4.

Im Kapellhause zu Wien.1

Wien, das in den 40er Jahren des vorigen Jahrhunderts beiläufig den fünften Theil der heutigen Einwohnerzahl aufzuweisen hatte, verglich ein etwas späterer Chronist mit der Fassung eines glänzenden Ringes: In der Mitte ein großer Brillant; rings um denselben ein Kreis von Smaragden, und der äußere Rand eine Reihe vielfarbiger Steine. Eine breite Wiesenfläche, durchzogen von schattigen Alleen, umgab die eigentliche innere Stadt, und von den ebenfalls mit Bäumen bepflanzten Wällen schweifte das Auge auf die, die Stadt umgebenden Vorstädte und über dieselbe hinweg westwärts auf das in mäßiger Höhe sich hinziehende Kahlengebirge. Wir halten uns hier ausschließlich an den Dom und das Kapellhaus mit seiner nächsten Umgebung. Zehn Jahre verlebte hier Haydn. Als achtjähriger Knabe, dessen ganzer Besitz eine hübsche Stimme war, betrat er im Jahre 1740 den Schauplatz seiner nunmehrigen Weiterbildung, um am Schlusse des Jahrzehnts stimmberaubt und ebenso arm wie er gekommen war, in unbarmherziger Weise dem unstäten Gewoge des Lebens preisgegeben zu werden. Seine Heimat war in dieser Zeit das Kapellhaus und statt der unscheinbaren Gotteshäuser in Rohrau und Hainburg genoß er nun in unmittelbarer Nähe den erhebenden Anblick eines majestätischen Domes, in dessen kühn anstrebenden Hallen sich die Kindesstimme[27] glaubensfreudig mit dem übrigen Sängerchore messen sollte. Die Cantorei, wo Haydn wohnte, ist längst verschwunden und die Umgebung der Kirche erfuhr, namentlich auf der Westseite, eine gänzliche Umgestaltung. Es bedarf somit einer eingehenden Schilderung, um sich das Bild, das Haydn während seines Hierseins täglich vor Augen hatte, genügend vergegenwärtigen zu können.

Rings um den Dom breitete sich der mit einer Mauer umgebene Friedhof2 aus, zu dem von verschiedenen Seiten vier mit Statuen geschmückte Eingangsthore führten. Durch ein fünftes kleineres Thor gelangte man vom Friedhof aus in ein Seitengäßchen, das in seiner Ausmündung beim alten Roßmarkt (jetzige Stock-am-Eisen) noch heute besteht, aber nicht dem allgemeinen Verkehr zugänglich ist. Sämmtliche Thore wurden zur Nachtzeit geschlossen und bei Sterbefällen begehrte man dann beim Hüttenthor (Eingang von der Singerstraße) mittels Glockenzeichen nach einem Geistlichen zur Spendung des heiligen Sacramentes. Der ganze Platz, von breiten zu den Thoren führenden Wegen durchschnitten, war in größere und kleinere, mit einfachen Geländern abgegrenzte Gräberfelder abgetheilt, von denen einzelne besondere Benennungen hatten (Fürsten-, Palm-, Studenten-, Römerbühel). Auf einem derselben, im südwestlichen Winkel des Friedhofes, stand der neue Karner oder die Magdalenen-Kapelle. Auf demselben Feld gegen den Thurm hin war die auf Friedhöfen übliche Todtenleuchte (mit dem ewigen Licht für die Todten). Am Dome selbst waren ringsum zahlreiche zum Theil sehr alte Grabmäler aufgerichtet und obwohl ein großer Theil gerade zu jener Zeit zum Bau des Chor- und Curhauses verwendet worden war, zählt Ogesser 30 Jahre später doch noch deren über hundert auf.

Die Rundschau der Gebäude mit der westlichen Seite des Domes beginnend, sehen wir längs der Hauptfaçade des Domes eine schmale Reihe Häuser, die in ihrer Breite gegen die Brandstatt3 hin bis beiläufig in die Mitte der heutigen Fahrstraße[28] hereinreichte. In Front des Riesenthores und nach dem erzbischöflichen Palais hin sich erstreckend stand die niedere Meßnerwohnung, der sich das zweistöckige Bahrausleihamt anschloß, im Volksmunde noch immer nach dem früher hier befindlichen Gebäude »zum Heilthumstuhl« genannt.4 Eine Reihe Gewölbe und Magazine bildete die Gassenfront dieser beiden Gebäude. Gar wunderlich aber nahm sich die der Kirche zugewendete Seite dieser Häuser aus – ein Gemisch von unregelmäßig durcheinander gewürfelten Fenstern und Thüren jeder Größe und sonderbarem Winkelwerk. Die Meßnerwohnung diente drei Kränzelbinderläden als Lehne und am Bahrausleihamt erhoben sich zwei alterthümliche Doppelsäulen mit Figuren (Ueberbleibsel des Heilthumstuhls), durch kleine Dächer vor Wind und Wetter geschützt. Neben ihnen an das Bahrausleihamt angebaut befand sich ein vorspringendes Hüttchen: der Laden des Johann Georg Binz, Bücherantiquar und Schätzmeister (er übersiedelte nach Abbruch des Hauses in den großen Zwettelhof), dem wir später wieder begegnen werden. Das unheimliche Licht dreier Oellampen von bescheidenster Form bemühte sich vergebens, bei Nachtzeit die Düsterheit des Ortes zu mildern.

