Joseph Haydn.

[26] Die Zeit, die nun folgt, zeigt nicht mehr die Ruhe und Selbstgewißheit jener Meister. Die Gemüther fanden sich nicht mehr befriedigt in der Innerlichkeit, in der Gemüthsvertiefung, welche die Reformation gebracht hatte, ein anderes Bedürfniß machte sich geltend, man fing an, das Mißverhältniß zwischen dem innern und äußern Leben zu ahnen, ja zum Theil recht lebhaft zu empfinden: die Religion, wie sie bestehe, gebe dem Leben nicht seine vollen Rechte. Sonderlich das Graue, Farblose in dem Cultus der protestantischen Kirche mochte Manchem nicht gefallen, der andrerseits in der veralteten Pracht des Katholicismus[26] wohl noch Nahrung für seine Phantasie, aber nicht für das Herz fand. Es zeigte sich bald eine große Gleichgültigkeit gegen religiöse Dinge in Folge der »Aufklärung«, dann ein entschiedener Widerspruch, und als der volle Bruch geschehen war, ein allgemeines tiefes Sehnen nach einem neuen Gehalte für das Leben, das sich zunächst wieder als Mystik äußerte, aber nicht mehr als christliche. Die nähere Ausführung dieser Zustände gehört in die Culturgeschichte. Hier interessirt uns nur, was davon für die Kunst von Bedeutung ward, und zwar bezeichnen in Musik und Poesie jenes erste Stadium, die Gleichgültigkeit gegen das, was die Kirche lehrte, Mozart und Goethe; das zweite, das in der Literatur Lessing und Schiller bezeichnen, war wegen mangelnder Einheit und Sicherheit der Empfindung der Musik durchaus ungünstig; und das dritte, das gewaltige Sehnen, sprach sich wieder in Schiller und deutlicher in Beethoven aus.

J. Haydn war noch kirchenfromm, aber wie ein Kind; er untersuchte nicht den Inhalt seiner Religion, er zweifelte noch nicht, aber er kümmerte sich auch im Grunde nicht viel darum. Er hat niemals eine Ahnung bekommen von den Tiefen des Gefühls, die sich dem alten Cantor an der Thomaskirche in Leipzig aus seinem Evangelium erschlossen. Zu Beethoven sagte er freilich, als dieser seine »Schöpfung« lobte: »so etwas würde er niemals schreiben können, denn er sei ein Atheist«. Aber das klingt gerade, als wenn Gretchen auf den tiefen Erguß der Seele in Faust's Religionsbekenntniß antwortet: »Steht aber doch immer schief darum, denn du hast kein Christenthum.« Haydn ahnte nichts von der Tiefe des jungen Mannes, der ihm gegenüberstand und der bald laut die Sprache des neuen Geistes reden sollte, der über der Welt aufgegangen war.[27] Er blieb bis zu seinen Greisentagen das kindliche Gemüth, das nicht satt ward, seinen Frohsinn immer wieder auszusingen. Auch Kinder können Schmerzen empfinden, können betrübt sein, aber es währt nicht lange und ihr Gesicht lacht wieder. Das Wohlthuende und Anziehende, das Haydn's Werke noch heute für uns haben, ist dasselbe, was uns zu den klaren Augen der Kinder zieht; in ihrer Seele ist noch nichts getrübt, noch alles in Ordnung, aber es ist auch noch nichts entwickelt, noch wenig von den Tiefen enthüllt, die den Menschen vom Thiere unterscheiden, sie sind sich ihrer selbst noch nicht bewußt geworden. Haydn's Gebete sind wie fromme Kindergebete, innig, aber ohne jene glühende Hingebung, die Trost und Hülfe von oben sucht. Er ist noch nicht eigentlich erwacht, seine eigene Empfindung ist ihm noch nicht zum vollen Bewußtsein gekommen, daher er statt den unerschöpflichen Born der Menschenseele in tausend neuen Gestalten sich ergießen zu lassen, im Grunde immerfort dasselbe ausspricht, wie Kinderaugen immer dieselben bleiben, sie mögen weinen oder lachen, wo Augen der Erwachsenen unergründlich sind in ihrer Tiefe und unberechenbar in der Mannichfaltigkeit ihres Ausdrucks. Haydn ist für die Periode der Musik, die er beginnt, zeitlebens das »Kind« geblieben, obwohl die meisten der Werke, die wir bewundern, geschrieben sind, nachdem Mozart bereits todt war; er ist nie eigentlich erwachsen geworden. Aber dennoch bezeichnet schon er auch in dem Punkte, der uns hier vor Allem interessirt, im Verhältniß seines Geistes zum höchsten Wesen, in der Religion, durchaus die neue Zeit. Seine Religion ist wie die jugendlicher Völker durchaus Naturreligion, Verehrung der Natur; seine »Schöpfung« und »die Jahreszeiten« sind nichts weiter als dies. Ihm hat sich der Geist noch[28] nicht von der Natur befreit, seine Gebete sind noch wie die Dankesopfer kindlicher Völker, Gaben der Natur dargebracht der Natur, die Alles giebt. Aber befreit erscheint schon er von dem Gängelbande, an dem die Welt Jahrhunderte lang gegangen war. Und so ist er als der Erste zu bezeichnen, der seine Werke um ihrer selbst willen schrieb, rein von dem Geiste der Kunst zum Sprechen getrieben.

