Elfter Abschnitt.

Das »Requiem.«

»Des Lebens holde Torheit hat ein Ende,

Und aus dem Tode blüht ein neues Leben.«


In den ersten Tagen des Mai 1791 hatte unser Meister, den der kaiserliche Hof in einer wenig erfreulichen Weise zu vernachlässigen fortfuhr, und den seine trübe Lebenslage mehr und mehr nötigte, sich nach einer einträglichen, festen Stellung umzuschauen, folgendes Gesuch verfaßt:


»Hochlöblich Hochweiser Wienerischer Stadt-Magistrat!


Gnädige Herren!


Als Hr. Kapellmeister Hofmann krank lag, wollte ich mir die Freyheit nehmen um dessen Stelle zu bitten; da meine musikalischen Talente und Werke sowie meine Tonkunst im Auslande bekannt sind, man überall meinen Namen einiger Rücksicht würdigt, und ich selbst am hiesigen höchsten Hofe als Compositeur angestellt zu seyn seit mehreren Jahren die Gnade habe, hoffte ich dieser Stelle nicht unwerth zu seyn und eines hochweisen Stadt-Magistrats Gewogenheit zu verdienen.

Allein Kapellmeister Hofmann ward wieder gesund, und bey diesem Umstand, da ich ihm die Fristung seines Lebens von Herzen gönne und wünsche, habe ich gedacht, es dürfte vielleicht dem Dienste der Domkirche und meinen gnädigen Herren zum Vortheil gereichen, wenn ich dem schon älter gewordenen Herrn Kapellmeister für jetzt nur unentgeltlich adjungiret würde und dadurch die Gelegenheit erhielte, diesem rechtschaffenen Manne in[505] seinem Dienste an die Hand zu gehen und eines hochweisen Stadt-Magistrates Rücksicht durch wirkliche Dienste mir zu erwerben, die ich durch meine auch im Kirchenstyl ausgebildeten Kenntnisse vor Andern mich fähig halten darf.«

Der hochweise Stadtmagistrat willfahrte diesem untertänigsten Gesuche, indem er Mozart dem Herrn Kapellmeister Hofmann an der Stephanskirche wirklich unentgeltlich beigesellte und ihm nach Hofmanns Tode die Stelle zusagte. Allein der hochbetagte Kapellmeister überlebte den jungen Adjunkten, und der bekannte Theoretiker Albrechtsberger rückte in die eine wie andere Stelle ein.

Ohne Zweifel war bei dem Streben nach einer festen Stellung in diesem Falle noch ein besonderer Wunsch Mozarts mitbestimmend gewesen, die Neigung für die Kirchenmusik, die von je in ihm lebendig, jetzt durch die innige Bekanntschaft mit der hohen Kunst Sebastian Bachs und mehr noch durch die gesamte Richtung seines Geistes doppelt stark in ihm erwacht war. Welch freudigen Eindruck mußte es also auf ihn machen, als wenige Monate später, im Juli, nachdem die »Zauberflöte« bereits als im wesentlichen fertig in das eigenhändige Verzeichnis eingetragen war, »ganz unerwartet der Auftrag an ihn erging, ein ›Requiem‹ zu schreiben.« Ein unbekannter Bote, – es war nach Wiener Berichten ein langer, hagerer, grau gekleideter Mann mit ernstem Gesichtsausdruck, eine auffallende Erscheinung, ganz geeignet, einen befremdlichen Eindruck zu machen, – überbrachte ihm einen anonymen Brief, worin unter schmeichelhafter Anerkennung seiner künstlerischen Leistungen angefragt ward, um welchen Preis er eine Seelenmesse zu schreiben übernehmen möge, und in wie kurzer Zeit er dieselbe zu vollenden gedenke. Mozart teilte seiner Frau, ohne welche er niemals einen wichtigen Schritt des Lebens zu tun pflegte, den Auftrag mit und gestand ihr, daß ihm die Aufgabe eine sehr willkommene sei: denn es verlange ihn, einmal wieder in dieser Gattung der Musik tätig zu sein und mit allem Fleiß ein Werk auszuarbeiten, an welchem[506] Freunde wie Feinde noch nach seinem Tode studieren sollten. Die Beschränkung der Kirchenmusik durch Joseph II. war nämlich wieder aufgehoben. Constanze redete ihm zu, um so mehr, als ihre bevorstehende Genesung wieder eine bedeutende Steigerung der Ausgaben erwarten ließ und daher eine solche Aussicht auf Erwerb nur erwünscht sein konnte. So erklärte er sich bereit, ohne jedoch den Termin der Vollendung genau zu bestimmen, und verlangte als Preis fünfzig Dukaten. Der Bote kam bald darauf wieder, zahlte die verlangte Summe im voraus und versprach eine Zulage für die fertige Arbeit, indem er dem Komponisten zugleich die Weisung gab, ganz nach Stimmung und Laune zu schreiben, übrigens sich keine Mühe zu geben, des Bestellers Namen zu erfahren, da dies ganz gewiß vergeblich sein werde.

Wir wissen heute, daß dieser seltsame Bote der Verwalter eines Grafen Walsegg war und in dessen Namen das »Requiem« bestellte. Walsegg war ein eifriger Musiker und hatte die Schwäche für einen Komponisten gelten zu wollen. Nun war im Januar dieses Jahres seine Gemahlin gestorben, und ihr zu Ehren wollte er die Seelenmesse aufführen. Er ließ die Bestellung so geheim machen, damit er die Partitur abschreiben und die Musik als sein Werk ausgeben könne. Dies ist auch geschehen, und so sind, zumal Mozart das Werk nicht vollendet hatte und dem Grafen dennoch eine Partitur eingehändigt worden war, an der nichts fehlte, über die Echtheit dieser Komposition im ganzen wie im einzelnen lange Streitigkeiten entstanden, die erst später durch die Entdeckung der angegebenen Tatsachen gehoben wurden. Allein soviel auch besonders über das Geheimnisvolle der Bestellung in romanhafter Weise gefabelt worden ist, der unbedeutende Vorgang, wie wir ihn mitteilten, wurde wieder von entscheidender Bedeutung für Mozarts Schaffen. Er wirkte mit der vollen Macht des Mysteriösen auf seine Phantasie, die damals bereits fast einzig mit den Vorstellungen beschäftigt war,[507] welche über das Grab hinausführen. Tief und unauslöschlich lebte in seiner Seele die Gewißheit der baldigen Auflösung. Schon die Töne der »Zauberflöte« zeigten eine Verklärung, die sich kaum noch mit den Bedingungen der Existenz verträgt. Seine Seele neigte sich bereits ganz dem Himmlischen zu. Und so betrachtete er es mit voller Ueberzeugung als eine Schickung von oben, daß er gerade jetzt ein Werk zu schreiben bekam, in dem es ihm zur Pflicht wurde, mit allen Mitteln seiner Kunst, mit seiner eigensten Sprache und aus tiefstem Herzensgrunde von den Dingen zu reden, die über allem Dasein schweben. Es erfaßte sein innerstes Wesen jene eigentümliche Mischung von Grausen und Freude, die den Menschen erfüllen mag, wenn er von der körperlichen Existenz scheiden soll. Das Leben war ihm lieb, – wem wohl je hatte es Schöneres geboten? allein er hatte bereits seit Jahren mit ihm abzuschließen begonnen, und so sehr seine Natur zeitweise grauen mochte vor dem Ende, das jedem Erdgeborenen schreckend ist, so ruhig und selig war sein Inneres wieder, wenn er an das dachte, was ihm eine unumstößliche innere Gewißheit war, an ein ewiges Leben. Alle diese Vorstellungen wurden nun mit vollster Macht in seiner Seele wach, und er betrachtete das bestellte Werk als seine eigentliche Lebensaufgabe. Ist es ein Wunder, wenn der alte Adam Hiller in Leipzig auf die eigenhändige Abschrift, die er sich von diesem Werke gemacht hatte, das Wort schrieb: Opus summum summi viri?