Die Häuserreihe rund um den Dom verfolgend, passiren wir an der nördlichen Seite den ehemaligen Pfarrhof von St. Stephan, im Jahre 1720 vom Grafen Sigismund von Kollonicz (damals noch Bischof von Wien) in seiner jetzigen Gestalt umgebaut; den Domherrn- oder sogenannten großen Zwettelhof (ursprünglich Eigenthum des Stiftes Zwettl, seit 1361 Eigenthum des Domkapitels und im Jahre 1843 neu erbaut); weiterhin auf der östlichen Seite das alte, mit Erkern und vorspringenden Etagen reich geschmückte Füxl'sche Stifthaus und der alte Chorherrnhof (im Jahre 1845 in Ein Haus als Domherrnhof zusammengebaut); das deutsche Ordenshaus, in zwei Winkeln bis zum Hüttenthore reichend, und hier, auf der südlichen Seite[29] das große eben jetzt im Jahre 1742 unter dem nunmehrigen Cardinal und Erzbischof Kollonicz vollendete Chor- und Curhaus (an dessen Stelle bis dahin seit dem 13. Jahrhundert Wiens älteste Bürgerschule stand). Dem nächstfolgenden noch jetzt bestehenden großen Eckhause reihten sich, wiederum an der westlichen Seite und der Straße zugekehrt, zwei drei- und vierstöckige, zu ebener Erde mit Verkaufsläden versehene Zinshäuser an, die sich, nur durch das Zinner- (Friedhofs-)Thor getrennt, der Eingangs erwähnten Meßnerwohnung anschlossen.5 An die Rückseite des vierstöckigen Zinshauses war die Cantorei angebaut (welcher noch ausführlicher gedacht werden wird) und von den Fenstern derselben sah man direct auf die mehrfach interessante hier vorspringende Magdalenen-Kapelle.6 Beim Eingang, der hier zum Friedhof führte (Zinnerthor), befand sich nach innen eine Gallerie mit vergoldetem Gitter, wo bei feierlichen Gelegenheiten der Kapellmeister mit seiner Kapelle den kaiserlichen Hof beim Kommen und Gehen erwartete.7[30]

Dies war der Schauplatz, auf dem Haydn nunmehr zum Jüngling heranreifen sollte. Sehen wir nun, wie es im Kapellhause aussah, welcher Art der Mann war, der hier regierte, wie die Schule gehalten wurde, wie die Kirchenmusik im Dome selbst bestellt war und welche Erfolge unser Sängerknabe in seinem nunmehrigen Aufenthalte erzielte.


Es gereicht den Altvätern Wiens zum besonderen Lobe, daß sie schon frühzeitig darauf Bedacht nahmen, der Musik eine Pflanzstätte zu errichten, und wenn dieselbe auch zunächst fast ausschließlich nur im Interesse der Kirche ihre Aufgabe suchte, war ihr doch auch damit eine einflußreiche Verbreitung geboten. Obwohl den berühmt gewordenen ähnlichen Anstalten, der Thomasschule in Leipzig, der Kreuzschule in Dresden nachstehend, haben auch in Wien Tausende ihre musikalische Ausbildung der Cantorei bei St. Stephan zu danken. Ausgerüstet mit dem nöthigen Wissen, wußten sie sich dann beim Eintritt ins bürgerliche Leben eine Existenz zu gründen und brachten Sinn und Liebe für die Tonkunst ins eigene Haus und in weitere Kreise.

Die Cantorei, in Jordan's »Schatz, Schutz und Schantz des Erzherzogthum Oesterreich« (Wien 1701) als »Civitatis Cantorey oder Herren-Cappel-Meisters-Wohnung« bezeichnet, wird urkundlich, vermöge Steueranschlags von allen bürgerlichen Lasten befreit, schon im Jahre 1441 genannt. Das alte früher bestandene Gebäude besingt noch Wolfgang Schmeltzl,8 indem er die Stephanskirche »das g'wältig Tempelhaus« beschreibt:


Nichts mangelt was solch Ding betrifft.

Dreyhundert pfründ seind darein gstifft,

Bistumb, Thumbherrn vnd Probstey.

Auch helt man aygne Cantorey,

Dartzu zwo Orgel gross vnd klein.[31]


Im Jahre 1663 wurde dies Gebäude neu aufgeführt. Das Aeußere desselben, wie es bis zum Jahre 1803 bestand, ist u.a. auf den Stadtansichten von Huber und von Huefnagel, die Grundfläche auf den Plänen von Suttinger und von Steinhauser ersichtlich. Es war, wie wir gesehen haben, in seiner Breite an das der Straße zugekehrte Zinshaus, gegenüber der Goldschmiedgasse, angebaut. Die Hauptfront gegen den Friedhof und den ausgebauten Thurm hatte drei Stockwerk mit je sechs Fenstern und einigen Dachwohnungen. Die schmale nach Norden gekehrte Seite, die das vordere Zinshaus in der Länge etwas überragte, hatte ebenfalls drei Stockwerk, aber nur zwei Fenster Breite. Bei der ersten Nummerirung im Jahre 1775 erhielt die Cantorei oder (wie sie dann vorzugsweise hieß) Kapellmeisters-Wohnung die Nr. 858.

Ueber die Schulordnung geben die vorhandenen amtlichen Verordnungen früherer Jahre (1558, 1571)9 genügenden Aufschluß und wenn dieselben auch im Laufe der Zeit manche Veränderung mögen erfahren haben, läßt sich doch aus dem Vorhandenen wenigstens ein annäherndes Bild geben, wie es auch zu Haydn's Zeit in dem alten Hause mag gehalten worden sein. Von Alters her lehrten hier der Cantor (später Kapellmeister), ein Subcantor und zwei Präceptoren in Musik und den nothwendigsten Schulgegenständen (in literis et musicis). Lehrer und Sängerknaben wohnten in der Cantorei und speisten auch beim Cantor, dem in früherer Zeit nebst seinem Gehalt noch eigens die Benutzung eines Weingartens zu Gebot stand, »damit er den Knaben und Präceptoren über Tisch einen guten Trunk gäbe«. Alle Unkosten zahlte die Stadt und hatte beispielsweise der Cantor im Jahre 1571 eine monatliche Besoldung von 10 Fl. rhn., 14 Fl. für Brennholz und zu Weihnachten ein Jahr übers andere ein schwarzes Ehrenkleid. In frühester Zeit hatten die Lehrer auch in der nahegelegenen Bürgerschule die Schüler für die Kirchenmusik vorzubereiten. Wenn der Cantor oder einer der Unterlehrer zu musikalischen Aufführungen bei Hochzeiten,[32] Ladschafften, Mahlzeiten und Condukten erbeten wurde, erwartete man von seinem Pflichtgefühl, daß er Niemanden mit der Belohnung übernehmen und beschweren werde und auch dafür sorge, zu rechter Zeit (vmb die gewonliche Pyerglokhenzeit) heimzukehren, damit die Cantorei zur Nachtzeit könne gesperrt gehalten werden. Im Jahre 1663 erscheint zum erstenmale ein »Kapellmeister«.10 Georg von Reutter, der diesen Posten zu Haydn's Zeit bekleidete, bezog als Gehalt jährlich 300 Fl., 24 Fl. Hofkleidgeld, 16 Klafter weiches Deputatholz = 48 Fl., 25 Fl. Kellerzins. Die Erhaltung der Sängerknaben wurde ihm besonders vergütet. Zahlreiche Emolumente und Nebenaccidentien vermehrten überdies seine Einnahme bedeutend. Näheres über ihn werden wir weiterhin erfahren.