Mozart ging ebenfalls noch zur Kirche; er schreibt's seinem Vater ausdrücklich, als er schon längst verheirathet ist. Aber »innerhalb der rein ästhetischen Geistesstimmung regt sich kein Bedürfniß nach den Trostgründen der Speculation« schreibt Schiller (an Goethe Nr. 189). War dies nun Folge der Richtung jener Zeit, oder war es Folge seiner besondern Organisation, daß er sich wie Goethe im Grunde der Seele durchaus innerhalb seiner Kunst beruhigt fühlte? Wir werden Beispiele genug vorzuführen haben, die recht eigentlich ein religiöses Gemüth bekunden. Aber man kann nicht sagen, daß seine Andacht mit der damaligen Kirche in besonderer Verbindung gestanden hätte, es war mehr bloße Naturandacht. Man wirft ihm von allen Seiten vor, daß er nicht eigentlich Kirchenmusik zu schreiben vermocht habe; und es ist wahr, er glaubte nicht mehr, wie Händel und Bach geglaubt hatten. Seine innersten Bedürfnisse waren innerhalb seiner Kunst befriedigt. Er war eine echt religiöse Natur, wenn man als den Grund aller Religion das Gefühl annimmt; er fühlte sich dem Unendlichen in jedem Augenblick lebhaft nahe, er hatte Gottes großes und unendlich liebevolles Angesicht oft genug geschaut. Und wäre ihm, wie den Andern seiner Zeit, für die Fülle und Unendlichkeit dieser Empfindung die Sprache versagt gewesen, hätte er sie nicht austönen können, er wäre nothwendig in die Speculation[29] (in Schiller's Sinne) hineingerathen. Nun aber vermochte er in Folge des angebornen Tonsinnes jede Regung, auch die tiefste und innerste seines Gefühls, in jedem Augenblicke auszusprechen; er lebte im Anschauen des Höchsten, wie kaum Einer, aber er konnte »in der Fülle der Gesichte« seiner Seele Luft machen, wie er wollte. »Und wenn der Mensch in seiner Qual verstummt, Gab mir ein Gott, zu sagen, wie ich leide.«

Wir werden bei Mozart Werke finden, wo der Gehalt, die Intensität der Empfindung über Alles geht, was die Kunst bisher gesehen hatte. Sein Schauen war ein wunderbares, aber er bannte es nicht mehr in den Dienst einer bestimmten Kirche, der nur das Innere heilig war. Ihm war Alles heilig, die Welt mit Allem, was darauf ist, war ihm ein Bild des Göttlichen. So konnte er sich mit offenen Sinnen und mit freiem Geiste ganz und voll auch dem Leben zuwenden und die Musik mit tausend neuen Gehalten bereichern. Bei Bach war »das Innere erschlossen als unendliche Tiefe, aber der Umfang war noch arm. Erst in Mozart, der sich dem freien Umgang mit der Welt hingab, rauschten alle verborgenen Saiten des Innern; erst wer sich in das Leben einläßt, kennt alle seine Qualen und Freuden, erst wer sich selbst angehört, trägt in sich nicht nur jene tiefere Resonanz, sondern dem klingt auch bei jeder Erfahrung das innere Echo; erst die mündige Subjectivität wird feinfühlend« (Bischer, Ästhet. II, S. 505). Diese Worte, die von der Musik überhaupt gesagt sind, passen ganz nur auf Mozart, den Vollender der Musik. Erst er war frei von der bestehenden Religion, die dem Menschen die Sinne band; erst ihm war der volle Gebrauch aller der Fähigkeiten wiedergegeben, die den ganzen Menschen machen. So konnte erst er die[30] Musik zu dem Ausdrucke dessen machen, was der ganze volle Mensch ist; erst er konnte ein Bild des Menschen hinstellen von einer Wahrheit, Fülle und Tiefe, wie es der Welt bis dahin nicht bekannt gewesen war. Ebenso war er noch frei von dem Sehnen, das die Zeit nach ihm erfüllte und wiederum den Menschen so band, daß ein reiner und freier Ausdruck seines Wesens, so wie er zur Kunst erforderlich ist, zum zweiten Male unmöglich ward.

