[74] Idomeneo, Rè di Creta. Opera seria.


Diese Oper bildet den Uebergang der frühern Periode in die classische Mozart's. Er schrieb sie 1780 für den Fasching in München.

Die Ouverture ist prächtig und, ganz in demselben heroischen Style wie die Oper selbst, mahlt sie[74] Krieg und Sturm. Wild bewegen sich die Tonmassen durch einander, grosse Erwartungen nährend, auffordernd zum Streite in die donnernde Schlacht, zum Kampfe mit den im Sturme braussenden Elementen. Ohne ein vorausgehendes Adagio macht sie nur einen Satz und eilt mit Riesenschritten, wie Wetterwolken vom Sturme getrieben, einher. – Die erste Arie: padre parenti Gb ist voller Ausdruck, und in den Worten: Grecia caggion tu sei in dem Uebergange in's B# liegt viel süsse Schwermuth und Wahrheit.

Das Finale mit den Chören der Argonauten ist ganz besonders malend. Welcher Tumult! welch ein kriegerisches Lärmen! wie beweglich die Saiteninstrumente! wie wirkt gegen das Ende hin das schnellere Zeitmaass so vortrefflich!

Die Arie des Arbace im zweyten Acte: Zefiretti lusingheri etc. ist sehr sanft schmeichelnd, und das grosse Quartett in diesem Acte ist vielleicht in seiner Gattung eines der schönsten aller Zeiten und Meister. Die Tiefen der Harmonie sind unergründlich, der Styl der erhabenste und die Oeconomie der Stimmenvertheilung das Resultat des reifsten Nachdenkens, die Verwebung beinah unerforschlich.

Der Chor der Schiffer: Placido è il mare: andiamo! tutto ci rassicura etc. mit untermischtem Solo ist der reinste Abdruck der ruhigsten heitersten Seele; man scheint die blaue Spiegelfläche des stillen wellenlosen Meeres vor sich zu sehen, und mit dem Boote sanft über ihre Fluthen zu gleiten. Clarinetten und Fagotte coloriren vorzüglich dieses heitere Gemälde.[75]

Wie ausdrucksvoll der tumultuarische Schlusschor des zweyten Finales, wie schön und deutlich die allgemeine Bestürzung in diesem fugirten Chore und in der sonderbaren, ungewöhnlichen Tactart. Das Ineinandergreifen, Abfallen, Einsetzen und Nachahmen der Stimmen unter und mit einander ist zum Erstaunen hinreissend, und wie gewaltig werden dabey die Hörer ergriffen! Man wird unwillkürlich mit dem Tonstrome fortgerissen, man fühlt sein ganzes Selbst in ängstlicher Eile vorwärts getrieben, und kann, wie von einer grossen Angst befreit, erst mit dem Fallen der Gardine beym Schlusse diesses furchtbaren Chores, freyer athmen.

Eben so reichhaltig an Schönheiten und interessanten Situationen ist der dritte Act, besonders die Scene mit Idomeneo und dem Oberpriester, die Auftritte im Tempel u.m. Endlich lös't der Orakelspruch Neptuns den Knoten. Der Schlusschor ist einer der erhabensten und feyerlichsten; und ein Vorzug dieser Oper besteht darin, dass sie sich bis zur letzten Note gleich bleibt: kein zweckwidriges Tempo, keine üppig melodischen Auswüchse vernichten hier die erhabenen Eindrücke; edle und anständige Freude und Jauchzen des Volkes beschliessen dieses heroische Stück.

Mozart composa cette musique sous les auspices les plus favorables. L'Electeur de Bavière, qui l'avait toujours comblé de graces et de préférances, lui avait demandé cet opéra pour son théatre, dont l'orchestre était un de mieux composés de l'Allemagne. Il se trouvoit alors dans toute la fleur de son génie, il avait 25 ans, et était eperdument[76] amoureux (oder wenigstens zum ersten Male). Il trouva dans ses sentimens pour sa Maîtresse les motifs des airs passionnés dont il avait besoin pour son ouvrage. L'amour et l'amour-propre du jeune compositeur (sein Vater wollte ihn nicht die Lange heirathen lassen, weil sie Beyde nicht etablirt waren; es scheint, er habe ihm wollen zeigen, was er werth sey und erlangen könne: er meinte sicher, der Churfürst würde ihn anstellen) exaltés au plus haut dégré, lui firent produire un opéra qu'il a toujours regardé comme ce qu'il avait fait de mieux, et dont il a même souvent emprunté des idées pour ses compositions suivantes.

Quelle:
Nissen, Georg Nikolaus von: Anhang zu Wolfgang Amadeus Mozart's Biographie. Leipzig: Breitkopf & Härtel, 1828 [Nachdruck Hildesheim, Zürich, New York: Georg Olms, 1991], S. 74-77.
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