33

[31] Original: im Mozarteum zu Salzburg.

Adresse von Nissens Hand: A Monsieur Charles Mozart, Piazza del duomo, Casa Alodi, No. 1025


An Karl Mozart in Mailand


Wien, am 11. Juni 1806.


Lieber Karl!


Da ich wußte, daß Du sowohl von Asioli als auch von Pinali Nachricht von mir erhalten würst, verweilte ich bis jetzt mit meinem Briefe an Dich. Ich hatte herzliche Freude über die so guten Nachrichten von Asioli in betreff Deiner. Fahre fort recht fleißig zu sein und glaube, daß mir nichts leider thut als daß ich selbst Dir nicht helfen kann. Gerne wollte ich Tag und Nacht bei Dir am Clavier sitzen, um das, was Du durch so viele Jahre versäumt hast, einzubringen. Nun aber bin ich beschäftigt, Dir so viel Musique zu schicken als ich kann; allein die [Mozartschen] Partituren, die Du [von][31] mir begerst, kann ich nicht schicken, weil ich sie selbst nicht habe1. Die einzige Partitur, die ich habe, ist das Requiem von Deinem Vatter, die Du auch haben sollst, weil ich eine Gelegenheit gefunden habe, die sie [nach Mailand] mitnehmen will. Dabei sollst Du welche Stücke der Partitur von der Clemenza [di Tito von W.A. Mozart] beigelegt bekomen, bis sich wieder eine Gelegenheit findet. Indeßen schreibe mir, was Du alles von Deinem Vater hast, und ob Du nicht auch was anders von ihm brauchen kannst.

Was Dein Begeren im letzten Briefe betrifft, nämlich daß ich Dich an Graf Litta empfehlen soll, kann ich nicht thuen, weil ich niemand von der ganzen Familie kenne und ich es durch andere Wege lächerlich finde zu thuen, um so weniger da Dein Freund Asioli mit der Marchisa Gherardini2 in großer Freundschaft und Verständniße stehet, und Du gewiß schon hinlänglich durch ihn empfohlen bist. Hast Du aber vielleicht eine andere Absicht, so schreibe mir sie. Ich werde Wege suchen, Dich so viel wie möglich empfehlen zu laßen, weil, wie gesagt, ich es nicht thuen kann. Es würde meinerseits bettelhaft und aufgedrungen sein und Dir doch nicht nützen. Ein anders würde es sein, wenn dies Leute von der Musique wären, aber so gehet es durchaus nicht an3. Nissens Bekannte, die Dich bei Litta4 empfehlen könnten, kenne ich nicht, und den Bruder desselben, der hier ist, kenne ich auch nicht Ich kenne von den Bekannten der Littaischen Familie nur einen Herrn Carpani5. Sollte dessen Empfehlung Dir nutzen, und ist es vernünftig, daß Du auf solche Weise empfohlen wirst, wovon ich aber die Nothwendigkeit einsehen muß, so sollst Du dessen Empfehlung erhalten. Wenn Nissen die Nothwendigkeit und den Nutzen einsieht, so wird er Dich durch den Marchese Rosales[32] empfehlen lassen. Da Du schon so ausgezeichnete Bekannte hast, so ist es, ohne besondere Ursache, am ehrenvollsten und beßten, Dich bey den übrigen Leuten durch Deine Aufführung zu empfehlen.

Dein Bruder wird Dir die Variazionen6, die im Stich erschienen sind, so wie auch das Quartetto7 im Stich überschicken. Dann hat er ein Trio componirt, welches er gerne Deinem Meister Asioli dediciren möchte, fürchtet aber, da dies doch nur erst Lehrstücke sind, sich keine Ehre bei ihm zu machen.

Vorgestern ist unsere alte Sabinde begraben worden. Gott habe sie seelig! Sie sprach oft und viel von Dir. Wendling [?] ist noch der alte und gibt mir so wie alle Bekannte und Verwande allzeit viel an Dich auf. Die Nanette Lange8 ist forige Woche als Zerlina im Don Giovanni zum ersten Mahl aufgetreten; gefiel ziemlich; allein ich fürchte, daß sie zu späde auf das Theater gegangen ist, denn sie hat nicht viel Stimme, und in dem Alter, wie sie ist, bekomt man auch keine mehr. Die Sophie ist noch Sophie Weber; aber wie ich hoffe nicht mehr lange. Adieu! Ich, der Bruder und Nissen, wir küßen Dich alle herzlich.

Deine Mutter Mozart.


[Nachschrift:] Wegen Deiner Frage in Deinem vorletzten Brief wollen wir lieber natürlich bleiben; in wiederigen Falle liefen wir Gefahr, daß unsere Briefe aufgehalten würden9. Verstehst du mich?

Fußnoten

1 Den größten Teil der von W.A. Mozart hinterlassenen musikalischen Handschriften (Partituren, Entwürfe, Abschriften usw.) hatte der bekannte Musikalienverleger Anton André (1775 bis 1842), in Offenbach, 1799 für 1000 Karolin (16000 Gulden) erworben.


2 Der Komponist Asioli lebte von 1787–1796 in Turin, begleitete dann die Marchesa Gherardini nach Venedig und kam mit ihr 1799 nach Mailand.


3 In letzteren Worten hören wir Nissen, den Diplomaten, reden. Die folgenden Zeilen, die in Kursiv gedruckt sind, hat Nissen eigenhändig eingefügt.


4 Poinpeo Graf Litta (1781–1852), Historiker in Mailand.


5 Giuseppe Carpani (1752–1825), Musikschriftsteller in Mailand, heute nur noch bekannt durch seine kuriose literarische Fehde mit Stendhal (Henri Beyle); vgl. Arthur Schurig, Das Leben eines Sonderlings (Leipzig, Insel-Verlag 1921), S. 445; auch: Stendhal, Briefe über den berühmten Komponisten Joseph Haydn (Wien bei E.P. Tal & Co, 1922), S. 157 ff.


6 Variationen; im Mozarteum nicht vorhanden.


7 Gemeint ist hier: Opus 1 des Sohnes W.X. Mozart: Klavier-Quartett, G-Moll, Wien, bei Steiner. (Drei Begleitstimmen.) Eine leider noch unvollständige Sammlung der Werke von Wolfgang Xaver Mozart (1791–1844) besitzt die Bibliothek des Mozarteums in Salzburg. (Vgl. Jahresberichte des Mozarteums XXXII v.J. 1912, S. 22 ff.) Eine Chronologie dieser Kompositionen fehlt noch.


8 Eine Tochter von Joseph und Aloisia Lange.


9 Durch die Zensur der k.k. Polizei, die bekanntlich damals in der Lombardei alles durchschnüffelte. Offenbar hatte Karl Mozart eine chiffrierte Verständigung vorgeschlagen.


Quelle:
Mozart, Constanze: Briefe, Aufzeichnungen, Dokumente 1782 bis 1842. Dresden 1922, S. 33.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Gellert, Christian Fürchtegott

Die Betschwester. Lustspiel

Die Betschwester. Lustspiel

Simon lernt Lorchen kennen als er um ihre Freundin Christianchen wirbt, deren Mutter - eine heuchlerische Frömmlerin - sie zu einem weltfremden Einfaltspinsel erzogen hat. Simon schwankt zwischen den Freundinnen bis schließlich alles doch ganz anders kommt.

52 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon