Zweiter Abschnitt.

Die Entführung aus dem Serail.

1782.

»So im Wechsel von Regen und Sonnenschein reift die Frucht.«


Das damalige Wien war ein Ort der heiteren Unbefangenheit des Daseins, wie es die Welt selten gesehen hat. Das war nun dem Kunsttriebe, besonders der Musik, durchaus nicht nachteilig, und als es den Bestrebungen ernsterer Männer, die zugleich an der geistigen Bewegung des gesamten Vaterlandes teilnahmen, gelungen war, die Hanswurstiaden von der Bühne zurückzudrängen, und Joseph II. gar das Theater zu dem seinigen machte und die ersten mimischen Kräfte Deutschlands nach Wien berief, blühte die dramatische Kunst ebenfalls rasch auf. Auch Mozart gewann an diesen Dingen, die so nahe mit seinem eigenen Tun zusammenhingen, bald ein lebhaftes Interesse. »Meine einzige Unterhaltung,« schreibt er der Schwester, »besteht im Theater; ich wollte Dir wünschen hier ein Trauerspiel zu sehen! Ueberhaupt kenne ich kein Theater, wo man alle Arten Schauspiele vortrefflich aufführt, aber hier ist es. Jede Rolle – die mindeste, schlechteste Rolle ist gut und doppelt besetzt.« Freilich, wo ein Schröder spielte, mag wohl eine »Emilia Galotti« oder »Nathan der Weise« oder gar Shakespeares unsterbliches Schaffen Eindruck auf einen Genius gemacht haben, der wie wenige von Natur für die dramatische Kunst begabt war. Wir werden die Spuren davon bald im »Figaro« und »Don Juan« entdecken.

Aber auch für die Oper selbst sollte jetzt etwas geschehen. Der Kaiser wollte ein »National-Singspiel« haben. Freilich, er[253] selbst war nach seiner ganzen Erziehung mehr der italienischen Weise zugetan. Aber er, der mit Friedrich dem Großen an der Spitze der nationalen Wiederbelebung stand, durfte auch diese Regungen des heimischen Geistes, denen wir schon in Mannheim und München begegnet sind, nicht ohne Unterstützung lassen. Man berief ausgezeichnete Gesangskräfte: Adamberger, Fischer und die Damen Bernasconi und Aloysia Weber, die bald darauf den ausgezeichneten Schauspieler Lange heiratete. Allein die Hauptsache fehlte, ein Komponist deutscher Opern, Gluck war alt, er komponierte nicht mehr. Salieri, der Hofkapellmeister, der »Abgott des Kaisers«, war zu sehr Italiener, um mit seinem »Rauchfangkehrer« (1781) durchzudringen, und sonst war Keiner in Wien, der etwas Ordentliches verstand. Die norddeutschen Komponisten Schweitzer, Benda, Hiller, die Schöpfer des Singspiels, waren zu nüchtern »lutherisch«, um nach dem Geschmack der Wiener zu sein. So schien für Mozart die Stelle wie bereitet, und wirklich sprach der Kaiser den Wunsch aus, daß er eine deutsche Oper schreiben möchte. Wolfgang konnte bereits am 1. August 1782 berichten: »Nun hat mir vorgestern der junge Stephanie ein Buch zu schreiben gegeben. – Das Buch ist ganz gut; das Sujet ist türkisch, und heißt Belmont und Constanze oder die Verführung aus dem Serail. – Die Zeit ist kurz, das ist wahr, denn im halben September soll es schon aufgeführt werden, allein die Umstände, die zu der Zeit, da es aufgeführt wird, dabei verknüpft sind, und überhaupt alle andern Absichten erheitern meinen Geist dergestalt, daß ich mit der größten Begierde zu meinem Schreibtisch eile und mit der größten Freude dabei sitzen bleibe.«

Allein es kam zunächst nicht zur Vollendung dieser Oper, teils weil Mozart bedeutende Aenderungen des Textbuches verlangte, teils weil beschlossen worden war, zur Ankunft des Großfürsten Paul von Rußland, um dessentwillen Mozart die Oper schreiben[254] sollte, zwei Opern von Gluck, die ganz neue »Iphigenie in Tauris« und die 1767 komponierte »Alceste«, zu geben. Mozart hatte gehofft, seinen »Idomeneo«, den er schon im Sommer zum Ergötzen aller Kenner in einem Privathause hatte aufführen lassen, bei dieser Gelegenheit zur Vorstellung zu bringen. Allein er mußte vor dem Altmeister zurückstehen. Trotzdem war er jetzt voll Hoffnungen für seine Zukunft. Er schwamm in dem Strome eines reichen Kunstlebens. Zwar war es im Sommer weder mit Schülern noch Akademien und Subskription auf Kompositionen viel gewesen, doch hatte er noch manchmal Geld nach Hause gesandt. Aber er hatte doch bereits in manchem hohen Hause festen Fuß gefaßt und war also für die Folge dieses Vorteils versichert. Am Hofe war sein bester Freund der Erzherzog Maximilian, für den er ja schon in Salzburg den »Rè pastore« komponiert hatte. Dieser strich ihn überall nach Kräften heraus und bemühte sich auch, daß er bei der Prinzessin von Württemberg, die den Erzherzog Franz heiraten sollte, Klavierlehrer werde. Allein der Kaiser hatte ihr zu ihrem eigenen Leidwesen schon den Salieri zum Lehrer des Gesanges gegeben, und dieser sorgte dann, daß irgend ein unbedeutender Musiker den Klavierunterricht bei ihr bekam.

Salieri nämlich war es, der jetzt begann, unserem Meister überall da im Wege zu sein, wo es galt, bedeutende Erfolge zu erringen. Nicht als wenn dieser Mann eigentlich hämisch und mißgünstig gewesen wäre, vielmehr war er im ganzen gutmütig und Mozart wohlgesinnt. Allein er erkannte in Mozart das überlegene Genie, und mit dem Instinkt der Selbsterhaltung schnitt er ihm fortan nach Kräften alle die Zugänge ab, die zu dem Kaiser und zu Erfolgen führten. Er selbst stand fest in der Gunst des Kaisers. Joseph war ja in der italienischen Musik aufgewachsen, und es war ihm, dem die Ideen, welche die damalige Zeit bewegten, in mancherlei schwierigen Staatsprojekten durch den Kopf gingen, im Grund der Genuß der Musik nichts als[255] eine Erholung von den anstrengenden Geschäften. Mozarts Schaffen war zu diesem Zwecke zu ernst, zu gehaltvoll. Ja, selbst der kindlich frohe Haydn ward im Kabinett nicht besonders geschätzt. Ebensowenig liebte der Kaiser eigentlich Glucks Opern, und es war Tatsache, daß bei Hofe meistens recht schlechte oder doch leichte Musik aufgeführt wurde. Und doch war dieser Mann selbst wieder viel zu freien Geistes, um einen Genius wie Mozart ganz zu verkennen. Vielmehr schätzte er ihn und bewunderte ihn als »un talent decidé«, von dem er oft die größten éloges machte. Er kannte ihn zunächst nur als Klavierspieler, und es versteht sich, daß Salieri vorerst alle Gelegenheit verhinderte, wo Mozart sich als das produzieren konnte, was er in so eminenter Weise war. Bald freilich sollte die »Entführung« den großen dramatischen Komponisten enthüllen. Vorerst aber gingen wieder allerhand innere Verhältnisse mit unserem Meister vor, in denen sich Leid und Freud wiederum in einer Weise durcheinandermischen, daß seine Seele in steter Spannung gehalten, ja schließlich in die höchste Schwingung versetzt wird, so daß es ihm wohl manchmal schwer gewesen sein mag, mit seinem Geiste stets bei der Arbeit zu verharren.