Im Jahre 1571 zählte die Cantorei dreizehn »Singerknaben«; später verminderte sich die Zahl und hielt sich, vom Jahre 1715 angefangen, Jahrzehnte lang auf gleicher Höhe mit sechs Knaben. In der Verpflegung waren dieselben sehr gut gehalten; die Wahl der Speisen, an Fleisch- und Fasttagen, war in reichlicher Menge vorgeschrieben. Auch ein Trunk fehlte nicht: auf 10 Knaben anderthalb Seidl Wein, doch solcher, daß die Knaben »nit darum khrankh werden«. Im Jahre 1558 bezog der Cantor für jeden Knaben monatlich 4 Fl. 50 Kr. rhein. und hatte ihn dafür, die Kleidung abgerechnet, gänzlich zu verpflegen. In der Zeit, die uns zunächst beschäftigt, war das[33] Kost- und Pflegegeld bedeutend gestiegen, im Gegensatz aber wurden die Knaben sehr knapp gehalten. Für Kost, Verpflegung und Instruction der sechs Knaben wurden, nebst zweimaliger Kleidung im Jahr, Arzt und Medikamente, Barbier und alle übrige Nothdurft jährlich 1200 Fl. bezahlt; außerdem noch 75 Fl. Instructionsgebühr und 60 Fl. Zimmerbeihülfe. Auch Reutter erhielt nicht mehr. Und wenn er auch jährlich die Rubrik »Extra-Auslagen« in erfinderischer Weise auszubeuten verstand, ist doch die, nach Dies (S. 22) bisher gebräuchliche Annahme, Reutter habe für jeden Knaben 700 Fl. erhalten, in der eigentlichen Hauptsumme auf 200 Fl. zu reduciren.11 Für das Singen bei Mahlzeiten erhielten die Knaben nach Belieben der Partheien Speise und Trank und wurde ihnen nebstdem noch der gebräuchliche Lohn gleich einem Gesellen (Kapellsänger) verabfolgt. Dieses Geld wurde in einer verschlossenen Büchse aufbewahrt und monatlich davon das Badgeld und kleine Bedürfnisse bestritten und der Rest unter sie gemeinschaftlich vertheilt.

Den Unterricht betreffend, zeigt ein Bericht vom Jahre 1604, daß man sich damals zu besserer Orientirung bei St. Michael (wo ebenfalls urkundlich schon im Jahre 1449 Cantor und Sängerknaben genannt sind) Raths erholte; doch fiel die Antwort nicht befriedigend aus, man fand die Zahl der Musikstunden viel zu gering. Sechzig Jahre später hatte es der damalige, aus Augsburg gebürtige Kapellmeister und kaiserliche Kammer-Organist Wolfgang Ebner mit den Knaben so weit gebracht, daß sie im Stande waren, die beim Hochamt erforderliche Musik »mit Gesang und allerlei Instrumenten« auszuführen.

In der Mitte des 18. Jahrhunderts war der Unterricht vertheilt auf Religion, Latein und die gewöhnlichen Schulgegenstände, und in der Musik auf Geige, Clavier und Gesang. Wir vermissen dabei die Generalbaßlehre, die noch unter Kapellmeister Zächer (1708) gelehrt wurde. Für den Gesangsunterricht war[34] vorzüglich gesorgt, wenigstens mußten die Knaben tüchtige Treffer sein; es beweisen dies die aufgeführten schwierigen Messen und kürzern Kirchencompositionen. Eine vorzügliche Schule war hier durch die »Singfundamente« vom Hofkapellmeister Fux geboten: Uebungen, die in ihrer gebundenen Schreibart und fortschreitenden Schwere vorzugsweise zur Heranbildung fester Kirchensänger sich eignen.12

Die Schüler waren so weit vorgeschritten, daß sie selbst fähig waren, noch während der Schulzeit Andere zu unterrichten. So freute sich Haydn innig, als ihm sein jüngerer Bruder Michael zur Nachhülfe übergeben wurde. Auch Ignaz Holzbauer13 erzählt in seiner Selbstbiographie, daß er von den Schülern der Domkirche in Gesang, Clavier und Streichinstrumenten unterrichtet wurde. Von ihm ist es, wie anderwärts bestätigt, daß im Kapellhause auch Komödien aufgeführt wurden, die Holzbauer aus Erkenntlichkeit für den empfangenen Unterricht für seine »Lehrer« gedichtet hatte. Dergleichen Vorstellungen, eigens zur Bildung der Knaben verfertigt, wurden noch ums Jahr 1790 abgehalten.14 Die Schüler wirkten übrigens schon im 16. Jahrhundert auch außer Haus, bei den Rathhaus- und Zeughaus-Komödien mit.15 Ebenso wurden sie zu Haydn's Zeit zu auswärtigen theatralischen Aufführungen beigezogen,[35] und hier lernen wir auf einem Umwege sogar zwei seiner Mitschüler kennen. Das Wiener Diarium bringt nämlich die ausführliche Beschreibung eines lateinischen Schauspieles »Constantinus, durch die Kraft des Kreuzes des Maxentii Besieger«, mit Musik von Reutter, das am 16. Dec. 1743 auf dem großen neuen Theater bei den Jesuiten aufgeführt wurde. Die Kaiserin mit großem Gefolge und zahlreiche hohe Persönlichkeiten wohnten der Vorstellung bei. Auf der Bühne waren 215 Personen beschäftigt, sämmtlich Schüler höherer und niederer Klassen aus dem Schotten- und Klosterneuburger Stift, dem Jesuiten-Collegium, der Bürgerschule und aus dem Kapellhause. Auch die musikalischen Zwischenspiele, die Musik zu den Gesängen, Tänzen und Schlachten wurden von Studirenden ausgeführt. Die beiden Mitschüler Haydn's, die Discantisten Leopold Tepser und Franciscus Wittmann, gaben die Rollen der Andromeda und Pallas; Ferdinand Schalhaas, Bassist vom Domchor (1772 als Violinist in der Tonkünstler-Societät genannt), sang den Jupiter. Die bei diesen Vorstellungen übliche Prämien-Vertheilung durch die Monarchin wurde diesmal drei Tage später vorgenommen.16

