Fünfter Abschnitt.

Wiener Kunsttreiben.

1785.

»Der Schwimmer will volles Wasser.«


Im Anfange des Jahres 1785 ward Mozart die große Freude, daß sein Vater auf einige Monate nach Wien kam. Er hatte den dringenden Einladungen seiner Kinder endlich nicht mehr widerstehen können und wohl ebensowenig seinem eigenen Wunsche, das Tun des Sohnes einmal wieder mit eigenen Augen anzuschauen. Es war dies die letzte Freude, die der würdige Mann, der nun alt geworden war, erlebte, allein es war auch wohl die höchste, denn er sah trotz allem das Ziel seines Lebens erreicht. Er fand in seinem Sohne den größten Künstler seiner Zeit, er konnte sich davon mit eigenen Sinnen überzeugen und erfuhr auch, daß die Mitwelt es anerkannte. Dies mußte seinem Herzen Trost sein: es ward ihm der volle Gewinn seines Bemühens zuteil.

Freilich waren es nur die künstlerischen Dinge, die ihm diese Freude verschafften. Die häuslichen Verhältnisse seines Sohnes sagten ihm nicht besonders zu. Denn ob er gleich das Einkommen mehr als ausreichend – »ich glaube, daß mein Sohn, wenn er keine Schulden zu bezahlen hat, jetzt 2000 fl. in die Bank legen kann«, schreibt er – und das Hauswesen geordnet, auch den kleinen halbjährigen Karl gesund, freundlich und wohlauf fand, so scheint ihm doch die junge Frau nicht sonderlich behagt zu haben, wenigstens empfand er keine Neigung, auf die herzliche Bitte des Sohnes einzugehen und ganz zu ihm nach Wien überzusiedeln. Es sollte das letzte Mal sein, daß die beiden einander sahen, und in der Vorahnung,[331] daß ihr Beieinandersein nicht mehr von langer Dauer sein möge, sprachen sie sich recht von Herzen über die Dinge des Lebens aus. Der Sohn war unterdessen durch mancherlei Erfahrungen zum vollen Manne gereist, und wir sehen ihn mehr als je damit beschäftigt, über die höchsten Fragen des Lebens nachzusinnen, ja, er beginnt die letzten Dinge häufig zu bedenken.

Damals nun war das Interesse vieler, die mit ernstem Sinn und aus innerem Bedürfen der Erkenntnis einer höheren Wahrheit zustrebten, den Freimaurerlogen zugewendet. Es schien dem erwachteren Geistesleben der Nationen nicht mehr zu genügen, was Schulen und Konfessionen an Aufschluß boten, man sehnte sich nach Aufklärung auch über die höchsten Dinge. Die Gespräche von Gott und Unsterblichkeit waren unter den tiefer Denkenden das Allgewohnte, und das Gemüt dieser erweckteren Menschen suchte seine Erhebung und Läuterung in dem feierlichen Austausch der Herzen innerhalb solcher Ordensgemeinschaft. Fast keiner der ausgezeichneten Männer jener Zeit fehlte in diesem Bunde, dessen Geheimnis sich der Welt als jenes aufrichtige Forschen nach der Wahrheit und als das Bestreben offenbarte, edlere Bildung und hilfreiche Liebe zu verbreiten. Lessing gehörte dazu, Goethe, Herder, Wieland, und wie hätte ein Mozart, dessen Herz für das Höhere so lauter schlug, dessen Bedürfnis zu helfen, Freundschaft und Liebe zu nehmen, wie zu geben so groß war, solchem Bunde fremd bleiben können? Und da derselbe damals obendrein die nationalen Ideen vertrat und die geistreichste und bildendste Unterhaltung gewährte, so war Mozart schon bald nach seiner Ankunft in Wien in die Loge eingetreten. Mit welchem Ernst er derselben zugetan war, und wie gerade er es sein sollte, der die Bestrebungen des Ordens am schönsten verherrlichte, werden wir noch sehen. Jetzt war es ihm darum zu tun, auch seinem Vater, den er so sehr liebte, an diesem »Schlüssel zur wahren Glückseligkeit«, wie er es später einmal nennt, Anteil zu verschaffen.[332] Und dieser, der bei aller strengen Kirchlichkeit durchaus den schärfsten Rationalismus und die strengste Kritik gegen Vorurteile aller Art liebte, war natürlich einem Kreise nicht abgeneigt, in dem er sich Aufklärung über so manche Dinge des praktischen und sittlichen Lebens erwartete. Denn die Mißstände seiner Kirche, besonders des Klosterwesens, gegen das der Orden zugleich hauptsächlich zu Felde zog, sah er mit üblen Augen an. Er trat also ebenfalls ein, und es blieb fortan zwischen ihm und dem Sohne ein besonderer Gegenstand der Korrespondenz, was sie über die Dinge des Ordens dachten. Diese Briefe müßten von mancher Bereicherung für uns hier sein. Leider hat sie der vorsichtige Vater vernichtet, und so wissen wir auch nicht, wie weit er selbst seine Erwartungen erfüllt gefunden hat.

