Sechster Abschnitt.

München und Augsburg.

1777.

Bisher war es vorwiegend die Ausbildung des Künstlers, das Lernen, was wie bei jedem Menschen auch bei Mozart die Jahre der Jugend ausfüllte. Der Druck des Lebens war noch nicht an ihn herangetreten, es ist immer weit mehr als er selbst der treue Vater, der die Mühsale zu empfinden hatte, die das Leben jedem bereitet, der höhere Bahnen beschreiten will. Der Neid der Berufsgenossen und die Intrige niederer Naturen berührten den jugendlichen Genius noch wenig. Sein Sinn war so ausschließlich auf seine Kunst gerichtet, daß er das Störende solcher Begegnisse leicht vergaß, und dies umsomehr, als der kluge Vater den Weg der künstlerischen Bildung, den der Sohn zu seinem späteren Fortkommen zu wandeln hatte, nach Kräften offen erhielt. So sahen wir diesen denn durchweg heiter schaffen und die Zeit, die seine Arbeit ihm ließ, durchaus unbefangen dem Genießen seines jugendlichen Daseins widmen. Nur als ihm zuletzt durch die Enge und Widrigkeit der Verhältnisse auch sein geistiges Dasein beeinträchtigt zu werden drohte, wird er etwas unmutig und ungeduldig, er drängt, ein junges Roß, das alle seine Kräfte und Anlagen reich entwickelt fühlt und nach ihrer freien Verwendung strebt, hinaus aus den Schranken kleiner Verhältnisse nach Gelegenheit, sein ganzes Können zu zeigen. Und als es nun endlich gelingt, diese Schranken zu durchbrechen und das Freie zu gewinnen, da hat er zunächst nur das Gefühl der Freude und sieht und hört nichts als die Wonne der Freiheit, die ihm wiedergegeben. Zwar richtet[109] er sogleich am ersten Abend einen Brief an den zurückgebliebenen Vater. Allein es sind Possen, unbedeutende Dinge, an denen er seine Freude gehabt hat, eine »einseitige« Kuh, die er gesehen, und ein dicker Herr, dessen »Sinfonie« ihm von Salzburg her gleich bekannt war, und der versprach, an den Papa und »die Schwester Canaglie« Komplimente auszurichten. »Viviamo come i principi, uns geht nichts ab als der Papa, je nun, Gott will es so haben, es wird noch Alles gut gehen. Ich hoffe der Papa wird wohl auf seyn und so vergnügt wie ich; ich gebe mich ganz gut drein. Ich bin der andere Papa; ich gebe auf Alles Acht. Ich habe mir auch gleich ausgebeten, die Postilione auszuzahlen, denn ich kann doch mit den Kerls besser sprechen als die Mama. – Der Papa soll Achtung geben auf seine Gesundheit – und gedenken, daß der Mufti HC (Hieronymus Colloredo, der Erzbischof) ein Schwanz, Gott aber mitleidig, barmherzig und liebreich seye.«

So war er fröhlich, er liebte ja zu reisen. Ihm ahnte nicht, daß er den ersten Schritt zu einer Laufbahn getan, die ihm freilich viel Ruhm und alles in allem genommen, auch die höchsten Gaben des Lebens und edles Menschenglück bringen sollte, die aber zunächst überaus dornenvoll war und auch zeitlebens Hindernisse jeder Art behalten sollte. Sein argloses Herz sah nichts von alledem, ihm hing in Wahrheit »der Himmel noch voll Geigen«, er war sich seiner Kraft, seines »superieuren Talentes« wohl bewußt und dachte, das sei genug, um alles in der Welt zu erreichen. Daß auch Klugheit, unermüdete Sorgfalt und ruhige Besonnenheit dazu gehöre, entging ihm durchaus, und so gelang es ihm auch nie, die Güter dieser Welt in solchem Maße zu gewinnen, daß er, frei der Sorgen um die nächste Existenz, einzig den künstlerischen Zielen leben konnte. Aber bedurfte es dessen? Wir, die wir sein Leben überschauen, wissen, daß er es mit den schönsten Gaben des Geistes wie des Herzens erfüllt hat, erfüllt wie wenig Sterbliche. Wir wissen, daß alle Not, alle Beschränkung ihn nicht gehindert hat zu werden, was er werden konnte. In der Tat,[110] mag ihm auch vom Leben selbst arg mitgespielt worden sein, dennoch ließ es ihm Luft genug zu leben, ja zu gedeihen, und ein unbefangener Ueberblick über sein Dasein muß uns sagen, es war ein glückliches: sein Leben war ein kurzer, aber ein einziger Siegeslauf.

So ist es nun auch überaus köstlich anzuschauen, wie er mit aller Unbefangenheit der reinen Jugend, die nur höchste Ziele im Auge hat, dem Leben entgegentritt, wie er als ein echter Jüngling voll frischen Lebensmutes gar nicht zweifelt, daß er alles erringen wird, ja daß die ganze Welt ihm gehört. Auch der Vater freut sich an dem lustigen Ton dieses ersten Briefes, und Bullinger lachte von Herzen, da er ihn las. Nur wegen des Spottes über den Erzbischof heißt es: »Ich bitte Dich, mein lieber Wolfgang, schreib keine solche Possen mehr vom Mufti; denke daß ich hier bin, ein solcher Brief könnte verloren gehen oder in andere Hände kommen.« Ihm selbst freilich lag die Lustigkeit ferner, der Schmerz des Abschiedes drückte noch auf ihn und sein Auge blickte sorgenvoll in die Zukunft des Lebens. »Nachdem Ihr abgereist«, schreibt er, »ging ich sehr matt über die Stiege und warf mich auf einen Sessel nieder. Ich habe mir alle Mühe gegeben, mich bey unserer Beurlaubung zurückzuhalten, um unsern Abschied nicht schmerzlicher zu machen, und in diesem Taumel vergaß ich meinem Sohne den väterlichen Segen zu geben. Ich lief zum Fenster und gab solchen Euch Beiden nach, sah Euch aber nicht beym Thore hinausfahren, und wir mußten glauben, Ihr wäret schon vorbey, weil ich vorher lange dasaß, ohne auf etwas zu denken.« Auch Nannerl weinte »ganz erstaunlich«, sie war kaum zu trösten, wurde gar krank und erholte sich erst gegen Abend wieder, wo sich beide durch eine Partie Piquet zu zerstreuen suchten.

