Vorwort

Nachdem es mir vor zwei Jahren vergönnt war, aus den reichen handschriftlichen Schätzen des Salzburger Mozarteums die


Reise-Aufzeichnungen Leopold Mozarts

1763–1771


in Faksimile herauszugeben und damit eine wichtige Quelle zur Jugendgeschichte W.A. Mozarts endlich aller Welt zugänglich zu machen, folgen hier die


Briefe und Aufzeichnungen der Frau Konstanze Mozart

aus der Zeit von 1782–1842,


soweit sie erhalten und zugänglich sind. Die Originale ruhen zum größeren Teile im Mozarteum; etliche sind verstreut, meist in Privatbesitz. Gern hätte ich die dreißig bis vierzig Geschäftsbriefe hinzugefügt, die Konstanze an die Musikalienverleger Breitkopf & Härtel in Leipzig in den Jahren 1798 ff. und 1826 ff. gerichtet hat, aber die Firma legt Wert darauf, daß diese Briefe einmal gesondert – wann, wissen die Götter! – gedruckt werden. Ebensowenig war die Verwaltung des Heyerschen Musikhistorischen Museums in Köln zu bewegen, mir ihre Konstanze Mozart- Briefe zu überlassen. Daran ist nichts zu ändern, und schließlich genügen auch die hier vereinten Dokumente, um sich ein einheitliches Bild von der Frau zu machen, die durch ihre Verbindung mit dem Meister seinem Lebensgange die entscheidende Richtung gegeben hat. Einen Zweck an sich haben derlei Publikationen nur in seltenen Fällen; sie geschehen im Sinne der höheren Forderung: die Materialien zur Biographie führender Männer müssen lückenlos vereint in Buchform vorliegen. Daß dies bei Wolfgang Amade Mozart so ungeheuerlich spät geschieht, lag vor allem an dem langjährigen Sekretär und Archivar des Mozarteums, Johannes Evangelist Engl (1835–1921), dem beschränktesten[9] Kopfe, dem ich in meinem erlebnisreichen Leben je begegnet bin. Er verschloß die von ihm gehüteten Dokumente grundsätzlich jedem Mozartforscher; und jede Zeile, die dieser Mann in seinem miserablen Provinzdeutsch geschrieben hat, strotzt von Irrtum oder Irreführung. Dies muß einmal geradeheraus gesagt werden, denn nirgends in der Welt ist die Heuchelei und Scharlatanerie größer als im sogenannten Mozartkult zu Salzburg, der mit Mozarts Geist nichts zu tun hat. Wer sich davon überzeugen will, besuche die Salzachstadt während derFestspielzeit, d.h. im Monat August, wenn die internationalen Musik- und Literaturjobber aus Berlin und Wien dort ihr Unwesen treiben.

Ich hoffe in zwei, drei Jahren als dritte und letzte Quellensammlung alle Briefe zu vereinen, die sich von Karl Mozart (1784–1858) und Wolfgang Xaver Mozart (1791–1844) erhalten haben.

Gleichzeitig mit der vorliegenden Konstanze Mozart-Monographie erscheint der Neudruck meiner seit 1919 vergriffenen großen Mozart-Biographie (im Insel-Verlage zu Leipzig; Erstausgabe 1913), durchgesehen, ergänzt, bereichert und von unnötig gewordener Polemik befreit.

Im vorliegenden Buche kommt Konstanze Mozart-Nissen, soweit es möglich war, ungekürzt zu Wort. Um das Verständnis, zumal ausländischen Lesern – Mozart gehört der Welt! – nicht unnötig zu erschweren, ist die Interpunktion ergänzt, wo sie in der Urschrift mangelhaft ist. Auch in Konstanzens Schreibweise der Wörter ist eine gewisse Einheitlichkeit gebracht. Nur, wo ihre Un-Orthographie ihren Bildungsgrad kennzeichnet – mit den Fremdwörtern z.B. hat sie zeitlebens auf gespanntem Fuße gestanden – war eine Verbesserung nicht gut möglich.

Konstanzens Charakterbild wird fortan für jeden feststehen, der die hier vereinten Dokumente studiert, unabhängig von der allzustark durch Otto Jahn (1813–1869) beeinflußten Tradition. Als ich meine eben erwähnte Mozart-Biographie schrieb, kannte ich diese Materialien leider noch nicht, und so habe ich inzwischen meine Meinung über Frau Konstanze erheblich zu ihren Gunsten ändern müssen, was ich gern eingestehe. Man hat ihr unrecht getan. Eine bedeutende Frau war sie nicht. Sie gehört gewiß nicht in die Reihe strahlender Gestalten, die in ihrer Gemeinschaft mit einem homme supérieur, als Freundin, Geliebte oder Gattin, den Beruf erkennen. In den[10] zehn Jahren, da Konstanze neben Wolfgang Amade dahinschritt, gehörte Mozart – nach Arthur Schopenhauers bekannter Einteilung – nicht zu denen, die etwas vorstellen. Er besaß weder Geld, Rang noch Würden; kurz, er imponierte dem Spießbürger nicht – und Konstanze hatte ein ander Maß nicht zur Verfügung.Er hat sein Leben, so armselig es äußerlich war, nicht tragisch genommen. Der Wirklichkeit, dem Leben der Anderen, dem Kampfe mit der Mittelmäßigkeit war er nicht gewachsen; darum begnügte er sich, das Glück der holden Stunde zu genießen. Seine noch junge Frau ahmte seinem Beispiele nach. So haben sie sich beide sozusagen um nichts gekümmert. Im Grunde aber ist Konstanze immer die gleiche geblieben: als Mademoiselle Weber, als Frau Musikus Mozart, als Frau Etatsrätin v. Nissen. Sie pflegte sich den Umständen, ihrem Führer und dessen Maximen, triebmäßig und echt weiblich, anzupassen. Und als sie im Alter von 63 Jahren zum zweitenmal Witwe ward, zeigen sich in ihrer nunmehrigen Selbständigkeit ihre Haupteigenschaften, durch die lange Lebenserfahrung vielleicht etwas geläutert, ganz deutlich: Wirtschaftlichkeit, ungemeine Hochachtung vor der Konvenienz, Anhänglichkeit, Familiensinn – und tüchtige Selbstliebe. Ihre spaßige Bigotterie ist wohl schon Altersschwäche. Kleinlich, eitel, habgierig, abergläubisch und klatschhaft war sie sicherlich; alles in allem ein primitives, lebenslustiges, gutmütiges Geschöpf. Eines darf nicht vergessen werden: ihren beiden Söhnen war sie eine gar treffliche Mutter.

Dem Kuratorium des Mozarteums danke ich verbindlichst, insbesondere dem Bibliothekar des Mozarteums, Herrn Friedrich Frischenschlager. Dem ausgezeichneten Mozartforscher, dem Ritter Rudolf Lewicki, dem unermüdlichen Vorkämpfer in Sachen Mozarts, verstorben in Wien am 8. Februar 1921, vermag ich meinen herzlichen Dank nur nachzurufen. Es ist in hohem Maße bedauerlich, daß die von ihm begründeten und geleiteten Mozarteums-Mitteilungen (1918–1921) mit ihm dahingegangen sind.


Dresden, am Geburtstage Mozarts 1922

Dr. Arthur Schurig

Quelle:
Mozart, Constanze: Briefe, Aufzeichnungen, Dokumente 1782 bis 1842. Dresden 1922, S. IX9-XI11.
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