Don Giovanni.

[95] Oper in 2 Acten.


Man kennt diese Oper unter dem Titel: Il dissoluto punito, und nach der Uebersetzung: Don Juan, oder der steinerne Gast. Der Originaltext ist vom Abbate di Ponte. Ausser der Schröderschen Umänderung in vier Acte und Nationalisirung der Charaktere hat man verschiedene Uebersetzungen. Die Bearbeitung von Friedr. Rochlitz ist unstreitig die beste.

Mozart schrieb diese Oper bekanntlich für das Prager Theater unter der Direction des bekannten Bondini, im Jahre 1787.

Wenn schon in Hinsicht der Composition diese Oper eines der vorzüglichsten Kunsterzeugnisse Mozart's ist, so kann sie doch nichts weniger als den Forderungen des Aesthetikers Genüge leisten, weil man sie nicht als eine ganze Schönheit betrachten[95] kann. Die Gefühle sind zu verschieden, zu widersprechend, die Charaktere greifen nicht in einander und von allen Aufgaben, die in der Zauberflöte so meisterhaft gelös't sind, konnte hier nicht die Rede seyn. Mozart selbst hat diess gefühlt, aber er konnte nicht anders; der Text lag nun einmal da.

Bey dem Dichter und bey dem Componisten findet kein gutes Verhältniss zwischen den beyden weiblichen Hauptrollen Statt. Anna soll Hauptperson seyn, verhält sich aber überall nur leidend und hat doch die ausgeführtesten Gesangstücke. Elvira ist heroisch, überall thätig und hat zwar trefflich gearbeitete aber doch in Ansehung der Sängerin nicht so hervorstechende Stücke. Mozart's richtiges und feines Gefühl würde ihn schon vor dieser Inconvenienz gehütet haben, wenn er nicht, wie bey allen seinen Opern, auf viele Nebenumstände hätte Rücksicht nehmen müssen. Auch hier musste er die besonderen Kräfte der Sänger und Sängerinnen bey der Aufführung beachten und musste ihnen nachgeben; und bedenkt man, was er unter diesen Verhältnissen dennoch leistete, so wird man Stoff zu neuer Bewunderung genug finden.

Die Musik soll nicht malen, nicht einmal pittoresk seyn. Aber es giebt eine gewisse malerische Darstellung in der Musik, die gerade die vollendetsten Kunstwerke bezeichnet. Ich möchte sie die unsichtbare Malerey nennen; aber sie ist nur den erhabensten Genie's, einem Mozart, eigen. Aus einer ganz alltäglichen Phantasie wird durch den Don Juan ein romantisches Leben erscheinen, und alle seine wechselnden Gestalten werden sich vor dem innern Auge[96] zu kühnen und bedeutenden Gruppen bilden, die sich immer kühner und immer bedeutungsvoller verdrängen, bis zuletzt die dunkle Ahnung erfüllt wird und eine unbekannte übermenschliche Kraft dieses Leben untersinken lässt, um ein anderes furchtbares hervorzurufen.

In dem Andante der Ouverture ergreifen einen die Schauer des furchtbaren, unterirdischen regno del pianto; Grausen erregende Ahnungen erfüllen das Gemüth. Wie ein jauchzender Frevel klingt die jubelnde Fanfara im 7ten Tacte des Allo; man sieht aus tiefer Nacht feurige Dämonen ihre glühenden Krallen ausstrecken – nach dem Leben froher Menschen, die auf des bodenlosen Abgrundes dünner Decke lustig tanzen. Der Conflict der menschlichen Natur mit den unbekannten grässlichen Mächten, die ihn, sein Verderben erlauernd, umfangen, tritt klar vor die Augen des Geistes. Durch den Sturm der Instrumente leuchten wie glühende Blitze die aus ätherischem Metall gegossenen Töne. Mehr als Verzweiflung über den grausamsten Frevel liegt in den entsetzlich herzzerschneidenden Tönen. Das Terzett der Masken ist ein Gebet, das in rein glänzenden Stralen zum Himmel steigt, und der fugirte Chor ründet das Werk herrlich zu einem Ganzen.

Thut denn zur Oper das Gedicht mehr, als zum Gemälde die grundirte Leinwand? Wahr ist's: ohne Grund lässt sich eben nicht viel malen, aber das Grundiren kann auch allenfalls ein geschickter Farbenreiber hinlänglich besorgen. Solche poetisch musikalische Farbenreiber finden sich jetzt in allen Ecken: fänden sich nur auch die poetisch malenden Musiker![97] – Mozart – Wetter noch einmal! der hat uns wahre Opern gegeben: aber wie wenige! und wie viele müssen wir auch von den wenigen abziehen! Idomeneo und die Entführung sind nicht übel – das versteht sich: doch aber nur jugendlich, gleichsam Versuche der Fühlhörner auskriechender, aufdämmernder Genie's. Figaro ist besser: aber nach Kaiser Josephs Geschmack; italienisirt und ohne Romantik. Den Titus musste der Meister in zwölf Tagen schreiben, einem seinem Wesen nicht zusagenden Texte sich bequemen, und fast Alles überdiess einem kleinen Häufchen italienischer Sänger auf den Leib zuschneiden. So blieben denn nur Così fan tutte, die Zauberflöte und Don Juan. Diese sind aber auch, sagt Jemand, nebst Cimarosa's Matrimonio segreto, die einzigen wahrhaft göttlichen, d.h. endlich doch die einzigen Opern, die die Welt hat.

Wenn Mozart Opern componirte, ward er für uns Dichter! Die Ouverture zu Don Juan lässt alle Schauder der Unterwelt ahnen. Die hohe Idealität Mozart's macht, dass man keinen Maassstab einer anderweitigen Vergleichung für sie findet. Alle genialen Kräfte des Menschen stehen in diesem schaffenden Geiste in ihrer höchsten Blüthe und geben jeder durch ihn gebildeten Form einen Abglanz vom Göttlichen, der dem Gefühle des Beschauenden die hohe Wonne schon von selbst mittheilt, aus deren zeugender Kraft jede seiner Melodieen entsprungen, jedes seiner grossen Tonbilder gleich einem organischen Keime entwickelt ist. Daher der, immer wieder aufs neue geweckte, Enthusiasmus bey jeder Aufführung; daher die ewige Jugend und reizende Anmuth[98] der Ideen, und die bey den Werken des Genie's nur zu beobachtende Erscheinung, dass Jeder sie versteht, und wäre er auch ein Laye der Tonkunst.

Anna ist der höchste Charakter, den Mozart geschaffen, eines der edelsten weiblichen Gebilde, welches die Literatur der Tonkunst aufzuweisen hat. Vom ersten Auftritte an sehen wir sie in tragischer Bewegung. Man fühle die rhythmische und melodische Steigerung des Gesanges bey den Worten: non sperar se non m'uccidi, ch' io ti lasci fuggir mai etc. bis im letzten Tacte die Stimme in Zorneswuth wieder zurückgeschleudert wird – man höre den Sturm des Orchesters! Es ist nicht mehr zu verkennen, dass ein furchtbares Geheimniss Anna aus dem sichern Schlosse Don Juan nachreisst. Das Unglück kettet sich an die Schmach: Anna's Vater fällt: sie hat den Zweykampf und seinen Tod herbeygezogen. Nun ist für sie keine Ruhe und Rettung, daher ist nach dem bewusstlosen Schrecken ihr erster Gedanke, der neben den tiefsten Schmerzenslauten Sprache erringt, der Aufruf zur Rache. Ja, ehe er noch Worte findet, ahnet man es schon in dem für blosse Klage viel zu gewaltigen Ausbruche des Allegro: Fuggi crudele fuggi, lascia che mora anch' io etc., indem sich aus ihrem Gemüthe eine Kraft entfaltet, die selbst aus der leidenschaftlich stürmenden Introduction nicht zu ahnen war. Diese Kraft und das Beruhen in dem einen Zweck der Rache wird bewährt durch die ruhigere Haltung im Quartett. Aber Don Juan's letzte leidenschaftliche Worte zu Elviren verrathen ihn, vernichten ihre Hoffnung[99] – unfähig, sich und die Verhältnisse zu erkennen, ruft sie in dem heftigsten Ausdrucke der Angst nach Hülfe, Schutz: Per pietà soccorretemi! Nun kann sie nicht mehr schweigen – was verborgen war, wird nun offenbar, und nun ist ihr Geist jeder lastenden Fesselfrey – erhebt sich über Unglück und Schmach – der Tod des Vaters wird nicht mehr beklagt. Die Glut der Leidenschaft bricht in helle Flammen aus (daher Schlag auf Schlag die Modulation von Ab nach G#, von Eb nach Gb, nach E#) und in gewaltigen Accenten werden die letzten Worte der Erzählung: Compie il misfatto suo – der erste Ruf zur Rache. Diese durchströmt die folgende Arie in einem unversiegenden Feuergusse: von ihr erfüllt, tritt Anna aus den Schranken ihres Geschlechts, steht als gerüstete Heldin da: jede Bewegung ist gross und voll sieggewisser Kraft, jeder Ton in dem ersten Satze der Arie: Or sai chi l'onore – ist ein herrschender Ruf. Die rollenden Bässe schlagen an, wie die Brandung an den Fels, nicht ihn erschütternd, sondern seine Unerschütterlichkeit bewährend. Wie ein Blitzstrahl schlägt der Racheruf: Vendetta ti chieggio – die Seele und zwingt das aufgeregte Orchester, nachzuhallen. Selbst der Schmerz der Rückerinnerung: Rammenta la piaga etc. bis zum erstickenden Zorne, bis in der letzten Steigerung Vendetta, vendetta ti chieggio etc. der die Welt durchziehen möchte und in die Waffen rufen gegen Don Juan – und wo doch ein leiser Nachklang des tiefsten Wehe nicht unterdrückt wird. Der Ruf der Rache ist erhört, Anna's Pflicht erfüllt. In ihr, die nur reinen Sinn und Liebe kennt, musste der Gedanke[100] der Rache geboren werden, um geheiligt zu seyn. Sie nicht soll das Werkzeug der Vollstreckung seyn; ihr Verlobter ist zu schwach; mächtigere Wesen vollbringen es. Anna hat nur noch das Gebet zum Himmel um Schutz und Rache.

Aber eben nun muss sie vergehen, das Geschäft ihres Lebens ist vollbracht, ihr Geschick ist nicht wieder herzustellen. Wenn sie im Sextette wieder erscheint, wird sie schon bey ihrem Eintritt als das Opfer verkündet als die unrettbar Hingeopferte – wer erkennt das nicht mit unbeugsamer Gewissheit in dem leisen Paukendonner, der in dem Es# Satze bey der unerwarteten Wendung nach D# auf A ahnungsvoll eintritt? Der arme Ottavio wollte trösten – da wendet sich der Gang aus dem hellern Dur nach Moll – der ahnungsvolle Donner rollt verhallend, und in langen Tönen haucht Anna ihren Schmerz und ihre Lebenskraft aus. Sie möchte den bald ganz Verlassenen noch ein tröstendes Lächeln schenken – daher die unendlich tief gefühlte Wendung nach B#. Aber nur einen Augenblick ist sie dieses Liebesopfers fähig: Sol la morte il mio pianto può finir etc. Noch nie ist das Vergehen im Schmerz und die zuverlässige Ahnung der nahen Auflösung so gesungen worden, wie hier von Mozart. Die nun folgende Scene der Anna ist der Rückblick der Scheidenden auf das blühende Leben – es ist der Sinn von Göthe's unsterblichem: So lasst mich scheinen, bis ich werde – dieses sind die Grundzüge des erhabensten, reinsten, edelsten Charakters, den Mozart geschaffen hat.

Auf vielen Bühnen ist Don Juan ein Wüstling,[101] der armselig von einem Mädchen zu dem andern taumelt, mit kaltem Blute Menschen hinmordet, und der Gemordeten in gedankenloser Rohheit spottet, der in dieser tiefen moralischen Entwürdigung keine einzige Kraft, nicht einmal die einer tüchtigen Leidenschaft entfaltet – kurz, ein dumpfes Thier unter menschlicher Maske. Ob diess ein Gegenstand für die Kunst ist, den Mozart im Sinne gehabt, als er die edelsten Regungen seiner Seele in Tönen ergoss? Daran setzte er die höchste Kraft seines grossen Genie's? Im Werke selbst findet sich nicht ein einziger Zug eines gemeinen, niedrigen Charakters. Wir sehen Don Juan in der Introduction bedrängt, fast ausser Fassung – dennoch stolz. Ein Zug der Geringschätzung verräth sich in seinem Gesange nach dem blutigen Zweykampfe, aber zugleich in der ganzen Melodie eine gewisse Rührung. Vielleicht möchte Don Juan sich ihrer entäussern, vielleicht schämt er sich ihrer – doch kann er sie nicht unterdrücken. Wir finden ihn nachher lüstern bey Zerlina, heuchlerisch im Quartett und zweyten Terzette mit Elvira, scherzend mit Leporello, zu wilder Lust aufgeregt in der Champagnerarie, in hoher Bedrängniss im ersten Finale, wir sehen seinen furchtbaren Untergang – nirgends ist er der aller menschlichen Regung baare Wüstling.

Sein letzter Frevel ist der an Anna. In ihm und der Ermordung des Gouverneurs ist seine Bahn beschlossen, und wahrlich! es ist genug an dem doppelten Verbrechen, das Anna's Leben ganz zerstört. Ohne es zu wissen, hat Don Juan auch sein Geschick dabey entschieden. Er versucht sein frivoles Leben[102] fortzusetzen in Ausgelassenheiten aller Art; Alles misslingt ihm: Alles drängt ihn immer näher zur Strafe. Die letzte Gewaltthat, die er an Zerlinen versucht, misslingt, wie Alles und treibt ihn in die Flucht. Diese führt ihn an das Monument des Gouverneurs. In dem wilden E#-Duett packen ihn zuerst Ahnungen des bevorstehenden Untergangs; es scheint fast, als sey er des Treibens selber müde; sein Scherz mit dem Geiste, sein Hohn ist erzwungen, jene Regungen zu unterdrücken. Und dennoch giebt eben dieser Scherz die letzte Bestimmung über sein nahes Geschick.

So steht nach der Grundanlage des Drama Alles in nothwendiger Folge und im wirkungsreichsten Zusammenhange. Don Juan mit den edelsten Anlagen, mit einem Herzen voll liebender Glut, von Menschen umgeben, die ihm keine Befriedigung gewähren können, höher stehend, als sie alle, und doch nicht hoch genug, um in sich selbst und eignem thätigem Leben Genüge zu finden, um jene zu entbehren – wird seiner edlen Natur abtrünnig, fällt, und wenn er zuletzt dem Wesen naht, das allein seine Sehnsucht hätte befriedigen können, dann ist er durch den eigenen Abfall schon verderbt und nur fähig, auch sie zu verderben.

Ist dieser Untergang einer reichen Natur nicht hinlänglicher Stoff für ein Drama? – wozu die doppelte Mordthat am Monumente? Durch diese sinkt er unter die Banditen und Strassenräuber herab, die bestimmte Antriebe haben. Ein Mensch, der sinnlos mordet, kann nur Abscheu erregen, und ist kein Gegenstand für die Kunst. (Ist bey diesen Anlässen[103] Musik?) – Fast eben so störend ist der trockne Spaass mit dem Gläubiger. Es ist nun nicht mehr Zeit zu zerstreuenden Possen, Don Juan kann ihrer nicht mehr fähig seyn, und im Bacchanal, womit das Finale beginnt, sucht er nur sich zu betäuben. Wozu wären noch fremde Spässe?

Leporello ist ein Tropf, der, in der Schule der Nichtswürdigkeit seines Herrn, eingeweiht in die Geheimnisse der Verführungskunst, erborgten Witz mit origineller Dummheit paart, und – wie jedes Geschöpf dieses Schlages – nur klug erscheint, wenn sein Herr nicht zugegen ist. Daher hebt sich seine Partie nur immer da, wo er nicht mit seinem Herrn in Collision kömmt, wie in der Arie: Madamina! il catalogo è questo etc. und im grossen Sextett: Sola, sola in bujo loco etc. im zweyten Acte, wo er sich ganz ausbreiten kann, ohne zu riskiren, dass sein Herr ihn mit seinen Albernheiten prostituire. Hingegen in Gesellschaft seines Herrn ist er nur das Echo des erstern, um doch etwas zu sagen, ohne sich zu blamiren. Solche nachbetende Stellen sind unter anderm vorzüglich im ersten Finale. – Der Dichter hat freylich zu sehr auf diesen faden Spaasmacher gerechnet, dass durch ihn nicht selten der Totaleindruck mancher ernsthaften Scene geschwächt, oft gänzlich vernichtet wird, wie bey der Mordscene auf dem Kirchhofe und besonders bey der Geisterscene, wo er völlig zum Hanswurste herabsinkt. Die ganze Scene hätte sich selbst verderben müssen, hätte Mozart nicht Leporello's Partie als blos ausfüllendes Accompagnement, mit dem Basse gehend in: La terzana d'avere mi sembra etc. behandelt, worin er[104] alle Aufmerksamkeit nur auf Don Juan leitet und Leporello's Worte nur mit den Triolen weniger bemerkt dahin rollen lässt.

