungsbrief an Sir Walter Scott in Abbotsford. Die Reisenden sahen zwar den grossen Dichter, sprachen ihn aber nur flüchtig, da er eben im Begriff stand, Abbotsford zu verlassen. M. war von diesem Besuche sehr wenig erbaut, während Klingemann ihn in einem Briefe an die Familie in Berlin poetisch ausschmückte, wozu aber M. in einer Nachschrift sarkastisch bemerkte: »Klingemann lügt oben, wie gedruckt.« (Hensel, a.a.O., S. 246.)

Von Abbotsford gingen dann die beiden Freunde, wie oben angegeben, den Hochlanden zu, über die Wasserfälle nach Blair Atholl. Sie hatten von da an viel von der Ungunst des Wetters zu leiden, blieben aber gutes Muths. Wo es irgend anging, zeichnete M. und Klingemann dichtete hübsche Verse dazu. M. schreibt darüber, Blair Atholl, vom 3. August:


»Heut' ist der trübste, traurigste Regentag. Aber wir helfen uns, so gut es geht. Das ist freilich schlecht genug. Ganz durchnässt ist Erde und Himmel, und Regimenter von Wolken ziehen noch in Reih' und Glied heran. Gestern war ein wunderschöner Tag, wir gingen von Felsen zu Felsen, viel Wasserfälle, schöne Thäler mit Flüssen, dunkler Wald und Haide mit rothem Kraut; wir fuhren im offenen Einspänner des Morgens und gingen später einundzwanzig (englische, über vier deutsche) Meilen zu Fuss. Ich zeichnete sehr viel und Klingemann kam auf den göttlichen Gedanken, der Euch gewiss grosse Freude geben wird, an jeder Stelle, die ich zeichnete, einige Zeilen in Knittelversen zu entwerfen, und das haben wir denn auch gestern und heute ausgeführt. Es geht ganz prächtig, er hat schon wunderniedliche Sachen gedichtet.«


Ueberaus drastisch schildert M. in einem Briefe von demselben Tage Abends, aus einem Wirthshause an der Tummelbrücke die wilde Wirthschaft:


»Der Sturm heult, saust und pfeift draussen hin und her, schlägt unten die Thüren zu und die Fensterladen auf; ob der Wasserlärm vom Regen oder dem reissenden Schaumstrom herkommt,[79] kann man nicht wissen, weil beide zusammen wüthen; wir sitzen hier ruhig am Kaminfeuer, das schüre ich von Zeit zu Zeit an, dann flackert es auf; übrigens ist der Saal gross und leer, an einer Wand tröpfelt's nass herunter« u.s.w.5


M. las hier in Jean Paul's Flegeljahren, die er sich auf die Reise mitgenommen hatte. In sein Exemplar dieses Buches hatte Hensel für M. die beiden Schwestern gezeichnet. »Die Schwestern gucken mich sonderlich an. Hensel hat's los, er kann Gesichter sehen und festhalten. Aber das Wetter ist trostlos. Ich habe mir eine eigne Manier zu zeichnen dafür erfunden, und habe heute Wolken gewischt und graue Berge gemalt mit dem Bleistift; Klingemann reimt munter und ich führe im Regen weiter aus.«

Den Gipfelpunkt der Reise bildeten die Hebriden, besonders die Insel Staffa mit der Fingalshöhle. M. schrieb darüber: Auf einer Hebride, den 7. August 1829 an die Schwestern in Berlin: »Um Euch zu verdeutlichen, wie seltsam mir auf den Hebriden zu Muthe geworden ist, fiel mir eben Folgendes bei. (Es folgt ein wunderlich aussehendes Stück Partitur, Violine, Viola, Contrabass, Cellis, Trompeten und Pauken, das erste grosse Motiv in H moll, Anfang der nachherigen Hebridenouvertüre enthaltend, das Hensel als Facsimile nach einer Photographie des Originals wiedergegeben hat, S. 257.) M.'s vertrautester Freund, Ferdinand Hiller, berichtet darüber aus seinem Zusammenleben mit M. in Paris, December 1831 bis April 1832:«


»Auch die provisorische Partitur der Hebridenouvertüre hatte M. nach Paris mitgebracht. Er erzählte mir, wie ihm nicht allein Gestalt und Farbe des Stückes beim Anblick der Fingalshöhle aufgegangen, sondern wie ihm auch die ersten Tacte, das Hauptmotiv enthaltend, dort eingefallen seien. Abends machte er, mit seinem Freunde Klingemann, einen Besuch in einer schottischen Familie. Im Salon stand ein Piano – es war an einem Sonntage, keine Möglichkeit Musik zu machen – er wendete seine ganze Diplomatie auf, bis es ihm gelang, das Instrument eine Minute lang zu öffnen, welche er dazu anwendete, schnell sich und dem wissenden Freunde jenes Thema vorzuspielen, aus welchem dann das originelle[80] Meisterwerk hervorgewachsen ist. Aber erst nach Jahren wurde es in Düsseldorf vollendet.«


Als Nachschrift zu jenem Partiturbruchstück schreibt M. noch von Glasgow, 11. August:


»Was liegt da Alles dazwischen, die grässlichste Seekrankheit, Staffa, Gegenden, Reisen, Menschen – Klingemann hat Alles beschrieben und Ihr werdet mich entschuldigen, wenn ich mich kurz fasse, auch steht das Beste, was ich zu melden habe, genau in den obigen Musikzeilen.«


Dann schreibt M. noch aus Glasgow, 13. August:


»Hier ist denn das Ende unserer Hochlandsreise und der letzte unserer Doppelbriefe. Wir waren froh zusammen, haben munter gelebt und sind so vergnügt durch die Gegend gewandert, als ob der Sturm und Regen, von dem alle Zeitungen berichten (und vielleicht endlich auch die Berliner), gar nicht da wäre. Er war aber da; Wetter hatten wir, dass die Bäume und die Felsen krachten.«


Auf dem Loch Lomond hatten die Reisenden einen so heftigen und rauhen Wind, dass ihr kleiner Kahn in bedenkliches Schwanken gerieth und M. sich schon halb und halb zum Schwimmen fertig machte. Doch kamen sie glücklich durch, und erreichten ein wenn auch sehr unangenehmes Nachtquartier. Nach einer sehr lebendigen Schilderung der während einer zehntägigen Wanderung empfangenen Reiseeindrücke und der dabei wahrgenommenen grossen Stille und Einsamkeit, schliesst der Brief:


»Es ist kein Wunder, wenn die Hochlande melancholisch genannt sind. Gehn aber zwei Gesellen so lustig durch, lachen, wo's nur Gelegenheit giebt, dichten und zeichnen zusammen, schnauzen einander und die Welt an, wenn sie eben verdriesslich sind oder nichts zu essen gefunden haben, vertilgen aber alles Essbare und schlafen zwölf Stunden: so sind das eben wir und vergessen es im Leben nicht.« –


Welch' ein liebenswürdiges Bild eines ächten Reisehumors!

Nach einer schnellen Fahrt mit der Mail von Glasgow nach Liverpool trennten sich die beiden Freunde.[81] Klingemann ging am Abend des 19. August zurück nach London, M. nach Holywell. »Die Schottische Reise,« schreibt M., »ist vorüber, es geht alles sehr schnell, viel ist mir seit Kurzem vorbeigezogen und es steht noch nicht still. Wir gehen nun auseinander und legen schöne Zeit zur Vergangenheit.« Noch nach Irland zu gehen, wie er sich vorgenommen hatte, wurde M. durch Sturm und Regen verhindert. Dafür gestattete er sich noch eine Zeit lang in England herumzuflaniren, wozu er sich nur nach einigen Gewissensbedenken entschloss. Er fühlte aber, »dass sich ihm manches Neue im Kopfe zusammenbaue, und dass er wieder loscomponiren müsse, woran er zuletzt halb verzweifelte.« Er fuhr zunächst nach Chester und dann nach Holywell. Zwischen Chester und Holywell machte er im Postwagen die Bekanntschaft eines sehr wackeren Engländers, Namens Taylor, Besitzer mehrerer bedeutender Bergwerke in ganz England und eines schönen Landsitzes, Coed Du, ohnweit Holywell. Dieser lud M. ein, ohne nur seinen Namen zu kennen, und M. sagte zu. Er fuhr zunächst am andern Morgen wieder von Holywell nach Coed Du, um seinen Besuch für den übernächsten Tag anzusagen, fand aber nur die Mutter und die Töchter zu Haus. Die Briefe, in welchen M. den Schwestern in Berlin diese erste Bekanntschaft mit der Familie und später, nach einer kleinen Reise durch Wales in Begleitung eines Cousins, den er da fand, den einige Tage währenden Aufenthalt auf dem Landsitz selbst schildert, gehören zu den anmuthigsten, die je aus M.'s Feder geflossen sind.6 Noch der erste aus London, vom 10. September, ist voll davon. Zu Anfang desselben schreibt er:


»Mein Aufenthalt bei Taylors war eine von den Zeiten, die ich nie aus dem Gedächtniss verlieren werde, und es wird mir blumenmässig zu Muth werden und die Wiesen und Waldkräuter und Bachkiesel mit dem Rauschen vergess' ich nicht; wir sind Freunde geworden, denk' ich, und ich habe die Mädchen so recht herzinnig lieb, glaube sogar, dass sie mir auch gut sind, denn wir waren fröhlich zusammen; drei meiner besten Clavierstücke verdank' ich ihnen übrigens.«[82]


Er componirte nämlich der ältesten für ihr Album ein Impromptu über ein Bouquet Nelken mit einer Rose in der Mitte, das sie ihm schenkte, und worüber er ihr einen Strauss, der sehr zart ausfiel, zeichnen musste. Für die Jüngste, die einmal mit gelben, offnen kleinen Kelchen im Haar zu ihm kam, und ihm versicherte, das seien Trompeten, componirte er einen Tanz, zu dem die gelben Trompetenkelche aufspielen sollten, und der mittelsten gab er den Bach, der ihnen während eines Spazierrittes so gefiel, dass sie abstiegen, und sich dran hinsetzten. (Drei Capricen für Pianoforte Op. 16). Es waren in der That schöne sonnenhelle Tage, denen diese zarten Blüthen entsprossten. Er beschäftigte sich aber auch dort schon wieder mit ernsteren Compositionen. »Mein Violinquartett schicke ich bald fertig hinüber, und zur Vollendung meiner Reformations-Symphonie war ich neulich fünfhundert Fuss unter der Erde (in einem der Bleibergwerke) vielleicht nicht ohne Erfolg.« (Seltsame Combination, vielleicht anknüpfend an Luther, den Bergmannssohn.) Die Hebridengeschichte kann auch toll werden, und zur silbernen Hochzeit (seiner Eltern, die am 22. December gefeiert werden sollte), braue ich viel Getränk. In dem oben erwähnten Briefe aus London schreibt er noch über seine Compositionen: »Mein Quartett ist in der Mitte des letzten Stückes und ich denke, es wird in diesen Tagen fertig; ebenso das Orgelstück zur Hochzeit (seiner Schwester Fanny mit Hensel, die am 3. October stattfinden sollte); meine Reformations-Symphonie denke ich dann, so Gott will, hier anzufangen und die Schottische Symphonie, sowie auch die Hebridengeschichte baut sich nach und nach zu. Auch Vocalmusik habe ich viel im Kopfe und vor, hüte mich aber schon zu sagen, welche Art und wie?« Unter letzterer versteht M. wohl das Liederspiel, die Heimkehr aus der Fremde, welches ihm Klingemann dichtete, und womit er die Eltern zur silbernen Hochzeit überraschen wollte. Noch am 11. September schreibt er darüber: »Heut' frühstückte ich bei Klingemann, und unser idyllisches Liederspiel rückt sehr vor und fängt an, Form und Gestalt zu gewinnen, ich denke es soll nett werden, und Du wirst prächtig eingeführt, Hensel; fürchte Dich nicht vor dem Singen, es ist[83] für Dich gesorgt.« (M. hatte für ihn alles, was er singen sollte, nur auf Einen Ton componirt, Hensel traf aber bei der Aufführung doch auch diesen Ton nicht, worüber M. das Lachen kaum verbeissen konnte.) Ferner schrieb er noch in demselben Briefe an Rebecka:


»Das Liederspiel wird nett, denke ich: Hensel und Fanny ein altes Ehepaar, Hensel hasst die Musik, Fanny hasst die Soldaten, und ihr Sohn kommt nun in einen fahrenden Musikanten verkleidet zurück, ist aber eigentlicher Soldat, und vergisst sich alle Augenblicke und lässt den Kriegsmann durchgucken; nun mag ihn der Vater nicht wegen der Verkleidung, die Mutter nicht wegen der durchguckenden Wirklichkeit, Beide haben ihn aber doch lieb, und der Flurschütz macht sich Alles zu Nutze; er ist auch ein Fremder, und da die alten Schulzen Nachricht vom Wiederkommen des Sohnes erhalten, so halten sie diesen für den Sohn und sparen sich gegenseitig die Ueberraschung für den folgenden Tag auf, wo Geburts- und Amtsjubiläumstag von Hensel ist, bemühen sich auch, den Rüpel lieb zu haben, versperren ihrem Sohne die Gelegenheit, zur Nachbarstochter zu kommen, und klemmen immer den Flurschützen ein, der dann statt des Soldaten ihr ein tolles Ständchen auf seiner Fiedel bringt; am Morgen erklärt sich alles, und erheitert sich; das Stück fängt nämlich den Abend unter der Linde an, spielt die Nacht durch, wo das Ständchen und der Zank der beiden jungen Leute vor sich geht und schliesst am Jubiläumsmorgen. Was meinst Du zu diesen rohen Entwürfen? Mehr zur Zeit; froh soll es sein und wir nicht minder.«


Und sie kam, diese frohe Zeit, aber nicht ohne eine vorhergehende harte Prüfung und schwere Geduldsprobe, ohne welche auch dieses glücklichsten Sterblichen Leben nicht bleiben sollte. Er fing schon an, sich auf das Wiedersehen seiner Lieben in Berlin zu freuen, hoffte schon bei der Hochzeit der geliebten Schwester Fanny zugegen sein zu können, da begegnete ihm am 17. September auf einer Spazierfahrt mit einem seiner Londoner Freunde der schwere Unfall, mit dessen Gig umgeworfen und auf's Strassenpflaster geschleudert zu werden, wobei er sich am Knie bedeutend beschädigte. Er musste eine Woche lang vollkommen still liegen (»der Kopf,« schreibt er an Fanny am 25. September, »ist mir noch gar so wüst von dem vielen im Bett liegen und von der langen Gedankenlosigkeit),«[84] und erst am 6. November konnte er mit Klingemann die erste Spazierfahrt machen, die er in einem Briefe an die Familie von demselben Datum wunderschön und rührend beschreibt. (Man sehe den Br. bei Hensel a.a.O., S. 288.) Während seines Schmerzenslagers hatte er mit den traurigsten Gedanken zu kämpfen. Seinen Mantel und seine Reisemütze, erzählte er später Devrient, habe er sich zum Troste seinem Bett gegenüber aufhängen lassen, aber oft verzweifelt, ob er sie wohl jemals noch benutzen werde, und so gern er in London gelebt, der Gedanke dort zu sterben, sei ihm fürchterlich gewesen. (Devrient, Erinnerungen, S. 86.) Sein Freund Klingemann pflegte ihn während dieser traurigen Wartezeit mit rührender Hingebung, und seine Englischen Freunde überhäuften ihn mit Liebesbeweisen und ausgesuchten Delicatessen aller Art, was höchst ergötzlich in seinen Briefen zu lesen ist. Auch Goethe, der durch Zelter von dem stattgehabten Unfall erfuhr, spricht seine Theilnahme in einem Briefe an letzteren in wahrhaft zärtlicher Weise aus: »Nun aber wünscht ich zu erfahren, ob von dem werthen Felix günstige Nachrichten eingegangen sind. Ich nehme den grössten Antheil an ihm, denn es ist höchst ängstlich, ein Individuum, aus dem so viel geworden ist, durch einen niederträchtigen Zufall in seiner fortschreitenden Thätigkeit gefährdet zu sehen. Sage mir etwas Tröstliches!« Glücklicherweise konnte Zelter bald Günstiges berichten.

Rührend und verehrungswürdig ist die Art, mit welcher von seinem Schmerzenslager aus der zwanzigjährige Jüngling seinen Antheil an der geliebten Schwester bevorstehender Vermählung in dem oben erwähnten Briefe vom 25. September ausspricht:


»Aber es ist nun so, und wenn man täglich sieht, wie alle Kleinigkeiten, die man sich ausmalt, durch die Wirklichkeit verschoben, vergrössert oder vernichtet werden, so steht man vor einem wirklichen Lebensereigniss mit rechter Ehrfurcht und Demuth. Mit Ehrfurcht, damit meine ich aber frisch und fröhlich und mit Vertrauen. Lebt und webt, heirathet Euch und seid glücklich, baut Euch das Leben zu, auf dass ich es schön und wohnlich finde, wenn ich zu Euch komme (und das geschieht ja nun recht bald) und bleibt Ihr dieselben, dann lasst es draussen rütteln, wie es[85] mag; übrigens kenne ich Euch beide ja, und somit gut. Ob ich die Schwester dann Fräulein oder Madame anrede, bedeutet wenig, der Name thut wenig.«


Wahrlich Worte, wie die eines gereiften Mannes, voll Lebensweisheit, ein brüderlich-priesterlicher Segen! – Zu seiner vollkommenen Wiederherstellung brachte M. noch einige Zeit in Norwood Surrey bei seinem alten Freunde Atwood zu. In seiner Schlafstube stand dort der Musikschrank des alten Atwood, in dem er beim Nachsuchen nach verschiedenen englischen Compositionen einen köstlichen Fund that: Euryanthe, score, eine Partitur der Euryanthe in drei dicken Bänden. Er studirte sie mit grossem Ergötzen, übte aber auch daran sein kritisches Talent. Doch sagt er schliesslich: »S'ist eine liebe Musik und mir kommt's sonderbar vor, gerade hier in England, wo kein Mensch sie kennt und kennen kann, und wo sie den Weber doch eigentlich schändlich behandelt haben, und wo der Mann gestorben ist, gerade da sein Lieblingswerk so genau mir ansehen zu können. Auch Cherubini's Requiem und Anderes habe ich gefunden, und so geht die Zeit sehr angenehm vorbei.« Dann durchlebte M. noch eine Reihe schöner Tage in London, wo er von »all' den lieben freundlichen Menschen« soviel Gutes erfahren hatte und noch erfuhr. »Ich kann die letzten 14 Tage in London die glücklichsten und reichsten nennen, die ich je genossen habe.« Er freute sich, seinem Freunde Horn alle die grossen Eindrücke von London noch einmal vorführen zu können, und fühlte sich glücklich in dem Kreise deutscher Freunde: Rosen, Mühlenfels, Klingemann, Kind und Horn, die er allabendlich spät zu geistvollen belebten Gesprächen um seinen Kamin versammelte. So konnte er nicht ohne Wehmuth von der in England durchlebten schönen Epoche Abschied nehmen, als er am 29. November in Calais den französischen Boden betrat. Wenige Tage später langte er in Berlin an, zwar noch etwas nervös angegriffen und am Stocke gehend, aber froh, die Seinen, unter ihnen das neuvermählte Paar und seinen Freund Devrient nebst dessen Gattin in Einem Hause familienhaft installirt zu finden.[86]

Was M. jetzt zunächst lebhaft beschäftigte, waren die Proben zu seinem Liederspiel, das er nun fertig mitbrachte. Nur an die Instrumentirung hatte er noch die letzte Hand zu legen.


Aus den rohen Entwürfen, von denen er in dem obengenannten Briefe an Rebecka spricht, war ein fein angelegtes kleines Singspiel in einem Acte geworden, aus dem Flurschützen ein abenteuernder zudringlicher Krämer, Kauz, ein närrischer Kauz, der von der günstigen Gelegenheit profitirend für sich im Trüben fischen möchte, und einmal unter der Maske eines Nachtwächters, dann gar eines Werbeoffiziers auftritt. Das Stück spielt unter einer Linde bei dem Hause eines Dorfschulzen vom Abend bis zum Morgen. Personen des Stückes sind: Der Schulz, seine Frau, Lisbeth, des Schulzen Mündel, Hermann, der halb verloren geglaubte Sohn, der vor 6 Jahren sich als Soldat hat anwerben lassen, der obgedachte Krämer, und ein Chor von Landleuten. Der Gang der Handlung ist: Der Schulz steht am Vorabend seines 50jährigen Dienstjubiläums. Für den nächsten Tag ist ihm ein Werbeoffizier angekündigt, auf den er sich freut, von ihm Neuigkeiten zu hören. Die Mutter sitzt in trauernden Gedanken an den verloren geglaubten Sohn, und singt eine Romanze von dem Sohn einer Königin, die ihren Sohn vor Schaden zu behüten, ihn in Weiberkleidern auf einer fernen Insel versteckt hat – doch wilde Jugend, wer hüt' die! Ein alter Kriegsmann findet ihn aus, klirrt mit den Schwertern und Schildern, und der Sohn zieht in den Krieg, und wird ein Held – das wird ihm zuletzt gar bitter vergällt – denn wilde Jugend, wer hüt' die! (Man sieht, es ist die transponirte Sage von Achill.) Zur Mutter tritt tröstend Lisbeth, und singt ein heiteres Lied von den Vorbereitungen auf's Fest, in welches zuletzt die Mutter mit einstimmt. Doch giebt auch die Tochter, nachdem die Mutter in's Haus gegangen, ihrer beängstigten Stimmung in einem wehmüthigen Liedchen Ausdruck. Jetzt tritt Kauz auf, dessen Nase den Kuchenduft eines Festes wittert. Er naht sich Lisbeth zudringlich, und macht sich als unentbehrlicher Festordner sehr wichtig, was er mit reichem Wortschwall in einem pathetischen Liede ausdrückt. Lisbeth begreift, aber seine zudringliche Zärtlichkeit weist sie zurück. In diesem kritischen Augenblick tritt Hermann zu ihr, als Spielmann verkleidet, die Zither auf dem Rücken. Er erkennt sogleich Lisbeth, die er als junges Mädchen verlassen, aber schon geliebt hat, und jetzt als zwanzigjährige holde Jungfrau wiederfindet. Der Krämer tritt störend zwischen sie, von Hermann kräftig[87] zurückgewiesen. Dieser intonirt jetzt zur Zither greifend, ein schönes Abendlied, mit dem Refrain einer Anspielung auf sein Soldatenleben. Lisbeth kommt das Lied bekannt vor, sie fragt ihn, wo er es her hat. Hermann erzählt von sich, als von einem Dritten, und schliesst seinen Bericht mit dem Refrain aus der Mutter Lied »Doch wilde Jugend, wer hüt' die!« Lisbeth ahnt, wer der Sprecher ist, Hermann giebt sich ihr zu erkennen. Der Krämer hat aus dem Gespräch erlauscht, dass von dem Sohne des Schulzen die Rede war, und will sich selbst für diesen Sohn ausgeben, fährt täppisch dazwischen. Daraus entspinnt sich ein munteres lebhaftes Terzett, in welchem Lisbeth und Hermann ihrer verschwiegenen Wonne, Kauz seinem lebhaften Verdruss über den unwillkommenen Störenfried seiner Pläne Ausdruck geben. Hierauf zärtlicher Dialog zwischen Lisbeth und Hermann. Dieser bittet sie um ihre Fürsprache bei den Eltern. Dann der Schulz mit Lisbeth allein. Sie kündigt ihm an, dass ein Werbeoffizier dagewesen sei, ein kurioser Herr, unter dem sie den Krämer meint. Von Hermann schweigt sie noch. Hierauf gemüthliche Aussprache zwischen dem Schulzen und seiner Frau. Zwischen sie tritt der Krämer, der Lisbeth und Hermann, den er einen Vagabunden nennt, des Einverständnisses bezüchtigt. Die Mutter will es nicht glauben, Kauz stellt sich als treuer Warner, der Schulz interessirt sich nur für die Kriegszeitung. Daraus entspinnt sich wieder ein sehr lebendiges Terzett, das der Schulz mit den Worten schliesst: Ich lasse mich durch gar nichts irren, Hermann ist sicher General. Er beschwichtigt Kauz mit dem Hinweis auf die gute Polizei des Orts, den sehr sicheren Nachtwächter. Dieser tritt auf, etwas angetrunken und verspricht möglichste Wachsamkeit. Der Schulz spricht mit Kauz und verlangt Nachricht von seinem Sohn. Kauz darf nicht, muss reinen Mund halten – »aber ehe ihr's euch verseht, werdet ihr gewaltig überrascht.« Es ist dunkel geworden, Hermann erscheint im Hintergrunde. Kauz stellt sich an, als wollte er auf den Vagabunden losbrechen, retirirt sich aber hinter den Schulzen, der abgeht. Man hört wiederholt den Nachtwächterruf. Hermann lockt Lisbeth, die er gern sprechen möchte, mit einem Nachtlied. Kauz, in der Eile als Nachtwächter verkleidet, mit einem Trichter, stört ihn zweimal darin. Dann kommt Kauz, noch als Nachtwächter verkleidet, und bringt gleichfalls ein Ständchen, seine Liebe in sein Nachtwächterlied verflechtend. Ihn stört Hermann, jetzt gleichfalls mit Hülfe des ächten Nachtwächters als Nachtwächter verkleidet, und arretirt mit lautem Geschrei Kauz. Der Schulz, in der Nachtmütze sieht zum Fenster hinaus. Bewegtes Duett, mit dazwischen gesprochenen Worten des[88] Schulzen. Nach dieser etwas tumultuarischen Scene schöne Zwischenmusik des Orchesters, zuerst die Nachtruhe, dann das allmähliche Erwachen des Morgens bezeichnend. Nach den letzten Accorden folgt das erste Motiv der Ouvertüre, während dessen Lisbeth mit Blumenkränzen aus dem Hause tritt, und einige Worte melodramatisch spricht, die dann in ein reizendes zartes Lied übergehn: »Die Blumenglocken mit hellem Schein, sie läuten den frohen Festtag ein« u.s.w. Nach einem kurzen Zwiegespräch zwischen dem Schulzen und seiner Frau, die sich gegenseitig zu dem frohen Tage beglückwünschen, erscheint mit Jubelgesang der Chor der Landleute, an ihrer Spitze Lisbeth und Kauz, letzterer als Werbeoffizier in improvisirter Uniform. Er giebt sich nun dem Elternpaare gegenüber für den vermissten Sohn aus, und verheisst den Landleuten Freiheit von der Aushebung. Hermann, der rechte Offizier, von Lisbeth herbeigerufen, entlarvt ihn schmählich, und giebt sich den Eltern als ihren wirklichen Sohn zu erkennen. Der Krämer giebt Fersengeld, erscheint aber zum Schluss noch einmal mit grosser Unverfrorenheit, und bietet als Tabuletkrämer seine Waaren an. Ein prächtiges Finale, zuerst Quartett von Hermann, Mutter, Lisbeth und dem närrischen Kauz, dann ein festlicher Chor der Landleute schliesst das Ganze mit den Worten: Es knüpft sich Neues mit dem Alten, und alles Alte wird so neu, ein neues Leben soll hier walten, der Bund bestehn in Lieb und Treu! –


Man sieht leicht aus dieser vielleicht für den Zweck dieses Buches zu ausführlichen Skizze, wie sinnig in diesem harmlosen Festidyll die Beziehungen auf die Silberhochzeit der Eltern sind, und wie bei aller Einfachheit doch ein grosser Wechsel und Mannigfaltigkeit der Scenen dem Componisten reiche Gelegenheit bot, sein dramatisches Talent zu entfalten. Der gesprochene Dialog streift zwar namentlich in den Spässen des Kauz zuweilen an's Triviale, aber der Text zu den Liedern, Duetten, Terzetten und Chören ist vollendet fein und anmuthig. Die Musik, im Ganzen 14 Nummern, ist von einer bezaubernden Jugendfrische. Der Componist schöpft überall aus dem Vollen, trifft herrlich den ächten Festton, und offenbart zugleich des Sohnes tiefes dankbares Gemüth, der den geliebten Eltern eine wahre Festfreude bereiten wollte. Gleich die Ouvertüre in dem heitern A dur, die mit dem zarten Lisbethmotiv, das durch alle Modulationen mit immer steigender Kraft[89] und Fülle durchgeführt wird, beginnt und schliesst, macht den entschiedensten feierlich-fröhlichen Eindruck. M. hatte die ausgesprochene Absicht, damit den Eltern eine Huldigung zu bringen. Die von der Mutter gesungene, wehmüthige Romanze, Nr. 1 in E moll steht damit in interessantem Contrast. Das Duett Nr. 2 zwischen Lisbeth und Mutter in G dur, anfangs nur Wechselgesang, bei welchem die Stimmung der Mutter noch wehmüthig durchklingt, löst sich zuletzt in reizende heitere Harmonie auf, während das darauf folgende Lied Lisbeth's, Nr. 3 in G moll, wieder sehr schön die beängstigte Stimmung des liebenden Mädchens wiedergiebt. Damit contrastirt in ergötzlicher Weise das bramarbasirende Lied des sich als Festordner anpreisenden Krämers in D dur Nr. 4 mit seinen kurzen Rhythmen und hastendem Tempo. Lebhafte Anklänge an das Lied Caspars im Freischütz (welches? doch nicht »Hier im irdischen Jammerthal?«) vermag ich mit Reissmann nicht darin zu finden. Das schöne Abendlied Hermann's für Tenor in G dur, in dem heroischen Soldatenton wechselnd mit D dur, ist von angenehmster Wirkung. Den Gipfelpunkt der Composition bildet das nun folgende lebhafte Terzett Nr. 6 in A dur zwischen Lisbeth, Hermann und Kauz, dem sich das Terzett in F dur Nr. 7 zwischen Mutter, Kauz und Schulz mit dem interessant verflochtenen eintönigen F für den Schulzen ebenbürtig anschliesst. Sehr komisch wirkende Gegensätze finden sich dann in den beiden folgenden Nummern 8 und 9, wo Hermann durch ein schwärmerisches Nachtlied »Es steigt das Geisterreich herauf aus kühler Mitternachtsstunde« in G moll, die Geliebte wecken will, und durch ein Fortissimo in B dur »Hört ihr Herrn und lasst Euch sagen« u.s.w. in jedem der drei Verse seines Liedes von dem Pseudonachtwächter Kauz auf die unliebsamste Weise gestört wird. Dafür revanchirt sich wieder Hermann, indem er Kauz bei dem folgenden Nachtwächterliebesliede in B dur Nr. 9 mit einem sehr kräftigen »zwölf hat's geschlagen« dissonirend in H unterbricht. Daraus erfolgt Nr. 10 ein sehr lebendiges Duett zwischen den beiden in E dur, indem Hermann im Kostüm des wirklichen Nachtwächters mit Spiess, Horn und Laterne Kauz arretiren will, und dieser um Hülfe[90] wimmert, bis der Schulz in der Nachtmütze am Fenster beschwichtigend eintritt, und dann beide Pseudonachtwächter einer den andern zur Ruh' in tiefer Nacht in einem Allegro vivace ermahnen. Auf diese Scene folgt dann die schon erwähnte Zwischenmusik, die anfangs in einem Adagio in E moll die Nachtstille, dann bewegter in A dur Sonnenaufgang und Morgen schildert. Dann tritt Lisbeth mit dem reizenden Motiv, das wir schon kennen, aus dem Haus, und singt in einem Allegro molto vivace in A dur ihr reizendes Lied. Der Chor der Landleute, anfangs Solostimmen, Sopran und Alt, zu denen dann auch Tenor und Bass treten, zuletzt Tutti, bringt ungemein frisch in D dur seine Begrüssung dem Jubelpaare. (M. setzt den Anfang dieses Chores einem Geburtstagsbriefe an seine Mutter aus Paris vom 15. März 1832 wieder voran, ein Beweis, welchen Werth er selbst auf diesen Ausdruck seiner kindlichen Zärtlichkeit legte.) Das Singspiel schliesst mit dem schon erwähnten lieblichen Quartett und frischen Chor in A dur, also derselben Tonart, in welcher die Ouvertüre begann. So rundet sich alles zum künstlerisch-harmo nisch geordneten wohlgefälligsten Ganzen.