Es war gerade die Konzertzeit, in der Leopold Mozart nach Wien gekommen war. Eine Akademie drängte die andere, und fast in allen hatte der Sohn zu tun; sein Flügel ward nahezu alle Tage in ein anderes Haus getragen. Sein Spiel wie seine Kompositionen entzückten den alten Mann in gleicher Weise, und es ist schön zu lesen, was er an die Tochter schreibt, als er das für Fräulein Paradies komponierte Konzert gehört hatte: »Ich war in einer so guten Loge, daß ich das Vergnügen hatte, alle Abwechslung der Instrumente so vortrefflich zu hören, daß mir die Thränen in die Augen kamen. Als Dein Bruder wegging, machte ihm der Kaiser mit dem Hute in der Hand ein Compliment und rief: Bravo Mozart! Beim Herauskommen zum Spiel war ihm ohnehin zugeklatscht worden.« Den tiefsten Eindruck auf ihn machte aber das herrliche Wort J. Haydns, den Mozart sogleich am zweiten Tage nach des Vaters Ankunft zu sich geladen hatte. Er selbst schreibt: »Es wurden drey der neuen Quartetten gemacht, nämlich aus B-, A- undC-dur. Sie sind zwar ein bischen leichter als die an dern, aber immer vortrefflich componirt. Hr. Haydn sagte mir: Ich sage Ihnen vor Gott und als ein ehrlicher Mann, daß ich Ihren[333] Sohn für den größten Componisten anerkenne, von dem ich nur immer gehört, er hat Geschmack und besitzt die gründlichsten Kenntnisse in der Composition.« Ein solches Urteil wußte dieser Mann auch für sich zu würdigen: er hatte nicht vergebens gelebt, nicht vergebens sich abgemüht. Und doch ist zu sagen, daß er auch jetzt noch das volle Wesen seines Sohnes nicht verstand. Die Interessen beider waren in ihrem tiefsten Grunde verschieden. Der Vater mit allen Sinnen auf das praktische Leben und dessen Bestand gerichtet, kannte nichts Höheres oder doch nichts Näheres als dies. Und der Sohn? – Nun, so sehr er sich um das Leben abmühte – und oft ist es ja rührend, wie er es tut, – er kannte ein höheres Interesse, und man muß nicht wähnen, daß er sich nicht dieser höchsten Dinge klar bewußt gewesen sei. Zwar redete er die Sprache von jedermann, und so weit verstand ihn auch der Vater; allein er redete auch oft eine andere, höhere Sprache, sie war ihm geläufig, die gewöhnliche, und sie verstand der Vater nicht. Auch ihn trennte die Sonnenhöhe der Genialität so gut von dem eigentlichen Wesen seines Sohnes, wie sie Constanze davon trennte. Gleichwohl fand er wie sie in der zärtlichen Liebe zu dem wunderbaren Menschen eine schöne Befriedigung des Herzens und nahm mit Freuden die kindliche Verehrung hin, die der Künstler, der so viel Tausende zur Begeisterung hinriß, ihm, dem einfachen Manne, aus wahrer Dankbarkeit zollte, so daß hier aufs neue sich ein schönes Bild echt menschlichen Seins und Gebarens entrollt.

Auch in die übrigen Verhältnisse Mozarts tat der Vater einen Blick. Er hörte Aloysia Lange in zwei Opern; – »sie spielte beydesmal und sang vortrefflich«, sagt er. Er besuchte auch die Baronin Waldstätten, die damals in Klosterneuburg wohnte. Dann reiste er befriedigt wieder ab. Die persönlichen Verhältnisse seines Sohnes, namentlich dessen Freundeskreis, hatten ihm nicht übel gefallen.[334]

Das Verhältnis zur Schwiegermutter, das dem Vater so viel Sorge gemacht hatte, war allgemach, und gewiß nur durch Mozarts Gutherzigkeit, ein besseres geworden. »Mozart bekam unsere selige Mutter immer lieber und selbe ihn auch«, berichtet die jüngste Schwester Sophie Haibl, »dahero Mozart oft zu uns auf die Wieden in einer Eile gelaufen kam, ein Päckgen unter dem Arme trug, worin Kaffee und Zucker war, überreichte es unserer guten Mutter und sagte: ›Hier, liebe Mama, haben Sie eine kleine Jause‹ (Vesperbrot). Dies freute sie denn wie ein Kind; dies geschah sehr oft. Kurz Mozart kam nie mehr leer zu uns.« Mit den »Langeschen« ist er ebenso in ungezwungenem Verkehr, und es scheint den Mann keine Eifersucht gegen Mozart mehr geplagt zu haben. Wie diesem zumute war, erfahren wir nicht. Er wußte von Schmerzseligkeit und weichlicher Sentimentalität zu wenig, um alten Dingen nachzuhängen. Vielmehr tanzte er, wie wir sahen, lustig den »Harlequin« mit der »Colombine« Aloysia Lange. Er war ja jetzt von Herzen glücklich und hatte Kopf und Sinn von anderen Dingen voll. Auch half er der Lange, die mit ihrem Manne in recht unglücklichen Verhältnissen lebte, jederzeit mit seiner Kunst aus, und sie sang dafür in seinen Konzerten. Zum Umgange Mozarts gehörte ferner jener leichtfertige Klarinettist Anton Stadler, und es läßt sich nur aus dem Umstande, daß auch dieser ein Freimaurer war, begreifen, warum Mozart so unermüdet nachsichtig mit seinem schlechten Handeln und immerfort hilfreich gegen ihn war.

Ueberhaupt stand Mozart mit den Künstlern nicht schlecht. Zwar reizte er ihrer manchen, wie man meinte, »durch sein Wesen sans souci«, und das Aergerlichste war, daß sein Urteil stets den Nagel auf den Kopf traf; denn er hatte eben die Sache im Auge und sprach sich unbefangen darüber aus. »Verstellung und Schmeichelei war seinem arglosen Herzen gleich fremd, jeder Zwang, den er seinem Geiste anthun mußte, unausstehlich«, heißt es dort. »Freimütig und offen in seinen Aeußerungen und Antworten,[335] beleidigte er nicht selten die Empfindlichkeit der Eigenliebe und zog sich damit manchen Feind zu.« Der Kaiser freilich lachte über die Offenherzigkeit, mit der Mozart auf die Frage, wie ihm die Arie, die der Kaiser selbst komponiert hatte, jedoch ohne daß es einer wissen durfte, gefallen habe, geschwind sagte: »Die Arie ist wohl gut, aber der sie gemacht hat, ist noch viel besser.« Allein nicht mit gleicher Liberalität faßten seine Kunstgenossen und Nebenbuhler seine Urteile auf. Denn so neidlos diese Urteile sein mochten, sie schmerzten doch. Von dem Spanier Martin, der damals aller Welt Liebling war, sagte er: »Vieles in seinen Sachen ist wirklich sehr hübsch, aber in zehn Jahren wird kein Mensch mehr Notiz davon nehmen.« Wie bereitwillig er dagegen war, jede Leistung anzuerkennen, »wenn nur etwas drin war«, zeigt der folgende Brief an den Vater, den er kurz nach dessen Abreise schreibt: »Dann sind dermalen Quartetten heraus von einem gewissen Pleyel; dieser ist ein Scolar von Jos. Haydn. Wenn Sie selbige noch nicht kennen, so suchen Sie sie zu bekommen; es ist der Mühe wert. Sie sind sehr gut geschrieben und sehr angenehm; Sie werden auch gleich seinen Meister heraus kennen. Gut – und glücklich für die Musik, wenn Pleyel seiner Zeit im Stande ist, uns Haydn zu remplaciren.« Und welch unbedeutende Komponisten waren dieser Pleyel und Martin! Wer nennt heute ihre Namen?

