Vorrede des Verfassers.

[12] Schon am 10ten November 1767 schrieb der VaterLeopold Mozart, welcher voraus sah, dass sein Sohn ein grosser Mann werden würde, einem Freunde, dass er die Lebensgeschichte seines Sohnes seiner Zeit in den Druck geben werde. Er muss aber von diesem Entschlüsse abgekommen seyn, denn nach seinem Tode ist davon keine Zeile aufgefunden worden. Indessen hat man es diesem Entschlusse zu danken, dass er sehr häufig der Frau und Tochter empfahl, alle Briefe, die er ihnen auf Reisen mit dem Sohne schrieb, sorgfältig aufzubewahren. Und auf diese Art haben sich nach ihm wohlverwahrt folgende Sammlungen gefunden:

1) Des Vaters Briefe von der Reise mit seiner ganzen Familie nach Wien, angetreten den 18ten September 1762 und geendigt im Januar 1763. Diese Briefe sind an den Kaufmann Hagenauer, seinen Freund und Hausherrn, der sie behalten hat, gerichtet.

2) Des Vaters Briefe an denselben, von der grossen ausländischen Reise mit seiner ganzen[13] Familie, angetreten den 9ten Juny 1763 und geendigt im November 1766.

3) Des Vaters Briefe an denselben, von der zweyten grossen Reise nach Wien mit der ganzen Familie; angetreten den 11ten September 1767 und geendigt im December 1768.

Wären diese Briefe an einen Gelehrten oder an einen Musikverständigen geschrieben gewesen, so hätte der Briefwechsel ihnen sicher mehr Interesse gegeben, als sie enthalten.

Ich habe aus diesen Briefen die biographischen Nachrichten herausgezogen, um damit die gedruckte Lebensbeschreibung zu ergänzen. Manches kömmt darin von Statistik und den Sitten an besonders geistlichen Höfen vor. Ich habe nur einige Proben der Denkart, besonders der religiösen stehen lassen, die bey dem Vater Mozart's zur Bildung des Sohnes ihre Merkwürdigkeit haben.

Nun folgen Briefe von grösserm Interesse, denn die Frau konnte mehr Antheil nehmen, als Hagenauer.

4) Briefe des Vaters an die Frau und Briefchen von W.A. Mozart an Mutter und Schwester auf der ersten italienischen Reise mit dem Sohne, angetreten den 12ten December 1769 bis März 1771.

5) Briefe des Vaters an die Frau auf der[14] zweyten italienischen Reise vom 13ten August 1771 bis 13ten December 1771.

6) Briefe des Vaters auf der dritten italienischen Reise vom 24sten October 1772 bis 13ten März 1775.

7) Briefe des Vaters an die Frau, auf der Reise nach Wien mit dem Sohne, vom Julius 1773 bis 22sten September 1773.

8) Briefe des Vaters an die Frau, auf der Reise nach München mit dem Sohne, vom December 1774 bis 7ten März 1775.

Von jetzt beginnt ein höheres Interesse der Briefe – Mann an Mann.

9) W.A. Mozart's Briefe an seinen Vater und die der Mutter an ihren Mann, auf der Reise nach Paris mit der Mutter, und des Vaters Antworten an Beyde, vom September 1777 bis Januar 1779.

10) Briefwechsel W.A. Mozart's mit Vater und Schwester, auf der Reise nach München und während seiner Domicilirung in Wien, vom 8ten November 1780 bis Julius 1784. Die Briefe des Vaters gehen nur bis 22sten März 1781.

W.A. Mozart war nun zu beschäftigt, zu zerstreut und zu unabhängig vom Vater, um dessen Briefe zu verwahren oder fleissig zu schreiben. Im Jahre 1786 waren seine Briefe äusserst selten und bestanden meistens nur in 10 bis 12 Zeilen.[15]

Als 1785 der Vater den Sohn besuchte, liess er diesen zum Maurer aufnehmen. Die Schwester Mozart's meinte, dass die Spuren davon in ihres Bruders Briefen den Vater vermocht haben, dessen Briefe seit dieser Epoche zu vernichten. Ein einzelner findet sich vom Jahre 1787, den die Krankheit des Vaters, der daran starb, an der Vernichtung verhindert haben kann, und der wirklich auch eine Allusion auf die Ordensverbindung enthält, welche der Vater aufzubewahren Bedenken tragen konnte.

