§. 20.

[134] Es ist aber nicht genug, daß man dergleichen Figuren nach der angezeigten Strichart platt wegspiele: man muß sie auch so vortragen, daß die Veränderung gleich in die Ohren fällt. Freylich gehörte eine dergleichen Lehre des schmackhaften Vortrags in eine eigene Abhandlung: Von dem guten musikalischen Geschmack. Allein warum soll man denn nicht bey guter Gelegenheit auch etwas vom guten Geschmack mitnehmen, und den Schüler an einen singbaren Vortrag gewöhnen? Ein Anfänger wird dadurch geschickter die Regeln des Geschmackes seiner Zeit besser einzusehen; und der Lehrmeister hat alsdann nur halbe Mühe solche ihm beizubringen. Wenn nun in einem musikalischen Stücke 2. 3. 4. und noch mehr Noten durch den Halbcirkel zusammen verbunden werden, daß man daraus erkennet, der Componist wolle solche Noten nicht abgesondert sondern in einem Schleifer singbar vorgetragen wissen: so muß man die erste solcher vereinbarten Noten etwas stärker angreifen, die übrigen aber ganz gelind und immer etwas stiller daran schleifen. Man versuche es in den vorigen Beyspielen. Man wird sehen, daß die Stärke bald auf das erste, bald auf das andere oder dritte Viertheil, ja oft sogar auf die zwote Helfte des ersten, zwoten oder dritten Viertheils fällt. Dieß verändert nun unstreitig den ganzen Vortrag: und man handelt sehr vernünftig, wenn man diese und dergleichen Passagen, sonderheitlich die vier und dreyssigste, anfangs recht langsam abspielet; um sich die Art ieder Veränderung rechtschaffen bekannt, nachdem aber erst durch eine fleissige Übung geläufiger zu machen.

Quelle:
Leopold Mozart: Versuch einer gründlichen Violinschule. Wien (1922), S. 134-135.
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