Andrerseits gab es auch wohl Gelegenheiten, wo Mozart seine Laune so recht ausließ. Wie unwillkürlich ihm die komische Darstellung in der Kritik war, verrät folgende vertraute Aeußerung an den Vater: »Wenn der Oboist Fischer zu der Zeit, als wir ihn in Holland hörten, nicht besser geblasen hat, als er jetzt bläst, so verdient er gewiß das Renommee nicht, welches er hat. – Er spielt mit einem Wort wie ein elender Scolar. – Und dann seine Conzerte! – von seiner eigenen Composition! Jedes Ritornell dauert eine Viertelstunde – dann erscheint der Held – hebt einen bleyernen Fuß nach dem andern auf und plumpt[336] dann wechselsweise damit zur Erde. Sein Ton ist ganz aus der Nase und eine Tenuta ein Tremulant auf der Orgel.« – Auch hatte er einmal in Leipzig unter eine Messe, die ihm der alte Johann Friedrich Doles (1715–1797) trotz aller Proteste – »Ist ja all nichts«, sagte er, – zur nähern Durchsicht mit nach Hause gegeben hatte, einen andern Text gelegt. »Eine possierlichere Aufführung der Messe hat es wohl nie gegeben«, erzählt Rochlitz. »Die Hauptpersonen – Vater Doles mit der Altstimme, die er unter stetem ernsthaftem Kopfschütteln doch so ernsthaft absang; Mozart, immer die zehn Finger voll in den trompeten- und paukenreichen Sätzen, unter ausgelassener Freude ewig wiederholend: Na, gehts nicht so besser zsam? Und nun der arge und doch herrlich passende Text, z.B. das brillante Allegro zum Kyrie Eleison: Hol's der Geier, das geht flink! Und zum Schluß die FugeCum Sancto spiritu in gloria Dei patris. Das ist gestohlen Gut, ihr Herren nehmt's nicht übel!« – Solche Dinge verschafften dem Meister freilich keine Freunde.

Im persönlichen Verkehr mit seinen Fachgenossen war er dagegen stets wohlwollend und liebenswürdig, selbst da, wo er hätte empfindlich sein können. Sein Herz war über jede kleinliche Empfindung erhaben. Als der Komponist Giovanni Paesiello (1741–1816) nach Wien kam, wurde er mit Ehren überhäuft, ja er bekam leicht, was Mozart so sehnlichst wünschte: den Auftrag, eine Oper zu schreiben, und wurde selbst vom Kaiser mit Ehren wie mit Schätzen reichlich bedacht. Auch Mozart kam ihm freundlich entgegen, sie verkehrten in gegenseitiger Achtung miteinander, und Mozart freute sich, dem damals hoch gefeierten Maestro von einer talentvollen Schülerin seine Kompositionen vortragen zu lassen. Paesiello selbst war übrigens ein perfider Intrigant. Ob Mozart das wußte? – Jedenfalls achtete er dessen nicht. Sein Urteil über Paesiello war: »Man kann dem, der in der Musik nur leichtes Vergnügen sucht, nichts Besseres empfehlen als die Compositionen dieses Meisters.« –[337] Ebenso zuvorkommend und zugleich persönlich befriedigt war er von Giuseppe Sarti (1729–1802), dem Lehrer Cherubinis, der ebenfalls damals in Wien auf den Händen getragen wurde. »Wenn Maestro Sarti nicht heute nach Rußland hätte wegreisen müssen«, schreibt er dem Vater, »so wäre er auch mit mir hinaus. Sarti ist ein rechtschaffener, braver Mann. Ich habe ihm sehr viel gespielt, endlich auch Variationen auf eine Arie von ihm gemacht, woran er sehr viele Freude gehabt hat.« Und wie vergalt ihm dieser? – Er schrieb später eine Kritik über Mozarts Quartett in C, in der er empört, daß »Barbaren ohne alles Gehör sich einfallen lassen Musik zu componiren«, ausruft: »Si può far di più per far stonar i professori?« und Fehler über Fehler nachweist, wie sie nur ein Klavierspieler machen könne, der dis und es nicht zu unterscheiden wisse. Und zum Schluß ruft er mit Emphase: »Dirò anch'io come l'immortale Rousseau: De la musique pour faire boucher ses oreilles!« – Wer kennt heute Sarti? Aber wir werden sehen, wie witzig Mozart sich rächte und ihn verewigte.

Erfahrungen dieser Art hielten unsern Meister nicht ab, wohlwollend gegen jeden Künstler, besonders wenn er jung war, zu bleiben. »Wie oft teilte er mit ihnen, wenn sie ohne Geld und Bekanntschaft nach Wien kamen, Wohnung, Tisch u.s.w.«, sagt ein früherer Biograph, und der junge Komponist Adalbert Gyrowetz (1763–1850) erzählt, nachdem er sogleich bei seinem Eintritt in Wien in einer großen Gesellschaft die ausgezeichnetsten Künstler kennen gelernt: »Der gutmütigste unter ihnen schien Mozart zu sein; er betrachtete den noch sehr jungen Gyrowetz mit einer so teilnehmenden Miene, als wollte er sagen: Armer junger Mensch, Du betrittst zum erstenmal den Pfad der großen Welt und erwartest mit Bangigkeit von deinem Schicksale die Ergebnisse der künftigen Zeit.« – Aufgemuntert durch die Leutseligkeit und Gutmütigkeit des Meisters bat Gyrowetz diesen, einen Blick auf seine jugendlichen Arbeiten, welche in sechs[338] Symphonien bestanden, zu werfen und ihm darüber sein Urteil zu sagen. Mozart, als wahrer Menschenfreund, willfahrte seiner Bitte, durchsah die Arbeiten, belobte sie und versprach dem jungen Künstler eine dieser Symphonien in seinem Konzerte aufführen zu lassen; die Symphonie wurde im Konzertsaal auf der Mehlgrube durch das vollständige Theaterorchester aufgeführt und erhielt allgemeinen Beifall. Mozart nahm mit seiner angebornen Herzensgüte den jungen Künstler bei der Hand und stellte ihn als den Autor der Symphonie dem Publikum vor.