Mozart war also, als ihm der Erzbischof so plötzlich die Wohnung entzogen hatte, einstweilen zu seiner alten Freundin, der Madame Weber gezogen. Diese lebte, nachdem Aloysia verheiratet und der Vater gestorben war, mit ihren drei übrigen Töchtern in recht beschränkten Verhältnissen. Zwar erzählt der Schwiegersohn Lange in seiner Selbstbiographie, daß er ihr, weil seine Frau früherhin zum Lebensunterhalte der Ihrigen beigetragen habe, einen Jahresgehalt von 700 Gulden festgesetzt habe, und es mögen also Mozarts obige Aeußerungen über Aloysias Handlungsweise wohl durch die Erzählungen der Mutter, deren Charakter er allerdings erst später kennen lernte, etwas grell gefärbt worden sein. Aber sicherlich war es ihr lieb, wenn sie ein paar Zimmer vermieten und auch sonst nebenher etwas[256] verdienen konnte. Nun war dieses Verhältnis zwar dem Vater Mozarts gar nicht recht. Er war überzeugt, daß in Mannheim Webers seinen Sohn ins Garn gelockt hatten, und fürchtete jetzt eine ähnliche Gefahr. Er kannte Wolfgangs argloses und zutrauliches Herz und drang also in ihn, möglichst bald eine andere Wohnung zu nehmen. Dieser erklärte sich auch bereit dazu, wenn er ein ordentliches Logis finde. Da aber kamen gar Gerüchte nach Salzburg, Wolfgang werde eine Weber heiraten, und nun verlangte der Vater sofortigen Wechsel des Quartiers. Darauf antwortet nun Mozart im Juli 1782 in folgender Weise:

»Ich sage noch einmal, daß ich schon längst im Sinne gehabt, ein anderes Logis zu nehmen, und das nur wegen dem Geschwätz der Leute; und mir ist leid, daß ich es wegen einer albernen Plauderey, woran kein wahres Wort ist, zu thun gezwungen bin. Ich möchte doch nur wissen, was gewisse Leute für Freude haben können, ohne allen Grund so in den Tag hinein zu reden. Weil ich bey ihnen wohne, so heyrathe ich die Tochter! Von Verliebtsein war gar die Rede nicht; über das sind sie hinausgesprungen, sondern ich logire mich ins Haus und heyrathe. Wenn ich mein Lebtage nicht ans Heyrathen gedacht habe, so ist es gewiß jetzt! Denn (ich wünsche mir zwar nichts weniger als eine reiche Frau) wenn ich jetzt wirklich durch meine Heyrath mein Glück machen könnte, so könnte ich unmöglich aufwarten: weil ich ganz andere Dinge im Kopf habe. Gott hat mir mein Talent nicht gegeben, damit ich es an eine Frau henke und damit mein junges Leben in Unthätigkeit dahin lebe. Ich fange erst an zu leben und soll es mir selbst verbittern? Ich habe gewiß nichts wider den Ehestand, aber für mich wäre er dermal ein Uebel. – Nun, da ist kein anderes Mittel, ich muß, wenn es schon nicht wahr ist, wenigstens den Schein vermeiden, obwohl der Schein auf nichts Anderem beruht, als – daß ich da wohne. Denn wer nicht ins Haus kommt, der kann nicht einmal sagen, daß ich mit ihr so viel Umgang habe, wie mit allen anderen Geschöpfen Gottes; denn die[257] Kinder gehen selten aus, nirgends als in die Komödie, und da gehe ich niemals mit, weil ich meistens nicht zu Hause bin zur Komödienstunde. Ein paarmal waren wir im Prater, da war die Mutter auch mit; und ich, da ich zu Hause bin, konnte es nicht abschlagen mitzugehen, und damals hörte ich noch keine solche Narrensreden. Darum muß ich aber auch sagen, daß ich nichts als meinen Theil zahlen durfte; und da die Mutter solche Reden selbst gehört und auch von mir aus weiß, so muß ich sagen, daß sie selbst nicht mehr will, daß wir zusammen wo hingehen, und mir selbst gerathen hat wo anders hinzuziehen, um fernere Verdrießlichkeiten zu vermeiden; denn sie sagt, sie möchte nicht gern unschuldigerweise an meinem Unglück schuld sein. – Das ist also die einzige Ursache, warum ich schon längst (seitdem man so schwätzt) im Sinne gehabt habe wegzuziehen, und insoweit Wahrheit gilt, habe ich sonst keine; was aber die Mäuler anbelangt, habe ich Ursache. Wenn diese Reden nicht gingen, würde ich schwerlich wegziehen, denn ich werde freilich leicht ein schöneres Zimmer bekommen, aber die commodité und so freundschaftliche und gefällige Leute schwerlich. Ich will auch nicht sagen, daß ich im Hause mit der mir schon verheyratheten Demoiselle trotzig sey und nichts rede, aber verliebt auch nicht; ich narrire und mache Spaß mit ihr, wenn es mir die Zeit zuläßt – und das ist nur Abends, wenn ich zu Hause soupire; denn Morgens schreibe ich in meinem Zimmer und Nachmittags bin ich selten zu Hause, und also – sonst weiter nichts. Wenn ich die alle heyrathen müßte, mit denen ich gespaßt habe, so müßte ich leicht hundert Frauen haben.«

Ja gewiß, das Letzte ist wahr, wir kennen seine Art. Allein die Ausführlichkeit des Briefes und die Lebhaftigkeit der Verteidigung ist wiederum bedenklich genug, und trotz des Schlusses: »Nun leben Sie wohl, liebster Vater, glauben Sie Ihrem Sohne, der gewiß gegen alle rechtschaffenen Leute die besten Gesinnungen hat!« – und trotz der späteren Versicherungen, daß damals »als[258] ich quittirte, die Liebe noch nicht war«, blickt gerade diese doch schon mit hellen Augen aus jenem Briefe hervor, und es war wieder nur er selbst, der sich zunächst über sein Empfinden täuschte und so in aller Unschuld sein Herz verriet.

Zunächst hatte ihm die Familie Mesmer, die er schon von Kindheit an kannte, bei sich ein Zimmer angeboten. Allein dort wohnte der Rivale Vincenzo Righini (1756–1812), und so mochte Mozart nicht hinziehen. Dann war eine andere musikalische Familie darauf aus, den jungen Künstler in ihr Haus zu ziehen, und dies mochte wohl dem Vater gefallen, aber dem Sohne nicht. Zwar hatte er schon im Juni gemeldet: »Ich bin fast täglich nach Tische bey Herrn v. Aurnhammer; die Fräulein ist ein Scheusal, spielt aber zum Entzücken, nur geht ihr der wahre feine singende Geschmack im Cantabile ab, sie verzupft alles.« Aber die Wohnung, die man ihm dort anbot, war »für Ratzen und Mäuse, aber nicht für Menschen«. Die Stiege mußte man mittags um 12 Uhr mit einer Laterne suchen; das Zimmer konnte man eine kleine Kammer nennen. Durch die Küche kam man in sein Zimmer, und da war an seiner Kammertür ein Fensterchen; man versicherte ihm zwar, man würde ein »Fürhängerlein« vormachen, doch bat man ihn sogleich, daß, sobald er angezogen sei, er es wieder aufmachen sollte, denn sonst sähen sie nichts. – »Das wäre mir eine üble Wohnung gewesen, wo doch unterschiedliche Leute von Ansehen zu mir kommen!« sagt er. »Der gute Mann hat halt auf nichts als auf sich selbst und seine Tochter gedacht, welche die größte seccatrice1 ist, die ich kenne.«

