Fünfter Abschnitt.

Die Prüfungszeit in Salzburg.

1775–1777.

»Es bildet ein Talent sich in der Stille.«


Das Leben der Mozartschen Familie in Salzburg war nicht gerade angenehm. Ihr häusliches Miteinandersein war wohl das beste, was sie dort hatten, und mag sie für manches entschädigt haben, dessen sie entbehrten. Die Mutter freilich, deren geistige Bedürfnisse nicht eben groß waren, und die nach rechter Frauen Art im häuslichen Wirken, in den Taten der Liebe ihr volles Genügen fand, mochte sich in Salzburg ganz behaglich fühlen. Sie war ja auch in dieser Gegend geboren. Ebenso fehlte sicherlich der Schwester nicht viel, wenn ihr Wolfgang nur daheim war und mit Necken und Ernst Anteil an ihren Freuden wie an ihren Kümmernissen nahm. Dem schönen schlanken Mädchen war ein edler Herr gut und sie ihm wieder. Allein der Herr war ohne Aussicht auf eine sichere Existenz und so löste sich dieses Verhältnis, was der Nannerl viel Schmerz und ein Siechtum brachte, dem sie fast erlegen wäre. Auch dem Vater war es nicht gar so unbehaglich in Salzburg. Denn ihm, der für die Erhaltung einer Familie zu sorgen hatte, galt als das Wünschenswerte zunächst nur die feste Anstellung und der Erwerb, den ihm seine Lektionen gewährten, und erst nach diesen Dingen dachte er an weiteres Bedürfen. Dazu kam, daß die Liebe zu seinem Sohne ihm auch das Leben in Salzburg schön machte. Erst als dieser nicht mehr dort war, empfand er sein Dasein als leer und ungemütlich. »So oft ich nach Hause gehe«, schreibt er später, »wandelt mir eine kleine Melankoley zu, denn wenn ich mich unserm Hause nähere, glaube ich immer, ich müsse dich Violin spielen hören.«[81]

Am meisten mißfiel jetzt der Aufenthalt in seiner schönen Vaterstadt unserm Wolfgang, und selbst die Natur vermochte ihn fortan nicht mehr zu entschädigen für das, was ihm fehlte. Zwar erhielten ihn seine Kompositionen für die Kirche und die erzbischöfliche Kapelle immerfort in einer Tätigkeit, die ihm gemäß und angenehm war. Auch war er als Klavierlehrer bei den Damen der ersten Familien beschäftigt. Allein für das eigentlich künstlerische Schaffen mangelte es ihm auf die Länge an der Anregung, die der Aufenthalt in größeren Städten und der Umgang mit bedeutenden Menschen gewährt. Auch hatte Salzburg kein stehendes Theater. Eine wandernde Truppe gab den Winter über allerhand Vorstellungen, die in musikalischer Beziehung gewiß nicht von Bedeutung waren. Die Abendkonzerte bei Hofe durften nicht über eine Stunde dauern, und doch mußten stets mehrere Stücke gespielt werden. Zudem war das Orchester in seinen Mitteln beschränkt, die Klarinetten fehlten ganz. Gleichwohl leistete Mozart selbst unter solchen Beschränkungen etwas Künstlerisches. Die kurzen Symphonien dieser Zeit haben Leben und Freiheit genug und geben den Beweis, wie Mozart in allen Umständen zu schaffen und sein Können zu erweitern wußte. Nur in der Kirchenmusik waren neben ihm Männer tätig, mit denen er auch wetteifern konnte. Vor allen Michael Haydn, dessen Kompositionen er so hoch schätzte, daß er sich viele davon abschrieb und sie sogar später noch nach Wien begehrte. Doch das war nicht zu vergleichen mit dem, was er an Förderung, Anregung und Anerkennung bereits im Auslande genossen hatte. Die freiere Luft der großen Städte war ihm Bedürfnis geworden, und mag auch ein sogenannt geistreicher Verkehr nicht das gewesen sein, was Mozart suchte, so war doch die dumpfe Beschränktheit des damaligen Salzburg seinem fliegenden Geiste beengend und der Mangel an gebildeter Empfindung dort seinem Innern geradezu zuwider.

»Ich habe eine neue Sprache gelernt, sie ist zwar etwas[82] kindisch, aber – gut für Salzburg«, schreibt er schon von der italienischen Reise aus. Auch wußte er von einem Salzburger zu erzählen, der Paris nicht recht hatte sehen können, weil dort – die Häuser zu hoch seien. Selbst der Herr von Mölk, Nannerls Verehrer, hatte sich bei der Aufführung der »Gärtnerin aus Liebe« in München über das, was er dort sah, so verwundert und »verkreuzigt«, daß Mozarts sich seiner schämten, indem jedermann bemerkte, daß er sein Lebtag nichts als Salzburg und Innsbruck gesehen hatte. Der hohe Adel war durchweg sehr ungebildet und sehr bigott. Nur wenige Männer, welche Reisen gemacht hatten, bekundeten eine Neigung für Kunst und Wissenschaften. So der Graf Ferdinand von Zeil, jener Bischof von Chiemsee, der durch natürliche Anlage und Bildung wie durch seinen Charakter gleich ausgezeichnet war, und dessen Einfluß am bayerischen Hofe es Mozart zu danken hatte, daß er seinerzeit die Einladung zu jener komischen Oper bekam. In den Häusern dieses Adels hatte Mozart freien Zutritt, durfte sich hören lassen und Unterricht erteilen. »Der Wolfgang läßt Ihro Excellenz der Gräfin Arco die Hände unterthänigst küssen und dankt für den geschickten Kuß, der ihm viel angenehmer ist als viele junge Busserl«, schreibt der Vater aus Mailand. Doch war hier trotz Wolfgangs Goldenen Sporen von einem eigentlichen Verkehr nicht die Rede, denn dafür war der Abstand zwischen Adel und Bürger damals noch allzu groß.

Der kleinere Adel, meist vom Hofe und zwar kärglich besoldet, war ebenfalls kein Umgang für die Familie Mozart. Denn hier mischten sich Standesgefühl und Mangel an Bildung in noch unerquicklicherer Weise miteinander. Doch war Wolfgang mit einigen dieser Herren bekannt und sogar vertraut. Den Herrn von Mölk haben wir bereits kennen gelernt, und Herr von Schiedenhofen scheint lange Zeit ein Freund Wolfgangs gewesen zu sein. Den Grad von Bildung, den Mozart von seinen Reisen her gewohnt war, fand er freilich noch weniger in den[83] Kreisen, auf deren Umgang ihn die Stellung seiner eigenen Familie hinwies. Zunächst die Musiker standen sowohl ihrer Bildung wie ihrem Lebenswandel nach im vorigen Jahrhundert überhaupt nicht im besten Geruche, und gewiß war dies der Fall in Salzburg. Mozarts Vater schreibt von Mannheim her ausdrücklich, die Musiker dort seien durchaus von guter Lebensart, weder Säufer noch Spieler, noch liederliche Lumpen. Das letztere muß also wohl damals die Regel gewesen sein. »Das ist auch eine von den Hauptursachen, was mir Salzburg verhaßt macht«, schreibt der Sohn später, »die grobe, lumpenhafte und liederliche Hofmusique – es kann ja kein honetter Mann, der Lebensart hat, mit ihnen leben, – er muß sich ja ihrer schämen.« Ja selbst Michael Haydn lebte nicht so, daß der Vater den Umgang mit diesem Hause wünschte: er liebte zu sehr einen guten Trunk. Wer kennt nicht das Haydnstübchen im Stiftskeller in Salzburg! Allein das war seine Sache und im Grunde so schlimm nicht, obwohl der alte Mozart sich einmal scharf über diese Art des trefflichen Musikers äußert: »Wer meinst du wohl ist Organist bei der heil. Dreifaltigkeit geworden? – Herr Haydn! Alles lachte. Das ist ein teurer Organist; nach jeder Litanei sauft er ein Viertel Wein, zu den übrigen Diensten schickt er den Lipp, der will auch saufen.« Mehr störte es den streng sittlichen Sinn des Vaters, daß die Frau Haydns, die als Mädchen vom Erzbischof nach Italien geschickt worden war, um ihre Stimme auszubilden, wegen ihres Lebenswandels in schlechtem Rufe stand. Wolfgang spottet noch später in einem Briefe an den Freund Bullinger: »Es ist wahr, die Haydn ist kränklich; sie hat ihre strenge Lebensart gar zu sehr übertrieben; es giebt aber wenige so! – Mich wundert, daß sie durch ihr beständiges Geißeln, Peitschen, Ciliciatragen, übernatürliches Fasten, nächtliches Beten ihre Stimme nicht schon längst verloren hat.«

