Siebenter Abschnitt.

Aloysia Weber.

1777–1778.

»Der ersten Liebe goldne Zeit!«


Am Tage nach der Ankunft in Mannheim schrieb Wolfgang an den Vater: »Heute bin ich mit Herrn Danner bei Mr. Cannabich gewesen. Er war ungemein höflich. Ich spielte ihm etwas auf seinem Pianoforte, welches sehr gut ist, und wir gingen nachher miteinander in die Probe. Ich habe geglaubt, mich des Lachens nicht enthalten zu können, als man mich den Leuten vorgestellt hat. Einige, welche mich per renommée gekannt haben, waren sehr höflich und voll Achtung; Einige aber, die weiter nichts von mir wissen, haben mich groß angesehen, aber auch so gewiß lächerlich. Sie denken sich halt, weil ich klein und jung bin, so kann nichts Großes und Altes hinter mir stecken; sie werden es aber bald erfahren.«

In diesem Punkte war Mozart mit Recht empfindlich. Er war von unscheinbarem Aeußeren, das von seinem Genius höchstens dann etwas verriet, wenn er spielte oder das Orchester dirigierte. Aber selbst dann kam ja seine Lebhaftigkeit einem Bäsle noch komisch vor. Jetzt war er einundzwanzig Jahre alt und die Mutter berichtet, sein Bart mache sich bereits so bemerklich, daß er abgenommen werden müsse, worauf der Vater fragt: »à propos, wird der Bart weggeschnitten, weggebrannt oder gar wegrasiert?« Die Antwort lautet in gehöriger Gewissenhaftigkeit: »Noch ist der Bart nicht barbiert worden, sondern mit dem Scheerl geschnitten; es wird sich aber nicht mehr thun lassen, mit nächstem wird der Barbier herhalten müssen.« In derselben Zeit schreibt die Mutter:[133] »Du kannst Dir nicht vorstellen, wie der Wolfgang hier hochgeschätzt wird, sowohl bei der Musik als auch bei Anderen; sie sagen Alle, daß er seines Gleichen nicht hat, seine Compositionen thun sie völlig vergöttern.«

Unter diesen Verehrern Mozarts war also vor allen der Musikdirektor Cannabich, der bereits den Knaben Wolfgang gekannt hatte und ihn jetzt auf das freundlichste in seinem Hause aufnahm. Die Musiker der kurfürstlichen Kapelle galten allgemein als honette Leute. Sie waren gut bezahlt und das Wohlwollen ihres Fürsten, des geistreichen Karl Theodor, der soviel für die Musik getan, sowie seine heitere Laune und freie Form im Verkehre gab auch ihnen etwas Liberales und Angenehmes im Umgange. Haus, Tisch und Herz dieser Leute stand jedem Manne von Geist und Lebensart beständig offen. Dieses erfuhr Mozart, wie andere es erfahren hatten. Freilich war auch in diese Kreise etwas von der Leichtfertigkeit der Hofhaltung des Fürsten eingedrungen, und es scheint selbst noch heute nicht ganz verwischt, was ein gleichzeitiger Beobachter berichtet: auch die Begierde sei durch das Beispiel der Großen bis in die Winkel der geringsten Bürger ausgebreitet worden, es wimmele da von leichtsinnigen Mädchen, und eine Bürgersfrau halte es für unartig, ihrem Manne getreu zu sein. »Das Frauenzimmer dieser Stadt ist übrigens sehr schön, artig und reizend«, heißt es mit Recht zum Schluß.

Dieses Uebel kannte auch Mozart recht wohl. Er schreibt einmal von einem grundehrlichen deutschen Manne, der seine Kinder gut erzieht: »und dieß ist eben die Ursache, warum das Mädl hier verfolgt wird.« Aber solche Dinge berührten ihn wenig. Das war ja auch in Salzburg nicht anders gewesen, und er genoß von diesem allzufreien Kultus der Liebe eben nur den Vorteil eines unbefangeneren Umgangs mit dem andern Geschlechte. Von ihren Torheiten sah und hörte er nichts, schon weil seine Seele so sehr stets auf seine Kunst gerichtet war, und ihm diese Tätigkeit auch[134] das Leben so verklärte, daß er nur das Schöne und Gute am Weibe sah. Aber dieses sah er, liebte es und wurde dadurch aufs innigste erregt.

