Instrumentalmusik.

[149] Mozart's frühere Instrumentalstücke sind meistens in Salzburg oder auf seinen Reisen bis 1781 verfertigt, ehe Wien auf seinen Genius seine grosse und vortheilhafte Wirkung machte; denn Frankreich und Italien hatten damals weit weniger in diesem Betrachte gewirkt; Wien aber später sehr viel. Diese Stücke sind nun meistens in Pichl's Geschmack und Weise, so weit nämlich ein genialer Mensch die Weise und den Geschmack eines andern annimmt. Sie sind einfach, lebhaft, melodiös, klar, fast durchgängig sehr gut verbunden und auch schon mit unverkennbaren, wenn gleich noch flüchtigen Spuren des Sinnes und der Neigung für tiefere contrapunctische Combination und Ausarbeitung. Manche Leeren, die wohl erst seit jener Zeit geworden, kann man wohl hingehen lassen. Auszuführen ist Alles leicht und in den wenigen Blasinstrumenten sogar kinderleicht.[149]

Es giebt eine Lehrlingsepoche, die jedes Genie durchwandeln muss. Denn es liegt in der Natur des menschlichen Gemüths, das von dem Einzelnen zur Zusammenstellung des Ganzen fortschreitet, dass es erst Theile auffassen muss, um zum Ganzen einer Vorstellung zu kommen, und das Genie sowohl als der bloss mechanische Kopf gehen im Anfange ihrer Laufbahn von einem Puncte aus, arbeiten nach denselben Regeln. In der Folge erst, wenn es seine Kräfte an einzelnen Schöpfungen nach schon vorhandenen Formen geübt und geprüft, schreitet es zur Schöpfung einer neuen allgemeinen Form. Auch diese Schöpfung hat aber auch ihre Periode, in der sie reifen und zeitigen muss, ehe die classische folgen kann. So sind nun Mozart's frühere Arbeiten aus seiner Lehrlingsperiode noch Nachahmungen von vorhandenen Formen und nichts weniger als classisch. Da, wo die Periode der beginnenden Steifheit allmählig eintritt, erscheint auch die Originalität kräftiger, und wenn man seinem Geiste vom ersten Producte bis zum letzten chronologisch nachschleicht, wird die allmählige Ausbildung und Progression seines Genius klar, und selbst wie sich seine Form nach und nach in sich selbst und der innern Vollendung nähert, aus der die neueren Producte natürlich immer reiner, reifer und vollendeter hervorgehen mussten. Hierbey drängt sich einem unwillkürlich die Frage auf: Wie hat Mozart das vorhandene benutzt, und wer hat vor ihm so benutzt, wie er?

Die reine Instrumentalmusik verschafft sich ihren Text selbst, und in ihr wird ein Thema so entwickelt, bestätigt, variirt und contrastirt, wie der[150] Gegenstand der Meditation in einer philosophischen Ideenreihe. Begleitend ist sie das Meer und die Luft, worin die Menschenstimme schwimmt und ihre Fittige schlägt. Für die Poesie ist sie das, was die Lebhaftigkeit des Colorits für eine gut entworfene Zeichnung oder der belebte Contrast des Lichts und Schattens für die Figuren ist. Dem Genie sagt die Instrumentalmusik am mehrsten zu, und es gehört zu ihr unstreitig mehr Erfindungskraft und Phantasie als zur Singcomposition. Daher vermögen Hunderte Verse von Texten leidlich zu componiren, da kaum einer von ihnen im Stande ist, ein erträgliches Instrumentalstück zu machen. Es steht sicher anzunehmen, dass Mozart und auch Haydn ihre Namen als musikalische Genie's mehr durch ihre Instrumental- als durch ihre Singsachen befestigt haben; wenigstens haben gewiss jene zur Ausbreitung ihres Namens am meisten beygetragen.

Mozart, der effectuirendste aller Orchestercomponisten, hatte aber auch unverkennbar vieles den ausübenden Meistern auf Bogeninstrumenten abgelauscht: und es ist bekannt, dass selbst die Menschenstimme durch nichts so sehr gehoben und getragen wird, als durch die moderne und namentlich die Mozart'sche Instrumentation der Bogeninstrumente.