Ueber die Besetzung der Rollen für die Aufführung ist noch zu bemerken, dass ausser den schon oben Genannten, Devrient den Kauz, seine Frau Therese die Lisbeth, und der Student Mantius, der nachmals rühmlichst bekannte lyrische Tenor der Berliner Oper, den Hermann übernommen hatte. Die Proben, die schon allen Betheiligten grosses Vergnügen gewährten, waren glücklich überstanden, als noch der Aufführung ein unerwartetes Hinderniss drohte. Devrient wurde für den Festabend zu einem Concert bei dem Kronprinzen befohlen. M. gerieth durch die Hiobspost in solche Aufregung, dass er im Abendkreise der Familie anfing irre zu reden, unaufhörlich englisch zu sprechen u.s.w. Ein Machtspruch des Vaters trieb ihn zu Bett, und ein zwölfstündiger tiefer Schlaf stellte ihn wieder her. Der Hofintendant Graf v. Redern wusste es zu vermitteln, dass die Function Devrient's bei dem Hofconcert abgekürzt wurde, und dieser noch rechtzeitig nach einem kleinen vorangehenden von Hensel gedichteten und Fanny componirten Festspiele in seine Rolle bei dem[91] Liederspiele eintreten konnte. Die Aufführung, vor einem grossen Freundeskreise gelang vollkommen, bis auf das famose F, welches Hensel richtig nicht traf, trotzdem ihm der Ton von allen Seiten zugehaucht wurde. Grade aber das machte M. »das grösste Plaisir des Abends«. Er musste sich auf die Partitur bücken, um sein Lachen zu verbergen. (Devrient, meine Erinnerungen, S. 94.) Was allgemein überraschte, war des Componisten dabei zu Tage getretenes so bedeutendes, dramatisches Talent. Man drängte ihn, das Liederspiel öffentlich aufführen zu lassen, besonders seine Mutter wünschte es lebhaft. Aber M. selbst widerstrebte. Es ging ihm gegen die kindliche Pietät, den Ausdruck seiner Verehrung für die Eltern, nur für den Familien- und Freundeskreis bestimmt, vor ein grösseres Publicum zu bringen. Bei seinem Leben ist es auch nicht geschehen. Nach seinem Tode konnte man es nicht mehr hindern. Ich selbst wohnte einige Jahre nach M.'s Tode einer Aufführung in einem Privatcirkel bei M.'s bester Freundin in Leipzig bei, wobei ich den verbindenden Text las.7 Die volle Schönheit des Werkes ging mir aber erst bei einer öffentlichen Darstellung im Leipziger Theater am 4. November 1883 auf, wo zur Feier des Todestages M.'s das Liederspiel, die Ouvertüre zu den Hebriden, die Walpurgisnacht und das Finale aus der unvollendeten Oper Lorelei in trefflicher Aufführung gegeben wurden. Ich muss sagen, dass ich ganz hingerissen war von der wunderbar schönen Instrumentirung, den reizenden Motiven, der dramatischen Lebendigkeit und feinen Characteristik dieser einzigen dramatischen Composition, die der Tondichter, und zwar noch in seiner vollen Jugendfrische stehend, vollendet hat. Um so mehr ist es zu beklagen, dass M. von allen Seiten ermuntert, eine Oper zu componiren, keinen ihm zusagenden Text fand. Vielleicht war er in seinen Anforderungen allzu streng. Auch sein Freund Devrient, der für Marschner »Hans Heiling«, und für W. Taubert »den Zigeuner« gedichtet hatte, konnte ihm nicht genügen. Carl von Holtei, mit welchem er wegen[92] eines Textes in Unterhandlung trat, sagte nicht mit Unrecht: »Mendelssohn wird niemals einen Opernstoff finden, der ihm genügt; er ist viel zu gescheidt dazu.« M.'s Vater sagte einmal halb im Scherz, halb im Ernst: »Ich fürchte, Felix findet am Ende auch keine Frau, wie er keinen Operntext hat finden können.« Diese Befürchtung traf glücklicherweise nicht ein, wenn auch der Vater die so lebhaft gewünschte Vermählung des Sohnes nicht mehr erlebte. Aber ein tragisches Geschick ist es zu nennen, dass M., als er endlich in der Lorelei von Geibel, dem bedeutendsten Dichter der Gegenwart, einen ihm zusagenden Operntext gefunden hatte, von einem frühen Tode ereilt, das daran begonnene Werk nicht mehr vollenden konnte. Das uns erhaltene Fragment, das vorhin genannte Finale ist von hoher Schönheit und mächtiger dramatischer Wirkung.

Aus dem fröhlichen Zusammenleben der drei Familien Mendelssohn, Hensel und Devrient in dem einen Hause während des Winters 1829 bis 30, in welchem selbstverständlich viel Musik gemacht wurde, ist ausser einigen Liedercompositionen nur zu erwähnen der vollständige Clavierauszug des Liederspiels, den er mit eigener Hand schrieb und Theresen Devrient zum ausschliesslichen Eigenthum verehrte und die theilweise Vollendung der oben genannten Reformations-Symphonie, zu welcher er die Partitur anfangs gleich mit allen Ripienstimmen und concertirenden Instrumenten neben einander gleichsam wie aus einem Gusse niederschrieb. Doch erklärte er diese Arbeit selbst für zu anstrengend, um sie in gleicher Weise fortzusetzen. Als ein erwähnenswerthes Ereigniss ist noch anzuführen, dass ihm zu Anfang des Jahres 1830 die mit Rücksicht auf ihn geschaffene Professur der Musik an der Universität Berlin angetragen wurde. Er lehnte sie aber ab, und lenkte die Wahl auf seinen Freund B.A. Marx, der sie auch annahm. Unter diesem habe ich selbst 1834 als Student der Theologie an dem von ihm geleiteten academischen Gesangverein theilgenommen und unter andern eine Motette von Mendelssohn mit einstudirt. Der spärliche Besuch dieser Uebungen brachte den guten Marx zu gelinder Verzweiflung, bis es mir endlich gelang,[93] durch eine in dem grössten Auditorium öffentlich gehaltene Rede die Herrn Studenten zu fleissigerer Theilnahme zu ermuntern.


Mit dem Frühling 1830 sollte nun unser junger, jetzt auch im bürgerlichen Sinne (geistig war er es ja schon längst) mündiger Künstler seinen eigentlichen Weltgang antreten. Ueber Weimar, München, Salzburg, Wien, Graz durch Steiermark, Klagenfurt, von da über Udine nach Venedig, dann Bologna, über Florenz nach Rom zu längerem Aufenthalt, schliesslich bis Neapel, dann zurück über den Lago maggiore durch die Schweiz über den Bodensee weg noch einmal nach München und endlich nach Paris sollte die Reise gehn. Bereits war der Tag der Abreise gegen Ende März festgesetzt, als unerwartet ein Hinderniss dazwischen trat. M.'s zärtlich geliebte Schwester Rebecka wurde von den Masern befallen. Der Arzt verordnete sofortige Absperrung. Felix war untröstlich über die Trennung, er jammerte und weinte wie ein Kind, und meinte, »ich werde meine Schwester wohl nicht mehr wiedersehn – wer weiss, was mit ihr geschieht, indess ich fort bin – wer weiss, was mit mir in der Fremde geschieht, ich werde sie wohl nicht wiedersehn!« Am nächsten Morgen meldete er aber seinem Freunde Devrient ganz fröhlich: »Die Aerzte geben mir die Hoffnung, dass ich in einigen Tagen auch die Masern kriegen solle. Komm also nicht zu mir, oder wie Hensel sagt: Noli me tangere!« So war also der Trennungsschmerz gehoben, und zwischen den beiden Freunden entspann sich ein launiger Notenwechsel auf Zetteln, die sie einander quer über den Hof zuschickten. So schrieb unter andern M. in übermüthigem Humor:


»Bis hierher wird dieser Brief verbrannt und zerrissen, das Folgende kann leben bleiben – nämlich: wie schön ist Gottes Welt! Schreib mir doch bald wieder; ich habe die erste Etüde von Cramer mit den Händen kreuzweis spielen gelernt, ich spiele die Einsetzung des Abendmahls aus der Passion auf einer Stockflöte, ich gehe müssig, wie ein Kapellmeister. Aber willst Du wissen, wann meine Ostern fallen? Sonntag, Lieber, oder Montag; wenn Du also glaubst, eher als ich abzureisen, so irrst Du stark. Wir[94] werden wahrscheinlich zu gleicher Zeit abgehn nach verschiedenen Seiten. Es wird doch nichts Vernünftiges draus, also will ich lieber schliessen, morgen etwa mehr. Dein

(eigenhändig) Felix Mendelssohn-Bartholdy.«


Bis Mitte Mai waren beide Geschwister vollständig genesen, und Felix konnte nun seine Reise frisch und fröhlich antreten. Erwähnenswerth ist noch ein empfindsamer Zug aus dem Abschied von seinem Freunde Devrient, der einen Blick in des Jünglings zartbesaitetes Gemüth thun lässt. Devrient erzählt:8


»Der Abschied wurde uns Beiden nicht leicht, aber Felix' zärtliche Seele war mehr davon bewegt. Als ich Abschied genommen und er mich bis auf die Freitreppe nach dem Hof hinaus begleitet hatte, und ich – der ich das Umarmen der Männer nie geliebt – mit Händeschütteln von ihm schied, rief er mich nach den ersten Stufen zurück, und mit rührungsblassem Gesichte, die Augen überflort, sagte er: ›Du könntest mir wohl um den Hals fallen.‹ Das that ich dann von Herzen, und so zog der liebenswürdige Jüngling zu seiner fröhlichsten Reise fort.«


Es kann nicht meine Absicht sein, in diesem Versuch einer wirklichen Biographie Mendelssohn's den genialen Künstler Schritt für Schritt auf seiner Wanderung zu begleiten. Der erste Band der Reisebriefe F.M.'s, von seinem Bruder Paul, Berlin 1861, zum ersten mal herausgegeben und wohl in den Händen der meisten Verehrer M.'s, giebt uns von allen Erlebnissen und Vorgängen in seinem Innern ein so vorzügliches Bild, dass es ein undankbares Beginnen wäre, davon einen Auszug geben zu wollen. So schreibt ja unter andern auch Goethe an Zelter unterm 31. März 1831: »Vor allen Dingen habe zu vermelden, dass ich einen ganz allerliebsten ausführlichen Brief von Felix, datirt Rom den 5. März, erhalten habe, welcher das reinste Bild des vorzüglichen jungen Mannes darstellt. Für den ist nun weiter nicht zu sorgen, das schöne Schwimmwamms seines Talents wird ihn auch durch die Wogen und Brandungen der zu befürchtenden Barbarei hindurch[95] führen.« Es soll also im Folgenden nur der Versuch gemacht werden, alle die bedeutenden Momente aus diesen Wanderjahren, welche zu einem Gesammtbilde des Lebens und Wirkens des Künstlers gehören, in grossen Umrissen darzustellen. Die erste Hauptstation der Reise war Weimar, wohin M. wahrscheinlich am 19. oder 20. Mai mit Extrapost abfuhr; in Goethe's Hause, wo er auf das liebreichste aufgenommen, von Goethe selbst zu längerem Aufenthalt innig gedrungen, gegen seinen ursprünglichen Plan volle 14 Tage höchst vergnüglich verweilte, empfing der treffliche Jüngling die eigentliche Künstlerweihe zu seinem Ausflug in das Land, wo die Citronen blühn. Von seinem herrlichen Aufenthalt bei dem Dichterfürsten und den liebenswürdigen Damen seiner nächsten Umgebung, giebt er selbst in den drei ersten höchst ergötzlichen und interessanten Reisebriefen ausführliche Kunde. Er war bei Goethe fast täglich, öfters Mittags und Abends zu Tische, musste ihm von Schottland, Hengstenberg, Spontini und Hegel's Aesthetik erzählen und ihm viel vorspielen, unter andern spielte er auch die drei oben erwähnten, den drei jungen Engländerinnen in Coed Du gewidmeten Stücke, die viel Glück machten. Er musste aber auch Goethe stundenlang vorspielen, um ihm einen Begriff von den verschiedenen musikalischen Epochen zu geben. Sehr interessant ist M.'s Bericht darüber, wie Beethoven auf Goethe wirkte. Er schreibt in dem 2. Reisebriefe: »An den Beethoven wollte er gar nicht heran. Ich sagte aber, ich könne ihm nicht helfen und spielte ihm nun das erste Stück der C moll-Symphonie vor. Das berührte ihn ganz seltsam. Er sagte erst: das bewegt aber gar nichts; das macht nur Staunen; das ist grandios, und dann brummte er so weiter und fing nach langer Zeit wieder an: Das ist sehr gross, ganz toll, man möchte sich fürchten, das Haus fiele ein; und wenn das nun all' die Menschen zusammenspielen! – Und bei Tische, mitten in einem andern Gespräch, fing er wieder damit an.« Goethe bedankte sich für diese Bemühungen, ihn auf dem Gebiete der Musik zu orientiren, in sehr liebenswürdiger Weise. Er gab einem Weimar'schen bedeutenden Portraitmaler Auftrag, M. für ihn zu zeichnen, wozu M. nochmals sitzen musste, schenkte diesem einen[96] Bogen seines Manuscripts von Faust, mit der eigenhändigen Unterschrift: »Dem lieben jungen Freunde, F.M.B. kräftig zartem Beherrscher des Pianos, zur freundlichen Erinnerung froher Maitage 1830, J.W. von Goethe« und gab ihm dann noch drei Empfehlungen nach München mit, bat ihn auch, er solle ihm zuweilen schreiben. M. that dies zum ersten male von München aus.9 Goethe selbst schrieb am Tage der Abreise M.'s von Weimar aus unterm 3. Juni an Zelter:


»So eben, früh zehn Uhr, fährt beim klarsten Himmel, im schönsten Sonnenschein der treffliche Felix mit Ottilien, Ulriken und den Kindern, nachdem er 14 Tage bei uns vergnüglich zugebracht und alles mit seiner vollendeten liebenswürdigen Kunst erbaut, nach Jena, um auch dort die wohlwollenden Freunde zu ergötzen und in unserer Gegend ein Andenken zurückzulassen, welches fortwährend hoch zu feiern ist. Mir war seine Gegenwart besonders wohlthätig, da ich fand: mein Verhältniss zur Musik sei noch immer dasselbe; ich höre sie mit Vergnügen, Antheil und Nachdenken, liebe mir das Geschichtliche; denn wer versteht irgend eine Erscheinung, wenn er sich nicht von dem Gange des Herankommens penetrirt? Dazu war denn die Hauptsache, dass Felix auch diesen Stufengang recht löblich einsieht und glücklicherweise sein gutes Gedächtniss ihm Musterstücke aller Art nach Belieben vorführt. Von der Bach'schen Epoche heran, hat er mir wieder Haydn, Mozart und Gluck zum Leben gebracht; von den grossen neueren Technikern hinreichende Begriffe gegeben und endlich mich seine eigenen Productionen fühlen und über sie nachdenken machen; ist daher auch mit meinen besten Segnungen geschieden. Sage den werthen Eltern des ausserordentlichen jungen Künstlers das Allerbeste.«


Seit dieser Zeit blieben die Beiden bis zu des Altmeisters Tode in beständigem Briefwechsel und Goethe bezeugte über Felixens »anmuthige, allerliebste, höchst interessante Briefe« stets die lebhafteste Freude, wie überhaupt die regste Theilnahme an seinem Ergehen. So schreibt er z.B.[97] an Zelter unterm 4. Januar 1831: »Felix, dessen glücklichen Aufenthalt in Rom Du meldest, muss überall günstig aufgenommen werden: ein so grosses Talent, ausgeübt von einer so liebenswürdigen Jugend.«

Noch verdient aus diesem Aufenthalt M.'s in Weimar Erwähnung, dass er unterm 25. Mai seiner Schwester Fanny verspricht, ihr nächstens die Copie seiner Symphonie zu schicken, die er in W. abschreiben lasse, um sie nach Leipzig zu senden, wo sie vielleicht aufgeführt werden würde. Sie solle Stimmen über den von ihm zu wählenden Titel sammeln, Reformationssymphonie, Confessionssymphonie, Symphonie zu einem Kirchenfeste u.s.w. Es ist die schon einigemal früher erwähnte Reformationssymphonie gemeint. Dass sie damals in Leipzig aufgeführt worden sei, ist mir nicht bekannt.10 Jedenfalls gehört sie nicht zu M.'s epochemachenden Werken. Ich hörte sie noch vor zwei Jahren zum ersten male in dem hiesigen Concertinstitute Euterpe, kann aber nicht sagen, dass das Werk einen bedeutenden Eindruck auf mich gemacht hätte. Das Motiv »Eine feste Burg ist unser Gott«, in die Oberstimme der Blasinstrumente gelegt, ist contrapunctisch gewiss sehr schön durchgeführt, schlägt aber nicht mächtig hindurch. Ueberhaupt entbehrt das Werk eines höheren Schwunges und könnte, ohne Mendelssohn's Ruhm zu schaden, der Vergessenheit anheim fallen. –

Von Jena aus fuhr M. durch die kleinen Thüringischen Fürstenthümer, deren verschiedene Geldsorten und langsame Fahrposten ihm viel Aerger verursachten, wahrscheinlich über Coburg und Nürnberg, sogar die Nacht zu Hülfe nehmend, nach München, der zweiten grossen Station seines Ausfluges in die Welt. Die Reise muss aber doch ziemlich schnell vor sich gegangen sein: in Nürnberg scheint er gar nicht verweilt zu haben. Denn Goethe berichtet von der Abreise M.'s aus Weimar unterm 3. Juni. Dazwischen fällt nun noch der Aufenthalt in Jena, von dem Goethe spricht, und bereits am 6. Juni schreibt M. an die Seinen in Berlin von[98] seiner Ankunft in München, wo er zwar todtmüde aber pflichtschuldigst in den Fidelio geht, an dessen Aufführung er indess auch mancherlei auszustellen hat. (Reisebriefe, Th. I, S. 11 und 13.) Der Aufenthalt M.'s in München dauerte mehrere Wochen, denn wir finden den nächsten Brief erst von Linz, den 11. August aus datirt. Kein Wunder, dass ihn München mit seiner ihm noch ganz neuen süddeutschen Lebendigkeit sehr anzog, denn er fand dort des musikalisch–Interessanten sehr viel und allenthalben kam ihm eine Liebe und Verehrung entgegen, wie er sie sich wohl kaum hatte träumen lassen. Sein Freund A.B. Marx, der mit ihm, wohl nicht zufällig, in München zusammentraf, berichtet darüber in einem (Hensel, Familie Mendelssohn, Bd. I, S. 313 u. ff. abgedruckten) sehr interessanten und lebendigen Briefe an Fanny in höchst ergötzlicher Weise. Ich kann nicht umhin, eine längere characteristische Stelle dieses Briefes hierher zu setzen:


»Was wir bis dahero thun und gethan, ist bald gesagt: Wir regieren. Ich habe geruht, Vicekönig zu werden, und lasse mir huldigen, ohne eine Miene zu verziehen .... Alles Ernstes können Sie sich keine Vorstellung von Felixens Stellung hier machen; er kann nicht das Hundertste schreiben und auch mir wird es bei dem besten Vorsatze nicht gelingen. Die Anerkennung seiner Musik – nun das haben wir vorausgewusst. Jetzt – er könnte die allerschlechteste Musik aufführen und Alles würde entzückt sein. Doch das muss man beobachten, wie er überall Kind im Hause, wie er recht eigentlich der Mittelpunkt jedes Kreises ist. Von Früh an bezieht sich alles auf ihn. Gestern z.B. hatte ich bis zum Incognito geschrieben und Felix geschlafen, da bringt des Gesandten Jäger ein Billet von der zärtlichst schreibenden Betty, die ich kenne, Felix möge doch, da er um drei nicht zu Tisch kommen könne, um zwölf oder Nachmittags oder Morgens kommen, sie würde zu jeder Zeit glücklich sein etc. Wieder öffnet sich die Thür; nun tritt der Jäger eines Grafen ein (Protzschy oder Prutzschi heisst er, oder sonst anders, nur nicht wie ein vernünftiger Mensch) und bringt einen Nelkenstrauss von Fräulein so und so. Ihm folgt der erste Clavierlehrer von München und möchte eine Lektion haben – seine eigenen hat er ausgesetzt, so lange Felix hier ist. Dann: Ein Compliment von der dankbaren Peppi Lang (o! was werde ich von der zu erzählen haben, ehe sie noch sechszehn Jahr alt wird) und sie wage die Bitte, er möge nicht übel nehmen, dass[99] sie ihm ein Andenken (acht reizende Lieder) darbringe. Fräulein Delphine Schauroth (sechszehnahnig wenigstens) hat zwar die Nacht hindurch an einem Lied ohne Worte für ihn componirt, lässt aber bitten, ja nicht um halb elf, sondern womöglich schon um zehn zu kommen, womöglich noch früher; – darum muss der Graf Wittgenstein eine halbe Stunde Pflaster treten. – Staatsrath Maurer, Capellmeister Stuntz, Moralt und andere trockene Visiten und Bestellungen nicht zu erwähnen, lässt Herr v. Staudacher anfragen: Herr von Mendelssohn habe zwar bereits zugesagt, zum Diner zu kommen, ob man aber gewiss hoffen dürfe etc. etc. Dann kommt noch Bärmann11 mit der confidentiellen Note: Staudacher's hätten zwei Mehlspeisen bestellt, um ihm zu gefallen. Sie werden diese unvollständige Liste für trockenen Spass halten; es ist aber lustiger Ernst.«


Es fällt dem Biographen schwer, etwas von dieser anmuthigen Darstellung der Liebesfülle abzubrechen, die diesem liebenswürdigsten Menschen hier von allen Seiten zuströmte. Sie ist ein glänzender Commentar zu dem, was ich bereits im Vorwort dieser Schrift über den Zauber der Persönlichkeit M.'s gesagt habe. Auch Marx sagt: »Wer kann all' das Detail schreiben, die tausend Blätter aufzählen am Baum der Freude und Liebe? Nur im Ganzen versteht und goutirt man, wie das Interesse (an ihm) auch die kleinsten Aederchen durchströmt.«

Mit den beiden jungen Damen, welche Marx in seinem Briefe nennt, Fräulein Delphine von Schauroth und Fräulein Josephine (Peppi) Lang, namentlich mit der letzteren scheint Mendelssohn als Künstler, wohl auch als Mensch in ein sehr inniges Verhältniss getreten zu sein. Fräulein Delphine war, wie oben erwähnt ist, von altem Adel und eine recht bedeutende Clavierspielerin. M. selbst schreibt von ihr in einem Briefe aus München an Fanny vom 11. Juni 1830 (Hensel, die Familie Mendelssohn, Bd. I, S. 317), der übrigens von brüderlicher Zärtlichkeit und Verehrung für letztere überfliesst:


[100] »Grosse Soirée war nämlich gestern bei dem P. Kerstorf, und Minister und Grafen liefen umher, wie die Hausthiere auf dem Hühnerhof. Auch Künstler und andere Gebildete. – Die Delphine Schauroth, die nun hier angebetet wird (und mit Recht) hatte von all' diesen Klassen ein Bischen; denn ihre Mutter ist Freifrau von und sie ist Künstlerin und sehr wohlgebildet; kurz ich lämmerte sehr. (Lämmern ein Lieblingsausdruck M.'s für: den Hof machen.) Nämlich so, dass wir die vierhändige Sonate von Hummel zu allgemeinem Jubel schön vortrugen, dass ich nachgab und lächelte und zuschlug, und das As im Anfang des letzten Stückes für sie aushielt, weil ja die kleine Hand nicht zureichte, und dass die Frau vom Hause uns nebeneinander setzte, Gesundheiten ausbrachte und so fort. – Aber eigentlich wollte ich ja nur sagen, dass das Mädchen sehr gut spielt und mir, als wir vorgestern zum ersten male zusammenspielten (denn das Stück ist schon dreimal gegeben worden) ganz ordentlich imponirte; als ich sie nun gestern früh hörte und auch sehr bewunderte, fiel mir plötzlich ein, dass wir im Hinterhause (in Berlin) ein Frauenzimmer besässen, das von der Musik doch eine gewisse andere Idee im Kopfe hätte, als viele Damen zusammengenommen, und ich dachte, ich wollte ihr diesen Brief schreiben, wollte sie so herzlich grüssen; die Dame bist Du freilich, aber ich sage Dir Fanny, dass ich an gewisse Stücke von Dir nur zu denken brauche, um recht weich und aufrichtig zu werden, obgleich man doch in Süddeutschland viel lügen muss. Du weisst aber wahrhaftig, was sich der liebe Gott bei der Musik gedacht hat, als er sie erfand; da ist es kein Wunder, wenn man sich darüber freut. Kannst auch Clavier spielen, und wenn Du einen grösseren Anbeter brauchst als mich, so kannst Du Dir ihn malen oder Dich von ihm malen lassen.« (Anspielung auf ihren Gatten, den Maler Hensel.)


Dieser so plötzlich überquellende Ausdruck brüderlicher Zärtlichkeit und Verehrung giebt den reizenden Beweis, wie wenig die Anerkennung der fremden Künstlerin das liebevolle Andenken an die Schwester aus M.'s Herzen verdrängen konnte. Davon zeugen auch zwei andere Briefe aus München, der eine vom 14. Juni (Reisebriefe, Bd. I, Seite 14 u. 15.) mit einem Liede ohne Worte, das nicht in die Sammlung der Lieder ohne Worte aufgenommen ist, von dem ich aber sagen muss, die vorhergehenden so einfachen und doch so vielsagenden Worte sind anmuthender, als das Lied ohne Worte. Der zweite[101] Brief vom 26. Juni, gleichfalls an Fanny (Hensel, die Familie M., Bd. I, S. 320 u. ff.) enthält den Glückwunsch zur Geburt ihres ersten Sohnes und als musikalischen Ausdruck dazu gleichfalls ein ziemlich umfangreiches Lied ohne Worte in B moll, später als Nr. 2 etwas verändert in dem zweiten Hefte der Lieder o.W. abgedruckt. Wenn aber M. im Briefe sagt: »Ist Dir's zu schlecht, so kann ich nicht helfen, mir war so, als ich Euren ersten halb ängstlichen, halb erfreuten Brief bekam,« so muss ich bekennen, der Eindruck, den dieses Lied macht, ist allerdings mehr der der bangen Sorge als herzlicher Freude am Mutterglück der geliebten Schwester. Als Fortsetzung dieses Briefes folgt noch einer vom 27. dieses Monats, wo M. noch einmal auf Delphine von Schauroth zurückkommt. »Was mich nun betrifft, so gehe ich Tag um Tag auf die Gallerie und zweimal in der Woche zur Schauroth, wo ich lange Visiten mache.« – Ob, wie seiner Zeit die Sage ging, Fräulein Delphine von Schauroth das köstliche Reiselied Op. 19, Nr. 6 »Bringet des treuesten Herzens Grüsse«, das M. in Venedig componirte, vorzugsweise gegolten habe, lasse ich dahingestellt, aber eine wirkliche und ernstere Huldigung brachte er ihr dar, indem er ihr die Perle seiner Concerte, das G moll-Concert für Orchester und Pianoforte, diesen wahren Typus Mendelssohn'scher Grazie, idealer Schwärmerei und edlen Feuers dedicirte. Er hatte dieses Concert (um das gleich hier im Voraus zu erwähnen) bereits im Jahre 1831 auf der Reise componirt, vermuthlich in Rom schon begonnen. Auf der Rückreise brachte er das Manuscript Anfang September bereits fast ganz vollendet nach München mit und spielte es dort am 17. October in einem Concert für die Armen vor 1100 Zuhörern mit lebhaftestem Beifall, nahm es im December dieses Jahres immer noch als Manuscript mit nach Paris, wo er es sich bei Erard von Franz Liszt, der es mit der grössten Vollendung vom Blatt spielte, vorführen liess; im April 1832 zeigte er es seinem Freunde Moscheles in London und spielte es dort selbst zweimal hinter einander am 28. Mai und am 18. Juni dieses Jahres mit grösstem Erfolge. In Leipzig debütirte M. zum ersten male als Solospieler mit Orchester mit diesem Concert am 29. October[102] 1835 im Gewandhause. Mehrere Wiederholungen sowohl von ihm selbst, als von anderen Künstlern folgten. Zuletzt soll es nach der Angabe des verdienstvollen Schriftstellers Dr. A. Dörffel (Festschrift der hundertjährigen Jubelfeier der Einweihung des Concertsaales im Gewandhause zu Leipzig, S. 39) noch am 4. Februar 1870 Delphine von Schauroth im Gewandhaus zu Leipzig gespielt haben. Welche Erinnerungen mögen da durch das Herz der bejahrten Künstlerin gezogen sein!

Ein tieferes künstlerisches Interesse, als der zuletzt Genannten, scheint M. noch Josephine Lang, einem damals noch sehr jugendlichen aber bedeutenden Gesangs- und Compositionstalent gewidmet und erhalten zu haben. Wir finden zwar ausser der oben gegebenen Notiz in dem Briefe Marx's bei dem ersten Aufenthalt M.'s in München in seinen Reisebriefen nichts erwähnt, desto mehr aber tritt dieses Interesse hervor in dem sogenannten Münchener Bürgerbrief (es scheint, die Stadt München hatte ihn zum Ehrenbürger ernannt), vom 6. October 1831, also seinem zweiten Aufenthalt in München auf der Rückreise von seiner grossen Tour. Es gehört dieser Brief mit zu den schönsten, die aus M.'s Feder geflossen sind. Nachdem er im Eingang von dem grossen Behagen seines Aufenthalts in München gesprochen, von den Vorbereitungen zu dem von ihm zu gebenden Concert für die Armen, dessen erster Theil mit seiner C moll-Symphonie beginne und mit dem G moll-Concert schliesse, während der zweite Theil mit der Sommernachtstraumsouvertüre anfangen und mit einer freien Phantasie M.'s aufhören solle, erzählt er noch sehr ergötzlich von einem grossen Privatconcert in seiner Wohnung und als Gegenstück von einem Concert vor der Königin und dem Hofe. Dann kommt er noch auf Josephine Lang (diese und keine andere kann die punctirte kleine L ... sein) zu sprechen:


»Noch habe ich vergessen, dass ich jeden Tag um 12 Uhr der kleinen L ... eine Stunde im doppelten Contrapunct, vierstimmigen Satz und dergl. gebe, wobei ich mir wieder recht vergegenwärtige, wie confus und dumm die meisten Lehrer und Bücher darüber sprechen und wie klar das ganze Ding ist, wenn man es klar darstellt. – Sie ist mir eine der liebsten Erscheinungen, die ich je[103] gesehn. Denkt Euch ein zartes, kleines, blasses Mädchen mit edeln, aber nicht schönen Zügen, so interessant und seltsam, dass schwer von ihr wegzusehn ist, und all' ihre Bewegungen und jedes Wort voll Genialität. Die hat nun die Gabe, Lieder zu componiren und sie zu singen, wie ich nie etwas gehört habe; es ist die vollkommenste musikalische Freude, die mir bis jetzt wohl zu Theil geworden ist. Wenn sie sich an das Clavier setzt und solch' ein Lied anfängt, so klingen die Töne anders, – die ganze Musik ist so sonderbar hin- und herbewegt, und in jeder Note das tiefste, feinste Gefühl. Wenn sie dann mit ihrer zarten Stimme den ersten Ton singt, da wird es jedem Menschen still und nachdenklich zu Muthe und jeder auf seine Weise durch und durch ergriffen. Könntet Ihr nur die Stimme hören! So unschuldig und unbewusst schön und so aus der innersten Seele heraus und doch so sehr ruhig! Voriges Jahr waren alle die Anlagen wohl schon da; sie hatte kein Lied geschrieben, worin nicht irgend ein sonnenklarer Zug von Talent war, und da trommelten M. – (wohl Marx?) und ich zuerst Lärm in der Stadt unter den Musikern; es wollte uns aber keiner so recht glauben. Seitdem aber hat sie den merkwürdigsten Fortschritt gemacht. Wen die jetzigen Lieder nicht packen, der fühlt überhaupt gar nichts .... Vielleicht schicke ich Euch, Ihr Schwestern, bald einige ihrer Lieder, die sie mir aus Dankbarkeit abgeschrieben hat, weil ich sie lehre, was sie eigentlich schon von Natur weiss, und sie ein wenig zur guten und ernsthaften Musik angehalten habe.«


Das tiefe Verständniss und warme Interesse für eine so zartbesaitete kunstsinnige Seele, welches M. hier in so liebenswürdiger Weise kund giebt, bewahrte er ihr viele Jahre lang, vielleicht bis an's Ende seines Lebens. Gegen Ende des Jahres 1841 verlobte sich Josephine mit Professor Köstlin in Tübingen. Ich weiss nicht, ob es der nachher so berühmt gewordene Biograph Luther's war, jedenfalls ein kunstsinniger tüchtiger Mann. (Noch ganz neuerdings, im September 1884, hat Herr Dr. H.A. Köstlin, vielleicht ein Sohn, jedenfalls ein Geistesverwandter des Genannten, einen trefflichen Aufsatz über »Mendelssohn und die evangelische Kirchenmusik« in der jetzt in München erscheinenden allgemeinen Zeitung veröffentlicht.) M. erfuhr die Verlobung seines Schützlings zufällig in Berlin in einer Gesellschaft durch eine Dame aus Stuttgart. Er[104] wünschte Professor Köstlin in einem überaus herzlichen Briefe, Berlin, am 15. December 1841, Glück, und ist voll des begeisterten Lobes über zwei Liederhefte, die ihm Josephine vor einem halben Jahre gesendet und für welche er, der elendeste Briefschreiber, noch nicht einmal gedankt habe. Dabei bittet er aber auch den Herrn Bräutigam:


»Um Gotteswillen halten Sie sie zum Componiren an! Es ist wahrhaftig Ihre Pflicht gegen uns alle, die wir nach gutem Neuen immerfort lechzen und umschauen. Sie schickte mir einmal Sammlungen verschiedener Componisten und einige von ihr dabei und schrieb, ich möchte ihre Versuche unter den Meisterwerken so berühmter Namen nachsichtsvoll u.s.w. O Jemine, wie sehen die Meisterwerke und die berühmten Namen so winzig aus gegen diese frische Musik! Also, wie gesagt, treiben Sie sie erschrecklich zu lauter neuen Compositionen an!« – »Und wenn ich noch etwas wünschen soll, so bleibe Ihnen die selige Verlobungsstimmung immerfort in der Ehe, d.h. es gehe Ihnen darin wie mir, der ich keinen Tag Gott genug dafür danken kann.«


Ich weiss nicht, ob Professor Köstlin diese Mahnung befolgt hat und ob der rührende Glückwunsch, Zeuge des eignen Glückes unseres M., an K. in Erfüllung gegangen ist. Aber aus einem zweiten allerliebsten Briefe M.'s an K. aus Leipzig am 12. Januar 1843 erfahren wir, dass Letzterer M. zum Gevatter für seinen erstgeborenen Sohn eingeladen und M. die Gevatterschaft mit grösster Freude angenommen hat, obgleich er damals eben den schweren bitteren Verlust seiner lieben Mutter zu beweinen hatte.12

Noch sei nachträglich von dem ersten Aufenthalt M.'s in München als bemerkenswerth hervorgehoben, dass, wie aus dem oben erwähnten Briefe von Marx an die Schwestern in Berlin hervorgeht, M. das Passionsspiel in Oberammergau, über welches ja auch Eduard Devrient eine vortreffliche Monographie herausgegeben hat, in Gemeinschaft mit Marx am 25. Juli 1830 besucht zu haben scheint. Welchen Eindruck diese grossartig einfache Darstellung des Leidens und Auferstehens Christi in der erhabenen Gebirgsscenerie[105] (ich selbst wohnte ihr 1860 bei) von schlichten Landleuten auf M. gemacht habe, erfahren wir leider nicht. Sicher konnte der Darsteller der Bach'schen Passion auch von diesem lebendig anschaulichen Gemälde nicht unergriffen bleiben. Wahrscheinlich unternahm er aber von da aus noch einen weiteren Ausflug in das Bairische Gebirge. Wir dürfen das daraus schliessen, dass er in dem Briefe aus Linz an seine Mutter vom 11. August klagt, er habe den Bleistift genommen und zwei seiner Lieblingszeichnungen aus dem Bairischen Gebirge verdorben, dergestalt, dass er sie ausreissen und aus dem Fenster werfen musste.