Allein trotzdem fand unser Meister in Wien auch unter den deutschen Künstlern Feinde und tadelnde Kritiker genug. »Einwendungen, auch Tadel ließ er sich freilich gern gefallen«, berichtet Rochlitz, »nur gegen eine einzige Art desselben war er sehr empfindlich, und zwar gegen die, welche ihm gerade am öftersten gemacht wurde, – Tadel wegen allzu feurigen Geistes, wegen allzu feuriger Phantasie. Diese Empfindlichkeit war auch sehr natürlich, denn war dieser Tadel gegründet, so taugte gerade das Eigentümlichste und Ausgezeichnetste seiner Werke nichts und diese verloren in seinen Augen allen Wert.«

Ein unermüdlicher Widersacher und Verkleinerer Mozarts war sein Altersgenosse, der Böhme Leopold Kozeluch (1752 bis 1818), damals einer der ersten Klavierlehrer Wiens, ausgezeichnet durch lächerliche Eitelkeit und bornierten Dünkel. Er liebte es, durch kleinliche Mäkelei besonders über Haydn sich selbst groß erscheinen zu machen. Als ein neues Quartett dieses Meisters in einer Gesellschaft aufgeführt wurde, stellte er sich zu Mozart und fand bald dies, bald jenes zu tadeln; endlich rief er bei einem kühnen Uebergange aus: »Das hätte ich nicht so gemacht!«; »Ich auch nicht«, erwiderte Mozart – »aber wissen Sie warum? – weil weder Sie noch ich auf diesen Einfall gekommen wären.« Ein anderes Mal, als dieser »geniearme« Komponist ebenfalls gar nicht mit seinem Tadel zur Ruhe zu bringen war, rief Mozart äußerst heftig: »Herr, und wenn man[339] uns beide zusammenschmelzt, wird doch noch lange kein Haydn daraus.« Deshalb verfolgte er Mozart mit seiner Kritik auf Schritt und Tritt: ja, er fand die Ouverture zum Don Juan zwar schön, aber voller Fehler, und rief bei der zur Zauberflöte mitleidig aus: »Ach, da hat der gute Mozart auch einmal gelehrt thun wollen!«

Solche Erlebnisse, die wir vor allem zum Troste so manches redlich strebenden jungen Künstlers unserer Tage mitteilen, mochten Mozart wohl zuweilen anwidern. Aber was war das alles gegen die Anerkennung, die er von Männern wie Gluck, Dittersdorf und vor allen von Haydn fand! Das Verhältnis zu diesem gehört zu den schönsten, die je unter Künstlern bestanden haben. Mozart hatte gerade jetzt die sechs Quartette beendigt, die er im Herbste 1782 begonnen hatte. Er widmete sie Haydn und die Worte, mit denen er dies tut, zeugen von solcher Hochachtung und herzlichen Zuneigung gegen den lieben »Papa«, daß sie hier nicht fehlen dürfen:


»Meinem theuren Freunde Haydn.


Wenn ein Vater beschlossen hat seine Söhne in die weite Welt zu schicken, so sollte er sie, meine ich, dem Schutz und der Führung eines hochberühmten Mannes anvertrauen, der durch ein gütiges Geschick unter seinen Freunden der beste ist. So, Mann des Ruhmes und theuerster Freund, bringe ich hier meine sechs Söhne. Sie sind, das ist wahr, die Frucht einer langen und mühevol len Arbeit; allein die Hoffnung, welche mir mehrere Freunde machten, dieselbe wenigstens zum Theil belohnt zu wissen, gibt mir Muth und überredete mich, daß diese Werke mir eines Tages zum Troste gereichen werden. Du selbst, theuerster Freund, bewiesest mir bei Deinem letzten Aufenthalte in dieser unserer Hauptstadt Deine Zufriedenheit. Dieses Urtheil beseelt mich über Alles, und deßhalb empfehle ich sie Dir und gebe mich der Hoffnung hin, daß sie Dir Deiner Gunst nicht ganz unwürdig erscheinen. Nimm sie also gütig auf und sei ihnen Vater, Führer und Freund. Von diesem Augenblicke an übertrage ich Dir meine Rechte über sie und bitte Dich nur die Fehler, die mir das schonende Auge des Vaters verborgen haben mag, mit Nachsicht zu betrachten und auch trotz derselben Deine großmüthige Freundschaft mir zu[340] bewahren, die ich so sehr hochschätze. Derweilen ich von ganzem Herzen bleibe Dein aufrichtigster Freund W.A. Mozart.«


Diese Worte, deren feinere Wendungen sich oft kaum in der Uebersetzung wiedergeben lassen, kamen so recht aus dem Herzen des liebenswürdigen Mannes, ja er meinte, wenn davon die Rede war, es sei nur seine Schuldigkeit gewesen, denn von Haydn habe er gelernt, wie man Quartette schreiben müsse. »Es war gewiß rührend«, erzählt ein früherer Biograph, »wenn er von den beiden Haydn und andern großen Meistern sprach: man glaubte nicht den allgewaltigen Mozart, sondern einen ihrer begeisterten Schüler zu hören. Keiner, pflegte er zu sagen, kann Alles, schäkern und erschüttern, Lachen erregen und tiefe Rührung, und Alles gleich gut als – Joseph Haydn.« Dabei ist nicht zu vergessen, daß Haydns Ruf damals keineswegs schon die Welt erfüllte. Dies geschah erst nach Mozarts Tode, und die Werke, die heute jeder kennt und die jeden entzücken, sind ebenfalls erst nachher geschrieben, zum Teil mit Verwendung der unvergleichlichen Fortschritte, welche die Musik gerade durch Mozart gemacht hatte. Damals war Haydn noch nichts als der tüchtige Kapellmeister des Fürsten Esterhazy, mit dem er jeden Winter nach Wien kam und sich umschaute, was Neues in der musikalischen Welt vorgegangen war. Seine eigenen Sachen waren in Wien noch wenig bekannt und noch weniger beliebt, da selbst der Kaiser mit seiner ganzen Umgebung keinen Geschmack an dieser echten Laune zu gewinnen vermochte. Der Humor sollte sich in der Musik erst später Bahn brechen. Aber Mozart erkannte von Jugend auf in Haydn den ebenbürtigen Geist, und wir sahen oben, wie dieser den jüngeren Genius ehrte. Von den Quartetten aber meinte Haydn, wenn Mozart nur diese und das Requiem geschrieben habe, so würde er unsterblich sein, und von seinem Klavierspiel versicherte er mit Tränen in den Augen, das könne er in seinem Leben nicht vergessen: »das ging aus Herz«. So war auch ihr Verkehr miteinander[341] einfach und herzlich, Mozart nannte ihn Papa und sie duzten einander, was bei der großen Verschiedenheit des Alters in damaliger Zeit von doppelter Bedeutung ist.