Ottavio ist – ein wahrer Bräutigam. Er will die gekränkte Ehre rächen, und zittert bey dem Gedanken an die Möglichkeit, sein Leben dabey zu verlieren. Selbst das Schwankende seines Charakters malt Mozart vortrefflich in der Arie: Il mio tesoro intanto etc. Die ganze Musik seiner Partie malt den Jüngling, dessen Feuer, gebunden durch die süssen Bande der Liebe, nur hier und da noch auflodert, schnell aber wieder in den Busen zurückkehrt, wenn ihn sein Bräutigamsstand an die Pflichten für sein Mädchen erinnert. Anna's Besitz liegt ihm näher am Herzen als die nutzlose, gefahrvolle Rache des – doch nun einmal todten – Vaters.

Masetto's Charakter erlangt seine meiste Bestimmtheit durch die späterhin eingelegte Arie: Ho capito, signor si etc. und mit dem Anfange des ersten Finals:Presto presto! pria ch' ei venga etc. Der Bauer ist in beyden Stellen in der Declamation sowohl, als im Accompagnement meisterhaft geschildert. – Der Gouverneur, so kurz seine Scene ist, so edel ist sein Charakter behandelt. Und wie schön malt Mozart die Stelle, wo der Verwundete nur mit äusserster Anstrengung spricht, da ihm der Stich die Luft versetzt, immer in abgebrochenen Noten, ein Achtel, ein Viertel, dann wieder Pausen. Endlich bey abnehmendem Athem bleiben die Achtel aus und die einzelnen abgebrochnen Athemzüge erscheinen in Gestalt einzelner Viertel zwischen Pausen in jedem Tacte. Erst wo die Singstimmen schweigen, malt[105] Mozart mit der klagend einfallenden Oboe das Winden und Krümmen des Sterbenden. Dieses Solo hebt sich auf dem trefflich gewählten Instrumente bey der schwachen Begleitung meisterhaft heraus; der Hörer selbst fühlt ein unwillkürliches Zusammenziehen in der Brust. Wie viel Ueberlegung herrscht in der Abnahme dieser Stelle durch die Flöte mit dem Fagott! Man kann hier malerisch sagen: Mozart hat seine Farben trefflich in einander verschmolzen. Diese Scene ist überhaupt classisch.

Elvira, das treueste Bild eines edlen, gemisshandelten Weibes, das, vom Gram und Gefühl ihres Unglücks niedergebeugt, ihren traurigen Verhältnissen entfliehen will und nicht kann, ihren Verführer hassen, verabscheuen möchte, und noch immer mit Liebe an ihm hängt. Ihre Würde, so wie ihre Schwermuth wird sehr wahr mit Es# geschildert.

Zerline scheint ein Lieblings-Charakter von Mozart gewesen zu seyn, denn sie ist con amore bearbeitet und ganz das unbefangenene Naturmädchen mit einer gehörigen Gabe Vorwitz unter dem gewöhnlichsten Deckmantel der Sanftmuth und Eingezogenheit. Schon die Wahl der ruhigen Tonart F# in: Batti, batti o bel Masetto etc. und der andern sanftfliessenden, tändelnden C# in: Vedrai carino etc. charakterisiren sie hinlänglich.