Bei Cannabich, welcher ebenfalls eine Tochter hatte und Wolfgang zu Mittag häufig und zum Nachtessen »al solito« bei sich sah, ging es oft genug heiter her, wie folgender Brief zeigt: »Ich Johannes Chrysostomus Amadeus Wolfgangus Sigismundus Mozart gebe mich schuldig, daß ich vorgestern und gestern (auch schon öfters) erst bei der Nacht um 12 Uhr nach Hause gekommen bin, und daß ich von 10 Uhr an bis zur benannten Stunde beym Cannabich in Gegenwart und en compagnie des Cannabich, seiner Gemahlin und Tochter, Herrn Schatzmeister, Ramm und Lang, oft und nicht schwer, sondern ganz leichtweg gereimet habe, und zwar lauter Unflätereyen, und zwar mit Gedanken, Worten und – – aber nicht mit Werken. Ich hätte mich aber nicht so gottlos aufgeführt, wenn nicht die Rädlführerin, nämlich die sogenannte Liesel mich gar so sehr dazu animiret und aufgehetzt hätte; ich muß bekennen, daß ich ordentlich Freude daran hatte. Ich bekenne alle diese Sünden und Vergehungen von Grund meines Herzens, und in Hoffnung, sie öfter bekennen zu dürfen, nehme ich mir kräftig vor, mein angefangenes sündiges Leben noch immer zu verbessern«, und so fort in lauter tollen Späßen.

Der Magnet aber, der den jungen Künstler in dieses Haus zog – denn trotz allem Spaß pflegte er auch hier, wie er es in Salzburg getan, während die andern diskurierten oder spielten, ein Buch aus der Tasche zu ziehen – war eben die dreizehnjährige Rosa, »ein sehr schönes, artiges Mädl«. Dreizehn Jahre alt! Ein voller Backfisch! – In der Pfalz reift es eben früher, und es gibt einen feurigen Wein dort. Von diesem Mädchen aber schreibt auch ein anderer aus jener Zeit, der Maler Kobell: »Wie viel solcher süßer unschätzbarer Augenblicke schenkte mir der Himmel in dem lieben Umgang mit der schönen Rose Cannabich. Ihre Erinnerung ist meinem Herzen ein Eden!«[135]

Wolfgang selbst sagt von ihr: »Sie hat für ihr Alter sehr viel Vernunft und gesetztes Wesen; sie ist serios, redet nicht viel, was sie aber redet, geschieht mit Anmuth und Freundlichkeit.« Schon den Tag nach der Ankunft hatte sie ihm etwas vorgespielt: »Sie spielt ganz artig Klavier, und damit ich mir ihn recht zum Freunde mache, so arbeite ich jetzt an einer Sonate für seine Mlle. Tochter. Ich habe, wie ich das erste Allegro und Andante geendigt hatte, selbe hingebracht und gespielt.« Als das Allegro fertig war, fragte ihn der junge Danner, wie er das Andante zu machen im Sinne habe. – »Ich will es ganz nach dem Caractère der Mlle. Rose machen. – Als ich es spielte, gefiel es halt außerordentlich. Der junge Danner erzählte es hernach; es ist auch so: wie das Andante, so ist sie«, schreibt er am 6. Dez. 1777.