Von München aus ging nun die Reise zunächst nach Salzburg, dann durch das Salzkammergut nach Ischl und über den Traunsee nach Linz, von da direct nach Wien. Ueber diesen Theil der Reise fliessen die Quellen sehr spärlich. Sowohl in den Reisebriefen, als in Hensel, die Familie Mendelssohn, steht namentlich über Wien so gut wie nichts. Nur ein paar Briefe an Devrient, Wien, am 5. September 1830 und Kloster Lilienfeld in Steiermark, 2. October, so wie ein Brief an Zelter aus Venedig, Reisebriefe S. 38, geben über M.'s Leben und einige kleinere musikalische Arbeiten dort einigen Aufschluss. Der eben erwähnte Brief aus Linz an seine Mutter, der mit den Worten anhebt: »Wie der reisende Musikus in Salzburg seinen grossen Pechtag abhielt, ein Bruchstück aus dem ungeschriebenen Tagebuch des Grafen F.M.B.***,« schildert in humoristischer Weise zuerst das kleine Malheur mit den Zeichnungen, dann eine verregnete Partie auf den Kapuzinerberg und den durch Mangel an kleiner Münze vereitelten Besuch des Klosters am Fusse des Berges, dann verschiedene kleine Plackereien in Mauth-, Post- und Passbüreaux, wie sie damals in dem lieben Oesterreich nur zu üblich waren, und zuletzt das traurige Missgeschick, dass er eine freundliche liebenswürdige ältere Dame, die eben aus ihrem Wagen ausgestiegen war, als er abfahren wollte und die ihre Hand ganz vertraulich auf seiner Wagenthür ruhen liess, nicht erkannte und ihren Namen erst nach sieben Stunden auf einer der letzten Stationen vor Ischl erfuhr. Es war die Baronin Pereira aus Wien, offenbar eine sehr liebe Freundin des Mendelssohn'schen[106] Hauses, die mit ihren zwei Söhnen nach Bad Gastein fahren wollte. M. wollte anfangs auf der Stelle umkehren und die ganze Nacht durchfahren, überlegte sich aber, dass er die Dame höchstens im Moment der Abreise, vielleicht gar nicht mehr in Salzburg träfe, dass er sich den ganzen Reiseplan und Wien verdürbe, wenn er gar mit nach Gastein ginge, endlich auch, dass Salzburg als Pechnest an ihm gehandelt habe, da sagte er noch einmal Adieu und ging sehr katzenjämmerlich zu Bette. »Am andern Morgen liess ich mir dann ihr leeres Haus (in Ischl) zeigen und zeichnete es für Dich, liebe Mutter. Das Pech donnerte noch fern ab, so dass ich keinen guten Standpunkt fand.« – Uebrigens scheint ihm der Aerger über diese verfehlte Begegnung doch nicht den ganzen Reisehumor getrübt zu haben, denn er schreibt am Schluss: »Das nächste mal will ich vom Salzkammergut erzählen und wie hübsch meine gestrige Reise war, und wie Recht Devrient hatte, der mir diesen Weg empfohlen. Ebenso der Traunstein und die Fälle der Traun sind ganz wunderschön und so ist überhaupt die Welt sehr süss. Gut ist es, dass Ihr darin seid, und dass ich übermorgen Briefe finde und so noch manches. Liebe Fanny, ich will jetzt mein non nobis und die A moll-Symphonie componiren.« (Es ist das erste mal seit Schottland, dass dieses hochbedeutungsvolle Werk erwähnt wird.) »Liebe Rebecka, wenn Du mich singen hörtest ›im warmen Thal‹ (aus dem wunderschönen Lied Op. 19 ›In weite Ferne will ich träumen‹) mit überschnappender Stimme, so fändest Du es fast zu jämmerlich. Du machst das besser.« –

Der nächste Brief nach dem aus Linz ist aus Presburg, vom 27. September an seinen Bruder Paul gerichtet; M. war dorthin gegangen, um der Krönung des Oesterreichischen Kronprinzen zum König von Ungarn beizuwohnen. Das kräftige, damals wohl noch nicht von dem Deutschenhass, der es jetzt schändet, zerfressene Magyarenthum, die prächtigen ungarischen Gesichter, die vielen schlanken, kecken Gestalten in ihren bunten Trachten, die Magnaten mit ihrem orientalischen Luxus und der Barbarei fürchterlich stupider Bauern daneben – das alles interessirte, gefiel und imponirte unserem reisenden Freunde[107] ungemein. Von diesem Ausfluge nach Presburg kehrte er noch einmal, wie es scheint, für kurze Zeit nach Wien zurück. Es ist zu verwundern, wie wenig ihn diese Heimath eines Haydn, Mozart, Beethoven, Schubert angemuthet und selbst zum Schaffen angeregt hat. Es scheint, dass ihn das phäakische Treiben der Kaiserstadt, des lustigen Wiens, wie es damals noch war (ich sah es auch so noch im Jahre 1839) sehr wenig sympathisch berührte. Selbst mit den Leistungen der Oper im Kärnthner Thortheater war er sehr unzufrieden. In dem Briefe an Devrient, Wien, am 6. September, schreibt er:


»Lustig gelebt habe ich seitdem und bin heiter gewesen, habe aber wenig Musik innerlich gemacht; wäre nicht Wien solch' ein verdammt liederliches Nest, so dass ich mich ganz in mich verkriechen musste und geistliche Musik schreiben, so hätte ich gar nichts Neues aufzuweisen. Indessen habe ich heut die zweite Nummer eines Chorales mit Instrumenten beendigt und werde wohl übermorgen mit der dritten und so mit dem ganzen Stück fertig werden, und dann fange ich ein kleines Ave Maria für Singstimmen allein an, das ich schon ganz im Kopfe trage. In dem Choral, den ich Euch schicke, sobald er fertig ist, findest Du eine Arie für Deine Stimme, sei so gut, und singe sie zerknirscht. Hauser13 flucht, dass meine Solobässe und Lieder so hoch liegen, ich behaupte dann, sie passten Dir, und wenn ich meinen Jüngling-Liederkranz fast jämmerlich selbst singen muss, so erfolgt immer nachher ein Epilog, der für Dich schmeichelhaft ist.«


In dem späteren Briefe aus Kloster Lilienfeld in Steiermark schreibt dann M. noch:


»Der Choral ist nun freilich längst fertig und das Ave auch; mit der ersten guten Gelegenheit schicke ich die Stücke zu Euch; auch ein Lied ist seitdem geboren, da es aber nichts taugt, behalte ich es für mich.« Weiter unten: »Ferner habe ich seitdem einige Tage bei Hauser gewohnt, der sich mit ungemeiner Herzlichkeit[108] und Freundlichkeit gegen mich benommen hat; er hat mir unter Andern ein kleines Büchlein mit Luther's Liedern auf die Reise mitgegeben, da will ich viel componiren.« (Mehrere davon, z.B. Mitten wir im Leben sind, Verleih' uns Frieden gnädiglich u.s.w. componirte M. in der That, und zwar in Rom. So wehrte er sich dort gegen das Papstthum, wie in Wien gegen das Schlaraffenleben!)


Noch schreibt er darüber aus Venedig, 16. October, an seinen alten Lehrer Zelter (Reisebr. S. 37 und 38):


»Vor meiner Abreise aus Wien schenkte mir ein Bekannter Luther's geistliche Lieder, und wie ich sie mir durchlas, sind sie mir mit neuer Kraft entgegengetreten, und ich denke viele davon diesen Winter zu componiren. So bin ich denn hier mit dem Choral ›Aus tiefer Noth‹ für eine Singstimme beinahe in's Reine gekommen und habe auch das Weihnachtslied ›Vom Himmel hoch‹ schon im Kopfe; auch an die Lieder ›Ach Gott vom Himmel sieh darein,‹ ferner, ›Wir glauben all' an einen Gott,‹ ›Verleih uns Frieden,‹ ›Mitten wir im Leben sind‹ und endlich ›Ein' feste Burg ist‹ will ich mich machen, doch denk' ich all' die letzten für Chor und Orchester zu componiren. Bitte, schreiben Sie mir doch über diesen meinen Plan, und ob Sie es billigen, dass ich überall die alte Melodie behalte, mich aber nicht streng daran binde, und z.B. den ersten Vers von ›Vom Himmel hoch‹ ganz frei, als einen grossen Chor nehme? Ausserdem habe ich noch eine Ouvertüre für Orchester in Arbeit und wenn Gelegenheit zu einer Oper kommt, so soll sie mir willkommen sein. – In Wien habe ich zwei kleine Kirchenmusiken fertig gemacht, einen Choral in drei Stücken für Chor und Orchester (›O Haupt voll Blut und Wunden‹) und ein Ave Maria für achtstimmigen Chor a capella. Die Leute um mich herum waren so schrecklich lüderlich und nichtsnutzig, dass mir geistlich zu Muthe wurde und ich mich wie ein Theolog unter ihnen ausnahm. Uebrigens haben die besten Clavierspieler und Clavierspielerinnen dort nicht eine Note von Beethoven gespielt, und als ich meinte, es sei doch an ihm und Mozart etwas, so sagten sie: ›also sind Sie ein Liebhaber der classischen Musik?‹ – Ja, sagte ich.«


Ehe wir M. in Wien verlassen, müssen wir noch etwas ausführlicher des innigen Freundschaftsbundes gedenken, den M. schon damals mit Franz Hauser in Wien anknüpfte und bis an's Ende seines Lebens eifrig pflegte. Wir verdanken die genaueren Notizen darüber dem bekannten Musikschriftsteller Eduard Hanslick, der in seinem sehr[109] interessanten geist- und gemüthvollen Buche »Suite, Aufsätze über Musik und Musiker« diesem Bündniss Hauser's mit Felix Mendelssohn-Bartholdy, das er mit Recht zu den anziehendsten rührendsten Freundschaftsverhältnissen zwischen Künstlern zählt, von Seite 23–37 einen ganzen Abschnitt widmet. Im Eingang dieses Abschnittes sagt er:


»Von den mir im Original vorliegenden 47 Briefen M.'s an Hauser ist der erste vom 16. April 1830 datirt, der letzte vom 27. Sept. 1846, also kurz vor dem Tode des Schreibers.14 Innerhalb dieser langen Zeit, in welcher den beiden Freunden nur selten und für wenige Tage ein Wiedersehen gegönnt war, strömt fast ununterbrochen der herzlichste Briefwechsel. Wie M.'s Briefe die ganze Liebenswürdigkeit und feine Bildung des Schreibers athmen, so flössen sie auch für den Empfänger den wärmsten Antheil, ja den grössten Respect ein.«


In dem ersten Briefe (Berlin 1830) ist es Bach's Matthäuspassion, über deren Aufführung in Berlin und Möglichkeit einer Aufführung in Wien sich M. gegen H. ausspricht. Wenige Monate später nimmt M. in Wien bei Hauser in der Bärenmühle auf der neuen Wieden Quartier. Aus Rom schreibt er 1831: »Sie haben mir wieder einen göttlichen Choral von Bach geschickt und selbst geschrieben und das Ganze sieht so zierlich und nett und doch gelehrt aus, wie mein Zimmer in der Bärenmühle.« Und einige Monate später aus Genua: »Sie glauben nicht, wie ich täglich mit Dankbarkeit an die Tage denke, die ich bei Ihnen im Bücherzimmer mit vier Fenstern wohnte! Sie haben mir eine sehr frohe Zeit gemacht, und so lange mir die Erinnerung daran bleibt, so lange werde ich es Ihnen danken. Das möchte ich aber gar zu gerne wieder einmal mündlich thun und möchte wieder einmal einen ordentlichen Menschen sehen, eine ordentliche Stimme hören und ordentliche Musik machen können. Hier im kalten Italien giebt es dergleichen nicht.« Dieser Wunsch eines persönlichen Wiedersehens wurde zuerst im September[110] 1831 in München, dann aber erst wieder im September 1834 in Leipzig erfüllt, wohin Hauser inzwischen an das Theater berufen worden war und mit der jungen Sopransängerin Livia Gerhard und dem Tenoristen Eichberger ein köstliches, allen Leipziger Musikfreunden unvergessliches Kleeblatt bildete. Auch bei diesem seinem Besuche in Leipzig, wo M. zum ersten male das Gewandhausorchester hörte, wohnte er wieder bei Hauser. Auf dem Rückweg von Leipzig nach Düsseldorf berührte er am 6. October auch Kassel und besuchte dort Moritz Hauptmann. Ueber diesen Besuch schrieb er dann in einem Briefe, der den Stempel der ganzen Liebenswürdigkeit und des feinen liebevollen Eingehens auf die Individualität eines fremden Künstlers trägt, an Hauser folgendermaassen:


»Hauptmann suchte ich gleich Morgens auf und zu meiner Freude kann ich Dir sagen, dass er mir in allen Beziehungen eine so angenehme, wohlthuende Erscheinung war, wie ich lange nicht gesehen. Er ist erstlich durch und durch gut und ernsthaft und ein wahrer Musiker, und dann hat sein Wesen eine gewisse Ruhe ohne Kälte, Vornehmheit ohne allen Dünkel, wie ich's liebe. Ich fühlte mich so recht behaglich mit ihm; wo wir einer Meinung waren, freute mich's, und wo wir auseinandergingen, war mir's wieder interessant; kurz, Du hast mir gewiss nicht zu viel von ihm gesagt und ich danke Dir für den frohen Tag, den ich mit ihm zugebracht habe. Nur Eins hat mir leid gethan an ihm, das ist eine gewisse Resignation in seinem Wesen, namentlich hinsichtlich seiner Compositionen, die mir nur durch den Mangel an anregender, theilnehmender Umgebung, nicht aus tieferen Gründen herzustammen schien; aber darum that es mir doppelt leid, und ich gäbe was drum, wenn ich länger mit ihm hätte zusammen sein können, um dem mehr nachzuspüren. Denn als wir über seine Messe sprachen und ich ihm aufrichtig angab, was mir darin sehr zusagte und was nicht, und als ich ihn bat, eine neue noch bessere zu machen, die die Fehler nicht hätte, an denen er sich stiess und die ihn selbst mehr störten, als die Andern wohl, da wurde er lebendiger, als ob es ihm neu wäre, dass ein Musiker an den Sachen des anderen herzlichen Antheil nehmen kann, und er versprach mir, eine neue Messe zu schreiben, und ich glaube, an dem Tage dachte er ernstlich daran. Aber ich fürchte, wenn die Zweifel dann wieder kommen, ohne dass sie Einer wegläugnet und vertreibt und wenn die Umgebungen[111] wieder erkälten, statt anzuregen, dann wird er wenig mehr in diese Stimmung zurückkommen oder die ganze Sache gar vergessen. Doch schreibe ich ihm nächstens und erinnere ihn an sein Versprechen; das sollte schön sein, wenn ich's wirklich dazu brächte, dass er die Messe schriebe.« (Hanslick, a.a.O., S. 30–32.)


Durch M.'s Einfluss wurde Hauptmann nach Weinlig's Tode als Cantor an die Thomasschule und Director der Kirchenmusik nach Leipzig berufen, welches Amt er am 2. October 1842 antrat und bis zu seinem Tode am 3. Januar 1868 segensreich fortführte, ebenso bedeutend als Theoretiker wie als Componist, in letzterer Beziehung durch hohe Vollendung der Form wie durch Wohllaut der Melodie sich Mozart nähernd. Selbstverständlich war er auch als Meister der Harmonielehre und des Contrapunctes unter den ersten sechs Lehrern des Leipziger Conservatoriums.

Begleiten wir nach dieser kleinen Abschweifung wieder unseren geliebten Wanderer auf seinem ferneren Wege.

Von Wien ging M., wahrscheinlich nach etwas längerem Verweilen in Steiermark, worauf man aus dem Briefe an Devrient aus Kloster Lilienfeld vom 2. October schliessen darf, nach Graz, um einen dortigen Verwandten zu besuchen. Von beiden, das heisst der Stadt und dem Verwandten, einem Fähnrich, ist er aber nicht besonders erbaut. Er nennt Graz ein langweiliges Nest, zum Gähnen eingerichtet, ein Urtheil, in welches wohl die wenigsten Besucher einstimmen werden, denn Graz ist Universitätsstadt und in einer wunderschönen Lage zu beiden Seiten der Mur. Dem Fähnrich konnte er es nicht verzeihen, dass er ihn in's Theater führte und den »Rehbock« sehen liess, den Rehbock, der das Infamste, Verwerflichste, Elendeste ist, was der selige Kotzebue geschaffen hat; und dass er ihn doch ganz nett und etwas piquant fand, das muss ihm nicht vergeben werden, denn der Rehbock hat soviel haut goût oder fumet, dass er kaum für die Katze taugt (Reisebriefe, S. 27). Ganz possirlich schildert nun M. seine Reise von Graz bis Klagenfurt. Früh 4 Uhr mit einem alten Fuhrmann per Einspänner von Graz aufgebrochen, ebenso nach dem Nachtlager am zweiten Tage wieder um 4 Uhr, den geringsten Hügel in Schneckenschritt[112] hinauffahrend, an einem grossen Berge mit zwei Ochsen Vorspann – das war in der That eine Geduldprobe, wie sie sich für den feurigen Jüngling mit seiner Sehnsucht nach Italien nicht drastischer denken lässt. In Klagenfurt, wo er am Abend zerschlagen ankam, erlöste ihn die Eilpost, die wegen starken Schnees auf dem Sömmering allerdings zwei Stunden zu spät eintraf. Mit drei Italienern, die ihm den Schlaf wegschwatzen wollten, denen er aber das Schwatzen »wegschnarchte«, fuhr er die Nacht hindurch und am Morgen in Resciutta ein. Hier nahm er für lange Zeit von Deutschland Abschied. Doch blieb die Landschaft noch lange traurig monoton; freilich eine der ungünstigsten Einbruchstationen für Italien. Erst hinter Ospedaletto thaten sich ihm die Reize der italienischen Ebene auf. In Udine blieb er zu Nacht und erlebte dann in südlicher Umgebung mit südlicher Staffage einen schönen Sonntagmorgen. Am Abend fand in Treviso gar eine Illumination statt. In finstrer Nacht gelangte er nach Mestre, stieg in eine Barke und fuhr bei stillem Wetter ruhig nach Venedig hinüber. Die malerische Schilderung aller der kleinen Erlebnisse von seinem ersten Eintritt in's eigentliche Italien bis zu dieser Einfahrt in Venedig gehört mit zu dem Schönsten, was man in Mendelssohn's Briefen lesen kann. Der erste Reisebrief aus Venedig, am 10. October 1830, an seine Lieben in Berlin, der dies alles enthält, beginnt mit den Worten: »Das ist Italien! Und was ich mir als höchste Lebensfreude, seit ich denken kann, gedacht habe, das ist nun angefangen, und ich geniesse es.« Von dem Eindruck, den die wunderbare Lagunenstadt durch ihre Lage, ihre Wasserstrassen, die wundervolle Architectur ihrer zum Theil verfallenen Paläste, den grandiosen Markusplatz u.s.w. auf M. gemacht haben mögen, erfahren wir in den beiden Briefen an seine Familie und an Professor Zelter wenig oder nichts. Dass aber die Meisterwerke der Malerei, die er dort fand, das tiefste Interesse des jungen Künstlers, dessen Schwager ein so bedeutender Portraitmaler, und der selbst in der edlen Zeichnenkunst wohlgeübter Dilettant war, in Anspruch nahmen, braucht kaum gesagt zu werden. Vorzugsweise fesselten ihn die Bilder jenes grossen Kleeblatts[113] der Venetianischen Schule, Tizian, Giorgione und Pordenone. In dem Briefe an Zelter sagt er darüber:


»Hier eile ich nun stündlich von Genuss zu Genuss und sehe forwährend Neues und Unerwartetes; doch habe ich mir gleich in den ersten Tagen einige Hauptwerke ausgefunden, in die ich mich so recht tief hineinsehe, und die ich darum täglich ein paar Stunden betrachte. Es sind drei Bilder von Tizian: die Darstellung der Maria als Kind im Tempel, die Himmelfahrt der Maria und die Grablegung Christi; dann ein Bild von Giorgione, ein Mädchen vorstellend, das die Cither in der Hand, sich ganz in tiefe Gedanken verloren hat und nun so ernst nachsinnend aus dem Bilde herausschaut (sie will wahrscheinlich eben ein Lied anstimmen, und es wird einem zu Muthe, als müsste man es auch thun) und so noch mehrere. (Es ist das berühmte, überaus lebensvolle unter dem Namen ›die Lautenspielerin‹ bekannte Bild im Palast Manfrini gemeint.) Die Bilder allein wären eine Reise nach Venedig werth; denn der Reichthum und die Kraft und die Andacht der Männer, die sie gemalt haben, strömen einem daraus entgegen, so oft man sie betrachtet, und ich bedaure es nicht sehr, dass ich hier noch fast keine Musik gehört habe; denn die Musik, die die Engel auf der Himmelfahrt machen wie sie die Maria umgeben und ihr zujauchzen, und wie der eine ihr auf dem Tambourin entgegenpaukt, ein paar andere auf sonderbaren krummen Flöten blasen, wiederum eine andere liebliche Gruppe singt – oder die Musik, die der Citherspielerin eben im Gedanken vorschwebt, die darf ich freilich nicht rechnen. – Nur einmal habe ich Orgelspiel gehört, und das war trübselig.«


M. erzählt nun weiter ausführlich, wie er in der Kirche der Franziskaner (irrthümlich, es ist die Kirche San Giovanni é Paolo, in der das Bild als Altarblatt sich befindet) andächtig versunken in die Betrachtung des Tizianischen Bildes, der Tod des St. Petrus des Märtyrers, Orgelton vernommen habe, der erste sei ihm erquicklich gewesen, aber der zweite und dritte und alle folgenden haben ihn aus den Träumereien wohlbehalten wieder nach Hause gebracht; denn der Mann spielte in der Kirche zum Gottesdienst, und in Gegenwart von ordentlichen Leuten so: (Hier folgen 6 Tacte eines sehr muntern trivialen Allegro con fuoco in D dur mit der Unterschrift, et caetera animalia, und der Nachschrift, »und das Märtyrerthum[114] des St. Petrus stand daneben!« Ich habe mich also nicht sehr gedrängt, die Bekanntschaft des Herrn Organisten zu machen.15 Nach einigen abfälligen Bemerkungen über neuere Venezianische Kunst, Musik, Poesie, Malerei, Architectur bemerkt er dann noch: »so halte ich mich an die Alten und sehe zu, wie sie es gemacht haben. Mir ist auch schon recht oft nach Musik dabei zu Muthe geworden, und ich habe, seit ich hier bin, ziemlich fleissig componirt.« Dass es hauptsächlich geistliche Lieder von Luther waren, ist oben schon gesagt. Ehe wir aber mit unserm Freunde von Venedig scheiden, müssen wir noch der köstlichen Schilderung der beiden Tizianischen Meisterwerke, der Grablegung Christi und der Himmelfahrt Mariae, in dem vorerwähnten Briefe an seine Familie eine Stelle in unserer Biographie einräumen. Sie lässt uns einen Blick in die Tiefe seines religiösen Gemüths und feinen Kunstverständnisses thun. Nachdem er zuerst in halb humoristischer Weise von einem Bilde Pordenone's gesprochen, »der Meister selbst mit seinen Schülern,« fährt er fort:


»Soll ich aber ein Wort von den Tizian's sagen, so muss ich ernsthaft werden. Bisher habe ich nicht gedacht, dass er ein so glücklicher Künstler sei, wie ich heut gesehen habe. Dass er das Leben mit seiner Schönheit und seinem Reichthum genossen habe, zeigt das Bild in Paris (vielleicht Titien et sa maitresse im Louvre?) und das habe ich gewusst; aber er kennt auch den allertiefsten Schmerz, und weiss, wie es im Himmel ist; das zeigt seine göttliche Grablegung und die Himmelfahrt. Wie die Maria da auf der Wolke schwebt, und ein Wehen durch das ganze Bild geht; wie man ihren Athem und ihre Beklemmung und Andacht, und kurz, die tausend Empfindungen alle in einem Blick sieht, – die Worte klingen nur alle so philiströs und trocken gegen das, was es heissen soll! – Und dann sind drei Engelsköpfe auf der rechten Seite, die von Schönheit das Höchste sind, was ich kenne; die reine, klare Schönheit, so unbewusst, heiter und fromm. Aber nichts weiter! Ich muss sonst poetisch[115] werden, oder bin es gar schon, und das kleidet mich wenig; aber sehen werd' ich's alle Tage. Und doch muss ich noch ein paar Worte von der Grablegung sagen, denn Ihr habt den Kupferstich davon. Schaut ihn an und denkt an mich; das Bild ist das Ende von einem grossen Trauerspiel, so still und gross und schneidend schmerzlich. Da ist die Magdalene, die hält die Maria, weil sie fürchtet, dass sie vor Schmerz sterben möchte, und will sie zurückführen, sieht sich aber dennoch selbst noch einmal um, und man erkennt, dass sie sich diesen Anblick für ewig einprägen will, und dass sie ihn jetzt zum letzten male hat; das ist über Alles. – Und dann der verstörte Johannes, der mehr an die Maria denkt und leidet; und der Joseph, der nur mit dem Grab und seiner Andacht beschäftigt, das Ganze offenbar ordnet und leitet; und der Christus, der so ruhig daliegt, und nun alles überstanden hat – dazu die herrliche Farbenpracht, und der dunkle, streifige Himmel – es ist ein Bild, das mit fortreisst und spricht, und das mich nie verlassen wird. Ich glaube nicht, dass mich noch vieles in Italien so ergreifen wird ... Tizian aber war ein Mensch, an dem muss man sich erbauen, und das will ich thun und mich freuen, dass ich in Italien bin.«16


Von Venedig, das er am 17. October verliess, ging unser geliebter Freund (wahrscheinlich über Padua und Ferrara, in den Reisebriefen finden wir davon nichts) nach Bologna, um sich dort, wie er an Zelter am Schlusse des vorerwähnten Briefes schreibt, die heilige Caecilia einmal anzuschauen, und von da über die Apenninen nach der Blumenstadt Florenz. Es ist zu bedauern, dass wir weder über den Eindruck, den die altehrwürdige Riesenstadt Bologna mit ihrem gewaltigen Umfange von 12 Miglien, den zahlreichen Palästen und Kirchen, unter andern S. Bartolomeo mit den beiden schiefen Thürmen, dem Gebäude der uralten schon 1119 gestifteten Universität, noch besonders über das Juwel unter den zahlreichen Meisterwerken der Academia delle belle arti, Raphael's heilige Caecilia, einen Bericht aus M.'s eigenem Munde haben. Die Reisebriefe führen uns von Venedig sogleich nach Florenz, von wo der erste Brief vom 23., die Fortsetzungen vom 24., 25. und 30. October datirt sind. Vielleicht verweilte[116] M. in der Begierde, sobald als möglich nach Rom zu kommen, nur kurze Zeit in Bologna. Seinen Vorsatz aber, die heilige Caecilia einmal anzuschauen, hat er doch wohl ausgeführt. Gewiss ist ihm dann im Anblick dieses wahrhaft göttlichen Bildes, das uns die Orgel als ein Geschenk des Himmels zeigt, auch jene fromme Begeisterung gekommen, mit welcher Johannes mit sehnsuchtsvollem Entzücken zur heiligen Caecilia emporschaut, gewiss hat er dort auch schon das Vorgefühl seiner Berufung zu einem Priester der heiligen Kunst geistlicher Musik, besonders auch zu einem der grössten Meister der Orgel in Spiel und Composition empfunden. Aber, was ihm sein Herz damals noch nicht weissagen konnte, war, dass er wenige Jahre später in einem Caecilienverein eine heilige Caecilia finden sollte, die berufen war, die letzten zehn Jahre seines leider nur zu kurzen Lebens in innigem Bunde mit ihm durch ihre fromme selbstlose Liebe zu verklären. Vielleicht hat er, als er zuerst den Namen des ihm von Gott zur Gattin beschiedenen Mädchens hörte, und wohl später auch im vertrauten Umgange mit dieser himmlisch reinen Seele der Weihestunde gedacht, die er im October 1830 vor dem Bilde Raphael's zubrachte. Ich selbst habe während meines langen Lebens den Eindruck nie vergessen, den sowohl dieses Meisterwerk, als die grosse Anzahl anderer herrlicher Bilder namentlich der Bolognesischen Schule mir hinterliessen. Diese Gallerie in der Academia delle belle arti zu Bologna war damals (October 1839) und ist auch wohl heute noch eine der schönsten und reichsten der Welt. Man findet nirgends leicht eine so grosse Anzahl von Meisterwerken der älteren italienischen Schulen vereinigt.