Es war also ein Verkehr auch nach dieser Seite hin nicht eben erquicklich, und dies umsomehr, als nicht bloß die außerordentlichen[84] Leistungen Mozarts, nun da er erwachsen war, schwer auf das Können der gewöhnlichen Musiker drückten und ihren Neid erregten, sondern auch weil beide Mozarts ihrer Zunge durchaus nicht immer Zaum anlegten, wenn es galt, Schwächen witzig zu geißeln. Der scharfe Verstand des Vaters, dem nicht leicht eine Torheit der Menschen entging, und der sie nur aus Klugheit, nicht aus Gutmütigkeit schonte, war auch dem Sohne eigen. Und wenn auch bei ihm die angeborene Herzensgüte jedes Harte und Scharfe mildern mochte, so hatte er doch von Natur ein so sicheres Auge für die Eigenheiten und Unarten der Menschen, daß sich ihm das Komische derselben unwillkürlich aufdrängte. Da er nun nicht daran gewöhnt worden war, der Aeußerung dieser Kritik irgendwie Einhalt zu tun, vielmehr nach seiner lebhaften und unvorsichtigen Art ganz gewiß hundertmal mehr als der Vater seinen witzigen Einfällen freien Lauf ließ, so ist wohl zu begreifen, daß man in der Stadt die Mozartsche Zunge fürchtete, und daß diese Familie für etwas »schlimm« galt. Zudem hielt Wolfgang auch mit seinen Urteilen über die Leistungen der Musiker durchaus nicht zurück, und so fern er von jedem törichten Hochmut war, so sehr sich seine Natur zur Anerkennung fremder Verdienste neigte, so mußte doch die offene und bestimmte Art seines Urteils, das in der Hauptsache gewiß stets das Rechte traf, seinen Kollegen unbequem sein. Und selbst seine außerordentliche Bereitwilligkeit, jedem mit seiner Kunst zu Gefallen zu sein, machte diesen Fehler nicht wieder gut und hat ihn sein Leben lang nicht vor dem Neid und der Verfolgung seiner Berufsgenossen zu bewahren vermocht. Noch nach seinem Tode sucht ein Musikreferent die stete »Cabale« derselben gewissermaßen dadurch zu rechtfertigen, daß er sagt, Mozart habe sie »indessen wohl zuweilen durch sein Wesen sans souci« gereizt! –

So war denn unter den Musikern Salzburgs der einzige Schachtner ein ständiger Freund des Mozartschen Hauses, und seine Anhänglichkeit an Wolfgang lernten wir aus dem Briefe[85] kennen, den er später an seine Schwester schrieb. Er kam fast täglich in das Mozartsche Haus, nahm warmen Anteil an allen Lebensereignissen und war auch mit seinen geringen Talenten bemüht, dem jungen Meister zur Hand zu gehen. Er war der Bearbeiter von »Bastien und Bastienne« gewesen und schrieb später den Text zur Oper »Zaide«, übersetzte auch den »Idomeneo« ins Deutsche. Ein noch persönlicherer Freund des Hauses aber war jener Bullinger, der »beste Freund Bullinger, der getreue, der allemal eine Hauptperson ist«, und vor dem kein Geheimnis der Familie verborgen gehalten wurde. Er lebte als Instruktor im Hause des Grafen Arco und war als Geistlicher im Jesuitenseminar zu München gebildet worden. Mozart hing mit außerordentlicher Liebe an diesem Manne und hat ihm gar manchmal sein gepreßtes Herz ausgeschüttet. Er selbst half dagegen allezeit mit Rat aus, ja wenn's nottat, auch mit der Tat, indem er dem Vater, der während der Reise Wolfgangs einmal in große Verlegenheit geraten war, eine nicht unbedeutende Summe Geldes vorschoß.

Einige bürgerliche Familien, besonders die des Kaufmanns Hagenauer, in dessen Hause, den ehemaligen »Drei Alliierten« gegenüber, Mozart geboren war, und der dem Vater häufig in Geldverhältnissen zur Hand ging, dienten dem Mozartschen Hause wohl nur zu jenem Verkehre, in dem man sich freundschaftlich miteinander erholt. Sie besuchten einander in den Abendstunden, allein weitere Anregung war schwerlich hier zu finden. Doch auch für die nächste Geselligkeit hatte Mozart von Natur einen sehr lebhaften Sinn, und der Vater, der die Kinder den ganzen Tag über in emsiger Beschäftigung erhielt, unterließ auch nicht, ihnen, soviel es seine Mittel erlaubten, Ausspannung zu gewähren. Galt doch Salzburg als ein besonders vergnügungssüchtiger Ort! »Alles atmet hier den Geist des Vergnügens und der Lust«, schreibt ein gleichzeitiger Reisender, Kaspar Risbeck, der allerdings mit den Augen der norddeutschen »Aufklärung«[86] sah; »man schmaust, tanzt, macht Musiken, liebt und spielt zum Rasen, und ich habe noch keinen Ort gesehen, wo man mit so wenig Geld so viel Sinnliches genießen kann.« Und der Erzbischof Hieronymus dachte in Beziehung auf öffentliche Lustbarkeiten sogar freier als sein frommer Vorgänger und besuchte selbst die Bälle, Konzerte, Gesellschaften und Spiele, die der Magistrat in dem neuerbauten Rathaussaale veranstaltete. Wolfgang liebte dergleichen über alle Maßen. Er tanzte sein ganzes Leben hindurch leidenschaftlich und behauptete noch später alles Ernstes, seine Leistungen in dieser Kunst seien bedeutender als in der Musik. Vor allem aber waren Faschingsscherze seine Lust. In Italien sahen wir Vater und Sohn sich dem Karnevalsvergnügen mit großem Eifer hingeben. Besonders wird von den Freuden in Venedig berichtet. Ebenso genossen sie nach Herzenslust den Karneval in München, als die »Verstellte Gärtnerin« durch ihren Erfolg ihre Lebensgeister erfrischt hatte. Aber auch in Salzburg war Mozart oft genug fröhlich, und da er um alles in der Welt gern Possen trieb, so waren ihm besonders die maskierten Redouten die willkommenste Gelegenheit, seiner sprudelnden Laune und dem prickelnden Humor Luft zu machen. Einmal trat er in einer Bauernhochzeit, das andere Mal als Friseurjunge auf und unterhielt mit seiner unerschöpflichen Laune alle Anwesenden, ließ aber auch keinem »seinen Fried« und besonders den Mädchen nicht, die sich vor seinem »Narrieren« kaum retten konnten. Denn obgleich sein empfängliches Herz auch jetzt zuweilen wieder in holder Regung schwärmt, – der achtzehnjährige Jüngling schreibt: »Meine liebste Schwester! Ich bitte dich, vergiß nicht vor deiner Abreise dein Versprechen zu halten, d.i. den bewußten Besuch abzustatten – denn ich habe meine Ursachen. Ich bitte dich dort meine Empfehlung auszurichten – aber auf das Nachdrücklichste – Zärtlichste – und oh – ich darf mich ja nicht so bekümmern, ich kenne ja meine Schwester, die Zärtlichkeit ist ihr ja eigen. Ich weiß gewiß, daß sie ihr Möglichstes thun wird, um mir ein[87] Vergnügen zu erweisen, und aus Interesse, – ein wenig boshaft! – Wir wollen uns in München darüber zanken«; – obwohl er also selbst ein wenig »vernarrt« erscheint, so ist das doch nicht von der Art, daß sein innerstes Wesen mit diesen Dingen beschäftigt wäre. Sein Hauptinteresse ist noch bei seiner Kunst, und im übrigen ist er ein spielendes Kind, das Albernheiten und Possen aller Art bis zum Uebermaß liebt.