Sofort machte er sich an die Arbeit, und die Zeit ist ihm so kostbar, daß er sich kaum entschließen kann, seine liebe Constanze in Baden zu besuchen. Aber wie es zu gehen pflegt, gerade jetzt, wo ihn die Arbeit in Fülle umwogte, – es ist erstaunlich, wie viel Mozart in diesem letzten Lebensjahre geschaffen hat, – kam ein neuer bedeutender Auftrag, dessen Ausführung Ehre und Gewinn versprach. Die böhmischen Stände bestellten eine große Oper. Kaiser Leopold sollte in Prag zum König gekrönt werden. Man hatte Metastasios »La clemenza di Tito« als Festspiel und[508] Mozart zum Komponisten gewählt. Dieser Entschluß war aus unbekannten Gründen so lange verzögert worden, daß zum Schreiben und Einstudieren der Musik nur noch wenig Wochen übrig waren. Mozart begab sich sofort auf die Reise, es war um Mitte August. Constanze mußte ihn wie gewöhnlich begleiten, obschon sie erst vor wenig Wochen dem kleinen Wolfgang das Leben geschenkt hatte. Als sie nun im Begriffe waren in den Wagen zu steigen, stand der graue Bote unerwartet da, zupfte die Frau am Rock und fragte, wie es nun mit dem »Requiem« aussehen werde. Mozart entschuldigte sich mit der dringenden Notwendigkeit dieser Reise und der Unmöglichkeit, den unbekannten Besteller davon zu benachrichtigen: übrigens solle nach der Rückkehr das »Requiem« seine erste Arbeit sein, wenn man ihm bis dahin Frist vergönnen wolle. Damit war der Bote zufrieden. Mozart aber empfand diese seltsam unheimliche Erscheinung von neuem als eine Mahnung höherer Mächte, das Werk seines Lebens ja nicht aufzuschieben, da ihm nur wenig Zeit mehr gegeben sei.

Schon während der Fahrt arbeitete er mit Eifer an der neuen Oper. Er entwarf im Wagen die Skizzen und führte sie abends im Gasthause aus. Seine Phantasie war wie immer durch die Frische der Natur auf das angenehmste erregt. In Prag wurde dann unaufhörlich fortgearbeitet, so daß – es ist kaum glaublich – nach Verlauf von achtzehn Tagen das ganze Werk fertig und sogar einstudiert war. Zur Unterstützung bei der Arbeit hatte er diesmal einen jungen Komponisten, der sich ihm als Schüler angeschlossen hatte, F.X. Süßmayr (1766–1803), mitgenommen. Dieser soll die Sprechrezitative geschrieben haben. Bereits am 6. September war die erste Aufführung der Oper, und zwar vor den Majestäten und einem geladenen Publikum. Allein sie gefiel wenig. Die Zuhörer waren, wie Niemtschek meint, zu sehr von den glänzenden Vergnügungen der Krönungsfeierlichkeiten berauscht, um die Schönheit Mozartscher Musik empfinden[509] zu können. In dem musikalischen Wochenblatte Prags aber wurde bemerkt: »Der sonst so große Komponist schien diesmal des Wahlspruchs des Octavius: Festina lente vergessen zu haben.« Auch nach mehrfacher Wiederholung sprach die Oper nicht an. Und in der Tat, wer an die Musik des »Figaro« und »Don Juan« gewöhnt war, konnte an dieser Weise, die gar zu sehr in die Bahnen der alten italienischen Oper zurücklenkte, nicht das volle Gefallen finden. Denn obgleich sich in der Behandlung der Formen wie überhaupt in der Verwendung aller musikalischen Mittel auch hier die vollkommene Meisterschaft nicht verleugnet, zu der Mozarts Kunst vorgedrungen war, so entbehrt diese Musik doch zu sehr jenes überquellenden Lebensgehaltes, den die früheren Opern bergen: ihre Schönheit ist zu sehr bloße Formenschönheit. Allein, wie ist es auch denkbar, daß die Seele des Meisters, die so eben von der idealen Lebensfülle der »Zauberflöte« angeregt und von dem erhaben großen Sinne des Dies irae ergriffen worden war, sich an die gefällige Manier eines Metastasio anschließen konnte, der weder von der Größe des Römertums noch überhaupt von den tieferen Mächten des Lebens eine Ahnung hatte! Und doch gelang es einem Mozart, der es verstand, auch den geringsten Keim wahren Lebens zur weit überschatteten Erscheinung aufwachsen zu machen, auch diesmal, wenigstens an einer Stelle, die ganze Art seiner Natur zu enthüllen. Das berühmte Quintett des ersten Finales, als Sextus sein Verbrechen erkennt, hat an Größe und Gewalt der Dramatik wenig seinesgleichen. In ihm allein offenbart sich etwas von dem, was in jenen letzten Lebensmonaten in Mozarts Innerem vorging.

Gleichwohl berührte es den ernstgestimmten Maestro auf das schmerzlichste, daß er diesmal des gewohnten Beifalls seiner lieben Prager entbehren mußte. Ja, die Kaiserin Maria Ludovica, eine Spanierin, soll sich sehr geringschätzig über die porcheria der deutschen Musik geäußert haben. Dies alles machte ihn sehr[510] niedergeschlagen. Der rückhaltlose Enthusiasmus der Böhmen hatte ihn ja so oft für die Unbill entschädigt, die er in Wien zu erleiden hatte. Zudem war er, den die tiefe Bewegung der Seele in den letzten Monaten und die übermäßige Anstrengung der jüngsten Wochen auch körperlich sehr angegriffen hatten, bereits unwohl in Prag angekommen und hatte dort durch rastlose Arbeit und Aufregungen mancher Art sein Uebelbefinden bedenklich gesteigert. Er gebrauchte fortwährend Arznei, sah blaß aus und seine Miene war traurig. Die Wehmut begann ihm bis ans Herz zu dringen. Und obschon sein Humor in der Gesellschaft der Freunde, mit denen er so oft heiter gewesen war, auch jetzt noch sich manchmal in den fröhlichsten Scherzen ergoß, so flossen doch, als er Abschied nahm, seine Tränen reichlich. Er gedachte, daß er die Freunde wohl nicht wiedersehen werde.

Um Mitte September kehrte er nach Wien zurück. Auch diese Bitterkeit des Lebens hatte er also noch kosten sollen, daß seinem Schaffen der volle Lohn der Anerkennung ausblieb. In Wien, das wußte er, war die Zurücksetzung seiner Opern nicht Schuld des Publikums, sondern der Künstler, die seine Kunst zu fürchten hatten. Diesmal lag die Ursache in seiner Musik, darüber täuschte sich ein Mozart nicht, der zu sehr gewohnt war, die schärfste Kritik an sich selbst zu üben. Denn wer über die Musik zur »Entführung« zu urteilen vermochte, »das sei alles zu breit, damals habe er sich noch zu gern selbst gehört«, der wußte auch, was dem »Titus« fehlte. So machte er sich denn jetzt daran, die Stücke, welche für die »Zauberflöte«, die nun bald in Szene gehen sollte, noch zu komponieren waren, um so mehr vollendet herzustellen. Es galt, wie er wähnte, eine Scharte auszuwetzen, die sein Ruhm in Prag bekommen hatte. In diesen Tagen war es, wo der Priestermarsch, der Chor »O Isis und Osiris«, das zweite Finale und die Ouverture geschrieben wurden, und fürwahr, hier ward das Vollendete geleistet. In diesen Partieen lagen die Ideen, die sein Inneres[511] am meisten ergriffen hatten. Und floß nun der ganze Gehalt des Menschen in diese Töne, so war der Künstler darauf bedacht, hier auch das Höchste seines Könnens zu zeigen. Sowohl die Fülle und Kraft der Empfindung wie das außerordentlich Gedrängte der Form beweisen, daß hier das Allerbeste geleistet werden sollte. Der Eingang des Finales, der Gesang der geharnischten Männer, die Ouverture sind Vorläufer und fast selbst Teile des Requiems. In der Tat: »Bald prangt, den Morgen zu verkünden, die Sonn' in ihrer Pracht«. Sowie der Leib seiner Auflösung entgegengeht, nähert sich sein Geist dem ewigen Leben, und der Sinn des ganzen Werkes: »Durch Nacht zum Licht!« faßt sich in diesen wenigen Stücken in seiner vollen Tiefe und Herrlichkeit und als Bild des ganzen menschlichen Daseins zusammen.

