Das Grosse der Kunst.

[46] Kein Componist der Welt, unter den Alten wie unter den Neuen, hat das Grosse musikalisch glücklicher dargestellt, als der mächtige, unsterbliche Revolutionair unserer Musik – Mozart. Was auch dieser Strahlen werfende Genius in seiner Kunst versuchte, gelang zwar freylich mehr oder weniger, aber es gelang – jedoch hier, im Gebiete des Grossen, des Erschütternden, ist seine eigentliche Heimath. Und hier verweilte er auch, war es irgend zulässig, mit unverkennbarer Vorliebe – hier in einem Lande, wo fast immerwährende Stufen und Erdbeben ihn selbst nothwendig früh aufreiben mussten. Es haben andere vor ihm, wie Jomelli, und noch mehre nach ihm diess Feld mit ausgezeichnetem[46] Glücke bearbeitet; aber keiner mit grösserem, wohl keiner mit gleichem Glücke. Und vornehmlich hat keiner sich auf diesem Boden so innerhalb der Grenzen des wahrhaft Schönen zu halten gewusst – so frey sich zu halten gewusst von allen beträchtlichen Abschweifungen in das Rohe oder Freche, oder in das Groteske, Bizarre, Widerhaarige. Man übersehe erst, höre dann und studire nun seine bedeutenderen Werke, besonders die Ouverturen, die Finalen und hierher gehörigen Scenen des Don Juan, mehre Stücke des Idomeneo, besonders das erste Finale und die Scene Volgi intorno, das erste Finale der Clemenza di Tito, die meisten seiner Symphonieen, seine Clavierconcerte, z.B. das aus Db, Cb, C#, B#, von welchen die ersteren posthuma sind; dann verschiedene seiner Quartetten – man gehe über zur Kirchenmusik, zu seinen Motetten, z.B. zu der aus D# und zum ersten Satze der aus Db, und nun besonders zu seinem Requiem: Requiem aeternam, Dies irae, Rex tremendae etc. – und man hat über die hier besprochene Gattung von Musik in Absicht auf zweckmässige Anwendung der Kunstmittel zugleich die schönsten Muster für das, was sich nicht mehr in Worte und Räsonnement einfangen lässt. Seine besten Nachfolger, Cherubini und Beethoven, haben bisher (1805) noch nicht vermocht, wie er, die Kunst der Natur zu bezwingen und sich überall vor Ausschweifungen zu bewahren.

Quelle:
Nissen, Georg Nikolaus von: Anhang zu Wolfgang Amadeus Mozart's Biographie. Leipzig: Breitkopf & Härtel, 1828 [Nachdruck Hildesheim, Zürich, New York: Georg Olms, 1991], S. 46-47.
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