Der Kirchendienst bei St. Stephan war ziemlich anstrengend; es waren zwei Chormusiken zu versehen, von denen eine täglich beim Hochamt mitwirkte; ferner wurden die Vespern noch mit allen Unterabtheilungen eingehalten. Dazu kamen die häufigen Feste, Processionen, Todtenämter, die, sammt den Musiken in Privathäusern, den Schülern nur spärliche Zeit zum eigentlichen Studium übrig ließen. Trat dann die Zeit ihrer Mutirung ein, waren sie, den Hofsängerknaben gegenüber, welche mit Reisegeld in die Heimat oder mit einem Stipendium zu weitern Studien versehen wurden, dem Zufall, der eigenen Sorge preisgegeben. Nur einmal ist im Verlauf des ganzen 18. Jahrhunderts ausdrücklich einer »Raths-Verwilligung« erwähnt, derzufolge im Jahre 1719 den beiden »gewesten Capellknaben« Tobias Seitl und Stanislaw Schmiedt als ein Recompens und Kirchengefäll,[36] und »auf ihr gehörig Anlangen« 18 und 40 Fl. verabfolgt wurden.


Bevor wir in den Dom eintreten, um daselbst mit dem Stand der Kirchenmusik bekannt zu werden, müssen wir des Mannes besonders gedenken, unter dem Haydn volle zehn Jahre seiner Jugend verlebte, jener Zeit, über die er selbst in zartfühlender Weise sich nie so recht ausgesprochen hat. Haydn's Vorgesetzter verlangt um so nothwendiger eine eingehendere Besprechung, als über ihn, soweit es seine Stellung am Dom betrifft, meistens nur spärliche, ungenaue und verwirrende Nachrichten verbreitet sind. Reutter's Name wäre freilich längst der Vergessenheit anheimgefallen, wenn er nicht in Verbindung mit Haydn eine gewisse Bedeutung erlangt hätte. Seine Leistungen als Künstler haben der Zeit ihren Tribut gezahlt, nur hier und da wird noch eine seiner vielen Kirchencompositionen aufgeführt; als Mensch lernen wir in ihm vorzugsweise nur einen rücksichtslosen, habgierigen und aufgeblasenen Charakter kennen.

Georg Karl Reutter (gewöhnlich nur mit dem ersten Vornamen bezeichnet) war zu Wien am 6. April 1708 geboren17 und der Sohn des Domkapellmeisters, Hof- und Kammerorganisten Georg Reutter.18 Das Wiener Diarium erwähnt des[37] Sohnes zuerst im Jahre 1726 als Organisten im hochfürstlichen Stift der Klosterfrauen zur Himmelspforte (bei einer Orgelprobe, ein Werk des Christoph Pantzuer, gest. 1761). Am 1. März 1731 wurde Reutter zum Hofcompositor ernannt; im Jahre 1738 folgte er dem Vater im Amt als Domkapellmeister und behielt diese Stelle auch nach seiner im Sept. 1746 erfolgten Ernennung zum zweiten Hofkapellmeister bei. Er hatte als solcher alle Kirchen-, Kammer- und Tafelmusik bei Hof zu dirigiren. Obwohl er schon damals den weitesten Einfluß auf die Angelegenheiten der kais. Hofkapelle nahm und nach Jubilirung des Predieri (1751) factisch leitender Hofkapellmeister wurde, ward er doch erst nach dem Tode Predieri's, im Jahre 1769, wirklicher erster Hofkapellmeister. Zur Zeit Reutter's wurde der Stand der Hofkapelle aufs äußerste beschränkt, ja es kam so weit, daß bei der Regulirung im Februar 1751 die gesammte Hofmusik um die Summe von 20,000 Fl. an Reutter in Pacht gegeben wurde. Er nutzte diese Machtvollkommenheit nach Kräften aus und ließ die Hofkapelle nach und nach so sehr verkommen, daß sie sein Nachfolger Gaßmann im kläglichsten Zustande vorfand. Interessant sind die von Köchel veröffentlichten Gutachten des Hofkapellmeisters Fux über Reutter (von 1724–33). Im Jahre 1724 wünscht Reutter als Scolar auf der Orgel in der Hofkapelle aufgenommen zu werden; bald darauf verrichtet er als überzähliger Organist des Vaters Dienst und empfiehlt ihn Fux zur einstweiligen Unterstützung, da er »die Orgel sein spielet und in der Composition Gutes hoffen läßt«. Dann schlägt er ihn seiner Brauchbarkeit halber zum Hofcompositor vor und sein Gehalt, anfangs 400 Fl., steigt rasch auf 1200 Fl. (Seine Mehrforderung nennt Fux »ein unzeitiges Begehren«.)[38] Zahlreiche kirchliche und dramatische Werke bezeugen, daß Reutter sehr fleißig gewesen. Das Stift Klosterneuburg allein besitzt von ihm 29 Messen, ein Requiem und eine große Anzahl kleinerer Kirchencompositionen. Oratorien und Opern sind namentlich im Stifte Heiligenkreuz, auf der kais. Hofbibliothek und im Archiv der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien in Menge vorhanden. Die früheste Erwähnung einer Oper von Reutter geschieht im Jahre 1727 zum Namenstag der Kaiserin Elisabeth. Von da an wurde fast jährlich ein dramatisches Werk von ihm, meist zum Namens- oder Geburtstag des regierenden Kaiserpaares oder eines kaiserlichen Mitgliedes bei Hofe aufgeführt, wobei häufig auch Erzherzoginnen mitwirkten. Auch wurden bis zum Jahre 1740 jährlich zur Fastenzeit seine Oratorien mit italienischem Texte in der Hofburgkapelle gegeben. Reutter's Kirchencompositionen zeichnen sich fast durchgehends durch äußern Glanz und feurig bewegte Instrumentirung aus und wurden daher an Festtagen mit Vorliebe gewählt. »Rauschende Violinen à la Reutter« sind sprichwörtlich geworden. Seine sogenannte Schimmelmesse19 wurde noch vor etwa 20 Jahren beim Frohnleichnamsfest bei St. Stephan aufgeführt. Burney hörte bei seinem Wiener Besuche im Jahre 1772 in der Domkirche eine Reutter'sche Messe und nennt sie mattes, trockenes Zeug (dull, dry stuff); man könne von dieser Musik höchstens sagen: sie mache viel Geräusch und sage dabei doch sehr wenig.20 Es finden sich jedoch unter Reutter's kleinern Werken immerhin auch solche von würdigem Charakter und es fordert die Billigkeit, hier auch ein, mit Burney fast gleichzeitiges Urtheil zu erwähnen,[39] das freilich einen starken Contrast zum Vorgesagten bildet. Das Wiener Diarium21 nennt Reutter als den »unstreitig stärksten Componisten, das Lob Gottes zu singen, das Muster aller hiesigen, in dieser Sphäre arbeitenden Männer. Denn wer weiß besser als er das Prächtige, das Freudige, das Frohlockende, wenn es der Gesang erfordert, auszudrücken, ohne in das Profane und Theatermäßige zu verfallen? Wer ist pathetischer, harmoniereicher als eben er, wenn der Gesang eine Traurigkeit, eine Bitte, einen Schmerz verlangte Seine Messen ziehen jederzeit eine Menge musikalischer Zuhörer nach sich, und jeder geht erbaut, gewonnen und belehrter hinweg.«