Die Inszenierung der Oper und die vielen Proben raubten dem leidenden Meister manch kostbare Stunde. Doch war ihm der junge Kapellmeister Henneberg bei diesem Geschäfte sehr behilflich. Am 30. September 1791 endlich fand die erste Aufführung statt. Mozart selbst dirigierte am Flügel, Süßmayr wandte um. Nach der Ouverture war das Publikum ganz still. Es wußte aus den erhabenen Klängen, die in den Bretterräumen eines Vorstadttheaters unerhört waren, nichts Rechtes zu machen. Die unerschöpfliche Fülle des quellenden Lebens, die in dieser Polyphonie ein Abbild all der unzähligen Regungen ist, die im irdischen Dasein sich kreuzend und verwirrend miteinander dem Höchsten zustreben, bis sie sich zuletzt alle zu einem wahren Strome des Lichts harmonisch vereinigen, das alles war nichts für solche Ohren. Doch war Schenk, der spätere Komponist des »Dorfbarbier«, der in dem überfüllten Hause nur noch im Orchester Platz gefunden hatte, sogleich nach Schluß der Ouverture außer sich vor Entzücken bis an den Dirigentenstuhl gekrochen, hatte Mozarts Hand ergriffen und geküßt, derweilen dieser mit der Rechten ruhig forttaktierend ihn freundlich ansah und ihm die[512] Wange streichelte. So leitete Mozart unbeirrt in die Introduktion über, wohl wissend, daß, was die ernste Fülle nicht vermocht hatte, das heitere Spiel gewiß vermögen werde. Doch zeigte sich auch nach Beendigung des ersten Aktes der Beifall keineswegs so groß, wie man erwartet hatte, und Mozart, so berichten einige, soll blaß und bestürzt zu Schikaneder auf die Bühne gekommen sein, wo dieser ihn zu beruhigen und zu trösten versucht habe. Während des zweiten Aktes aber erholte sich das Publikum von seiner Ueberraschung und rief den Maestro heraus. Er hatte sich versteckt, erzählt die Tradition, man mußte ihn suchen und nur mit Mühe vermochte man ihn zu bereden, daß er auf die Bühne heraustrat. Es hatte ihn gekränkt, daß die Musik, an die er das Beste seines Herzens wie seines Könnens gesetzt hatte, so wenig von den Zuhörern gewürdigt worden war.

Am folgenden Abend dirigierte er noch einmal, dann war Henneberg sein Stellvertreter. Aber noch am 9. Oktober berichtete ein Wiener Blatt: »Die neue Maschinenkomödie, die Zauberflöte mit Musik von unserem Kapellmeister Mozart, die mit großen Kosten und vieler Pracht in den Dekorationen gegeben wird, findet den gehofften Beifall nicht, weil der Inhalt und die Sprache des Stückes gar zu schlecht sind.« Das konnten nun wohl Feinde des Maestro oder vielmehr des Direktors geschrieben haben. Allein wenn der Bericht wahr ist, so mochte dazu die mangelhafte Aufführung das Meiste beitragen. Denn außer Schikaneder waren die darstellenden Kräfte sämtlich ziemlich mittelmäßig und dieser selbst kaum mehr als ein Possenreißer, dessen Stimme die Mitte hielt »zwischen dem Knarren einer Thüre und dem Geschrei einer Wetterfahne«. Aber der Direktor, dessen Existenz von dem Erfolg der Oper abhing, ließ nicht nach, das Werk dem Publikum vorzuführen, und mochten nun die Affen, der Löwenwagen und das Federkostüm oder Mozarts Musik es sein, was am Ende die Menge dennoch fesselte, im Laufe des Oktobers konnte dieser an seine Frau in Baden die folgenden[513] Briefe schreiben, die das Gefallen der Oper als etwas, das sich von selbst versteht, berichten. Der erste lautet:


»Samstags Nachts um 1/211 Uhr.


Liebstes, bestes Weibchen.


Mit größtem Vergnügen und Freudegefühle fand ich bei Zurückkunft aus der Oper Deinen Brief. Die Oper ist, obwohl Samstag allzeit wegen Posttag ein schlechter Tag ist, mit ganz vollem Theater mit dem gewöhnlichen Beifall und Repetitionen aufgeführt worden. Morgen wird sie noch gegeben, aber Montag wird ausgesetzt, – folglich muß ich den Stoll Dienstag herbringen, wenn sie wieder zum erstenmal gegeben wird. Ich sage zum erstenmal, weil sie vermutlich wieder etliche Male nacheinander gegeben wird. Jetzt habe ich eben ein kostbares Stück Hasen zu Leib genommen, welches mir der Primus (welcher mein getreuer Kammerdiener ist) gebracht hat, und da mein Appetit heute etwas stark ist, so schicke ich ihn wieder fort, mir noch etwas wenn es möglich ist zu bringen, – in dieser Zwischenzeit fahre ich fort zu schreiben. Heute früh habe ich so fleißig geschrieben, daß ich mich bis 1/212 Uhr verspätet – lief also in größter Eile zu Hofer (nur um nicht allein zu essen), wo ich die Mama auch antraf. Gleich nach Tisch ging ich wieder nach Hause und schrieb bis zur Operzeit. Leutgeb bat mich ihn wieder hinein zu führen, und das that ich auch. Morgen führe ich die Mama hinein; das Büchel hat ihr schon vorher Hofer zum Lesen gegeben. Bei der Mama wirds wohl heißen, die schaut die Oper, aber nicht, die hört die Oper. N.N. hatten heute eine Loge, zeigten über alles recht sehr ihren Beifall, aber Er, der allerhand, zeigte so sehr den Bayern, daß ich nicht bleiben konnte, oder ich hätte ihn einen Esel heißen müssen. Unglücklicherweise war ich eben drinnen, als der zweite Act anfing, folglich bei der feyerlichen Scene. Er belachte alles. Anfangs hatte ich Geduld,[514] ihn auf einige Stellen aufmerksam machen zu wollen, allein er belachte alles; da wards mir nun zu viel – ich hieß ihn Papageno und gehe fort, – ich glaube aber nicht, daß es der Dalk verstanden hat. Ich ging also in eine andere Loge, worin sich Flamme mit seiner Frau befand; da hatte ich alles Vergnügen, und da blieb ich bis zu Ende. Nur ging ich auf das Theater bey der Arie des Papageno mit dem Glockenspiel, weil ich heute so einen Trieb fühlte, es selbst zu spielen. Da machte ich nun den Spaß, wo Schikaneder einmal eine Haltung hat, so machte ich ein Arpeggio – der erschrak – schaute in die Scene und sah mich, – als es das 2te Mal kam, machte ich es nicht – nun hielt er und wollte gar nicht mehr weiter – ich errieth seine Gedanken, und machte wieder einen Accord – dann schlug er auf das Glockenspiel und sagte halts Maul – alles lachte dann – ich glaube, daß viele durch diesen Spaß das erstemal erfuhren, daß er das Instrument nicht selbst schlägt. –

P.S. Küsse die Sophie in meinem Namen. Dem Süßmayer schicke ich ein paar gute Nasenstüber und einen breiten Schopfbeitler. Dem Stoll tausend Complimente. Adieu. – Die Stunde schlägt – – lebe wohl! – wir sehn uns wieder!«


