Kirchen-Compositionen.

[161] Die Kirchenmusiken, die Mozart in seinen früheren Jahren setzte, ehe er auf Reisen seine hohe Schule machte, sind zwar angenehm, zum Theil gar nicht unbedeutend, aber dennoch keine Kirchenmusik; später arbeitete er weniger in diesem Fache, aber auch zweckmässiger, und zuletzt sein himmlisches Requiem.

Bey aller Verschiedenheit in der Erfindung haben sie sämmtlich eine unverkennbare Familienähnlichkeit im Geschmacke, Styl und gewissen Zufälligkeiten. In dieser Hinsicht entwickeln sie sich aus der damaligen Zeit, aus dem örtlichen Geschmacke vorzüglich des Erzbischof's Colloredo, der auch darin schlechterdings seinen Willen haben wollte und von dem Mozart damals noch eine Versorgung hoffte, und aus den beschränkten Mitteln, die dem Componisten zu Dienste standen. Mozart's Vater, ein gründlicher Kirchen-Componist, der aber nichts wollte, als in und mit seiner Zeit achtbar einherschreiten, hatte den Sohn frühzeitig auch für diess Fach gleichfalls gründlich erzogen. Aber die Jahre, häussliches Leiden und eine gewisse Art und Gewohnheit seines Herrn, nach welcher derselbe nur das Fremde hoch hielt, das Heimische gleichgültig behandelte, wie damals noch viele deutsche Fürsten, dabey auch von den Seinen Viel verlangte und sie so schlecht als möglich besoldete – diess vereinigt hatte den Vater Mozart endlich ermüdet. Er schrieb Nichts mehr und zog sich bloss auf seine amtliche Pflicht zurück. Mozart, der Sohn, voll Liebe und Begeisterung für[162] seine Kunst, ertrug das nicht; wiewohl noch ein Jüngling, seiner Kräfte sich bewusst, vorzüglich durch seine früheren Reisen und die Aufnahme seiner Arbeiten in Italien und Frankreich, überdiess hingehalten in der Hoffnung, dem Vater mit einigem Gehalte an die Seite gestellt zu werden – griff ein als Componist und Director. Da er aber am Orte fast nur Kirchenmusik zu öffentlichem Gehör, wenigstens nur zur Beachtung seines Fürsten, bringen konnte, warf er sich in diese und bequemte sich bey seinen Arbeiten aus den angeführten Rücksichten, nach den nun einmal entschieden ausgesprochenen Forderungen und aus Nothwendigkeit nach den nun einmal vorhandenen geringen Mitteln. Jene Forderungen liefen auf Folgendes hinaus. Die Kirchenmusik muss seyn höchst populär (nur eine Fuge wurde, gleichsam Ehrenhalber, gestattet), so kurz als bey gehöriger Anwendung aller Textesworte der Liturgie möglich und bey Verwaltung der gottesdienstlichen Handlungen thunlich (nur die Schlusssätze beyder Haupttheile der Missa durften und das Benedictus sollte länger ausgeführt werden); im Geschmack und der Schreibart sollte sie sich nicht, oder doch so wenig, als möglich, von dem entfernen, was man Gutes früher nun eben gewohnt worden war; in der Erfindung und dem Ausdrucke sollte sie (in den lebhafteren Sätzen nämlich) so heiter und fröhlich seyn als die Worte und die Kirche irgends zuzulassen schienen, wobey es sogar keinesweges ungern gesehen ward, wenn zuweilen etwas vorkam, das fast lustig hätte genannt werden dürfen; und in der Besetzung waren vorzüglich Trompeten und Pauken[163] nicht zu schonen. Zu diesen Forderungen der Individualität setzte nun die Nothwendigkeit von Seiten der sehr beschränkten Mittel zur Ausführung noch hinzu: an den Sologesang müssen äusserst mässige Ansprüche gemacht, der Chorgesang muss sehr leicht und wie von selbst dahinfliessend, die Orchesterbegleitung wenigstens durchaus nicht schwer seyn.