Diese Absichten auf ihn wegen der »dicken Fräulein Tochter« degoutierten ihn aber noch mehr als das Zimmer, und weil man nun dem Vater alles Lob über diese Familie geschrieben hatte, so rückte der Sohn mit einer Beschreibung heraus, die ihn außerordentlich nach seiner »schlimmen« Seite hin charakterisiert: »Er ist der beste Mann von der Welt, nur gar zu gut, denn seine Frau,[259] die dümmste und närrischste Schwätzerin von der Welt, hat die Hosen, sodaß, wenn sie spricht, er sich kein Wort zu sagen traut; er hat mich, da wir öfters zusammen spatzieren gegangen, gebeten, ich möchte in seiner Frauen Gegenwart nichts sagen, daß wir einen Fiacre genommen oder Bier getrunken haben. – Nun zu so einem Manne kann ich ohnmöglich Vertrauen haben; er ist ganz brav und ein guter Freund von mir, ich könnte öfters bei ihm zu Mittag speisen, ich pflege mir aber meine Gefälligkeiten niemalen bezahlen zu lassen, – sie wären freilich auch mit einer Mittagsuppe nicht bezahlt. Doch glauben solche Leute Wunder was sie damit thun. Ich bin nicht wegen meinem Nutzen in dem Haus, sondern wegen dem ihrigen. Ich sehe dabei keinen Nutzen für mich und habe noch keine einzige Person dort angetroffen, die so viel werth wäre, daß ich sie auf dieses Papier hersetzte. Uebrigens sind es gute Leute und sonst weiter nichts; Leute, die Vernunft genug haben einzusehen, wie nützlich meine Bekanntschaft für die Tochter ist, welche, wie alle Leute, die sie bisher gehört haben, sagen, seit der Zeit da ich zu ihr gehe, sich ganz verändert hat. – Von der Mutter will ich gar keine Beschreibung machen. Genug, daß man über Tisch genug zu thun hat, um das Lachen zu halten – basta! Sie kennen die Frau Adlgasserin, und dieses Meuble ist noch ärger, denn sie ist dabey medisante, also dumm und boshaft. Von der Tochter also. Wenn ein Maler den Teufel recht natürlich malen wollte, so muß er zu ihrem Gesicht Zuflucht nehmen. Sie ist dick wie eine Bauerndirne und geht so bloß – daß man ordentlich lesen kann: ich bitte euch, schauet hierher! Das ist wahr, zu sehen ist genug, daß man blind werden möchte, aber man ist auf den ganzen Tag gestraft genug, wenn sich unglücklicherweise die Augen darauf wenden – pfui Teufel! – Nun, ich habe Ihnen geschrieben, wie sie Clavier spielt; ich habe Ihnen geschrieben, warum sie mich gebeten ihr beyzustehen. Mit vielem Vergnügen thue ich Leuten Gefälligkeiten, aber nur nicht sekkiren! – – Sie ist nicht zufrieden, wenn ich[260] zwey Stunden alle Tage mit ihr zubringe, ich soll den ganzen Tag da zubringen und da will sie die artige machen! oder wohl noch mehr: sie ist serieusement in mich verliebt. Ich hielt es für Spaß, aber nun weiß ich es gewiß; als ich es merkte – denn sie nahm sich Freyheiten heraus z.B. mir zärtliche Vorwürfe zu machen, wenn ich etwas später kam als gewöhnlich oder mich nicht lange aufhalten konnte, und dergleichen Sachen mehr, – ich sahe mich also gezwungen, um sie nicht zum Narren zu haben, ihr mit Höflichkeit die Wahrheit zu sagen. Das half aber nichts; sie wurde noch immer verliebter; endlich begegnete ich ihr allzeit sehr höflich, ausgenommen sie kam mit ihren Possen, dann wurde ich grob – da nahm sie mich aber bey der Hand und sagte: Lieber Mozart, seyen Sie doch nicht so böse und Sie mögen sagen was Sie wollen, ich habe Sie halt doch gern. – In der ganzen Stadt sagt man, daß wir uns heyrathen, und man wundert sich über mich, daß ich so ein Gesicht nehmen mag. Sie sagte zu mir, daß wenn so was zu ihr gesagt wurde, sie allzeit dazu gelacht habe; ich weiß aber von einer gewissen Person, daß sie es bejahet habe, mit dem Zusatz, daß wir alsdann zusammen reisen werden. Das hat mich aufgebracht. Ich sagte ihr also die Meinung wacker, und sie möchte meine Güte nicht mißbrauchen. – Sie ist nichts als eine verliebte Närrin.«

Dieses dicke Fräulein gefiel ihm also nicht. Gleichwohl vermochte seine Gutmütigkeit ihn dazu, sowohl etwas für sie zu schreiben als mit ihr oder auch allein in einem ihrer Konzerte zu spielen. Sie aber war sicherlich nicht die einzige, die ihr Auge auf die anziehende Erscheinung des großen Musikers warf. Wie er auf sein Aeußeres ja stets etwas zu halten pflegte, so ging er jetzt gekleidet, daß mancher ihn für einen Kammerherrn hielt, und sein reines, offenes Gemüt, die lebhafte Empfindung mochten manches Damenherz erweichen, zumal wenn die Musik dem jungen Meister Anlaß gab, die Tiefen dieses Gemütes und den Reichtum seines Geistes zu enthüllen. Dann gewann selbst die unscheinbare[261] Gestalt ein Leben, das zündend auf empfängliche Gemüter wirkte. Aus seinem sonst in sich gekehrten Auge strahlte dann jenes höhere Licht, das jeden Menschen, der in seinen Schein tritt, innerlichst gefangen nimmt. So ist es kein Wunder, wenn dieser Mann bald der Liebling der Damen in der Hauptstadt war. Brachte ihn doch mit mancher der Klavierunterricht auf das nächste zusammen! Und er, wie wir wissen, leicht entzündlich für den Reiz der Frauen und nicht abweisend für ihre holden Gaben, mußte in dieser Hauptstadt, wo das Leben mit dem schönen Geschlechte einen so ganz eigenartigen Anhauch, eine so seltene Liebenswürdigkeit hat, mehr als je daran erinnert werden, was ihm fehlte. In Wien fließt das erregbare Slaventum und die feurige Leidenschaft des Südens mit dem sinnigen Wesen des Deutschen zu einer Mischung zusammen, die von ganz besonderer Eigentümlichkeit ist. Diese heiter freie Art, die in jenen Tagen noch sehr naiv war und doch sich bereits mit dem innigeren Empfindungsleben unserer Zeit zu schmücken begann, mußte einen Mann wie Mozart über alle Maßen anziehen. Denn arglos wie er war, nahm er diese Heiterkeit frisch in sich auf, wie sie ihm vorkam, und reflektierte nicht über Wert oder Unwert der Freude. Vielmehr erregte der frohe Genuß jedweder Gaben des Lebens, wie er ihn in Wien allerorten geboten sah, auch in ihm das angeborene Verlangen, und es ist der schönste Beweis für die Unschuld seiner Natur, wenn er sich dem Vater gegenüber offen über diese Dinge ausspricht. Von allen Stellen seiner Briefe darf diese am wenigsten fehlen, weil gerade sie am meisten all den Verleumdungen ins Gesicht schlägt, die Mißwollen oder Unverstand über unsern Meister turmhoch gehäuft hat.