Welches Andante mag das sein? Ich meine das in der Sonate in B (André Nr. 10). Es ist amoroso betitelt, ein Zusatz, den Mozart selten macht. Und der letzte Satz ist ein Rondo. Auch das stimmt mit Mozarts Bemerkungen überein, denn er berichtet: »Ich habe heute bey Herrn Cannabich das Rondo zur Sonate für seine Mlle. Tochter geschrieben, folglich haben sie mich nicht mehr weggelassen.« Dieses Andante hat einen solchen Zauber der lebendigen Empfindung und zwar einer Empfindung, wie sie Mozart hier haben mochte, solch leises Fragen und schüchternes Antworten und all das reizende Getändel der Neigung hin und wieder, daß hier recht gut eine junge Mädchenseele gezeichnet sein kann, die von der Wonne des Daseins so eben eine süße Ahnung gewinnt und mit der holden Anmut der Jugend sich ihres Gefühles wie eines Verbrechens schämt. Man kann niemand beweisen, daß es gerade die Liebesempfindung ist, die dem jungen Meister bei dieser Sonate den Griffel geführt hat. Soviel aber steht fest, daß die beiden jungen Wesen auf diese Weise einander recht nahe gebracht wurden. »Gestern hat sie mir wieder ein recht unbeschreibliches Vergnügen gemacht«, schreibt Wolfgang bald darauf, »sie hat meine Sonate ganz vortrefflich gespielt. Das Andante (welches[136] nicht geschwind gehen muß) spielt sie mit aller möglichen Empfindung; sie spielt sie aber auch recht gern.« Es war aus dieser Berührung ein regelmäßiger Unterricht entstanden. Wolfgang kam täglich in das Haus und in reiner Neigung zum Schönen erglühend wuchsen die jungen Gemüter der höheren Reife in der Kunst wie im Leben entgegen.

Allein nur kurze Zeit schlugen diese beiden jungen Herzen miteinander. Es war doch auch bloß eine jener Vorübungen, die jedes Herz wie jeder Geist im Leben durchzumachen hat, wenn schließlich das Ganze und Volle hervorwachsen soll. Solcher größeren oder kleineren Exerzitien des Herzens gab es natürlich in dem heiteren Mannheim noch mehr, und sie waren, wie es sich gehört, zugleich Uebungen des Künstlers. Cannabich führte ihn auch beim Flötisten Johann Baptist Wendling ein. Die Tochter, welche einmal Geliebte des Kurfürsten gewesen, schreibt Wolfgang, spiele recht hübsch Klavier: »Hernach habe ich gespielt. Ich war heute in einer so vortrefflichen Laune, daß ich es nicht beschreiben kann, ich habe nichts als aus dem Kopf gespielt und drei Duetti mit Violine, die ich mein Lebtage niemalen gesehen, und dessen Autor ich niemalen nennen gehört habe. Sie waren allerseits so zufrieden, daß ich – die Frauenzimmer küssen mußte. Bei der Tochter kam es mir gar nicht hart an, denn sie ist gar kein Hund.« Auch Wieland schreibt von ihr, der wir später wieder begegnen werden, daß sie einer Madonna von Raffael oder Carlo Dolce so ähnlich sehe, daß man sich kaum erwehren könne, ihr, sobald man sie ansehe, ein Salve Regina zu adressieren, und Heinse nannte sie eine hundertblättrige Rose. Also hatte Wolfgang guten Geschmack.

Allein, was begriff er damals von dem berückenden Zauber, den solche Erscheinungen auf den Mann ausüben! »Sie ist gar kein Hund«, ist das einzige, was er von einem Mädchen zu sagen weiß, das die beiden Poeten zu Ausdrücken des Entzückens hinreißt. Auch er freilich sollte noch diesen Zauber zur Genüge kennen lernen[137] und ihn in Bildern der Kunst hinstellen, wie nach ihm kein Zweiter. Aber auch dann hatten sie nichts von dem Begehrlichen, das um Wielands Gebilde spielt, sie waren heiter, anmutig und unbefangen wie diese. Aber wie er an dieser »Zentifolie« nicht gesehen, sondern nur von ihr gehört hatte, daß sie dem Zuge der bloßen Natur folgend sich dem Leben preisgegeben, so vermochte er auch später von solcher leichteren Erregbarkeit das Unschöne, das nur zu oft damit verbunden ist, vollkommen auszuscheiden und behielt einzig die lebendig glühendere Art bei, die solchem Wesen eignet und uns an die unerschöpfliche Triebkraft der Natur gemahnt. Jetzt lag ihm selbst dieses noch fern. Eben erst erwachsen die idealen Regungen des Herzens, und von ihnen bis zum materiellen Genuß der Freude ist ein gar weiter Sprung.