Am 23. September 1777 ganz in der Frühe hatten die Reisenden Salzburg verlassen. Ihr nächstes Ziel war München. Zwar erwartete der Vater dort keine besonderen Erfolge, er kannte die Verhältnisse und gedachte der vergeblichen Versuche[111] von früher. Allein ein neuer Anlauf konnte nicht schaden. Der Gastwirt Albert, unter dem Namen des »gelehrten Wirts« bekannt, war ihnen von früheren Reisen her befreundet, bei ihm stiegen sie ab: »Wir kamen spät ins Bett und waren müde von der Reise. Wir standen doch schon um 7 Uhr auf, meine Haare waren aber in einer solchen Unordnung, daß ich vor halb 11 Uhr nicht zum Grafen Seeau kam.« Seeau war Intendant der Schauspiele und daher schon von der »Verstellten Gärtnerin« her mit Mozart bekannt. »Daß die Mama einen Verdacht auf den Grafen Seeau geworfen, thut mir so weh«, schrieb Wolfgang weiter, »denn er ist gewiß ein lieber höflicher Herr und hat mehr Lebensart als Viele seines Gleichen in Salzburg.« Mit der Lebensart des würdigen Grafen war es dennoch nicht weit her, wenigstens wußten die Musiker jener Zeit manches Stückchen von seiner Derbheit zu erzählen, und seine mangelhafte Bildung suchten schon gleichzeitige Berichterstatter mit der Bemerkung zu entschuldigen, daß in der Zeit, da der alte Herr jung gewesen, die Schulen noch nicht viel getaugt hätten. Von seiner musikalischen Einsicht aber möge eins der Anekdötchen, die noch heute in der Münchener Hofkapelle kursieren, eine Vorstellung geben. Die Hornisten der Kapelle verlangten eine Erhöhung ihres Gehaltes, der übrigens bei allen Mitgliedern schon damals gering genug war. Darüber ward nun der Herr Intendant, dessen Loge just über den Sitzen der Bläser war, höchst aufgebracht. Er hatte die Hornisten schon längst beobachtet und fuhr sie jetzt in seinem trefflichen Dialekt an: »Was, eng Faulenzer, eng soll ich Zulage geben, ös sitzt ohnehin die halbe Zeit da und blast nix!« – und die Gehaltserhöhung unterblieb.

Unsern jungen Maestro aber nahm der allmächtige Intendant freundlich auf, und zwar aus besonderen Gründen. Er wußte bereits die näheren Umstände der Entlassung und riet ihm, schnurgerade beim Kurfürsten Audienz zu erbitten. Als Wolfgang ihm erwiderte, es fehle doch in München an einem ordentlichen Komponisten,[112] sagte er: »Das weiß ich wohl.« Darauf ging Wolfgang zu seinem Gönner, dem Bischof von Chiemsee, Fürsten Zeil, der noch immer wegen diplomatischer Geschäfte in München weilte. Dieser versprach, als er alles genau erfahren hatte, sein Möglichstes zu tun und sogleich mit dem Kurfürsten und seiner Gemahlin zu reden. Allein nach einigen Tagen erzählte er ihm »mit aller Höflichkeit«, wie Wolfgang sagt, folgendes: »Ich glaube, hier werden wir nicht viel ausrichten. Ich habe bei der Tafel zu Nymphenburg heimlich mit dem Kurfürsten gesprochen. Er sagte mir: Jetzt ist es noch zu früh, er soll gehen, nach Italien reisen, sich berühmt machen; ich versage ihm nichts, aber jetzt ist es noch zu früh.« Auch die Kurfürstin, mit der der Bischof ebenfalls allein geredet, hatte die Achseln gezuckt und versprochen, ihr Möglichstes zu tun, aber sie zweifelte am Gelingen.

Trotzdem ließ sich Wolfgang dem Kurfürsten in Nymphenburg vorstellen, als dieser eben auf die Jagd gehen wollte. »Als der Kurfürst an mich herankam«, berichtet er weiter dem Vater, »so sagte ich: Ew. Kurfürstl. Durchlaucht erlauben, daß ich mich unterthänigst zu Füßen legen und meine Dienste antragen darf. – Ja, völlig weg von Salzburg? – Völlig weg, ja, Ew. Durchlaucht. – Ja, warum denn? Habt's eng z'kriegt? – Ey beyleibe, Ew. Durchlaucht, ich habe um eine Reise gebeten, er hat sie mir abgeschlagen, mithin bin ich gezwungen, diesen Schritt zu machen, obwohl ich schon lange im Sinne hatte wegzugehen, denn Salzburg ist kein Ort für mich, ja ganz sicher. – Mein Gott, ein junger Mensch! aber der Vater ist ja noch in Salzburg? – Ja, Ew. Kurfürstl. Durchlaucht, er legt sich unterthänigst u.s.w. u.s.w. Ich bin schon dreimal in Italien gewesen, habe drei Opern geschrieben, bin Mitglied der Academie in Bologna, habe müssen eine Probe ausstehen, so viele Maestri vier bis fünf Stund gearbeitet und geschwitzt haben, ich habe es in einer Stunde verfertigt das mag zur Zeugniß dienen, daß ich im Stande bin, jedem Hofe zu die nen. Mein einziger Wunsch ist aber, Ew. Kurfürstl. Durchlaucht[113] zu dienen, der selbst ein großer ... – Ja, mein liebes Kind, es ist keine Vacatur da. Mir ist leid, wenn nur eine Vacatur da wäre. – Ich versichere Ew. Durchlaucht, ich würde München gewiß Ehre machen. – Ja, das nutzt Alles nichts, es ist keine Vacatur da. – Dies sagte er gehend; nun empfahl ich mich zu hohen Gnaden.« Worauf der Vater antwortet: »Ich habe mir von München keine günstige Vorstellung gemacht; der Kurfürst ist gebunden, ohne Vacatur Niemand aufzunehmen, und zu allem dem hat man immer heimliche Feinde, die es aus Angst verhindern.«