Vorhandene Amtsberichte klagen Reutter der Fahrlässigkeit im Dienste an und geben ein trübes Bild von seinem Benehmen seinen Kunstcollegen und vorgesetzten Behörden gegenüber. So war ihm unter anderm die Anstellung des Chorregenten Ferdinand Schmidt als Kapellmeister beim Gnadenbild (einer zweiten und kleinern Musikkapelle bei St. Stephan, über die wir später hören werden), auf die er trotz seiner beiden Stellen selbst spekulirt hatte, ein Dorn im Auge und brachte ihn mit Bürgermeister und Stadtrath in arge Collision. Auf seinen Versuch, die schon geschehene Wahl in gehässiger Weise rückgängig zu machen, erfolgte ein umfangreiches, geharnischtes Promemoria der Stadtbehörde an die Nieder-Oesterr. Regierung, worin Reutter's Anklage Punkt für Punkt widerlegt wird. »Reutter (heißt es u.a.) fände ohnedies in seinem doppelten Amt Beschäftigung genug; nachdem er aber beim gewöhnlichen Kirchendienst am allerwenigsten anzutreffen sei und öfter die ganze Woche hindurch kaum ein- bis zweimal den Chor frequentire, stehe es zu vermuthen, daß er auch beim Frauenbild eine gleiche Fahrlässigkeit bezeigen werde. Es scheine wirklich, daß dergleichen Kapellmeister, wann sie einmal bei Hof engagirt seien, sich schon zu hoch schätzen, derlei Privatdienste vorzustehen. Reutter, mit seinen vielfältigen Verrichtungen und ergiebigen Einkommen gar wohl beschlagen, solle einem andern meritirten Manne auch einen geringen Gehalt um so eher überlassen, als[40] der Schwiegervater Schmidt's, N. Neubauer (richtiger Georg Neuhauser, ehemaliger Meßner bei St. Stephan) der Domkirche große Wohlthaten erwiesen und die große Orgel, die über 10,000 Fl. gekostet, aus eigenen Mitteln habe verfertigen lassen.« Man suchte also zugleich einen Act der Dankbarkeit auszuüben. Als Bescheid auf die Eingabe des aufgeregten Stadtraths erfolgte umgehend die Bestätigung der Ernennung Schmidt's von Seite der Regierung. (Nach Schmidt's Tode im Jahre 1756 erhielt aber Reutter diese Stellung dennoch.)

Ein andermal suchte Reutter den nunmehrigen Kapellmeister Schmidt bei einer freigewordenen Altistenstelle zu überholen, und abermals entschied der Stadtrath zu Gunsten des Letztern, »da sich Reutter gar wohl mit seinem Theil begnügen könne«. Ein derber Verweis erfolgte später auch über Nachlässigkeit bei den Aufführungen: »die Kirchenmusik werde immer schlechter wegen übelklingender Zusammenstimmung, die dem gesammten, der Andacht abwartenden Volk vielmehr zu einer Gemüths- Zerstreuung und zum Ekel, denn als anmuthige christliche Auferbauung gereiche. Dies komme daher, daß die aufgestellten und besoldeten Essential-Musici (beim Haupt-Chor) entweder gar nicht erscheinen oder meistens in der Musikkunst wenig erfahrene Leute oder gar nur Anfänger zum Dienst abschickten« (ein Umstand, der allerdings noch heutzutage in manchen Kirchen zu rügen wäre).

Am 27. Nov. 1731 vermählte sich Reutter mit Ursula Anna Theresia Holzhauser22, geb. am 22. Oct. 1708 zu Wien, einer Tochter des Heinrich Holzhauser, Componisten und Musikdirectors der Kapelle der verwittweten Kaiserin Amalie und Mitglied der Chormusik bei St. Stephan (gest. 8. März 1726, 51 Jahre alt).23 Therese war eine vortreffliche Sängerin,[41] die Haydn, als unter Einem Dache mit ihr lebend, oft genug wird Gelegenheit gehabt haben zu hören. Drei Jahre sang sie unentgeltlich in der Oper und bei Hoffesten, wurde dann als Hofsängerin im Jahre 1728 mit einem Gehalt von 750 Fl. und schließlich mit 3500 Fl. angestellt.24 Nebstdem wurden ihr auch zur Tilgung ihrer Schulden 4000 Fl. zugestanden. Eine Anzahl Gutachten des Hofkapellmeisters Fux aus den Jahren 1728 bis 1734 theilt v. Köchel mit. Indem sie Fux zur Anstellung anempfiehlt, lobt er wiederholt ihre makellose treffliche, drei Octaven umfassende Stimme, ihren Triller und namentlich ihre Festigkeit in der Musik, sodaß sie alles prima vista singe, »welches ihr wenig Sängerinnen nachthun können – sie scheine zur Musik geboren«. Obwohl als activ angeführt, sang sie doch schon im Jahre 1766 nicht mehr öffentlich, bezog nach dem Tode ihres Mannes ein eigenes Haus in der Vorstadt Landstraße und starb daselbst als wohlhabende Frau am 7. April 1782 im 74. Lebensjahre; nebst verschiedenen Legaten bestimmte sie auch 500 Fl. zur Ablesung von tausend Messen für ihr Seelenheil.25