Aber jetzt war auch der Moment gekommen, wo dieses Erwachen, dem so manche Dämmerung voraufgegangen war, mit einem mächtigen Schlage eintreten sollte. Es ergriff den jungen Genius jene Leidenschaft, die über Wohl und wehe unseres inneren Lebens so oft mitentscheidet, ja, es für einige Zeit bestimmt.

Im Anfange des neuen Jahres 1775 hatte Wolfgang, wohl um Noten schreiben zu lassen, die Bekanntschaft des Theaterkopisten Weber gemacht. Die sehr beschränkten Verhältnisse, in denen dieser Mann, ein Onkel des späteren Freischütz-Komponisten, mit seiner Familie lebte, erweckten Wolfgangs angeborene Gutmütigkeit, und er strebte, ihnen umsomehr zu helfen, als er bei der zweiten Tochter, Aloysia, die fünfzehn Jahre alt war, eine herrliche Stimme fand. Er beschloß ihr Unterricht zu geben. Und wie es nun so kommt und zumal bei Mozart nicht ungewöhnlich war, daß sich mit dem künstlerischen Interesse zugleich ein Hinneigen des Herzens verband, das die ganze Sache belebte, so konnte es auch nicht fehlen, daß die aufblühende Schönheit dieses Mädchens von Tag zu Tag einen tieferen Eindruck auf ihn machte. Ja, es währte nicht lange, so wurde das Verhältnis zwischen Lehrer und Schülerin so vertraut und leidenschaftlich, daß[138] es eine wahre und volle Liebe zu nennen ist. Und es war eine erste Liebe, die die jugendlichen Gemüter zusammenführte. Platen singt:


»Mein Herz und Deine Stimme

Verstehn sich gar zu gut«,


und dies mochte Wolfgangs Gedanke sein, wenn er dem begabten Mädchen, die mit ihrem offenen Geiste und angeborenem Kunstsinne seine Weisungen leicht verstand, alles das mitteilte, was er in Italien vom Gesange gelernt hatte, und mehr noch, wenn er ihr durch sein eigenes Spiel, sei es auch nur in der Begleitung zum Gesange, die Tiefen des Inneren erregte, die keine Kunst so wie die Musik wachruft, – die Musik, die jenen unartikulierten Lauten, in denen sich das tiefste Leben der Seele verrät, jenem Ach und Weh, in dem sich Freud und Leid des Herzens hervorstammelt, und das des Hörers Seele so unsagbar wonnig ergreift und mitklingen macht, den gemeingültigen Ausdruck verleiht, indem sie den bloßen Laut der Natur zur wohlgeordneten und doch beredt überströmenden Sprache macht! Wie mochten die beiden in steigendem Eifer miteinander musizieren! Wie mochten die flammenden Gesichter, die leuchtenden Augen, die Erwärmung des ganzen Wesens ihnen selbst eine Teilnahme des Innersten an diesem Kunsttreiben verraten, von der die unerfahrenen Herzen beide noch nichts wußten! Denn wer ahnt die erste Liebe? So rein, so unsäglich hochstehend und edel dünkt dem Herzen dieses erste, selige Gefühl, daß es lieber jeden andern Namen dafür wählt als den, mit dem es alle Welt benennt und der so gewöhnlich, ja fast unrein erscheint und sicher unwürdig, dieses heilige Gefühl zu benennen.