Seine Briefe sind voller Späße, besonders Wortverdrehungen, Verstellungen, Wiederholungen, die alle mehr albern als witzig sind. Der bloße Klang ergötzt ihn schon, der Sinn ist ihm oft genug ganz gleichgültig. »Allerliebste Schwester! Du weißt, daß ich ein großer Schwätzer bin, und auch als solcher dich verlassen habe«, und: »Ich bin ein Narr, das ist bekannt«, sagt er selbst. Am allerliebsten macht er den Arlecchino, selbst noch in Wien, als er längst würdiger Ehemann ist. Der Salzburger Hanswurstgeist steckte eben tief auch in ihm, und demgemäß waren seine Späße oft genug derber, als unser heutiges Schicklichkeitsgefühl sie loben will. Allein besonders anzumerken ist, daß dieselben niemals die wirkliche Sittlichkeit verletzen, selbst wenn sie das andere Geschlecht berühren, und dann vor allem, daß von der Spaßmacherei und Albernheit, die ihm sein ganzes Leben anhängen blieb, sich niemals etwas in seine Kunst einschlich, daß vielmehr hier alles zum echt Komischen, zum wahrhaft Künstlerischen verklärt erscheint. Die ihm von J.P. Lyser zugeschriebene triviale »Don Juan«-Uebersetzung ist sicher von diesem selbst. Im Leben dagegen war es, als wolle sich seine geistige Natur, die ja schon in früheren Jahren so überaus ernsthaft war, auf diese Weise Ableitung verschaffen. »Als Kind und Knabe warst du mehr ernsthaft als kindisch«, schreibt der Vater später, »und wenn du beym Clavier saßest oder sonst mit Musik zu thun hattest, so durfte sich niemand unterstehen, Dir den mindesten Spaß zu machen. Ja du warst selbst in deiner Gesichtsbildung so ernsthaft, daß viele einsichtsvolle Personen wegen dem zu früh aufkeimenden Talente und deiner[88] immer ernsthaft nachdenkenden Gesichtsbildung für Dein langes Leben besorgt waren.« So ist begreiflich, was sein Schwager Lange erzählt: »Nie war Mozart weniger in seinen Gesprächen und Handlungen für einen großen Mann zu erkennen, als wenn er gerade mit einem wichtigen Werke beschäftigt war. Dann sprach er nicht nur verwirrt durcheinander, sondern machte mitunter Späße einer Art, die man an ihm nicht gewohnt war; ja er vernachlässigte sich sogar absichtlich in seinem Betragen. Dabei schien er doch über nichts zu brüten und zu denken. Entweder verbarg er vorsätzlich aus nicht zu enthüllenden Ursachen seine innere Anstrengung unter äußerer Frivolität, oder er gefiel sich darin, die göttlichen Ideen seiner Musik mit den Einfällen platter Alltäglichkeit in scharfen Contrast zu bringen und durch eine Art von Selbstironie sich zu ergötzen.« Er rettete sich mit dem Heilinstinkt der Natur vor zerstörender Gewalt von innen wie von außen.

Heiter und mannigfaltig war auch jetzt des jungen Künstlers Verkehr mit dem schönen Geschlechte. Allein so lebhaft und sichtbar in Salzburg, diesem alten Sitze geistlicher Fürsten, der Dienst der Liebe damals umging und so unbefangen frei das ganze Sinnenleben dort sich gab, Wolfgang genoß auch diese Dinge mit unschuldiger Seele: wir finden seine Jugend unbefleckt von den düstern Fehlern, die so manchen mit regen Sinnen ausgestatteten Jüngling von den Pfaden des Lichtes in eine unheilvolle Verwirrung stürzen und ihm die Erreichung der besten Zwecke des Lebens versagen oder doch auf Jahre erschweren. Eine frische Fröhlichkeit erfüllt ihn auch jetzt trotz allem Störenden seiner Lebenslage. Die Teilnahme an Schlittenfahrten und »Assembleen« ist freilich für den jugendlichen Genius, der damals schon mehr geschaffen hatte, als viel Tausende ihr ganzes Leben schaffen, nur jene Erholung, die zu neuer Arbeit stärkt. Allein die kleinen Exerzitien des Herzens, die solche Geselligkeit begleiten und ihr erst eigentlich Reiz verleihen, erwecken in ihm[89] die ersten Spuren jener wärmeren Empfindung, mit der er die Gestalten seiner »Gärtnerin aus Liebe« beseelt und sie so weit über alle komischen Opern seiner Zeit erhebt. Das innerliche Leben dieser Gestalten, die in ihrer Bildung schon wirkliche Menschen und nicht bloße Masken sind, wie die Figuren der gewöhnlichen Opera buffa, würde uns auch heute noch erfreuen, wenn wir nicht durch des Meisters spätere Werke an einen größeren Reichtum der Charakteristik, an tiefere Enthüllungen des menschlichen Inneren gewöhnt wären. Doch ist die Kavatine »Es klagt die Turteltaube« schon von einer so anmutigen Zartheit und Süßigkeit der Empfindung, daß sie der Sonne Mozarts wie Frührot vorausgeht. Ebenso zeigen sich hier bereits die Spuren jener wahrhaft lebendigen Komik, die Mozart in die Musik einführte, und man begreift, warum er, der berufen war, der erste wahre Dichter komischer Opern zu werden, solch unzerstörbare Neigung zu Spaß, Possen und Komik aller Art hatte. Er liebte das lebendigste Leben. Jedoch die Anmut und Feinheit, der Adel und ideale Hauch, womit auch die Musik zu dieser Oper auftritt, sind ein unveräußerliches Gut seines Genius und vermögen uns auch heute noch mit ihrem Reize zu erfreuen.