Aus obigem Verzeichnisse sieht man, dass die wichtigeren Briefe W.A. Mozart's nur den Zeitraum vom September 1777 bis Julius 1784 begreifen. Es sind zwar eine Menge Briefe früherer Zeit an die Schwester da, sie haben aber wenig Werth. Witz, Lebhaftigkeit und Charakteristik ist unleugbar darin, aber geschmackloser Witz, kindische, zum Theil pöbelhafte Munterkeit, ja Ausgelassenheit, die sehr weit geht, machen das Meiste aus; wenig von der Tonkunst. Es gehört viele Auswahl dazu, um etwas Anziehendes und Charakteristisches heraus zu finden, was man dem Publicum bieten darf, ohne dem Ruhme und der Achtung des Namen-Menschen zu schaden.

In den Briefen W.A. Mozart's von 1777 sind manche von hohem Werthe. Aber das[16] Ganze ist nicht befriedigend, nicht erschöpfend. Er war kein Brief- er war ein Notenschreiber, und damals beschäftigter, zerstreuter, freyer geworden.

Die Briefe des Vaters hingegen empfehlen sich fast alle, und der Welt ist wohl damit gedient, sie zu kennen. Der Mann ist schon an sich merkwürdig, aber hier erscheint er zugleich als Vater, Erzieher, Bilder W.A. Mozart's; besser und vollständiger kann man ihn nicht kennen lernen, als in allen diesen vertraulichen Aeusserungen, selbst über anscheinende Geringfügigkeiten, deren Bekanntmachung er nicht berechnete. Man sieht, wie viele Bildung der Vater auf den Sohn übertragen konnte. Seine Schreibart ist freylich die der früheren Jahrzehente des vorigen Jahrhunderts, aber der Schreiber war ein gelehrter, verständiger, geistreicher, kluger und umsichtiger Mann, ein Beobachter.

Die Briefe der ersten Sammlungen sind voller statistischer Nachrichten, breiten sich über die Sitten der Länder aus und verdienten wohl den Druck. Sed non hic locus. Allenthalben besahe er die Sehenswürdigkeiten und besuchte die Männer von Talent in allen Fächern, Gelehrte und Künstler aller Gattungen des Schönen.

Er führte den Sohn, auf den er stolz war, den er ein Wunder nannte, allenthalben mit, weckte dessen Sinn für alles Schöne und bildete[17] den Reichthum und die Vielseitigkeit der Ideen desselben. Er machte Register der Sachen, der Bekannten und Freunde, liess einige von W. Amadeus machen und verwahrte sie, wie man sie noch hat. Kurz, er war ein Muster von Ordnung, und Alles war bey ihm zweckmässig. Auch scheint er Materialien zu einer Biographie gesammelt zu haben.

Da wären denn Materialien zur Supplirung vieler Lücken in den erschienenen Biographieen Mozart's. Sie sind authentisch, zusammenhängend und bis gegen das Ende vollständige Sammlungen mit vielen Beylagen.

Aus den Briefen des Vaters an seine Tochter, geschrieben während seines Aufenthaltes in Wien bey dem Sohne 1785, leuchtet einige Kälte gegen diesen hervor, welche sich mitgetheilt haben kann. Auch dieses mag die Lauigkeit des darauf folgenden Briefwechsels erklären, so wie es von der Unabhängigkeit des Sohnes, an die der Vater nicht gewöhnt war, zum Theil erörtert werden kann.

Uebrigens war auch der Sohn mit seinem Besuche in Salzburg 1783 nicht recht zufrieden gewesen. Er hatte gehofft, dass man seine Frau mit einigen seiner Jugendgeschenke erfreuen würde, welches gänzlich unterblieb.

Die Briefe gehen von 1762 bis 1784, wo[18] dann der von W.A. Mozart geführte thematische Katalog anfängt. Die einzigen Lücken sind von den Zwischenräumen der Reisen, die Mozart in Salzburg zubrachte. Um einen guten Theil der Chronologie seiner Werke und Beschäftigungen zu haben, bedarf es nur noch des Verzeichnisses der Werke vor 1784, welches HerrAndré in Offenbach hat und welches derselbe bald heraus zu geben sich erklärt hat.