So war es auch bei diesen jungen Seelen. Selbst als die Flammen der Leidenschaft schon über ihren Häuptern zusammenschlagen, ahnen die Unschuldigen nicht, daß es Liebe ist, was sie so innig aneinander fesselt. Wie das Mädchen dachte, wissen wir[139] freilich nicht; doch läßt ihre Jugend wie Mozarts Bericht den Schluß wagen, daß auch sie arglos sich einer Neigung überließ, die aus dem künstlerischen Interesse erwuchs. Aber Wolfgang war, das wissen wir, so warm und wahr er empfand, auch so ahnungslos über sein Empfinden. Man kann nichts Anmutigeres lesen als die Briefe an seinen Vater, die das lebendige Zeugnis dieses bedeutsamen Lebensereignisses sind, und in denen Wolfgang, ohne es zu wissen und zu wollen, schon von vornherein seine Herzensempfindung verrät, während er selbst noch wähnt, es sei Interesse für die Stimme des Mädchens und die Not der Familie, das ihn zu seinen lebhaften Aeußerungen über sie treibt. Doch versteht sich von selbst, daß alle diese Laute seiner Empfindung dem ernsten und strengen Vater gegenüber, dem er vor allem die Erfüllung der Lebenspflichten schuldig ist, so wahrhaftig sie sind, doch gedämpfter erscheinen, als sie einem Menschen gegenüber gewesen sein würden, der an seinen Herzensangelegenheiten verstehenden Anteil genommen hätte.

Schon um Mitte Januar schreibt er: »Künftigen Mittwoch werde ich auf etliche Tage nach Kirchheim-Bolanden zu der Prinzessin von Oranien gehen. – Weil sie eine außerordentliche Liebhaberin vom Singen ist, so habe ich ihr vier Arien abschreiben lassen, und eine Symphonie werde ich ihr auch geben, denn sie hat ein ganz niedliches Orchester und giebt alle Tage Academie. Die Copiatur von den Arien wird mich nicht viel kosten, denn die hat mir ein gewisser Herr Weber, welcher mit mir herübergehen wird, abgeschrieben. Dieser hat eine Tochter, welche vortrefflich singt und eine schöne reine Stimme hat und erst fünfzehn Jahre alt ist. Es geht ihr nichts als die Action ab, dann kann sie auf jedem Theater die Primadonna machen. Ihr Vater ist ein grundehrlicher deutscher Mann, der seine Kinder gut erzieht, und dies ist eben die Ursache, warum das Mädl hier verfolgt wird. Er hat sechs Kinder, fünf Mädl und einen Sohn. Er hat sich mit Frau und Kinder vierzehn Jahre mit 200 Gulden begnügen müssen, und weil er[140] seinem Dienste allezeit gut vorgestanden und dem Kurfürsten eine sehr geschickte Sängerin gestellt hat, so hat er nun – 400 Gulden. Meine Arie von der de Amicis mit den entsetzlichen Passagen singt sie vortrefflich; sie wird diese auch zu Kirchheim-Bolanden singen.« Ueber diese Vakanzreise berichtet er dann nach vierzehn Tagen: »Wir mußten gleich einen Zettel ins Schloß schicken; den andern Tag kam der Herr Concertmeister Rothfischer zu uns. Abends gingen wir nach Hof, das war Samstag; da sang die Mlle. Weber drei Arien. Ich übergehe ihr Singen – mit einem Wort vortrefflich! Ich habe ja im neulichen Briefe von ihren Verdiensten geschrieben, doch werde ich diesen Brief nicht schließen können, ohne noch mehr von ihr zu schreiben, daß ich sie jetzt erst recht kennen gelernt und folglich ihre ganze Stärke einsehe. – Wir hättenunanimiter von Herzen gern das Essen bey Hofe hergeschenkt, denn wir waren niemal so vergnügt, als da wir allein beysammen waren; allein wir haben ein wenig öconomisch gedacht – wir haben so genug zahlen müssen. Den andern Tag war wieder Musique, – die Mlle. Weber sang in Allem dreizehnmal und spielte zweymal Clavier, denn sie spielt gar nicht schlecht. Was mich am meisten wundert, ist, daß sie so gut Noten liest. Stellen Sie sich vor, sie hat meine schweren Sonaten langsam, aber ohne eine Note zu fehlen, prima vista gespielt: ich will bey meiner Ehre meine Sonaten lieber von ihr als von Vogler spielen hören. Ich habe in Allem zwölfmal gespielt, und einmal auf Begehren in der lutherischen Kirche auf der Orgel, und habe der Fürstin mit 4 Sinfonien aufgewartet, und nicht mehr als sieben Louisd'or in Silbergeld bekommen, und meine liebe arme Weberin fünf. – Basta. Wir haben nichts dabey verloren, ich hab noch zweiundvierzig Gulden Profit und das unaussprechliche Vergnügen mit grundehrlichen, gut katholischen und christlichen Leuten in Bekanntschaft gekommen zu seyn; mir ist leid genug, daß ich sie nicht schon lange kenne.«