So sehr nun auch in dieser Art Mozart Muster ist, so legen es doch seine Nachahmer zu häufig auf Fülle und Ueberfülle, auf stürmende, wohl auch scharf einschneidende, leidenschaftlich fortreissende Kraft, hartnäckig kunstvolle Verwebung und Ausführung an: es entgeht ihnen nämlich, dass Mozart bey aller Fülle klar und folgerecht bleibt, dass er[151] seine leidenschaftlich gesteigerte Kraft stets durch edle würdige Mittel, nie durch bloss Rauschendes und Lärmendes, ausübt und geltend macht; dass er seinen kunstvollen Ausführungen stets eigenthümliche, fassliche und ausdrucksvolle Melodieen zu Grunde legt, bey denen lange zu verweilen der Mühe werth ist – Melodieen, die das Gemüth des Zuhörers sogleich ansprechen und es diesem damit erleichternden Meister durch alle seine Details zu folgen. Ihre Empfindungen sagen oft an sich und vor ihrer Ausarbeitung zu wenig aus und sprechen das Gemüth nicht an, oder auch, sie sind oft nicht eigentlich die ihrigen: sie sind nicht um diese sorgsam genug und übereilen sich: ihre gründliche in ihren Combinationen nicht selten bewundernswerthe Ausführung verdunkeln sie durch immerfort angehäufte Instrumente, so dass man ihnen nur mit angestrengtem Verstande, mithin nur einseitig folgen kann: dadurch, dass sie von einer ergriffenen Figur gar nicht ablassen, so lange sie sich nur etwas darüber aussinnen können, dehnen sie ihre Stücke zu lang aus und ermüden auch den aufmerksamsten Zuhörer. So machte es Mozart nicht. Seine Erfindungen sind schon an sich bedeutend, ansprechend und ganz sein eigen: seine reiche Instrumentirung ist so gestellt und gearbeitet, dass sie die Hauptideen nicht aus einander treibt, sondern nur um so enger zusammen hält, durch den Wechsel der Instrumente sie auch um so angenehmer und klarer hervortreten lässt. Endlich weiss er auch überall mit der Ausführung einzelner Theile wie mit dem Ganzen seiner Sätze zu rechter Zeit aufzuhören.[152]

Mozart's Instrumentalsachen, insonderheit seine Quartetten und Quintetten haben gewiss zur Allgemeinheit seines Ruhms mehr beygetragen, als Viele denken mögen. Ein Tonkünstler kann in dieser Gattung am mehrsten Genie zeigen; denn nicht nur muss er hier ganz allein erfinden und sich selber allen Stoff geben, sondern er ist auch einzig und allein auf die Sprache der Töne eingeschränkt. Seine Gedanken haben ihre Bestimmtheit in sich selber ohne von der Poesie unterstützt zu seyn. Bey Niemandem unter den neueren Deutschen, ausser Haydn, lässt sich die Superiorität des musikalischen Genie's so sicher aus Instrumentalarbeiten deduciren, als aus den Mozart'schen, und daher haben sie auch so vielen Werth und bestimmten Einfluss auf Gefühl und Urtheil der musikalischen Welt gehabt.

Mozart handhabte mit Leichtigkeit grosse contrapunctische Kunst. Mit Leichtigkeit! Das ist der Probirstein der Vortrefflichkeit; denn man kann bald ein Thema finden, welches alle contrapunctischen Versetzungen zulässt, ohne dass es gerade desshalb ein Gegenstand der Kunst, ein Bild der Schönheit genannt werden kann. Den Fluss der Rede muss es in seinen Wellen spielend mit sich tragen und in so natürlicher Ungezwungenheit vorüber schweben lassen, dass die Seele des Spielers unwillkürlich sich hingezogen fühlt, diese interessante Wendung noch ein Mal zurückzurufen, um bey näherer Beschauung den innern organischen Bau näher zu betrachten. Bey Mozart ist aber eben diess immer der Fall, denn sein Geist schwebt stets in den Regionen der Harmonie und Melodie mit hoher Besonnenheit und genialer[153] Freyheit und dem ersten Anscheine nach mit solcher Ungebundenheit, dass die technische innere Vollendung des Werkes erst bey genauerer Beschauung dem Kenner sichtbar wird, und er die Leichtigkeit, mit welcher Mozart solche intensive und kunstvolle Schönheiten hinzuzaubern wusste, zu bewundern gezwungen wird. – Die Steifheit und Gezwungenheit ist der Tod der Kunst, besonders der Tonkunst, wo alle Form in höchster Bewegung, alle Farben im höchsten Glanze und Wechsel und alle mannigfaltigen Reize im höchsten Einklange seyn müssen. Also geht daraus hervor, dass bey Mozart die Nothwendigkeit mit der Freyheit durch Einheit verbunden war.