Nicht leicht hat sich der Enthusiasmus für einen Tondichter je so lebhaft, so allgemein und so lange er halten, als für Mozart. Auf welche Art wird er nicht gefeyert! – Kein gemüthliches Werk, worin er nicht genannt ist! – Kein Dichter, der ihn nicht besingt! – Und 34 Jahre sind schon verflossen! – – –

Freylich hat er durch den Einfluss, den er auf die Veredlung und Verschönerung des Lebens ausgeübt hat, und noch ausübt, durch seine Werke sich das bleibendste Denkmal gestiftet.

Doch hat man seine Biographie nicht! Sogenannte giebt es wohl gegen Zwanzig, wovon D. Lichtenthal die Namen gesammelt hat; 17 oder 18 davon sind indess blosse Abschriften. Nur Schlichtegroll, Niemtschek und vielleicht der Verfasser von »Mozart's Geist« haben aus Quellen geschöpft. Sie verdienen aber alle Dank für die Versuche, die sie geliefert haben, da sie Alles[19] gaben, was ihnen zu Gebote stand, wenn ihre Leistungen auch nur Skelette blieben und bleiben mussten, weil ihnen die Materialien fehlten. Der Nekrolog bekam die seinigen von Mozart's Schwester, an die er gewisse bestimmte Fragen gerichtet hatte, auf deren Beantwortung sie sich einschränkte und auch nicht viel weiter hätte ausbreiten können. Niemtschek hatte W.A. Mozart selbst und seine Frau in einigen Jahren gekannt.

Keiner von allen aber wusste diese Briefe, ohne welche Kenntniss nichts von einigem Belange zu leisten möglich ist, da es Briefe sind, deren Vollständigkeit aus dem Datismus deren fortlaufender Ordnung erhellt. Diese Briefe enthalten Nachrichten von Reisen ausser der allerersten drey wöchentlichen nach München 1762.

In den Briefen selbst ist Vieles in Chiffern geschrieben, damit der Erzbischof, mit dem sie so viele Ursache hatten unzufrieden zu seyn, ihre Aeusserungen und Pläne nicht erfahren konnte. Ich habe alle Pläne dechiffrirt. Es waren zwey Chiffern:

In der einen bedeuteten die Buchstaben a, e, i, o, u, nachstehende m, l, f, r, h, und umgekehrt m wieder a, l wieder e, u.s.w.; alle anderen Buchstaben des Alphabets blieben unverändert:

Der zweyten Chiffer war gar nicht anzumerken,[20] dass sie eine war; sie war etwas mühsam zusammenzusetzen. Die Anfangsbuchstaben jedes Substantivs mussten zusammengebracht werden, um den verdeckten Sinn zu finden; z.B. die Stadt hat ein Alter, welches die Ursache ihrer Leiden ist, hiess: Saul. Die ausnehmende Vorsichtigkeit, Umsicht und Klugheit des Vaters ist indem Gebrauche derselben zu erkennen. Manchmal fragt man sich sogleich, warum er diess oder jenes chiffrirt hat; man findet aber immer eine gegründete Ursache.

Die Briefe sind als Sittengemälde einer vorübergegangenen Zeit nicht unmerkwürdig. Wie diese Briefe zu benutzen sind:


De mortuis nil, nisi bene!

De mortuis nil, nisi vere!


(Verschweigung ist schon Unwahrheit.)