Wie ihm aber in diesem Umgang das Herz aufging, so daß[141] die ganze kindliche Zutraulichkeit seines Wesens sich wieder einmal hervorwagen durfte, geht aus dem Nachtrage des Briefes hervor: »Apropos! Sie müssen sich nicht zu viel verwundern, daß mir von 77 Gulden nicht mehr als 42 Gulden übrig geblieben sind. Das ist aus lauter Freuden geschehen, daß einmal wieder ehrliche und gleichdenkende Leute zusammengekommen sind. Ich habe es nicht anders gethan; ich habe halben Theil gezahlt; das geschieht aber nicht auf anderen Reisen, das habe ich schon gesagt, da zahl ich nur für mich.«

Von nun an widmete Wolfgang fast alle Zeit dem Verkehr in dieser Familie und studierte seiner Aloysia alle seine Arien ein, ja, er ließ sich, was er davon nicht bei sich hatte, von Salzburg herüberschicken. Er verschaffte ihr Gelegenheit, sich auch anderswo hören zu lassen, und berichtet mit Freuden, daß sogar Anton Raaff, der bedeutendste Sänger Mannheims (1714–1797), der gewiß nicht schmeichele, als er um seine aufrichtige Meinung gefragt wurde, gesagt habe: »Sie hat nicht wie eine Scolarin, sondern wie eine professora gesungen.« Sodann aber komponierte er auch eine Arie für sie und legte darin sein ganzes Empfinden für uns deutlicher und verständlicher nieder, als es seine Briefe enthüllen. Ihm selbst war diese Arie auch wie keine andere seiner Kompositionen so recht ans Herz gewachsen. Anfangs wollte er sie für den Raaff schreiben: »Aber der Anfang gleich schien mir für den Raaff zu hoch, und um ihn zu ändern, gefiel er mir zu sehr, und wegen Setzung der Instrumente schien er mir auch für einen Sopran besser. Mithin entschloß ich mich, diese Arie für die Weberin zu machen. Ich legte sie bey Seit und nahm die Wörter Se al labro für den Raaff vor. Ja da war es umsonst, ich hätte ohnmöglich schreiben können, die erste Aria kam mir immer in den Kopf. Mithin schrieb ich sie und nahm mir vor, sie accurat für die Weberin zu machen.«