So war der erste Speerwurf abgeprallt. Allein es lag nicht in Mozarts Natur, durch getäuschte Hoffnungen sich niederschlagen zu lassen. Sein Geist war elastisch, er griff zu neuen Plänen. Graf Seeau nämlich, der zum Teil auch Unternehmer des Theaters war und besonders für das Schauspiel und die deutsche Oper zu sorgen hatte, mußte seinen Vorteil darin sehen, wenn er einen so fruchtbaren und willfährigen Komponisten wie Mozart für diese Unternehmungen gewänne. Bisher hatte er nur Opern aus dem Französischen und Italienischen übersetzen lassen. Er fragte also den Bischof von Chiemsee: »Wissen Sie nicht, hat denn der Mozart nicht so viel vom Hause, daß er mit ein wenig Beihilfe hier bleiben könnte? Ich hätte Lust, ihn zu behalten.« Worauf der Bischof ihn an Mozart selbst um Auskunft verwies: er wisse es zwar nicht, bezweifle es aber sehr. Seeau aber fragte nicht sogleich. Der schlaue Herr mochte sich lieber selbst einen Antrag machen lassen, um möglichst billig dazu zu kommen. Denn Eigennutz war eine der Haupttriebfedern seiner Handlungen. Wolfgang merkte das wohl und sah sich vor. Er war, wie man denken kann, sogleich Feuer und Flamme bei dem Gedanken, daß es Opern zu komponieren gebe. In dieser Gemütsstimmung schaute er die deutsche Oper dort an, und ihr ist hauptsächlich die warme Schilderung zuzuschreiben, die er von der ersten Sängerin macht. Er schreibt: »Die erste Sängerin heißt Keiserin, ist eine Kochstochter von einem Grafen hier, ein sehr angenehmes Mädl, hübsch[114] auf dem Theater: in der Nähe sah ich sie noch nicht. Sie ist hier geboren. Wie ich sie hörte, war es erst das dritte Mal, daß sie agirte. Sie hat eine schöne Stimme, nicht stark, doch auch nicht schwach, sehr rein, gute Intonation. Ihr Lehrmeister ist Valesi, und aus ihrem Singen kennt man, daß ihr Meister sowohl das Singen als das Singenlehren versteht. Die Leute haben hier eine rechte Freude mit ihr – – und ich mit ihnen. Meine Mama war im Parterre; sie ging schon um halb 5 Uhr hinein, um Platz zu bekommen, ich ging aber erst halb 7 Uhr, denn ich kann überall in die Logen gehen, ich bin ja bekannt genug. Ich war in der Loge vom Haus Branka. Ich betrachtete die Keiserin mit meinem Fernglas, und sie lockte mir öfters eine Zähre ab; ich sagte oftBrava, bravissima; denn ich dachte immer, daß sie erst das dritte Mal auf dem Theater ist. Das Stück hieß das Fischermädchen, eine nach der Musik des Piccini sehr gute Uebersetzung. Originalstücke haben sie noch nicht. Eine deutsche Opera seria möchten sie auch bald geben – – und man wünschte, daß ich sie componierte.«

Hier erkennt man, wie Wolfgangs junges Herz von jedem augenblicklichen Eindruck stark erregt war. Die Zähren galten weniger der Sängerin, sie war nur der äußere Anlaß, daß sein Herz sich Luft machte. War es doch von dem frohen Gefühle der Freiheit, von den Eindrücken der Reise und von der Hoffnung auf die Komposition einer deutschen Oper so übervoll! »Ich bin immer in meinem schönsten Humor. Mir ist so federleicht, seitdem ich von dieser Chikane weg bin! Ich bin auch schon fetter«, schreibt er. Dazu kam der lang entbehrte Genuß, eine Oper zu hören. Nach einigen Monaten heißt es denn auch: »Was Sie mir wegen der kleinen Sängerin in München vorwerfen, muß ich bekennen, daß ich ein Esel war, eine so derbe Lüge an Sie zu schreiben; sie weiß ja noch nicht was Singen heißt. Das ist wahr, daß für eine Person, die erst drei Monat die Musik gelernt, sie ganz vortrefflich sang, und überdieß hat sie eine sehr angenehme, reine Stimme. Die Ursache, warum ich sie lobte, mag wohl gewesen sein, weil[115] ich von früh Morgens bis Nachts nichts hörte, als: es giebt keine bessere Sängerin in Europa, wer diese nicht gehört hat, hat nichts gehört. Ich getraute mir nicht zu widersprechen, theils weil ich mir gute Freunde machen wollte, theils weil ich schnurgerade von Salzburg herkam, wo man einem das Widersprechen abgewöhnt. Sobald ich aber allein war, mußte ich von Herzen lachen; warum lachte ich doch nicht auch in Ihrem Briefe.«