Reutter, der so häufig Gelegenheit hatte, beim Einstudiren und Ausführen seiner für Hoffeste bestimmten dramatischen Werke mit den Mitgliedern des kaiserlichen Hauses in Berührung zu kommen, wußte sich mit seinem Tacte in diesen hohen Kreisen zu bewegen und war hier wohl gelitten. Am 21. April 1740 wurde er noch unter Kaiser Karl VI. (der auch bei Reutter's Erstgeborenem Pathenstelle vertrat) in den österreichischen Adelsstand erhoben, und zwar »in Berücksichtigung der treuen und langjährigen Dienste seines Vaters und seiner eigenen vortrefflichen Eigenschaften, stattlichen Erfahrenheit und bisher[42] geleisteten guten Dienste und dadurch erworbenen Meriten«.26 – Gegen Ende der 50er Jahre scheint Reutter durch Gluck, Hasse, Jos. Scarlatti und Traetta aus seiner bevorzugten Stellung verdrängt worden zu sein. Als letztes Werk, das von Reutter bei Hofe aufgeführt wurde, ist genannt »il Sogno« von Metastasio, componimento dramatico in 1 atto, von der Erzherzogin Marianne und zwei Hofdamen in den kaiserlichen Gemächern im Jahre 1756 gesungen und im folgenden Jahre wiederholt. Bei den im Jahre 1760 abgehaltenen Vermählungsfeierlichkeiten des Erzherzogs (nachmaligen Kaisers) Joseph wurde die Leitung der Hofmusikfeste mit Beseitigung Reutter's gradezu Gluck übertragen.

Georg Edler von Reutter verschied am 12. März 1772 im 63. Lebensjahre. Im Gegensatz zu seinem Vater, dessen Begräbniß nach testamentarischem Wunsche ohne jedes Gepränge mit den möglichst geringsten Unkosten stattfand, wurde der Leichnam des Sohnes mit allem erdenklichen Pomp unter Begleitung von 35 Priestern verschiedenen Ranges in einer Gruft bei St. Stephan beigesetzt. Reutter's Porträt existirt als Kupferstich (ohne Namensangabe des Künstlers), als Oelgemälde (Museum der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien) und als Pastellzeichnung (Musikzimmer der Sängerknaben des Stiftes Heiligenkreuz bei Baden nächst Wien). Es zeigt einen schön geformten Kopf mit intelligenten, etwas strengen Gesichtszügen. In dem genannten Stifte, das Reutter testamentarisch bedachte, liegt auch sein erstgeborner Sohn Marianus (Klostername für Carolus) Reutter von Reitersfeld begraben, der im Jahre 1790 zum Abt dieses Zisterzienser-Stiftes gewählt wurde und in Wien im Heiligenkreuzerhof an Altersschwäche und erblindet am 21. Oct. 1805 verschied. Marianus war im Kapellhause zu Wien am 11. Jan. 1734 geboren, stand also mit Haydn in fast gleichem Alter; jedenfalls lebten Beide im Dezennium 1740–50 als Spielkameraden in täglichem Verkehr.[43] Für sein Stift ließ Marianus u.a. die große Orgel vom Wiener Hof-Orgelbauer Ignaz Kober (gest. 17. Sept. 1813) erbauen.

Reutter's Nachfolger als Domkapellmeister war Leopold Hofmann (zugleich Chordirector bei St. Peter, gest. 17. März 1793), derselbe, dem Mozart im Mai 1791 als Adjunct beigegeben wurde und dadurch die nächste Anwartschaft auf die Domkapellmeisterstelle gehabt hätte.27


Die Musikkapelle bei St. Stephan war dem Magistrat als Administrator der St. Stephanskirche unterstehend. Alle Kirchenrechnungen wurden demselben vorgelegt und von ihm erledigt. Bei Neubesetzungen reichte die Wirthschafts-Commission das jeweilige Gesuch bei der Kaiserin ein, deren Entscheidung den Ausschlag gab. Zur Zeit Haydn's existirten im Dome zwei Musikkapellen: die Haupt- oder Essential-Musikkapelle und die Kapelle beim Gnadenbild. Wir haben es zunächst mit der Erstern zu thun.