Das waren die wahren Silberblicke in dem Leben des großen Künstlers, denn hier fand alles in ihm seine Befriedigung, Herz wie Geist, Gemüt wie Phantasie. Aber auch sonst hatte Mozart viel innige und gemütvolle Beziehungen, und darunter waren die meisten zu dem Adel, der damals in Wien, besonders unter dem weiblichen Geschlechte, von einer ungewöhnlichen Bildung des Herzens wie des Geistes war. Was Weimar an Begeisterung und Verständnis für seine Dichter tat, das taten die Wiener in demselben Grade für ihre Musiker, und zwar stand an der Spitze dieser edlen Kreise der Zirkel, der sich um die Gräfin Thun, Mozarts Schülerin, versammelt hatte. Mancher berühmte Reisende jener Zeit hat sich über diese Frau ausgesprochen: sie muß eine herrliche Erscheinung gewesen sein, mit allen Gaben der Natur ausgestattet und von einer seltenen Bildung. Aus dem Ernste ihres Gemütes floß jene Heiterkeit, die im Verkehre mit Frauen so einzig erfreut. Sie ergötzte den Kreis der bedeutenden Männer, der sich allabendlich zu Musik und jeder Unterhaltung in ihrem Hause versammelte, vor allem durch ihren Humor. Und unter diesen Männern waren manche Freunde und Gönner Mozarts, der Hofrat von Born, Baron Gem mingen, der deutsche Hausvater, den wir von Mannheim her kennen, und Fürst Kaunitz. Der Fürst Karl Lichnowsky, Mozarts Freund und Schüler, war der Schwiegersohn dieser edlen Frau. »Und obendrein hat sie drei Grazien von Töchtern, wo jede ein Engel von eigener Gattung ist, lauter unbefangene Unschuld, heiter wie die Morgensonne und voll natürlichen Verstandes und Witzes, den ich so mit Stillschweigen bewundere, wie den Verstand und Witz eines gewissen Mädchens an der Leine«, schreibt Georg Forster, der berühmte Reisende, an Therese Heyne in Göttingen.[342]

Hier, wo die Bildung ihren Kreislauf vollendend zur Natur zurückgekehrt war, mochte ein Mozart, das Kind der Grazien und der Liebling von jedermann, – denn so bezaubernd wirkte die Liebenswürdigkeit seines Wesens, daß in seiner Nähe sich jeder wie von dem Schein der lieben Sonne erhellt und erwärmt fühlte, – hier mochte er sich gar wohl fühlen und auf kurze Stunden den steten Drang und die ewige Not seines Tagesdaseins vergessen. Auch verstand er es, mit dem ihm wie jeder bedeutenden Natur, eigenen Unabhängigkeitssinn sich durchaus frei zu erhalten von einer Unterordnung unter die bloße Standeshoheit. Er war bescheiden und zutunlich, ohne seiner persönlichen Würde im Verkehr mit den hohen Herren etwas zu vergeben, vielmehr war er liebenswürdig und nonchalant mit ihnen und mancher war sein persönlicher Freund. Niemals aber fiel es ihm ein, das hohe unantastbare Vorrecht seines Geistes in trotzig stolzer oder gar übermütiger Weise geltend zu machen. Er war sich seines Genies vollkommen bewußt und ließ es wirken wie eine stille Macht, der sich der Verstehende freiwillig beugen mußte.

Die reichste Mitteilung geistiger Dinge freilich fand er in dem von Greinerschen Hause, wo Dichter, Schauspieler, Künstler und Gelehrte zusammenkamen: Denis, Blumauer, Alxinger, Georg Forster, der große Schröder, Cimarosa und viele andere. Die Musiker versammelten sich am meisten in dem Hause der Geschwister Martinez, wo Metastasio der Tochter Marianne zu einer seltenen Geistesbildung – und Haydn, der als junger Mensch in einem Dachstübchen des Hauses wohnte, und Porpora zu einer ungewöhnlichen musikalischen Tüchtigkeit verholfen und ihr und dem Bruder auch sein großes Vermögen hinterlassen hatte. Mozart, der schon als Knabe in diesem Hause gewesen war, nahm regelmäßigen Anteil an den musikalischen Gesellschaften. Ebenso verhielt es sich mit dem Hause des Herrn von Keeß, dessen Frau er eines Abends so[343] lange hatte auf das versprochene Lied warten lassen und mit dem des »Damendoktors« von Genzinger, dessen Gattin eine besondere Freundin Haydns war.