Nun ist vor allen Dingen zu berichten, wie einfach und bescheiden bürgerlich die Verhältnisse waren, unter denen Mozart seine Jugend verbrachte. Freilich fehlte es nicht am Notwendigen wie bei dem jungen Gluck, der über Land fiedeln ging und anstatt Geldes einen Sack Eier mitbrachte, oder bei Haydn, der auch später noch durch Mitgeigen bei Nachtmusiken sein kümmerliches Brot erwerben mußte. Auch war es anders als bei Beethoven, der schon früh mit Entbehrungen aller Art zu kämpfen hatte. Allein auch Mozart erfuhr, daß der Mensch, der sein Leben redlich führen will, allezeit in seinem Bedürfen sich zu beschränken hat. Es ist geradezu rührend, was der Vater später an ihn schreibt, als er wieder in der Fremde ist und viel Ausgaben verursacht: »Ich habe seit Eurer Geburt und auch schon vorhero,[90] seitdem ich verheiratet bin, mir es gewiß sauer genug werden lassen, um nach und nach einer Frau und sieben Kindern, zwei Ehehalten und der Mama Mutter mit etlichen und 20 Gulden monatlichem gewissen Einkommen Unterhalt zu verschaffen, Kindbetten, Todfälle und Krankheiten auszuhalten, welche Unkosten, wenn Du sie überlegst, Dich überzeugen werden, daß ich nicht nur allein nicht einen Kreuzer auch nur zu meinem mindesten Vergnügen angewendet, sondern ohne sonderbare Gnade Gottes bey aller meiner Spekulation und sauren Mühe es niemals dahin hätte bringen können ohne Schulden zu leben. Ich habe dann alle meine Stunden Euch zwey aufgeopfert, in der Hoffnung es sicher dahin zu bringen, nicht nur, daß Ihr Beide seiner Zeit auf Eure Versorgung Rechnung machen könntet, sondern auch mir ein geruhiges Alter zu verschaffen, Gott für die Erziehung meiner Kinder Rechenschaft geben zu können, ohne fernere Sorge nur für mein Seelenheil sorgen und mit Ruhe meinem Tod entgegensehen zu können.« Und wie lebensverständig ist es, wenn er seiner Frau schreibt: »Wenn Du Kleidung nöthig hast, so laß machen, was nothwendig ist. Weder Du noch Nannerl soll sich die Nothwendigkeit abgehen lassen. Was seyn muß, das muß seyn. Und nimm Dir nichts Schlechtes: man macht keine Ersparung, wenn man etwas Schlechtes kauft.« Selbst bei der »närrischen Ausgabe« für Maskenkleider in Italien tröstet er sich mit der Aussicht, »daß man sie zu allerhand Sachen wieder brauchen und wenigstens zu Kleiderfutter, Fürtuch u.s.w. gebrauchen könne«.

Mit solchen Grundsätzen allein war es diesem Manne möglich was ihm heute die Welt dankt, einen Mozart zu erziehen. Diese Bescheidenheit in den Ansprüchen an das Leben blieb auch seinem Sohne allzeit eigen. Auch er liebte es nie, den großen Herrn zu spielen. Und wenn auch seiner künstlerischen Natur, die ihrer Art nach das Freie, Ungehemmte liebte, nicht die streng haushälterische Ordnung zusagte, die dem Vater eigen war, so lag ihm andrerseits ebenso jene Sucht nach Schätzen fern, mit[91] der so mancher Künstler seinen Beruf schändet. Wie es eben zu gehen pflegt, ward dann allerdings der Vater mit den Jahren in diesen Dingen etwas zu ängstlich und peinigte seinen Sohn, dessen Sinn auf andere Dinge stand, oft mehr, als gut und nötig war. Allein er gab ihm auf den Weg des Lebens jenes unschätzbare Gut mit, das uns die Stellung unter unseren Mitmenschen erhält und uns selbst innerlich zufrieden macht: das Bestreben, sich allzeit ehrlich und geziemend durch das Leben zu bringen.

Der Vater erhielt 20 Gulden und der Sohn 12 Gulden 30 Kreuzer monatlichen Gehalt, abgerechnet die Lektionen, die noch fast 100 Jahre später in Salzburg nur mit monatlich 4–5 Gulden honoriert zu werden pflegten. Wie einfach nun die Lebensweise dieser Familie, und wie bescheiden ihre Ansprüche an des Lebens Freuden waren, erfahren wir aus dem Hauptvergnügen, das die Familie hatte, dem Bözlschießen. Wie es noch heute Sitte im südlichen Deutschland ist, hatte sich auch in Mozarts Freundeskreise eine Anzahl genauerer Bekannten zusammengefunden, um jeden Sonntag in einer der Familien ein Preisschießen abzuhalten. Dazu hatte ein jeder der Reihe nach eine gemalte Scheibe zu liefern, und natürlich wurde der Gegenstand dazu womöglich immer aus den Erlebnissen der Gesellschaft gewählt. Dies brachte manchen Spaß mit sich, umsomehr als die Scheibe in Knittelversen erläutert werden mußte. Da wurde denn die Salzburger Lust an derben Späßen so recht gebüßt, und die Scheibe, von der der alte Mozart seinem Sohne 1780 nach München berichtet, gibt uns eine Vorstellung davon, was bei solchen Gelegenheiten gestattet war und für spaßhaft galt. Jahn erzählt nach den Briefen: »Die Gilowsky-Katherl, eine der Teilnehmerinnen, – die übrigens als ein Mädchen, das sich gerne den Hof machen ließ und es auch sonst nicht allzu genau nahm, mitunter einen kleinen Hieb bekommt, – hatte das Malheur, bei hellem Tag die Treppe hinunter zu fallen und dabei in eine sehr unerwünschte Positur zu geraten. In dieser wurde sie nun mit den[92] entsprechenden Versen auf die Scheibe gebracht und den Schüssen und den Scherzen der Gesellschaft zugleich rücksichtslos preisgegeben.« Mäßige Einsätze bildeten die gemeinsame Kasse, und aus dieser wurden die kleinen Festivitäten bestritten, die sich die Gesellschaft zuweilen gab. Das Interesse an diesem Schießen muß bei allen Teilnehmern groß gewesen sein. Es wird in dem Briefwechsel der Familie sehr oft erwähnt und über Gewinn und Verlust genaue Kreuzerrechnung geführt. Auch die Abwesenden blieben Mitglieder und erhielten Stellvertreter. So konnte Mozart noch nach Jahren von Wien aus an seine Schwester schreiben: »Nun wird wohl bald das Schützenmahl sein? Ich bitte Dich solemniter die Gesundheit eines getreuen Schützen zu trinken; wenn mich einmal wieder das Best-Geben trifft, so bitte es mir zu schreiben, ich will eine Scheibe malen lassen.« Gewiß brachte auch in dieser Gesellschaft das lange Miteinandersein einen heitern Verkehr mit sich, umsomehr als die vorkommenden Scherze in lebhafter Erinnerung blieben, und so das Lachen leicht war.

Allein alles dies war nichts für den eigentlichen Mozart, es berührte seine innere Natur nicht. Es machte auch ihm Freude und gewährte ihm Erholung wie jedem anderen. Er war kein Stubensitzer, kein Träumer, keiner, der sich vornehm von anderen zurückhielt. Er war ein gesundes Kind des Lebens und liebte, mit Menschen froh zu sein. Allein in seinem Inneren lag jener Zug zum Höheren, der ihn aus dem Gebiete des alltäglichen Lebens hinausdrängte, und nur wenn dieser befriedigt war, sehen wir ihn auch das gewöhnliche Dasein frisch und froh genießen. Dieses Bedürfnis war jetzt nicht recht befriedigt, er entbehrte der geistigen Aufmunterung, er entbehrte der verstehenden Teilnahme und Anerkennung. Dies empfand er immer mehr, und seine Tage begannen ihm träge und öde dahinzufließen. Wir erfahren dies aus gelegentlichen Aeußerungen seiner Briefe, nachdem er Salzburg wieder verlassen hatte. Dennoch hat er auch in dieser Zeit erstaunlich viel und Vortreffliches geleistet. Welch rege innere[93] Tätigkeit und Produktionskraft, welche Liebe zum Schaffen gehörte dazu! Allein er hatte allgemach ausgelernt und empfand jetzt den Mangel an Gelegenheit und Anlaß, seine Kunst zu zeigen, sehr drückend. Er hebt später hervor, was ihn in Salzburg degoutiere, sei hauptsächlich, daß die Musik nicht angesehen sei, und der Erzbischof verständigen gereisten Leuten kein Gehör gebe.