Mozart's Quartetten und Quintetten sind eine wahre Zierde ihres Geschlechts. Selbst Haydn's Quartetten entgeht die Ründung, die bey Mozart, mit der ernsten Regel des Quadrosatzes gepaart, anmuthig den Hörer erfreut. Nur beym Studium und fleissigem Zuhören lassen sich diese Schönheiten fühlen und durch's Gefühl erklären; die Wortsprache ist hierzu nicht hinreichend. Sie sind mit dem Feuer der Einbildungskraft und mit Correctheit geschrieben. Selbst die Menuetten darin sind mit seltenem Fleisse gesetzt und mit seltener canonischer Nachahmung gearbeitet. Sie zeichnen sich sämmtlich durch Heiterkeit, frohe Beweglichkeit und Jugendkraft vor ihres Gleichen aus. – Man kann sagen, Mozart's Quartetten und Quintetten, mit und ohne Clavier, sind fast ohne Ausnahme höchst bedeutend, von festem Charakter, hoch gedacht, tief gefühlt, unerschütterlich gehalten, oft wahrhaft leidenschaftlich. In diesen[154] Compositionen, durchaus nur für erwählte kleinere Zirkel, geht sein Geist in seltener fremdartiger Weise gross und erhaben einher, wie eine Erscheinung aus einer andern Welt; und schmilzt er auf Momente in Wehmuth dahin, oder tändelt in fröhlicher Laune, so sind es nur Momente, nach denen er, wäre es auch nur auf Momente, sich wieder aufreisst in kühner, zuweilen wilder Kraft, oder sich windet in bitterm, schneidendem Schmerz, der dann nach dem Siege zu triumphiren oder im Kampfe zu ersterben scheint. Damit man diess nicht für Schwärmerey halte, sondern gleich in Einem beysammen finde, so muss man sie fleissig studiren oder sie mit Aufmerksamkeit und wiederholt hören.

Wenn man ein Mozart'sches oder auch ein Haydn'sches Quartett hört, glaubt man einer Unterhaltung von vier geistreichen Personen beyzuwohnen. Die erste Violine ist ein liebenswürdiger junger Mann, der zu reden weiss, und daher die von ihm in Anregung gebrachten Ideen am lebhaftesten auseinander setzt. Die zweyte Violine ist sein Freund, der gern im Schatten steht, wenn er nur dem erstern ein paar Nebengedanken geben, oder durch seine Beystimmung den Hauptgedanken jenes grösseres Gewicht verleihen kann. Als recht gelehrter, weisheitsvoller, aber nicht redseliger Mann tritt der Bass auf. Was die erste Violine sagt, bekräftigt er mit ein oder zwey Worten, manchmal deutet er auch eben so lakonisch an, was die erste Violine schon von selbst gebracht haben würde, und übrigens hält er noch hübsch darauf, dass die Ideen nicht zu weit ausweichen, hübsch in der Association bleiben und[155] keine Sprünge machen. Die Viole ist eine etwas geschwätzige Alte; viel Bedeutendes hat sie nicht zu sagen. Aber sie giebt doch gern ihr Wörtchen freundlich und redselig dazu, und füllt auch wohl eine kleine Pause aus, wo die anderen Leutchen Athem schöpfen wollen. Uebrigens hält sie es, weil sie schon in den Jahren vorgerückt ist, doch mehr mit dem weisen, ernsten Basse, als mit den Violinen, die nur allein das Wort führen wollen. Viele neuere Quartetten unterscheiden sich von den genannten dadurch, dass die erste Violine allein das Wort führt, und die anderen Instrumente Ja, ja, ja dazu sagen.

Mozart's Tafel- und Nacht-Musiken (Harmonieen) bezaubern auch das minder fühlende Herz. Die Nachtmusik für 13 Instrumente ist von ausserordentlicher Schönheit und unbeschreiblichem Eindrucke.

Die grossen Symphonieen sind diejenige musikalische Gattung, in welcher sich das Genie am freysten und verwegensten bewegen darf, wo es allgemeiner wirkt, wo es alles musikalische Zubehör als Mittel zu seinem Zweck aufbieten kann; – eine Gattung, von welcher sich also in Instrumentalmusik, wie vom Chor im Gesange, behaupten lässt, dass sie am sichersten den Künstler selbst darstelle. Mozart's Symphonieen (hier ist nur von denen aus reiferen Jahren die Rede) sind an Tendenz und Geist den Quartetten ähnlich, nur noch freyer, kühner, reicher, energischer, aber auch hin und wieder noch wilder, schneidender, drückender, so dass der Geist des Künstlers zuweilen mehr die Gährung, als das durch Gährung Abgeklärte, mehr die aus dem Chaos[156] sich selbst gebährende, als die aus ihm neu geborne Schöpfung giebt. Der ordnende und geordnete Verstand dürfte sie also, mit Einwendung des erst hingerissenen, aber mit Einstimmung des dann gerührten Gefühls, in Ansehung des reinen Kunstwerthes den schönsten Quartetten Mozart's nachsetzen, und hier Haydn die Palme reichen.

