Mozart's Opern überhaupt.

[66] Es mag wohl mancher schätzungswerthe Componist über die Wahl der Texte, welche Mozart zum Behufe seiner Compositionen getroffen, mitleidig gelächelt haben. Mozart hat eine Zauberflöte, einen Don Juan in Musik setzen können: würde er auch den französischen Tarare componirt haben? worauf aus innigster Ueberzeugung Nein zu antworten ist. Ein Componist von Talent und Genie, oder der, der Beydes und die Natur der Musik nicht muthwillig verkennt, kann unmöglich von dem[66] Beaumarchais'schen Pasquinaden-Witze begeistert werden.

Bey Betrachtung der Mozart'schen Opern lässt man sich gewöhnlich zu sehr von den grossen hervorragenden Hauptmassen hinreissen; man lässt die Detail-Schönheiten, in denen doch unendlich mehr des Verdienstes, der Geistesgrösse und der Schöpferkraft liegt, zu sehr ausser Acht. Aber der gebildetere Theil des Publicums sollte nicht Schönheiten übersehen, die nur diesem grossen Künstler eigen sind. Don Juan wird stets als sein grösstes Meisterwerk angegeben. Nach der gewöhnlichen Art zu urtheilen, ist diess natürlich: die Handlung verträgt eine Menge imponirender, stark erschütternder Stellen, die um so stärker wirken, als sie leicht deutlich gefasst werden können. – Was den meisten Menschen entgeht, ist die fein gefühlte Charakteristik, nicht allein der einzelnen Personen, sondern der ganzen Handlung einer jeden Oper.

Im Don Juan ist Mischung von Erhabenheit und Leichtsinn; im Figaro die joviale Haltung des Ganzen; in der Zauberflöte Munterkeit mit Würde und feyerlichem Ernste gepaart; in Così fan tutte die sanften Halbtinten der feineren Weltverhältnisse, diese süsse Schwärmerey, die von der Ouvertüre bis zum letzten Accorde das schönste, in allen Theilen harmonischste Ganze ausmachen, das je ein Künstler hervorzubringen vermochte; in der Entführung aus dem Serail diese National-Charakteristik in der erhabensten Darstellung – was überhaupt ein Vorzug Mozart's und nur bey ihm in dieser Grösse anzutreffen ist: diese Einheit des Charakters. – Wenn[67] nun aber ein jedes seiner theatralischen Werke das grosse und seltene Verdienst der Einheit und Charakteristik, das Gepräge des feinsten Menschenkenners an seiner Stirne trägt, welchem soll ich den Vorzug geben? Wollte man aus dem Inhalte seiner Opern oder dessen Behandlung von Seiten des Dichters einen Vorzug herleiten – ist mehr Abwechselung der Situationen in einer dieser Geburten des Aberwitzes, was kömmt Mozart dabey zu Schulden, oder was hat er hier für Verdienst dabey? Daher gefällt mir von Mozart's Opern am besten diejenige, die ich zuletzt höre.

Zwar behauptet ein Theil, dass Mozart ein grösserer Instrumental- als Singcomponist gewesen sey, und er hätte oft die Worte nur mit glücklichen und angenehmen Instrumental-Sätzen bekleidet. Allein, wenn auch diess bisweilen der Fall ist, so ist es doch unleugbar, dass in Ansehung des Ausdruckes und dessen, was grosse prächtige Wirkung hervorbringen muss, Mozart immer Muster bleibt. Er besaass eine grenzenlose Phantasie: von ihrem Strome hingerissen, sah er nur auf das grosse Ganze, und so entstanden oft bey der Ausführung für einzelne Instrumente beynah unausführbare Schwierigkeiten.

Sevelinges sagt: von der einfachen Romanze bis zur lyrischen Tragödie, von dem Walzer bis zur Symphonie wird Mozart stets als derselbe, immer gleich gross gefunden. Nie ging er in Augenblicken der Begeisterung zum Claviere: so wie er die Feder ergriffen hatte, schrieb er schnell fort, dass es einer Uebereilung gleich sah. Das ganze Stück wurde[68] empfangen, durchdacht und gereift in seinem Kopfe während er die Noten zu Papier brachte.

Bey Mozart hält die reiche Instrumentirung die Hauptideen desto enger zusammen, und lässt diese desto kleiner hervortreten; auch weiss er zu rechter Zeit aufzuhören, und sagt nicht Alles über ein Thema, was er wohl hätte sagen können.