Das war es, der Erzbischof, die entscheidende Persönlichkeit des ganzen Salzburger Daseins, schätzte ihn nicht, gewährte seinem Können nicht die Gelegenheit sich zu zeigen und noch viel weniger die geziemende Anerkennung. Hieronymus war neidvollen Charakters, und da er wohl wußte, wie so sehr gegen den Wunsch der Salzburger er zum Throne gelangt war, so ließ auch er sie seine Abneigung nach Möglichkeit fühlen. Von scharfem Verstande und aufgeklärtem Geiste, wie er war, brachte er zwar in das Regierungswesen des Landes manche wohltätige Neuerung und war auch den öffentlichen Vergnügungen, wie wir sahen, nicht abhold. Fanden sich aber Beamte und Bürger dabei ein, so sagte er, sie hätten ihr Geld und beklagten sich doch. Blieben sie weg, so meinte er, sie liebten ihn nicht. Dabei war er eigenwillig und karg, hart und rücksichtslos. Jeder Beamte ward von ihm mit Er angeredet. Es heißt von ihm: Sein Aeußeres, obgleich er von mittlerem, schmächtigem Wuchs und kränklich blasser Gesichtsfarbe war, flößte durch den scharfen Blick der grauen Augen, von denen das linke selten ganz geöffnet war, und den strengen Zug um den Mund ehrfurchtsvollen Respekt ein. – »Ich getraute mir nicht zu widersprechen«, schreibt Wolfgang seinem Vater später, »weil ich schnurgerade von Salzburg kam, wo man einem das Widersprechen abgewöhnt.« Dazu kam nun, daß der Erzbischof überhaupt nur Italiener als Musiker liebte, und dann, daß er die Eigenheit hatte, sich durch große wohlgebildete Gestalten imponieren zu lassen, kleine, unansehnliche Leute aber nicht zu achten. Mozart war Deutscher und obendrein Salzburger, und seine schmächtige Figur, die wenig ausgeprägten Züge des jugendlichen[94] Gesichtes wollten dem Erzbischof gar keine Achtung abgewinnen. Deshalb nahm er auch seine künstlerischen Leistungen für gering. Was auch Mozart komponierte, nichts war ihm recht, es wurde getadelt und zwar nicht in schonenden Ausdrücken. Er sagte ihm, daß er nichts von seiner Kunst verstehe und erst nach Neapel ins Konservatorium gehen müsse, um etwas zu lernen. Dies war empörend für den »Akademiker« von Bologna und Verona, der bereits so große Triumphe als Virtuose und Komponist in aller Welt gefeiert hatte. Aber es erheiterte ihn auch wieder, und nach seiner spöttischen Art schreibt er später: »Ich habe den Damen das Concert heute auf dem Pianoforte bei Cannabich vorgespielt, und obwohl man wußte, daß es von mir ist, so gefiel es doch sehr. Kein Mensch sagte, daß es nicht gut gesetzt sei; weil es die Leute hier nicht verstehen, – sie sollen nur den Erzbischof fragen, der wird sie gleich auf den rechten Weg bringen.«

Im Grunde war es aber nichts als Geiz, was den »Mufti« zu dieser Behandlung trieb. Denn er erkannte doch Mozarts Genie sehr wohl und gab ihm auch stets, wo es von Nutzen war, Aufträge zu Kompositionen. »Ich habe dem Baron Grimm«, schreibt der Vater nach Paris, »alle unsere Umstände in zween langen Briefen geschrieben und mich in vielen Stücken, die Verfolgung und die Verachtung, die wir vom Erzbischof ausgestanden, betreffend, auf Deine mündliche Erzählung berufen. Ich habe ihm erzählt, daß er nur dann höflich geschmeichelt, wenn er etwas nöthig hätte, und er Dir für alle Deine Compositionen nicht einen Kreuzer bezahlt hat.« Er wollte also den jungen Komponisten von jedem Gedanken, daß er mehr als 150 Gulden Jahresgehalt beanspruchen dürfe, ein- für allemal zurückschrecken. Dazu kam, daß der alte Mozart im Bewußtsein seiner Rechtlichkeit und Pflichttreue und nach seiner geraden reichsbürgerlichen Art ebensowenig eine Neigung zu jener kriechenden Schmeichelei, die dieser geistliche Selbstherrscher verlangte, in sich verspürte, wie der junge Künstler, der trotz aller Bescheidenheit im Grunde keinerlei Autorität[95] anerkannte als die des Geistes und sicherlich in der unbefangenen Ausgelassenheit seiner Laune manchmal vergaß, daß er Beamter des Erzbischofs war, auch gewiß mit seiner Meinung über ihn nicht immer hinter dem Berge hielt. Da waren denn Neider genug, die den Zwischenträger machten und den Erzbischof aufreizten, gerade diesem jungen Konzertmeister seine Souveränetät doppelt fühlbar zu machen. Mozart hielt dies nach der geduldigen Art seines Gemütes aus, er tat es seinem Vater zulieb und gewann durch die Spannkraft seines Geistes allzeit wieder frischen Mut, der ihn leben und schaffen ließ. Zuletzt aber ward die Sache gar zu arg, und der Vater selbst dachte daran, das Verhältnis zu lösen.

Er hatte schon die letzten Jahre hindurch stets im Auge gehabt, für seinen Sohn anderswo eine angemessene Stellung zu finden, in Florenz, in Wien, in München. Allein es wollte nirgends gelingen, und er mußte in diesen Bemühungen sehr vorsichtig zu Werke gehen, weil die Mißgunst der Salzburger, besonders das Interesse der Kollegen, von denen natürlich mancher auf Mozarts Weggehen wartete, um seine Stelle einzunehmen, stets mit üblen Gerüchten zur Hand war. Seine Verhältnisse erlaubten dem Vater eben nicht, eine gesicherte Stellung ohne weiteres aufzugeben. Jetzt aber stieg ihm das Wasser bis an den Hals, das widrige der Lage ward unerträglich. »Ich hoffe auch,« schreibt Wolfgang später von Mannheim, »daß Sie jetzt weniger Verdruß haben, als da ich noch in Salzburg war, denn ich muß bekennen, daß ich die einzige Ursache war. Man ging mit mir schlecht um; ich verdiente es nicht; Sie nahmen natürlicherweis Antheil – – aber zu sehr. Sehen Sie, das war auch die größte und wichtigste Ursache, warum ich so von Salzburg wegeilte.« Worauf der Vater die schöne Antwort giebt: »Du hast wohl Recht, daß ich den größten Verdruß wegen der niederträchtigen Begegnung, die Du erdulden müssen, empfunden habe; das war es, was mir das Herz abnagte, was mich nicht schlafen ließ, was mir immer in Gedanken lag und mich am Ende verzehren mußte. – Mein lieber Sohn,[96] wenn Du glücklich bist, so bin ich, so ist Deine Mutter, so ist Deine Schwester, so sind wir alle glücklich; und das hoffe ich von der Gnade Gottes und durch das Vertrauen, so ich in Deine vernünftige Aufführung setze.«

