§. 1.

[122] Daß der Bogenstrich alles unterscheide, haben wir schon in dem vorhergehenden Hauptstücke in etwas eingesehen. Das gegenwärtige wird uns gänzlich überzeugen, daß der Bogenstrich die Noten belebe; daß er bald eine ganz modeste, bald eine freche, bald eine ernsthafte, bald eine scherzhafte, itzt eine schmeichelnde, itzt eine gesetzte und erhabene, itzt eine traurige, itzt aber eine lustige Melodie hervorbringe, und folglich dasjenige Mittelding sey, durch dessen vernünftigen Gebrauch wir die erst angezeigten Affecten bey den Zuhörern zu erregen in den Stand gesetzet werden. Ich verstehe, wenn der Componist eine vernünftige Wahl trifft; wenn er die ieder Leidenschaft ähnlichen Melodien wählet, und den gehörigen Vortrag recht anzuzeigen weis. Oder wenn ein wohlgeübter Violinist selbst eine gesunde Beurtheilungskraft besitzet, die, so zu reden, ganz nacketen Noten mit Vernunft abzuspielen; und wenn er sich bemühet den Affect zu finden, und die hier folgenden Stricharten am rechten Orte anzubringen.

Quelle:
Leopold Mozart: Versuch einer gründlichen Violinschule. Wien (1922), S. 122.
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