Ueber die Weiterreise von Bologna nach Florenz giebt uns die Fortsetzung jenes Briefes vom 24. October ergötzlichen Aufschluss. In Ermangelung einer andern Gelegenheit, vielleicht auch um die Apenninen etwas genauer kennen zu lernen, bediente sich M. eines Vetturins, und zwar nur mit ein und demselben Pferde. Ich vermag dem liebenswürdigen Künstler auf diesem Wege um so leichter zu folgen, als ich ihn einst bis zur letzten Station vor Florenz, Fontebuona, ganz allein zu Fuss zurücklegte. Von[117] dort fuhr ich wie M., aber mit einem flotten Posteinspänner, in später Abendstunde bei Mondschein in Florenz ein. Wer kennt jetzt noch, seit die Eisenbahnen alles nivellirt haben, die Poësie einer einsamen Fusswanderung im fremden Lande? – Die Apenninen fand M. nicht so schön, als er sich eingebildet hatte. Er dachte sich bei dem Namen immer ein bewachsenes malerisches Waldgebirge, »aber es sind lauter lange fortlaufende Hügel, traurig weiss und kahl – das wenige Grün gar nicht erfreulich; an Wohnhäusern fehlt es; gar keine lustigen Bäche und Gewässer; nur hie und da mal ein breites ausgetrocknetes Strombette mit einer kleinen Wasserrinne, und dazu diese schändlichen Spitzbuben von Bewohnern. Mir wurde am Ende ganz schwindlig, vor lauter Betrug, und ich wusste nicht mehr, wen sie eigentlich belogen, daher protestirte ich ein für allemal gegen Alles, was sie vorbrachten, und sagte, ich würde nicht bezahlen, wenn sie anders als ich wollten; so ging es denn am Ende erträglich.« Ich vermag in dieses abfällige Urtheil über Gegend und Menschen nicht ganz einzustimmen. Wohl wahr, die Apenninen sind im Grossen und Ganzen ein wasserarmes Gebirge, und der Weg auf der staubigen weissen Kalkstrasse, theilweise blendend für die Augen und ermüdend für die Füsse, aber es fehlt doch auch nicht an steil ansteigenden Höhen, wie z.B. bei Scarica l'asino (entlaste den Esel!) und an hübschen mit ächten Kastanienbäumen bedeckten Abhängen. Häufig liegen die Früchte auf der Strasse, und hie und da findet sich auch eine artige Bäuerin, die in der Asche eines Kohlenbeckens geröstete Kastanien dem Wanderer freundlich anbietet, »vuole servirsi«? Betrogen wurde ich auf meiner ganzen Wanderung durch Italien nur ein einziges mal, und zwar auf der Rückreise auf einer Poststation zwischen Genua und Mailand. Ich verdankte das vielleicht meinem bescheidenen Aufzug als Fusswanderer und meiner Conversation in der Landessprache mit den Eingeborenen. »Solo é a piede?« sagte der Kellner, als ich in Pietra mala, dem Nachtquartier zwischen Bologna und Florenz, in später Abendstunde eintrat. Ich hatte alle Ursache, mit diesem Nachtquartier ganz zufrieden zu sein, sowohl mit Bett als Beköstigung. M. scheint mit seinem Vetturin[118] schlimmer angekommen zu sein. »Ueberhaupt,« schreibt er schon in dem Brief vom 23., »ist der Fuhrmann (wie man sagt, ›der Türke‹, statt ›die Nation‹) ein ausgebälgter Spitzbube, Dieb, Betrüger; hat mich geprellt und mich verhungern lassen; aber er ist fast liebenswürdig in seiner göttlichen Thierheit.« Das Nachtquartier M.'s kann auch kaum in Pietra mala gewesen sein, wo ich ein recht passables Gasthaus fand. M. aber schreibt über das seinige mit lustiger Ironie:


»Gestern Abend war ich aber wieder prächtig einquartiert. Mit dem Vetturin hatte ich für Essen, Schlafen und Alles accordirt. Die natürliche Folge war, dass der Kerl mich in die gräulichsten Wirthshäuser führte und mich hungern liess. Abends spät kamen wir dann in der einzeln stehenden Schenke an, wo ein Schmutz war, den keine Feder beschreiben kann; die Treppe lag voll trockner Blätter und Holz für das Feuer; kalt war es auch, und sie luden mich ein, mich in der Küche zu wärmen, was ich auch annahm; sie stellten mir eine Bank auf den Heerd; ein ganzes Rudel Bauern stand umher und wärmte sich gleichfalls; ich thronte prächtig auf meinem Feuerheerd unter dem Gesindel, die mit ihren breiten Hüten, vom Feuer beschienen, und ihren unverständlichen Dialect plappernd, sich ganz verdächtig ausnahmen; dann liess ich mir meine Suppe unter meinen Augen kochen und gab heilsamen Rath dazu (essbar wurde sie doch nicht); dann machte ich mit meinen Unterthanen Conversation vom Feuerheerd herab, und sie zeigten mir einen kleinen Berg in der Ferne, der unaufhörlich Flammen aussprudelte, was sich in der Nacht ganz seltsam ausnahm (Raticosa heisst der Berg),17 und dann führte man mich in meine Schlafstube. Der Wirth nahm die Sackleinewand des Lakens in die Hand, und sagte: ›sehr feines Zeug!‹ Dann schlief ich aber doch wie ein Bär und sagte mir selbst vor dem Einschlafen, jetzt bist Du in den Apenninen, und den andern Morgen, nachdem ich kein Frühstück bekommen hatte, frug mein Fuhrmann freundlich, wie ich mit der Bewirthung zufrieden gewesen wäre. Dazu kannegiesserte der Kerl viel über den jetzigen Zustand von Frankreich, schimpfte sein Pferd auf Deutsch ›du Luder‹, weil es aus der Schweiz gebürtig sei, sprach Französisch mit den Bettlern, die das Kabriolet umringten, und ich verbesserte ihm manchen Fehler in der Aussprache.«[119]


Sehr lustig und anschaulich schildert M. gleich zu Anfang seines Briefes den Eindruck der Nähe von Florenz und seine Einfahrt daselbst. Ich kann der Versuchung nicht widerstehn, für diejenigen meiner Leser, die die Reisebriefe noch nicht kennen, oder nicht zur Hand haben, die hierauf bezüglichen Stellen hierher zu setzen:


»Der Fuhrmann zeigte auf eine Stelle zwischen den Hügeln, wo blauer Nebel lag, und sagte: Ecco Firenze; ich guckte geschwind hin, und sah den runden Dom im Duft vor mir und das breite, weite Thal, in dem die Stadt lagert. Mir wurde wieder reisemässig zu Muthe, als nun auch Florenz erschien; ich sah mir ein paar Weidenbäume am Wege an, und der Fuhrmann sagte: buon' olio, worauf ich freilich bemerken musste, dass sie voll Oliven hingen. Eine Stunde von Florenz, sagte er, nun ginge das schöne Land los; und wahr ist es, das schöne Land Italien fängt eigentlich erst da an. Da giebt es Landhäuser auf allen Höhen, verzierte alte Mauern, über den Mauern Rosen und Aloë, über den Blumen Weintrauben, über den Ranken Oelblätter oder Cypressenspitzen oder die Piniendächer, und das alles scharf auf dem Himmel abgeschnitten; dazu hübsche eckige Gesichter, Leben auf den Strassen überall, und in der Ferne im Thal die blaue Stadt; so fuhr ich denn in meinem offenen Wägelchen getrost hinunter in Florenz hinein, und obwohl ich schäbig und bestäubt aussah, wie eben einer, der aus den Apenninen kommt, so machte ich mir nichts daraus; fuhr durch alle die feinen Equipagen, aus denen mich die zartesten englischen Lady-Gesichter ansahen, lustig durch; dachte, es kommt schon noch einmal so weit, dass Ihr mit dem roturier da, den Ihr so überseht, hands shaken müsst, nur ein wenig reine Wäsche und dergleichen – schämte mich auch vor dem battisterio weiter nicht, sondern hiess bei der Post vorfahren, und da wurde ich denn erst eigentlich froh, bekam drei Briefe, den vom 22., 3. und den vom Vater allein; (M. hatte schon in Venedig auf Briefe gehofft, die aber ausblieben) – nun fühlte ich mich sehr glücklich, und als es den Arno entlang zu Schneiderss hinging (Schneiderss, damals grossartiges Hôtel), da kam mir die Welt wieder ganz prächtig vor.«


Von dieser glücklichen Stimmung zeugen auch gleich die beiden ersten Zeilen des Briefes: »Hier ist Florenz, warme Luft und heiterer Himmel, alles schön und herrlich. ›Wo blieb die Erde?‹ u.s.w. von Goethe.« Von dem hands shaken mit englischen Ladys schweigt der[120] Reisebericht für diesesmal; M. scheint mit der höheren Gesellschaft in keine nähere Verbindung gekommen zu sein. Ebenso wenig erfahren wir, dass er Musik gehört, oder selbst welche gemacht, gespielt oder irgend etwas neues componirt habe. Seine Zeit in Florenz war wohl wesentlich nur zwischen der Betrachtung der Kunstwerke der Plastik und Malerei, an denen ja Florenz so reich ist, und Genuss in der freien Natur getheilt. Von einem Besuch der sogenannten Tribuna, dem Allerheiligsten der Kunst im Palast der Uffizien schreibt er, characteristisch für seinen reinen Sinn, mit welchem er auch das irdisch Schöne erfasst:


»Jetzt will ich einmal nach der Tribüne gehen und andächtig werden. Es ist da ein Platz, wo ich mich gern hinsetze; man sieht gerade aus die kleine Venus von Medicis und darüber die von Tizian, und wenn man sich ein wenig links wenden will, so hängt da die Madonna del Cardello (Cardellino, die Madonna mit dem Stieglitz, den sie dem Jesuskinde zeigt, von Raphael), ein Lieblingsbild von mir, das mir ganz die belle jardinière zurückruft (im Louvre in Paris) und mir wie ein Schwesterbild dazu vorkommt); und auch die Fornarina,18 die mir aber durchaus keinen Eindruck hat machen wollen, weil der Kupferstich wirklich treu, und für mich im Gesicht ein recht unangenehmer Ausdruck, sogar etwas Gemeines ist. Aber wenn man so nach den beiden Venus hinblickt, wird einem ordentlich fromm zu Muthe; es ist als flögen die beiden Geister, die so was haben schaffen können, durch den Saal und packten einem an. Der Tizian ist ein unglaublicher Mensch gewesen, und hat sich seines Lebens in seinen Bildern gefreut; indess die Medicäerin ist auch nicht zu verachten. Und nun die göttliche Niobe mit all den Kindern dort, da weiss man nun erst recht gar nichts zu sagen.19 Dazu war ich noch nicht einmal im Palast Pitti, wo St. Ezechiel und die Madonna della Sedia von Raphael hängen.«


Ueber diese reichhaltige Sammlung im Palast Pitti[121] sagt er in den Briefen aus Florenz weiter nichts, und vertröstet auf ein andermal, doch finden wir auch in späteren Briefen nichts weiter davon aufgezeichnet. Dagegen erzählt er von seinem Besuche des Garten Boboli, der zu dem genannten Palast gehört: »Den Garten des Palastes habe ich gestern im Sonnenschein gesehen; er ist herrlich, und die unzähligen Cypressen, die dichten Myrthen und Lorbeerzweige machen unser einem einen seltsam fremden Eindruck; wenn ich aber sage, dass ich Buchen, Linden, Eichen und Tannen zehnmal schöner und malerischer finde, als alles dies, so ruft Hensel: der nordische Bär!« – Wir aber rufen, du liebes treues deutsches Herz, es ist natürlich, dass dir die vaterländischen Eichen und Buchen, Linden und Tannen mehr zusagen, als dieser verschnörkelte Park im altfranzösischen Geschmack mit seinen vielen Statuen auch unter dem florentinischen Himmel, es ist derselbe Geschmack, der Dich die Natur der Schweiz mit ihren grünen Alpenmatten der Italiens weit vorziehen liess, dasselbe Gefühl, das Dich zur Composition des Liedes begeisterte: Wer hat Dich, Du schöner Wald, aufgebaut so hoch da droben, derselbe patriotische Sinn, der Dich nach Vollendung Deiner Weltfahrt an den Vater schreiben liess: »Ich habe gewählt, das Land wo ich leben und wirken möchte, kann nur Deutschland sein.«

Der letzte Brief aus Florenz ist vom 30. October. Er athmet wieder inniges Behagen an der Luft in Florenz und der es umgebenden Natur.


»Nach dem gestrigen warmen Regen ist es heute so behaglich lau in der Luft, dass ich hier am offenen Fenster sitze und schreibe; freilich ist es auch nicht übel, dass die Leute mit den zierlichsten Blumenkörben auf allen Strassen umhergehen, um die frischen Veilchen, Rosen und Nelken anzubieten. Vorgestern war ich müde von allen Bildern, Statuen, Vasen und Museen, beschloss also um zwölf, bis Sonnenuntergang spazieren zu gehen, kaufte mir einen Strauss von Tazetten und Heliotrop, und stieg nun so zwischen den Weinbergen die Hügel hinauf. Es war einer der heitersten Spaziergänge, die ich gemacht habe; es muss einem erquickt und erfrischt zu Muthe werden, wenn man die ganze Natur um sich her so sieht, und mir gingen tausend frohe Gedanken im Kopfe herum.«[122]


M. war hinaufgestiegen, zuerst nach dem Lustschloss des Grossherzogs, Bello sguardo, mit dem Ueberblick über ganz Florenz, und das weite Thal »mit den unzähligen weissen Landhäusern, die alle Berge und Hügel, soweit das Auge reicht, bedecken«; dann weiter hinauf nach einem Thurm, wo er wieder die weiteste Aussicht genoss, und mit der Führerin zum Thurmdach, die ihn mit süssen getrockneten Trauben beschenkte, ein artiges rencontre hatte, und zuletzt zu dem höchsten Punkte der Gegend, den er mehr zufällig, als absichtlich fand, dem Kloster S. Miniato al Monte, mit wiederum wunderschönstem Ausblick. Von dort ging er noch einmal nach dem Garten Boboli, wo er die Sonne untergehen sah, und im klarsten Mondschein Abends nach Hause.

Nachdem er nun noch von der Gallerie Pitti und der grossen Gallerie in den Uffizien Abschied genommen, und sich »seine Venus noch einmal angesehen, von der man vor Damen freilich nicht sprechen darf, die aber dennoch göttlich schön ist«, setzte er sich am 30. October Nachmittags 5 Uhr in die Courierpost, an der ihm nur die Nothwendigkeit einer militärischen Bedeckung (»so etwas sollte heut zu Tage nicht vorkommen«) ärgerlich war, und fuhr über Siena nach Rom, der ewigen Stadt, wo er am frühen Morgen des 1. November in blendend hellem Mondlicht, bei tiefblauem Himmel über den Ponte Molle einfuhr.


Mit dem Aufenthalt in Rom, der zunächst ununterbrochen vom 1. November 1830 bis zum 6. April 1831 währte, beginnt das dritte Hauptstadium in des jungen Künstlers Weltgang. Es ist höchst erbaulich, in den zahlreichen von hier aus datirten überaus interessanten Briefen sowohl an seine Familie in Berlin, als auch an Andere, z.B. an Eduard Devrient und Zelter (die nicht im Auszug, sondern ganz gelesen sein wollen) wahrzunehmen, wie gewissenhaft M. seine Zeit zwischen Arbeit und belehrendem Genuss theilte, und wie fruchtbar dieser Aufenthalt auf seine eigene Schöpferkraft wirkte. Mehrere seiner bedeutenden Werke, die er hier theils vollendete,[123] theils wenigstens in Angriff nahm, z.B. die Composition der Lutherlieder, der A moll-Symphonie, der Walpurgisnacht verdanken diesem Aufenthalt ihren Ursprung und Fortgang. M. selbst schreibt über diese Einwirkung seines Aufenthalts in seinem 2. Briefe aus Rom, v. 8. November:


»Mir ist so ruhig und froh und ernsthaft zu Muthe geworden, wie ich's Euch gar nicht beschreiben kann. Was es ist, dass so auf mich wirkt, kann ich wieder nicht genau sagen; denn das furchtbare Coliseum,20 und der heitere Vatican und die milde Frühlingsluft tragen dazu bei, wie die freundlichen Leute, mein behagliches Zimmer und Alles. Aber anders ist mir; ich fühle mich glücklich und gesund, wie seit langem nicht, und habe am Arbeiten solche Freude und Drang darnach, dass ich wohl noch viel mehr auszuführen gedenke, als ich mir vorgesetzt habe. Wenn nun Gott mir Fortdauer dieses Glückes schenkt, so sehe ich dem schönsten, reichsten Winter entgegen.«


Es interessirt uns natürlich lebhaft, unter Mendelssohn's eigener Führung sein trauliches Heim in Rom kennen zu lernen, welches die Geburtsstätte so vieler bedeutender Werke wurde.


»Denkt Euch,« schreibt er darüber in demselben Briefe weiter, »ein kleines zweifenstriges Haus am spanischen Platz Nr. 5, das den ganzen Tag die warme Sonne hat, und die Zimmer im ersten Stock darin, wo ein guter Wiener Flügel steht; auf dem Tische liegen einige Portraits von Palestrina, Allegri u.a. mit ihren Partituren; ein lateinisches Psalmbuch, um daraus ›Non nobis‹ zu componiren (Deutsch, Nicht unserm Namen Herr u.s.w., Psalm 115 für Chor, Solo und Orchester, mit deutschem Text erschienen als Op. 31, das erste bedeutende der in Rom componirten Werke); daselbst residire ich nun. Am Capitol war es mir zu weit, und ich fürchtete vor allem die kalte Luft, von der ich hier freilich nichts zu besorgen habe, wenn ich des Morgens aus dem Fenster über den Platz sehe, und sich alles so scharf im Sonnenschein vom blauen Himmel abhebt. Der Wirth ist ehemals Capitän unter den Franzosen[124] gewesen, das Mädchen hat die herrlichste Contra-Altstimme, die ich kenne; über mir wohnt ein Königl. Preussischer Hauptmann, mit dem ich zusammen politisire – kurz, das Local ist gut. Wenn ich Morgens früh nur in's Zimmer komme, und die Sonne so hell auf das Frühstück scheint (Ihr seht, ich bin zum Poeten verdorben), da wird mir gleich unendlich behaglich zu Sinn; denn es ist doch eigentlich Spätherbst, und wer kann da noch Wärme, heitern Himmel, oder Trauben und Blumen bei uns beanspruchen.« ... »Zu meinen Hausbehaglichkeiten«, sagt er dann im weiteren Verlauf des Briefes, »gehört auch, dass ich zum ersten male Goethe's Reise nach Italien lese; und ich muss Euch gesteh'n, dass es mir eine grosse Freude macht, dass er in Rom an demselben Tage ankommt, wie ich; – dass er ebenso zuerst auf's Quirinal geht und dort die Seelenmesse hört, dass ihn auch in Florenz und Bologna die Ungeduld ergriffen hat; dass ihm auch so ruhig, und wie er es nennt, solide hier zu Muthe wird; denn alles, was er beschreibt, habe ich genau ebenso erlebt, und das ist mir lieb.«


Ferner hören wir in demselben Briefe vom 8. November über seine Benutzung des Tages:


»Nach dem Frühstück geht es an's Arbeiten, und da spiele und singe und componire ich denn bis gegen Mittag. Dann liegt mir das ganze unermessliche Rom, wie eine Aufgabe zum Geniessen vor; ich gehe dabei sehr langsam zu Werke, und wähle mir täglich etwas Anderes, Weltgeschichtliches aus, – gehe einmal spazieren nach den Trümmern der alten Stadt; ein andermal nach der Gallerie Borghese, oder nach dem Kapitol, oder nach St. Peter, oder dem Vatikan. Das macht mir jeden Tag unvergesslich, und indem ich mir Zeit nehme, habe ich jeden Eindruck fester und stärker. Beim Arbeiten des Morgens möchte ich gar nicht aufhören und fortschreiben, sage mir aber, Du musst doch auch den Vatikan sehen; wenn ich nun da bin, so möchte ich wieder nicht gerne fortgehen, und so macht mir jede meiner Beschäftigungen die reinste Freude und ein Genuss löst den andern ab. – Wenn ich mir nun solch' ein Bild, und zwar an jedem Tage ein neues, eingeprägt habe, so ist es meist Dämmerung und der Tag zu Ende. Dann suche ich die Bekannten und Freunde auf; wir theilen uns mit, was jeder gethan, d.h. hier genossen hat, und sind vergnügt mit einander. Die Abende war ich meist mit Bendemann's und Hübner's, wo die deutschen Künstler sich versammeln, auch zu Schadow's gehe ich zuweilen.«[125]


Sonst ist er auf das Gros deutscher und andrer Maler, die er in Rom sah, nicht sonderlich zu sprechen. In dem Briefe vom 10. December an seinen Vater schildert er sie sehr drastisch folgendermaassen:


»Es sind furchtbare Leute, wenn man sie in ihrem Café Greco sitzen sieht. Ich gehe auch fast nie hin, weil mich zu sehr vor ihnen und ihrem Lieblingsort graut. Das ist ein kleines, finsteres Zimmer, etwa acht Schritt breit, und auf der einen Seite der Stube darf man Tabak rauchen, auf der andern aber nicht. Da sitzen sie denn auf den Bänken umher, mit den breiten Hüten auf, grosse Schlächterhunde neben sich, Hals, Backen, das ganze Gesicht von Haaren zugedeckt, machen einen entsetzlichen Qualm (nur auf der einen Seite des Zimmers), sagen einander Grobheiten; die Hunde sorgen für Verbreitung von Ungeziefer; eine Halsbinde, ein Frack wären Neuerungen; was der Bart vom Gesicht freilässt, das versteckt die Brille, und so trinken sie Caffé, und sprechen von Tizian und Pordenone, als sässen die neben ihnen, und trügen auch Bärte und Sturmhüte! Dazu machen sie so kranke Madonnen, schwächliche Heilige, Milchbärte von Helden, dass man mitunter Lust bekommt, drein zu schlagen.« (In ähnlicher nur nicht ganz so scharfer und ausführlicher Weise spricht er sich über diese Art von Künstlern in dem schon oben erwähnten späteren Brief an Goethe vom 5. März 1831 aus.)


Weiter fährt er in dem Brief an den Vater fort:


»Auch das Bild von Tizian im Vatikan, nach dem Du mich frägst, scheuen die Höllenrichter nicht. Es hat ja keinen Gegenstand und keine Bedeutung, sagen sie, und dass ein Meister, der sich lange Zeit voll Liebe und Andacht mit einem Bilde beschäftigt, doch wohl so weit müsse gesehen haben, als sie mit ihren bunten Brillen, das fällt keinem ein. Und wenn ich mein Lebelang nichts weiter thun könnte, so will ich allen denen, die vor ihren Meistern keinen Respect haben, die herzlichsten Grobheiten sagen; dann hätt' ich schon ein gutes Werk gethan.«


Es folgt nun eine eingehende anschauliche Schilderung und Apologie des Tizian'schen Bildes, das man wohl, nach der Analogie des Raphael'schen Bildes der Transfiguration Christi, die Verklärung Mariä nennen könnte. Von allen diesen Briefen M.'s aus Rom gilt dasselbe, was Goethe über jenen Brief an Zelter schrieb: Es sind[126] »allerliebste ausführliche Briefe, welche das reinste Bild des vorzüglichen jungen Mannes darstellen«. Ich darf meine freundlichen Leser, und besonders die jüngeren unter ihnen, nur wiederholt auf diese Briefe selbst hinweisen, und hebe aus ihnen fortan nur das aus, was zu des jungen Künstlers Schaffen als Musikers in näherer Beziehung steht.

Zuerst stehe hier noch ein Urtheil M.'s über Musiker, die ihre alten Meister nicht mehr anerkennen, nicht minder streng als das über die Maler, dem es vorangeht. Er schreibt in demselben Briefe an den Vater:


»Mich macht es jedesmal innerlichst grimmig, wenn Menschen, die gar keine Richtung haben, sich damit abgeben wollen, über andere zu urtheilen, die etwas wollen, und sei es das Kleinste, und ich habe deshalb neulich einem Musiker hier in einer Gesellschaft nach Kräften gedient. Der wollte nun gar über Mozart sprechen, und weil Bunsen und seine Schwester Palestrina lieben, suchte er sich dadurch bei ihnen einzuschmeicheln, dass er mich z.B. fragte, was ich denn von dem guten Mozart mit seinen Sünden dächte? Ich antwortete ihm aber: ich meines theils liesse gleich meine Tugenden im Stich, und nähme Mozart's Sünden dafür; wie tugendhaft er sei, könne ich aber nicht bestimmen. Die Leute fingen an zu lachen, und hatten ihre Freude daran. Dass solch' Volk sich nicht einmal vor den grossen Namen scheuen will!«


Das Erste, was M. in Rom von Musik sah, war ein deutsches Werk: der Tod Jesu von Graun, dessen Text ein römischer Abbate, Fortunato Santini, recht gelungen und treu übersetzt hatte. M. spricht gleich im ersten Briefe, den er aus Rom schreibt, seine Freude darüber aus: »Nun ist die Musik des Ketzers mit dieser Uebersetzung, nach Neapel geschickt worden, wo sie diesen Winter in einer grossen Feierlichkeit ausgeführt werden soll, und die Musiker sollen ganz entzückt von der Musik sein, und mit grosser Liebe und Enthusiasmus an's Werk gehen. Der Abbate erwartet mich schon lange, wie ich höre, und mit Ungeduld, weil er mehrere Aufschlüsse über deutsche Musik von mir haben möchte, und weil er hofft, ich würde ihm die Partitur der Bach'schen Passion mitbringen.« Welch' eine Freude für den deutschen Künstler,[127] der dieses grosse Werk erst vor 11/2 Jahren wieder in's Leben gerufen hatte. Man versteht daraus den tieferen Sinn seiner Worte: »So geht es denn immer vorwärts und dringt so sicher durch wie die Sonne; bleibt's heute neblig, so ist es eben ein Zeichen, dass der Frühling noch nicht da ist; aber wiederkommen muss er.« – Die Bekanntschaft mit jenem Abbate, der eine der vollständigsten Bibliotheken für alte italienische Musik hatte, und M. gern alles lieh und gab, war für diesen sehr kostbar. Im dritten Briefe aus Rom vom 16. November sagt er darüber noch: »Der alte Santini ist immerfort die Gefälligkeit selbst. Wenn ich Abends in Gesellschaft ein Stück lobe, oder nicht kenne, so klopft er den andern Morgen sehr leise an, und bringt mir das Stück in sein blaues Schnupftüchelchen gewickelt, dafür begleite ich ihn dann Abends nach Hause, und wir haben uns sehr lieb. Er hat mir sogar sein achtstimmiges Te Deum gebracht und mich gebeten, ihm doch einige Modulationen hinein zu corrigiren; es bliebe doch gar zu viel in G dur, ich will also sehen, ob ich einiges A moll oder E moll anbringen kann.« Inzwischen war er auch schon sehr fleissig in eigenen Compositionen gewesen. Am Schluss desselben Briefes vom 16. November an Schwester Fanny schreibt er:


»Das Geschenk, liebe Fanny, das ich Dir diesmal zu Deinem Geburtstage (15. November) fertig gemacht habe, ist ein Psalm für Chor und Orchester: Non nobis, Domine, (der schon oben erwähnte, später mit deutschem Text als Op. 31 herausgegebene Ps. 115), Du kennst den Gesang schon. Eine Arie kommt darin vor, die einen guten Schluss hat, und der letzte Chor wird Dir gefallen, hoffe ich. In der nächsten Woche soll, wie ich höre, eine Gelegenheit gehen, da schick' ich Dir's sammt vieler andern neuen Musik. Nun will ich die Ouvertüre (zu den Hebriden) fertig machen und dann, so Gott will, an die Symphonie gehen. (Die Schottische oder A moll ist gemeint.) Auch ein Clavierconcert, das ich für Paris gern schreiben möchte, fängt an mir im Kopfe zu spuken. (Das auch bereits erwähnte unvergleichlich schöne G moll-Concert, das er in der That fertig mit nach Paris brachte, aber bereits in München öffentlich spielte, wie früher schon erwähnt wurde.) Gebe der liebe Gott Gelingen und frohe Zeit, so wollen wir sie schon geniessen.«[128]


Wie herrlich hat ihm doch Gott diesen Wunsch erfüllt! Hätte M. nichts geschrieben, als die drei Ouvertüren zum Sommernachtstraum, Meeresstille und glückliche Fahrt und zu den Hebriden, die A moll-Symphonie und das G moll-Concert, so würden schon diese köstlichen Werke hingereicht haben, seinen Namen als Componist unsterblich zu machen. – Wenn auch nicht mit M.'s musikalischen Bestrebungen zusammenhängend, verdient doch der nächste Brief vom 22. November an die »lieben Geschwister«, in welchem er diesen Rathschläge ertheilt, wie sie es machen sollen, um des Vaters Verstimmung zu lindern und seine Reizbarkeit zu schonen, Erwähnung als ein wahres Musterstück zärtlicher Rücksicht und psychologischer Klugheit des Sohnes. Prächtig ist auch der Schluss des Briefes: »Antwortet mir nicht hierauf, denn das kommt erst in vier Wochen an, und dann giebt es schon wieder etwas Neues. Ueberhaupt, wenn ich dumm war, so will ich keine geistigen Prügel von Euch, und sprach ich schön, so folgt meinen guten Lehren.« In der Fortsetzung dieses Briefes vom 23. hören wir schon wieder von neuen Fortschritten in M.'s musikalischen Arbeiten.


»Der Choral: ›Mitten wir im Leben sind‹21 ist fertig geworden, und wohl eines der besten Kirchenstücke, die ich gemacht habe. Nach Beendigung der Hebriden denke ich an Salomon von Händel zu gehen und ihn für eine künftige Aufführung einzurichten, mit Abkürzungen und Allem. Sodann denke ich die Weihnachtsmusik ›Vom Himmel hoch‹ (Weihnachtslied für 5 Singstimmen mit Orchester, erst nach M.'s Tode herausgegeben) und die A moll-Symphonie zu schreiben, – vielleicht einige Sachen für's Clavier, und ein Concert u.s.w., wie es gerade kommen will. – Dabei vermisse ich nun freilich sehr, dass ich keinen Bekannten habe, dem ich das Neue mittheilen kann, – der mit in die Partitur zu kucken, oder einen Bass oder eine Flöte mitzuspielen versteht, so dass ich ein Stück, wenn es fertig ist, in den Kasten legen muss, ohne dass sich Einer daran freut. – Darin bin ich in London verwöhnt worden. Solche Freunde, wie da, treffe ich doch wohl nicht wieder zusammen. Hier muss man immer nur halb reden, um die beste Hälfe zu verschweigen, während man dort halb redete, weil sich die andere Hälfte von selbst verstand und der Andere sie schon wusste.«[129]


Am Schlusse des Briefes berichtet er dann über sein erstes Auftreten als Clavierspieler vor einem grösseren Kreise in Rom. Besonders interessant ist dabei, was er über sein Extemporiren sagt:


»Gestern war bei Bunsen Palestrina'sche Musik, wie alle Montag, und da habe ich denn zum ersten male vor den Römischen Musikern in corpore gespielt. Ich weiss das ganz genau, wie ich mich anfänglich in einer fremden Stadt bei den Leuten durchspielen muss. Mir ist denn auch ein bischen befangen, und so war es gestern. Die päpstlichen Sänger hatten den Palestrina ausgesungen, und nun sollte ich noch etwas spielen. Brillantes passte nicht und Ernsthaftes hatten sie übergenug gehabt. Ich bat also den Director Astolfi um ein Thema, und der tippte dann mit einem Finger an (es folgen 11/2 ganz nichtssagende Tacte in C dur) und lächelte dazu; die schwarzröckigen Abbaten stellten sich um mich her und hatten grosse Freude daran. Das merkte ich, und es munterte mich auf, und so gelang es mir am Ende ganz gut; sie klatschten rasend, Bunsen meinte, ich hätte die Geistlichkeit verblüfft, – kurz die Sache war hübsch. Mit dem öffentlichen Spielen oder Aufführen sieht es hier ohnehin schlecht aus; so muss man sich an die Gesellschaften halten und im Trüben fischen.«


Von weiteren musikalischen Bestrebungen giebt dann wieder schon der folgende Brief vom 30. Nov. Kunde.


»Dass Mantius (der schon erwähnte treffliche Tenorsänger) meine Lieder gern und viel singt, freut mich recht sehr. Grüsst und fragt ihn doch auch, warum er nicht sein Versprechen hält und mir einmal schreibt. Ich habe ihm schon mehreremal geschrieben, nämlich Noten. In dem Ave Maria22 und in dem Choral, ›Aus tiefer Noth‹ sind Stellen sehr ausdrücklich für ihn gemacht, und er wird sie erquickend singen. Beim Ave, das ein Gruss an die Maria ist, singt nämlich ein Tenor (ich habe mir etwa einen Jünger dabei gedacht) dem Chor immer Alles vor und ganz allein. Da das Stück nun in A dur ist, und bei den Worten ›benedicta tu‹ etwas in die Höhe geht, so mag er sein hohes A nur vorbereiten, – klingen wird es schon .... Auch Rietz (Eduard, der Violinspieler und M.'s vertrauter Freund) schweigt, und ich sehne mich doch gar sehr nach seiner Geige und seinem tiefen Spiel, das mir ganz vor die Seele kommt, wenn ich seine liebe, zierliche Hand sehe.[130] Ich schreibe jetzt täglich an den Hebriden, und schicke sie ihm sobald sie fertig sind. – Es ist ein Stück für ihn; ganz wunderlich. Von meinem Leben das nächstemal; ich arbeite fleissig und lebe sehr froh und glücklich ... Vorgestern musste ich wieder den päpstlichen Sängern vorphantasiren. Die Kerls hatten sich für mich eigends das allerverzwickteste Thema ausgedacht, weil sie mich auf Glatteis führen wollten; sie nennen mich aber l'insuperabile professore, und sind überhaupt sehr artig und freundlich.«


Zwar nicht unmittelbar, aber doch wesentlich fördernd wirkte auf M.'s musikalisches Schaffen seine nähere Bekanntschaft mit zwei der damals bedeutendsten wirklichen Künstler, die er in Rom fand: Thorwaldsen und Horace Vernet. Wie er mit diesen beiden Meistern auf einem Balle bei Torlonia in der gemeinsamen Bewunderung einer schönen Engländerin sich zusammenfand, erzählt er sehr artig in einem Briefe vom 20. December. (Reisebriefe, S. 86 und 87.) Er trat aber auch zu den Genannten in sehr nahe musikalische Beziehung.