Die letzten Worte sind aus jenem Terzett der Zauberflöte. Man sieht, er hielt etwas auf sein Werk. Ihre ernsteren Partien waren ihm wirklich Ernst, und es verletzte ihn, wenn man diese schöne Feierlichkeit belachte. Andererseits freut ihn die lebhafte Teilnahme der Freunde, besonders wenn Kenner das Werk loben. Mit gewohnter Gutmütigkeit führt er sogar seinen Rivalen Salieri hinein und berichtet in unbefangener Weise über die Art, wie dieser das Werk aufnahm, das auf einer Bühne zweiten, ja dritten Ranges aufgeführt, kaum des Interesses der vornehmen Kunstfreunde wert schien. Dies erfahren wir aus dem folgenden Briefe, der am 14. Oktober geschrieben ist, und es ist nur noch daran zu erinnern, daß Hofer der Schwager und Karl der ältere Sohn Mozarts ist, den er irgendwo außerhalb Wiens[515] in eine Schule gehen ließ und jetzt bei dem Lehrorden der Piaristen unterzubringen strebte. Den kleinen Wolfgang nennt er nicht, und doch hing er mit der ganzen Freude seines Herzens an ihm und hatte von ihm prophezeit, er werde dereinst ein zweiter Mozart werden, weil er einmal aus dem Tone schrie, in dem der Vater gerade spielte. Dieser Sohn ward auch ein ganz tüchtiger Musiker und Komponist, obgleich ihn der Ruhm des Vaters verhinderte, zu einem größeren Namen zu gelangen. Der ältere Sohn dagegen brachte es nur bis zum wohlbestallten k.k. Staatsbuchhaltungsbeamten. Der Brief beginnt wieder mit dem gewohnten »Liebstes, bestes Weibchen!«

»Gestern Donnerstag ist Hofer mit mir hinaus zum Carl«, schreibt er also, »wir speisten darauß, dann fuhren wir herein, um 6 Uhr holte ich Salieri und die Cavalieri mit dem Wagen ab, und führte sie in die Loge. Du kannst nicht glauben, wie artig beide waren, wie sehr ihnen nicht nur meine Musik, sondern das Buch und alles zusammen gefiel. Sie sagten beyde, das sey eine Oper, würdig bei der größten Festivität vor dem größten Monarchen aufzuführen, und sie würden sie gewiß sehr oft sehen, denn sie haben noch kein schöneres und angenehmeres Schauspiel gesehen. Er hörte und sah mit aller Aufmerksamkeit und von der Sinfonie bis zum letzten Chor war kein Stück, welches ihm nicht ein bravo oder bello entlockte, und sie konnten fast gar nicht fertig werden sich über diese Gefälligkeit bei mir zu bedanken. Sie waren all zeit gesinnt gestern in die Oper zu gehen. Sie hätten aber um 4 Uhr hineinsitzen müssen, – da sahen und hörten sie aber mit Ruhe. Nach dem Theater ließ ich sie nach Hause führen, und ich supirte mit Carl bei Hofer, dann fuhr ich mit ihm nach Hause, allwo wir beide herrlich schliefen. Dem Carl habe ich keine geringe Freude gemacht, daß ich ihn in die Oper abgeholt habe. Er sieht herrlich aus, für die Gesundheit könnte er keinen besseren Ort haben, aber das übrige ist leider – elend; einen guten Bauern mögen sie wohl der Welt erziehen! Unterdessen[516] kann die Geschichte wegen der Piaristen zu Stande kommen, woran wirklich gearbeitet wird. Uebrigens ist er zwar nicht schlechter, aber auch um kein Haar besser, er hat die nämlichen Unformen, plagnet gerne wie sonst und lernt fast noch weniger gern, weil er darauß nichts als vormittags 5 und nach Tisch 5 Stunden im Garten herumgeht, wie er mir selbst gestanden hat, mit einem Wort, die Kinder thun nichts als essen, trinken, schlafen und spazieren gehen. Eben ist Leutgeb (der Salzburger Hornist) und Hofer bei mir; ersterer bleibt bei mir beym Essen, ich habe meinen treuen Cameraden Primus eben um ein Essen ins Bürgerspital geschickt. Mit dem Kerl bin ich recht zufrieden, ein einziges Mal hat er mich angesetzt, daß ich gezwungen war bei Hofer zu schlafen, welches mich sehr seckierte, weil sie mir zu lange schlafen, ich bin am liebsten zu Hause, weil ich meine Ordnung schon gewohnt bin, das einzige Mal hat er mich ordentlich üblen Humors gemacht. Gestern ist mit der Reise nach Bernstorf der ganze Tage darauf gegangen, darum konnte ich Dir nicht schreiben; aber daß Du mir 2 Tage nicht geschrieben, ist unverzeihlich, heute hoffe ich aber gewiß Nachricht von Dir zu erhalten und morgen selbst mit Dir zu sprechen und Dich von Herzen zu küssen.«

Wenig Tage, nachdem er diesen Brief geschrieben, brachte er seine Constanze nach Wien zurück und genoß nun wieder der Ruhe und Regelmäßigkeit des häuslichen Daseins, die seinem angegriffenen Körper Bedürfnis war. Schon aus dem Briefe oben erfahren wir, wie fleißig er arbeitete, daß ihm der Morgen, und derselbe begann früh, bis gegen 2 Uhr und der Nachmittag bis zum Anfang der Oper währte. Er gewann es sogar über sich, seinem Freunde Joseph von Jacquin, dem er nur ungern eine Bitte versagte, den Wunsch abzuschlagen, einer Dame, die bereits trefflich Klavier spielte, Unterricht zu geben.

Es war ja das »Requiem«, woran er arbeitete. Wenigstens möge man ihm, so bat er, noch einige Zeit Frist lassen, er habe eine Arbeit unter den Händen, welche dringend sei und[517] ihm sehr am Herzen liege: bis er diese vollendet, könne er an nichts anderes denken. Ebenso erinnerten sich seine Freunde später gar wohl, wie sie den Meister während dieser Zeit stets am Schreibpult angetroffen hätten, und stets vertieft in diese Arbeit, die ihn bis zu seinem Tode unausgesetzt beschäftigte. Ja, so voll war seine Seele von diesem Werke, daß er des Unwohlseins, welches ihn seit der Rückkehr von Prag nicht mehr verlassen hatte, gar nicht achtete, vielmehr dasselbe durch die rastlose Anstrengung, die er oft genug auch jetzt noch die Nächte hindurch fortsetzte, nur immer höher steigerte. Schon während er die letzten Stücke der »Zauberflöte« ausarbeitete, war er zuweilen ganz erschöpft in den Sessel zurückgesunken und sogar von kurzen Ohnmachten befallen worden. Dies hielt ihn nicht ab, weiter zu arbeiten. So sehr es ihm eine Warnung sein konnte, er wußte, daß nichts mehr den Lauf des Rades zu hemmen vermochte, das mit beschleunigter Gewalt dem Tale des Todes zurollte. Auch bemerkte man bisher an ihm keine besondere Mißstimmung. Doch sind die Briefe, die wir oben mitteilten, trotz einzelner Scherze, die niemals fehlen, im ganzen ernster als gewöhnlich. Als aber die Erschöpfung des Körpers mehr und mehr zunahm, trat allgemach auch eine trübe Stimmung ein, die sein Gemüt bald völlig beherrschte. Constanze sah diesen Zuständen mit wachsender Sorge zu. Sie suchte ihn mit allen Mitteln der Ueberredung von der Arbeit zu entfernen und gedachte ihn durch Gesellschaft zu erheitern. Allein er blieb, auch wenn er unter Menschen war, in sich gekehrt und schwermütig und gab nur zerstreute Antworten. Seine Seele war von anderen Dingen umfangen, und nur wenn er an seinem Schreibtische saß, verklärte sich diese Traurigkeit des Herzens zu jenem heiligen Ernste, in dem der Mensch sich gerade dann, wenn er seine Hinfälligkeit am tiefsten fühlt, am reinsten dem Ewigen nähert. Nur in der Verherrlichung dieses höheren Besitzes, dessen er sich schon fast teilhaftig fühlte, fand er Freude und Ruhe des Herzens.[518]