Seine grosse Symphonie C# mit der Schlussfuge ist wohl die erste aller Symphonieen. In keinem Werke dieser Art glänzt der göttliche Funke des Genie's heller und schöner. Alles ist himmlischer Wohllaut, dessen Klang wie eine grosse herrliche That zum Herzen spricht und es begeistert, Alles die erhabenste Kunst, vor deren Gewalt der Geist sich beugt und staunt.

In Bezug auf seine Symphonie aus Gb kann man sagen: wie viele von allen seit dieser Mozart'schen geschriebenen Symphonieen möchten wohl, also gleichsam entkleidet – gleich lebhaft colorirten Gemälden, auf eine einfarbige Zeichnung zurückgeführt – auch nur halb so viel für Einsicht, Empfindung und Geschmack darbieten? – Die in Es# hat ein an sich unbedeutendes Thema, welches aber auf eine bewundernswürdig kunstreiche und angenehme Weise durchgeführt ist.

Im Ganzen genommen sind die Mozart'schen Symphonieen Kernwerke, die einen dauerhaften Genuss verschaffen, und die man von Zeit zu Zeit wiederholen kann, ohne ermüdet zu werden. Wie herrlich belohnt wird man für das, bey einigen vorzüglich schwere, Einstudiren, wenn man endlich die Schwierigkeiten glücklich überwunden hat, und dann[157] aus diesen die einzelnen Schönheiten hervortreten und bemerkbar werden!

Die grosse Orchester-Symphonie ist durch Mozart und Haydn auf einen Gipfel gehoben worden, von welchem unsere Vorfahren sich nicht träumen liessen, und wofür auch jetzt noch selbst Nationen, wie die Italiener, keinen oder sehr wenig Sinn haben. – Sie ist seit Mozart und Haydn verlassen! – Wer kann ihnen ganz folgen: wer besitzt Mozart's Zartheit, Kraft und Tiefe? Wer kann ihnen folgen, wie Beethoven, der ihnen aber bisher (1803) nur Ein Mal hat folgen wollen?

Die Instrumental-Musik der Deutschen auf ihrer wundervollen Bahn, wie sich dieselbe vorzüglich in den Symphonieen der drey grössten Meister dieses Gebietes der Tonkunst entfaltet hat, möchte man mit der Sonnenbahn vergleichen. Haydn als den Morgen. Bey Mozart sind alle Hoffnungen, die uns jener Morgen verkündete, in Erfüllung gegangen. In voller Majestät prangt die Sonne im Zenith und giesst, ein Feuermeer, ihre erwärmenden leuchtenden Strahlen über die Welt. Zum Westen scheint sie geneigt bey Beethoven.

Haydn, Mozart und Beethoven in Sonaten und Symphonieen. Die Symphonie war auf dieser Stufe eine Sonate für Orchester. Doch schon bey dieser all gemeinen Bezeichnung ergiebt sich manches der Symphonie Eigenthümliche. – Daher erhielt die Symphonie im Ganzen statt des freyen und äusserlich (in einzelnen Gedanken) reicheren Flusses der Sonate einen gehaltenern, grossartigern Gang, und tiefern Inhalt, die Melodieen gestalteten sich kräftiger[158] und bedeutender, die Harmonie wurde reicher und kunstvoller, die Modulation kühner, die Stimmführung war nicht durch die geringen Mittel eines oder weniger Ausführenden gefesselt; contrapunctische Verschlingung, ja die Form der eigentlichen Fuge treten auch in der neuern Form der Instrumental-Compositionen freyer in das Leben. In der Instrumentation wurden vor allem die Kräfte der verschiedenen Instrumente und in mehrem oder minderm Grade ihre Eigenthümlichkeit beachtet; die Saiteninstrumente galten als Hauptstimmen, deren sich die Blasinstrumente meist als Verstärkung und Ausfüllung zugesellten, und so oft auch namentlich Mozart (als Ausnahme des hier Behaupteten) einigen Blasinstrumenten Solo's übertrug, so wenig ist doch selbst von diesen Stellen zu verkennen, dass den Bläsern im Ganzen nur eine zweyte Rolle zuertheilt war.