»Mein Clavierspielen verschafft mir hier eine besondere Freude. Ihr wisst, wie Thorwaldsen die Musik liebt, und da spiele ich ihm des Morgens zuweilen vor, während er arbeitet. Er hat ein recht gutes Instrument bei sich stehen, und wenn ich mir dazu den alten Herrn ansehe, wie er an seinem feinen braunen Thon knetet und den Arm oder ein Gewand so fein ausglättet – kurz, wenn er das schafft, was wir alle nachher als fertig und dauernd bewundern müssen, so freut mich's sehr, dass ich ihm ein Vergnügen bereiten kann. Uebrigens bin ich bei alledem doch hinter der Arbeit her. Die Hebriden sind endlich fertig und ein sonderbares Ding geworden. Das Nonnenstück habe ich im Kopfe (der erste Anfang zu den drei Motetten für weibliche Stimmen mit Orgel, dreistimmige Chöre für die Nonnen auf Trinità de' Monti, erst im Jahre 1838 theilweise umgearbeitet als Op. 39 erschienen); zum Weihnachten denke ich mir den Luther'schen Choral (›Vom Himmel hoch‹) zu componiren, denn diesmal werde ich ihn mir allein machen müssen. Das ist denn freilich ernsthafter, wie auch der Jahrestag der silbernen Hochzeit, wo ich mir viel Lichter anstecken, das Liederspiel vorsingen und meinen englischen Tactstock dazu ankucken werde. Nach Neujahr will ich mich wieder an die Instrumentalmusik machen, mehreres für's Clavier schreiben und vielleicht noch eine oder die andere Symphonie; denn mir spuken zwei im Kopfe herum.« (Die[131] Schottische in A moll und die Italienische in A dur, von denen die letztere früher fertig geworden scheint.)


Sehr anmuthend ist auch, was M. in dem Briefe vom 17. Januar 1831 über einen zwischen seinem und Horace Vernet's künstlerischem Schaffen geschehenen Austausch erzählt. Horace Vernet hatte ihm erzählt, dass Don Juan seine einzige wahre Lieblingsmusik sei, namentlich das Duell und der Comthur am Ende.


»So gerieth ich (zum erstenmale in kleinerer Gesellschaft bei H.V.) indem ich zum Concertstück von Weber präludiren wollte, unvermerkt tiefer in's Phantasieren – dachte, ich würde ihm einen Gefallen thun, wenn ich auf diese Themas käme, und arbeitete sie ein Weilchen wild durch. Es machte ihm eine Freude, wie ich nicht bald Jemand von meiner Musik erfreut gesehen habe, und wir wurden gleich genauer bekannt mit einander. Nachher kam er auf einmal und sagte mir in's Ohr, wir müssten einen Tausch machen, – er könne auch improvisiren. Und als ich, wie natürlich sehr neugierig war, so meinte er, das sei ein Geheimniss. Er ist aber wie ein kleines Kind und hielt es nicht eine Viertelstunde aus. Da kam er wieder und nahm mich in die andere Stube und fragte, ob ich Zeit zu verlieren hätte, er habe eine Leinwand ganz fertig aufgespannt und bereitet, da wolle er mein Bild darauf malen, und das solle ich zum Andenken an heute behalten, zusammenrollen und an Euch schicken, oder mitnehmen, wie ich wollte. Er müsse sich aber zusammennehmen mit seiner Improvisation, aber er wollte es schon machen. Ich sagte sehr ja, und kann Euch nicht beschreiben, was für ein Vergnügen mir es machte, dass er wirklich so viel Freude und Lust an meinem Spiel gehabt hatte. Es war überhaupt ein vergnügter Abend.« (Reisebriefe, S. 97.)


Der ganze Brief ist so interessant und so voll feiner Bemerkungen über die schlechte italienische Musik und die schöne italienische Natur, in welcher die wahre Musik sei, dass ich die freundlichen Leser dringend bitten muss, ihn selbst ganz nachzulesen.

Ueber das oben erwähnte Musikstück, componirt für die Nonnen auf Trinità de' Monti verdient noch nachgetragen zu werden, was M. in so anmuthig lebendiger Weise in den Briefen vom 20. December 1830 an die Seinen in Berlin von dem Impuls, den er zu dieser Composition an Ort und Stelle empfangen, schreibt:


[132] »Wie die Sonne rückt, so verändert sich die ganze Landschaft und alle Farben; kommt das Ave Maria, so geht es in die Kirche von Trinità de' Monti; da singen die französischen Nonnen und es ist wunderlieblich. Ich werde, bei Gott ganz tolerant, und höre schlechte Musik mit Erbauung an, aber was ist zu thun? die Composition ist lächerlich; das Orgelspiel noch toller; aber nun ist's Dämmerung, und die ganze kleine bunte Kirche voll knieender Menschen, die von der untersinkenden Sonne beschienen werden, sobald die Thüre einmal aufgeht; die beiden singenden Nonnen haben die süssesten Stimmen von der Welt, ordentlich rührend zart, und namentlich wenn die eine mit ihrem sanften Tone das Responsorium singt, was man gewohnt ist, von den Priestern so rauh und streng und einförmig zu hören, da wird Einem ganz wunderlich. Nun weiss man noch dazu, dass man die Sängerinnen nicht zu sehen bekommen darf, da habe ich denn einen sonderbaren Entschluss gefasst: ich componire ihnen etwas für ihre Stimmen, die ich mir recht genau gemerkt habe, und schicke es ihnen zu, wozu mir mehrere Wege zu Gebote stehen. Singen werden sie es dann, dass weiss ich, und das wird nun hübsch sein, wenn ich mein Stück von Leuten, die ich nie gesehen habe, anhören werde, und wenn sie es wieder dem barbaro Tedesco, den sie auch nicht kennen, vorsingen müssen. – Ich freue mich sehr darauf; der Text ist lateinisch; ein Gebet an die Maria. Gefällt Euch nicht die Idee?«


Von dieser Idee, ein Gebet an die Maria zu componiren, scheint zwar M. wieder abgekommen zu sein, die Texte zu den Motetten, die wir jetzt in Op. 39 besitzen, 1) Veni domine et noli tardare u.s.w., 2) Laudate pueri – sit nomen Domini benedictum, 3) Surrexit pastor honoris, mit dem als Duett behandelten Tulerunt Dominum meum, enthalten nichts von einer directen Beziehung auf Maria, aber leichtflüssig, sangbar und doch im kirchlichen Style gehalten, gehören diese Motetten, namentlich die dritte, zu dem Besten, was Mendelssohn componirt hat. Trefflich characterisirt hat sie August Reissmann in seiner Biographie M.'s, S. 121:


»...So tritt in diesen Motetten überall das Bestreben hervor, die alte traditionelle Anschauung mit dem Geist einer neuen Zeit zu versöhnen; jene mit diesem zu durchdringen, um so einen neuen und wie wir zugleich hinzusetzen wollen, den entsprechenden Styl für die Kirchenmusik zu gewinnen. Treten auch beide, jener ältere[133] und der neuere, hier noch mehr erkennbar neben einander, als dass sie mit einander verschmolzen werden, so ist doch der gegenseitige Einfluss nicht zu übersehen.«


Fast dasselbe könnte man von seinen beiden grössten Werken kirchlicher Musik, den Oratorien Paulus und Elias sagen. Ob M. jene drei Motetten von den Nonnen auf S. Trinità hat ausführen hören, erfahren wir leider aus den Briefen nicht weiter. Aber sie sind ein Lieblingsstück kunstgeübter Damenstimmen geworden. Die bedeutendste Frucht aber seines Aufenthalts in Rom, ja überhaupt eine der herrlichsten Tonschöpfungen Mendelssohn's, in welcher sich die gediegenste Reife der Arbeit mit der vollsten Jugendfrische des Genius gepaart hat, ist die Composition »der ersten Walpurgisnacht« von Goethe.

Das Gedicht steht unter den Cantaten (Bd. 8 der vierzigbändigen Ausgabe, S. 386) und ist eine Schilderung der Wodan gewidmeten Opferfeier der alten Germanen am 1. Mai, im letzten Ringen gegen die vordrängende Macht des Christenthums, dramatisch lebendig dargestellt in Wechselgesängen zwischen Solis und Chören, die Verse selbst überaus rein, fliessend und wohllautend, allerdings zur Composition wie geschaffen, um so mehr, als der Dichter selbst es »Cantate« genannt hat. Goethe schrieb darüber (in Worten, die jetzt allgemein bekannt geworden sind, weil sie M. sowohl der Partitur als dem Clavierauszug seines Werkes hat vordrucken lassen), in einem Briefe an M. unterm 9. September 1831:


»Dieses Gedicht ist im eigentlichen Sinn hochsymbolisch intentionirt. Denn es muss sich in der Weltgeschichte immerfort wiederholen, dass ein Altes, Geprüftes, Gegründetes, Beruhigendes, durch auftauchende Neuerungen gedrängt, geschoben, verrückt, und wo nicht vertilgt, doch in den engsten Raum eingepfercht werde. Die Mittelzeit, wo der Hass noch gegenwirken kann und mag, ist hier prägnant genug dargestellt und ein freudiger unzerstörbarer Enthusiasmus lodert noch einmal in Glanz und Klarheit hinauf.«


Es lässt sich nicht läugnen, dass dem Dichter diese hochsymbolische Intentation vollkommen geglückt ist, wenn er auch das Pfaffenchristenthum dem sich selbst abklärenden Wodandienst gegenüber nur die jämmerliche Rolle[134] des furchtsamen Aberglaubens spielen lässt. Sie gipfelt in den vom Chor wiederholten Schlussworten des Druiden:


Die Flamme reinigt sich vom Rauch,

So reinig' unsern Glauben,

Und raubt man uns den alten Brauch,

Dein Licht, wer will es rauben!


Man darf aber nicht glauben, dass jene Worte Goethe's noch irgend einen Einfluss auf die Composition M.'s geübt hätten, denn M. schrieb schon am 24. Juli 1831 auf der Rückreise von Isola bella aus an die Seinen in Berlin: »Die Walpurgisnacht ist fertig und ausgeputzt; auch die Ouvertüre wird wohl bald so weit sein. Der einzige Mensch, der es bis jetzt kennt, ist Mozart,23 und der hatte soviel Freude daran, dass mir die gewohnten Sachen auch wieder neuen Spass machten; er wollte durchaus, ich solle es gleich drucken lassen.« M. hat auch sicher die Composition nicht erst auf Anregung Goethe's unternommen, sondern er ging daran ganz aus eignem innern Impuls. Die Geschichte der Entstehung dieses köstlichen Jugendwerkes bis zu seiner Vollendung und selbst darüber hinaus liegt in den Briefen Mendelssohn's, seiner Schwester und Freunde so klar vor, dass ich auf den Dank meiner freundlichen Leser rechne, wenn ich sie im Folgenden so kurz als möglich chronologisch zusammenstelle. Der erste Gedanke dazu kam dem Componisten ohne Zweifel schon in Wien und dann noch eine Anregung mittelbar von seiner geliebten Schwester Fanny. Diese hatte ihm von Berlin aus geschrieben, dass sie beabsichtige, jene schon mehrfach erwähnten Sonntagsmusiken durch wohl vorbereitete grössere Aufführungen mit Chor und Sologesang, auch Trio und Streichquartett von den besten musikalischen Kräften Berlins unterstützt, zu erweitern. Der Bruder erfasste diesen Gedanken mit allem Feuer seiner künstlerischen Seele. Er schrieb ihr aus Rom unterm 22. Februar 1831:


»Ich kann Dir gar nicht sagen, liebe Fanny, wie sehr mir der Plan mit den neuen Sonntagsmusiken gefällt; das ist ein brillanter[135] Einfall, und ich bitte Dich um Gotteswillen, lass es nicht wieder einschlafen, sondern gieb vielmehr Deinem reisenden Bruder Auftrag, für Euch einiges Neue zu schreiben. Der Mann will das gerne thun, denn er freut sich gar zu sehr über Dich und Deine Idee. Du musst ihn wissen lassen, was für Stimmen Du hast, musst diese Deine Untergebenen zu Rathe ziehn, was sie gerne hätten (denn das Volk hat Rechte, o Fanny!) u.s.w.«


Hierauf giebt er noch einige sehr schöne practische Rathschläge, und fährt dann fort:


»Ein Stück dankt diesen Sonntagsmusiken wahrscheinlich schon seine Entstehung. Als Du mir nämlich neulich davon schriebst, dachte ich, ob ich Dir nicht etwas dazu schicken könnte, und da tauchte denn ein alter Lieblingsplan wieder auf, dehnte sich aber so breit aus, dass ich E .... nichts davon mitgeben kann und es also später nachliefere. Höre und staune! Die erste Walpurgisnacht von Goethe habe ich seit Wien halb componirt, und keine Courage, sie aufzuschreiben. Nun hat sich das Ding gestaltet, ist aber eine grosse Cantate mit ganzem Orchester geworden und kann sich ganz lustig machen, denn im Anfang giebt es Frühlingslieder und dergleichen vollauf; dann wenn die Wächter mit ihren Gabeln und Zacken und Eulen Lärm machen, kommt der Hexenspuk dazu, und Du weisst, dass ich für den ein besonderes faible habe; dann kommen die opfernden Druiden in C dur mit Posaunen heraus, dann wieder die Wächter, die sich fürchten, wo ich dann einen trippelnden unheimlichen Chor bringen kann, und endlich zum Schluss der volle Opfergesang. Meinst Du nicht, das könne eine neue Art von Cantate werden? Eine Instrumentaleinleitung habe ich umsonst, und lebendig ist das Ganze genug. Bald denke ich, soll es fertig sein. Ueberhaupt geht es mit dem Componiren jetzt wieder frisch.«


Es ist bewundernswerth, wie klar das Werk in seinem Aufbau, der nachher im Wesentlichen ganz derselbe blieb, schon vor jeder Niederschrift im Geiste des Componisten dasteht. Die nächste Aeusserung M.'s über das Werk findet sich dann in noch einem Briefe aus Rom vom 29. März 1831:


»Mit dem Arbeiten geht es schlimm seit ein paar Tagen; der Frühling ist in seiner Blüthe; ein warmer blauer Himmel draussen wie man bei uns höchstens davon träumt, und die Reise nach Neapel[136] in allen Gedanken; da fehlt die rechte Ruhe zum Schreiben. Vom 15. April bis 15. Mai ist die schönste Jahreszeit in Italien. Wer kann es mir da verdenken, dass ich mich nicht in die schottische Nebelstimmung zurückversetzen kann? Ich habe die Symphonie (A moll, die sogenannte schottische) desshalb für jetzt zurücklegen müssen und wünsche nur noch die Walpurgisnacht hier aufschreiben zu können. Das geht auch, wenn ich heut und morgen gute Tage habe und wo möglich schlechtes Wetter, denn das schöne ist gar zu verführerisch .... Doch fehlt mir nur noch ein Stück Einleitung; fällt mir das ein, so ist das Ding zusammen und ich schreibe es in ein paar Tagen hin.«


Es scheint aber doch, dass das schlechte Wetter in Rom noch ausgeblieben ist. Denn erst von Neapel aus schreibt M. unterm 27. April:


»Dazu kommt noch, dass ich das schlechte Wetter, welches wir einige Tage hatten, zum Arbeiten benutzt und mich mit Eifer auf die Walpurgisnacht geworfen habe. Das Ding hat mich immer mehr interessirt, so dass ich nun jede freie Minute benütze, um daran zu arbeiten. In wenig Tagen soll es fertig sein, denke ich, und es kann ein ganz lustiges Stück werden. Bleibe ich so im Zuge, wie ich jetzt bin, so mache ich auch noch die Italienische Symphonie (die A dur) in Italien fertig, dann hätte ich doch eine ganz gute Ausbeute von diesem Winter mitzubringen.«


Nach einigen Bemerkungen über italienische Sänger und Sängerinnen, die Fodor, Tamburini u.s.w., so wie über italienische Musik überhaupt fährt er dann fort:


»Ich muss aber zu meinen Hexen zurück; verzeiht, wenn ich für heute aufhöre. Der ganze Brief schwebt eigentlich in Ungewissheit, oder vielmehr schwebe ich darin, ob ich die grosse Trommel dabei nehmen darf oder nicht: Zacken, Gabeln und wilde Klapperstöcke treiben mich eigentlich zur grossen Trommel, aber die Mässigkeit räth mir ab. Ich bin auch gewiss der einzige, der den Blocksberg ohne kleine Flöten componirte, aber um die grosse Trommel thäte es mir fast leid, und ehe Fanny's Rath ankommt, ist die Walpurgisnacht fertig und eingepackt – ich fahre schon wieder durch's Land und wer weiss, wovon dann die Rede ist. Ich bin überzeugt, Fanny sagt ›Ja‹, aber ich bin doch unschlüssig. Grosser Lärm muss auf jeden Fall gemacht werden.«


Und der Componist hat in der That diesen Lärm[137] gemacht. Grosse Trommel (il gran tamburo) sogar noch durch Becken verstärkt und Piccoloflöten sind in den grossen Chor Nr. 6 hinein- und bei jeder Aufführung vorgekommen, aber es ist der schönste musikalische Lärm, der je gemacht worden ist.

Auf der Rückreise schreibt M. dann noch über denselben Gegenstand aus Mailand, den 14. Juli an die Seinen in Berlin:


»Diese Woche war hier eine der vergnügtesten ... Erstlich nahm ich mir gleich ein Tafelclavier und packte die ›ewige‹ Walpurgisnacht mit rabbia an, damit das Ding ein Ende nähme. Auf morgen früh wird sie auch richtig fertig, d.h. bis auf die Ouvertüre, von der ich noch nicht weiss, ob ich eine grosse Symphonie oder eine kurze Frühlingseinleitung mache.«


(Glücklicher Weise keines von Beiden: zu einer Symphonie war der Stoff nicht ausreichend; er schrieb eine prachtvoll durchgearbeitete, wunderschön instrumentirte Ouvertüre in A moll, mit einem kurzen Schluss in A dur, als Uebergang zum Frühling. Die Idee liess ihn aber noch lange nachher nicht los.)


»Hierüber möchte ich einen Gelehrten hören. Nun ist das Ende besser geworden, als ich mir selbst gedacht hatte. Das Ungethüm und der bärtige Druide mit seinen Posaunen, die hinter ihm stehen und tuten, machte mir königlichen Spass, und so brachte ich ein paar Morgen sehr glücklich zu.«


Ebenso gedenkt M. auch der Walpurgisnacht in jenem köstlichen Briefe an seinen Freund Ed. Devrient, gleichfalls aus Mailand vom 14. und 15. Juli (Reisebriefe, S. 157 u. ff.), in welchem er sich gegen D.'s ungeschickten Vorwurf (M. sei nun schon 22 Jahre alt und habe noch nichts für die Unsterblichkeit gethan, weil er noch keine Oper geschrieben) vertheidigt und so herrlich über das ausspricht, was er für seinen Künstlerberuf halte. Dann fährt er fort:


»Ich habe auch seitdem wieder eine grosse Musik componirt, die auch vielleicht mal äusserlich wirken kann; ›die erste Walpurgisnacht von Goethe;‹ ich fing es an, blos weil es mir gefiel und mich warm machte; an die Aufführung habe ich nicht gedacht. Aber nun, da es fertig vor mir liegt, sehe ich, dass es zu einem grossen Concertstück sehr gut passt und in meinem ersten Abonnement-Concerte[138] in Berlin musst Du den bärtigen Druidenpriester singen, die Chöre ausgeführt von – unter gütiger Mitwirkung des etc. Ich habe Dir den Priester in die Kehle geschrieben, mit Erlaubniss, also musst Du ihn wieder heraussingen, und wie ich bis jetzt die Erfahrung gemacht habe, dass die Stücke, die ich mit der wenigsten Rücksicht auf die Leute gemacht hatte, gerade den Leuten am besten gefielen, so, glaube ich, wird es auch mit diesem Stück gehen. Ich schreibe das blos, damit Du siehst, dass ich auch an das Practische denke. Freilich immer erst hinterher, aber wer Teufel soll Musik schreiben, die doch einmal das unpractischste Ding in der Welt ist (wesshalb ich sie lieb habe) und an's Practische denken! Es wäre, als ob Einer die Liebeserklärung an seine Geliebte in Reime und Verse brächte und ihr so hersagte!«


Wie fern war doch diese edle echte Künstlernatur von jener unwürdigen sinnlichen Effecthascherei, wie sie leider gerade manchem der neueren Coryphaen der Opernmusik eigenthümlich ist!

Auch von Paris aus spricht M. noch einigemal in seinen Briefen von dieser seiner Composition. So in dem Briefe an Fanny vom 21. Januar 1832:

»Ferner fragst Du, warum ich die italienische A dur-Symphonie nicht componire? Weil ich die Sächsische A moll-Ouvertüre componire, die vor der Walpurgisnacht stehen soll, damit das Stück im besagten Berliner Concert und anderswo mit Ehren gespielt werden kann.« Dann in dem folgenden Brief vom 4. Februar, in welchem er sich in rührender Weise über den Verlust seines geliebten Freundes Eduard Rietz (des Violinspielers, der auch in der Bach'schen Passion unter M.'s Direction mitwirkte), ausgesprochen hat:


»Der Tag war sehr traurig, ich konnte nichts anders denken und thun, als dasselbe. – Heute habe ich mich zum Arbeiten gezwungen, und es ist gegangen, meine A moll-Ouvertüre ist beendigt.« Ebenso Paris, 13. Februar: »Meine A moll-Ouvertüre ist fertig; sie stellt schlechtes Wetter vor (spasshaft prosaische Bezeichnung für eine grossartige Darstellung der letzten Kämpfe des Winters gegen den Frühling). Eine Einleitung, in der es thaut und Frühling wird, ist auch vor ein paar Tagen beendigt, und so habe ich denn die Bogen der Walpurgisnacht gezählt, die sieben Nummern noch ein wenig ausgeputzt (später wurden es 9) und dann getrost unten,[139] Mailand im Juli – Paris im Februar hingeschrieben. Ich denke, es soll Euch gefallen.«


Nachdem wir so einige Blicke in die Werkstätte des Künstlers gethan, ist es vielleicht meinen freundlichen Lesern willkommen, auch das Kunstwerk selbst in seinen einzelnen Theilen etwas näher in's Auge zu fassen, was freilich viel besser mit Noten und Tönen, als mit Buchstaben und Worten zu geschehen hätte. Vorab ist zu sagen, dass wir es hier mit einem durch und durch classischen Werke zu thun haben, d.h. mit einem solchen, wo die Form dem Inhalte vollständig entspricht; dies gilt sowohl von dem Texte, als von der Musik, als von beiden zugleich, die sich gegenseitig decken. M.'s Werk besteht, wie schon oben gesagt, aus der Ouvertüre und 9 Nummern, in welche der Componist die 13 verschiedenen Absätze des Gedichts einsichtsvoll und geschickt zusammengeflochten hat, ohne auch nur ein einziges Wort des Textes zu verändern oder wegzulassen.

Die Ouvertüre stellt, wie oben gesagt, nicht blos das schlechte Wetter, sondern das letzte mürrische Ringen des alten Winters in Sturm, Frost, Schnee und Regen gegen den holden Frühlingsknaben dar, der zuletzt mit seinem warmen Hauch und sonnigen Lächeln siegreich durchbricht. Sie beginnt mit einem Allegro con fuoco in A moll, zuerst mit einem von Flöten, Oboën, Clarinetten, Hörnern und Trompeten vier Tacte lang gehaltenem Accorde, während zugleich in der Mitte des zweiten Tactes die Saiteninstrumente das Thema intoniren, das dann in kunstreichster contrapunctischer Verschlingung immer in A moll und den verwandten Tonarten durchgeführt wird. Ungefähr im zweiten Drittel der Ouvertüre taucht einen Augenblick ein neues Motiv in F dur, intonirt von Fagott und Horn in C wie ein erster leiser Heroldsruf des Frühlings auf, welches sich kurz vor dem Eintritt in's Allegro vivace non troppo noch einmal in A moll wiederholt. Mit dem Allegro vivace, gespielt von Flöten, Clarinetten, Fagotten, 1. und 2. Violine, Violoncell und Bass entscheidet sich der Sieg des Frühlings in dem hellen freudigen A dur.

Mit Nr. 1 in demselben Tempo und derselben Tonart tritt nun ein prächtiges Tenorsolo ein. Ein Druide singt:[140] »Es lacht der Mai, der Wald ist frei von Eis und Reifgehänge,« Worte, die ein vierstimmiger Frauenchor (1. u. 2. Sopran und 1. u. 2. Alt) wiederholt. Der Druide singt weiter: »Der Schnee ist fort, am grünen Ort erschallen Lustgesänge,« der Chor wiederholt die Worte wie oben und schliesst wunderschön vierstimmig: »Es lacht der Mai, der Wald ist frei!« Dann wieder der Druide: »Ein reiner Schnee liegt auf der Höh', doch eilen wir nach oben, begeh'n den alten heil'gen Brauch, Allvater dort zu loben.« Hierauf mit einem Allegro assai vivace Tenore solo: »Die Flamme lodre durch den Rauch! Hinauf, hinauf! Begeht den alten heil'gen Brauch, Allvater dort zu loben (mit Nachdruck wiederholt), so wird das Herz erhoben.« Die letzten Worte mit ganz besonders inniger Melodie. Chor der Druiden (Bässe und Tenöre): Die Flamme lodre durch den Rauch, Soprane und Alte fallen ein: So wird das Herz erhoben. Dann immer im Wechselgesang, der Druide und die beiden Chöre dieselben Worte, zuletzt Tutti, Solo und die beiden Chöre vereint, »so wird das Herz erhoben, hinauf, hinauf, so wird das Herz erhoben«. Schon die Wirkung dieses ganzen Stückes ist eine ungemein heitere und freie, eine köstliche Maifeier. Der Charakter: Heiliger Jubel beim Beginn des Wonnemonds.

In um so wirksamerem Gegensatz steht damit Nr. 2. Alto solo (Eine alte Frau aus dem Volke, im Text steht nur: Einer aus dem Volke, die einzige Aenderung, die sich der Componist erlaubt hat, dass er diese Rolle sehr passend einer alten Frau zutheilt). Die Arie warnt und klagt in D moll: »Könnt ihr so verwegen handeln? Wollt ihr denn zum Tode wandeln u.s.w. Ach sie schlachten auf dem Walle uns're Weiber, uns're Kinder.« Chor der Weiber, Sopran und Alt, zweistimmig, wiederholt jammernd: »Auf des Lagers hohem Walle schlachten sie uns uns're Kinder!« Altsolo: »Ach die strengen Ueberwinder, und wir alle nahen uns gewissem Falle.« Chor wiederholt die Worte und Altsolo schliesst: »Ach die strengen, ach die strengen, ach die strengen Ueberwinder!« Auch dieses Altsolo mit Chor ist, wenn auch eines Characters, doch keineswegs monoton, sondern von einem gewissen melodischen Reiz.

Wundervoll beruhigend tritt nun in diese Klagetöne Nr. 3 Andante maëstoso zunächst in A moll. Der Oberpriester[141] Barytono solo (die damals für Devrient geschriebene Stimme) singt an die Pflicht mahnend mit feierlichem Ernst: »Wer Opfer heut' zu bringen scheut, verdient erst seine Bande, der Wald ist frei, das Holz herbei und schichtet es zum Brande!« Der Chor der Druiden, Bässe und Tenöre, mit dem Oberpriester an der Spitze, wiederholt die Worte. Darauf folgt beschwichtigend ein Solo Andante tranquillo in E moll: »Doch bleiben wir im Buschrevier am Tage noch im Stillen, und Männer stellen wir zur Hut um eurer Sorge willen, dann aber lasst mit frischem Muth uns uns're Pflicht erfüllen.« Der Chor fällt, während der Oberpriester die Stimme fortführt, freudig ein: »Dann aber lasst mit frischem Muth« u.s.w., worauf noch ein kurzes Recitativ-Solo in E dur folgt: »Vertheilt euch, wack're Männer, hier.« Der Chor der Wächter der Druiden greift diesen Befehl auf in Nr. 4 Allegro leggiero, gleichfalls in E dur. »Vertheilt Euch wack're Männer hier durch dieses ganze Waldrevier und wachet hier im Stillen, wenn sie die Pflicht erfüllen.« Zuletzt wiederholt er die Worte: »im Stillen, im Stillen«, vierstimmig piano, aber breit und schön ausgeführt.

Es folgt nun als Nr. 5 zuerst in einem Basso solo Recitativo ein Wächter wiederum in A moll: »Diese dumpfen Pfaffenchristen, lasst uns keck sie überlisten, mit dem Teufel, den sie fabeln, wollen wir sie selbst erschrecken;« dann anfangs noch Solo in G moll: »Kommt, kommt, kommt mit Zacken und mit Gabeln«. Uebergang zu dem Chore der Wächter der Druiden, Bässe und Tenöre, intonirt von Bässen, Violoncelli, Paukenwirbel, grosser Trommel (jedoch noch pp und ohne Becken), nachher auch Hörner in D. Dieser Chor wieder ist gleichsam ein Vorspiel zu

Nr. 6, dem grossen Culminationspunkt des ganzen musikalischen Dramas. Grosser Chor Allegro molto in 6/8-Tact. Erst die Ausführung des in Nr. 5 verabredeten schreckenden Höllenlärmes mit allen denkbaren musikalischen Mitteln, aber doch immer in den Schranken ästhetisch schöner Form. Der ganze musikalische Apparat, grosse Trommel und Becken, Pauken zuerst in D G, dann in E A, Alt-, Tenor- und Bassposaunen, Trompeten und Clarinetten in C, Hörner in D, Piccoloflöten, Flöten, Oboën,[142] Fagotte, sämmtliche Saiteninstrumente, kommt dabei zur Anwendung. Von den Singstimmen treten zuerst die Tenöre ein mit einem vereinzelten: »Kommt«, gleichsam ein Sammelruf. Dann nach 30 Tacten Pause in den Singstimmen, während nur die Instrumente arbeiten, bricht der Chor los, zuerst nur Bässe und Tenöre »Kommt mit Zacken und mit Gabeln und mit wilden Klapperstöcken durch die leeren Felsenstrecken, Kauz und Eule heul' in unser Rundgeheule«; dann verstärkt er sich allmählich zu einem grossen Ensemblechor der Wächter, der Druiden und des Heidenvolks, zu dem nun auch Frauen und Mädchen, Alt und Sopran, hinzutreten. Das ursprüngliche Thema in A moll wird durch alle möglichen verwandten Tonarten, E dur, Gis moll, H moll wieder nach A moll durchmodulirt, und der ganze Chor schliesst zuletzt in jeder der vier Stimmen mit einem langgehaltenen: »Kommt, kommt, kommt, kommt, kommt.« Nach diesem graziösen Höllenlärm folgt in

Nr. 7 in 2/4-Tact, ein gefälliger Uebergang in E-dur zu einem Andante maestoso, wiederum in A moll. Der Oberpriester singt in einem halb wehmüthigen und doch feierlich tröstenden Solo: »So weit gebracht, dass wir bei Nacht Allvater heimlich singen, doch ist es Tag, sobald man mag ein reines Herz dir bringen,« Worte, die der Chor der Druiden und des Heidenvolks vierstimmig (Sopran, Alt, Tenor und Bass) wiederholen. Der Priester stimmt noch einmal solo an: »Sobald man mag ein reines Herz dir bringen,« Bässe und Tenöre allein wiederholen die Worte. Dann wieder der Priester solo: »Du kannst zwar heut und manche Zeit« – der ganze Chor wiederholt vierstimmig, aber pianissimo: »Du kannst zwar heut und manche Zeit« – Priester fährt fort: »Dem Feinde viel erlauben,« der Chor wiederholt auch diese Worte; die Stelle ist von geheimnissvoller grosser Wirkung. Der Priester fährt fort: »Die Flamme reinigt sich vom Rauch, so reinig' unsern Glauben, und raubt man uns den alten Brauch« (Chor wiederholt: Den alten Brauch), Priester: »Dein Licht, wer will es rauben.« Chor vierstimmig: »Dein Licht.« Pr.: »Wer will es rauben. Dein Licht, dein Licht« – Ch.: »Wer will es rauben.« Der ganze Satz, der durch die Tonarten G dur, E dur, A moll nach F dur herübergegangen ist, schliesst mit einem[143] gewaltigen Tutti: »Wer will es rauben, dein Licht, wer will es rauben,« prachtvoll in C dur. Dieser grossartige Effect kann kaum mehr überboten werden. Es gehört aber auch zur historischen Wirkung des Dramas, dass wir den Eindruck erfahren, den jener fingirte Höllenspuk auf die christlichen Wächter hervorgebracht hat. Dies geschieht in

Nr. 8, Allegro non troppo. Tenore solo in C moll: »Hilf, ach hilf mir, Kriegsgeselle, ach es kommt die ganze Hölle,« der bange Schrecken ausgedrückt durch einen Gang aus Dis moll wieder in C moll, daran sich wieder ein Wechselgesang zwischen Solo und Chor der christlichen Wächter schliesst: »Schreckliche verhexte Leiber, Menschenwölf' und Drachenweiber, lasst uns fliehn! Welch' entsetzliches Getöse, sich da zieht, da flammt der Böse, aus dem Boden dampfet rings ein Höllenbrodem, lasst uns fliehn, lasst uns fliehn!« Nachdem sich nun die erschreckte Rotte klagend verzogen, tritt der glanzvolle Schluss des Ganzen ein,

Nr. 9, Andante maëstoso, ausgestattet mit aller instrumentalen Pracht und klangvollen Melodie und Harmonie in dem klaren leuchtenden C dur, zu welchem die Bässe und Violoncelli hinüberleiten. Es folgt zuerst ein prachtvoller vierstimmiger Chor von Druiden und Volk: »Die Flamme reinigt sich vom Rauch, so reinig' unsern Glauben,« dann der Priester solo zuerst dieselben Worte, und fortfahrend: »Und raubt man uns den alten Brauch, dein Licht,« Chor: »Dein Licht,« Pr.: »Dein Licht, wer kann es rauben.« Priester und Chor da capo: »Dein Licht,« Priester solo: »Dein Licht, wer kann es rauben?« Die einfache Tonfolge e d c f (Dein Licht, Dein Licht) a h c d e d c (wer kann es rauben) in dem Gesang des Priesters ist von unbeschreiblicher Wirkung. Das achtstimmige: »Wer kann es rauben?« bildet den grossartigen, erhebenden und versöhnenden Schluss.

