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[66] Original: im Mozarteum zu Salzburg


Nikolaus und Konstanze v. Nissen an Karl Mozart in Mailand

(geschrieben von Nissens Hand)


Wien, am 13. Juni 1810.


Mein lieber Carl,


da nun die Zeit unserer Abreise [nach Kopenhagen], die Sie recht schön eine neue Trennung nennen, sich mit starken Schritten nähert, so will ich nicht den letzten Augenblick, in welchem sich so leicht etwas vergessen oder versäumen läßt und da man leicht durch die Nothwendigkeit verhindert seyn kann, abwarten, um Ihnen allerhand zu sagen, was Sie zu wissen haben. Ich ergreife die Feder heute den 11. Mai, wiewohl noch weder Tag noch sogar die Woche bestimmt ist, da wir Österreich ewiges Lebewohl sagen.[66]

Sie wissen, daß Ihr großer Vater kein Vermögen, sondern Schulden und ein unbedeutendes Mobiliar hinterließ, welches letztere bey weitem nicht so viel betrug als Ihrer Mutter im Heirathscontracte zugesagt war. Indessen wurde es taxiert und Ihrer Mutter dagegen überlassen, daß sie nach dessen Verhältniß ihren Kindern eine Summe bestimmte und deponirte. Diese Summe war für jedes 200 Gulden. Nach der hiesigen sehr guten Einrichtung müssen die Pupillargelder in öffentlichen Fonds angelegt werden. Demzufolge ward eine Oberkammeramtsobligation No. 9234 vom 7. Februar 1793 auf 400 Gulden gekauft und im magistratischen Depositenamt niedergelegt, wofür Ihr Vormund und Onkel, der Regisseur Mayer1 bey dem k.k. Theater an der Wien, einen amtlichen Schein in Händen hat. Die Obligation ist zu 4 pC. und Ihre Mutter hat mit Recht bisher, das heißt bis 7. Februar 1810 inclusive, die Zinsen erhoben. Nun wird sie sie aber nicht mehr erheben. Seit dem Augenblicke, da Sie mündig sind, hängt es von Ihnen ab, Ihren Theil zu haben, allein jetzt noch nur gar sehr geschmälert. Für die Ausfuhr einer Erbschaft in das Ausland wird eine Steuer erlegt. Obligationen zu 4 pC gehen jetzt bey weitem nicht für voll und werden noch dazu von dem Käufer (denn dem Kaiser hönnen keine aufgekündigt werden) natürlicher Weise nur in Bankzetteln bezahlt, welche vermöge des Stands des Courses viel verlieren. Der Cours kann besser werden; die Obligationen können al pari zu stehen kommen. Also schon aus dieser Ursache ist es nicht räthlich, sich jetzt das Geld bezahlen zu lassen; und um die obenerwähnte Steuer zu ersparen, ist es vollends vernünftig, damit zu warten, bis Sie einmal auf kürzere oder längere Zeit wieder hier sind. Alsdann kann Ihr Vormund eine Eingabe von Ihrer Majorennität machen, worauf Sie Ihren Anteil an Capital und Zinsen vom 7. Februar 1810 exclusive an erhalten.

Ihre Mutter hat durch ihre Reisen, durch die Aufführung von Concerten, sowie durch den Verkauf der Originalpartituren Ihres seligen Vaters (von dessen Handschrift sie nur noch eine Menge schätzbarer Fragmente und Entwürfe hat) das Glück gehabt, nicht nur die Schulden zu bezahlen, sondern sich auch ein kleines Capital zu sammeln. Dieses wird mit der Hülfe[67] des Himmels nicht geschmälert werden, und die Hälfte erwartet Sie in dem Zeitpunkte, von dem Sie und ich wünschen, daß er auf das weiteste entfernt seyn möge. Sie wird fortfahren, davon die Zinsen oder Einkünfte zu beziehen; aber die Papiere für dieses Vermögen bleiben hier bis weiter deponiert bey dem Kaufmann Johann Georg von Scheidlin.

Unsere Adresse ist künftig diese:


N[issen,]

Chevalier de l'Ordre du Dannebrog, Conseiller de légation de S.M. Danoise, son ancien Chargé d'affaires près la Cour Imperiale d'Autriche.

Chez M.M. les frères Tutein

oder: bey den Herren Gebrüdern Tutein

Copenhague.