Der Mann soll gezeigt werden, wie er war, diess ist die Forderung an den Biographen, der aber durch gar viele Rücksichten gehemmt wird. Es mag wohl von einem neulich Verstorbenen keine treue Lebensbeschreibung existiren, in welchem Falle man sich begnügen muss, sich der Wahrheit und der Genauigkeit zu nähern. Man will, man darf seinen Helden nicht öffentlich ganz so zeigen, wie er sich etwa selbst in Abenden der Vertraulichkeit geschildert hat: könnte er befragt werden, würde er es selbst[21] schwerlich zugeben: er war und bleibt der Herr seiner Worte, die er hätte ungeschrieben lassen können, und die er nicht hinschrieb, als für einen, dem er beichten wollte. Er hatte Schwächen, Fehler, die er etwa später verbesserte, welches man nicht etwa Gelegenheit hat zu zeigen. Durch alle Wahrheit kann man seinem Ruhme, seiner Achtung und dem Eindrucke seiner Werke schaden. In diesen Briefen kommen von allen Seiten sogenannte unanständige Ausdrücke vor, die es zu der Zeit, indem Lande weniger waren, und die wohl Jedermann sich gegen Verwandte mehr oder weniger noch immer erlaubt. Sollen diese ausgemerzt werden? Wenn von solchen Personen, ja Freunden oder Lehrern und Wohlthätern des Helden Uebles auch Wahres gesprochen wird, wirft's Schatten von Undankbarkeit, was man zu sagen gern vermeidet?

Nun leben auch noch einige jener Personen oder ihre nahen Anverwandten, es betrifft einen Fürst-Erzbischof – man scheuet sich.

Und der Held wird nicht ganz geschildert – die Menschenkenntniss hat durch die Biographie nicht Alles gewonnen, was sie konnte, hat nicht gehörig zugenommen.

Es könnte heissen, man wünsche nur die BriefeW.A. Mozart's zu kennen; wer verlangt[22] die des Vaters? Aber hier ist in den ersteren Biographie, und die späteren machen einen Theil des Briefwechsels mit dem Sohne aus, dessen Briefe ohne die Mittheilung der anderen nicht verständlich wären. Dazu kommt, dass nicht allein der Verfasser der Violinschule ein höchst schätzbarer Mensch war, sondern dass seine Briefe eine fortlaufende Erziehung des Sohnes sind, dass sie mithin im Ganzen weit mehr Interesse als die des Sohnes haben und sich immer auf ihn beziehen. Man lese sie daher und hoffentlich wird man sie mit Vergnügen gelesen haben.

Auch sind darin viele Kleinigkeiten und unbekannte Namen aus einer Zeit, die nicht mehr ist. In so fern sind sie aber Literatur zur Geschichte der Musik und Kunde von Künstlern, fragmentarische Chronik, wie man sie in voriger Zeit nicht sammelte, wie man in jetziger Zeit zu thun pflegt, und so habe ich wohl manchem Menschen wenn auch meistens nur Nachrichten geben können.

Aus den Briefen lernt man einige CompositionenMozart's kennen, von deren Existenz Niemand mehr etwas wusste, und wovon viele vergebens gesucht wurden. Wären die Briefe für den Druck bestimmt gewesen, so würde sicher ihr Inhalt gewichtiger. Aber so zeigen[23] sie die Menschen, wie sie waren, sind somit charakteristischer als wenn sie zierlicher wären, wo sie in familiärer Nachlässigkeit von Herz an Herz geschrieben sind.

Gar zu kindische und gemeine Spässe findet man noch in W.A. Mozart's Briefen von seinem 21sten Jahre, wo überhaupt sein Leichtsinn, sein übermässiger Hang zur ausgelassenen Lustigkeit ersichtlich ist. Seine Ausdauer, wenn ich so sagen kann, in letzterer, die Mühe, der er sich dabey unterwerfen konnte, bezeugen vielfältig die P.S. seiner Briefe, die hier nicht alle gegeben sind. Uebrigens behielt er die jugendliche Spaassmacherey bis an seinen Tod.

In neueren Zeiten hatte sich Mozart so sehr angewöhnt, Gedankenstriche zu machen, dass ihrer in allen seinen Briefen unendliche sind. Seiner Frau hatte er wenig geschrieben, da sie fast stets bey einan der waren, und die wenigen Briefe sind kein zusammenhangendes Ganze, da sie nur seine stete Geldnoth, eine ungezügelte, alle Schranken überschreitende Ausgelassenheit und eine ungemeine Zärtlichkeit für seine Frau bezeugen.


(So weit gehen Nissen's Worte.)

Quelle:
Nissen, Georg Nikolaus von: Biographie W.A. Mozart's. Leipzig: Breitkopf & Härtel, 1828 [Nachdruck Hildesheim, Zürich, New York: Georg Olms, 1991], S. 12-24.
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