Mozart erhebt durch seine Opern die Tonkunst zur höchsten Höhe und zeigt sie in ihrer höchsten Mannigfaltigkeit. Es scheint in denselben Alles so natürlich aufgefasst, dass wir uns manche wesentliche Verbindung zwischen der Musik und dem Gedichte vorstellen können, bis wir das Daseyn einer solchen Verbindung dadurch widerlegt finden, dass der Componist die nämlichen Melodieen auf verschiedene Texte anwendet, und überall damit dieselbe natürliche Wirkung hervorbringt.

Wenn die Vocalmusik, nach d'Alembert, Nichts ist, als eine Uebersetzung der Worte, auf welche man den Gesang schreibt, so folgt, dass diejenige Vocalmusik die schlechteste ist, die sich am weitesten von diesem Begriffe entfernt – und so grausam wird man gewiss nie einen Mozart lästern wollen – Mozart, gleich Raphael, den Seelenmaler, den Dolmetscher der innersten geheimsten Empfindungen, der den Accent jeder Leidenschaft so sehr in seiner Gewalt hatte, dass, fände man seine Gesänge, zumal die dramatischen, ohne Text, jeder richtig Fühlende dieselben Worte darunter schreiben würde, auf welche die Musik gesetzt war.

Der grosse Vereinigungspunct aller Style in der Musik fand sich in den Werken Händels. Manche[69] derselben sind in der That merkwürdiger für scientifische Composition und sinnreiche Erfindung, als für Einfachheit der Wirkung. Er liebte die nachahmende Begleitung. Der Geschmack der späteren Meister war mit diesem Style sparsamer. Unter diesen wird Mozart's Name ewig als einer der angesehensten stehen, da er, mit nicht minderer Strenge als Händel und Andere, aber mit einem fruchtbarern, unbeschränktern Genie aus gediegenen und edlen Stoffen die grösste Neuheit und Mannigfaltigkeit der Effecte hervorzubringen verstand. Alle Vorzüge der neueren und älteren Schulen sind in ihm vereint.

Unter den Operntexten wählte Mozart nur der Musik wahrhaft zusagende Gedichte zu seinen klassischen Opern, so paradox diess auch Manchem scheinen mag. Es ist übrigens ja Erfahrung, dass die poetischsten Componisten sogar herzlich schlechte Verse gar herrlich in Musik setzten. Da war es aber der wahrhaft opernmässige romantische Stoff, der sie begeisterte, wovon die Zauberflöte ein Beyspiel seyn kann. Obiges gilt nun z.B. von Così fan tutte, weil (denn die Musik kann das Komische in allen seinen Nüancen ausdrücken) in dieser der Ausdruck der ergötzlichsten Ironie liegt. – Figaro's Hochzeit ist mehrSchauspiel mit Gesang, als wahre Oper.

In der Behandlung der Geister hat sich Mozart in seinen Opern unübertrefflich gezeigt. Er lässt nämlich den Geist im zweyten Acte des Don Juan eine Melodie in fremden Intervallen und langen Noten, in feyerlichem Tempo und mit schauerlichem Accompagnement singen: er bietet allen Reichthum[70] seines Genie's, und alle, auch die tiefer verborgenen Schätze der Harmonie auf, um Schauder zu erregen: lässt den, welcher dem Gange seiner zusammengepressten Ideen folgen und sich nur dem Total-Eindrucke überlassen will, unter deren Fülle, Kraft und Menge fast erliegen – und erreicht seinen Zweck vollkommen.

Da in der Oper der Gesang (ordentliche Melodie mit Harmonie verbunden) Natur ist, so hat Mozart seinen Geist natürlich, also, menschlich zu sprechen, wie einen Menschen behandelt. Gebe man den Gesang des Geistes einem erhabenen Menschen, z.B. einem würdigen Alten, und man findet nichts Anstössiges, nichts befremdendes. In der That hat auch ein steinerner Mann, der erst hübsch anklopft, dann zu Tische kömmt und einem Lüstlinge die Busspredigt hält, etwas sehr Menschliches. Nur durch die Hoheit der musikalischen Ideen und die Summe der vereinigten Mittel der Musik hebt Mozart seinen Erscheinenden vor den übrigen Personen heraus und giebt ihm einen Anstrich des Uebernatürlichen. Wer also von dem Dichter einen so menschlich gezeichneten Geist vorfindet, wie Mozart, der folge ihm! aber er hat eineduram provinciam erhalten: denn wem steht das unabsehbare Reich der Töne so zu Gebote, dass er, wie dieser Componist, darin schalten und walten kann, und also seine Absicht so gut, wie er, erreicht? –

Quelle:
Nissen, Georg Nikolaus von: Anhang zu Wolfgang Amadeus Mozart's Biographie. Leipzig: Breitkopf & Härtel, 1828 [Nachdruck Hildesheim, Zürich, New York: Georg Olms, 1991], S. 66-71.
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