Wolfgang hatte vergessen, welche Stimmung ihn damals beherrschte. Welcher Druck also muß in der letzten Zeit in Salzburg auf seiner Seele gelegen sein, daß ihn das bloße Anhören einer Sängerin so in Begeisterung versetzte! Zudem war sie hübsch, das war für einen Mozart, den wir für Frauenschönheit noch überaus empfänglich finden werden, von Bedeutung und mag auch wohl beigetragen haben, seinen sonst so offenen Sinn in der Beurteilung des Musikalischen zu betören. Obendrein drängte ihn in diesem letzten Briefe noch ein ganz besonderer Umstand zu der übertriebenen Zurücknahme seines Urteils, das gewiß im Kerne nicht falsch gewesen war. Jetzt hatte er nämlich Aloysia Weber kennen gelernt, die von ganz anderer Begabung, seine eigene Schülerin und obendrein seine angebetete Geliebte war, und deren Lob schon darum dreifach beredt in den Briefen an den Vater erschallt. Allein noch mehr pries er ihre Kunst, weil er mit ihr und ihrem Vater Kunstreisen zu machen gedachte und dazu seines Vaters Einwilligung erlangen wollte. Dieser verwies ihn nun auf das Lob der Keiserin, um ihm zu zeigen, wie Empfindung und Phantasie bei ihm das Urteil zu bestechen vermöge. Dagegen wehrt sich Wolfgang und tut, was sonst niemals seine Art ist, in dem einen wie dem andern Falle des Guten zu viel. Er war eben von Natur sehr nachgiebig, und wie ihn jetzt die Eltern der Aloysia drängten, sein Möglichstes zu tun, so hatte er sich ja auch durch des Vaters stetes Zureden, praktisch zu sein, dazu bewegen lassen, die Keiserin zu loben, »um sich gute Freunde zu machen«. Wir werden sehen, daß er bei der Weberin nicht im[116] Unrecht war zu loben. Sein weiches Nachgeben, so groß es in kleinen Dingen war, verleitete ihn niemals, seine Ueberzeugung zu verleugnen, wo es sich um Dinge handelte, die das innere Leben, den Charakter angingen.

Die rasch entflammte Begeisterung für die deutsche Oper wurde nun aber auch durch andere »wünschende Personen« stets in lebhafter Bewegung gehalten. Besonders war es ein Professor Huber, dem daran lag, den jungen Komponisten für das Theater gewonnen zu sehen. Er war eine Art Viceintendant und hatte, wie Mozart schreibt, die Arbeit, »die Komödien, die man aufführen wollte, durchzulesen, zu verbessern, zu verderben, hinzuzuthun, hinwegzusetzen«. Die Direktion führte nämlich alles auf, was eingeschickt wurde, und war sogar verbunden, alle Münchener Produkte einzustudieren! »Und da hier«, schreibt ein gleichzeitiger Berichterstatter, »fast jeder Student und Officiant an der Autorsucht krank liegt, werden sie mit Wust überhäuft.« Ein Baron Rumling ferner machte Mozart das Kompliment: »Spektakel sind meine Freude, gute Acteurs und Actrices, gute Sänger und Sängerinnen, und dann einen so braven Komponisten dazu wie Sie!« Wozu Wolfgang meint: »Das ist freylich nur geredet – und reden läßt sich viel – doch hat er niemals so mit mir geredet.« Beim Grafen Salern spielte er mehrere Tage hintereinander »viel vom Kopf, dann die zwei Cassationen für die Gräfin und die Finalmusik auf die letzt auswendig.« Dann heißt es: »Sie können nicht glauben, was der Graf für eine Freude hatte: er versteht doch die Musik, denn er sagte allezeit Bravo, wo andere Cavaliers eine Prise Taback nehmen, sich schneuzen, räuspern oder einen Discours anfangen. Ich sagte ihm: ich wünschte nur, daß der Kurfürst da wäre, so könnte er doch was hören – er weiß nichts von mir, er weiß nicht, was ich kann. Daß doch die Herren einem Jeden glauben und nichts untersuchen wollen! Ja, das ist allezeit so. Ich lasse es auf eine Probe ankommen; er soll alle Componisten von München herkommen lassen, er kann auch[117] einige von Italien, Frankreich, Deutschland, England und Spanien verschreiben; ich getraue mir mit einem Jeden zu schreiben. Ich erzählte ihm, was in Italien mit mir vorgegangen ist; ich bat ihn, wenn ein Discours von mir wäre, diese Sachen anzubringen. Er sagte, ich bin der Wenigste, aber was bey mir besteht, von ganzem Herzen.«

Von einer andern Gelegenheit, wo er sich unter Musikern hören ließ, schreibt er: »Zu guter letzt spielte ich die letzte Cassation aus dem B von mir, da schaute Alles groß darein; ich spielte, als wenn ich der größte Geiger in Europa wäre.« Worauf der Vater antwortet: »Du weißt selbst nicht, wie gut Du Violin spielst, wenn Du nur Dir Ehre geben und mit Figur, Herzhaftigkeit und Geist spielen willst, ja so, als wärest Du der erste Violinspieler in Europa.« Aber Wolfgang gab sich in der Tat alle Mühe, durch seine Leistungen Freunde zu gewinnen, und gewann sich deren auch hier wieder genug. Und doch wollte es dem Herrn Albert, der an Mozart großes Interesse nahm, nicht einmal gelingen, zehn Freunde zusammenzubringen, von denen jeder monatlich einen Dukaten spendieren sollte. Das wären dann 600 fl. gewesen, und es würde leicht sein, meint er, vom Grafen Seeau soviel Aufträge zu erhalten, daß er auf 800 fl. Einkommen sicher rechnen könnte. Auch die Mutter war von diesem Vorschlag sehr eingenommen. Allein der erfahrene Vater hatte sogleich bei diesem Projekt die größten Bedenken und behielt recht. Die zehn Freunde fanden sich eben nicht zusammen.

Allein auch ohne dieses dachte Wolfgang wohl durchzukommen. Der Bericht an den Vater zeugt gleicherweise von dem Selbstvertrauen des Künstlers wie von seiner Unkenntnis des Lebens. »Für mich allein«, schreibt er, »wäre es nicht unmöglich, mich durchzubringen; denn vom Grafen Seeau wollte ich wenigstens 300 Gulden bekommen; für das Essen dürfte ich nicht sorgen; denn ich wäre immer eingeladen, und wäre ich nicht eingeladen, so macht sich Albert eine Freude, mich bey sich bei Tische zu haben.[118] Ich würde mit Graf Seeau den Contract so machen (Alles auf Einrathen meiner guten Freunde), alle Jahre vier deutsche Opern, theils buffe, theils serie zu liefern. Da hätte ich von einer jeden eine Sera oder Einnahme für mich, das ist schon so der Brauch, das würde mir allein wenigstens 500 Gulden tragen, das wäre mit meinem Gehalte schon 800 Gulden, aber gewiß mehr; denn der Reiner, Comediant und Singer, nahm in seiner Sera 200 Gulden ein, und ich bin hier sehr beliebt; und wie würde ich erst beliebt werden, wenn ich der deutschen Nationalbühne in der Musik emporhälfe? – Und das würde durch mich gewiß geschehen, denn ich war schon voll Begierde zu schreiben, als ich das deutsche Singspiel hörte.«1