Das Terzett in der fünften Scene, wo Elvira erscheint: Ah chi mi dice mai – drückt die Angst der Forschenden mit den lebhaftesten Farben aus. – Wie schön ist die Abwechselung im Accompagnement, welche Farbenmischung der Instrumente und welche Charakteristik in der Action in der allbeliebten[106] Arie Leporello's: Madamina! il catalogo è questo. – Man fühlt gleichsam in den kurzen Achtelnoten das Hin-und Herdeuten mit dem Finger bald auf dieses, bald auf jenes Mädchen, und die staccato herunter burzelnden Läufer zeigen das Wegmessen ganzer Provinzen auf der Bandrolle. Da, wo er in der Erzählung schneller wird und die Mädchen geschwinder vorzeigt, häufen sich auch die Instrumente zum lärmenden Tutti: V' han fra queste contadine, cameriere, cittadine, v' han contesse, baronesse, marchesane, principesse. –

Die später eingelegte Arie Elvirens: In quali eccessi, o numi! etc. ist ganz charakteristisch und unstreitig eine der vollendetsten, die Mozart je schrieb, und leistet allen Forderungen des Aesthetikers Genüge. In der Declamation liegt so viel Weichheit, und doch so viel Tiefe der Empfindung, in der Melodie so viel Ausdruck des edelsten Schmerzes; – sie reisst unwillkürlich mit sanfter Rührung allmälig zur innigsten Theilnahme hin. Sie packt nicht, aber ihr modificirter Stufengang wirkt desto sicherer, bleibender, schöner – wie es jedes vollendete Kunstwerk sollte.

In dem muntern Hochzeitchore: Giovinette che fatte all' amore etc. malt Mozart die reinste, innigste Freude, wie sich unschuldige und gute Naturmenschen freuen.

Elvirens Arie: Ah fuggi il traditor! etc. ist ein contrapunctisches Kunststück. Es scheint, als habe Mozart zeigen wollen, dass er auch in Bach'scher Manier schreiben könne.[107]

Ihr Styl ist schön, aber von allen andern Piecen dieser Oper so unendlich verschieden, dass ihre Ausführung bey den Vorstellungen befremdet, und wie mit dem Schlage einer Zauberruthe in das goldene Zeitalter Bach's, Händels und Hasse's versetzt. In Ansehung des Tactes ist sie für manche Sängerin eine gefährliche Klippe, wesshalb man sie auch häufig weglässt.

Das grosse Quartett: Non ti fidar o misera! – gehört nicht allein zu den vortrefflichsten Compositionen im Don Juan, sondern auch in allen Werken seines unsterblichen Schöpfers. In ihm sind alle Forderungen eines guten Quartetts auf's angenehmste befriedigt.

Die Arie Don Juan's: Fin ch' han dal vino calda la testa etc. ist das Charakterstück der ganzen Rolle. Hier malt sich die wilde, taumelnde Freude des Wollüstlings unverkennbar, besonders in: »Se trovi in piazza« – wahre Tanzmusik; Alles schnurrt, geigt und pfeift lustig schwärmend durch einander; Alles dreht sich im Kreise und musicirt in vollem Athem. Eben so charakteristisch ist Zerlinens Arie: »Batti, batti, o bell' Masetto« etc.

Das erste Finale ist wohl eines der vorzüglichsten vielleicht von allen, die je geschrieben wurden. – Man merkt es gleich, wenn der Dichter Etwas für den Componisten that, dass er es zehnfach zu vergelten wusste. Die Anlage ist wirklich brav und das einzige Gelungene im ganzen Texte. Alle Erfordernisse eines guten Finale's sind berücksichtigt: öftere Abwechselung, keine Leeren, das Ensemble gewählt und kein zweckloses Kommen[108] und Gehen der Personen, die Vereinigung zum letzten Chore aus dem Anfange zwanglos entwickelt. Was Mozart für dieses Finale that, ist ausserordentlich! – Seine Schönheiten lassen sich nur empfinden und von Kennern beym Lesen der Partitur verstehen. Wie wechseln die Gefühle! welche Combination der Charaktere! Von der ersten Privat-Streitigkeit Masetto's mit seiner Braut an, bis zum allgemeinen Lärmen am Ende, durch alle Abwechselungen der Empfindungen consequent bearbeitet. Masetto – man sieht in ihm die Hauptperson des Finales – erneuert es immer fort durch alle Abwechselungen; bey der lustigsten Musik brütet er über Rache. Die Menuett und das Gespräch der verschiedenen Personen während derselben ist ganz aus der Natur gegriffen. Keines hat auf das andere Bezug und die Musik geht ihren eigenen Gang. Das hier angebrachte Kunststück mit der Vereinigung dreyer verschiedener Tactarten verdient Bewunderung und giebt die schönsten Aufschlüsse über die Behandlung dieser Tactarten.