Daß Ihre Briefe, so häufig sie auch seyn mögen, uns herzliches Vergnügen machen werden, brauche ich wohl nicht auszudrücken. Damit aber eine gewisse Ordnung bestehe, so macht Ihre Mutter es Ihnen zur Pflicht, wenigstens gleich bey dem Anfange jedes zweyten Monats zu schreiben. Bedenken Sie, daß wir, wenn Sie dieses nicht thuen, uns Unruhe und Kummer machen. Es versteht sich, daß Sie uns außerdem jedes Mal sogleich melden, wenn sich irgend eine Veränderung mit Ihnen zuträgt, und uns bey gewechseltem Aufenthalte die genaue Zeit und eine genaue Adresse anzeigen. Sie schreiben uns in der That viel zu wenig von sich selbst. Machen Sie es allenfalls wie ich. Ich habe immer Papiere zu Briefen an meine gewöhnlichen Correspondenten liegen. Sobald mir etwas in den Sinn kommt, was diesem oder jenem angenehm, interessant oder nützlich seyn kann, schreibe oder notire ich es auf dem für ihn bestimmten Papier. Sie denken gewiß oft an uns, wie wir an Sie. Schreiben Sie Ihre Gefühle nieder! Fragen Sie sich von dem, was Sie hören, sehen oder empfinden, und was Sie thuen und was Ihnen widerfährt: was darunter wir wohl gerne von Ihrer Hand lesen möchten und was Sie uns mittheilen würden, wenn wir beysammen wären. Die herrliche Erfindung des Briefwechsels soll die mündliche Unterhaltung ersetzen. Ihre Briefe könnten dies vollkommener thuen als es bisher der Fall ist. Dasselbe, was einer Unterredung Werth giebt, giebt auch[68] den Briefen Werth. – Noch eine Regel für den Briefwechsel in das Ausland. Fahren Sie fort, immer dünnes Papier zu brauchen; sorgen Sie für gute Dinte (die Ihrige ist gewöhnlich zu blaß, incommodirt die Augen oder schlägt durch); nehmen Sie keinen Streusand; schreiben Sie enge und brauchen Sie nur im Nothfalle Couverte. In einigen Ländern werden couvertirte Briefe, wenngleich noch so dünne, wie doppelte bezahlt, und allenthalben steigt das Porto. Freylich an Fremde, denen man Achtung schuldig ist, muß immer couvertirt und nicht enge geschrieben werden. Auch zu Couverten ist feines Papier räthlich. Das Postporto richtet sich nach dem Gewicht der Briefe. – Ich habe immer vergessen Ihnen zu berichten, daß die chymische Drukkerey hieselbst Ihr und Ihres Bruders vereinigtes Portrait, als ein Tableau brüderlicher Zärtlichkeit, über einige Zeit in Kupfer stechen lassen wird2. Es bleibt nach uns zurück von diesem Portrait eine vortreffliche Copie des eigenen Meisters Hansen,3 bei dem k. dänischen Legationsrath v. Pilgramm, wohnhaft im Baron Fellnerschen Hause auf dem hohen Markte, hintere Stiege, im 3. Stock, an welchen Sie, wenn Sie einmal herkommen, oder auch schriftlich sich wenden können und stets einen willigen und soliden Freund und Rathgeber finden werden. – Das Clavier4 Ihres seligen Vaters ist Wolf geschenkt worden und steht jetzt in der chymischen Drukkerey zu seiner Disposition. Ein Spinettel5, das mozartisch war oder gewesen seyn soll, ist dem Doctor Lichtenthal gegen seinen Schein, daß er es auf Verlangen wiederhergiebt, anvertraut worden. – Lassen Sie sich durch den Inhalt dieses Briefes nicht abhalten, uns noch einen Brief hieher zu adressiren. Auf einige wenige Tage kann ich noch immer heute (den 13. Juni) unsere Abreise nicht bestimmen, die aber gewiß kurz nach dem Ende des gegenwärtigen Monats statthaben wird. Sollte Ihr Brief uns nicht mehr treffen, so ist auf der Post[69] die Anstalt getroffen, daß er uns gleich nachgeschickt wird. – Unsere letzten waren vom 7. Mai und vom 22. Mai. Täglich hatten wir einen von Ihnen erwartet, besonders seitdem der Hr. Generalsekretär uns am 15. Mai mit der Sie betreffenden Nachricht erfreut hat. Wir müssen glauben, daß einer von Ihnen gleichen Inhalts verloren gegangen ist. Tragen Sie doch ja, wie ich, immer Ihre Correspondenz selbst auf die Post. Wir wünschen Ihnen vom Herzen Glück und freuen uns mit Ihnen. Geben Sie uns bald Nachricht, welches der eigentliche Name Ihres Amts ist, was Sie nun heissen, worin Ihre Geschäfte bestehen, und welche Gage und Agrements, z. Ex. ob Wohnung und Tafel damit verbunden ist. Der Hr. Generalsekretär, den ich Sie bitte, unsere beste Empfehlung und vorläufige Danksagung zu machen (ich werde die Ehre haben, ihm aus Copenhagen zu schreiben) meldet uns nur folgendes: Enfin il est au service de la Maison Royale à la Pagerie, et il en paroit content. Je désire qu'il le soit positivement. Pour son mérite personel, pour la satisfaction de Me sa mère etc., M. le Gouverneur, près duquel il se trouve en qualité de sécrétaire, m'en a déjà fait des éloges. Je ne manquerai pas de faire quelque chose de plus à son égard à la première circonstance favorable. – Da Ihr Brief, den wir für verloren halten, vielleicht nur unterwegs ist, so behalten wir uns vor, Ihnen darauf noch von hieraus zu antworten. Heute muß ich schließen. Wir wünschen, daß das Clavier in gutem Stande angekommen seyn möge, und sind stets


Ihre zärtlichen Eltern

Constance Nißen Nissen.

Fußnoten

1 Josepha Hofer geb. Weber (1758–1819), Konstanzens älteste Schwester, hatte am 23. Dezember 1797 in zweiter Ehe den Sänger und Schauspieler Friedrich Sebastian Mayer (1773 bis 1835) geheiratet.


2 Vgl. Ikonographie S. 100 unter Nr. 17. Der Stich, nach dem Ölgemälde (heute im Mozartmuseum) von Hans Hansen (gemalt 1798), ist später in Nissens Mozartbiographie aufgenommen worden. Vgl. auch S. 128.


3 Hans Hansen (1769–1828), geboren in Skjelly auf der Insel Seeland, von 1797 an in Deutschland, verheiratete sich um 1802 in Wien, ging 1803 nach Rom, 1804 nach Wien und 1805 zurück nach Kopenhagen. Bis 1826 Akademielehrer. Sein ältester Sohn (geb. 1803 in Rom) ist der Maler Konstantio Hansen.


4 Wohl das heute im Mozartmuseum zu Salzburg stehende Klavichord (Spinett).


5 Verschollen!


Quelle:
Mozart, Constanze: Briefe, Aufzeichnungen, Dokumente 1782 bis 1842. Dresden 1922, S. 70.
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