§. 5.

[12] Nicht viel gründlichers finden wir, wenn wir auf die Erfinder der musikalischen Klingzeuge zurücke sehen. Der so beruffenen Leyer der Alten streitet man[12] heute noch ihren Vater an. Diodor saget: Daß Merkur nach der Sündflut den Lauf der Sterne, die Zusammenstimmung des Gesanges und der Zahlen Verhältniß wieder erfunden habe. Er soll auch der Erfinder der Leyer mit 3. oder 4. Seyten seyn. Diesem stimmen bey Homer und Lucian: Lactantius aber schreibet die Erfindung der Leyer dem Apollo zu; Plinius hingegen will den Amphion zum Urheber der Musik machen16. Und wenn endlich Merkur durch die mehrern Stimmen das Recht zu seiner Leyer behält17, solche auch nach ihm erst in die Hände des Apollo und Orpheus gekommen ist18: wie läßt sich solche mit einem unserer heutigen Instrumenten vergleichen? Ist uns denn die eigentliche Gestalt dieser Leyer bekannt? Und können wir etwa den Merkur zu dem Urheber der Geiginstrumenten angeben? Bevor ich hier weiter gehe, will ich einen Versuch wagen, und den Anfängern zu Lieb nur im Kleinen, eine ganz kurze musikalische Geschichte entwerfen.


Versuch einer kurzen Geschichte der Musik.