Welch eminente Anforderungen stellt er an sein Können und welch geringe an die Welt, ihn dafür zu honorieren! Allein Graf Seeau scheint nicht einmal 300 Gulden haben wagen zu wollen. Wolfgang berichtet das. Der Vater antwortet: »Daß Du allein in München leben könntest, hat seine Richtigkeit; allein was würde Dir dieses für eine Ehre machen? wie würde der Erzbischof darüber spotten! Das kannst Du aller Orten, nicht nur in München. Man muß sich nicht so klein machen und nicht so hinwerfen. Dazu ist gewiß noch keine Noth.« Auch das Nannerl meinte: »Dir wäre es keine Ehre, wenn Du in München bliebest ohne Dienst. Es ist Dir mehr Ehre, wenn Du einen Dienst, da Du da keinen bekommen hast, bey einem anderen großen Herrn suchest; Du wirst schon einen finden.« Da der Vater nun drängte, daß sie München sobald wie möglich verlassen sollten, weil ja auch in ihrer Abwesenheit die Freunde für sie tätig sein könnten, so verabschiedete sich Wolfgang beim Grafen Seeau, indem er ihm so sagte:[119] »Ich bin nur da, Ew. Excellenz mich und meine Sachen recht zu erklären. Es ist mir der Vorwurf gemacht worden, ich sollte in Italien reisen. Ich war 16 Monat in Italien, habe drey Opern geschrieben, das ist genug bekannt. Was weiter vorgegangen, werden Ew. Excellenz aus diesen Papieren sehen.« Er zeigte ihm die Diplome und fügte hinzu: »Ich zeige und sage Ew. Excellenz dieses Alles nur, damit, wenn eine Rede von mir ist, und mir etwa Unrecht gethan würde, sich Ew. Excellenz mit Grund meiner annehmen können. Er fragte mich, ob ich jetzt in Frankreich ginge? Ich sagte, ich würde noch in Deutschland bleiben. Er verstand aber in München, und sagte, vor Freude lachend: So! hier bleiben Sie noch? Ich sagte: Nein, ich wäre gern geblieben; und die Wahrheit zu gestehen, hätte ich nur deßwegen gern vom Kurfürsten Etwas gehabt, damit ich Ew. Excellenz hernach hätte mit einer Composition bedienen können, und zwar ohne allem Interesse. Ich hätte mir ein Vergnügen daraus gemacht. Er ruckte bei diesen Worten gar die Schlafhaube.«

Dieses Rucken war aber auch die einzige Ehre, die ihm widerfuhr. Doch vergaß Seeau den willfährigen Kompositeur nicht, nach wenig Jahren werden wir Mozart wieder mit ihm in Berührung finden. Auch sollte er vor der Abreise noch eine angenehme Aussicht gewinnen. Ein Freund von Italien her, Misliweczeck, hatte auf den nächsten Karneval die Oper für Neapel erhalten und versprach Wolfgang, ihm dort ebenfalls eine solche zu verschaffen. Dieser bei seiner »unaussprechlichen Begierde, wieder einmal eine Opera zu schreiben«, war glücklich bei einem solchen Gedanken und schreibt mit vieler Begeisterung davon seinem Vater. »Doch«, schließt er in liebenswürdiger Bescheidenheit den Brief, »ich rede nur so, wie es mir ums Herz ist; – – wenn ich vom Papa durch Gründe überzeugt werde, daß ich unrecht habe, so werde ich mich obwohlen ungern, darein ergeben; denn ich darf nur von einer Opera reden hören – – so bin ich schon ganz außer mir.« Der Vater war nicht dagegen und trat mit Misliweczeck in[120] Korrespondenz. Es wurde aber nichts aus der Sache: »Misliweczeck hat letztlich wieder Meldung gemacht, daß er nächstens für Dich die scrittura aus Neapel erwartet. Ich halte es aber für Schwänke, denn er macht diese Meldung nur allezeit, wenn er meine Dienste nöthig hat.« Auch hatte der Vater verboten, den Freund, der damals in München krank lag, zu besuchen weil die Krankheit Folge von Ausschweifungen war. Allein Misliweczeck hatte sich so angelegentlich nach ihm erkundigt, so dringend seinen Besuch gewünscht, daß Mozart nicht widerstehen konnte und ihn im Garten des Herzog-Spitals aufsuchte.

Es war also in München wenig oder nichts erreicht worden. »Die schönen Worte, Lobsprüche und Bravissimo«, ermahnt der Vater, »zahlen weder Postmeister noch Wirthe; sobald man nichts gewinnen kann, muß man alsogleich weiter trachten.« Die Reisenden verließen daher am 11. Oktober München und trafen noch an demselben Abend in Augsburg ein. Dort lebte ein Bruder des Vaters, seines Zeichens Buchbindermeister, und in dessen Familie fanden Mutter und Sohn eine herzliche Aufnahme. Wolfgang trat mit der muntern Marianne, der neunzehnjährigen Tochter des Oheims, in ein freundschaftliches Verhältnis, das freilich auch ein kleines Exercitium seines Herzens, mehr aber ein Anlaß wurde, seiner ganzen komischen Albernheit im Gespräch wie später in Briefen Luft zu machen. Dies entschädigte ihn ein wenig für die ungünstige Aufnahme, die er im übrigen in seiner Vaterstadt erfahren sollte.