Constanze versuchte, was ihn sonst so sehr erquickt hatte, die schöne Natur auf ihn wirken zu lassen. Sie fuhr häufig mit ihm ins Freie. So waren sie auch an einem freundlicheren Novembertage mit einander in den Prater gefahren, und als sie nun in traulicher Einsamkeit unter den hohen Bäumen saßen, deren spärliches Laub bereits das Ersterben der Natur verkündete, fing Mozart an vom Tode zu sprechen. Es beschäftigte ja kaum noch eine andere Vorstellung seine hinschwindende Seele. Er sagte mit Tränen in den Augen: »Ich weiß wohl, das Requiem schreibe ich für mich. Ich fühle mich zu sehr, mit mir dauert es nicht mehr lange. Gewiß hat man mir Gift gegeben, – ich kann mich von diesem Gedanken nicht los machen.« So brachte ihn seine kranke Einbildung auf Vermutungen, die von unbesonnenen Nachsprechern zu den schrecklichsten Anklagen umgestaltet wurden. Die Hinfälligkeit des Körpers, die Erschlaffung aller Organe, welche er fühlte, und die in ruhigen Stunden ihm selbst wohl nicht anders erscheinen konnte als eine Folge der übermäßigen Anspannung, die er sein Leben lang sich zugemutet hatte, sollte in solch trüben Augenblicken Wirkung eines tätlichen Mittels sein, mit dem Feinde oder Neider ihn für sich unschädlich zu machen suchten. Ein schrecklicher Verdacht fiel auf Salieri, – nicht durch Mozart, der ihn ja noch vor wenig Wochen in freundschaftlicher Weise in seine Oper geführt hatte, – und sollte diesem Manne seine späteren Lebensjahre auf das bitterste verkümmern. Denn obwohl kein Vernünftiger einem solchen Gerüchte Glauben schenken konnte und die Ursache von Mozarts Tode als eine ganz andere sicher festgestellt wurde, so blieb doch der Volksmund bei seiner Behauptung und bestrafte in erschreckender Gerechtigkeit den Mann, der allerdings zeitlebens kein Freund unseres Meisters war und noch nach dessen Tode, wenn er sich unter Vertrauten wähnte, über Mozarts Leistungen in der leidenschaftlichsten und ungerechtesten Weise zu eisern vermochte. In den allerletzten Jahren, wo Altersschwäche seinen[519] Geist umnachtete, soll er sogar sich selbst jenes schrecklichen Verbrechens angeklagt haben, und brachte sich in einem unbewachten Moment einen lebensgefährlichen Schnitt am Halse bei.

Constanze war aufs äußerste erschreckt über diese Worte ihres Mannes und gab sich alle erdenkliche Mühe, ihm solchen Wahn auszureden und ihn wieder aufzurichten. Sie bat ihn um die Partitur des »Requiems«, weil sie wohl wußte, daß diese Arbeit seinen krankhaften Zustand erhöhte, und zog den Dr. Closset als Arzt zu Rate. Infolge der Muße, die auch dieser anriet, erholte sich Mozart denn auch bald soweit, daß es ihm möglich war, für ein Fest seiner Loge eine von Schikaneder gedichtete Kantate, »Das Lob der Freundschaft«, zu schreiben und sie am 15. November bei der Aufführung selbst zu dirigieren. Die gute Ausführung dieses Werkes, das ebenfalls den hocherhabenen Zustand von Mozarts Seele in jener Zeit auf das herrlichste widerspiegelt, erheiterte ihn etwas, und der Beifall seiner Freunde gemahnte ihn aufs neue an sein göttliches Vermögen. Er fand wieder Mut und Lust zur Arbeit und erklärte die Gedanken an eine Vergiftung selbst für eine Folge seines Unwohlseins, das aber jetzt gehoben sei. Er verlangte von seiner Frau das »Requiem« zurück, sie gab es ihm ohne Bedenken, und er setzte seine Arbeit mit Eifer fort.

Diese Besserung war nur von kurzer Dauer. Nach wenig Tagen befiel ihn die trübe Stimmung aufs neue, er begann wieder von Vergiftung zu reden, und seine Kräfte nahmen mehr und mehr ab. Es war noch im November, als er, wie manchmal gegen Abend, in die Silberne Schlange kam und sich zu dem Hausmeister, dem treuen Deiner, setzte und mit ihm plauderte. Er sah sehr elend aus, erzählt Deiner, und klagte über sein Befinden. »Ich fühle, daß es bald ausmusicirt sein wird«, sagte er, »mich befällt eine Kälte, die ich nicht erklären kann. Deiner, trinken Sie meinen Wein aus und kommen Sie morgen zu mir, es wird Winter, wir brauchen Holz.« Deiner fand sich denn[520] auch am andern Morgen ein. Allein die Magd empfing ihn schon an der Türe mit der Nachricht, in der Nacht sei der Herr so krank geworden, daß sie den Doktor habe holen müssen. Constanze aber rief ihn ins Zimmer, und da fand er Mozart im Bette liegend, der, als er Deiner reden hörte, die Augen aufschlug, ihn starr ansah und kaum hörbar sagte: »Joseph, heute ists nichts, wir haben heute zu thun mit Doctors und Apothekers.«

Von da an verließ er das Bette nicht mehr. Es trat bald Geschwulst an Händen und Füßen ein, dann folgte eine fast völlige Unbeweglichkeit und später plötzliches Erbrechen. Die Besinnung schwand ihm nicht einen Augenblick, ebensowenig verließ ihn seine Milde und Güte. Er wußte, daß er sterben werde, er war längst darauf vorbereitet. Er war gefaßt, aber nicht ganz ohne Schmerz. Denn so oft ihn seine Hoffnung betrogen hatte, – von dem außerordentlichen Erfolge der neuen Oper erwartete er auch bedeutende Vorteile für sein Leben. Zudem war gerade in diesen Tagen von dem ungarischen Adel eine Aufforderung an ihn ergangen, für die Summe von tausend Gulden alljährlich einige Stücke zu schreiben, und um ein noch höheres jährliches Gehalt verlangten reiche Amsterdamer Musikfreunde alljährlich einige Kompositionen für sich. Und jetzt, wo er frei von dem Zwang der Mode und der Kunsthändler ganz und gar seinen höchsten Ideen, einzig seiner ihm heiligen Kunst hätte leben dürfen, gerade jetzt sollte er fort und obendrein Frau und Kinder in der kargen Bedrängnis zurücklassen? – Das war ein unsäglich bitteres Gefühl.

»Als Mozart erkrankte«, erzählt Sophie Haibl, »machten wir beide ihm für die Nacht Leibl, welche er vorwärts anziehen konnte, weil er sich wegen der Geschwulst nicht drehen konnte. Und weil wir nicht wußten, wie schwer krank er sei, so machten wir ihm einen wattirten Schlafrock, daß wenn er aufstände, er gut versorgt sein möchte. Und so besuchten wir ihn fleißig. Er zeigte auch eine herzliche Freude an dem Schlafrock.« So ließ der schwer Erkrankte auch jetzt in Freundlichkeit nicht nach und[521] zeigte sich die vierzehn traurigen Tage, die er im Bette zubringen mußte, stets geduldig. Die Schwägerin besuchte ihn alle Tage, und als sie einmal an einem Sonnabend von der Wieden in die Stadt kam, – Mozart wohnte damals in der Rauhensteingasse Nr. 934 (jetzt Nr. 8), – sagte er: »Nun, liebe Sophie, sagen Sie der Mama, daß es mir recht gut geht und daß ich noch in der Oktave zu ihrem Namenstage kommen werde, ihr zu gratulieren.« Das war gegen Ende November. Es war das letzte Aufflackern der Hoffnung.