In all diesen Gesellschaften war Mozart gern gesehen, denn stets aufgeräumt und voll guter Einfälle, wie er war, hätte er kaum seiner wunderbaren Gaben bedurft, um sich die Herzen aller zu gewinnen. Aber auch mit diesen war er ja nicht sparsam. Er ließ sich niemals bitten und spielte jedermann vor, der Vergnügen daran fand, ihn zu hören. Und wer hätte das nicht getan! – Doch gab es auch wohl Leute, die während seines Spieles andere Dinge trieben. »Nichts aber brachte ihn so sehr auf«, wird berichtet, »als Unruhe, Getöse oder Geschwätz bei der Musik. Da gerieth der sonst so sanfte, muntere Mann in den größten Unwillen und äußerte ihn sehr lebhaft. Es ist bekannt, daß er einst mitten im Spiel vom Klavier aufstand und die unaufmerksamen Zuhörer verließ! – Zuweilen half er sich aber auch durch satirische Laune. Ein Kunstliebhaber (nicht in Wien) hatte eine Gesellschaft von Honoratioren zu sich geladen. Mozart, der unter Kennern und Liebhabern zu sein glaubte, überließ sich ganz dem Fluge seiner Phantasie. Doch die Zuhörer, die das nicht verstanden, begannen eine lebhafte Konversation. Mozart bearbeitete nun sein Thema mit steigender Heftigkeit und fing dabei an, über sein Publikum unbarmherzig zu schimpfen. Glücklicherweise war ihm dabei die italienische Sprache in den Mund gekommen. Gleichwohl merkten seine Zuhörer, um was es sich handle, und verstummten beschämt. Mozart mußte nun über sein Herauspoltern selbst lachen, er nahm sogleich eine beliebte Melodie auf, variierte sie und entzückte nun seine Zuhörer. Und als er fortging, nahm er den Herrn vom Hause, der in der peinlichsten Verlegenheit gewesen war, mit zu sich, lud noch einige alte Musiker ein, bewirtete sie und spielte ihnen bis tief in die Nacht. Denn vor Kennern war er unermüdlich im Spielen.«[344]

Die schönste Befriedigung des Herzens scheint er aber in der Familie des berühmten Botanikers von Jacquin gefunden zu haben. Dieser hatte drei Kinder. Um den älteren Sohn Joseph sammelte sich die gelehrte Welt, um den lebhaften Gottfried und die liebenswürdige Franziska die heitere junge Gesellschaft. Mozart wohnte längere Zeit in ihrer Nähe auf der Landstraße. Franziska war seine beste Schülerin und auch Gottfried hatte Stimme. Für beide komponierte Mozart mancherlei, wir werden ihnen noch öfter begegnen. Gottfried von Jacquin war es auch, dem das bekannte Bandl-Terzett seinen Ursprung verdankt. Mozart hatte nämlich seiner Frau ein neues Band geschenkt, das diese, als sie mit Jacquin spazieren fahren sollten, anlegen wollte und nicht finden konnte. Sie rief: »Liebes Mandl, wo ist's Bandl?« Der half dann suchen, Jacquin suchte mit und fand es, wollte es aber nicht sogleich hergeben, hielt es hoch in die Höhe und, da er ein langer Herr war, konnte es das kleine Ehepaar nicht erhaschen. Bitten, Schelten und Lachen wurden immer lebhafter, bis auch der Hund dem Räuber zwischen die Beine fuhr. Dann lieferte er das Band aus und meinte, die Szene gebe wohl ein komisches Terzett. Mozart erfand sich auch einen Text im Wiener Dialekt dazu und schenkte es seinem Freunde. Ein Pendant dazu ist der Kanon »Caro mio Schluck und Druck«. Und aus derselben Zeit stammt das herzlichste aller Lieder, in dem Dichter und Musiker zum schönste Bunde sich geeinigt haben, das Veilchen. Für welch reizendes Veilchen mag wohl dieses Lied geschrieben sein? Es ist viel davon phantasiert worden, aber gewisse Kunde fehlt.

So wußte Mozart sich und seiner Umgebung das Leben zu verschönen. Jede gesellige Gelegenheit fand ihn bereit, die Freude durch einen Gesang zu erhöhen. Auf diese Art entstand dann mancher Kanon, da Mozart diese Form besonders liebte, um seiner komischen Laune Luft zu machen. Es sind ihrer viele weit[345] und breit bekannt, doch nur wenige unter Mozarts Namen. Denn er selbst legte keinen Wert auf die Bewahrung solcher Gelegenheitskompositionen. Die Texte pflegte er sich selbst zu machen, und so derb und auch oft albern sie sind, die Musik erhebt das Ganze in die Region des echten Humors. In dem Jahre, wo wir jetzt in unserer Lebensbeschreibung stehen, kam der Tenorist Nepomuk Peierl, der in Salzburg mehrere Jahre beim Theater gewesen war, nach Wien. Er hatte eine eigentümliche Aussprache, mit der man ihn gern hänselte, und Mozart schrieb deshalb einen dreistimmigen Kanon auf einen Text, der durch diese Sprache eine besonders komische Wirkung machte: Difficile lectu mihi Mars et jonicu, wobei das letzte Wort so gebraucht ist, daß beim Singen cujoni herauskommt. Kaum war derselbe gesungen, als die Sänger das Blatt umwendeten und einen vierstimmigen Kanon sangen auf den Text: »O Du eselhafter Peierl! o Du peierlischer Esel! Du bist so faul als wie ein Gaul, der weder Kopf noch Haxen hat, mit Dir ist gar nichts anzufangen, ich seh Dich noch am Galgen hangen. Du dummer Gaul! Du bist so faul! Du dummer Peierl bist so faul als wie ein Gaul; o lieber Freund – – verzeihe mir! Nepomuk! Peierl! verzeihe mir!« Genießbar wird das freilich erst durch die Musik. Und dergleichen Kanons, die eine ungemeine Meisterschaft verraten, schrieb er oftmals aus dem Stegreif nieder.