Dieses Sehnen nun nach einem neuen Gehalte des Lebens oder vielmehr nach einem Gleichgewichte zwischen dem Innern und Äußern, das sich fortan in der realen Welt verwirklichen sollte, wie es sich in der idealen Welt gezeigt hatte, dieses Sehnen bezeichnet in der Musik der Name Beethoven. Wenn man sagt, er sei wieder zurückgesunken in den Subjectivismus Bach's, so ist dies vom rein ästhetischen Standpunkte aus ein durchaus gerechter Tadel, und es hilft nichts, daß seine Mystik durch ihren Gehalt eine neue Zeit verkündet. Beethoven sucht die Wahrheit, den Geist tiefer zu fassen, als Alle vor ihm, und gewiß, es gelingt ihm, Jeder fühlt es, daß hier ein unendlicher Schritt über Mozart hinaus gethan ist. Aber mit Trauer sieht man die schönen Gestalten, die jener göttliche Meister so eben für die Musik gewonnen, wieder schwinden, und statt herrlicher, schöner Menschen wieder Wesen hervortreten, die nicht Fleisch noch Bein haben, sondern wie Schemen einherschweben. Wieder tritt jener Überschuß von Geist ein, der das Gefühl für reine Schönheit so sehr beleidigt, jenes Etwas, das unausgesprochen hinter den Werken liegt, das uns von Neuem mit Sehnen, mit Unruhe erfüllt, wo uns Mozart den reinen Himmelsfrieden des Schönen bereits gebracht hatte. Wir trauern um das verlorne Schöne, und alle Herrlichkeit[31] und Tiefe des neuen Geistes vermag uns nicht zu entschädigen für den Verlust der reinen Harmonie. Es klingt wieder eine tiefe Disharmonie durch die ganze Welt, und Beethoven ist der Erste, der sie ganz und voll ausgesprochen. Ihm war bereits die bisherige Religion ganz fremd, er ging nicht einmal mehr zur Kirche, wie Mozart noch aus Gewohnheit gethan und weil es die Andern auch so machten. Der Widerspruch war schon nicht mehr vorhanden, der Bruch war entschieden, und nun suchte Beethoven zeitlebens mit dem unstillbaren Weh des ewigen Sehnens nach einer neuen Handhabe für das Leben, nach Trost. Denn er bedurfte dessen, wie seine Zeit; selbst ihm, dem Künstler, war nicht mehr Genüge in seiner Kunst, immerfort geht er darüber hinaus, sie ist ihm nur ein Mittel, seine Ideen, seine Hoffnungen, sein Sehnen auszusprechen. Er fühlt für die ganze Menschheit, er sucht seinen Gott mit der ganzen Gewalt seiner Seele, um ihn, wie der Propheten Einer, seinem Volke wiederzugeben. Er geht wieder auf den Grund aller Religion zurück, auf das reine Gefühl der Abhängigkeit von einem höchsten Wesen. Er hatte eigenhändig zwei Aufschriften, angeblich von einem Isistempel, abgeschrieben und in Rahmen gefaßt Jahre lang auf dem Schreibtische stehen:

I. »Ich bin, was da ist. Ich bin Alles, was ist, was war und was sein wird. Kein sterblicher Mensch hat meinen Schleier aufgehoben.«

II. »Er ist einzig von ihm selbst, und diesem Einzigen sind alle Dinge ihr Dasein schuldig.«

Auch er griff, von den Menschen ohne Befriedigung gelassen, wieder zur Natur zurück; aber wie ganz anders als Haydn. Er hatte in der Natur den Geist geschaut,[32] den Ewigen, und diesem sang er nun mit mächtiger Stimme unendliche Lobgesänge. Aber er hatte ihn noch nicht erkannt, er selbst brachte noch nicht Lösung des Räthsels, seine Werke geben nicht eigentlich Befriedigung. Aber Stärkung, Muth zum Weiterringen geben sie, da sie einen unwandelbaren Glauben an die Existenz des Guten und Wahren mit einer Gewalt der Stimme aussprechen, die Keiner vor ihm besessen.

Es waltet also hier ein Interesse mehr ethischer als ästhetischer Natur. Wir werden diese Betrachtung an einer spätern Stelle, wo es mit mehr Nachdruck geschehen kann, zu Ende führen, jedoch schon hier eine der Wirkungen der vorzugsweise ethischen Richtung der Beethoven'schen Natur näher ausführen, um dem Wesen der Mozartschen Musik auf demselben Wege näher zu kommen, wie man die reine Schönheit der griechischen Baukunst erst vollkommen erkennt durch die Betrachtung der Übergriffe und der Häufung von Einzelheiten, die der Geist der großartigen Zweckmäßigkeit in die Colossalbauten der Römer brachte.

Quelle:
Ludwig Nohl: W.A. Mozart. Ein Beitrag zur Ästhetik der Tonkunst, Heidelberg 1860, S. 26-33.
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