Die Vorstellungen der »Zauberflöte« gingen indessen ununterbrochen und mit dem gleichen Erfolge fort. Wie hätten die Wiener, die sich hier so ganz nach ihrem Tun und Treiben abgespiegelt fanden, nicht ein außerordentliches Interesse an dieser Oper nehmen sollen! Und welchen Anteil nahm Mozart an dem Erfolg seines Werkes, in dem er sozusagen mit dem Leben abgeschlossen und sein Band an den Himmel angeknüpft hatte! Abends, wenn die Zeit der Aufführung war, legte er wohl seine Uhr neben sich hin und verfolgte im Geiste die einzelnen Szenen: »Jetzt ist der erste Act aus! – Jetzt ist die Stelle: ›Dir, große Königin der Nacht!‹ – Und am Tage vor seinem Tode sagte er zu seiner Frau: ›Constanze, könnte ich doch noch einmal meine Zauberflöte hören!‹ – und summte mit kaum vernehmbarer Stimme den ›Vogelfänger‹. Kapellmeister Roser, der an seinem Bette saß, ging zum Klaviere und sang das Lied. Dies erheiterte Mozart sehr. Mehr aber noch beschäftigte seinen Geist das ›Requiem‹, dieses Testament seines Lebens, in welchem er gleichsam seine Rechnung mit dem Himmel abzuschließen gedachte. Es lag ihm alles daran, dieses Werk zu vollenden, und in der Hauptsache vollendete er es in der Tat. Er sprach das Bewußtsein seiner menschlichen Schuld wie seine Wiedervereinigung mit dem Himmlischen in großen tiefen Worten aus. Und mögen es zum Teil Skizzen sein, die ein anderer ausgeführt hat, – ihr Sinn ist unumstößlich sicher und von Mozart. Er fühlte, daß er[522] mit ruhigem Herzen vor den Richterstuhl des Ewigen treten könne. Er war sich im tiefsten Grunde des Herzens seiner menschlichen Hinfälligkeit bewußt und hat die Zerknirschung seiner Seele in Akkorden ausgesprochen, wie sie kein Ohr bisher vernommen. Auch war es ihm ein großer Trost, – das sagte er ausdrücklich zu seiner Frau, – daß er dem Herrn des Lebens in kindlich demütiger Bitte genaht war, daran zu gedenken, daß er auch für ihn gelitten und gestorben, und sich seiner in Gnade und Liebe zu erbarmen. Und diese Töne hatten einen so innig wahren Klang gewonnen, daß man fühlt, er hatte auch hier mit dem vollen Ernste des Herzens gebetet. Hatte doch er selbst zeitlebens nicht gezaudert noch Bedenken getragen, sein irdisches Teil zu opfern, um ein himmlisches zu gewinnen, warum sollte er sich vor dem Sterben, vor dem ewigen Gerichte fürchten? – So herrscht in dem ganzen Werke durchaus mehr die ruhig milde Stimmung der Versöhnung als der Schrecken des Gerichts. Er, der mit dem Leben, mit den Menschen so stets sich versöhnt fühlte, warum sollte er es dem Ewigen nicht sein, dem er solch schönen Sinn verdankte?«

Während er an dem »Requiem« arbeitete, – denn das geschah noch auf dem Krankenbette, – pflegte er jede Nummer, sobald sie fertig war, singen zu lassen und übernahm dabei selbst mit seinem feinen Falsett die Altpartie. Noch am Tage vor seinem Tode ließ er sich die Partitur ans Bette bringen, es war nachmittags um zwei Uhr, und sang seine Partie. Benedict Schack, für den der Tamino geschrieben war, hatte den Sopran, der Schwager Hofer den Tenor und Gerl, der Sänger des Sarastro, den Baß. So waren sie durch die Reihe der Sätze hindurch bei den ersten Takten des Lacrimosa angelangt, als Mozart plötzlich heftig zu weinen anfing und die Partitur beiseite legte. Er war bereits im höchsten Grade in den feineren Organen von der Auflösung ergriffen, auch den geliebten Kanarienvogel hatte man bereits aus dem Zimmer entfernen müssen, weil der[523] Kranke sein Schlagen nicht mehr ertragen vermochte. Allein mehr wohl als diese körperliche Angegriffenheit wirkte hier die Vorstellung von der ewigen Güte des Himmels, dessen Versöhnung in den Tönen dieses Satzes so unnennbar sanft und mild ausgesprochen ist. Wie er denn durch Musik gar oft und leicht bis zu Tränen gerührt wurde: auch das Quartett aus Idomeneo hatte ihn einst, als er mitsang, so sehr ergriffen, daß er aufhören mußte und längere Zeit die Komposition nicht wieder ansah.

Am Abend dieses Tages kam nun Sophie Haibl wieder ins Haus. »Ach Gott wie erschrak ich nicht«, erzählt sie, »als mir meine halb verzweifelnde und doch sich moderiren wollende Schwester entgegen kam und sagte: ›Gottlob, liebe Sophie, daß Du da bist. Heute Nacht ist er so schlecht gewesen, daß ich schon dachte, er erlebt diesen Tag nicht mehr. Bleibe doch nur heute bei mir, denn wenn er heute wieder so wird, so stirbt er noch diese Nacht. Gehe doch ein wenig zu ihm, was er macht.‹ Ich suchte mich zu fassen und ging an sein Bett, wo er mir gleich zurief: ›Ach gut, liebe Sophie, daß Sie da sind. Sie müssen heute Nacht da bleiben, Sie müssen mich sterben sehen.‹ Ich suchte mich stark zu machen und es ihm auszureden. Allein er erwiderte mir immer auf alles: ›Ich habe ja schon den Todesgeschmack auf der Zunge. Ich rieche den Tod, und wer wird dann meiner liebsten Constanze beistehen, wenn Sie nicht hier bleiben!‹ – ›Ja, lieber Mozart, ich muß nur noch zu unserer lieben Mutter gehen und ihr sagen, daß Sie mich heute gerne bei sich hätten, sonst denkt sie, es sei ein Unglück geschehen.‹ – ›Ja, thun Sie das, aber kommen Sie ja bald wieder.‹ – Gott wie war mir da zu Mute! Die arme Schwester ging mir nach und bat mich um Gotteswillen zu den Geistlichen bei St.-Peter zu gehen und einen Geistlichen zu bitten, er möge kommen so von ungefähr. Dieß that ich auch. Allein dieselben weigerten sich lange, und ich hatte viel Mühe, einen solchen geistlichen Unmenschen dazu zu bewegen.«[524]

Als sie nun zurückkam, war Süßmayr bei Mozart am Bette, dann lag bei ihm auf der Decke das »Requiem«, und Mozart explizierte ihm, wie er es nach seinem Tode vollenden solle. Ferner trug er seiner Frau auf, seinen Tod geheim zu halten, bis sie nicht vor Tag Albrechtsberger davon benachrichtigt hätte, denn diesem gehöre sein Dienst an der Stephanskirche vor Gott und vor der Welt.

So gewiß war er, daß er jetzt sterben werde. Während er das »Requiem« mit nassen Augen noch einmal durchsah, sprach er: »Habe ich es nicht gesagt, daß ich es für mich schreibe?« Spät am Abend kam der Arzt und erklärte dem Süßmayr im Vertrauen, daß keine Hilfe mehr möglich sei. Er verordnete noch Umschläge auf seinen glühenden Kopf, welche ihn aber so erschütterten, daß er nicht mehr zu sich kam, bis er verschieden war. Sein Letztes war noch, wie er mit dem Munde die Pauken in seinem »Requiem« ausdrücken wollte: »Das höre ich noch jetzt«, sagt Süßmayr. Gegen Mitternacht richtete er sich auf, seine Augen waren starr. Dann neigte er sein Haupt gegen die Wand und schien einzuschlummern. Fünf Minuten vor ein Uhr morgens war er verschieden.

Jetzt dürfen wir uns kurz fassen. Wir haben mitgeteilt, was über dieses Mannes Leben mitzuteilen war. Sein Tod ergreift wohl, erschüttert wohl für einen Augenblick, allein er war so längst vorbereitet und so sehr nur der Schlußstein dieses herrlichen Lebens, daß er nichts Unversöhntes in sich birgt. Mozart hatte sein Leben ausgelebt. Mag es nun der eine Arzt als Gehirnentzündung, der andere als hitziges Frieselfieber, der dritte als Brustwassersucht bezeichnet haben, was den Meister dahinraffte, die Krankheit war nur der leichte Anstoß, der einen Stein vom Turme wirft: er fällt durch eigene Schwere. Mozarts Lebenskraft war aufgezehrt, und hätte ihn nicht dieser Anlaß hingenommen, ein nächster anderer tat es gewiß und bald.