Wolfgang wollte fort, er wollte den Dienst des Erzbischofs aufgeben, er drängte mit steigender Ungeduld, daß sie alle miteinander Salzburg verlassen und zunächst wieder auf einer Kunstreise Ruhm und Brot suchen sollten, bis sich eine würdigere Anstellung fände. Allein der Vater, der das Leben besser kannte, wies diesen Plan als unausführbar zurück. Die Verhältnisse hatten sich derweilen geändert, und er zweifelte, auf solche Weise jetzt auch nur die Kosten des Unterhaltes für sie alle zu gewinnen. »Du weißt,« schreibt er später, »wie viele Jahre man unsere Geduld in Salzburg auf die Probe gesetzt, Du weißt, wie oft Du und ich davon zu gehen Lust hatten. Es wird Dir noch erinnerlich sein, was ich für Einwendungen machte, die uns verhinderten, Salzburg alle zu verlassen. Du hast nun die Probe davon, – große Unkosten auf den Reisen und nicht viel oder wenigstens nicht hinlängliche Einnahme, solche mit einer ganzen Familie zu bestreiten.« Ebenso konnte er sich nicht entschließen, den Sohn allein ziehen zu lassen. »Du weißt, daß Du auf Alles allein Acht zu haben – Dir selbst ein und anderes ohne fremde Hülfe zu thun nicht gewöhnt – mit den Geldsorten wenig, mit auswärtigen aber gar nicht bekannt warst, vom Einpacken und derlei vielen auf Reisen vorkommenden Nothwendigkeiten nicht den mindesten Begriff hattest. Ich stelle Dir ferner vor, daß ein junger Mensch, wenn er auch vom Himmel gefallen über alle Meister hinwegsähe, doch die Achtung niemals erwerben wird, die er verdient; dazu will es gewisse Jahre haben, und so lange man unter zwanzig Jahren ist, wissen die Neider, Feinde und Verfolger den Stoff ihres Tadels und ihrer zu machenden Ausstellungen aus der Jugend, den wenigen Jahren, zu wenigem Ansehen und Erfahrenheit herauszuziehen.«[97]

Sodann seine arglose Offenheit, seine gutmütige Hingebung! Und wiederum seine Reizbarkeit und Schlagfertigkeit mit Wort und Witz! »Mein Sohn!« heißt es später, »in allen Deinen Sachen bist Du hitzig und jähe. Du hast von Deiner Kindheit und Knabenjahren an nun Deinen ganzen Charakter geändert. Als Kind und Knab warst Du mehr ernsthaft als kindisch, jetzt aber bist Du, wie mir scheint, zu voreilig, jedem im spaßhaften Ton auf die erste Herausforderung zu antworten – und das ist schon der erste Schritt zur Familiarität u.s.w., die man bei dieser Welt nicht viel suchen muß, wenn man seinen Respekt erhalten will. – Dein gutes Herz ist es, welches macht, daß Du an einem Menschen, der Dich wacker lobet, der Dich hochschätzet und bis in den Himmel erhebt, keinen Fehler mehr siehest, ihm all Deine Vertraulichkeit und Liebe schenkest.« Und: »Ich bitte Dich, halte Dich an Gott; Du mußt es thun, denn die Menschen sind alle Bösewichter! Je älter Du wirst, je mehr Du mit den Menschen Umgang haben wirst, je mehr wirst Du diese traurige Wahrheit erfahren. Denke nur auf alle Versprechen, Maulmacherei und hundert Umstände, die mit uns schon vorgegangen, und mache den Schluß selbst, wie viel auf Menschenhilfe zu bauen ist, da am End jeder geschwind eine scheinbare Ausflucht weiß oder erdichtet, um die Verhinderung seiner guten Gesinnung auf die Schuld eines Dritten hinüberzuwälzen.«

Da war freilich die Gefahr bei Wolfgang groß, der seiner ganzen Natur nach so sehr darauf eingerichtet war, an die Menschen zu glauben, und obendrein, wenn ihn die Begeisterung für seine Kunst ergriff, alle Klugheit, all seinen Vorteil und die besterwogenen Pläne für die Zukunft vergessen konnte. Ebenso zitterte der lebenskundige Vater vor den sittlichen Gefahren, welche dem unerfahrenen Jüngling bei seinem Eintritt in das Leben umsomehr drohten, als seine Sinne leicht erregt und seine Neigung rasch gefesselt war. Er, der in der Enge einer bürgerlichen Familie aufgewachsen war und stets inmitten seiner künstlerischen[98] Beschäftigungen lebte, hatte keine Ahnung von den Verlockungen da draußen. Deshalb hielt der Vater mit der Ausführung des Reiseplanes so lange wie möglich zurück, indem er dem Sohne vorstellte, wie diese Prüfungszeit ihm für seine künstlerische Ausbildung und als Vorbereitung zu einer Reise doch am Ende Vorteil bringe, und daß er destomehr Aussicht auf Erfolg seiner Bestrebungen haben werde, jemehr er selbst erst als Mann und Künstler herangereift sein werde.

Allein zuletzt hörte auch dieser Trost auf, und nachdem nun mehr als zwei Jahre verflossen waren, seit Mozart wegen der »Gärtnerin« einen längeren Aufenthalt in München gehabt hatte, entschloß sich der Vater, den Erzbischof um Urlaub für eine Kunstreise mit dem Sohne untertänigst zu bitten. Das Gesuch wurde rundweg abgeschlagen: seine Eminenz sehe nicht gern, wenn dero angestellte Dienerschaft mit ihrer Kunst so ins Betteln herumreise. Das war zu viel. Die Familie überlegte hin und her, Wolfgang drängte, Nannerl war auf seiner Seite, die Mutter mahnte zur Ueberlegung, die dem Vater denn freilich wieder manche schlaflose Nacht kostete. Allein endlich ward die Entscheidung getroffen: Wolfgang reichte sein gehorsamstes Gesuch um gnädige Entlassung aus erzbischöflichen Diensten ein.

Das war nun wieder dem gnädigen Herrn zuviel. Ganz entrüstet über die Keckheit, seiner hochfürstlichen Gnaden so ohne weiteres den Stuhl vor die Türe zu setzen, gewährte er die Entlassung ohne Verzug und zwar in den ungnädigsten Ausdrücken. Ja, es war Rede davon, daß selbst der Vater den Dienst quittieren müsse. Allein das geschah nicht. Es scheinen allerhand Reibungen mit der Kapelle selbst vorgekommen zu sein, denn in dem Dekret des Erzbischofs heißt es ausdrücklich, er wolle in seiner Kapelle Frieden haben, in dieser Hoffnung wolle er ihm sein Amt belassen.

Ganz Salzburg war erstaunt und empört über diesen Vorgang, und besonders am Hofe mißbilligte man den Schritt des[99] Erzbischofs sehr. Er selbst war denn auch nicht wenig verstimmt darüber. Der alte Obersthofmeister Graf Firmian, der soeben vier neue Rosse gekauft hatte und sich freute, sie mit seinem jugendlichen Freunde Wolfgang, den er sehr schätzte, zu einem ersten Ausritt zu verwenden, war bei seiner Rückkehr von dem Kauf über die neue Nachricht nicht wenig verdrossen. Als er dem Erzbischof seine Aufwartung machte, sagte dieser zu ihm: »Nun haben wir eine Person weniger bei der Musik.« Er antwortete: »Ew. Hochfürstl. Gnaden haben einen großen Virtuosen verloren.« – »Wie so?« – »Er ist der größte Klavierspieler, den ich in meinem Leben gehört habe. Bei der Violine hat er Ew. Hochfürstl. Gnaden gute Dienste gethan und war ein recht guter Componist!« – worauf der Erzbischof still schwieg. Auch der Domherr Graf Joseph Starhemberg, dem der Vater später in einer Unterredung freimütig alles heraussagte, was mit ihnen vorgegangen sei, gestand zu, daß alles die vollkommene Wahrheit sei, und daß alle Fremde, die an den Hof gekommen wären, nichts anderes als seinen Sohn bewundert hätten, für den auch er ganz eingenommen sei.