In dieser Weise nun, aber freylich mit eigenem Geiste, regsamem Gefühle und vieler Sicherheit, lebendig, einfach, sehr anmuthig und schon mit wenig geübter Kunst schrieb Mozart alle seine ziemlich zahlreichen Kirchenstücke in Salzburg, bis ihn Umstände wegführten.

Hierher gehören aber nicht, wiewohl gleichfalls aus ziemlich frühen Jahren, seine vortreffliche Litaney und die in ihren Hauptsätzen dieser gleichzustellende Missa F#, und auch eine spätere grosse Missa von ihm aus C, aus welcher Mozart später mehre Hauptstücke zu seinem Davidde penitente benutzte, die noch nicht gedruckt und vielleicht gar nicht mehr vorhanden ist. Zwey grosse Messen im ächten Kirchenstyle sind aus seinen reiferen Jahren.

Auf diese Weise muss dem grossen Manne von der urtheilenden Nachwelt auch in dieser Hinsicht sein Recht wiederfahren. Denn es ist schon geschehen, dass man auch in diesen Stücken einen Kirchenstyl, etwa wie in seinem Requiem, gesucht, und, da man diesen im geringsten nicht gefunden, gegen diese Stücke nicht nur, sondern selbst gegen den Meister achselzuckend abgesprochen hat.

Bey einer Gelegenheit wird in der Leipz. allg. mus. Zeitung über den schädlichen Einfluss des Opernstyls[164] auf Kirchenmusik geklagt, wo es unter anderm heisst: »Treffliches enthalten die Messen von Mozart: aberhis non est hic locus.« – Mozart's Leben war zu kurz. Die kleinen Messen, welche er für seinen Erzbischof schreiben musste, konnten ihn nicht begeistern. In Wien hatte er mit anderen Dingen zu thun. Er musste leben. Bis zum Kapellmeister brachte er es kaum. Als er in München Idomeneo schrieb, dachte er vielleicht dort an Anstellung. Für einen Gehalt von 500 fl. wär' er geblieben. Aber alle Plätze waren besetzt. Es erging ihm wie dem Schiller'schen Poeten bey der Theilung der Erde. In seinem Requiem erscheint der grosse Mann, von welchem eine Reform der Kirchenmusik hätte ausgehen können. Es war aber zu spät.

Rochlitz sagt: Aus Mozart's Requiem sieht man, dass Mozart, wie so mancher grosse Mann, Zeit seines Lebens nicht an seinem Platze war. Er war der Mann, die gesunkene religiöse Musik dahin zu erheben, wohin sie gehört – auf den Thron über alle Musik. In diesem Fache wär' er der erste Künstler der Welt geworden: denn diess sein letztes Werk gehört schon, nach dem einstimmigen Urtheile aller Kenner, selbst derer, die sonst nicht Mozart's Freunde sind, unter das Vollendetste, was die neueste Kunst aufzuweisen hat. Die vorhandenen Messen von ihm sind meistens frühe Arbeiten, die er wohl grossentheils mit Recht lieber vergessen wissen wollte.

Selbst der gewaltige Mozart erhielt sich (so wenig als Jos. Haydn) rein von der ansteckenden Seuche des weltlichen prunkenden Leichtsinns, der in der letzten Hälfte des 18ten Jahrhunderts in die Kirchenmusik[165] eingedrungen war. Die Messen, die er aber nach vorgeschriebener Norm componirte, sind beynahe seine schwächsten Werke. Er hat indessen in Einem Kirchenwerke sein Inneres aufgeschlossen. Und wer wird nicht von der glühendsten Andacht, von der heiligsten Verzückung ergriffen, die daraus hervorstralt? Sein Requiem ist wohl das Höchste, was die neueste Zeit für den kirchlichen Cultus aufzuweisen hat.