In früherer Zeit, z.B. 1571, bestand der Musikchor aus dem Cantor, Subcantor, Organisten, den Kapellsängern und Sängerknaben, einigen Violinisten und Contrabassisten sammt dem Thurner und seinen Gesellen für Posaunen, Trompeten und Pauken. Im genannten Jahre verordnete der Stadtrath: es sollen zu Baß, Tenor und Alt (Letztere waren Falsettisten, d.h. weder Knaben noch Castraten) nicht mehr als je 3 (die 2 Präceptoren mit inbegriffen), und zum Dienst 12 oder 13 Knaben gehalten werden. Die Zahl der Letztern ging, wie schon erwähnt, bald bis auf 6 herab; die übrigen Sänger erhielten sich bis über die Mitte des 18. Jahrhunderts immer auf gleicher Höhe: 9 Vocalisten und einige Extrasänger. (Als höchster Stand – wohl vermehrt durch die Sänger beim Gnadenbild – ist bei dem am 15. Aug. 1716 abgehaltenen Te Deum für den Sieg bei Carlovicz der Vocalchor außer den 6 Discantisten angegeben mit je 5 Altisten, Tenoristen und Bassisten.) Mit Beginn des 18. Jahrhunderts[44] sind neben den Streichinstrumenten (dabei auch Gambe) und Posaunen noch Cornett und Fagott genannt. An Hauptfesten, wenn der kaiserliche Hof in großer Gala nach St. Stephan fuhr, spielte dort die kais. Hofkapelle. Bei andern Festen wurden wenigstens die »kaiserlichen Herren Trompeter« beigezogen. Im Jahre 1754 wurde der päpstlichen Ordnung gemäß auf Befehl der Kaiserin der Gebrauch von Trompeten und Pauken, als die Andacht störend, hier und in allen Kirchen untersagt; doch waren gedämpfte Trompeten, das sogenannte »Clarinblasen«, gestattet.28 Die Auslagen für die Kapelle (die Knaben nicht mitgerechnet) betrugen im vorigen Jahrhundert durchschnittlich jährlich circa 4500 Fl., selten weniger, einigemal bedeutend mehr, z.B. in den 40er Jahren über 6000, im Jahre 1788 sogar über 8000 Fl. Davon kamen auf die Vocalisten regelmäßig 1170 Fl. nebst 108 Fl. Kleidgeld und außerdem noch 240 Fl. Choraladjuta, Rorategeld u.s.w.29 Der Thurner und seine Gesellen wurden besonders bezahlt, z.B. im Jahre 1741 »denen 5 Instrumentisten ihre jährl. Besoldung mit 650 Fl. sammt Kleidgeld 60 Fl., wegen des Thurmanblasens 60 Fl., Rorategeld 4 Fl.«30 – Wie wir dies bei den Sängerknaben gesehen haben, gaben schon, die großen, weiter unten erwähnten Feste und Processionen abgerechnet, die gewöhnlichen täglichen Musikaufführungen bei den Hochämtern, zahlreichen Vespern, Litaneien und Hymnen auch den Musikern vollauf Beschäftigung. Auch beschränkte sich der Dienst nicht auf St. Stephan allein, denn die Kapelle wurde häufig zur Verstärkung oder Vertretung[45] der Hofkapelle, wenn diese anderwärts beschäftigt war, ausgeborgt, wofür sie besonders honorirt wurde. So finden wir sie beigezogen zu den solennen Aemtern,Te Deum und Litaneien in verschiedenen Kirchen Wiens: in der Hofburgkapelle, bei den Jesuiten, Schotten, Dominikanern, Augustinern, Kapuzinern, Karmelitern, Paulanern, Ursulinerinnen, Schwarzspaniern von Montserat, bei St. Joseph, in der Xaveri- und Favoritkapelle; und anderwärts in Schönbrunn, Laxenburg und Klosterneuburg. Aus den vorhandenen Quittungen geht hervor, daß sich der kaiserliche Hof seit dem Jahre 1647 der Kapelle bei St. Stephan häufig bediente. Anfänglich mit monatlich 50 Fl. honorirt, wurde später jede einzelne Dienstleistung besonders berechnet und erfolgte die Entlohnung häufig erst nach Jahren und dann noch nur auf wiederholtes Begehren und mit Abzug.31 Aus einer derartigen, aus den Jahren 1710 und 1711 herstammenden Schuldforderung von 2580 Fl., die erst im Jahre 1723 in vierteljährigen Raten beglichen wurde, ergiebt sich, daß diese »Wiener Stadt- oder Extra-Musikanten« unter Kaiser Joseph I. auch in der Oper und beim Ballet verwendet wurden.

Der Stand der Domkapelle war zur Zeit Haydn's (1740–50) außer dem Kapellmeister fast unverändert folgender: ein Subcantor, zugleich Violinist (Adam Gegenbauer); ein erster Organist (Anton Neckh); 11 Streichinstrumentisten (Accessisten und Privatsubstitute mit inbegriffen) mit Jahresgehalt von 250 bis 40 Fl. Von Bläsern sind nur genannt: 1 Cornettist (Andr. Wittmann) und ein Fagottist (Jakob Payer); für Posaunen, Trompeten und Pauken wurden auch jetzt noch die kais. Hoftrompeter und der Thurnermeister und seine Gesellen beigezogen. Im Ganzen war der Domchor, 9 Vocalisten und 3 Extra-Vocalisten mit inbegriffen, 31 Personen stark; mehrere Musiker dienten gleichzeitig bei der Gnadenbild-Kapelle. Organist Neckh (der Name ist im verflossenen Jahrhundert häufig vertreten), früher Violinist (gest. 1759), war der Nachfolger des[46] im Jahre 1736 verstorbenen Karl Reutter; er bezog 150 Fl. jährl. Gehalt und fast ebensoviel an Deputat. Von ihm wird noch jetzt ein, für einen Geistlichen gestiftetes Requiem jährlich an einem bestimmten Tage aufgeführt. Unter den Violinspielern ist auch ein Georg Jg. Keller (später Mitglied der Hofkapelle) genannt, der für Haydn verhängnißvoll wurde, da er wahrscheinlich durch seine Vermittelung das Haus seiner nachherigen Schwiegereltern kennen lernte. – Ueberblickt man die Reihe der hier angestellten Musiker zur Zeit Haydn's und zurück bis zu Anfang des Jahrhunderts, so treten als die Hervorragenderen meist nur jene hervor, die zugleich Mitglieder der Hofkapelle waren, z.B. aus früheren Jahren Gambist Franz Hueffnagel, die Violinisten Joh. Muffat und Heinrich Ponheimer, und zu Haydn's Zeit: Cornettist Andreas Wittmann (in der Hofkapelle als Oboist und von Fux sehr gelobt; er starb 1767 im 98. Lebensjahre); Cellist und Contrabassist Franz Cammermayer (gest. 1760); die Violinisten Franz Reinhard (der auch bei Dittersdorf genannt wird), Jos. Adam und Joh. Alber; Altist Anton Pacher; Tenorist Jos. Timer, und der von Fux rühmlichst hervorgehobene Posaunist Leopold Ferdinand Christian (gest. 1783). Die Familie Christian versah beinahe ein volles Jahrhundert (1679–1783) den Posaunistendienst in der Hofkapelle und im Dome. Fux sagt, »daß dieses Instrument denen Christian angeboren sei«, nennt den Vater (Leopold) auf seinem Instrument den ersten Virtuosen in der Welt, und bezeichnet Leopold Ferdinand als einen Musiker, »welcher in seinem Instrument seines Gleichen nit findet, auch schwärlich mehr einer zu hoffen ist«.32 Die gleiche Liebe zum Musikerberuf hat sich in vielen Wiener Familien von Sohn zu Sohn fortgeerbt; so finden wir in der Hofkapelle und bei St. Stephan wiederholt die Familien Wittmann, Hoffmann, Neckh, Ponhaimer, Muffat, Reinhard, Krottendorfer, Cammermayer, Pöckh, Graf, Angermayer, Zäch, Gsur, Teyber, Schallhaas, Stadler, von denen Manche noch in unsere Zeit hineinreichen. Als im Jahre 1771 die Tonkünstler-Societät (jetzige »Haydn-Verein«) durch Florian Gaßmann gegründet wurde,[47] waren die Musiker von St. Stephan unter den Ersten, welche dem Vereine beitraten.