Sogleich der erste Besuch, den er nach des Vaters Bestimmung bei »Ihro Gnaden« dem Stadtpfleger von Langenmantel machte, erbaute ihn sehr wenig: »Mein erster Gang war zum Herrn Stadtpfleger Longotabarro; mein Herr Vetter, der ein rechter braver, lieber Mann und ein ehrlicher Bürger ist, hat mich hinbegleitet und hatte die Ehre, oben im Vorhause wie ein Laquais zu warten, bis ich von dem Erzstadtpfleger heraus kommen würde. Ich ermangelte nicht, gleich von Anfang die unterthänigste Empfehlung[121] vom Papa auszurichten. Er erinnerte sich allergnädigst auf Alles und fragte mich: Wie ist's dem Herrn immer gegangen? Ich sagte gleich darauf: Gott Lob und Dank, recht gut, und Ihnen, hoffe ich, wird es auch gut gegangen seyn? – Er wurde hernach höflicher und sagte Sie, und ich sagte Euer Gnaden, wie ich es gleich vom Anfang gethan hatte. Er gab mir keinen Fried, ich mußte mit ihm hinauf zu seinem Schwiegersohn (im zweyten Stock), und mein Herr Vetter hatte die Ehre, unterdessen über eine Stiege im Pflez2 zu warten. Ich mußte mich zurückhalten mit allem Gewalt, sonst hätte ich mit der größten Höflichkeit Etwas gesagt. Ich hatte oben die Ehre, in Gegenwart des gestarzten Herrn Sohnes, und der langhalsigten gnädigen jungen Frau, und der einfältigen alten Frau so beyläufig drei Viertelstunden auf einem guten Clavicord von Stein zu spielen. Ich spielte Phantasien und endlich Alles, was er hatte, prima vista, unter andern sehr hübsche Stücke von einem gewissen Edlmann. Da war Alles in der größten Höflichkeit, und ich war auch sehr höflich; denn meine Gewohnheit ist, mit den Leuten so zu seyn, wie sie sind, so kömmt man am Besten hinaus.«

Diese seltsame Mischung von berechtigtem Selbstgefühl und einer anspruchlosen Nachgiebigkeit im Verkehr mit Höhergestellten ist ein rechtes Gegenstück zu der Art und Weise Beethovens, der mit den Ideen der französischen Revolution genährt das Gefühl der Achtung, die dem schaffenden Künstler gebührt, auch auf das Leben übertrug und auch hier durchaus als ebenbürtig behandelt sein wollte; wie er denn mit den Fürsten und Erzherzogen durchaus als mit seinesgleichen umging. Haydn, der Mann der alten Zeit, gab ihm für diese stolze Bestimmtheit zwar den Namen »Großmogul«. Aber er war es doch, der dem Künstler sein Recht auch in der Gesellschaft verschaffte und so allmählich den ganzen Stand der Musiker, der im vorigen Jahrhundert gleich dem der Schauspieler gering genug geachtet war, in die gebührende[122] äußere Stellung erhob. Auch beide Mozarts empfinden das Unangemessene und Lächerliche des Standeshochmuts. Allein sie haben dagegen noch keine andere Waffe als Höflichkeit, ja Devotion und rächen sich hinterher durch Spott. »So oft ich an Deine Reise nach Augsburg dachte«, schreibt der Vater, »so oft fielen mir Wielands Abderiten ein: man muß doch, was man im Lesen für pures Ideal hält, Gelegenheit haben in natura zu sehen.« Dann belehrt er seinen Sohn über die hohe Würde eines Stadtpflegers und den Respekt der Bürger vor ihrem »regierenden Schellenkönig«.

Darnach ging Wolfgang zu dem berühmten Klavierbauer Stein, und zwar, wie der Vater vorschlug, unter fremdem Namen und dem Vorgeben, er komme aus Innsbruck und habe Kommission, Instrumente anzuschauen. Stein hatte ihn seit dem siebenten Jahre nicht gesehen, und ein solcher Spaß war so recht nach Wolfgangs Geschmack. Schon beim Herrn Stadtpfleger hatte er davon gesprochen, daß er nach dem Essen zu Stein gehen wolle: »Der junge Herr trug sich also gleich selbst an, mich hinzuführen. Ich dankte ihm für seine Güte, und versprach nach Mittag um 2 Uhr zu kommen. Ich kam, und wir gingen in Gesellschaft seines Herrn Schwagers, der einem völligen Studenten gleich sieht. Obwohl ich gebeten hatte, still zu halten, wer ich sey, so war Herr von Langenmantel doch so unvorsichtig, und sagte zum Herrn Stein: Hier habe ich die Ehre, Ihnen einen Virtuosen auf dem Claviere aufzuführen, und schneuzte darzu. Ich protestierte gleich, und sagte, ich wäre nur ein unwürdiger Scolar von Herrn Sigl aus München, von dem ich viele tausend Complimente auszurichten habe. Er sagte Nein mit dem Kopfe – und endlich: Sollte ich wohl die Ehre haben, den Herrn Mozart vor meiner zu haben? – O nein, sprach ich, ich nenne mich Trazom, ich habe auch hier einen Brief an Sie. Er nahm den Brief und wollte ihn gleich erbrechen. Ich ließ ihm aber nicht Zeit, und sagte: Was wollen Sie denn jetzt da den Brief lesen? machen Sie dafür auf, daß wir[123] in den Saal hinein können, ich bin so begierig, Ihre Pianoforte zu sehen. – Nun, meinetwegen. Es sey, wie es wolle; ich glaube aber, ich betrüge mich nicht. Er machte auf. Ich lief gleich zum einen von den drei Clavieren, die im Zimmer standen. Ich spielte; er konnte kaum den Brief aufmachen, vor Begierde über wiesen zu werden; er las nur die Unterschrift. O, schrie er und umarmte mich, er verkreuzigte sich, machte Gesichter und war halt sehr zufrieden.«

Dann lobte Wolfgang seine Pianofortes und gewann durch sein einsichtiges Urteil und sein Spiel, das die Vorzüge dieser besten Instrumente jener Zeit ins rechte Licht zu setzen verstand, des Klavierbauers Beifall, der ihn nun auch wegen seiner Tochter um Rat fragte. Diese, damals 8 Jahre alt, ist die bekannte Nanette Streicher, die Gattin von Schillers Jugendfreund, die durch ihr ausgezeichnetes Klavierspiel wie durch Herz und Bildung in Wien bis zu ihrem Ende eine allgemeine Hochachtung genoß. Dabei war sie eine vortreffliche Hausfrau und Mutter, und sie war es, die dem großen Beethoven, wenn er durch die tiefe Versunkenheit ins Ideale in seiner häuslichen Existenz gar zu sehr verkommen war, mit treuer Hingabe das Hauswesen wieder einrichtete und auch sonst ihm eine wahre Freundin blieb. Wolfgang freilich erstattet seinem Vater einen recht »schlimmen« Bericht über sie.