Unter seinen älteren Kirchenmusiken ist die Messe in F#, welche in Paris bey Porro längst erschienen ist, aber in Deutschland wenig bekannt geworden zu seyn scheint, nach dem Requiem, mit seine bedeutendste Composition in diesem Fache, und kann den Freunden eines fliessenden und doch gründlichen Kirchenstyls nicht genug empfohlen werden.

In gleichem Maasse, wie Mozart, wie er gleich seinen Gesangmusiken, nach und nach freyeres Feld gewinnt, sich mehrer Mittel bemächtigen, sich mehr ausbreiten darf, werden seine Arbeiten für den Kirchenstyl auch charakteristischer, geistreicher, origineller, gediegener, folglich reicher an Effect, und selbst die Wortkritik hat dann weniger auszusetzen.

Seine Cantate: »Herr, Herr, vor deinem Throne« etc. gehört ohne Zweifel zu seinen früheren Arbeiten, wie man diess aus dem Style, aus der Anlage und Behandlung der Harmonie und aus der Anwendung der Blasinstrumente schliessen kann. Sie enthält eine Menge der herrlichsten Ideen, und wird den, der wahre Kirchenmusik zu schätzen weiss, nicht unbefriedigt lassen. – Der zweyte Satz, Andante für vier Solostimmen, das zwar, vorzüglich in den Instrumenten[166] verschiedene nicht moderne Figuren enthält, hat aber dennoch etwas sehr Liebliches. – Der vierte Satz enthält zwar auch mehre sehr ausdrucksvolle Stellen, scheint aber bey der öftern Widerholung der Hauptgedanken etwas zu gedehnt: wenigstens contrastirt seine Länge mit den anderen vergleichungsweise ziemlich kurz gehaltenen Sätzen. – Auffallend ist, dass der Verfasser die hier zwey Mal vorkommende Stelle, wo der Erlöser die Völker Wahrheit lehrt etc. absichtlich (denn was hätte wohl ein Mozart ohne Absicht gethan?) dunkel gehalten hat.– Sie enthält bey weitem nicht so viele Schwierigkeit für Sänger und Instrumente, als andere Werke Mozart's. Aus dieser Ursache, und weil einige Instrumente ohne bedeutenden Nachtheil weggelassen werden können, muss sie unbemittelten Orchestern willkommen seyn.

Von ähnlichem Werthe sind in diesem Fache noch seine Motette: »Ob fürchterlich tobend sich Stürme erheben« etc. seine Hymnen: »Preis dir Gottheit durch alle Himmel etc. und: »Gottheit, dir sey Preis und Ehre« etc. seine Cantate: »Heiliger, sieh' gnädig hernieder« etc. sein Te Deum und viele Andere. Eben so seine Messen aus D#, B#, G#, etc.

Seine Cantate: Das Lob der Freundschaft und seinAve verum corpus sind aus seiner letzten Zeit und daher von ganz anderm, von jenen wesentlich verschiedenem Charakter.

Sein Misericordias Domini ist ein einziger, sehr langer, langsamer und im edelsten Kirchenstyle verfasster Chor. Mozart soll in seinen letzten Jahren gesagt haben, dass er diess Stück hoch hielte und[167] bedauerte, (in seiner kindlichen Sorglosigkeit) keine Abschrift behalten zu haben. Keine aller seiner Kirchencompositionen kann indess den andächtigsten Sätzen des Requiem in diesem Betracht an die Seite gesetzt werden. Die Wirkung desselben ist unwiderstehlich: die tiefste Rührung, die frömmste, wahrhaft religiöse Stimmung wird das Stück allenthalben bewirken und vom ersten bis zum letzten Tone erhalten, wenn man es in der Kirche gut aufführt. Es ist dieses Misericordias schon vor 1784 geschrieben.

Quelle:
Nissen, Georg Nikolaus von: Anhang zu Wolfgang Amadeus Mozart's Biographie. Leipzig: Breitkopf & Härtel, 1828 [Nachdruck Hildesheim, Zürich, New York: Georg Olms, 1991], S. 161-168.
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