Wie muß sein Herz, seine ganze Phantasie von diesem jugendlichen Wesen erfüllt gewesen sein, daß ein so kleiner Anlaß genügte,[142] sein Inneres in solche Bewegung zu setzen, daß er, der sonst in der Tat seiner Schaffenskraft gebot wie kaum ein anderer, dem Zuge der Natur folgen mußte! Aber die Worte, die er gewählt und nur gewählt hatte, weil sie vom Londoner Bach komponiert waren, und ihm diese Arie so gut gefiel und immer in den Ohren war, – »denn ich habe versuchen wollen, ob ich nicht ungeachtet diesem Allem im Stande bin, eine Arie zu machen, die derselben von Bach gar nicht gleicht?« – diese Worte waren es, die, ob sie gleich einer ganz anderen Situation als die seine war, angehörten, doch die Stimmung, die sein Herz bewegte, einfach und schon ausdrückten. In einer Oper Metastasios hat der König einen unbekannten Jüngling, der sich hernach als sein Sohn darstellt, zum Opfertode verurteilt, weil er einen Mordversuch auf ihn gemacht hat. Plötzlich fühlt er sich durch seinen Anblick seltsam ergriffen und spricht zu seinem Freunde: »Alcandro, ich gestehe, ich staune über mich selbst. Sein Antlitz, sein Blick, seine Stimme erwecken in meinem Herzen ein ungeahntes Zittern, das mein Blut in jeder Ader wiederempfindet. In all meinen Gedanken suche ich die Ursache und finde keine. Was ist's, gerechte Götter, was ist's, was ich empfinde?« – und macht dann seinem Gefühle in den Worten Luft: »Ich weiß nicht, woher es kommt, dieses zärtliche Empfinden, diese Bewegung, die unbekannt mir im Busen erwächst, dieser Schauer, der meine Adern durchrieselt. Solch jähen Wechsel im Herzen zu erwecken, scheint mir nicht genug das bloße Mitleid.«

War das nicht Wolfgangs eigener Zustand? Waren Mitleid und Teilnahme, so wie er sie für diese Familie, für dieses Mädchen empfand, genügend ihn so tief zu erregen, wie er sich jetzt tagaus, tagein erregt fühlte? Sollte nicht ein tieferes Empfinden in seiner Seele mit wonnevoller Ahnung erwacht sein? Ja, es war erwacht, er fühlte mehr als Mitleid, und ob er sich nun dessen bewußt ward, während er die Worte durch Musik in die Empfindung zurückübersetzte, aus der sie gesprochen waren, ist gleichgültig,[143] – gewiß war ihr Inhalt die treibende Kraft, die der Phantasie des Künstlers den Stoff zu einer der beredtesten Schöpfungen gab, die jemals das erwachende Liebesgefühl ausgesprochen haben. Und weil er nun so gar sehnlichst wünschte, daß sein geliebtes Mädchen diese Empfindung teilen möchte, so legte er die Worte auf ihre Lippen. Und: »als ich sie fertig hatte, sagte ich zur Mlle. Weber: Lernen Sie die Arie von sich selbst, singen Sie sie nach Ihrem Gusto; dann lassen Sie mir sie hören, und ich will Ihnen hernach aufrichtig sagen, was mir gefällt und was mir nicht gefällt. Nach zwey Tagen komme ich hin, und da sang sie mir's und accompagnierte sich selbst. Da habe ich aber gestehen müssen, daß sie's accurat so gesungen hat, wie ich es ihr lernen hab wollen. Das ist nun ihre beste Aria, die sie hat; mit dieser macht sie sich gewiß überall Ehre, wo sie hinkommt.«

Sie sang die Arie dann in einer Akademie bei Cannabich, und Wolfgang berichtet: »Die Mlle. Weber hat zwey Arien von mir gesungen, die Star tranquillo vom Rè pastore und die neue Non so d'onde viene. Mit dieser hat meine liebe Weber sich und mir unbeschreibliche Ehre gemacht. Alle haben gesagt, daß sie noch keine Arie so gerührt hat wie diese; sie hat sie aber auch gesungen, wie man sie singen soll. Cannabich hat gleich wie die Aria aus war, laut geschrieen: Bravo, bravissimo maestro! veramente, scritta da maestro! Hier habe ich sie das erstemal mit den Instrumenten gehört. Ich wollte wünschen, Sie hätten sie auch gehört, aber so wie sie da produciert und gesungen wurde, mit dieser Accuratesse im gusto, piano und forte. Wer weiß, vielleicht hören Sie sie doch noch – ich hoffe es. Das Orchester hat nicht aufgehört die Aria zu loben und davon zu sprechen.« Und ebenso wird er selbst nicht müde davon zu reden und bittet den Vater, dem er die Arie geschickt, er möge sie niemandem zu singen geben, denn sie sei ganz für die Weber geschrieben und passe ihr wie ein Kleid auf den Leib.