Gott hat dem ersten Menschen gleich nach der Erschaffung alle Gelegenheit an die Hand gegeben, die vortreffliche Wissenschaft der Musik zu. erfinden. Adam konnte den Unterschied der Töne an der menschlichen Stimme bemerken; er hörte den Gesang verschiedener Vögel; er vernahm eine abwechselnde Höhe und Tiefe durch das Gepfeife des zwischen die Bäume dringenden Windes: und der Werkzeug zum Singen war ihm ja von dem gütigen Erschaffer schon zum voraus in die Natur gepflanzet. Was soll uns denn abhalten zu glauben, daß Adam von dem Trieb der Natur bewogen, eine Nachahmung Z.E. des so anmuthigen Vogelgesanges u.s.f. unternommen, und folglich eine Verschiedenheit der Töne in etwas gefunden habe. Dem Jubal sind seine Verdienste nicht abzusprechen; denn die H. Schrift selbst beehret ihn, mit dem Titel eines Musikvaters:[13] und es ist nicht unwahrscheinlich, daß die Musik entweder durch den Noe selbst oder durch einen seiner Söhne in die Arche, und nach der Sündflut durch Unterweisung auf die Egyptier gekommen; von denen sie nachgehends die Griechen erlernet, sich in Verbesserung derselben viele Mühe gegeben, und solche endlich auf die Lateiner und andere Völker gebracht haben. Ob aber Cham und sein Sohn Mesraim eben diejenigen waren, davon finden sich keine gründlichen Anzeigen in der H. Schrift19. Daß zu Labans und Jakobs Zeiten die Musik schon wieder getrieben, ja so gar zum Geleite der Abreisenden als ein Ehrenzeichen gebraucht worden, ist ganz gewiß; weil Laban zu Jakob sprach: Warum hast du ohne mein Wissen fliehen, und mirs nicht anzeigen wollen, daß ich dich mit Freuden, mit Gesang, mit Trummen, und Citharn begleitet hätte?20 Das Lied der Maria,21 und wie sie mit andern Weibern bey dem Durchzuge durch das rothe Meer auf der Trumme spielte, ist bekannt22. Nicht weniger weis man aus der Schrift, daß Mosses zwo Posaunen unter gewissen Regeln zu blasen verordnet hatte23. Man weis das Blasen der Leviten, davon die Mauren der Stadt Jericho einstürzeten24. Man weis die musikalischen Anstalten, die David gemacht hatte25. Und daß man zu seiner Zeit schon vielerley Instrumente gehabt habe, ließt man aus den Aufschriften seiner Psalmen. Assaph der Sohn des Barachias war sein Capellmeister, und Jehiel über die Instrumente gesetzet; man mag ihn also einen Concertmeister nennen26. Die Propheten bedienten sich der Musik, wenn sie weissagen wollten: Saul kann uns dessen ein Zeuge seyn27. Und in der H. Schrift lesen wir es von den Kindern des Assaph, des Heman und des Idithun28. Daß nächst den Hebräern die Griechen die ältesten Musikverständigen gewesen, ist gar nicht zu zweifeln. Es sind uns [14] Merkur, Apollo, Orpheus, Amphion, und mehr andere bekannt. Und wenn gleich einige sind, die behaupten wollen, daß Z.E. niemals ein solcher Mann, welcher Orpheus geheissen, auf der Welt gewesen sey; ja daß das Wort Orpheus in der phönicischen Sprache so viel heisse, als ein weiser und gelehrter Mann: so gehen doch die allermeisten Zeugnisse der Alten dahin, daß dieser Orpheus gelebt habe29. Daß viel fabelhaftes mit unterläuft, ist ganz gewiß: doch liegen unter diesen Fabeln auch viele Wahrheiten30. Bis auf die Zeiten des Pythagors gieng keine Veränderung in der Musik vor: er aber war der erste, welcher der Töne Verhältniß mit dem Maaßstabe suchte. Dazu brachte ihn ein ungefährer Zufall. Denn als er einsmals in einer Schmiede mit Hämmern von verschiedener Grösse auf den Ambos schlagen hörte, bemerkte er die Verschiedenheit der Töne nach dem Unterschied der Schwere der Hämmer. Er versuchte es mit zwo gleichen Seyten, an eine derselben hieng er ein Gewicht von 6. Pfunden, an die andere ein Gewicht von 12. Pfunden, und fand bey dem Anschlagen dieser zwoen Seyten, daß sich die zwote zu der ersten wie 2. zu 1. verhielte: denn sie war die hohe Octav. Und so fand er auch die Quart, und Quint; aber nicht die Terz, wie einige irrig glauben. Dieß war nun schon genug der Musik eine andere Gestalt zu geben, und ein Instrument mit mehrern Seyten zu erfinden, oder solches immer noch mit einer Seyte zu vermehren. Es kam aber auch bald zu einem musikalischen Krieg: denn nach dem Pythagor kam Aristoxen von Tarent, ein Schüler des Aristotels. Und da jener alles nach der Ration und Proportion, dieser aber alles nach dem Ohr untersuchte, erwuchs ein langwieriger Streit, welcher endlich durch den Vorschlag beygelegt wurde: [15] Daß Vernunft und Gehör zugleich urtheilen sollen. Die Ehre dieser Vermittelung wird von einigen dem Ptolomäus, von andern dem Didymus zuerkannt: obwohl auch einige sind, die den Didymus selbst für einen Aristoxener halten. Inzwischen soll sich doch die pythagorische Lehrart 5. bis 600. Jahre in Griechenland erhalten haben. Die, so des Pythagors Meinung beypflichteten, wurden Canonici, die Aristoxener aber Harmonici genannt31. Von dieser Zeit bis auf die gnadenreiche Geburt unsers Erlösers, und etwa hernach bis gegen das Jahr 500., ja gar bis gegen das Jahr Christi 1000., hat man zwar da und dort in der Musik etwas zu verbessern gesucht; man hat mehrere Töne ausgedacht, wie Ptolomäus die grosse Terz, und ein gewisser Olympus einige Zwischentöne32. Doch ist in der Hauptsache nichts geändert worden. Es hat zwar auch gegen das Jahr Christi 502., oder 515. Boetius, ein edler Römer, die griechische Musik, so viel an ihm war, zu den Lateinern gebracht, viele griechische Schriften in die lateinische Sprache übersetzet, und, wie viele glauben, anstatt über die griechischen, nun über die lateinischen Buchstaben zu singen angefangen. Nicht weniger hat der Heil. Pabst Gregor der Grosse, etwa im Jahr Christi 594., sich in Verbesserung der Musik recht sehr viele Mühe gegeben; Er hat, um die Musik in eine bessere Ordnung zu bringen, die unnöthigen Buchstaben weggeschaft, und dadurch die Musik um vieles erleichtert; Ihm hat man den gregorianischen Kirchengesang zu verdanken, u.s.f. Doch blieb es noch immer im Grunde bey der griechischen Musik. Bis endlich Guido von Arrezo eine sogenannte neuere Musik erfand; und zwar im Jahr Christi 1024. oder vielleicht, nach anderer Meinung 1224.: die aber noch neuer und lebhafter wurde durch die Erfindung eines gewissen gelehrten Franzosen, Jean de Murs, oder Johann von der Mauer, welcher die Musik in ein ganz anderes Licht gesetzet hatte33. Diese merkliche Veränderung soll sich nach einiger Meinung um das Jahr Christi 1220, oder wie andere wollen 1330. oder gar 1353. zugetragen[16] haben. Man hat es nach der Hand gewagt immer etwas beyzusetzen, und endlich ist sie nach und nach zu einer so schönen Gestalt gekommen, in welcher man sie heut zu Tage bewunderet. Unter den ältesten Schriftstellern sind die, welche vorhin vom Boetius, in letztern Zeiten aber jene, welche von dem Maibom aus dem Griechischen ins Lateinische sind übersetzet worden.34 Dem ist Wallis gefolget, welcher zu Orfort in Engelland im Jahre 1699. die übrigen griechischen Schriftsteller gleichfalls griechisch und lateinisch herausgegeben hat. Glarean, Zarlin, Bontemps, Zacconi, Galilei, Gaffur, Berard, Donius, Bonnet, Tevo, Kircher, Froschius, Artusi, Kepler, Vogt, Neidhardt, Euler, Scheibe, Prinz, Werkmeister, Fux, Maettheson, Mizler, Spies, Marpurg, Quantz, und andere mehr, die ich oder nicht kenne, oder die mir itzt nicht gleich beyfallen, sind lauter Männer, die sich durch ihre Schriften um die Musik bey der gelehrten Welt ungemein verdient gemacht haben. Es sind aber lauter theoretische Schriften. Wer practische Schriftsteller sucht, kan derer viele hundert finden, wenn er sich nur in den Wörterbüchern Brossards und Walthers umsieht. Der erste hat sein Buch französisch, der andere deutsch geschrieben: und beede haben sich damit Ehre gemacht.

Quelle:
Leopold Mozart: Versuch einer gründlichen Violinschule. Wien (1922), S. 12-17.
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