Ueber die ferneren Ergebnisse sind nur wenig Nachrichten[525] vorhanden. Am 5. Dezember 1791 war er gestorben. »Nun kam gleich«, erzählt Sophie Haibl, »Müller aus dem Kunstcabinett und drückte sein bleiches erstorbenes Gesicht in Gyps ab.1 Wie grenzenlos elend seine treue Gattin sich auf ihre Kniee warf und den Allmächtigen um seinen Beistand anrief, ist unmöglich zu beschreiben. Sie konnte sich nicht von ihm trennen, so sehr ich sie auch bat. Wenn ihr Schmerz noch zu vermehren gewesen wäre, so müßte er dadurch vermehrt worden sein, daß den Tag auf die schauervolle Nacht die Menschen scharenweise vorbeigingen und laut um ihn weinten und schrieen.«

Frühmorgens wurde der treue Deiner herbeigerufen, um »den Herrn anzuziehen«. Die Leiche ward mit einem Totenbruderschaftsgewande von schwarzem Tuch bekleidet und auf eine Bahre gelegt, welche man im Arbeitszimmer in der Nähe des Klaviers aufstellte. Nun war er ein stiller Mann geworden, der so oft diesem unscheinbaren Instrumente lebensvolle Klänge entlockt hatte. Constanze, die schon tags zuvor unwohl gewesen und Arznei genommen hatte, war ganz gebrochen vor Schmerz. Sie legte sich in das Bett ihres Mannes, um von derselben Krankheit ergriffen zu werden und mit ihm zu sterben. Die Arme, sie ahnte nicht die Ursache seines Todes, wie sie den Quell, an dem sein Leben sich nährte, nicht gekannt hatte. Van Swieten suchte sie zu trösten und ließ sie aus der traurigen Umgebung fort in das Haus einer befreundeten Familie führen. Dann übernahm er die Sorge für das Begräbnis. Und weil die Verhältnisse der Witwe so gar dürftig waren, – denn es fanden sich im Nachlasse nur 60 fl. bares Geld vor, und die Sammlung von Büchern und Musikalien wurde auf 23 fl. 41 kr. geschätzt, – so suchte er das Begräbnis so einfach und billig wie möglich einzurichten. Er erreichte es[526] auch, denn samt dem Leichenwagen kostete die ärmliche Beerdigung nur 11 fl. 36 kr.! Der reiche Mann, dem Mozart so oft mit seinem künstlerischen Vermögen dienlich gewesen, der vornehme Gönner, der soviel Freude von des Verstorbenen liebenswürdiger Gefälligkeit genossen hatte, ihm fiel es nicht ein, daß es ihm jetzt wohl geziemt hätte, außer der Sorge auch die Kosten für eine anständige Bestattung des großen Künstlers zu übernehmen!

Am Nachmittag des folgenden Tages wurde die Leiche in der Stephanskirche eingesegnet. Das geschah in der Kreuzkapelle, da wo die Kapistranskanzel sich befindet. Es war rauhes, stürmisches Dezemberwetter, Schnee und Regen wechselten miteinander, als die Leiche zum Dome hinausgeführt wurde. Die wenigen Freunde, die eine warme Begeisterung für den Meister solche Unbill des Wetters überwinden ließ, standen mit Regenschirmen um die Bahre und folgten ihr dann durch die große Schulerstraße. Allein schon am Stubentore verließen auch sie den Zug, der dem Friedhofe von St.-Marx zuging. So geschah es, daß kein Freund an der Gruft dessen stand, der im Leben so Viele beglückt hatte. Sein Stand war kein hoher, kein glänzender gewesen. Nicht einmal ein eigenes Grab sollte er besitzen, der zu so Vieler Freude gelebt hatte. Aus Sparsamkeit hatte man einen Platz in einer allgemeinen Grube angekauft, in der gewöhnlich 15–20 Särge beigesetzt und nach zehn Jahren wieder ausgegraben wurden, um anderen Leichen Platz zu machen. Mit Mozart zusammen begrub man einen Greißler Michael Knoll aus der Weihburggasse und eine Hebamme aus der Wollzeile.

Der treue Deiner, der wiederum die besten Dienste tat, hatte auch bei der Einsegnung nicht gefehlt. Van Swieten und Salieri waren ebenfalls zugegen gewesen, und Süßmayr, der getreue Abt Stadler, Kapellmeister Roser und der Violoncellist Orsler waren sogar der Bahre gefolgt; – Schikaneder, der Klarinettist Stadler und so mancher derer, die sich unserm Meister im Leben stets so nahe zu halten wußten, jetzt hielten sie sich fern. Und[527] nur jenem treuen Hausmeister fiel es ein, bei seiner Gattin anzufragen, ob nicht dem Verstorbenen ein Kreuz gesetzt werden solle. Sie erwiderte, er bekomme ohnehin eins: sie war der Meinung, daß die Pfarre, wo die Einsegnung stattfinde, auch für das Kreuz zu sorgen pflege. Als sie aber später, nachdem ihr Unwohlsein gehoben und der erste Schmerz gebrochen war, mit ihren Freunden den Kirchhof besuchte, war ein neuer Totengräber da, der Mozarts Grab nicht aufzuzeigen vermochte. Erst bei der nach zehn Jahren erfolgten Wiedereröffnung des Grabes fand man Mozarts Schädel, denn man wußte, daß dieser der oberste in dem Schachte war. Von einem späteren Totengräber hat dann der Kupferstecher Hyrtl die Reliquie erhalten, der sie seinem Bruder, dem berühmten Anatomen, vermachte.2

Doch wenden wir den Blick von diesem Bilde ab, das nicht Mozarts Bild ist. Mozarts Bild ist Licht und Leben, nicht dunkle Trauer. Mit dem geringsten Sterblichen zwar teilt er das Sterben, ja er hat weniger als er: bei seiner Beerdigung fehlen alle weltlichen Ehren, nicht einmal ein Teilnehmender ist da! Allein nur mit wenigen teilt er die Gunst, daß sein Andenken nicht an solchen Dingen klebt, daß es über der Erde verbreitet ist wie der Schein der lieben Sonne. Nicht ohne Grund kommen wir stets wieder auf diese eine Vorstellung zurück, auf die des Lichtes, das sich in seinen Werken wie in seinem Leben in seltener Helle wiederspiegelt. Weniger Menschen Dasein war ein so lichtvolles wie das dieses Mannes. So konnte ihn auch Richard Wagner mit Recht »den Licht- und Liebesgenius«, so Anton Rubinstein den »Helios der Musik« nennen. Wie ein Genius des Lichtes, von dessen Haupte sonnige Strahlen ausgehen, wandelte er durch die Reihe der Erdgeborenen, überallhin Wonne, Helle, Wärme verbreitend. Mögen andere des irdischen Glücks ein reicheres Maß genossen haben, – auch auf seinem Lebenspfade fehlte ja[528] die Freude nicht, allein er kannte ein reineres Genießen. Ueber alle Tageslust und Alltagsnot hinaus näherte er sich schon früh, in der Blüte der Jahre, dem höheren Lichte. Und mochte die Sonne des Ewigen mit heißem Brande sein vergängliches irdisches Teil vor der Zeit aufzehren, seine Seele läuterte sich zu höherem Leben. Keiner je hat mehr vermocht des Lebens Lust, den ganzen Reihentanz der Freuden in zaubervollen Bildern vorzuführen, keiner mehr gezeigt, wie schön, wie einzig schön das Leben ist. Aber er tauchte seine Seele ebenso in die Tiefen des Schmerzes und schöpfte volle Becher des menschlichen Leides. Und indem er mit tiefinnerer Bescheidung die Grenzen, die Endlichkeit der menschlichen Natur erkannte, bewahrte er sich seinen Anteil an dem Unvergänglichen, ja, er bewies durch den Gang seines Lebens, daß trotz allen Jammers und Elends, trotz aller zeitlichen Beschränkung, des Menschen Wesen Licht und Wonne, daß es ewig und schön ist.