Von all diesen Kreisen aber, die Mozart mit seiner Kunst erfreute, war auf ihn selbst keiner von größerem Einflüsse als der des Barons van Swieten, eines Mannes, der schon für sich allein durch seine individuelle Neigung anregend und bildend auf Mozarts Schaffen wirkte. Er war lange Zeit als Gesandter in Berlin gewesen und hatte dort verstandesmäßig, wie er von Natur war, eine besondere Vorliebe für die Musik gefaßt, die sich aus der sächsischen Schule, besonders von Sebastian Bach her nach Berlin hinübergepflanzt hatte. Bachs Söhne Friedemann und Philipp Emanuel waren dort[346] persönlich tätig gewesen, und eine Reihe anderer Komponisten und Theoretiker wie Kirnberger, Quanz, Fasch hatten die Uebung der mehr kontrapunktistischen Tonkunst geschaffen und erhalten. Dort war van Swieten mit Händel wie mit Bach bekannt geworden und brachte deren Werke, die damals nur zum allergeringsten Teile im südlichen Deutschland gekannt waren, mit nach Wien. Er selbst gründete dann eine Art von Verein zur regelmäßigen Uebung dieser Musik und zog vor allem auch Mozart hin. Dieser verkehrte in den ersten Jahren seines Wiener Aufenthalts außerordentlich viel in diesem Hause, spielte Fugen und schrieb, angeregt durch dieselben, selbst eine Menge kontrapunktischer Arbeiten, wozu namentlich die schöne große Fuge des Streichquartetts in G gehört, das im Dezember 1782 fertig wurde. Ja, er arrangierte sogar einige Fugen aus Bachs »Wohltemperiertem Klavier« für Streichinstrumente und begann auch eine Klaviersuite. Und es war nicht etwa bloß die Lust, seine Kraft an diesen verwickelteren musikalischen Formen zu üben, – wie er in diesem Stile zu schreiben verstand, beweisen schon die Salzburger Messen, – sondern es begann sich ihm bereits damals mit dem größeren Ernste, der durch mancherlei herben Kampf mit dem Leben überhaupt in sein Empfinden eindrang, auch etwas von dem besonderen Wesen zu erschließen, das diese Heroen der norddeutschen Tonkunst haben, und das sie zu der strengen und herben Redeweise führt, die mit der kontrapunktischen Form verbunden ist. Der Eintritt in den Freimaurerorden bezeichnet das erste bedeutsame Erwachen dieses Ernstes, und so finden wir auch, daß die maurerische Trauermusik für Orchester, die er im Juli 1785 bei dem Todesfall der Brüder Mecklenburg und Esterhazy komponierte, und zu der ihm ein Cantus firmus gegeben war, in ihrer gesamten Anlage kontrapunktisch und von einer großartigen polyphonen Ausführung ist. »Mozart hat nichts geschrieben«, sagt mit Recht Otto Jahn, »das durch technische Behandlung und[347] vollkommene Klangwirkung schöner, durch ernstes Gefühl und psychologische Wahrheit tiefer wirkte, als dieses kurze Adagio. Es ist der Ausdruck einer männlich gefaßten Gesinnung, die dem Tod gegenüber dem Schmerz sein Recht läßt, ohne sich durch ihn beugen oder blenden zu lassen.«

Nicht lange vorher, am 20. Mai, war auch die allbekannte Phantasie in C-moll geschrieben, die so manches Spielers Herz mit der tiefsten Rührung ergreift, weil sie einen trüben, fast schmerzvollen Ernst, der trotz allem Ringen mit dem Leben nicht fertig zu werden vermag, in der schönsten Weise ausspricht. Was mag damals schon von Erkenntnis des tiefen Zwiespaltes, der das Leben durchzieht, in die Seele des heiteren Mannes eingezogen sein! Es stehen die Klänge von Don Juans Gericht vor der Tür. Denn dieser Schmerz vermag sich nicht mehr zu friedlichen Versöhnung zu lösen, – nein, er kehrt ungestillt in sich selbst zurück. Es ist diese Phantasie das Fundament, auf das ein Beethoven den großartigen Bau seiner Klaviersonaten gründete, in denen sich in Leid und Lust des Menschen Allerinnerstes offenbaren sollte. Nichts unter Mozarts Klaviersachen geht so unmittelbar jener Bahn voraus, auf der sein großer Nachfolger so manchen tiefsten Ausdruck seines eigenen Empfindens erreichte. Mozart selbst muß gerade diese Phantasie in einer wunderbaren Weise auf seinem Pedalflügel gespielt haben; denn sein Schüler, der berühmte Arzt Joseph Frank, berichtet von seinem großen Erstaunen über den Vortrag dieses Stückes.

Bei einem so reichen und vielseitigen Betriebe der Musik kann man sich die unerhörte Leichtigkeit und Sicherheit erklären, mit der Mozart produzierte. War ihm schon das seltene Glück zuteil geworden, so gleich von Jugend an und stets das Richtige tun, das heißt die Gaben üben zu können, die ihm Natur gegeben, ohne daß er erst hin und her mit Versuchen gestört worden wäre, was für ihn passe, so hatte eine lebenslängliche unausgesetzte[348] Anwendung seiner Kräfte ihm eine Herrschaft darüber gegeben, wie sie in der Geschichte der Kunst nicht minder unübertroffen dasteht als seine Begabung. Und dies war Sache seines Fleißes. Mozart war ebenso fleißig wie begabt, wenn anders das Fleiß zu heißen verdient, das einer in jedem Augenblicke mit all seinen Sinnen und Gedanken bei seinen Dingen ist. Er hatte recht, seinem Vetter Fridolin Weber 1787 in Wien ins Stammbuch zu schreiben: »Seyen Sie fleißig – fliehen Sie den Müssiggang!« Er selbst sann und schuf unausgesetzt, am liebsten aber, wenn er in der freien Natur war. »Don Juan« und »Zauberflöte« sind fast ganz in einem Garten geschrieben worden. »Und wenn er mit seiner Frau durch schöne Gegenden reiste«, erzählte Rochlitz, »sah er aufmerksam und stumm in die ihn umgebende Welt hinaus; sein gewöhnlich mehr in sich gezogenes und düsteres als munteres und freies Gesicht heiterte sich nach und nach auf, und dann fing er an zu singen oder vielmehr zu brummen, bis er endlich ausbrach: Wenn ich das Thema auf dem Papier hätte! Und wenn sie ihm etwa sagte, daß das ja wohl zu machen sei, so fuhr er fort: Ja mit der Ausführung – versteht sich! Es ist ein albern Ding, daß wir unsere Arbeiten auf der Stube aushecken müssen!« – In der Seitentasche des Wagens befand sich übrigens immer Notenpapier. Auch besaß er zu diesem Zwecke eine alte lederne Tasche, die er sein Portefeuille nannte, worin er seine Wertpapiere aufbewahre. Denn hin und wieder schrieb er einen Gedanken oder irgend ein Stück der Ausführung, das ihm besonders wichtig war, auf. Durchweg freilich durfte er sich auf sein Gedächtnis verlassen.