Lag nicht eine Art von Erhörung in der Weise, wie die Geliebte[144] die Arie auffaßte und wiedergab? Mußte sie nicht selbst ergriffen sein von diesen Tönen, in denen sich so schön das Zweifeln und immer erneuerte sich selbst Besinnen ausdrückt? Und waren es nicht auch die Laute ihres Herzens, das mit der vollen Unschuld der Jugend in Zweifel und Staunen über seine eigenen Regungen gerät, die sie selbst nicht versteht, und die sie doch so unwiderstehlich zu dem Gegenstande ihrer Neigung hinziehen? In sich selbst findet sie, wie Jahn treffend ausführt, keinen Grund zur aufregenden Besorgnis, sie hat nichts getan, was unrecht wäre, was nicht mit der vollen Ueberzeugung ihres Herzens übereinstimmte. Auch ist die Neigung, die in ihr aufkeimt, noch nicht zur alles beherrschenden Leidenschaft geworden, und doch fühlt sie sich an einem Wendepunkt ihres Lebens, der über ihr ganzes fernere Geschick entscheiden wird. Daher war auch die schöne Ruhe und Klarheit der Unschuld, die trotz aller inneren Wärme und tiefen Erregung des Gefühles über diese Musik ausgegossen ist, ganz der Ausdruck ihres eigenen Zustandes. Sie konnte mit voller Seele diese zärtlichen Töne heraussingen und dem Künstler so die Erwiderung seiner Liebe in holdester Weise gestehen. Und er hatte dafür gesorgt, daß sie die ganze Schönheit ihrer sonnenhellen und ungewöhnlich hohen Stimme wie auch ihre reizende Koloratur entfalten konnte und vor allem den ganzen Zauber, womit sie das Getragene gefühlvoller Melodien wiederzugeben wußte. Wahrlich, diese Arie, sie strömt über von Musik, sie zuerst spricht in wahrhaft goldenem Klange die tiefe Innigkeit jenes Herzens aus, das sozusagen die Liebe in die Musik einführte! Was Wunder, wenn der junge Künstler dem fünfzehnjährigen Mädchen, das solches leistete, mit wahrer Begeisterung zuhörte, was Wunder, wenn er die schlanke Gestalt mit Schwärmerei betrachtete und sie im Drange des Empfindens an seine liebewarme Brust zog, wenn er aus ihren braunen Augen, aus ihrem dunklen Lockenhaar, von ihren Lippen das Entzücken der ersten Liebe trank!

Ob das wohl alles in Wirklichkeit so war? O nein, gewiß[145] nicht! – Ist es selbst heute noch so jungen Jahren nicht leicht eigen in solch nahe Berührung miteinander zu treten, – die damalige Zeit schied in bürgerlichen Kreisen noch strenger, und wir werden erstaunen, mit welchem zurückhaltenden Respekt Mozart später selbst seiner erklärten Braut begegnet. Das war Sitte der Zeit. Allein mag dem sein wie ihm wolle, – damals war es, wo Mozart sich aus den liebesüßen Umarmungen seines Mädchens, selbst wenn sie nur erhoffte, nur erträumte waren, zum erstenmal jene süße Zärtlichkeit sog, mit der er seine Musik fortan erfüllen sollte. Sein Herz blühte auf. Ganz und voll genoß er sein Dasein und dachte nicht, daß es jemals anders werden könne. Und sie genoß mit ihm, sie waren glücklich miteinander. Es war der erste Höhepunkt seines Lebens, – alles Freude und Hoffnung und süßeste Liebeswonne! –

Quelle:
Ludwig Nohl: Mozarts Leben. Berlin 4[um 1910], S. 131-146.
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