Möge dieser schwache Versuch, die Macht der Töne in Worten wiederzugeben, die Hörer, die das Werk kennen, auf eine angenehme Weise an die empfangenen schönen Eindrücke zurückerinnern, diejenigen meiner Leser, die es noch nicht kennen sollten, begierig machen, es sobald als möglich kennen zu lernen, besonders aber für die Musik- und Theaterdirectoren, denen die Mittel dazu zu Gebote stehen, ein Impuls sein, dieses Werk, das unbedingt zu den gelungensten[144] des verewigten Meisters zählt, so oft als möglich aufzuführen, denn es eignet sich in hohem Grade zur Darstellung nicht blos im Concertsaal, sondern auch auf der Bühne.24

Es erübrigt noch, zur Vervollständigung dieser kleinen Monographie Einiges über die Aufführungen des Werkes und über die von dem Meister damit später vorgenommenen Veränderungen gleich jetzt beizubringen, obgleich wir damit dem Lebensgange M.'s etwas vorgreifen.

Die erste öffentliche Aufführung fand, wie es Mendelssohn beabsichtigte, bald nach der Rückkehr von seiner grossen Reise in Berlin statt. Devrient berichtet darüber in seinen Erinnerungen, S. 156:


»Vier Concerte gab er im Concertsaale des Schauspielhauses in Berlin vom November 32 bis Januar 33, und darin unter anderen seiner Compositionen zum ersten male die Walpurgisnacht, (an welchem Datum, sagt Devrient leider nicht), woran er hier noch vielfach geändert hatte. Schon hier trat mir der Eindruck, den eine dramatische Aufführung dieser Cantate hervorbringen müsste, lebhaft vor Augen. Als ich Felix davon sagte, erwiederte er nachdenklich: ›Kann sein, versuch's einmal.‹ Das will ich, antwortete ich, sobald einmal eine Bühne zu meiner Verfügung steht.«


Als Devrient später Director des Karlsruher Theaters wurde, erhielt die Walpurgisnacht seit Mai 1860 ihren ständigen Platz im dortigen Repertoir.

Ueber die vorhabende Umarbeitung des Werkes schrieb M. selbst an seinen Freund Klingemann in London von Leipzig aus, 18. Nov. 1840:


»Du hast übrigens mit Deinem vortrefflich gefundenen Titel (Symphoniecantate für den zur Feier des Buchdruckerjubiläums 1840 componirten Lobgesang) viel zu verantworten, denn nicht allein schicke ich das Stück nun als Symphoniecantate in die Welt, sondern ich denke auch stark daran, die erste Walpurgisnacht, welche seit Langem daliegt, wieder aufzunehmen, fertig zu machen und los zu werden. Sonderbar, dass ich bei der ersten Idee dazu nach Berlin schrieb, ich wolle eine Symphonie mit Chor machen,[145] nachher keine Courage dazu hatte, weil die drei Sätze zu lang als Einleitung wären, und doch immer das Gefühl behielt, als fehlte etwas bei der blossen Einleitung. Jetzt sollen die Symphoniesätze nach dem alten Plane heraus. Kennst Du es denn? Ich glaube nicht, dass es viel für Aufführungen taugt, und habe es doch so gern.«


Auch an seine Mutter schrieb M. in zwei Briefen aus Leipzig, zuerst am 28. Nov. 1842:


»Die Walpurgisnacht möcht' ich gern auch nun endlich zu einer Symphoniecantate machen, wozu sie ursprünglich bestimmt und aus Mangel an Courage nicht geworden war;« ebenso am 11. Dec. 1842: »Am 21. oder 22. geben wir hier ein Concert für den König (Friedrich August von Sachsen), der allen Hasen der Umgegend den Tod geschworen hat und in welchem wir ihm die Hühner- und Hasenjagd aus den Jahreszeiten (sehr rührend)vorsingen wollen. Im zweiten Theil soll dann meine Walpurgisnacht wieder auferstehen, freilich in einem etwas anderen Habite, als dem vorigen, das allzuwarm mit Posaunen gefüttert und für die Singstimmen etwas schäbig war; aber dafür habe ich auch die ganze Partitur von A bis Z noch einmal schreiben und zwei neue Arien einsetzen müssen (vgl. oben, so wurden aus 7, 9 Nummern) der übrigen Schneiderarbeit nicht zu gedenken. Wenn es mir aber jetzt nicht recht ist, so schwöre ich, es für das übrige Leben aufzugeben.«


Dieser Brief ist auch darum merkwürdig, weil es der letzte ist, den Mendelssohn's Mutter von ihm empfing. Sie starb am Tage nachher, am 12. December nach kurzem leichten Kampf. Zur Aufführung der Walpurgisnacht kam es, vielleicht eben deshalb, in dem vorgedachten Concert für den König nicht. Statt des anfänglich bestimmten Programms wurde die Eroica, Ouvertüre zum Sommernachtstraum und der 42. Psalm von M. gegeben. Dagegen nahm M. noch vor Ende des Jahres 1842 die Beschäftigung mit der Walpurgisnachtsmusik wieder auf. Er schrieb darüber an Klingemann unter'm 13. Januar 1843:


»In den Tagen vor dem 11. December hatte ich unternommen, was ich mir schon lange vorgesetzt hatte, meine Walpurgisnacht neu aufzuschreiben, und hatte von der ganzen dicken Partitur die Singstimmen aufgeschrieben und copiren lassen. Da wurde ich nach Berlin gerufen (eben wegen des Todes der Mutter) und nach wochenlanger Unterbrechung fing ich nun auf meinem kleinen Arbeitsstübchen, das eine hübsche Aussicht auf Feld und Wiesen und ein[146] Dorf hat (in Leipzig, Lurgenstein's Garten) wieder an, die Instrumente dazu zu schreiben. Ich konnte oft viele Stunden lang nicht vom Tische weg, so fesselte mich der Umgang mit den alten wohlbekannten Hoboën und Bratschen und dergleichen, die viel länger leben, als wir alle, und so gute Freunde sind. Zu neuem Componiren war mir's zu zerstört und wund; aber auch dies blos mechanische Treiben und Arbeiten in der Kunst war mein Trost in der ganzen Zeit, wenn ich allein war und wenn nicht Frau und Kinder mit ihren geliebten Gesichtern mich auch die Musik vergessen und nur daran denken liessen, wie ich tagtäglich nichts thun kann, als Gott danken für alles Gute, das er mir giebt.« (Vgl. auch den tiefgemüthlichen Anfang des Briefes über den Beruf der Kunst, Briefe, Bd. II, S. 380.)


Welcher Art nun eigentlich die Umgestaltungen waren, die M. mit dem Werke vornahm, könnte man nur beurtheilen, wenn man die ursprüngliche Partitur vor sich hätte, die leider, wie es scheint, nicht mehr vorhanden ist. Gross können indess die Veränderungen doch nicht gewesen sein, da er den ersten Aufbau, Structur und Führung der Orchester- und Singstimmen sicher beibehielt. Gegenwärtig liegt uns das Werk als Partitur und Clavierauszug als Opus 60 zuerst bei Friedrich Kistner ohne Jahrzahl vor, jetzt auch in der Gesammtausgabe von Breitkopf und Härtel. Dass dasselbe in seiner letzten Bearbeitung dem Künstler genügt haben müsse, geht unter anderem daraus hervor, dass es in Leipzig zum ersten male im 16. Abonnementsconcert, Donnerstag, den 2. Februar 1843 unter Direction des Componisten am Vorabend von M.'s 34. Geburtstag aufgeführt wurde. Vorher gingen im ersten Theil des Concerts Symphonie von Haydn, Arie von Mozart »Deh per quest' istante solo«, Beethoven's Fantasia für Pianoforte, Chor und Orchester, die Pianofortepartie gespielt von Clara Schumann, Variationen von Henselt, Ouvertüre zu Euryanthe und Chöre aus Leier und Schwert von Weber; man sieht, eine wahre Blumenlese classischer Musik: im zweiten Theile dann die Walpurgisnacht. Ich selbst war glücklich, Zeuge zu sein von dem lebhaften Enthusiasmus sowohl der Mitwirkenden als der Zuhörenden. – In hohem Grade fesselt uns auch die Schilderung von einer im Hause Mendelssohn in Berlin im Jahre 1844 stattgehabten[147] Aufführung, welche die herrliche Fanny in zwei Briefen an ihre Schwester Rebecka unter'm 2. und 18. März d.J. nach Rom richtete. Sie schrieb unter'm 2. März:


»Den 1. und 2. August dirigirt Felix ein grosses Musikfest in Zweibrücken, wobei unter anderem der Paulus und die Walpurgisnacht vorkommen .... Besagte Walpurgisnacht habe ich gestern zum zweiten mal probiren lassen, nächsten Sonntag soll sie gesungen werden. Es ging prächtig; die Decker, Auguste Löwe und unser neuer Bassist Behr25 thaten Wunder im Chore, Du glaubst nicht, wie schön die Musik ist und wie unbeschreiblich amüsant. Die Proben machen uns das grösste Vergnügen.«


Ueber die Aufführung selbst unter'm 18. März:


»Vorigen Sonntag war auch bei uns die brillanteste Sonntagsmusik, die noch jemals stattgefunden hat, sowohl was Ausführung, als Publicum betraf. 22 Equipagen im Hof, Liszt und acht Prinzessinnen im Saal. Das Repertoir bestand in: Quintett von Hummel, mit der Finger leicht Getummel, Duett aus Fidelio, Variationen von David (von dem prächtigen kleinen Joachim gespielt, kein Wunderkind, sondern ein bewunderungswürdiges Kind, Sebastian's dicker Freund). Zwei Lieder, darunter: ›Lass die Schmerzen dieser Erde,‹ von Felix und der Decker auswendig vorgetragen. Hierauf kam die Walpurgisnacht, auf die mein Publicum schon seit vier Wochen sehr gespannt war, und die vortrefflich ging. Wir hatten drei Proben gemacht, bei denen sich die Sänger so amüsirten, dass sie gern noch einmal so viel gehabt hätten. Bei der letzten war Felix zugegen, und sehr zufrieden. Ich hätte gern gesehen, dass er begleitet hätte, das wollte er aber nun ein für allemal nicht, sondern spielte nur die Ouvertüre mit mir, und griff in den schwierigsten Stellen bald im Bass, bald im Discant mit zu, so dass eine Art von improvisirtem vierhändigen Arrangement daraus ward, das sehr gut klang.« (Hensel, die Familie M., Bd. III, S. 128.)


Hensel erzählt bei Erwähnung der Aufführungen der Walpurgisnacht im Hause in Berlin noch zwei artige Curiositäten: »Ein der höheren Aristokratie angehöriger und[148] sehr frommer Herr freute sich sehr über den schönen versöhnenden und erhebenden christlichen Schlusschor – der Gute hatte den Gesang der Heiden nach Vertreibung der christlichen Wächter in diesem ihm mehr zusagenden Sinn aufgefasst.« (Der Mann hatte insofern nicht ganz Unrecht, als über diesem Schlusschor in der That ein Hauch, wenn auch nicht specifisch christlicher, so doch wahrhaft frommer religiöser Weihe ruht.) »In Oesterreich dagegen strich die Censur die Stelle ›Mit dem Teufel, den sie fabeln, wollen wir sie selbst erschrecken‹ – und es musste statt dessen gesungen werden: ›Mit dem Teufel, mit dem Teufel wollen wir sie selbst erschrecken!‹ Der Teufel gehörte damals in Oesterreich nicht zu den Fabeln.« (Hensel, die Fam. M., Bd. I., S. 344.)

Von Soden aus schreibt M. unter'm 19. Juli 1844 an seinen Bruder Paul in Berlin:


»Mein Aufenthalt in England war herrlich; ich bin noch niemals und nirgends mit so allgemeiner Freundlichkeit aufgenommen worden, wie diesmal und habe in den zwei Monaten mehr Musik gemacht, als sonst in zwei Jahren. Meine A moll-Symphonie zweimal, den Sommernachtstraum dreimal, den Paulus zweimal, das Trio D moll zweimal, am letzten Abend, den ich in London war, die Walpurgisnacht mit unbeschreiblichem Jubel,« u.s.w.


Endlich noch aus Frankfurt vom 25. März 1845 an Rebecka Dirichlet in Florenz:


»Heute ist zum erstenmal jene bewusste Luft draussen, in der alles Eis und alle Winterkälte schmilzt und Alles mild und warm und vergnügt wird.«


Dann folgt eine herrliche Schilderung des Eisgangs, von der Mainbrücke aus gesehen. Hierauf fährt M. fort:


»In Düsseldorf kündigen sie am zweiten Tage des Musikfestes das Requiem von Mozart, meine Walpurgisnacht und schliesslich Beethoven's Symphonie mit Chören an. O tempora o mores. Euer im Frühlingswetter immer sehr vergnügter Felix.«


Es geht in diesen Worten wie ein fröhlicher Hauch aus jenem Allegro vivace ma non troppo am Schluss der Ouvertüre, in welchem er den Sieg des Frühlings verkündigt.[149]

Leider aber liegt auch über dem letzten Versuch einer Aufführung der Walpurgisnacht im Mendelssohn'schen Hause in Berlin ein tiefer tragischer Schatten. Freitag, am 14. Mai 1847 Nachmittags wollte Fanny in vollstem Wohlsein eine Gesangprobe zur nächsten Sonntagsmusik leiten. Da, während sie am Clavier sass, fühlte sie ihre Hände absterben und musste einem musikalischen Freunde ihren Platz am Flügel übergeben. Man probirte einstweilen fort an den Chören der Walpurgisnacht, sie hörte aus dem dritten Zimmer durch die geöffneten Thüren zu, während sie die Hände in heissem Essig badete. »Wie schön klingt es,« sagte sie wunderbar erfreut, glaubte sich hergestellt, wollte in den Musiksaal zurück, als eine zweite und allgemeine Lähmung eintrat und das Bewusstsein schwand. Nachts um 11 Uhr hatte sie ihre reine edle Seele ausgeathmet. Wie tief traurig, aber doch auch wie hoch poetisch, dass diese seltene Frau, die so ganz für die Kunst lebte, ihr schönes Dasein gerade mitten in der Beschäftigung mit dieser Lieblingsmusik, die der Bruder eigens für sie geschaffen hatte, beschliessen durfte! – Die Welt kennt kein idealeres Beispiel einer so reinen edlen Liebe, eines so vollkommenen seelischen Einverständnisses zwischen Bruder und Schwester! Felix überlebte diesen harten Schlag nicht lange. Er war noch eben in England gewesen, hatte die Triumphe seines Elias gefeiert, im philharmonischen Concert seine Musik zum Sommernachtstraum aufgeführt, Beethoven's G dur-Concert unter begeistertem Beifall gespielt. Nach Frankfurt zurückkehrend, wo er Frau und Kinder fand, empfing er die Nachricht von der Schwester jähem Tode. Er lebte fortan nur wie unter dem gehobenen Streich des Todesengels. (Devrient, Erinnerungen, 282.) Am 3. November desselben Jahres war er wieder mit der geliebten Schwester vereinigt.

Sechsunddreissig Jahre später, am 3. November 1883, hörte ich zuletzt im Leipziger Theater die Walpurgisnacht, und immer noch in gleicher Stärke ergriff mich die dramatische Gewalt dieser herrlichen Musik und ich gedachte mit Wehmuth, was dieser Genius auch auf dem Gebiete des musikalischen Dramas hätte leisten können, wenn ihm ein längeres Leben beschieden gewesen wäre.[150]

Nach dieser längeren Abschweifung, die uns indessen schon recht tiefe Blicke in M.'s Componistenleben thun liess und welche desshalb die freundlichen Leser meinem »Faible« für die Walpurgisnacht zu Gute halten wollen, kehren wir wieder zur geordneten Darstellung des Verlaufes der Wanderjahre bis zu ihrem Schlusse zurück.

Von dem Aufenthalt in Rom ist noch Folgendes nachzuholen: In dem gleich zu Anfang meiner Monographie über die Walpurgisnacht erwähnten Briefe M.'s an Fanny vom 22. Februar 1831 berichtet er nach den Worten:


»Ueberhaupt geht es mit dem Componiren jetzt wieder frisch;« über diese seine musikalische Thätigkeit: »Die italienische Symphonie macht grosse Fortschritte; es wird das lustigste Stück, das ich gemacht habe, namentlich das letzte (er meint den letzten Satz der Symphonie, Presto agitato); für's Adagio habe ich noch nichts bestimmtes, ich glaube, ich will es mir für Neapel aufsparen. ›Verleih uns Frieden‹ ist fertig und ›Wir glauben all'‹ wird es dieser Tage; nur die Schottische Symphonie kann ich noch nicht recht fassen; hab' ich in dieser Zeit einen guten Einfall, so will ich gleich darüber her und sie schnell beendigen.«


Ueber seine Gewissenhaftigkeit, die Zeit zum Componiren recht zu benutzen, giebt auch gleich der Anfang des folgenden Briefes vom 1. März einen schönen Aufschluss:


»Indem ich das Datum schreibe, wird mir bang bei dem Gedanken, wie die Zeit verfliegt. Ehe der Monat zu Ende ist, fängt die heilige Woche an, und nach der heiligen Woche bin ich in Rom am längsten gewesen. Nun denke ich nach, ob die Zeit recht benutzt war, und es fehlt mir an allen Ecken. Wenn ich nur noch die eine von den beiden Symphonieen hier fassen könnte! Die italienische will und muss ich mir aufsparen, bis ich Neapel gesehen habe, denn das muss mitspielen; aber auch die andere läuft weg, je näher ich ihr kommen möchte; und je näher das Ende dieser römischen, ruhigen Zeit heranrückt, desto befangener werd' ich, und desto weniger will es gehen. Mir ist, als würde ich lange nicht wieder so zum behaglichen Schreiben kommen, wie hier, und da möchte ich gern alles fertig machen. Das geht aber nicht, nur die Walpurgisnacht rückt schnell vor, und ist bald beendigt, hoff' ich.« (Sie wurde aber doch, wie wir schon oben gesehen haben, erst auf der Rückreise in Mailand fertig, ganz vollendet in der ersten Bearbeitung sogar erst Anfang Februar in Paris.)[151]


Ganz besonders interessant ist uns natürlich auch, welchen Eindruck die Ceremonieen in der heiligen Woche, namentlich die kirchlichen Aufführungen in der Sixtinischen Capelle, auf einen Musiker, wie Mendelssohn, machten. Er fasste sie in einem grossen Sinne, ohne sich durch einzelne Aeusserlichkeiten stören zu lassen, als Ganzes auf. Am meisten imponirten ihm als wirkliche Musik das Miserere von Allegri und die sogenannten Improperien (eine Art Busspsalmen, Vorwürfe Gottes an sein Volk) von Palestrina. Kunde von diesen Eindrücken giebt zunächst sein vorläufig letzter Brief aus Rom an die Seinen in Berlin, unmittelbar vor seiner Abreise nach Neapel am 4. April 1831. Die Schilderungen sind so ausführlich und so in's Einzelne eingehend, dass sich ein Auszug davon nicht wiedergeben lässt. Noch ausführlicher ist der Brief an Zelter, den M. noch in Rom begann und erst nach seiner Rückkehr von Neapel, Rom, am 16. Juni 1831, vollendete. Er giebt ein umfassendes Bild mit allen musikalischen Belegen von den Ceremonieen und Aufführungen der heiligen Woche und sollte von jedem Musiker, ja auch von jedem nur einigermaassen musikalisch gebildeten Laien gelesen werden. (Reisebriefe, erster Theil, S. 163–180.) Nur aus dem Briefe an die Seinen in Berlin mögen hier einige characteristische Stellen Platz finden. So von den Nocturnen am Mittwoch:


»Mittwoch um halb fünf fingen die Nocturnen an. Die Psalmen werden Vers um Vers von zwei Chören gesungen, doch nur immer von einer Art von Stimmen, Bässe oder Tenöre. So hört man anderthalb Stunden lang die eintönigste Musik; nur einmal werden die Psalmen durch die Lamentation unterbrochen, und das ist das erstemal seit langer Zeit, dass man wieder einen vollkommenen Accord hört. Dieser Accord wird sehr sanft eingesetzt, und überhaupt das ganze Stück pp gesungen, während die Psalmen so stark als möglich geschrieen werden müssen, und zwar immer nur auf einen Ton, auf dem die Worte in grosser Schnelligkeit abgesprochen werden, und dem am Ende jedes Verses ein Schlussfall angesetzt ist, welcher das Unterscheidungszeichen der verschiedenen Melodieen ausmacht. Da ist es wieder kein Wunder, wenn der blosse sanfte Klang (G dur) der ersten Lamentation Einen weich stimmt. Es geht nun wieder eintönig fort. Bei jedem Psalmenverse wird eine Kerze ausgelöscht, so dass nach anderthalb Stunden die funfzehn um den[152] Altar brennenden aus sind. Es bleiben dann noch sechs grosse hoch über dem Eingang brennen; der ganze Chor mit Alten, Sopranen etc. intonirt fortissimo et unisono eine neue Psalmenmelodie: den Canticum Zachariae in D moll, und singt ihn sehr langsam und feierlich in die tiefe Dämmerung hinein; die letzten Kerzen gehn dann aus; der Papst verlässt seinen Thron, wirft sich vor dem Altar auf die Kniee, und Alle mit ihm; sie sagen ein sogenanntes pater noster sub silentio, d.h. es entsteht eine Pause, während der man weiss, dass jeder Katholik das Vaterunser betet, und sogleich nachher fängt das Miserere an, pianissimo so: (es folgt in Noten der sechsmal wiederholte 5stimmige H moll-Accord zu den Worten miserere mei), das ist für mich eigentlich der schönste Moment des Ganzen. Was nachher folgt, könnt ihr Euch leicht denken; diesen Anfang aber nicht wohl. Die Folge des Miserere von Allegri ist eine einfache Accordfolge, auf die entweder Tradition, oder was mir wahrscheinlicher ist, ein geschickter Maëstro Verzierungen für einige schöne Stimmen und namentlich für einen sehr hohen Sopran, den er hatte, gegründet hat. Diese Verzierungen kehren bei denselben Accorden in gleicher Weise wieder, und da sie gut ausgedacht und sehr schön für die Stimme gelegt sind, so freut man sich immer, sie wieder zu hören. Das Unbegreifliche, Ueberirdische habe ich nicht finden können; es ist mir auch ganz genug, wenn es begreiflich und irdisch schön ist .... Es war schon ganz dunkel in der Capelle, als das Miserere anfing; ich kletterte auf eine grosse Leiter, die zufällig da stand, und hatte nun die ganze Capelle voll Menschen, und den knieenden Papst mit seinen Cardinälen und die Musik unter mir. Das machte sich prächtig. Am Freitag Vormittag war die Capelle von allem Schmuck entblösst, – Papst und Cardinäle in Trauer. Es wird die Leidensgeschichte, nach dem Evangelisten Johannes, von Vittoria componirt, gesungen. Dann kommen die Improperien von Palestrina, während deren der Papst und alle anderen mit abgezogenen Schuhen zum Kreuz gehen und es anbeten. – Abends war das Miserere von Baini, welches sie am besten sangen. (Baini, ein damals lebender Componist, den auch M. persönlich kennen lernte.) Sonntag hielt der Papst selbst die Messe im Quirinal ab, gab dann die Benediction an's Volk, und so war es aus. Und so ist es Sonnabend den 9. April geworden, und morgen mit dem Frühsten sitze ich im Wagen; da geht wieder eine neue Schönheit für mich auf .... Und somit nach Neapel; das Wetter klärt sich auf, die Sonne scheint wieder seit einigen Tagen zum ersten mal; der Pass ist da – der Wagen bestellt, und so sehe ich nun den Frühlingsmonaten entgegen. Lebt Ihr wohl. Felix.«[153]


In dieser glücklichen Stimmung blieb unser Felix sowohl während der Reise nach, als während seines Aufenthaltes in Neapel. Es begleiteten ihn dorthin die Maler Eduard Bendemann, T. Hildebrandt und Carl Sohn, in deren Gesellschaft er auch die Inseln Ischia, Capri und Procida besuchte und die er dann später in Düsseldorf wiederfand. Die Reise ging zu Wagen, M. im Cabriolet, über Velletri, erstes Nachtquartier, wo gerade ein grosses Kirchfest war, das er sehr malerisch beschreibt, dann durch die Pontinischen Sümpfe über Terracina, Fondi, Itri nach Molo di Gaëta, zweites Nachtquartier, dann durch das Campanerthal über Capua nach Neapel. Die Schilderung dieser Reise, überaus plastisch, gehört zu dem Schönsten, was M. geschrieben hat. Sein Geburtstagsbrief an Schwester Rebecka aus Neapel vom 13. April giebt Zeugniss von dieser glücklichen Stimmung.


»Wenn Du auch nicht nach dem Datum des Briefes siehst, so musst Du es dem Tone anmerken, dass ich in Neapel bin. Zu einem ernsthaften, ruhigen Gedanken habe ich noch nicht kommen können; das Ding ist gar zu lustig um mich her; es fordert zum Nichtsthun und Nichtsdenken auf, und schon das Beispiel so vieler tausend Menschen treibt unwiderstehlich dazu an. Ich nehme mir zwar vor, dass es bald anders werden soll, aber die ersten Tage wird es schon so fortgehen müssen, das sehe ich. Ich stehe jetzt stundenlang auf meinem Balcon und gucke den Vesuv und den Golf an.«


Also das ächte dolce far niente, das man unserem Freunde nach seiner fleissigen Arbeit in Rom von Herzen gönnen darf. Er wohnte, wie es gewiss jeder Reisende thut, der es haben kann, in Santa Lucia.


»Ich wohne hier,« schliesst er seinen ersten Brief, »in St. Lucia wie im Himmel; denn erstlich habe ich den Vesuv, die Berge bis Castellamare und den Golf vor mir, und zweitens ist es drei Stock hoch. Leider raucht der Schelm von Vesuv aber nicht einmal, und sieht ganz aus, wie ein andrer schöner Berg. Dafür fahren sie aber Abends mit Licht auf den Kähnen im Golf hin und her, um Schwertfische zu fangen. Das macht sich auch gut. Lebt wohl, Ihr Lieben.«


Mit vollen Zügen genoss M. die Reize der herrlichen Natur. Er suchte mit Vorliebe auf grossen einsamen Spaziergängen[154] sich selbst Lieblingspunkte und freute sich, dass sein schönster Punkt ein den Neapolitanern fast ganz unbekannter war. Ausserdem hatte er auch wohl Freude am Umgang mit einigen Künstlergrössen von Sängern und Sängerinnen, wie schon oben erwähnt wurde. Dagegen fand er die übrigen musikalischen Leistungen unter aller Kritik, schlechter als in einer untergeordneten Mittelstadt in Deutschland.

Geschaffen hat M., mit Ausnahme der schon erwähnten Arbeit an der Walpurgisnacht, in Neapel wenig oder nichts.


»Ich habe übrigens,« schreibt er noch nachher in einem Brief an seine Eltern aus Rom 6. Juni, »nicht versäumt, die Musiker kennen zu lernen, die dort (in Neapel) sind; wir haben auch Musik zusammen gemacht, aber ich habe mich über ihre grossen Lobeserhebungen nicht freuen können. Die Fodor ist bis jetzt die einzige Künstlerin oder vielmehr der einzige Künstler, den ich in Italien getroffen habe; anderswo hätte ich vielleicht vieles an ihrem Gesange auszusetzen, aber das überhörte ich alles, weil es doch wirklich Musik ist, wie sie singt, und das thut einem Menschen nach langer Pause gar zu wohl.«


Der südlichste Punkt von M.'s Reise war der Tempel der Ceres zu Pästum, die bekannte grossartige Ruine. Gern hätte er auch noch Sicilien besucht, wohin am 4. Mai ein Dampfboot abging, auf dem viel Deutsche waren; auch einen feuerspeienden Berg hätte er gern gesehen, »da der böse Vesuv nicht einmal rauchte«. Aber der Vater wünschte es nicht, vielleicht aus Furcht, dass sein Sohn von Räubern ausgeplündert werden könnte, und der zärtliche Sohn, dem des Vaters Wünsche Befehle waren, strich Sicilien von seiner Reiseroute. Goethe, der davon, wohl durch Zelter, gehört hatte, schrieb an diesen scheltend unter'm 28. Juni:


»Der Herr Papa hatte sehr Unrecht, ihn nicht nach Sicilien zu schicken. Der junge Mann behält eine Sehnsucht ohne Noth. Es muss in meinen letzten sicilianischen oder darauf folgenden neapolitanischen Briefen eine Spur sich finden, welchen unangenehmen Eindruck mir diese vergötterte Insel zurückgelassen hat. Ich mag durch Wiederholung darauf nicht lasten.«[155]


Nachdem M. am 20. Mai und folgende Tage noch in Gesellschaft der oben genannten Maler eine überaus vergnügliche Tour zuerst über die Grotte des Posilippo nach Pozzuoli, dann um den Meerbusen von Bajä herum zum Averner See über den Berg nach Cuma und dann nach den Inseln Ischia, Capri, der blauen Grotte, die er sehr anschaulich schildert, und Procida gemacht, kehrte er Anfang Juni nach Rom zurück, von wo er den oben angeführten Brief an seine Eltern schrieb. Wie er die Stadt in der Nachfeier der heiligen Woche verliess, so fand er sie in der Nachfeier des Fronleichnamstages wieder, täglich Processionen, weil in der vorigen Woche corpus domini war. Es machte ihm einen sonderbaren Eindruck, dass in der Zwischenzeit auf den Strassen alles so sommerlich geworden war; überall Buden mit Citronen und Eiswasser, alle Leute in leichten Kleidern; die Fenster offen und die Jalousieen geschlossen u.s.w. Obgleich er eigentlich keinen Freund und keinen nahestehenden Menschen vermisste, wurde ihm doch ganz weich, als er den spanischen Platz wiedersah und die alten wohlbekannten Strassennamen an den Ecken. Nachdem er noch bei Gelegenheit des Festes der infiorata einen Ausflug in das Gebirge gemacht, schrieb er am 16. Juni an Zelter über die heilige Woche den ausführlichen schon erwähnten Brief, den man wohl eine Arbeit und zwar eine verdienstliche nennen kann. Wurde ihm schon der Abschied schwer, als er von Rom nach Neapel ging, wie viel mehr, als er es auf Nimmerwiedersehn verliess.

Am 25. Juni finden wir M. wieder in Florenz. Die Reise dorthin über Perugia scheint ziemlich unangenehm gewesen zu sein. Er fuhr in unpassender Gesellschaft mit drei Jesuiten und einer unangenehmen Venetianerin mit einem römischen Vetturin. Er schreibt darüber an seine Schwestern:


»Solch' eine Reise, wie die meinige von Rom nach Perugia und hierher, ist wahrhaftig kein Spass. Es heisst in den Flegeljahren: die Gegenwart eines hassenden Wesens sei drückend und peinlich; solch' ein Wesen ist aber der römische Vetturin: Er gönnt Einem keinen Schlaf, lässt hungern und dursten; Abends, wo er Einem das pranzo geben soll, weiss er's so zu karten, dass man[156] gegen Mitternacht ankommt, wo die Leute schon schlafen, und man froh ist, wenn sich noch ein Bett findet. Morgens um 1/4 vier fährt er fort und bleibt zu Mittag seine fünf Stunden liegen, aber gewiss in einer einzelnen Schänke, wo nichts mehr zu haben ist. Täglich macht er etwa sechs deutsche Meilen und fährt piano, wo die Sonne fortissimo brennt.«


In Incisa, eine halbe Tagereise von Florenz, überwarf er sich förmlich mit dem Vetturin, dessen Grobheit und Gemeinheit nicht mehr zu ertragen war, packte seine Sachen ab und hiess ihn zum Teufel fahren. Nach einem ärgerlichen Auftritt mit der Wirthin, die zugleich Postmeisterin war und den vierfachen Preis für Postpferde forderte, verschaffte ihm endlich ein wohlgesinnter Mann für einen mässigen Preis ein leichtes Wäglein von einem Weinbauer. Seelenvergnügt fuhr Felix nun die wenigen Stunden nach Florenz hinein und entschädigte sich andern Tags reichlich durch Schwelgen im Kunstgenuss, den die Gallerie ihm bot, im Anschauen der bekannten geliebten Bilder und Statuen für die glücklich überstandenen Qualen der Reise!