»A propos«, schreibt er, »wegen seinem Mädl. Wer sie spielen sieht und hört und nicht lachen muß, der muß ein Stein wie ihr Vater seyn. Es wird völlig gegen den Diskant hinauf gesessen, beileibe nicht mitten, damit man mehr Gelegenheit hat, sich zu bewegen und Grimassen zu machen. Die Augen wer den verdreht, es wird geschneuzt; wenn eine Sache zwey Mal kömmt, so wird sie das zweyte Mal langsamer gespielt; kommt selbe drey Mal, wieder langsamer. Der Arm muß in alle Höhe, wenn man eine Passage macht, und wie die Passage markirt wird, so muß es der Arm, nicht die Finger, und das recht mit allem Fleiße schwer und ungeschickt[124] thun. Das Schönste aber ist, daß, wenn in einer Passage (die fortfließen soll wie Oel) nothwendiger weise die Finger gewechselt werden müssen, so braucht's nicht viel Acht zu geben, sondern wenn es Zeit ist, so läßt man aus, hebt die Hand auf und fängt ganz commod wieder an, durch das hat man auch eher Hoffnung, einen falschen Ton zu erwischen und das macht oft einen curiosen Effekt. Ich schreibe dieses nur, um dem Papa einen Begriff vom Clavierspielen und Instruiren zu geben, damit der Papa seiner Zeit einen Nutzen daraus ziehen kann.«

Sein eigenes Spiel übrigens versetzte wie gewöhnlich alles in höchste Bewunderung. Sowohl am Klavier wie bei der Orgel und der Violine war der Beifall der Kenner wieder ohne Grenzen. Allein trotzdem kam es zu keinem einträglichen Konzert. Die »Patricii waren nicht bei Cassa«, ja sie erlaubten sich gar, Mozart, der auf den Rat seines Vaters in Augsburg, wo kein regierender Fürst sei, und wo es ihm also Respekt und Ansehen mache, sein Ordenskreuz von dem berühmten und großen Papst Ganganelli, Clemens XIV., angelegt hatte, damit aufzuziehen. Besonders wurde ein Offizier so zudringlich und unartig, daß Wolfgang die Geduld verlor und ihn auf derbe Art in seine Schranken wies. Indigniert über eine solche Behandlung spielte er denn auch, obwohl er's versprochen hatte, in dem gewöhnlichen Patrizierkonzert nicht. Stein aber setzte nun die lutherischen Patrizier – denn es waren die katholischen gewesen, die Mozart so unwürdig behandelten, – in Bewegung und man erwies ihm hier so viel Artigkeit, daß er doch in die »vornehme Bauernstub-Academie« ging und dort von seinen Kompositionen aufführen ließ und selbst ein Konzert und eine Sonate spielte. Dafür erhielt er dann außer vielen Komplimenten – zwei Dukaten. »Das ist bei alle dem gewiß«, schreibt der Vater, »mich würden sie schwerlich in ihre Bettl-Academie gebracht haben.« Wolfgangs einzige Rache war, ein überaus witziges Verzeichnis der sämtlichen Teilnehmer der Akademie nach Hause zu schicken (17. Okt. 1777).[125]

Indessen gelang es seinen Freunden auch ein öffentliches Konzert zu stande zu bringen. Allein wieder war die Bewunderung größer als die Einnahme, und Wolfgang schrieb deshalb: »Das kann ich sagen, wenn nicht ein so braver Herr Vetter und Base und so liebes Bäsle da wäre, so reuete es mich so viel als ich Haare im Kopf habe, daß ich nach Augsburg bin. Nun muß ich von meiner lieben Jungfer Bäsle etwas schreiben; das spare ich mir aber auf morgen, denn man muß ganz aufgeheitert sein, wenn man sie recht loben will, wie sie es verdient. – Den 17. in der Frühe schreibe und betheure ich, daß unser Bäsle schön, vernünftig, lieb, geschickt und lustig ist; und das macht, weil sie brav unter die Leute gekommen ist, sie war auch einige Zeit in München. Das ist wahr, wir zwey taugen recht zusammen, denn sie ist auch ein bischen schlimm; wir foppen die Leute miteinander, daß es lustig ist.« – »Mein lieb Bäsle, welches sich beiderseits empfiehlt, ist nichts weniger als ein Pfaffenschnitzl«, muß der Vater hören. Denn sie waren miteinander in einer lustigen Gesellschaft in einem Gastzimmer gewesen, und da hatte sie den Pater Emilianus, »einen hoffärtigen Esel und einfältigen Witzling«, der seinen Spaß mit ihr treiben zu können glaubte, nach Herzenslust gefoppt und, als er »rauschig« einen Kanon anstimmte, sotto voce ziemlich freie Textesworte zu seiner Verhöhnung improvisiert. »Dann lachten wir wieder eine halbe Stunde«, schließt er.