»Die Natur spricht in mir so laut wie in jedem Anderen und vielleicht lauter als in manchem großen starken Lümmel,« schreibt er vertraulich dem Vater. »Ich kann ohnmöglich so leben wie die meisten dermaligen jungen Leute. Erstens habe ich zuviel Religion, zweitens zuviel Liebe des Nächsten und zu ehrliche[262] Gesinnungen, als daß ich ein unschuldiges Mädchen anführen könnte, und drittens zuviel Liebe zu meiner Gesundheit, als daß ich mich mit ... herumbalgen könnte; daher kann ich auch schwören, daß ich noch mit keiner Frauensperson auf diese Art etwas zu thun gehabt habe. Denn wenn es geschehen wäre, so würde ich es Ihnen auch nicht verhehlen, denn Fehlen ist doch immer dem Menschen natürlich genug; und einmal zu fehlen wäre auch eine bloße Schwachheit, – obwohl ich mir nicht zu versprechen getraute, daß ich es bey einmal fehlen hätte bewenden lassen mögen, wenn ich in diesem Punkte ein einzigesmal fehlte. Darauf aber kann ich leben und sterben.«

Doch wie kommt er zu diesem offenen Geständnis, das in so großer Unbefangenheit Dinge bespricht, die, so natürlich sie sind, sonst tief geheim gehalten werden? – Er wollte heiraten. Und wen? – Constanze Weber.

Constanze war seine Schülerin; schon in München hatte er sie im Klavierspiel unterrichtet und jetzt kam der Gesang dazu. So hatte er also nach wie vor Veranlassung, in das Webersche Haus zu kommen. Denn er war bereits im September ausgezogen, und wenn es ihm auch vorkam, als wenn einer aus seinem eigenen bequemen Wagen sich in einen Postwagen setzt, so hatte er doch damit einen Wunsch des Vaters erfüllt und konnte ihn nun auch bitten, Vertrauen zu haben und nicht auf das Geschwätz der andern zu achten. Allein gerade diese Trennung von dem Mädchen, auf das ihn das Gerede der Leute stets aufmerksam erhielt, bewirkte ein Wachsen des Interesses, aus dem bald eine innige Neigung aufloderte. Dazu kam das Gefühl der Unbehaglichkeit, daß er allein wohnen und für so manche Dinge sorgen mußte, die sonst andere abgemacht hatten. Den ganzen Tag über hatte er zu arbeiten oder umherzulaufen und fand dabei in jenem Herbst 1781 zunächst nur wenig Erfolg. Ermüdet und abgespannt kam er abends nach Hause und sah sich allein. Das Wirtshausleben war ihm durchaus fremd und daher zuwider,[263] – was ist erklärlicher, als daß er sich nach einer eigenen Häuslichkeit sehnte? Im Weberschen Hause dagegen waren sie abends stets miteinander lustig und froh gewesen, hatten Versteckens gespielt und das ganze heitere Getändel der Jugend getrieben. Da er nun obendrein durch den längeren Aufenthalt dort bereits erfahren hatte, wie wohltuend die Art der jungen Tochter, ihm alle seine kleinen Lebensbedürfnisse zu besorgen, für ihn war, so gewann er die Ueberzeugung, daß sie die rechte Lebensgefährtin für ihn sei, und der Drang des Innern führte ihn bereits in diesem Herbste dahin, sich mit ihr zu verloben.

Den Vater hatte er nicht gefragt, sein Herz und seine Vernunft waren es, die durch mancherlei Prüfungen gereinigt, ihm den Maßstab für sein Handeln gaben. Allein er selbst wünschte auf das innigste des Vaters Einwilligung und schrieb deshalb am 15. Dezember den Brief, aus dem wir die Stelle oben entlehnten. »Ich weiß wohl,« heißt es dann weiter, »daß diese Ursache (so stark sie immer ist) doch nicht erheblich genug ist. Mein Temperament aber, welches mehr zum ruhigen und häuslichen Leben als zum Lärmen geneigt ist; – ich, der von Jugend auf niemalen gewohnt war, auf meine Sachen, was Wäsche, Kleidung und dergleichen anbelangt, Acht zu haben, kann mir nichts nöthiger denken als eine Frau. Ich versichere Sie, was ich nicht Unnützes oft ausgebe, weil ich auf nichts Acht habe. Ich bin ganz überzeugt, daß ich mit einer Frau (mit dem nämlichen Einkommen, das ich allein habe) besser auskommen werde als so. Und wie viele unnütze Ausgaben fallen nicht weg? Man bekommt dafür wieder andere, das ist wahr; allein man weiß sie, kann sich darauf richten, und mit einem Wort, man führt ein ordentliches Leben. – Ein lediger Mensch lebt in meinen Augen nur halb – ich hab halt solche Augen, ich kann nicht dafür, ich hab es genug überlegt und bedacht, ich muß doch immer so denken.«

Darauf heißt es: »Nun aber, wer ist der Gegenstand meiner Liebe? – Erschrecken Sie auch da nicht, ich bitte Sie. – Doch[264] nicht eine Weberische? – Ja eine Weberische; aber nicht Josepha, nicht Sophie, sondern Constanze, die mittelste. Ich habe in keiner Familie eine solche Ungleichheit der Gemüter angetroffen wie in dieser. Die älteste ist eine faule, grobe Person, die es dick hinter den Ohren hat; die Lange ist eine falsche, schlecht denkende Person, eine Coquette; die jüngste ist noch zu jung um etwas seyn zu können, ist nichts als ein gutes, aber zu leichtsinniges Geschöpf – Gott möge sie vor Verführung bewahren! Die mittelste aber, nemlich meine gute, liebe Constanze ist – die Marterin darunter, und eben deswegen vielleicht die gutherzigste, geschickteste und mit einem Worte die beste darunter. Die nimmt sich um Alles im Hause an – und kann doch nichts recht thun. O mein bester Vater, ich könnte ganze Bögen voll schreiben, wenn ich Ihnen alle die Auftritte beschreiben sollte, die mit uns beyden in diesem Hause vorgegangen sind; wenn Sie es aber verlangen, werde ich es im nächsten Briefe thun. – Bevor ich Ihnen von meinem Gewäsche frey mache, muß ich Sie doch noch näher mit dem Charakter meiner liebsten Constanze bekannt machen. Sie ist nicht häßlich, aber auch nichts weniger als schön. Ihre ganze Schönheit besteht in zwey kleinen schwarzen Augen und in einem schönen Wachstum. Sie hat keinen Witz, aber gesunden Menschenverstand genug, um ihre Pflichten als Frau und Mutter erfüllen zu können. Sie ist nicht zum Aufwand geneigt, das ist grundfalsch; im Gegenteil ist sie gewohnt, schlicht gekleidet zu seyn, denn das Wenige, was die Mutter ihren Kindern hat thun können, hat sie den zwey anderen gethan, ihr aber niemalen. Das ist wahr, daß sie gerne nett und reinlich, aber nicht geputzt gekleidet wäre; und das Meiste, was ein Frauenzimmer braucht, kann sie sich selbst machen, und sie frisirt sich auch alle Tage selbst; versteht die Hauswirthschaft, hat das beste Herz von der Welt – ich liebe sie und sie liebt mich von Herzen – sagen Sie mir, ob ich mir eine bessere Frau wünschen könnte?«