Nun war aber nichts weiter zu machen, Wolfgang mußte fort. Der Vater geriet in schwere Sorgen. Zwar die künstlerischen Vorbereitungen zu einer Reise, auf der man sich als Komponist und Virtuos wieder zeigen und die Welt an sein Können erinnern sollte, waren längst gemacht, sowohl in den angestrengtesten und beharrlichsten Uebungen auf Klavier und Violine wie auch in einer Reihe von Kompositionen, die, in zahlreichen Reinschriften zu kleinen Büchern gebunden, bequem zu verpacken waren, um bei Aufführungen oder als Geschenk sogleich zur Hand zu sein. Allein da es Sommer war, durfte man zunächst nicht viel Vorteil erwarten. Gleichwohl drängten Stolz und Klugheit jetzt doppelt zur Ausführung des Planes. Nur mit einer unerhörten Demütigung hätte Wolfgang in die alte Stelle zurückkehren können, und das war weder des Vaters noch des Sohnes Sache. So machte[100] der Vater denn mit der überlegenen Erfahrung seiner Jahre einen Reiseplan, der zunächst wenigstens einige Aussicht auf Unterhalt gewährte. Die großen Städte, besonders die Residenzen und Lustschlösser der hohen Herren sollten besucht werden, um durch Konzerte oder Aufträge zu Kompositionen die Reisekosten zu bestreiten, bis sich eine feste Anstellung in ehrenvoller Weise finde. Aufs Geldeinnehmen muß alle Bemühung gehen und aller Bedacht aufs Wenigausgehen, soviel es möglich ist. – »Die Absicht der Reise und zwar die nothwendige Absicht war, ist und muß seyn, einen Dienst zu bekommen oder Geld zu erwerben.« – »Daß ich Dir einen Platz gewunschen hätte, hat seine Richtigkeit, aber nur einen solchen Platz wie München oder Mannheim, oder auch einen anderen, NB. wo Du zu Zeiten eine Reise zu machen nicht gehindert wärest; auch meinenthalben keinen Platz per decretum auf Lebenslang. Hättest Du einen solchen Platz nur auf ein paar Jahre, so würden Dir Reisen nach Frankreich und Italien nicht ausbleiben. Man kömmt durch die Jahre und den Titel in mehr Ansehen und Respekt u.s.w., das weißt Du selbst.«

So ist der Vater unermüdlich tätig, dem Sohn die Wege zu bahnen und ihm genau anzugeben, wie er es zu machen habe, um den Zweck der Reise zu erreichen. Allein diesem selbst fehlte von Natur jene praktische Art, die Umstände und Verhältnisse zu seinem Vorteile zu benutzen. Er besaß nicht einmal den Blick für diese Dinge, der ja ebenfalls angeboren sein muß. Er lebte mit allen Sinnen und Gedanken in seiner Kunst. Da stand er seinen Mann und zweifelte nicht, daß sich das übrige schon finden werde. Das fand sich aber nicht so ohne weiteres. »Bis jetzt hat es weder zu einem Dienst noch zu Geld einiges Ansehen«, schreibt der Vater später, »es wäre denn, daß es nur für mich ein Geheimniß sein müßte.« Und so wiederholt er denn fortwährend jene Ermahnungen, die dem Sohne in Salzburg ganz gewiß um so leichter von einem Ohre durchs andere gegangen sein mochten, als alle seine Geister zunächst nur auf das Reisen gerichtet waren.[101] Um aber wenigstens nach der materiellen Seite hin einige Sicherheit zu haben, daß alles in Ordnung gehe, faßte er den schweren Entschluß, die Mutter mitreisen zu lassen. Er selbst durfte nach dem, was vorgegangen war, auf einen Urlaub nicht hoffen und sah so seine Absicht mitzureisen vereitelt.

Die Mutter kennen wir als eine Frau von sehr gutem Herzen und etwas »kommodem« Wesen. Sie besaß also nicht die Energie und Ueberlegenheit, mit der der Vater bei aller Liebe den Eigenheiten und Schwächen seines genialen Sohnes zur rechten Zeit entgegenzutreten wußte. Allein sie besaß doch Erfahrung, besonders auch im Reisen, und so waren wenigstens das Rechnungswesen und die Angelegenheiten des täglichen Lebens in guter Hand. Sie mußte vor allem Ausgabe und Einnahme aufschreiben, dem Vater Rechenschaft ablegen und ihn von allen Vorkommnissen genau unterrichten, damit er zur rechten Zeit mit Rat und Hilfe einzugreifen vermochte. »Ich bitte dich, mein Wolfgang, überleg doch Alles und schreib nicht immer die Sachen, wenn sie vorbey sind, sonst sind wir alle unglücklich. – Uebrigens würde ich hundert Sachen, die ich Euch schreiben will, vergessen, wenn ich nicht einen Bogen Papier hergerichtet hätte, wo ich, so oft etwas geschieht oder mir einfällt, das ich Euch schreiben will, solches alsogleich mit ein paar Worten aufnotiere. Schreibe ich Euch nun, so nehme ich den Bogen her und schreibe die Neuigkeiten, und dann lese ich Euren letzten Brief und antworte. Das könnt Ihr wohl auch machen. Was ich Euch schreibe, streiche ich auf dem Bogen aus, damit ich das Uebrige ein anderesmal schreiben kann, was noch da steht. Und Du, mein liebes Weib, mußt fein die Zeilen recht enge an einander schreiben, Du siehst ja, wie ich es mache.«