Von Florenz reiste nun M. über Genua zurück nach Mailand. Es fehlt sowohl in den Briefen als sonstigen Nachrichten eine Angabe, auf welche Weise er nach Genua kam und über den Eindruck, den Genova la superba auf ihn machte. Hoffentlich hat man ihm den Rath gegeben, über Pisa und die Riviera di Levante, Massa, Carrara, Lerici, Spezzia, Chiavari, Rapallo nach Genua zu gehen. Dieser Weg gehört zu dem Schönsten, was Italien hat und ist dem von Rom nach Neapel dreist an die Seite zu setzen. Er führt bald hoch hinauf in's Gebirge, bald wieder hinab an das Gestade des herrlichen mittelländischen Meeres. Die Vegetation ist vollkommen südlich; mächtige Aloën fassen die Strasse ein, und häufig trifft man auf Alleen und Haine von Orangen. Ich legte diesen ganzen Weg grösstentheils zu Fuss, von Lerici nach Spezzia auch mit Ruderboot zurück und empfehle ihn Jedermann. Jetzt hat freilich die Eisenbahn einen grossen Theil seiner Poesie verwischt. Vielleicht hat ihn aber M., unkundig der Schönheiten dieses Weges, nur ganz prosaisch mit dem Courier zurückgelegt. Dass er in Genua war, erfahren wir nur[157] aus einem Briefe an Frau von Pereira in Wien, datirt von da, Juli 1831, ohne Angabe des Tags. Er lehnt in diesem Briefe den Auftrag, den sie ihm gab, die nächtliche Heerschau von Zedlitz zu componiren, ab und motivirt diese Ablehnung in geistreicher, interessanter Weise. In Mailand machte er zwei ihm sehr angenehme Bekanntschaften. Zuerst die der Freifrau Dorothea von Ertman, der bekannten Favorite Beethoven's, mit welcher dieser in innigem Verkehr stand und ihr die A dur-Sonate dedicirte, sowie die ihres Gemahls, des Generals von Ertman. Letzteren traf er zufällig im Gouvernementspalast, als er eben schönstens angethan im schwarzen Frack der Frau Generalin seine Visite abstatten wollte, wozu er sich eine schöne Rede ausgedacht hatte. Da traf er in einem wunderschönen gewölbten Vorsaal im ersten Stock unter einem Trupp Soldaten einen alten Mann in einem kurzen Nankingjäckchen, den er frug, ob hier der General Ertman wohne. Unglücklicherweise antwortete der Mann: »der bin ich selbst, was steht zu Diensten?« M. brachte sein Anliegen an und der General schien sich nicht sonderlich daran zu erbauen, als aber M. seinen Namen nannte, wurde er sehr höflich (so unberühmt, als der gute Devrient meinte, war also M. schon damals denn doch nicht). Er gab M. als die geeignete Besuchsstunde für seine Frau Nachmittags 2 Uhr an. Frau v. Ertmann empfing M., der sich zur bestimmten Stunde einstellte, sehr freundlich und spielte ihm gleich Beethoven's Cis moll-Sonate vor. Der alte General erschien auch, diesmal in stattlichem grauen Commandeurrock mit vielen Orden, war ganz glücklich und weinte vor Freude, seine Frau wieder einmal spielen zu hören. Als die Rede auf Beethoven's B dur-Trio kam, dessen sich Frau v. Ertman nicht entsinnen konnte, spielte es M. auswendig und sang die Stimmen dazu. So war die Bekanntschaft geschlossen, und M. verlebte nun mit diesem alten Ehepaar, den angenehmsten, gebildetsten Leuten, die man sich denken konnte, viele der schönsten Stunden. (Man lese den ganzen, mit dem feinsten Humor geschriebenen Brief, Reisebriefe Mailand, 14. Juli, S. 192–195.) In demselben Kreise machte er auch eine ihm sehr liebe Bekanntschaft, die wir schon oben erwähnten,[158] die des Herrn Karl Mozart. M. spricht darüber ausführlich in dem Briefe von Isola bella, den 24. Juli:


»Herrn Mozart, der dort (in Mailand) Beamter, eigentlich aber ein Musiker ist, dem Sinn und Herzen nach. Er muss die grösste Aehnlichkeit mit dem Vater haben, besonders im Wesen; denn solche Sachen, wie sie Einen in den Briefen des Vaters rühren, in ihrer Naivetät und Offenheit, hört man in Menge von ihm, und muss ihn nach dem ersten Augenblicke gleich lieb haben. Wunderhübsch z.B. finde ich, dass er auf den Ruf und das Lob seines Vaters so eifersüchtig ist, als sei er ein junger Musiker; und einen Abend bei Ertmans, als viele Musik von Beethoven gemacht worden war, sagte mir die Baronin leise, ich möchte doch nun auch etwas von Mozart spielen, der Sohn würde sonst nicht so froh, wie gewöhnlich; und als ich die Ouvertüre zu Don Juan gespielt hatte, thaute er erst auf, und verlangte auch noch die zur Zauberflöte von ›seinem Vater‹ und hatte eine kindliche Freude daran; man musste ihn lieb gewinnen.«


Dass dieser »Herr Mozart« in Mailand der einzige Mensch war, dem Mendelssohn seine »fertige und ausgeputzte« Walpurgisnacht vorspielte, ist gleichfalls oben schon erwähnt.

M. ging nun nach einem genussreichen Aufenthalt von mehreren Tagen, freilich bei schlechtem Wetter, auf die Borromäischen Inseln nach seinem Lieblingslande, wohin ihn schon die Erinnerung an seine Jugendreise im Jahre 1821 mächtig zog, über den Simplonpass nach der Schweiz. Am Simplon klärte sich der Himmel auf und am nächsten Morgen war das heiterste herrlichste Wetter. Er fuhr nun das Rhonethal hinunter bis Martigny und ging von da zuerst ganz allein, seinen Mantel und Gepäck auf den Schultern, dann mit einem dicken Bauerjungen, der zugleich Führer und Träger wurde, über den Col de Balme nach Chamounix. Ganz entzückt schreibt er von da an seine Eltern über den Anblick des ganzen Chamounix-Thals, des Montblanc und aller Gletscher, die vor ihm herabsinken im Sonnenschein.


»Von Zeit zu Zeit muss ich Euch einen Dankbrief für diese wunderbar schöne Reise schreiben, und wenn ich es je gethan habe, so muss ich es jetzt wieder thun, denn herrlichere Tage, als die auf dem[159] ganzen Wege hierher, und hier selbst, habe ich doch noch nie erlebt. Zum Glück kennt Ihr ja das Thal hier, und da brauche ich es nicht erst zu beschreiben; wie wäre das auch möglich! Nur so viel lasst mich sagen, dass mir die Natur nirgends so klar in aller ihrer Pracht vor die Augen getreten ist, als hier, sowohl das erstemal, als ich es mit Euch sah, wie auch jetzt. Und wenn jeder, der das sieht, Gott danken muss, dass er ihm Sinne gegeben hat, um diese Grösse zu begreifen und aufzufassen, so muss ich Euch denn auch gleich danken, die Ihr mir all die Freude schenkt!« (Wie rührend liebenswürdig tritt hier wieder M.'s kindliche Pietät zu Tage!)


Von Chamounix aus ging unser tapferer Wanderer zuerst ein Stück in die sogenannte Allée blanche, um den Montblanc auch von der Südseite kennen zu lernen, und von da an den Genfer See. Von hier stieg er (»Gott, denkt Euch das malheur!«), da kein andrer Führer aufzutreiben war, geführt von einem jungen wunderhübschen Mädchen Namens Pauline, über den Col de Jaman, von dem Lord Byron sagt: Beautiful as a dream, hinab zuerst nach Charney, dann nach Château d'Oex, dem Ausgang des Saanethals. Bis dahin war das Wetter ihm noch ziemlich günstig, von da an aber verfolgte es ihn mit immer steigender Ungunst. In Boltigen, wo er im Wirthshaus wegen der Kirmes keinen Platz fand und in ein Nachbarhaus musste, verbrachte er eine sehr schlechte Nacht bei Ungeziefer wie nur in Italien, einer knurrigen Wanduhr, die alle Stunden mit grossem Lärm schlug, und einem kleinen Kinde, das die ganze Nacht schrie. Dazu blitzte es draussen und donnerte ganz entsetzlich und regnete mit Macht. Zu Mittag war er dann anderen Tags in Zweisimmen in einem der ungeheuren Berner Häuser, wo alles glänzt voll Nettigkeit, Reinlichkeit und bis in's Kleinste genau und zierlich. Dort gab er sein Bündel auf die Post nach Interlaken und dachte nun dorthin förmlich spazieren zu gehen durch's Land, sein Nachthemd in der Tasche, sammt Bürste, Kamm und Zeichnenbuch. Aber der unbarmherzige Jupiter pluvius verdarb ihm diesen Spaziergang gründlich. Der Regen floss in Strömen, täglich mehr. Schon am nächsten Tage, den 8. August, schrieb M. von Wimmis aus: »Prost Mahlzeit! Es ist dreimal so toll.[160] Meinen Plan, heut nach Interlaken zu kommen, muss ich aufgeben, denn es ist nicht durchzukommen. Seit vier Stunden fällt das Wasser so gerade herunter, als würden die Wolken ausgequetscht; die Wege sind so weich, wie Federbetten; von den Bergen sieht man nur einzelne Fetzen, und auch die selten« ... Sogar sein Zeichnenbuch musste er unter die Weste knöpfen, denn der Regenschirm half bald nichts mehr. Dieses Missgeschick hielt ihn aber doch nicht ab, eine allerliebste Federzeichnung von Weissenburg hinzuwerfen, die er dem Briefe aus Wimmis einverleibte. In Spiez wurde er nicht angenommen; wo heute mehrere prächtige Hotels stehen, gab es damals noch kein Wirthshaus zum Uebernachten, er musste nach Wyler zurück. Mit Mühe und Noth kam er bis Unterseen. Von da schrieb er Abends: »Aus dem Spass ist bittrer Ernst geworden, wie denn das in der heutigen Zeit leicht kommen mag. Das Wetter hat furchtbar gerast, grossen Schaden angerichtet; die Leute wissen sich keines ärgeren Sturmes und Regens seit vielen Jahren zu entsinnen. Und das Alles geht mit unbegreiflicher Schnelligkeit.« Bald, nachdem unserer Wanderer morgens von Wyler wieder aufgebrochen, fing der Regen leise wieder an, platzte aber gegen 9 Uhr mit solcher Heftigkeit, dass M. sich in einen angefangenen Heustadel mit einem grossen Heuhaufen flüchtete, in den ein Soldat, der nach Thun wollte, von der andern Seite mit hineinkroch. Da der Regen nicht nachliess, brach er nach einer Stunde wieder auf. Die Quellen waren zu Strömen geworden, alles Wasser sah schwarz oder chocoladenbraun aus. Einmal musste M. zwischen zwei Bächen, die sich in einander ergossen, eine ganze Weile gegen den Strom bis an das Schienbein angehen. Zum Glück fand sich ein Kähnchen, in dem er sich, immer noch im schärfsten Regen, nach Neuhaus übersetzen liess. Den ziemlich elenden Zustand, in welchem er in Neuhaus ankam, beschreibt er selbst so: »Ich sah aus, als trüge ich Stulpstiefeln auf meinen hellen Beinkleidern: Schuhe, Strümpfe und alles bis an die Kniee war dunkelbraun, dann kam die wirkliche weisse Farbe; dann ein weicher blauer Ueberrock; sogar das Zeichnenbuch, das ich unter die Weste geknöpft hatte, war nass.« Es ist leicht begreiflich, dass er in diesem Aufzuge in dem[161] Wirthshause in Interlaken, auf das er sich der Jugenderinnerungen halber sehr gefreut hatte, unfreundlich empfangen und nicht aufgenommen wurde: »Seit Vevey war ich dadurch zum erstenmale auf eine halbe Stunde verstimmt und musste Beethoven's As dur-Adagio (folgen die Noten) drei oder viermal singen, ehe ich wieder zurecht kam.« Er musste wieder zurück nach Unterseen, wo er aber mit seiner Wohnung sehr zufrieden war, um so mehr, als man ihn in ein Zimmer wies, in welchem ein Clavier stand, im Klange ähnlich dem alten kleinen Silbermann, den er auf seiner Stube in Berlin hatte. Nachdem er von der Tochter des Forstmeisters zwei sehr feine zierliche Bogen Notenpapier bekommen, durfte er auch wieder an's Componiren denken. Er schrieb:


»Es sind wieder neue Lieder unterwegs, liebe Schwester! Mein Hauptlied aus E dur ›Auf der Reise‹ kennt Ihr auch noch nicht, es ist sehr sentimental (er meint das schon früher erwähnte ›Bringet des treuesten Herzens Grüsse,‹ Op. 19, Nr. 6, in der That eines seiner schönsten). Jetzt mache ich eins, das nicht gut wird, fürchte ich; aber für uns drei muss es schon angehen, denn es ist sehr gut gemeint; der Text ist von Goethe, aber ich sage nicht was, es ist zu toll, gerade das zu componiren; es passt auch gar nicht zur Musik, aber ich fand es so himmlisch schön, dass ich es mir singen musste.«


Es ist das wunderzarte Sonett »Ein Blick aus deinen Augen in die meinen«, welches Goethe aus einem Briefe Bettina's an ihn formte. Die Composition ist ebenso zart und dabei tief innig. (Ich hörte sie zuerst von M.'s vertrauter Freundin, Frau D.F., in ihrer Sommerwohnung in Giebichenstein unvergleichlich schön singen.) M. schrieb am folgenden Morgen weiter: »Das Lied, von dem ich gestern schrieb, ist schon fertig. Auch ein paar Claviersachen rücken wieder an.« Interessant ist noch die nachfolgende Bemerkung:


»Ich habe leider durchaus kein Urtheil über meine neuen Sachen, – weiss nicht, ob sie gut oder schlecht sind, und das kommt daher, weil seit einem Jahr alle Leute, denen ich was von mir vorspiele, es glatt weg wunderschön gefunden haben, und das thut es halt nimmermehr! Ich wollte, dass mich Einer mal wieder vernünftig heruntermachen könnte; oder was noch hübscher wäre,[162] vernünftig loben; da würde ich selbst es nicht immer thun wollen, und misstrauisch gegen mich sein. Indessen muss man doch einstweilen immerfort schreiben.«


Bei der Forstmeisterstochter bedankte er sich für das Notenpapier, indem er auf das übrigbleibende drei Walzer für sie schrieb und ihr höflich überbrachte.

Das Wetter besserte sich inzwischen wieder und M., der schon einmal nach Interlaken geritten war, durfte daran denken, die Tour in's Berner Oberland zu unternehmen. Er ging zuerst nach Lauterbrunnen, wohin der nur zu Fuss passirbare Weg durch das zuvor stattgefundene Unwetter mehr als wildromantisch geworden war. An der Stelle, wo das ganze Thal mit Strasse und Dämmen ein weites Steinmeer ist, hatte mitten im Bach das Wasser ein paar grosse Baumstämme angeschleppt, in die Höhe gerichtet und augenblicklich ein Paar Felsen dagegen geworfen und sie so eingekeilt, dass die kahlen Bäume mitten im Flussbett halb aufrecht standen. – Von der Wengernalp sandte M. den Seinen am 14. August Morgens 10 Uhr in himmlischem Wetter nur seinen Gruss; er sah die Berge ohne jeden Nebel im Feierkleid und schrieb darüber aus Grindelwald entzückt: »Ich glaube, so sehen die Gedanken des lieben Herrgott aus. Wer ihn nicht kennt, der kann ihn und seine Natur hier sehr deutlich vor Augen sehen. Und zu alledem die liebe frische Luft, die Einen erquickt, wenn man müde, und abkühlt, wenn man heiss ist, und die vielen Quellen.« Von der Wengernalp stieg M. in Begleitung eines alten Sennen noch über 1000 Fuss höher als die kleine Scheideck auf entsetzlich steilem Wege hinauf zu einem kleinen Alpendörfchen Intramen, wo er mit grossem Ergötzen einem Schwingfeste beiwohnend, die ächte Natur der Aelpler studiren konnte.

Auf dem Faulhorn, das er nun zunächst bestieg, 15. August, hatte unser Freund wieder sehr von der Ungunst des Wetters zu leiden. »Hu, wie mich friert! Es schneit draussen mit Macht, stürmt und wüthet. Wir sind über 8000 Fuss über dem Meere, mussten weit über den Schnee weg, und da sitze ich nun. Sehen kann man gar nichts, das Wetter war fürchterlich heut den ganzen Tag.« Auch auf seiner weiteren Wanderung über die grosse Scheideck[163] Grimsel, Furka, ja selbst bis herab nach Luzern begleitete ihn immer das gleiche Missgeschick. Er liess sich aber dadurch in seinem köstlichen Humor nicht stören, sondern schrieb: »Und doch, wenn eine halbe Stunde ohne Regen war, so war es gar zu schön. Die Fussreise durch dies Land ist wirklich, selbst bei so ungünstigem Wetter, das reizendste, was man sich denken kann; bei heitrem Himmel muss es vor Vergnügen gar nicht auszuhalten sein.« Entschädigt wurde er für so viele Unbilden durch ein paar Tage Aufenthalts in Engelberg, wo er sich in einem freundlichen Wirthshause in der wunderbar schönen Gegend inmitten der sammetgrünen Wiesen, Angesichts des schneebedeckten Titlis und der Felszacken der grossen und kleinen Spannörter, in der reinen balsamischen Luft ungemein wohlgefiel. Er ergötzte sich hier sehr an der Lectüre von Schiller's Tell, den er sich aus der Klosterbibliothek holen liess. Mit den Mönchen des von Papst Calixt XI. Mons angelorum genannten, bereits im zwölften Jahrhundert gegründeten grossartigen Klosters schloss er dicke Freundschaft, spielte viel auf ihrer schönen Orgel und fungirte darauf sogar im feierlichen Gottesdienst an einem grossen Festtag als Organist, liess sich auch vom Pater Organist ein Thema aufgeben, das ihm sehr gefiel und worüber er phantasirte. Auch spielte er dort am Nachmittag noch ein paar neue Orgelstücke von sich. Als er Abends wieder beim Kloster vorüberkam, wurde die Kirche geschlossen, und kaum waren die Thüren zu, so fingen die Mönche in der dunkeln Kirche mit Macht die Nocturnen zu singen an. »Sie intonirten das tiefe H. Es klang prächtig und man konnte es noch weit im Thale hören«. – Als ein kleines Andenken an Felix' glücklichen Aufenthalt in Engelberg steht in dem Briefe vom 23. August eine sehr hübsche Federzeichnung seiner Hand, die das Kloster und die dahinter aufsteigenden mächtigen Berge darstellt. Möge Jeder, der das reizende Hochthal besucht, daran denken, dass der liebenswürdige Tondichter hier ein paar so glückliche Tage verlebte.

Bemerkenswerth ist von diesem Aufenthalt M.'s in der Schweiz noch ein recht bedeutender Brief aus Luzern an Wilhelm Taubert in Berlin, der ihm nach Mailand, begleitet[164] von einem freundlichen Brief, einige seiner Lieder geschickt hatte. M.'s Antwort ist voll freudiger Anerkennung für Taubert als einen ächten Künstler.


»Was das nun für eine Freude, wie wohlthuend es ist, einen Musiker mehr in der Welt zu wissen, der dasselbe vorhat und ersehnt und dieselbe Strasse geht, das können Sie sich vielleicht gar nicht so denken, wie ich es jetzt empfinde, der ich aus dem Lande komme, wo die Musik unter den Leuten nicht mehr lebt – die letzten Ereignisse, die ich leider dort erlebt, haben mir wohl gezeigt, dass noch mehr ausgestorben ist, als nur die Musik. Es wäre ja ein Wunder, wenn es irgendwo eine Musik geben könnte, wo keine Gesinnung ist.«


In demselben Briefe findet sich auch eine sehr kräftige Auslassung gegen das neuere hochfahrende unerfreuliche Wesen, den widerwärtigen Cynismus derer, die Goethe und Shakespeare schlecht machen und Schiller doch zu trivial finden.


»Sind Sie nicht mit mir einer Meinung, dass es die erste Bedingung zu einem Künstler sei, dass er Respect vor dem Grossen habe und sich davor beuge und es anerkenne, und nicht die grossen Flammen auszupusten versuche, damit das kleine Talglicht ein wenig heller leuchte!?«


Wahrlich goldene Worte, die sich auch heute noch manche unserer Neulinge hinter das Ohr schreiben sollten, die z.B. von einem überwundenen Standpunkte Mozart's sprechen und einen Mendelssohn schwächlich nennen. Wir begegnen übrigens dieser Gesinnung Mendelssohn's, wie sich die freundlichen Leser entsinnen werden, hier nicht zum ersten male.

Nach einem Besuch des Rigi, von dem er die Aussicht sehr interessant beschreibt, ging dann M. wieder mit Sturm und Regen kämpfend über den Haken nach Kloster Einsiedeln, dann nach Wallenstadt und Sargans, in welchen beiden Orten er sich während des Regenwetters die Zeit mit fleissigem Spiel auf wenn auch nur sehr mangelhaften Orgeln vertrieb, endlich über St. Gallen nach Lindau, wo wir ihn nach fast 11/2jähriger Abwesenheit am 5. September zum ersten male wieder auf deutschem Boden begrüssen.[165] Hier fand er, wie er schreibt, eine wundervolle Orgel, auf welcher er »Schmücke Dich, o liebe Seele« spielen konnte nach Herzenslust. Von Lindau fuhr er dann in kleinen Tagereisen über Memmingen und Augsburg nach München.


Wenn schon der Empfang, den M. bei seinem ersten Besuche Münchens fand, wie wir oben gesehen haben, ein enthusiastischer war, so musste sich derselbe gemäss dem immer wachsenden Rufe des Künstlers bei seinem zweiten Besuche noch steigern. Wir besitzen aus der Zeit seines diesmaligen Aufenthalts, der länger als einen Monat dauerte, leider nur zwei Briefe, was jedenfalls daher rührt, dass er theils von der Gesellschaft, theils von seinem eigentlichen Künstlerberufe zu sehr in Anspruch genommen war. Ein grosses Concert, das er zum Besten der Armenpflegerschaft Münchens geben wollte, welches aber wegen des Octoberfestes bis auf den 17. dieses Monats verschoben wurde, und die Vollendung seines eignen G moll-Concertes, welches er bei dieser Gelegenheit spielen wollte, beschäftigten ihn vollauf, aber er hatte an dieser Beschäftigung grosse Freude.


»Das ist ein prächtiges Gefühl,« beginnt er seinen sogenannten Münchener Bürgerbrief vom 6. October, »wenn man des Morgens aufwacht und ein grosses Stück Allegro zu instrumentiren hat mit mannichfaltigen Hoboën und Trompeten, und draussen das heiterste Wetter, das einen frischen weiten Spaziergang verspricht, so habe ich es nun schon eine ganze Woche lang gehabt; der freundliche Eindruck, den mir München das erste mal machte, ist diesmal noch sehr erhöht. Ich wüsste kaum einen anderen Ort, wo mir so behaglich und bürgerlich zu Muthe wäre, wie hier. Vornehmlich aber ist es gar zu angenehm, unter lauter frohen Gesichtern zu leben, selbst eins mit zu machen, und alle Menschen auf der Strasse zu kennen.«


Es spricht aus diesen Worten ein Dreifaches: Vor allem das Behagen, sich einmal wieder von ganzer Seele und in Ruhe seinem Künstlerberufe hingeben zu können, dann die Freude an der Natur und das Vergnügen, mit heiteren Menschen umzugehen, von denen er sich geliebt sah.[166]

Ueber sein sonstiges Leben in München berichtet M. unter anderem:


»Ich wohne nämlich sehr ebener Erde, in einem Zimmer, das sonst ein Laden war, so dass ich mit einem Schritt mitten auf der Strasse bin, wenn ich die Fensterladen vor der Glasthüre aufriegle. Wer gerade vorbeikommt, guckt in's Fenster herein und sagt guten Morgen. Neben mir wohnt ein Grieche, der Clavier lernt, der ist grässlich; aber die Wirthstochter, die sehr schlank ist und ein silbernes Riegelhäubchen trägt, ist desto hübscher. Jede Woche drei mal, Nachmittags um 4 Uhr, ist Musik bei mir. Da kommen nämlich Bärmann, Breiting (der bekannte vorzügliche Tenorist), Staudacher, der junge Poissl u.m.a. zu mir, und machen einen musikalischen Pickenick. Ich lerne dabei die Opern kennen, die ich bisher unverzeihlicherweise weder gehört noch gesehen habe, wie Lodoiska, Faniska, Medea (sämmtlich von Cherubini); auch Preciosa, Abu Hassan u.s.w.; – die Partituren leiht uns das Theater.«


Es folgt nun eine sehr ergötzliche Beschreibung einer musikalischen Soirée, welche in Folge mehrerer verlorenen Wetten auf Mendelssohn's Zimmer gegeben werden sollte. Der Raum war sehr eng, eine Liste von dreissig Honoratioren wurde geladen, zu denen noch verschiedene Uneingeladene kamen, man wollte sogar einige Leute auf's Bett placiren, indessen gingen viele geduldige Schafe in das kleine Zimmer hin ein; nebenan bei M.'s Wirthsleuten sassen die Damen Cornelius, um zuzuhören, im ersten Stock machten die Damen Schauroth Visite aus demselben Grunde, auch auf der Strasse und auf dem Flur standen Leute. Das Ding war unbeschreiblich animirt und gelungen. Zuerst spielte M. sein altes H moll-Quartett, dann sang Breiting Adelaide, dann spielte ein Herr S. Violinvariationen, bei denen er sich aber sehr blamirte, dann spielte Bärmann das erste Quartett von Beethoven, arrangirt für zwei Clarinetten, Bassethorn und Fagott; dann kam eine Arie aus Euryanthe (wieder von Breiting gesungen?), die wüthend applaudirt wurde, und zum Schluss musste M., gezwungen durch ein furchtbares Gebrüll, nolens volens phantasiren, obgleich er nichts im Kopfe hatte, als Weingläser, Stühle, kalten Braten und Schinken. »Die muntere Gesellschaft blieb nachher bei allen möglichen Brüderschaften[167] und Gesundheiten noch beisammen bis 1/22 Uhr nach Mitternacht.« Am Abend kam das wahre Gegenstück, M. musste vor der Königin und dem Hofe spielen. Da war alles sittsam und geschniegelt und glatt, mit jedem Ellbogen stiess man an eine Excellenz, die schönsten, schmeichelhaftesten Redensarten flogen im Zimmer umher, und er, der roturier, mitten darunter, mit seinem bürgerlichen Herzen und seinem Katzenjammer. »Ich biss mich aber heraus, so gut ich konnte, musste am Ende auf Königliche Themas phantasiren und wurde gewaltig gepriesen. Am meisten gefiel es mir, dass die Königin nach der Phantasie zu mir sagte: das wäre ja sonderbar, ich risse Einen ordentlich mit fort, und man könnte bei der Musik ja an nichts anderes denken; worauf ich um Entschuldigung bat wegen des Fortreissens.« (Reisebriefe, S. 274 und 275.) Es war in der That das schmeichelhafteste Lob, was die Königin unserem phantasirenden Tonkünstler sagen konnte. Sehr interessant ist auch für den Sachverständigen, was M. am Schlusse dieses Briefes über sein tägliches Orgelspiel sagt. Er hatte in München eine Orgel gefunden mit den Registern, mit denen man Seb. Bach's »Schmücke Dich, o liebe Seele« spielen müsse. Er beschreibt die Klangwirkung dieser Register in eingehender rührender Weise. »Das zieht den Choral so still und durchdringend, als wären es ferne Menschenstimmen, die ihn aus Herzensgrund singen« (a.a.O., S. 278). Ich bitte bei meinen Lesern um Verzeihung, wenn ich vielleicht mit alledem Vielen unter ihnen nur längst Bekanntes und Gelesenes wiederholt habe, es ist aber unmöglich, ein gelungeneres Bild von M.'s Leben und Treiben in München zu geben, als er es selbst in diesem Briefe gethan.

In einem zweiten Briefe an seinen Vater schildert er dann die Vorbereitungen zu dem oben erwähnten Concert und das Concert selbst. Die Proben fielen noch in die Tage des Octoberfestes hinein. M. ging in eine Generalprobe, in welcher das ganze Personal versammelt war, und musste selbst eine kleine Probe bestehen, die ihm schwer fiel, er sollte das Orchester vom Theater herunter in einer zierlichen Rede zur Mitwirkung einladen; es war ihm aber auch recht, er wollte gern auch einmal lernen, wie es einem[168] Concertgeber zu Muthe ist, so trat er denn vor an den Souffleurkasten und sprach sehr höflich, und die Probe gelang über Erwarten; das Orchester nahm die Hüte ab und murmelte bejahend beim Ende seiner Anrede. Am folgenden Tage hatte er schon siebzig Unterschriften auf dem Circular, sogar die Hautboisten, welche er zur Besetzung für Engl. Basshorn, Trompeten u.s.w. heranziehen musste, wollten keinen Kreuzer bezahlt nehmen, und er hatte über 80 Spieler im Orchester, 32 Geigen, 6 Contrabässe, doppelte Blaseinstrumente u.s.w. Eine besondere Freude war es auch für M., dass der Chor einen seiner Vorsteher an ihn schickte und fragen liess, ob er nicht auch einen von sich componirten Chor geben wolle, sie würden alle gern unentgeltlich mitsingen; M. wollte zwar nicht mehr als drei Stücke von sich in dem Concert geben, aber die grosse Theilnahme freute ihn sehr. In der ersten wirklichen Probe freilich sah es misslich aus. An seiner C moll-Symphonie allein musste er zwei Stunden probiren; das G moll-Concert wollte nicht klappen, die Sommernachtstraumouvertüre konnte er nur in aller Eile einmal durchprobiren und wollte sie schon von den Zetteln zurücknehmen, wovon ihn nur Bärmann abhalten konnte. Dagegen lief die Generalprobe sehr gut ab und ebenso gelang die Aufführung vollkommen.


»Abends als ich hinging, und den Lärm von den Wagen hörte, bekam ich rechte Lust an der ganzen Geschichte; um 1/27 Uhr kam der Hof, ich nahm mein kleines englisches Tactstöckchen und dirigirte meine Symphonie. Das Orchester spielte prächtig, mit einer Liebe und einem Feuer, wie ich es noch nie unter mir habe gehen hören, die forte krachten alle und das Scherzo war sehr fein und leicht. Es gefiel auch den Leuten sehr, und der König klatschte immer vor. Dann sang mein dicker Freund Breiting die As dur-Arie aus Euryanthe und das Publikum rief da capo, wurde lustig und hatte einen guten Geschmack. Breiting war glücklich, sang mit Begeistrung und ganz wunderschön. Dann kam ich zu meinem Concert, wurde sehr lebhaft und lange empfangen, das Orchester begleitete gut und die Composition war auch toll genug;26 es machte[169] den Leuten viel Vergnügen; sie wollten mich nachher hervorklatschen, wie es hier Mode ist, aber ich war bescheiden und kam nicht. Im Zwischenact packte mich der König Ludwig I., lobte mich sehr und fragte mich nach allem Möglichen, auch ob ich mit Bartholdy verwandt sei, in dessen Wohnung in Rom er noch immer gehe, weil das die Wiege der modernen Kunst sei,« u.s.w.


Der zweite Theil des Concerts begann mit dem Sommernachtstraum, der ganz vortrefflich ging und auch vielen Eindruck machte, dann spielte Bärmann. Dann kam das Finale in A dur aus Lodoiska, jedenfalls von den besten Kräften der Oper ausgeführt. Beides aber hörte M. nicht, weil er sich im Nebenzimmer etwas »verdampfen« musste, denn er sollte zum Schluss des Concerts noch eine »freie Phantasie« produciren, zu welcher der König als Thema »Non più andrai« (aus Figaro's Hochzeit) gegeben hatte. Er erntete damit auch reichen Beifall, die Königin sagte ihm viel Verbindliches, und die Leute wollten mit Klatschen nicht endigen; er selbst aber war ärgerlich, ihm hatte es missfallen, und er wollte es öffentlich nicht wieder thun, es sei ein Missbrauch und ein Unsinn zugleich.27 »Das war[170] also mein Concert am 17., das nun hinter mir liegt. Es waren gegen 1100 Menschen darin, und so können die Armen zufrieden sein. Lebt Alle wohl und seid glücklich.« Felix. (Wir sehen einen Menschen, der selbst glücklich ist, weil er Viele glücklich gemacht hat, zwiefaches Glück für die Hörer und für die Armen.)