Dann schließt er: »Das muß ich Ihnen noch sagen, daß damals,[265] als ich quittirte, die Liebe noch nicht war, sondern erst durch ihre zärtliche Sorge und Bedienung (als ich im Hause wohnte) gebohren wurde. Ich wünschte also nichts mehr, als daß ich nur etwas Weniges Sicheres bekomme (wozu ich auch Gottlob wirklich Hoffnung habe), so werde ich nicht nachlassen, Sie zu bitten, daß ich diese Arme erretten und mich zugleich mit ihr, und ich darf sagen, uns Alle glücklich machen darf – Sie sind es ja doch auch, wenn ich es bin? – und die Hälfte von dem Sichern, was ich bekommen werde, sollen Sie genießen, mein liebster Vater! – Nun habe ich Ihnen mein Herz eröffnet und mein Wort erklärt. – Ich küsse Ihnen tausendmal die Hände und bin ewig dero gehorsamer Sohn W.A. Mozart.«

So war von neuem Freude und Glückseligkeit in sein Herz eingezogen, und wieder hing ihm der Himmel voller Geigen. Er hatte gesucht, sich den Kammerdiener Strack, der beim Kaiser alles vermochte, durch Artigkeiten zu verbinden, und es schien wohl, als wenn dieser seinen Einfluß bei Hofe für ihn geltend machen werde. Auch war Hoffnung vorhanden, daß er bei der Hauskapelle des Fürsten Liechtenstein Dirigent und Kompositeur werde, und so stand allerdings »etwas Weniges Sicheres« in Aussicht. Allein Strack war eine Bedientenseele, der, persönlich für die »kleinen« Meister eingenommen, die Werke eines Haydn und Mozart nicht liebte und sich wohl hütete, dem Geschmacke des Kaisers irgend entgegenzutreten. Mit der Stellung beim Fürsten Liechtenstein ward es auch nichts. So blieb Mozart auf den unsicheren Ertrag von Konzerten und Lektionen beschränkt. Er hatte damals wirklich drei einträgliche Schülerinnen, die Gräfinnen Rumbeck und Zichy und die Frau von Trattnern. Vor allem aber stand die Hoffnung vor ihm, durch seine Oper einen Sieg zu erfechten, und sie machte seine Seele, die ohnehin damals schon in hohen Wogen ging, noch höher schwellen. Er fühlte seine Kraft, er hatte nichts als sein Ziel im Auge, durch große Leistungen seinen Beruf zu erfüllen.[266] Auch die Verlobung, die Ehe war ihm dazu nur ein Mittel, ein Weg, aber ein entscheidender. Sie allein konnte dem Gemüte, dem ganzen Dasein die Ruhe geben, deren er bedurfte, um seine Taten zu tun. Das fühlte er, und der Erfolg beweist, daß er Recht gehabt. Sein Geist wurde frei und heiter, und in vollen Strömen ergoß sich fortan, trotz mancher äußeren Not und allem Gedränge, die Fülle seines Innern.

Der Vater freilich schaute die Sache abermals anders an. Er sah wieder nur die Stube voll notleidender Kinder, die er dem Sohne schon einmal in so scharfer Beleuchtung gezeigt hatte. Nach seiner Ansicht machte Wolfgang nur einen dummen Streich nach dem andern, setzte rücksichtslos und leichtsinnig sein eigenes Glück wie das der andern aufs Spiel und rannte blindlings in sein Verderben. Und die Schilderung der Weberschen Familie war nicht geeignet, sein Vertrauen zu erwecken. Hatte Wolfgang sich in Aloysia geirrt, wo war die Sicherheit, daß er Constanze besser kannte? Da nun obendrein bereits die Nachricht nach Salzburg gekommen war, Mozart habe ein schriftliches Eheversprechen abgegeben, so blieb dem Vater nach seiner Art die Menschen zu betrachten, kein Zweifel, daß sowohl die Madame Weber wie ihre Fräulein Tochter mit schlauer Berechnung verfahren seien, den unerfahrenen, treuherzigen jungen Mann in ihr Netz gelockt und ihm dann das Versprechen gewissermaßen abgenötigt hätten. Er macht ihn darauf aufmerksam, daß er an dergleichen gar nicht gebunden sei. Allein wie hatte er sich verrechnet! Wolfgang giebt sogleich genügende Auskunft über diese Dinge.

Der Vormund der Weberschen Kinder, der Hofdirektions-Revisor und Theatergarderobe-Inspektor Johann Thorwarth, ein Mann, der besonders beim Grafen Rosenberg, dem Intendanten, viel galt, war durch Zuträger gegen Mozart eingenommen worden. Wolfgang schreibt: »Diesem (der mich gar nicht kennt) müssen so dienstfertige und naseweise Herren wie Hr. Winter und ihrer mehrere allerhand Dinge von mir in die[267] Ohren geschrieen haben – daß man sich mit mir in Acht nehmen müsse – daß ich nichts Gewisses hätte – daß ich starken Umgang mit ihr hätte – daß ich sie vielleicht sitzen lassen würde – und das Mädchen hernach unglücklich wäre u.s.w. Dies kroch dem Herrn Vormund in die Nase – denn die Mutter, die mich und meine Ehrlichkeit kennt, ließ es dabey bewenden und sagte ihm nichts davon – denn mein ganzer Umgang bestand darin, daß ich – dort wohnte – und nachher alle Tage ins Haus kam. – Außer dem Hause sah mich kein Mensch mit ihr. – Dieser lag der Mutter mit seinen Vorstellungen so lange in den Ohren, bis sie mir es sagte, und bat mich mit ihm selbst davon zu sprechen, er wolle die Tage herkommen. – Er kam – ich redete mit ihm – das Resultat (weil ich mich nicht so deutlich explicirte als er es gewollt) war – daß er der Mutter sagte, mir allen Umgang mit ihrer Tochter zu verwehren, bis ich es schriftlich mit ihm ausgemacht habe. – Die Mutter sagte: Sein ganzer Umgang besteht darin, daß er in mein Haus kömmt, und – mein Haus kann ich ihm nicht verbieten – er ist ein zu guter Freund, und ein Freund, dem ich viele Obligationen habe – ich bin zufrieden gestellt, ich traue ihm – machen Sie es mit ihm aus. – Er verbot mir also allen Umgang mit ihr, wenn ich es nicht schriftlich mit ihm machte. Was blieb mir also für ein Mittel übrig? – eine schriftliche Legitimation zu haben oder – das Mädchen zu verlassen. – Wer aufrichtig und solid liebt, kann der seine Geliebte verlassen? – kann die Mutter, kann die Geliebte selbst nicht die abscheulichste Auslegung darüber machen? – Das war mein Fall. Ich verfaßte die Schrift also, daß ich mich verpflichte, in Zeit von drei Jahren die Mademoiselle Constanze Weber zu ehelichen, oder wofern sich die Ohnmöglichkeit bey mir ereignen würde, daß ich meine Gedanken ändern sollte, so solle sie jährlich 300 fl. von mir zu ziehen haben.«

Das waren Vorgänge, bei denen Wolfgang gar übel zu[268] Mute geworden sein mag. Allein das Versprechen schien ihm, wie er dem Vater versichert, ganz ohne Gefahr zu sein, da er gewiß gewußt habe, daß er sie nie verlassen werde; wenn dieser unglückliche Fall aber denkbar sei, daß er froh sein würde, sich mit 300 fl. frei kaufen zu können. Auch sei seine Constanze, wie er sie kenne, viel zu stolz, um sich verkaufen zu lassen. »Was that aber das himmlische Mädchen, als der Vormund fort war?« ruft er mit Entzücken aus. »Sie begehrte von der Mutter die Schrift – sagte zu mir: Lieber Mozart! ich brauche keine schriftliche Versicherung von Ihnen, ich glaube Ihren Worten so – und zerriß die Schrift – Dieser Zug machte mir meine liebe Constanze noch werther.«

Das alles war nun in Wien bekannt geworden. Man hatte zwar auf Parole d'honneur Stillschweigen gelobt, aber natürlich nicht gehalten. Dies sei allerdings Unrecht, gesteht Wolfgang, und das ganze Benehmen sei tadelnswert, auch Herr von Thorwarth habe gefehlt, doch nicht so sehr, daß er und Mad. Weber, in Eisen geschlagen, Gassen kehren und am Halse eine Tafel tragen sollten, mit den Worten: Verführer der Jugend: »Das ist auch übertrieben.« Es sei ein falsches Vorgeben, daß man ihm zu Liebe Tür und Tor öffnet, ihm alle Freiheiten im Hause gelassen, ihm alle Gelegenheit dazu gegeben u.s.w., – vielmehr sei das Gegenteil wahr, und ein solches Haus würde er auch nicht frequentiert haben.

