§. 4.

[5] Mit vier Seyten wird die Violin bezogen, derer iede, seiner richtigen Abtheilung nach, grösser als die andere seyn muß. Ich sage, nach seiner richtigen Abtheilung: Denn, wenn eine Seyte gegen die andere etwas zu schwach oder zu stark ist, so kann unmöglich ein gleicher und guter Ton herausgebracht werden. Sowohl die Herren Violinisten, als auch die Geigenmacher bestimmen diese Austheilung nach dem Augenmaaß; und es ist nicht zu leugnen, daß es oft sehr schlecht damit zugehet. Man muß in der That mit allem Fleiß an das Werk gehen, wenn man die Violin recht rein beziehen will; und zwar so: daß die[5] Seyten nach der wahren Beschaffenheit der Intervallen, nach welchen sie von einander abstehen, ihre richtige Verhältnisse, und folglich die richtige Töne gegen einander haben. Wer sich Mühe geben will, der kann eine Probe nach mathematischer Lehrart machen, und zwo feine gut ausgezogene Darmseyten aussuchen; es sey ein (A) und (E) ein (D) und (A) oder ein (D) und (G): deren iedoch iede vor sich, so viel möglich, eine gute Gleichheit hat. Das ist: der Diameter oder Durchschnitt der Seyte muß gleich groß seyn. An iede dieser zwoen Seyten können Gewichte von gleicher Schwere gehänget werden. Sind nun die zwo Seyten recht aus gesucht; so müssen sie, bey dem Anschlagen derselben, das Intervall einer Quint hervorbringen. Klingt eine gegen die andere zu hoch, und überschreitet die Quint; so ist es ein Zeichen, daß selbige zu schwach ist, und man nimmt eine stärkere. Oder, man verändert die zu tief klingende, und leset sich dafür eine feinere aus: denn sie ist zu stark. Auf diese Art wird so lange fortgefahren, bis man das Intervall einer reinen Quint gefunden; alsdann haben die Seyten ihr richtiges Verhältniß und sind wohl ausgesucht. Allein, wie schwer ist es nicht, solche gleichdicke Seyten anzutreffen? Sind sie nicht mehrentheils an einem Ende stärker, als an dem andern? Wie kann man mit einer ungleichen Seyte eine sichere Probe machen? Ich will also nochmalen erinneret haben, daß man bey Auslesung der Seyten den möglichsten Fleiß anwenden, und nicht alles so hin auf Gerathewohl machen solle.

Quelle:
Leopold Mozart: Versuch einer gründlichen Violinschule. Wien (1922), S. 5-6.
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