Noch empfing M. in München einen ehrenvollen Auftrag von der Intendanz der königlichen Oper, von dem in den beiden Briefen nichts steht, nämlich eine Oper zu componiren. Gern hätte er ihn erfüllt, aber wir wissen, dass M. in der Wahl eines Textes sehr difficil war. »Er könne und wolle nichts componiren, wobei er nicht mit ganzer Seele sein könne.« So hatte er auch schon öfters an seinen Freund Devrient geschrieben: »Gieb mir einen guten Text zu einer Oper, und ich will sie auf der Stelle componiren, ich verlange nichts sehnlicher.« Aber seine Anforderungen an einen solchen Text waren auch ziemlich hoch. Er wollte kein »Rührei von Kunst und Unsinn«, wie Müllner die Oper nannte, sondern verlangte einen Stoff, der ein tieferes menschliches Interesse in Anspruch nehmen könnte. So schrieb er z.B. noch während er auf der Reise war, von Mailand aus an Devrient:


»Du willst, ich soll nur Opern schreiben, und hätte Unrecht, es nicht längst gethan zu haben. Ich antworte: Gieb mir eine rechte Oper in die Hand, und in ein paar Monaten ist sie componirt; denn ich sehne mich jeden Tag von Neuem danach, eine Oper zu schreiben, ich weiss, dass es was Frisches, Lustiges werden kann, wenn ich es jetzt finde, aber eben die Worte sind nicht da. Und einen Text, der mich nicht ganz in Feuer setzt, componire ich nun einmal nicht. Wenn Du einen Mann kennst, der im Stande ist, eine Oper zu dichten, so nenne mir ihn um Gotteswillen, ich suche nichts Anderes. Aber bis ich nun einen Text habe, soll ich doch nicht etwa lieber Nichts thun, auch wenn ich es könnte? Und dass ich gerade jetzt mehrere geistliche Musiken geschrieben habe, das ist[171] mir ebenso Bedürfniss gewesen, wie's Einen manchmal treibt, gerade ein bestimmtes Buch, die Bibel oder sonstwas zu lesen, und wie es Einem nur dabei recht wohl wird. Hat es Aehnlichkeit mit Seb. Bach, so kann ich wieder nichts dafür, denn ich habe es geschrieben, wie es mir zu Muthe war und wenn mir einmal bei den Worten so zu Muthe geworden ist, wie dem alten Herrn, so soll es mir um so lieber sein. Denn Du wirst nicht meinen, dass ich seine Formen copire, ohne den Inhalt, da könnte ich vor Widerwillen und Leerheit kein Stück zu Ende schreiben.« Und ferner über denselben Gegenstand an denselben: »Ich gehe nun nach München, wo sie mir eine Oper anboten, um zu sehen, ob da ein Mensch als Dichter ist, denn nur einen Menschen möchte ich, der ein bischen Glück und Talent hätte, ein Riese brauchte es gar nicht zu sein, und finde ich da keinen, so mache ich vielleicht Immermann's Bekanntschaft, und ist der auch nicht der Mann, so versuche ich es in London und schlage Klingemann noch einmal breit. Es kommt mir immer vor, als fehle der rechte Kerl noch; aber was soll ich thun, um ihn herauszufinden? Im Hotel Reichmann wohnt er nicht, darüber schreib mir einmal. Obgleich ich glaube, dass uns der liebe Herrgott Alles, also auch Operntexte zuschickt, sobald wir es brauchen, so müssen wir doch dabei unsere verfluchte Schuldigkeit thun und uns umsehen, und ich wollte, der Text wäre schon da. Mittlerweile schreibe ich so gute Sachen, als ich irgend kann.«


Ebenso schreibt Mendelssohn wieder an D. aus Luzern, 31. August:


»Wenn Du es erreichst, nicht Sänger und Decorationen und Situationen, sondern Menschen und Natur und das Leben Dir zu denken und hinzustellen, so bin ich überzeugt, dass Du die besten Opern schreiben wirst, die wir haben werden, denn wenn einer die Bühne so gut kennt, wie Du, so kann er schon nichts Undramatisches schreiben wollen. So wüsste ich auch gar nicht, was Du von Deinen Versen Anderes wolltest; ist es von innen heraus für die Natur und die Musik gefühlt, so sind die Verse schön und musikalisch, und wenn sie sich im Textbuche noch so hinkend ausnähmen; schreib dann meinetwegen Prosa – wir wollen es schon componiren; wenn es so sein muss, da wird es nicht schwer fallen; aber wenn Form in Form gegossen werden muss, wenn die Verse musikalisch gemacht und nicht musikalisch gedacht sind, wenn es äusserlich in schönen Worten eingebracht werden soll, wo es innerlich an schönem Leben fehlt – da hast Du Recht, da ist eine Klemme, aus der kein Mensch herauskommen kann!«[172]


So schreibt M. über diesen Gegenstand auch noch einmal am 28. Juni 1843 aus Leipzig an D., der ihm ein Operngedicht zugesendet und ihn um seine Meinung darüber gebeten hatte:


»Die Atterbomsche ›Insel der Glückseligkeit‹ enthält keinen Opernstoff nach meiner Ueberzeugung. Zauberei und Wunderquellen machen das Opernhafte, wie ich mir's denke, nicht, und das rein Menschliche, Edle, Alles Belebende, was es macht, habe ich darin nicht gefunden, so schöne dichterische Einzelheiten da sind.« (Devr., F.M.B., meine Erinnerungen, S. 116, 126 und 27, 233 und 34.)


Ich habe diese Citate nicht verkürzen wollen, weil sie auch heute noch sehr bedeutsame Winke für Operndichter und Componisten enthalten. Devrient hatte inzwischen für Marschner den Text zu Hans Heiling und für Taubert den Zigeuner geschrieben, auch M. einen Stoff aus dem Bauernkriege vorgeschlagen, aber M. fand in beiden zu starke Anklänge an Freischütz und Preciosa. Noch einmal schrieb er an Devrient aus Frankfurt, den 26. April 1845:


»Sieh zu, ob Du Rath für mich weisst, oder schaffen kannst. Die Arbeit des Textes, wie gesagt, will ich mir verschaffen, oder mir selbst machen, aber die Grundlinien, das ist's. Deutsch müsste es sein, und edel und heiter; sei es eine rheinische Volkssage oder sonst ein nationales Ereigniss oder Mährchen, oder ein rechter Grund character (wie im ›Fidelio‹). Es ist nicht Kohlhas und nicht Blaubart, oder Andreas Hofer oder die Loreley – aber etwas von alledem könnte dabei sein. Kannst Du mir daraus einen Vers machen? Aber ich meine ja keinen Vers, ich meine ein Scenarium. Ich wollte, Du hälfest mir dazu!«


Da M. den Dichter, den er suchte, in München nicht fand, so trat er mit Immermann in Düsseldorf, den er für den geeigneten Mann hielt, erst schriftlich von München aus, dann auch persönlich in Düsseldorf in Verbindung. Immermann ging darauf ein, und schlug vor, den Sturm von Shakespeare als Oper zu bearbeiten, womit M. einverstanden war. Immermann versprach den Text bis spätestens Ende Mai 1832 abzuliefern, aber leider zeigte sich, dass auch Immermann wieder nicht der geeignete Mann[173] war; es fehlte ihm jedenfalls an der Gabe, musikalische Verse zu schreiben; auch entsprach ja der Stoff als zu phantastisch, gar nicht den Anforderungen M.'s an etwas Lebendiges, Natürliches, das menschliche Interesse Fesselndes. M.'s Vater gab ihm unter'm 7. December nach Paris den Rath, sich an einen französischen Dichter zu wenden, aber theils kam dieser Rath zu spät, da M. schon mit Immermann in Verbindung getreten war, theils hatte er auch keine Neigung dazu. Sein Vertrauen zu Immermann war noch ganz unerschüttert. Er schrieb seinem Vater noch am 19. December aus Paris wieder: »Nach Allem, wie ich Immermann kenne, habe ich Grund einen vortrefflichen Text zu erwarten.« Der weitere Verlauf zeigte, dass M. sich in diesem Vertrauen gänzlich getäuscht hatte. Immermann war durchaus keine lyrische Natur. Auch Devrient musste in der Zurückweisung des von Immermann gelieferten Textes mit M. vollständig übereinstimmen. Dennoch trug die Anknüpfung der Verbindungen mit Düsseldorf, wie wir bald sehen werden, andere sehr gute Früchte.

Wir finden also M. schon Anfang December in Paris. Er ging dahin von München über Stuttgart, Heidelberg, Frankfurt, den Rhein hinab zuletzt über Düsseldorf. In einem Briefe an Zelter aus Paris vom 15. Februar 1832 spricht er sich sehr befriedigt über die musikalischen Zustände in Süddeutschland aus. In Stuttgart erfreute er sich sehr »an dem vortrefflichen Orchester«, das so vollkommen schön und genau zusammengeht, wie man es sich nur denken kann. »Der Lindpaintner ist, glaub' ich, jetzt der beste Orchesterdirigent in Deutschland, es ist, als wenn er mit seinem Tactstöckchen die ganze Musik spielte; dazu ist er fleissig, hat fast täglich Proben mit seinem Orchester und wöchentlich sein Quartett.« Ebenso hatte er Freude an Molique, den er zwar einen dicken behaglichen Weinbürger nennt, aber dessen enorme Virtuosität er doch bereitwillig anerkennt. M. sollte in ihrem ersten Abonnementconcert spielen und Compositionen von sich geben, aber er hatte Eile. Von Frankfurt's Musikwesen im Grossen und Ganzen ist er zwar nicht in dem Grade erbaut, das Ding ist da vornehmer, geschäftsmässiger, grossstädtischer, aber viel weniger lustig; die Republiken[174] soll der Teufel holen, sie taugen nicht für Musik. »Sie sind da gleich knauserig, fragen zuerst was es kostet, und haben nicht ein bischen Ostentation.« Sehr erfreut spricht sich dagegen M. über den Caecilienverein aus, wegen dessen man schon allein in Frankfurt gewesen sein muss:


»Die Leute singen mit so viel Feuer und so zusammen, dass es eine Freude ist; er versammelt sich einmal wöchentlich und hat gegen 200 Mitglieder; ausserdem hat aber Schelble28 des Freitags Abends bei sich einen kleinen Verein von etwa dreissig Stimmen, wo er am Clavier singen lässt und seine Lieblingssachen, die er dem grossen Vereine nicht gleich zu geben wagt, nach und nach vorbereitet.« (Also ein ganz ähnliches Verhältniss, wie das zwischen Fanny Hensel's Freitagsabenden, Sonntagsmusiken und der Singacademie in Berlin, welches unsern M. sehr sympathisch anmuthen musste.) »Da habe ich eine Menge kleiner Sonntagsmusiken von Sebastian Bach, sein Magnificat, die grosse Messe und sonst noch vieles Schöne gehört; die Frauen sind auch da, wie bei Ihrer Academie, die eifrigsten; an den Männern fehlt es ein bischen, sie haben Geschäfte im Kopf; ich glaube sogar, es ist überall so, am Ende haben die Frauen bei uns mehr Gemeingeist, als die Männer. Im Caecilienverein wenigstens gewiss, denn da sind die Soprane ganz herrlich, Alt und Bass sehr gut, aber an Tenören fehlt es etwas und Schelble klagt, wie Sie, über die Lauigkeit der Männer. Ich habe im grossen Verein unter andern die Motette, ›Gottes Zeit ist die allerbeste Zeit,‹ die wir zuweilen bei Ihnen Freitags sangen, gehört; das Stück ›Es ist der alte Bund,‹ macht sich mit dem grossen Chor und mit den schönen weichen Sopranen ganz göttlich.«


Nachdem sich nun M. noch mit grosser Anerkennung über Schelble's mächtigen Einfluss auf den Sinn für ernste Musik in Frankfurt ausgesprochen, schliesst er mit den Worten: »zugleich ist dort Philipp Veit und malt ruhig seine Bilder, die so einfach, schön und fromm sind, wie ich es nur auf den alten Bildern gekannt habe; da ist keine Ziererei und Affectation drin, wie bei den Deutschthümlern in Rom, sondern eine aufrichtige Künstlerseele.« (Hensel, die Familie M., Bd. I, S. 232 u. 33.) Als M. jene Worte über den Caecilienverein an seinen alten Lehrer[175] schrieb, da ahnte er noch nicht, dass er im Sommer des Jahres 1836 als Stellvertreter seines erkrankten Freundes Schelble bei der Direction dieses Vereins die herrliche Caecilie finden sollte, welche vom nächsten Jahre ab das reinste und vollkommenste Glück seines ganzen Lebens bildete.

Von Frankfurt aus begab sich nun M., wie schon oben erwähnt, den Rhein hinab nach Düsseldorf, zunächst, um die Verhandlungen mit Immermann über den als Operntext zu behandelnden »Sturm von Shakespeare« weiter zu führen. Erwies sich nun auch das Product dieser Verhandlungen später für M. als unannehmbar, so knüpften sich dadurch doch gewiss die Fäden an, welche im nächsten Jahre die Verbindung des Tondichters mit dem dramatischen, wenn auch nur auf kurze Zeit zur gemeinschaftlichen Verwaltung des Düsseldorfer Theaters zur Folge hatte. Ausserdem fühlte sich M. von dem dortigen Kunstleben in Malerei und Musik sehr angesprochen. In dem vorhin angeführten Briefe aus Paris an Zelter schreibt er darüber: »Und dann kommt man nach Düsseldorf, wo wieder Schadow (Director der Maleracademie) mit seinen Schülern ist und aus allen Kräften arbeitet und treibt, damit etwas entsteht, wo Lessing seine Zeichnungen so gelegentlich macht und ausführt, wenn die Leute es bestellen, und da haben sie wieder ihr kleines Orchester und ihre Symphonien von Beethoven« u.s.w.

Von Düsseldorf ging M. nach Paris, um nun auch das Leben in dieser Weltstadt genauer kennen zu lernen, und zwar nicht allein das musikalische, sondern das künstlerische überhaupt, und das politische. Er verweilte daselbst von Mitte December 1831 bis Mitte April 1832, traf mit seinem Jugendfreunde Ferdinand Hiller zusammen und verlebte dort in steter Berührung mit allen bedeutenden Musikern und andern geistigen Grössen in aller Jugendfrische eine fröhliche Zeit. Seine eigenen Reisebriefe und die Briefe und Erinnerungen Ferdinand Hiller's geben davon ausreichendes Zeugniss. Das Orchester des Conservatoriums unter Habeneck's Leitung, vorzüglich die Ausführung Beethoven'scher Symphonien, riss ihn zu aufrichrichtiger Bewunderung hin. Ein spasshafter Vorfall bei einem der Concerte dieses Conservatoriums, in welchem M.[176] selbst die Hauptrolle spielte, verdient Erwähnung. Hiller erzählt in seinen Erinnerungen, S. 17:


»Durch Habeneck und dessen Concertgesellschaft kam M. auch in Berührung mit dem grösseren Publicum. Er spielte das G dur-Concert von Beethoven, mit welchem Erfolge, ist in seinen Reisebriefen zu lesen. Auch die Ouvertüre zum Sommernachtstraum kam zur Aufführung und hatte grossen Beifall. Ich wohnte der ersten Probe bei. Der zweite Hoboist war ausgeblieben, was sich wohl verschmerzen liess, aber als man anfangen wollte, fand sich auch die Stelle des Paukenkünstlers unbesetzt. Zur allgemeinsten Heiterkeit sprang Mendelssohn auf's Orchester, bemächtigte sich der Schlägel und wirbelte wie ein Tambour der alten Garde.«


Einen viel höheren Beweis seiner musikalischen Kunstfertigkeit, besonders seines staunenswürdigen musikalischen Gedächtnisses, gab er in einer grossen musikalischen Gesellschaft, bei Abbé Bardin, einem musikliebenden Geistlichen. Hiller hatte gerade das Es dur-Concert von Beethoven öffentlich gespielt und man verlangte es dort wieder zu hören. Die Orchesterstimmen waren da, Streichkünstler ebenfalls, aber keine Bläser. »Die will ich übernehmen,« sagte Mendelssohn, setzte sich an ein Pianino, welches neben dem Flügel stand, und ergänzte, auswendig wohlverstanden, das Orchester so vollständig – ich glaube nicht, dass eine Note des zweiten Hornes ausblieb. »Und das geschah alles so einfach, so spielend im besten Sinne, als dürfe und könne es gar nicht anders sein.« Ebenso trug er seinen musikalischen Freunden einmal die Arie aus den Jahreszeiten vor: »Hier steht der Wandrer nun, verirrt und zweifelhaft,« in welcher kein Nötchen mangelte von den springenden zwischen den Geigen wechselnden Figuren. Es klang wie ein ächtes Clavierstück und wir standen eine gute Weile da, »verirrt und zweifelhaft«. (Die Freunde sollten nämlich den Namen des Componisten errathen.) Von den bedeutenden Musikern, mit welchen M. in Verbindung kam, sollen nur der alte würdige Cherubini, den M. von Zeit zu Zeit besuchte, die bedeutenden Violinspieler Baillot, Paganini, Ole Bull, dann noch Chopin, Franz Liszt, Meyerbeer, Kalkbrenner und Henri Herz genannt werden. Dass Franz Liszt M. durch den Vortrag[177] seines G moll-Concerts aus dem Manuscript prima vista zu staunender Bewunderung hinriss, wurde schon oben erzählt. Dagegen belustigte ihn die Eifersucht zwischen Kalkbrenner und Herz in hohem Grade. Mit Meyerbeer stand er nicht auf dem besten Fusse. Es verdross ihn, dass er mit diesem eine grosse äusserliche Aehnlichkeit haben sollte, deshalb liess er sich eines Tages, um ihm unähnlicher zu werden, Haupt- und Barthaar auf eine gräuliche Weise verschneiden. Meyerbeer selbst in seiner unabänderlich artigen Weise nahm die Sache als einen Scherz auf. Die französischen Musiker sprachen von M. mit der höchsten Achtung: »Ce bon Mendelssohn, quel talent, quelle tête, quelle organisation!« waren Ausdrücke, die man oft von ihnen hören konnte.

Mendelssohn war ein vortrefflicher Schachspieler; ein gut Theil Zeit wurde dem Schachspiel geopfert und seine Combattanten, der Dichter Michael Beer, Bruder Meyerbeer's, und Dr. Hermann Franck konnten ihm nur ausnahmsweise eine Partie abgewinnen. Letzterer wollte es nicht Wort haben, der Schwächere zu sein, und darauf hin hatte Mendelssohn eine Phrase ausfindig gemacht, die er nach jedem neuen Siege unerbittlich wiederholte: »Wir spielen ganz gleich gut – ganz gleich gut – nur spiele ich ein bischen besser.«

Neues scheint M. in Paris nicht sonderlich viel geschaffen zu haben. Ausser den Manuscripten der Walpurgisnacht, des G moll-Concerts, den Hebriden brachte er auch das erste in der Schweiz componirte Lied ohne Worte in E dur mit, welches er Dr. Franck und Hiller vorspielte und es mit dem neuerfundenen, seitdem so vielfach missbrauchten Namen nannte.

Wichtiger aber, als alles bis jetzt von M.'s Aufenthalt in Paris Erwähnte, ist, was nicht alle Freunde M.'s wissen, dass ihm schon hier der Plan zu seinem Oratorium Paulus der Hauptsache nach fest stand. Wir erkennen das aus einem Briefe M.'s an Devrient vom 10. März 1832.


»Ich habe Dich etwas zu fragen, Eduard, antworte mir gleich darauf. Ich soll für den Caecilienverein ein Oratorium machen, und da ich meine Oper auf keinen Fall vor Juli anfangen kann, so habe ich vom nächsten Monat ab noch ein prächtiges Vierteljahr Zeit, und möchte es wohl dazu benutzen, wenigstens einen Theil davon[178] zu machen, da ich mir hier schon Vieles dazu ausgedacht habe. Der Gegenstand soll der Apostel Paulus sein, im ersten Theil: die Steinigung Stephani und die Verfolgung, im zweiten Theil: die Bekehrung, im dritten: das christliche Leben und Predigen und entweder der Märtyrertod, oder der Abschied von der Gemeinde. Die Worte möchte ich aus Bibel und Gesangbuch hauptsächlich und dann Einzelnes frei haben (die kleinen Christengemeindesänge, z.B. die Choräle im ersten Theile, die Vertheidigungsrede des Stephan nähme ich in den Hauptzügen aus der Bibel). Aber ich kann mir das nicht selbst zusammenbringen. Willst Du es thun? Du kennst die Bibel besser als ich und weisst genau, wie ich es meine und es kostete Dich wenig Arbeit. Du wärst der Mann dazu, antworte mir, ob Du magst, so können wir correspondiren; denn Zeit darf jetzt wenig mehr verloren werden.« (Devrient, meine Erinnerungen, S. 136 und 37.)


Devrient fühlte sich nicht im Stande, diesem ehrenvollen Vertrauen zu entsprechen und verwies M. an die schon früher in seiner Jugendgeschichte genannten theologischen Freunde Bauer und Schubring, von welchem namentlich der Letztere durch Zusammenstellung des Textes nach M.'s Angaben sich ein grosses Verdienst um das Zustandekommen nicht des, aber eines der bedeutendsten Meisterwerke des Tondichters erwarb.

In Paris empfing M. mehrere schmerzliche Todesnachrichten, unter andern die von dem Hinscheiden seines Freundes Eduard Rietz, die wir schon erwähnt haben, und seines grossen Freundes Goethe. Ueber die letztere spricht er sich in dem Briefe vom 31. März an die Seinen in Berlin aus: »Goethe's Verlust ist eine Nachricht, die Einen wieder so arm macht! Wie anders sieht das Land aus! Es ist so eine von den Botschaften, deren ich manche schon hier bekommen habe, die mir nun beim Namen Paris immer einfallen werden und deren Eindruck mir durch alle Freundlichkeit, alles Sausen und Brausen und das ganze lustige Leben hier nicht verlöschen wird.« (Reisebriefe, S. 328).

Nachdem M. einen leichten Anfall von Cholera glücklich überstanden, begab er sich nach London, wo seiner mit einer neuen reichen Thätigkeit neue reiche Ehren warteten. Am 22. April desselben Jahres daselbst angekommen,[179] fand er die liebevollste Aufnahme sowohl von seinen alten Freunden, namentlich dem Ehepaar Moscheles, Klingemann und Rosen, als auch den freundlichsten Empfang in den musikalischen Kreisen und bei den Musikern selbst. Er schreibt darüber in seinem Briefe vom 27. April:


»Ich wollte, ich könnte beschreiben, wie froh ich bin hier zu sein, wie mir alles so lieb ist, wie ich über die Freundlichkeit der alten Freunde vergnügt bin – mit Klingemann, Rosen und Moscheles habe ich mich schon wieder so zusammen eingelebt, als seien wir nie auseinander gewesen. Die bilden den Kern meines hiesigen Aufenthalts. – Wir sehen uns alle Tage; es ist mir wieder gar zu wohl, unter guten, ernsthaften Menschen und unter wahren Freunden zu sein, vor denen ich mich weder in Acht zu nehmen, noch sie zu beobachten brauche. Moscheles und seine Frau sind wirklich von einer rührenden Freundlichkeit gegen mich, die mir um so werther ist, je lieber ich sie habe.«


Von dem Empfang der Musiker erzählt er in dem Briefe vom 11. Mai ein allerliebstes Beispiel:


»Sonnabend Morgen war Probe des Philharmonic, in dem aber nichts von mir gegeben werden konnte, weil meine Ouvertüre (die zu den Hebriden) noch nicht ausgeschrieben war. Nach der Pastoralsymphonie von Beethoven, während welcher ich in der Loge war, wollte ich in den Saal, um einige alte Freunde wieder zu begrüssen. Kaum komme ich aber unten hinein, so ruft Einer aus dem Orchester: There is Mendelssohn, und darauf fangen sie alle dermaassen an zu schreien und zu klatschen, dass ich eine Weile nicht wusste, was ich anfangen sollte; und als es vorüber war, ruft ein Anderer: Welcome to him, und darauf fangen sie wieder denselben Lärm an, und ich musste durch den Saal und auf's Orchester klettern und mich bedanken. Seht, das werde ich nicht vergessen; denn es war mir lieber, als jede Auszeichnung; es zeigte, dass die Musiker mich lieb hatten und sich freuten, dass ich kam, und es war mir ein froheres Gefühl, als ich sagen kann.«


Als ausübender Musiker entfaltete er selbst in der kurzen Zeit von kaum mehr als einem Monat in London eine glänzende Thätigkeit. Am 14. Mai wurde die Ouvertüre zu den Hebriden im Philharmonic unter seiner Direction zum ersten male gegeben; M. selbst sagt darüber in dem Briefe vom 18. Mai an seinen Vater: »Es ging prächtig[180] und machte sich ganz seltsam zwischen mancherlei Rossini; die Leute haben aber mich und das Stück ungemein freundlich aufgenommen.« Am 28. Mai spielte er ebenfalls im Philharmonic sein G moll-Concert zum ersten und am 18. Juni zum zweiten mal. Am 26. Mai producirte er in Morris evening concert zum ersten male öffentlich sein eben fertig gewordenes Rondo brillant in Es dur. Am 1. Juni spielte er in Moscheles' Concert mit diesem das Concert für zwei Claviere von Mozart und dirigirte seine beiden Ouvertüren zu den Hebriden und zum Sommernachtstraum. Am 5. Juni probirte er mit Moscheles zuerst das vierhändige Arrangement dieser Ouvertüre als Manuscript; am 10. spielte er in der Kirche zu St. Paul zur Bewunderung aller Hörer Fugen für die Orgel. Am 21. phantasirte er in einer Soirée bei Cartwright, nachdem Paganini gespielt hatte, über einen gesungenen Glee (geistlichen Gesang) von Horsley. Mitten in diese Thätigkeit hinein fiel die Trauernachricht von dem Tode seines alten Lehrers und Freundes Zelter, die M. kaum minder schmerzlich bewegte, als die von dem Tode Goethe's. Er suchte sich von diesem Schlage durch einen kurzen Aufenthalt in Norwood Surrey bei seinem alten Freunde Atwood zu sammeln, wo er schon 1829 glückliche Tage verlebt hatte, und kehrte dann nach der durch ihn so glänzend ausgestatteten Saison in London, endlich am 23. Juni nach Berlin zurück.

1

Hensel, die Familie Mendelssohn, Bd. I, S. 217 u. ff.

2

Hensel, die Familie Mendelssohn, Bd. I, S. 220.

3

Hensel, die Familie Mendelssohn, Bd. I, S. 225 u. ff.

4

Hensel, a.a.O., Bd. I, S. 234.

5

Das Weitere mögen freundliche Leser bei Hensel a.a.O., Bd. I, S. 244 u. ff. nachlesen.

6

Hensel, a.a.O., Bd. I, S. 264–280.

7

Zum ersten male öffentlich aufgeführt in Leipzig am 20. April 1851 im Theater (?).

8

Devrient, meine Erinnerungen an F.M.B., S. 104.

9

Karl Mendelssohn B. giebt in seiner Schrift »Goethe und F.M.B.«, S. 41–43 den grössten Theil dieses Briefes, und einen Auszug des zweiten Reiseberichts an Goethe, Rom, 5. März 1831, S. 43 u. 44.

10

Erst den 29. October 1868 wurde sie zum ersten male im Leipziger Gewandhausconcert gegeben, dann noch einmal 1873 am 27. November, beide male ohne durchschlagenden Erfolg; seitdem nicht wieder.

11

Bärmann, Vater und Sohn, zwei ausgezeichnete Virtuosen, der Vater auf der Clarinette, der Sohn auf dem Bassetthorn. M. componirte für sie zwei allerliebste Duos, als Vergeltung für ein Gericht Bairischer Dampfnudeln, die sie ihm bereiteten, während er componirte.

12

Man lese die beiden herrlichen Briefe in M.'s Briefen aus den Jahren 1833–47, S. 320 u. 374.

13

Der vortreffliche Baritonist, am Kärnthnerthortheater, später Director des Conservatoriums in München, Hauser, hatte, abgesehn von dem Fluchen, mit seiner Klage nicht so ganz Unrecht. Es ist schade, dass unter den Liedern Mendelssohn's, mit Ausnahme der drei in Op. 84, so wenige für Bariton oder gar Bass bequem liegen. Transponirt verlieren sie sehr. Desto mehr freilich sind es die beiden Hauptpartieen Paulus und Elias.

14

Seltsamer Weise ist nur ein einziger dieser Briefe in die gedruckte Sammlung M.'scher Briefe aufgenommen.

15

Aehnliches konnte M. in vielen anderen italienischen Kirchen erleben. So hörte ich selbst z.B. in der Kirche S. Maria maggiore in Trient, dem Orte des Tridentiner Concils, mit der prahlerischen Aufschrift: »Grösseres sah die Welt nicht,« den Organisten zum Schluss des Gottesdienstes »Casta Diva« aus Norma spielen. Der Italiener braucht eben die Musik in der Kirche mehr zur Unterhaltung als zur Erbauung.

16

Reisebrief, S. 31–33.

17

Nach den Reisehandbüchern Monte di Fo, einige Miglien von Filigare.

18

Raphael's Geliebte, die Bäckerin, von ihm selbst gemalt. Man sagt, er habe sich vom Papst Leo X. die Erlaubniss erbeten, sie selbst in den Vatican mit hineinnehmen zu dürfen, als er an den Stanzen malte.

19

Plastische Gruppe, Nachbildung eines der erhabensten Meisterwerke von Scopas' Hand, griech. Bildhauer, blühte um 390 bis 350 v. Chr.

20

Das grandioseste Denkmal der römischen Kaiserzeit, Flavius Vespasians Amphitheater, vollendet unter Titus 80 n. Chr. In dieser gewaltigen Ruine führte M. einst ein sehr ernstes Gespräch mit Hector Berlioz, dessen Unglauben an die persönliche Unsterblichkeit er kräftig zurechtwies.

21

Op. 23, Nr. 3.

22

Op. 23, Nr. 1 und 2.

23

Karl Mozart, der älteste Sohn Wolfgang Amadeus Mozart's, den M. in Mailand kennen lernte und an dessen Bekanntschaft er sehr viel Freude hatte.

24

Noch am 18. März 1886 im neuen Gewandhaus zu Leipzig unter Leitung des hochverdienten Jubilars Prof. Dr. Carl Reinecke aufgeführt.

25

Heinrich Behr, der vortreffliche Opernsänger, nachmals Theaterdirector in Rostock, Köln u.s.w., im Mendelssohn'schen Hause stets gern gesehen, und Felix M. speciell befreundet, der ihm zum Danke für seine Mitwirkung bei der Walpurgisnacht ein schönes Exemplar des Clavierauszuges mit eigenhändiger Dedication verehrte.

26

Es hiesse Eulen nach Athen tragen, wenn man versuchen wollte, diese vorzügliche Composition Mendelssohn's, unter seinen Claviersachen vielleicht die am meisten populär gewordene, die den Rundgang durch die ganze gebildete Welt gemacht hat und überall mit dem lebhaftesten Beifall aufgenommen worden ist, hier erst noch eines besonderen Lobes oder einer tiefer eingehenden Analyse zu unterziehen. Es sei hier nur im Allgemeinen bemerkt, dass die drei an einanderhängenden Sätze, Allegro con fuoco in G moll, Andante in E dur und Presto in G dur ein vollkommen harmonisches mit den reizendsten Melodien, chromatischen Läufern, Octaven,-Sextengängen und Trillern ausgestattetes Ganze bilden, welches das Herz jedes nur einigermaassen musikalischen Hörers mit unendlicher Befriedigung erfüllen muss. Der erste Satz, eingeleitet durch ein gewichtiges Tutti mit Paukenwirbel trägt keine Spur von weichlicher Sentimentalität, wie sie die gewählte Tonart mit sich bringen könnte, sondern hat eher einen romantisch-heroischen Zug; der zweite Satz, der durch eine Trompetenfanfare in G dur nach H dur, und durch den Dominantenseptimenaccord von H zu einem Andante in E dur hinüberleitet, wirkt unbeschreiblich beruhigend und wunderlieblich, der dritte in G dur schliesst in triumphirender Freude, in welche das Orchester jubelnd einstimmt.

27

Im Princip hatte er wohl recht, denn eine freie Phantasie, die gespiest werden muss, weil sie auf dem Zettel steht, ist ein Widerspruch in sich selbst. Doch kann es Ausnahmen geben, wenn der Componist dazu in sich selbst den Impuls fühlt. Ich erlebte davon ein wundervolles Beispiel, als M. im letzten Abonnementconcert des Jahres 1836 am 12. December nach Aufführung des Finales aus Fidelio von Beethoven, den Bitten des begeisterten Publicums nachgebend, sich an den Flügel setzte und eine wirklich freie Phantasie über das Thema: »Wer ein holdes Weib errungen,« zum Besten gab. Es war das letzte Concert, bevor er zu seiner Braut nach Frankfurt ging; eine Familienfeier im grossen Styl. Der Jubel war unermesslich.

28

Der Director des Vereins, mit dem M. sogleich in innige freundschaftliche Verbindung trat und darin blieb.

Quelle:
Lampadius, Wilhelm Adolf: Felix Mendelssohn Bartholdy. Ein Gesammtbild seines Lebens und Wirkens. Leipzig: Leuckart, 1886., S. 59,181.
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