So setzte Mozart seinem Vater das Recht einer aufrichtigen Neigung entgegen, Ueberhaupt werden wir jetzt erkennen, wie er mit der Macht seiner edlen Natur sich durch widrige, ja gemeine Verhältnisse durchzukämpfen weiß, ohne daß auch nur ein Fleckchen des Schmutzes an ihm selbst hängen bliebe. Freilich hatte er keine andere Waffe gegen solche Dinge als eben dieses reine Herz, aber dieses ist es auch, was ihm trotz aller Bedrängnis Ruhe und Sicherheit, ja innere Heiterkeit gewährt. Doch war es ohne einige starke Aufregungen, ja Empörungen sei nes Inneren nicht abgegangen.[269] Der »Spitzbube« Winter, der als Schüler Voglers schon von Mannheim her sein Feind war, hatte in München über Mozarts Verhältnis zu Constanze die schändlichsten Verleumdungen erzählt, und diese waren bis nach Salzburg gedrungen. Solche Handlungsweise empörte nun Mozart um so mehr, als gerade Winter, wenn er den Namen eines Mannes (denn er ist verheyrathet), oder doch wenigstens eines Menschen verdient, und von dem er nicht anstatt »infamer Lügen infame Wahrheiten« sagen wollte, unter anderem einmal zu ihm geäußert hatte: »Sie sind nicht gescheidt, wenn Sie heyrathen; Sie verdienen Geld genug, Sie können es schon – halten Sie sich eine Geliebte. Was hält Ihnen denn ab? Das bissel Dreck Religion?« Ja, der gehässige Mensch hatte sich nicht entblödet, Constanze ein »Luder«, d.h. eine Person, die nur ihre Absicht verfolgt, zu heißen. – »Gott! – in diesem Augenblicke erhalte ich ein Schreiben von meinem lieben, besten Vater!« – schließt Mozart einen Brief an die Schwester, in dem er soeben noch in der heitersten Weise über allerhand Salzburger Dinge geschrieben hatte, – »wie kann es doch so Ungeheuer von Menschen geben? – Geduld! – Vor Zorn und Wuth kann ich nicht mehres schreiben, nur das – daß ich ihm nächsten Posttag darauf antworten werde – und ihm zeigen werde, daß es Menschen giebt, die mehr – als Teufel sind.« – Und doch konnte Mozart bereits in einem der nächsten Briefe mit der Ruhe des guten Gewissens sagen: »Meine Maxime ist, was mich nicht trifft, das achte ich auch nicht der Mühe werth, daß ich davon rede; – ich kann mir nicht helfen, ich bin einmal so. – Ich schäme mich ordentlich mich zu vertheidigen, wenn ich mich falsch angeklagt sehe, ich denke mir immer, die Wahrheit kommt doch an den Tag.«

All diese Dinge beirren ihn nicht. Er beharrt auf dem Worte: »Ohne meine Constanze kann ich nicht glücklich sein, und ohne Ihre Zufriedenheit darüber würde ich es nur halb sein; machen Sie mich also ganz glücklich, mein liebster, bester Vater;[270] ich bitte Sie.« – Allein der Vater war mit solchen Erklärungen nicht zufrieden und machte Einwendung über Einwendung, so daß der Kampf zwischen beiden immer härter wurde, und Wolken des garstigsten Staubes die klare Einsicht in die Sache stets mehr erschwerten. Zunächst hieß es, die Mutter wolle doch nur für sich Vorteil ziehen aus dieser Heirat. »Wir beyde haben die Absichten der Mutter längst gemerkt,« entgegnet Wolfgang, »sie wird sich aber gewiß sehr betrügen. Denn sie wünschte uns (wenn wir verheyrathet seyn würden) bey sich auf dem Zimmer zu haben (denn sie hat Quartier zu vergeben) – daraus wird aber nichts, denn ich würde es niemalen thun und meine Constanze noch weniger. Au contraire, sie hat im Sinne, sich bey ihrer Mutter sehr wenig sehen zu lassen, und ich werde mein möglichstes thun, daß es gar nicht geschieht – wir kennen sie.« Dann aber wird die Tochter selbst angegriffen, worauf Wolfgang schmerzlich erregt schreibt: »Nur noch dieses – denn ohne dieses könnte ich nicht ruhig schlafen – muthen Sie meiner lieben Constanze keine so schlechte Denkungsart zu, glauben Sie gewiß, daß ich sie mit solchen Gesinnungen ohnmöglich lieben könnte. – Liebster, bester Vater, ich wünschte nichts, als daß wir bald zusammenkommen, damit Sie sie sehen und lieben – denn Sie lieben die guten Herzen – das weiß ich!«

Schon vorher hatte er dem Vater geschrieben: »Wenn ich von unserem lieben Gott schriftlich haben könnte, daß ich gesund bleiben und nicht krank sein werde – o so wollt ich mein liebes treues Mädchen noch heute heyrathen.« Durch drei Schülerinnen kam er monatlich auf 18 Dukaten; wenn nur noch eine dazu käme, mache es 102 fl. 24 kr., damit könne man mit einer Frau still und ruhig, wie sie zu leben wünschten, wohl auskommen. Freilich, wenn er krank werde, sei es mit der Einnahme aus; sonst könnte er jährlich eine Oper schreiben, ein Konzert geben, Sachen stechen lassen und auf Subskription herausgeben, aber das müßten nur Accidentien sein. »Doch – wenn es nicht geht, so muß es[271] brechen –« heißt es zum Schluß, »und ich wage es eher auf diese Art, als daß ich lange warten sollte. Mit mir kann es nicht schlechter, sondern es muß immer besser gehen. Warum ich aber nicht mehr lange warten kann, ist nicht allein meinetwegen, sondern hauptsächlich ihretwegen – ich muß sie sobald möglich erretten.« Bald darauf vertraut er der Schwester, wie es eigentlich in dem Hause aussah: »Bis neun Uhr arbeite ich; dann gehe ich zu meiner lieben Constanze, allwo uns aber das Vergnügen uns zu sehen durch die bitteren Reden ihrer Mutter mehrentheils verbittert wird, welches ich meinem Vater im nächsten Brief erklären werde, und daher gehört der Wunsch, daß ich sie sobald möglich befreyen und erretten möchte. Um halb elf oder elf Uhr komme ich nach Haus, das besteht von dem Stuß ihrer Mutter oder von meinen Kräften ihn auszuhalten.«