Es ist rührend, wie sorgfältig dieser Mann in allem ist, um jeden Schaden, jede Gefahr von den Reisenden abzuwenden. »Nur bitte ich, mein lieber Wolfgang«, schreibt er sogleich, nachdem die Reise angetreten war, »keinen Exceß zu machen, Du bist an gute[102] Ordnung von Jugend auf gewöhnt, und Dich vor hitzigem Getränk zu hüten, denn Du weißt, daß Du gleich erhitzet bist und die Kälte Dir lieber als die Wärme ist, ein klarer Beweis, daß Dein Geblüt zur Hitze geneigt gleich in Wallung kommt; die starken Weine und vieles Weintrinken ist Dir also schädlich. Stelle Dir nur vor, in was Unglück und Betrübniß Du Deine gute Mutter in einem weit entfernten Lande setzen könntest; von mir will ich nicht einmal eine Meldung machen.« Worauf der Sohn antwortet: »Ich esse wenig, trinke Wasser und zuletzt zur Frucht ein Gläschen Wein.« Dann gemahnt der Vater zur Vorsicht im Umgange: »Ich machte nur Bekanntschaft und suchte nur die Freundschaft mit Personen von höherem Stande – und auch unter diesen nur mit gestandenen Leuten und nicht mit jungen Burschen, und wären sie auch vom ersten Range. Ich lud Niemand ein, mich in meiner Wohnung öfter zu besuchen, um in meiner Freyheit zu bleiben, und hielt es immer für vernünftiger Andere, wenns mir gelegen, zu besuchen. Denn, gefällt mir der Mann nicht oder ich hab Arbeit und Verrichtung, so kann ich wegbleiben; im Gegenteile, kommen die Leute zu mir und sind von schlechter Aufführung, so weiß ich nicht, wie ich sie los werde; und oft eine mir sonst nicht unangenehme Person hindert mich an meiner notwendigen Arbeit. Du bist ein junger Mensch von 22 Jahren; hier ist also keine Ernsthaftigkeit des Alters, die einen jungen Burschen, wessen Standes er auch immer seyn mag – einen Aventurier, einen Schwenkmacher, einen Betrüger – er mag alt oder jung seyn, abhalten könnte, Deine Freundschaft und Bekanntschaft zu suchen, um Dich in seine Gesellschaft und dann nach und nach in seine Absichten zu ziehen. Man kommt so ganz ohnvermerkt hinein und weiß alsdann nicht mehr zurück. Vom Frauenzimmer will ich gar nicht einmal sprechen, denn da braucht es die größte Zurückhaltung und alle Vernunft, da die Natur selbst unser Feind ist, und wer da zur nöthigen Zurückhaltung nicht aller seiner Vernunft aufbietet, wird sie alsdann umsonst anstrengen, sich aus dem Labyrinth herauszuhelfen:[103] ein Unglück, daß sich meistens erst mit dem Tod endet. Wie blind man aber oft durch anfangs nichts zu bedeutende Scherze, Schmeicheleyen, Späße u.s.w. anlaufen kann, darüber sich die nach der Hand erwachende Vernunft schämt, magst Du vielleicht selbst schon ein wenig erfahren haben. Ich will Dir keinen Vorwurf machen. Ich weiß, daß Du mich nicht allein als Deinen Vater, sondern auch als Deinen gewissesten und sichersten Freund liebst.«

Wir werden sehen, daß der Vater Grund hatte, solche Briefe zu schreiben. Denn jugendliche Torheiten hat unser junger Künstler genügend und von der allerschönsten Art aufzuweisen. Doch wissen wir schon, daß es nur immer Torheiten, keine Verirrungen vom rechten Pfade waren, und der Vater hatte nicht bloß in der Begleitung der Mutter, sondern auch in dem unzerstörbaren Gefühle der Sittlichkeit, das dem Sohne zu eigen war, und in seiner sorgfältigen Erziehung und kindlichen Ergebenheit eine gewisse Bürgschaft, daß keinerlei leichtsinnige Gesellschaft oder gar sittenloser Umgang dem reinen Sinn des Jünglings nahe kommen werde. Die Mutter gab sich denn auch alle mögliche Mühe, den Vater zu ersetzen. »Ich bin mit dem Einpacken beschäftigt, welches mir viele Mühe macht, denn ich bin ganz allein dazu, der Wolfgang kann mir nicht im Mindesten helfen. – Ich schwitze, daß mir das Wasser über das Gesicht läuft vor lauter Ermüdung mit dem Einpacken – ich meine, ich muß die Füße ins Maul schieben vor Müdigkeit.« Allein der Vater berechnet ihr in seiner ironischen Weise die viele Zeit, die sie trotzdem bis dahin verbraucht hatten: »Mein liebes Weib hat sich gerühmt, daß sie früh aufstehen, sich nicht aufhalten und alles geschwind und hauswirthschaftlich machen werde.« Denn darauf kam alles an, daß die Reise nicht zuviel koste. Eigenes Vermögen hatte er ja nicht, sein Gehalt ernährte kaum ihn und die Tochter, die sich beide fortan außerordentlich einschränkten und durch Stundengeben ihre Einnahme zu erhöhen strebten. Ausgestattet hatte er die Reisenden freilich nach Kräften, der Hauswirt Hagenauer und der getreue[104] Bullinger halfen auch zwischen der Zeit mit kleinen Vorschüssen aus. Das waren die ersten Schulden, die der gewissenhafte Mann machte, und sie fielen ihm schwer. Wer darf es ihm verdenken, wenn er nun auch den Sohn manchmal ernsthaft und sogar streng an seine Pflicht erinnert und ihn stets nötigt, den Anforderungen des praktischen Lebens zu genügen, da dieser gar gern bloß seinem Schaffenstriebe folgte und sich manchmal, wie Künstler eben sind, mehr gehen ließ, als sich bezwang. »Ich habe nun in Dich, mein lieber Wolfgang«, schreibt der Vater bei einem bedeutsamen Anlaß, der die meisten dieser mahnenden Zureden hervorgrufen hat, »nicht nur allein kein, auch nur das geringste Mißtrauen, sondern ich setze in Deine kindliche Liebe alles Vertrauen und alle Hoffnung. Es kommt nur auf Deine gesunde Vernunft, die Du gewiß hast, wenn Du sie hören willst, und auf glückliche Umstände an. Das letzte läßt sich nicht zwingen, Deine Vernunft aber wirst Du immer zu Rathe ziehen, das hoffe ich und bitte ich Dich.«

Nicht mancher Jüngling hat einen Vater gehabt, der keinen anderen Gedanken hat als des Sohnes Wohlergehen. Dieser Mann betrachtete es als eine Sendung von oben, daß ihm eine so wunderbare Frucht in den Schoß gelegt war. Er pflegte ihrer nach Kräften, und die Welt muß es ihm bezeugen und danken, daß sie gedieh. »Die Fügung und der Wille Gottes hat es so geordnet, daß ich nun von Neuem der gewiß saueren Arbeit, Lectionen zu geben, mich unterziehen muß, und zwar an einem Ort, wo diese schwere Bemühung so schlecht belohnt wird, daß man doch alle Monate seinen und der Seinigen Unterhalt nicht herausbringt und dennoch muß man noch froh seyn und sich eine Brustkrankheit an den Hals reden, um wenigstens doch Etwas einzunehmen.« Und bei alledem hat der treffliche Mann noch etwas für die Not anderer zu verwenden. Er erzählt, daß er einer armen Haubenhefterin ein Nebenzimmer überlassen habe, der auch sonst geholfen werden müsse.[105]

Das sind würdige und ehrenhafte Verhältnisse, aus denen auch wieder das Gute hervorgeht. Derselbe ehrenhafte und guttätige Sinn verlieb denn auch dem Sohne zeitlebens, und ist er nicht der eigenartigen Natur des Künstlers, der dem gemeinen Bedürfen so stets entschwebt, noch höher anzurechnen?

So war alles in Ordnung gebracht: Geld, Gepäck, Kleidung und Musikalien. Auch eine Chaise, deren der Virtuos damals bedurfte, um anständig zu reisen und auf Achtung und respektvolle Behandlung Anspruch machen zu können, war angeschafft. Denn der Vater wollte seinen Sohn nicht als umherziehenden Musikanten in die Welt treten lassen. Wie schwer mag der Abschied gewesen sein! Welche Befürchtungen und Hoffnungen kreuzten sich in der Brust des Vaters! Mehr als ein Jahr dauerte die Reise und brachte dem sorgenden Mann viel Not und wenig Freude. Den Sohn freilich sah er wieder, aber ohne den gehofften und gewünschten Gewinn der langen kostspieligen Fahrt. Die Mutter kam nicht zurück. Und doch hatte die Reise den Erfolg, den sie haben mußte, um aller dieser Opfer wert zu sein: der Genius ward durch sie als Mensch und als Künstler zur höheren Reife gebracht.

Quelle:
Ludwig Nohl: Mozarts Leben. Berlin 4[um 1910], S. 77-106.
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