Der Schlusschor: »Trema, trema scelerato!« ist die Krone dieses Meisterwerkes. Wie malt die Behandlung der Geigen die Verwirrung! welches immerwährende Aufbrausen, Wogen und Stürmen in den Triolen! Die Blas-Instrumente vereinigen sich mit dem Chore, das Don Juan nicht zum Worte kommen lässt und immer schrecklicher hereinbraus't. Seine Wirkung ist einzig und das Ideal seiner Grösse unerreichbar! –

Das Terzett im zweyten Acte: »Ah taci ingiusto core etc. mit seiner sprechenden Declamation ist[109] trefflich gearbeitet. Das Ganze gleicht einem italienischen Abendgemälde! –

Das Ständchen mit der Mandoline ist ganz im Geschmacke italienischer Serenaten. Welche süsse Töne überredender Liebe, welch warmer Odem im Gesange und Accompagnement!

Das grosse Sextett: »Sola, sola, in bujo loco palpitar il cor mi sento« etc. ist ein erhabenes Gegenstück zum Quartette des ersten Actes und dem ersten Finale. Jede Forderung wird in ihm befriedigt; man muss es aber sehr aufmerksam studiren, wenn man die Enden des künstlichen Gewebes heraus finden will.

Der Choral, so wie die Gesangstellen der Statüe und Don Juan's, ist von ungeheurer Wirkung, und Mozart ist in Behandlung solcher Stellen ganz originell. Etwas Aehnliches hat der Orakelspruch Neptuns im Idomeneo.

Die Armuth des Dichters im zweyten Finale ist zu auffallend, und fürwahr! nur ein Mozart konnte ihre Blösse bekleiden. Er hat Alles aufgeboten, um die Zuhörer zu amüsiren, und wie schön ist es ihm gelungen! Ueberhaupt gelang Mozart Alles, sein schöpferischer Geist wusste aus Nichts ein schönes Etwas hervor zu rufen. Fürchterlich schön ist der Eintritt des Geistes, das Erscheinen eines mehr als menschlichen Wesens vortrefflich idealisirt. Hier stehen die Posaunen an ihrem eigentlichsten Platze.

So wenig Einheit des Gefühls der Dichter in den Text gebracht hatte, so wenig konnte Mozart wieder geben. Eben jenes Ineinandergreifen zu einem Zwecke, jenes ununterbrochene Fortstreben zum[110] Ziele und am Ende die scheinbar ruhige Freude, Alles diess war für Don Juan verloren. Wild brausen die widersprechendsten Gefühle im planlosen Style durch einander. – Wie war es möglich, aus diesem Plane ein schönes Ganze hervor zu rufen? Und dennoch ist Don Juan eins der reichsten Werke an Kunstschönheiten. Aber immer nur im Einzelnen. Jede Scene ist für sich schön und bildet ein einzelnes Kunstwerk, das nie auf das neben ihm stehende Bezug hat. Man beurtheile diese Oper nie als ein Kunstwerk. Don Juan ist kein schönes Ganze, es ist eine Bildergallerie einzelner Schönheiten.

Man muss erstaunen, wie Mozart bey solchen grotesken Sprüngen des Sujets dennoch so viel Grosses mit Kleinem, den grössten Schreck mit dem fadesten Spaasse zusammenstellen konnte! Denn man halte nur die Geisterscene gegen die Bauernhochzeit, die Mordscene gegen die Arie: Fin ch'han dal vino etc.! – –

Dass das Sujet, diese so abgeschmackte Farce, weiland jesuitischer Erfindung ist, ist bekannt.7 Nur zu bedauern, dass Mozart seine himmlische Musik daran verschwendet hat.

Quelle:
Nissen, Georg Nikolaus von: Anhang zu Wolfgang Amadeus Mozart's Biographie. Leipzig: Breitkopf & Härtel, 1828 [Nachdruck Hildesheim, Zürich, New York: Georg Olms, 1991], S. 95-111.
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