Man muss diesen Symphonieen in Rücksicht auf ihre geistige Bedeutung und auf die Natur des Eindruckes, den sie hinterlassen, eine rein lyrische Tendenz zuschreiben. Dieselbe Gefühlsanregung, die von einzelnen ausgesprochen, oder von einer Masse ausgesprochen Hymne wird, gestaltet sich in der Musik nach Art der Ode zur Sonate, und nach Art der Hymne zur Symphonie. Diess ist es, was Mozart in seinen Symphonieen niedergelegt, was er zur Vollendung gebracht hat; und wer hätte es eher vermocht, als er, dessen Geist, dessen ganze Natur sich in die musikalische Empfindung aufgelös't hatte? Wir weisen auf seine Symphonie Gb zurück, die durchgängig den Ausdruck einer unstäten, unruhigen Leidenschaft,[159] eines Ringens und Kämpfens gegen mächtig eindringende Unruhe zeigt; auf die aus Es#, in der die Sprache weicher, nicht Thränen – aber auch nicht trostloser, vielmehr von manchem himmlischen Hoffnungsstrahle durchleuchteter Sehnsucht herrscht.

So gleichartig in dem bisher Angeführten die Symphonieen Haydn's, des Vorgängers Mozart's, der Hauptsache nach, den Mozart'schen sind, so ist in jenen doch noch eine Beymischung, die bey Mozart durchaus fehlt. Es scheint, es hätte seine Empfindung, besonders die kindliche, ungetrübte Freude, die so oft selbst unerwartet bey ihm hervorbricht, sich öfters bestimmter äusserer Gegenstände bemächtigt und ihre Darstellung in den Ausdruck des Gefühls selbst gemischt. Wer mit Empfänglichkeit z.B. das Scherzo der Cb Symphonie anhört, dem muss neben, fast vor dem allgemeinen Ausdruck der Fröhlichkeit eine ländliche Scene, ein ländlicher lustiger Reigen zu der dörflichen Weise des Violoncells aufgehen, und selbst des ausgelassenen Juchhe! ist in den Violinen nicht vergessen. – Diess sind die Grundzüge der Leistungen im Symphonieenfache vor Beethoven.

Beethoven begann im Sonaten- und Symphonieenfache auf der Mozart'schen Stufe: seine ersten Ergüsse sind lyrisch. Wenn sich in ihnen die Empfindung oft bestimmter, oft inniger aussprach, wenn auch als Nachklang der Haydn'schen Schule, mancher Moment frischer und heller hervorglänzte, als bey dem weichern Mozart, wenn sich endlich auch eine grössere, tiefer begründete Einheit in Beethovens[160] Compositionen kund gab, so war doch der Grundgedanke derselbe. – In diese Periode gehören vor allen seine C# undD# Symphonieen; erstere geradehin Mozartisch zu nennen, letzere in ähnlichem Geiste geschrieben, aber grösser ausgebildet und desswegen schon dem Umfange nach über die Mozart'sche Symphonie hinausgehend. In Beethoven ist, nach Mozart, der grösste Fortschritt der Kunst sichtbar geworden. – Aus der unbestimmtern Lyrik der Mozart'schen Symphonieen ging zunächst Beethovens Cb Symphonie hervor, noch der Lyrik angehörend, allein nicht ein Gefühl, sondern eine Folge an Seelenzuständen mit tiefer psychologischer Wahrheit darlegend. – Diese Symphonie ist als die erste Erhebung über den Mozart'schen Standpunct anzusehen. Die eigentliche Bedeutung, der Charakter und die Fähigkeit der verschiedenen Instrumente gingen dem unermüdet vorwärts strebenden Meister immer klärer auf. Bald waren sie ihm nicht mehr todte Mittel. Sie traten in voller festgezeichneter Persönlichkeit vor ihn, und das Orchester ward ihm ein belebter, in dramatischer Thätigkeit begriffener Chor. Aber jene ersteren Tendenzen wurden nicht aufgegeben, sondern nun vereinigte sich Alles in psychologische Entwickelung, geknüpft an eine Folge äusserer Zustände, dargestellt in einer durchaus dramatischen Thätigkeit der das Orchester bildenden Instrumente. – Und diess ist der höchste Standpunct, der in der Ausbildung der Symphonie erreicht worden ist.

Quelle:
Nissen, Georg Nikolaus von: Anhang zu Wolfgang Amadeus Mozart's Biographie. Leipzig: Breitkopf & Härtel, 1828 [Nachdruck Hildesheim, Zürich, New York: Georg Olms, 1991], S. 149-161.
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