So tändelten die beiden miteinander. Er schenkte ihr sein Porträt, und sie mußte sich in französischer Tracht, wo sie »um 5 p. Cento schöner« war, für ihn zeichnen lassen. Er trägt einen roten Frack, und aus der gepuderten Haarfrisur, die das jugendliche Gesicht komisch älter macht, gucken kluge Augen mit lebhaftem und offenem Ausdruck hervor, wogegen des Bäsles Gesicht »in etwas derben Formen gutmütig und lustig drein schaut und ohne schön zu sein doch einen recht angenehmen Eindruck macht«. Nach damaliger Bürgersitte trägt sie eine gestickte Riegelhaube, die ihr gut steht. Sie hat keine Frisur, und um den Hals ist ein kleines schwarzes[126] Tüchel geschlagen. Schon diese äußere Erscheinung charakterisiert die beiden Leutchen. Bei ihm tritt unverhohlen der Adel des Geistes durch die unscheinbare Außenseite und belebt den feinen Gliederbau. Doch sie hat davon keine Ahnung und fand den Eifer Mozarts beim Klavierspiel wohl gar komisch. Ihre gesunde Bürgersart und frische Jugend aber reizten den jungen Künstler zu allerhand Liebestorheiten, ohne daß seine innere Natur davon ergriffen wurde. »Meine Mama und ich«, schreibt er, »bitten den Papa recht schön, Sie möchten doch die Güte haben und unserer lieben Base ein Angedenken schicken; denn wir haben alle zwey bedauert, daß wir nichts bey uns haben, aber versprochen dem Papa zu schreiben, daß er etwas schickt. Aber zweierlei: im Namen der Mama so ein Doppelbüchel, wie die Mama eins hat, und im Namen meiner eine Galantarie, eine Dose oder Zahnstocherbüchsl u.s.w. oder was es ist, wenn es nur schön ist; denn sie verdient es.« Es waren ja von den früheren Reisen her genug dergleichen Bijouterien vorhanden.

Der Abschied war natürlich sehr betrübt, so daß selbst Stein in seinem Briefe an den Vater davon spricht, und dieser ließ dann beim nächsten Bölzlschießen »den traurigen Abschied in den zwei in Tränen zerfließenden Personen des Wolfgangs und des Bäsle« auf die Scheibe malen: »Die Scheibe war allerliebst.« Eine Augsburgerin stand rechter Hand und präsentierte einem jungen Menschen, der Stiefl anhatte und reisefertig war, einen Reisebusch, in der andern Hand hatte sie ein erstaunlich auf dem Boden nachschleppendes Leinlach, womit sie die weinenden Augen abtrocknete. Der Chapeau hatte auch ein dergleichen Leinlach, that das nämliche und hielt in der andern Hand seinen Hut. Oben stand geschrieben:


Adieu mein Jungfer Baas! – Adieu mein lieber Vetter!

Ich wünsch zur Reise Glück, Gesundheit, gutes Wetter:

Wir haben 14 Täg recht fröhlich hingebracht;

Das ists, was beyderseits den Abschied traurig macht.

[127] Verhaßtes Schicksal! – – ach, ich sah sie kaum erscheinen;

So sind sie wieder weg! – wer sollte nun nicht weinen?


Bald nach seiner Ankunft in Mannheim schrieb Wolfgang den nachfolgenden närrischen Brief, und hier zumal ist nicht sowohl Witz zu finden, als ein gewisses Vergnügen an dem Klang und Rhythmus in der Sprache, das mehr sein feines Ohr als seinen Geist angeht. Kinder und das Volk machen's ja auch so. Es sind die ursprünglichsten Regungen der Kräfte, die das Schöne schaffen. Wie sich ja auch der Sinn des bildenden Künstlers an der bloßen Schönheit der Linienbewegungen erfreut, einerlei ob die Linie etwas bedeutet oder nicht! Wolfgang schreibt also:


»Allerliebstes Bäsle, Häsle!


Ich habe dero mir so werthes Schreiben richtig erhalten – falten, und daraus ersehen – drehen, daß der Herr Vetter – Retter und die Frau Bas – Has, und Sie – wie recht wohl auf sind – Rind; wir sind auch Gott Lob und Dank recht gesund – Hund. Ich habe heute den Brief – schief von meinem Papa – haha! auch richtig in meine Klauen bekommen – strommen. Ich hoffe Sie werden auch meinen Brief – trief, welchen ich Ihnen aus Mannheim geschrieben, erhalten haben – schaben. Desto besser, besser desto! Nun aber etwas Gescheutes« u.s.w.

Es kommt aber nichts Gescheites, sondern es geht in der gleichen Weise Seiten lang fort, daß uns Hören und Sehen vergeht, und dem Bäsle mag wohl auch zuweilen dabei etwas wehe geworden sein. Immer Scherze und oft recht schlechte, nichts von Zärtlichkeit, wie sie dem Mädchen, das dem jungen Uebermut recht zugetan war, gewiß lieber gewesen wären. Zuletzt: »Nun leben Sie wohl, ich küsse Sie tausendmal und bin wie allzeit der alte junge Wolfgang Amade Rosenkranz.« Doch beweist der Eifer des Briefwechsels mehr Interesse, als die Worte aussprechen. »Ich hoffe auch, Sie werden meine Briefe richtig erhalten haben; nemlich einen von Hohenaltenheim und zwey von Mannheim, und[128] dieser wie es auch so ist, ist der dritte von Mannheim, aller in allem der vierte,« schreibt er bereits am 14. November, also nicht drei Wochen nach ihrer Trennung. »Wie mir Mannheim gefällt? – so gut einem ein Ort ohne Bäsle gefallen kann. Haben Sie mich immer noch so lieb, wie ich Sie, so werden wir niemalen aufhören uns zu lieben,« – und dann folgt wieder ein göttlicher Unsinn, der übrigens von großer Heiterkeit des Gemüts zeugt.

Wie die Sache zu einigem Verdruß des Bäsle schließlich im Sande verlief, werden wir sehen. Einstweilen reisten Mutter und Sohn ab und trafen nach einem kurzen Aufenthalt beim Fürsten Wallerstein in Hohenaltheim am 30. Oktober 1777 in Mannheim ein.

Hier sollten mancherlei bedeutsame Dinge mit Mozart vorgehen.

Fußnoten

1 Dieser Wunsch, den später auch Carl Maria von Weber als Dresdener Hofkapellmeister wiederholte, konnte erst hundert Jahre später durch Richard Wagner in Bayreuth ganz erfüllt werden.


2 Dialektisch: Vorhaus.


Quelle:
Ludwig Nohl: Mozarts Leben. Berlin 4[um 1910], S. 131.
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