Nun versuchte er auch zwischen den beiden Mädchen eine Annäherung herbeizuführen: »Meiner lieben Schwester schicke ich zwey Hauben nach der neuesten Wiener Mode; beyde sind eine Arbeit von den Händen meiner lieben Constanze, sie empfiehlt sich Ihnen gehorsamst und küßt Ihnen die Hände, und, meine Schwester, umarmt sie auf das freundschaftlichste und bittet um Vergebung, wenn die Hauben nicht zum allerbesten ausgefallen sind, die Zeit war zu kurz.« Zum Schluß heißt es in der kindlich bescheidenen Weise, die ihm eigen: »Eben ist meine Constanze über mich gekommen, ob sie sich nicht unterstehen dürfte, meiner Schwester ein kleines Angedenken zu überschicken. Ich soll sie aber gleichwohl entschuldigen, sie sey ein armes Mädchen, habe nichts zum Besten und meine Schwester soll den guten Willen für das Werk ansehen. Das Kreuzel ist von keinem großen Werth, aber die Hauptmode in Wien. Das Herzl mit dem Pfeil ist aber dem Herzl mit dem Pfeil meiner Schwester mehr anpassend, und wird ihr also besser gefallen.«

Dieses Entgegenkommen wurde zwar freundlich aufgenommen, aber der Vater ließ nicht nach mit Einwendungen und machte[272] seinen Sohn besonders auf Fehler der Mutter aufmerksam, bei denen eine gute Erziehung nicht möglich sei. Darauf erfahren wir denn wieder schöne Dinge: »Der Appendix ihre Mutter betreffend ist nur soweit gegründet, daß sie gern trinkt und zwar mehr als eine Frau trinken sollte. – Doch – betrunken habe ich sie noch nicht gesehen, das müßte ich lügen. Die Kinder trinken nichts als Wasser, und obschon die Mutter sie fast zum Wein zwingen will, kann sie es doch nicht dazu bringen; da giebt es denn öfters den größten Streit deswegen. – Könnte man sich wohl so einen Streit von so einer Mutter vorstellen?« Aber um das Maß des Kummers erst voll zu machen, kam noch eine leidenschaftliche Heftigkeit Constanzens dazu, die ihm manche schwere Stunde bereitete. Von diesem Leidwesen giebt uns folgender Brief Zeugnis, den Mozart am 29. April 1782, also fast ein halbes Jahr nach ihrer Verlobung, zu schreiben gezwungen war, und der seine Art zu denken in schöner Weise darlegt. Er lautet:

»Liebste, beste Freundin! Diesen Namen werden Sie mir ja doch erlauben, daß ich Ihnen geben darf? So sehr werden Sie mich ja doch nicht hassen, daß ich nicht mehr Ihr Freund seyn darf und Sie nicht – mehr meine Freundin seyn werden? Und – wenn Sie es auch nicht mehr seyn wollen, so können Sie es mir doch nicht verbieten, gut für Sie, meine Freundin, zu denken, wie ich es nun schon gewohnt bin. Ueberlegen Sie wohl, was Sie heut zu mir gesagt haben. Sie haben mir (ohngeachtet allen meinen Bitten) dreimal den Korb gegeben und mir gerade ins Gesicht gesagt, daß Sie mit mir nichts mehr zu thun haben wollten. Ich, dem es nicht so gleichgültig ist wie Ihnen, den geliebten Gegenstand zu verlieren, bin nicht so hitzig, unüberlegt und unvernünftig den Korb anzunehmen. Zu diesem Schritte liebe ich Sie zu sehr. Ich bitte Sie also, noch einmal die Ursache dieses ganzen Verdrusses wohl zu überlegen und zu überdenken, welche war, daß ich mich darüber aufgehalten, daß Sie so unüberlegt waren, Ihrer Schwester, NB. in meiner Gegenwart zu sagen, daß[273] Sie sich von einem Chapeau haben die Waden messen lassen. Das thut kein Frauenzimmer, welches auf Ehre hält. Die Maxime, in der Compagnie mitzumachen, ist sehr gut. Dabey muß man aber viele Nebensachen beachten; ob es lauter gute Freunde und Bekannte sind; ob ich ein Kind oder schon ein Mädchen zum Heyrathen bin? besonders ob ich eine versprochene Braut bin? hauptsächlich aber, ob lauter Leute meines Gleichen oder Niedrigere als ich, besonders aber Vornehmere als ich dabey sind? – Wenn es sich wirklich die Baronin selbst hat thun lassen, so ist es ganz was anders, weil sie schon eine übertragene Frau (die ohnmöglich mehr weiter kann) ist – und überhaupt eine Liebhaberin von etcaetera ist. Ich hoffe nicht, liebste Freundin, daß Sie jemals so ein Leben führen wollten wie sie, wenn Sie auch nicht meine Frau seyn wollen. Wenn Sie schon dem Triebe mitzumachen – obwohl das Mitmachen einer Mannsperson nicht allezeit ansteht, desto weniger aber einem Frauenzimmer, – konnten Sie aber ohnmöglich widerstehen, so hätten Sie in Gottes Namen das Band genommen und sich selbst die Waden gemessen (sowie es noch alle Frauenzimmer von Ehre in meiner Gegenwart in dergleichen Fällen gethan haben), und nicht von einem Chapeau (ich – ich – würde es niemalen im Beyseyn Anderer gethan haben), desto weniger also von einem Fremden, der mich gar nichts angeht. – Doch das ist vorbey, und ein kleines Geständniß Ihrer damaligen, etwas unüberlegten Aufführung würde Alles wieder gut gemacht haben und – wenn Sie es nicht übel nehmen, liebste Freundin – noch gut machen. Daraus sehen Sie, wie sehr ich Sie liebe. Ich brause nicht auf wie Sie – ich denke – ich überlege und ich fühle. Fühlen Sie, haben Sie gefühlt, so weiß ich gewiß, daß ich heute noch ruhig werde sagen können: die Constanze ist die tugendhafte, ehrliebende, vernünftige und getreue Geliebte des rechtschaffenen und für Sie wohldenkenden Mozart.«

So machten die beiden Liebenden, wie es zu sein pflegt, das[274] Leben einander sauer, denn dies war gewiß nur ein besonderer Fall unter andern, in denen der jugendliche Brausekopf Constanzens den zarten Sinn des jungen Künstlers verletzte. Bedenkt man nun, welche Störungen das rohe Benehmen der Mutter und das fortdauernde Widerstreben des Vaters mit seinen Launen in Mozarts Innerem erregen mußten, so begreift man kaum, wie es möglich ist, daß er gerade in dieser Zeit wieder an seiner Oper komponierte. Denn auf die Anfrage des Vaters schreibt er acht Tage nach dem oben angeführten Briefe: »Gestern war ich bei der Gräfin Thun und habe ich ihr meinen zweiten Act vorgeritten.« Er hatte also doch ein Asyl, wohin er sich vor den Plackereien des Lebens zurückziehen konnte, und da verschrieb er sich denn öfters bis 1 Uhr nachts: »und dann wieder um 6 Uhr auf!« Das war aber auch in dieser schweren Zeit sein einziger Trost, und er durfte wohl schreiben: »Ich freue mich recht sehr auf diese Oper, das muß ich Ihnen gestehen.« Ja, diese Hoffnung erheitert ihn so, daß seine Briefe wieder mit Witzen und Kindereien verbrämt werden. Dem Hunde »Pimperl« wird eine Prise spanischer Toback geschickt, der Mlle. Marchand, einer Schülerin des Vaters, ein paar Busserln – »meine liebe Constanze hat es mir schon erlaubt«, – und von einem Herrn v. Feigerle wird berichtet, daß er geschrieben habe, er sei verliebt, – »und in wen? – in meine Schwester – Nein – in – meine Baase!« Jene kleine Notiz aber war das Einzige, was der Vater, dem sonst so ausführlicher Bericht über den Fortgang der Kompositionen gegeben wurde, diesmal über das Werk, das Mozarts Seele so sehr beschäftigte, zu hören bekam. Er selbst war sich bewußt, daß seine Musik gut sei, und durfte des Erfolges sicher sein, da er, der sonst, wie er schreibt, »schlechterdings seinen eigenen Empfindungen folgte«, diesmal möglichst auf den Geschmack der Wiener Rücksicht genommen hatte. Doch hatte er wieder mit starken Kabalen zu kämpfen, und es bedurfte eines ausdrücklichen Befehls von seiten des Kaisers, damit die Oper[275] am 12. Juli wirklich gegeben wurde. Das Publikum, wie hoch gespannt auch seine Erwartungen gewesen waren, es wurde durch diese Musik überrascht, entzückt, hingerissen. Das Haus war gedrängt voll. Beifall und Dacaporufen wollte kein Ende nehmen, und die Aufführungen folgten rasch nacheinander. Mozart berichtet dies dem Vater folgendermaßen:

»Gestern ist meine Opera zum zweyten Male gegeben worden. Könnten Sie wohl vermuthen, daß gestern noch eine stärkere Cabale war, als am ersten Abend? Der ganze erste Act ist verwischt worden, aber das laute Bravo-Rufen unter den Arien konnten sie doch nicht verhindern. Meine Hoffnung war also das Schluß-Terzett, da machte aber das Unglück den Fischer fehlen, dadurch fehlte auch der Danner (Pedrillo), – und Adamberger allein konnte auch nicht Alles ersetzen; mithin ging der ganze Effekt davon verloren, und wurde für dieß Mal – nicht repetirt. Ich war so in Wut, daß ich mich nicht kannte, sowie auch Adamberger. – Das Theater war noch fast voller, als das erste Mal; den Tag vorher konnte man schon keine gesperrten Sitze mehr haben.« Bei jeder folgenden Aufführung ungeachet der »erschröcklichen Hitze« wimmelte das Theater allezeit von Menschen. »Es thut Einem doch wohl, wenn man solchen Beifall erhält,« sagt er. Seine Seele hob sich unter dieser allgemeinen Anerkennung hoch empor und dem Geiste wuchsen neue Schwingen. Kaiser Joseph, der nicht ahnte, was er diesmal hervorgerufen, äußerte: »Zu schön für unsere Ohren und gewaltig viel Noten, lieber Mozart!« – worauf dieser freimütig entgegnete: »Gerade so viel Noten, Ew. Majestät, als nöthig ist.« Er war sich seiner Kunst und seiner Kraft vollkommen bewußt geworden. Gluck, der Altmeister unter den berühmten Komponisten und derzeit der Vornehmste in der musikalischen Welt Wiens, ließ sich die Oper aufführen, obwohl sie erst wenig Tage vorher gegeben war, und lud dann den Komponisten, dem er viele Komplimente machte, zu sich zum Speisen ein.[276]

Jetzt war Mozarts Glück gemacht, er galt als einer der ersten Komponisten Wiens, und bald war die Oper in ganz Deutschland verbreitet. Ausgezeichnete Besprechungen erfolgten in den öffentlichen Blättern. Man begann zu ahnen, daß hier die erste wahrhaft deutsche Oper vorliege. Goethe, der sich viel für das Singspiel interessierte und selbst manches Gedicht verfaßt hatte, um es von seinem Freunde Philipp Christoph Kayser (1755–1823) komponieren zu lassen, schrieb von der italienischen Reise aus: »Alles unser Bemühen, uns im Einfachen und Beschränkten abzuschließen, ging verloren, als Mozart auftrat. Die Entführung aus dem Serail schlug alles nieder, und es ist auf dem Theater von unserm so sorgsam gearbeiteten Stück niemals die Rede gewesen.«

Mozart hatte aber auch wieder sein Bestes daran gesetzt, um das Beste zu gewinnen. Galt es doch jetzt außer dem Ruhme noch die Erringung einer Lebensstellung, an die sich der Besitz des geliebtesten Mädchens knüpfte. All die Not die er um sie hatte, verdichtete sich zu den wundervollen Tönen der Klage, die aus Constanzens Arie »Traurigkeit ward mir zum Loose« hervorklingt. All seine Seligkeit im Genuß der schönsten Herzensneigung und in der bangen Sehnsucht nach dem dauernden Besitze seines Mädchens drängte sich in Belmontes Arie zusammen. Und wo anders ist der Zauber zu finden, der in den Melodien des »O wie ängstlich« so sehnsuchtsvoll ertönt? Wo jene innerste Befriedigung des Herzens, die in dem Rondo »Wenn der Freude Thränen fließen« so innerlich warm, so glückselig sich ausspricht:


»Ach, Constanze, Dich zu sehen,

Dich voll Wonne und Entzücken

An mein treues Herz zu drücken!«


Man sieht, es war alles in ihm wahr geworden, was er einst nur in seligem Traum gehofft hatte. Und jetzt, wo er diese Wonne in vollen Zügen einsog, wieviel herrlicher war sie als aller[277] Traum und wie so glühend strömt sie aus dem überwallenden Herzen hervor!

Aber es war doch noch etwas in dieser Oper, das über dies fast hinausgeht, das war die Komik, der echte Humor, der in ihr floß, und der war noch viel neuer als jene innige Gefühlsweise, die doch vom Volksliede her ihre Sprache entlehnen konnte. Eine Figur wie Osmin hatte die deutsche Oper nicht besessen, sie ist überhaupt die erste wirklich komische Gestalt in der dramatischen Musik, gegen welche die Figuren der Opera buffa Schablonen und die der französischen Operette nur leichte Ansätze des Witzes sind. Hier offenbart sich zum ersten Male die Tiefe des Mozartschen Geistes, und es ist nicht sowohl zu verwundern, daß die Not der letzten Zeit ihm die Freiheit des Geistes ließ, die solche Figuren aus dem Leben herauserschaut; sondern gerade durch die Not, die ihm die Brutalität wie die Gemeinheit der Menschen bereitet hatte, gewann er erst einen Blick in das große Wirrsal des Lebens. Und wie er denn als der Genien einer, die mit ihrem Herzen am Pulsschlage der Menschheit liegen, eine Ahnung von dem Gesetze, das in allem Dasein liegt, und von der steten Ausgleichung aller Unvollkommenheiten im menschlichen Leben bekam, so erfaßte er den tieferen Sinn all dieser Dinge, die im gewöhnlichen Leben als schlecht, gemein oder gar frivol gelten, und erkannte in ihnen jene allumfassende Torheit, die er mit göttergleichem Gleichmut sein ließ, wie sie ist, und in seinen Bildern einfach hinstellte. Hieraus erwuchs eine Figur wie der Osmin, der mit seiner plump-sinnlichen Art, seiner rohen Dummheit und Verliebtheit so recht mitten aus dem Leben gegriffen ist, wie ein Niederländer seine Bauern und ein Shakespeare seinen Falstaff der Wirklichkeit entlehnte. Und wie er nun den Osmin sich, gleich jenem Grafen Arco, mit aller Behaglichkeit breit machen und in seinem wüsten Diensteifer sich fort und fort überstürzen und so stets die kleinen Strafen für seine Rohheit und seinen Uebermut finden läßt, darin beweist sich eine Reife[278] des Geistes für den kaum Sechsundzwanzigjährigen, die es uns begreiflich macht, warum Mozart trotz allem Widerwillen und Zorn über die Roheit des Erzbischofs und seines würdigen Kammerherrn und trotz aller Empörung und Wut über Winters infame Verleumdungen in tiefster Seele doch jenen Gleichmut trägt, dem solche Dinge nur ein vorübergehend Wind und Wetter sind.

Fußnoten

1 Klatschbase.


Quelle:
Ludwig Nohl: Mozarts Leben. Berlin 4[um 1910], S. 279.
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