Auch Constanze hatte nicht gar zu lange von Kummer und Not zu leiden. Denn obgleich auch jetzt noch Verleumdung genug bereit war, vor allem die Schulden des dahingeschiedenen Meisters ins Ungemessene zu steigern, – der Kaiser wurde von der Witwe selbst eines Besseren belehrt. Er beteiligte sich an einem Konzerte, welches Constanze auf seinen Rat gab, in so großmütiger Weise, daß sie die Schulden ihres Mannes – ganze 3000 Gulden! – sogleich zu bezahlen vermochte. Bald darauf veranstaltete man auch an an deren Orten Akademien, um an der Witwe wieder gut zu machen, was an dem hingeschiedenen Meister versäumt zu sein schien. Allein völlig ward sie der Sorgen erst enthoben als der dänische Etatsrat Nissen im Jahre 1809 mit ihr in die Ehe trat und sich der Fortbildung ihrer beiden Söhne annahm. Von da an lebte auch das Andenken an den verstorbenen Gatten, den inzwischen alle Welt als den größten Tonkünstler verehren gelernt hatte, wieder reiner in ihr auf und erfüllte sie mit einem gewissen Stolze, den bisher ihre Meinung von der Unfähigkeit des[529] großen Mannes, seiner Familie ein sorgenloses Dasein zu verschaffen, niedergehalten hatte. Sie begann sogar daran zu denken, daß es wohl der Mühe wert sei, die besonderen Umstände seines Lebens für die Nachwelt aufzubewahren. Nissen sammelte nun mit größtem Fleiße alle die Nachrichten, aus denen sich das Bild auch des Menschen in sicheren Umrissen aufbauen ließ. Und es war ein herrliches Menschenbild, welches sich allgemach aus dem Wust falscher oder entstellender Traditionen hervorarbeitete, ein Bild, wert der Nachwelt hingestellt zu werden, ein Bild, dessen Anblick, wenn wir es nun zum Abschied noch einmal in seinen Grundzügen überschauen, leicht die trüben Eindrücke verscheucht, die Leid und Sterben auch hier hinterlassen haben mögen.

Ganz, mit all seinem Sinnen, mit all seinen Wünschen nur auf das eine Ziel gerichtet, das die Natur ihm angewiesen, ist Mozart ein Bild des menschlichen Strebens zum Höchsten und zugleich ein Bild des Glückes, das dem Guten nicht versagt ist. Weil er nichts begehrte als das Eine, das ihm erreichbar war, so war er groß, gut und glücklich. Und mag der Psalmist sagen: »Unser Leben währet siebzig Jahre, und wenn es hoch kommt, so sind es achtzig Jahre, und wenn es köstlich gewesen ist, so ist es Mühe und Arbeit gewesen«, – Mozarts Leben beweist den höheren Satz: und mag es Mühe und Arbeit gewesen sein, und mag es früh sein Ende erreicht haben, des Menschen Leben ist Freude, ist ein hohes Glück! – Mozart glaubte an das Leben. In jedem Augenblick sehn wir ihn des Daseins froh, des wahren Daseins, das in der freien, frohen Regung aller Kräfte besteht. Niemals, trotz aller Not, wünscht er zu sterben, er fühlt sich immer jung, immer voll unendlicher Pläne und Arbeiten. Unwiderstehlich war sein Schaffensdrang. Mit siegender Gewalt drängte seine Lust am Wirken jedes Hindernis des gemeinen Lebens zurück. Sein Letztes war Schaffen, wie es sein Erstes gewesen war. Selbst dem Tode, der bereits in seinen Adern kreiste und dem raschen[530] Lauf des Blutes das Leben abzuringen strebte, gewann es seine unhemmbare Wirkenslust ab, daß er erst noch die Dinge auszusprechen vermochte, die ihm als des Daseins Endzweck, als der Gehalt alles Lebens aufgegangen waren. Nichts beweist so sehr, daß er, der Meister, der so mitten in des Lebens vollem Fluten stand, sich auch über das Leben wahrhaft erhoben hat, wie die Werke, mit denen er sein Dasein beschloß, die »Zauberflöte« und das »Requiem«. Ein glücklicher Zufall aber hat uns auch außerhalb dieser Töne, die allerdings erst eigentlich und fast allein Mozarts ganze Seele zu enthüllen vermögen, ein beredtes Zeugnis dieses letzten und höchsten Bestandes seiner Existenz aufbewahrt, einen Brief aus diesen letzten Lebenswochen, aus unbekanntem Anlaß und an einen unbekannten Adressaten geschrieben und seltsamerweise italienisch abgefaßt. Mit ihm, wie mit einem Abendsonnenstrahl, der die ganze schöne Landschaft dieses Lebensganges noch einmal aufs hellste verklärt, wollen wir das Ende desselben begleiten. Er lautet:

»Werthester Herr! Ich würde Ihrem Rathe gern folgen, aber wie es machen? Mein Kopf ist verwirrt, ich sammle mich mit Mühe und kann von meinem Blick das Bild dieses Unbekannten nicht wegbringen. Ich sehe ihn fortwährend, er bittet, er drängt mich und verlangt mit Ungeduld das Werk. Ich fahre fort zu arbeiten, weil das Componiren mich weniger erschöpft als die Muße. Sonst habe ich nichts mehr zu fürchten. Ich merke an dem wie ich mich fühle, daß die Stunde schlägt. Ich bin im Bereich des Todes. Ich bin zu Ende gekommen, ehe ich mich meines Talents gefreut habe. Das Leben war dennoch so schön! Die Bahn öffnete sich unter so glücklichen Auspizien. Aber man kann sein Geschick nicht ändern. Keiner bestimmt seine Tage. Man muß sich ergeben, es geschieht wie die Vorsehung will. Ich beende jetzt meinen Grabgesang, ihn darf ich nicht unvollendet lassen.« –

Das war Mozart! – Ein Bild des menschlichen Glückes,[531] das über alle Erdennot Herr wird! Ein echtes Bild des Menschen! Voll Hoheit und voll Schwäche! Voll drängenden Strebens zu einem Dauernden hin und wieder versunken in der nächsten Leidenschaft! Voll Hingabe an die Herrlichkeiten der Welt und wieder voll des tiefsten Besinnens der Seele auf etwas Höheres! Im Uebermut der gottentstammten Kraft alle Schranken des Lebens durchbrechend und wieder dahingesunken in den ganzen Jammer menschlicher Beschränkung! Stolz und demütig, ein Geist voll Feuer und ein Herz voll Milde! Kecken Sinnes die Menschen zurückweisend und wieder jeden, und sei es der geringste, an das liebebedürftige Gemüt nahe heranziehend! Gedrängt von Freude wie von Leid, aber tief im Herzen den Born eines Höheren tragend, aus dem ihm Friede floß, weil er jede Reizung des Lebens, jede Regung der Kraft zur Erschaffung von Werken verwendet, die den reinen Geist verherrlichend preisen! Bereit, alles was die Welt bietet, selbst das Leben dem Einen zu opfern, das den Menschen über alle Schranken und Nöte erhebt! Fehler wie Tugenden abstreifend wie eine Haut, damit die Reinheit der Seele leuchtend erscheine! Dann endlich ein Sterben – und doch kein Tod, sondern ewiges Leben!

Das ist Mozart! Gewiß ein hohes Abbild des Wesens unseres Geschlechts und vor allem ein Bild der ewig quellenden Jugend, ein jugendlich siegender Held! Ein Künstler, dessen Spur die Stürme aller Zeiten nicht verwehen werden, weil es ihm gelang, der Ziele höchstes zu erreichen: unserm Geschlechts edelste Bilder seiner selbst aufzustellen, an denen es stets sich erlaben und erheben kann! Denn dies tat Mozart, und sein eigenes Leben war nicht das geringste dieser edlen Bilder. Die Zeit und Nation, der er angehört, darf stolz sein, ihn zu besitzen: er zählt zu denjenigen, die ihr Andenken in allen Epochen und bei allen Völkern wach und wirkend erhalten werden!

Fußnoten

1 Wo mag diese Maske, die Deym-Müller jedenfalls für sein Wachsfigurenkabinet gebraucht hat, wohl geblieben sein? – Der Abguß, den er der Wittwe geschenkt, ist ihr nach vielen Jahren in Salzburg beim Reinigen zerbrochen und sie hat die Stücke – nicht aufgehoben.


2 Vgl. Richard Heuberger, Musikalische Skizzen, S. 49. (Leipzig, Hermann Seemann Nachfolger).


Quelle:
Ludwig Nohl: Mozarts Leben. Berlin 4[um 1910], S. 532.
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