Auch andere interessante Notizen erfahren wir über dieses Mannes Art. »Er war immer guter Laune,« erzählt Sophie Haibl, »aber selbst in der besten sehr nachdenkend, einem dabei scharf ins Auge blickend, auf alles, es mochte heiter oder traurig sein, überlegt antwortend, und doch schien er dabei an ganz etwas[349] anderem tief nachdenkend zu arbeiten. Selbst wenn er sich in der Frühe die Hände wusch, ging er dabei im Zimmer auf und ab, blieb nie ruhig stehen, schlug dabei eine Ferse an die andere und war immer nachdenkend. Bei Tisch nahm er oft eine Ecke der Serviette, drehte sie fest zusammen, fuhr sich damit unter der Nase herum und schien in seinem Nachdenken nichts davon zu wissen, und öfters machte er dabei noch eine Grimasse mit dem Munde. Auch sonst war er immer in Bewegung mit Händen und Füßen, spielte immer mit etwas, z.B. mit seinem Chapeau, Taschen, Uhrband, Tischen, Stühlen gleichsam Klavier.« Der Friseur hatte seine liebe Not, ihn zu frisieren, Mozart saß nie still, alle Augenblicke fiel ihm etwas ein, dann sprang er wohl ans Klavier, und der Friseur mußte ihm mit dem Zopfband in der Hand nachlaufen. Sogar in der Oper hörte die Tätigkeit seines Geistes nicht auf. Dies nahm, wer seine Art genauer kannte, an der unruhigen Bewegung der Hände, am Blick, an der Art, mit der er die Lippen wie zum Singen oder Pfeifen rührte, gar leicht wahr. So mußte seine Frau, so sehr sie von seinen Verehrern immer angegangen wurde, ihn zur Arbeit anzuhalten, es vielmehr für ihre Pflicht ansehen, ihn öfters davon abzuhalten oder doch ihn zu mäßigen. Und doch bestand die große Arbeitsamkeit, die er in den letzten Jahren seines Lebens zeigte, in nichts anderem, als daß er mehr niederschrieb. Er hatte eben mehr Veranlassung, die Dinge, die sein Geist fortwährend erzeugte, auch zum Licht des Tages zu fördern.

Morgens um sechs Uhr oder sieben Uhr war er schon auf und schrieb. Und doch war er oftmals erst spät in der Nacht von musikalischen Gesellschaften heimgekommen. Allein er hielt es immer so, den frühen Morgen zum Komponieren zu verwenden, und machte darin in späteren Jahren nur die eine Aenderung, daß er der Bequemlichkeit wegen im Bette schrieb. Eines Klaviers bedurfte er nicht dazu: »Er schrieb Noten wie Briefe«, erzählt seine Frau ebenso naiv wie treffend, »und probierte seinen[350] Satz erst wenn er fertig war.« »Dagegen brachte er auch in seinen Mannesjahren halbe Nächte am Klaviere zu; dies waren eigentlich die Schöpferstunden seiner himmlischen Gesänge. Bei der schweigenden Ruhe der Nacht, wo kein Gegenstand die Sinne fesselt, erglühte seine Einbildungskraft in der regsten Tätigkeit und entfaltete den ganzen Reichtum der Töne, welche die Natur in seinen Geist gelegt hatte. Hier war Mozart ganz Empfindung und Wohllaut, hier flossen von seinen Fingern die wunderbarsten Harmonien! Wer Mozart in solchen Stunden hörte, der nur kannte die Tiefe, den ganzen Umfang seines musikalischen Genies; frei und unabhängig von jeder Rücksicht durfte da sein Geist mit kühnem Fluge sich in die höchsten Regionen der Kunst schwingen.«

So sagt Niemtschek, der uns so manchen schönen Zug von seinem unsterblichen Freunde hinterlassen hat. Und Rochlitz spricht ein Wort, in dem man den großen Dichter komischer Opern wiederfindet: »Wenn er auf dem Fortepiano phantasirte, wie leicht war es ihm da, ein Thema so zu bearbeiten, es hier so possierlich, dort so gravitätisch, nun so halsbrechend und spitz oder so flehentlich und miserabel u.s.w. auftreten oder hervorlauschen oder sich hindurcharbeiten zu lassen, daß er mit seinen Zuhörern – und hatte ein ungünstiges Schicksal ihm die offenbarsten Murrköpfe (nur nicht ganz ohne musikalische Cultur) hingesetzt – machen konnte, was er wollte. Das – gerade das, hat vielleicht vor und nach ihm nie ein Klavierspieler in diesem Maße gehabt. Ich kenne das Spiel der meisten ausgezeichneten Virtuosen auf diesem Instrument seit Mozart Beethoven nicht; ich habe so vieles Vortreffliche – aber von jenem unerschöpflichen Witz auch nicht das Aehnliche gehört.« – »Und dann schien dieser zerstreute Mensch«, heißt es bei Schlichtegroll, »ein ganz anderes, schien ein höheres Wesen zu werden. Dann spannte sich sein Geist, und seine Aufmerksamkeit richtete sich ungeteilt[351] auf den einen Gegenstand, für den er geboren war, auf die Harmonie der Töne.« – Ebenso sagt Niemtschek: »Da änderte sich sein ganzes Antlitz, ernst und gesammelt ruhte dann sein Auge; in jeder Muskelbewegung drückte sich die Empfindung aus, welche er durch sein Spiel vortrug und in dem Zuhörer so mächtig wiederzuerwecken wußte.«

Sonst war er ja, wie wir wissen, von Erscheinung unbedeutend. »Er war klein, aber von proportionirtem Körperbau mit kleinen Händen und Füßen, früher mager und erst in den letzten Lebensjahren mehr corpulent. Der Kopf war im Verhältnis zum übrigen Körper etwas zu groß. Das stets blasse Gesicht war nicht unangenehm, aber verriet nichts Außergewöhnliches, auch die Mozartsche Nase fiel nur in den Jahren, da er mager war, durch ihre Größe auf. Das ziemlich große und gut geschnittene Auge mit schönen Brauen und Wimpern war gewöhnlich etwas matt, der Blick unstät und zerstreut«, so zeichnet Jahn die Erscheinung des Mannes, der alsbald jene drei Werke schaffen sollte, die nun als in der dramatischen Kunst epochemachend dastehen, und in denen sich nach den verschiedensten Richtungen hin das ansammelte, was Mozart als das Resultat seines Lebens, ja als das Resultat seiner ganzen Zeit in sich trug.

Quelle:
Ludwig Nohl: Mozarts Leben. Berlin 4[um 1910], S. 327-352.
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