Die Musikkapelle beim Marianischen Gnadenbild, die zweite und kleinere Kapelle bei St. Stephan, war selbständig und besonders fundirt. Auf dem prächtigen silbernen Tabernakel des Hochaltars befand sich wie noch heute ein mit Edelsteinen reich geschmücktes Gnadenbild, die h. Maria darstellend. Dies Bild wurde auf Bestellung eines ungarischen Bauern angefertigt und gelangte in die Kirche zu Pötsch (Böcz) bei Erlau in Ungarn, wo es als Thränen-vergießendes Wunderbild bald das Ziel zahlreicher Wallfahrten wurde. Im Jahre 1697 nach Wien gebracht und durch Procession und Ausstellung in verschiedenen Kirchen gefeiert, fand es endlich im Dome seine bleibende Stätte. Unter den Personen, welche dies Bild als Zeichen ihrer Verehrung mit Opfern bedachten, befand sich auch der Wiener hofbefreite33 Handelsmann Michael Kurz, der es laut Stiftungsbrief in seinem Testamente vom Jahre 1706 zum Universalerben einsetzte unter der Bedingung, daß »davon die Musik, dann die Trompeten und Pauken-Chöre bei der nachmittägigen Litanei und bei dem jährlich am Michaelitage für den Stifter abzuhaltenden Hochamte erhalten und bestritten werde«. Die dafür entfallene Summe betrug 15000 Fl. Von einer kleineren Stiftung des Franz Leopold von Vestenburg (etwas über 4000 Fl.), im Jahre 1709 zur Vermehrung und Unterstützung der Kapelle überhaupt bestimmt, wurden 3 Extra-Musiker angestellt und erhielt die Gesammtmusik jährlich 100 Fl. An allen Sonn-, Feier- und besondern Festtagen und an jedem Tage der Woche wurde hier außer zahlreichen Meßopfern um 11 Uhr Vormittags musikalisches Hochamt und um 5 Uhr Nachmittags die lauretanische Litanei abgehalten. Die Kapelle hatte[48] ihren eigenen Kapellmeister34, 3 Sängerknaben, je einen Alt, Tenor und Baß, einen Organisten, einfach besetzte Violine, Violoncell und Violon, 3 Posaunen, 2 Cornett und 1 Fagott; Trompeten und Pauken wurden auch hier durch die kais. Hofmusiker besetzt, und als diese Instrumente verboten waren, wurden dafür die andern Stellen verstärkt. Der Kapellmeister hatte 300 Fl. Jahrgehalt, 50 Fl. Adjutum und für die Knaben 600 Fl.; die jährlichen Gesammt-Kosten betrugen durchschnittlich 2800 Fl. Gleichzeitig mit Haydn's Eintritt ins Kapellhaus wurde der bisherige Kapellmeister beim Gnadenbild, Joh. Georg Reinhard, jubilirt (er starb 6. Nov. 1742, 65 Jahre alt) und Reutter versah seine Stelle provisorisch bis zur Anstellung des früher genannten Ferdinand Schmidt, bis dahin Regens-Chori der regulirten Chorherren bei St. Dorothee (er bezog daselbst jährlich volle 24 Fl. Gehalt) und provisorisch auch bei den Augustinern. Sein nun verbesserter Gehalt reichte, trotz Stundengebens, selbst zu damaliger Zeit kaum aus, eine Familie zu erhalten, und als er am 11. Aug. 1756 im 63. Lebensjahre starb, war nicht einmal Geld genug vorhanden, die Leichenkosten zu bestreiten. Schmidt hatte in seiner Stellung größtentheils auch die erforderliche Musik zu componiren und haben sich viele seiner Werke in geistlichen Stiften und anderwärts erhalten. Ein Requiem, das zu seinem Gedächtniß nach seinem Tode und auch später bei St. Stephan aufgeführt wurde, besitzt das Archiv des Musikvereins in Wien. Schmidt hatte nur noch zwei Nachfolger, denn bei der Regulirung der Musik bei St. Stephan (1784) wird in den Kirchenrechnungen der Gnadenbild-Kapelle nicht weiter gedacht.


Eine Kenntnißnahme von der Wahl der Compositionen für den musikalischen Gottesdienst bei St. Stephan während Haydn's[49] Anwesenheit ist nicht ohne Bedeutung, denn wir haben dabei den Einfluß, die durch den Ernst des Ortes noch erhöhte Einwirkung des hier Vernommenen auf ein obendrein jugendliches und daher um so empfänglicheres Gemüth in Betracht zu ziehen. Ein großer Theil der in der Mitte des vorigen Jahrhunderts bei St. Stephan benutzten und stark vergilbten Musikalien gelangte durch glücklichen Zufall ins Archiv des Wiener Musikvereins, und es läßt sich durch beigefügte Daten sogar die jeweilige Aufführung ermitteln, wie auch die stärkere und mitunter seltsame Besetzung, wie z.B. bei den Messen von Ziani (drei- und vierfache Violen mit Hinweglassung der Violinen). Unter den aufgeführten Werken sind namentlich die Messen a capella hervorzuheben, wahrhaft erhabene Kirchenwerke, die den Sängern jedoch keine leichte Aufgabe boten. Palotta35 hatte eben erst seine, an die frühere ernstere und einfachere Schreibweise Caldara's mahnenden vier- und fünfstimmigen Messen componirt. Beider Werke, gleich denen Antonio Ziani's, sind fast durchgehends getragener Gesang. Die instrumentale Begleitung einzelner Werke ist immer nur sehr mäßig gehalten. Bei aller contrapunktischen Kunstfertigkeit athmen sie die reinste kirchliche Andacht. Die Melodieführung bei Palotta ist fließend und natürlich, die Harmonie oft überraschend eigenthümlich; Haupt- und Nebensätze sind in mannichfaltiger und glücklicher Entwickelung und Verflechtung durchgeführt. Von Joh. Jos. Fux, dem Autor des Gradus ad Parnassum, genügt es, dessen Missa canonica als Beispiel zu nennen, welche Anforderungen den Sängern zugemuthet wurden. Dieses merkwürdige, im Jahre[50] 1718 componirte Werk, in dem die volle Kunst des Contrapunkts meisterhaft entfaltet ist, wurde im Zeitraum der Jahre 1719–52, namentlich auch in den Jahren 1741 und 1742, im Ganzen eilfmal im Dome aufgeführt. Auch kleinere Compositionen von Fux, mit und ohne Begleitung, wahre Muster des strengen Stils, kamen hier in den 40er Jahren zur Aufführung und wurden zum Theil jährlich wiederholt. Daß Reutter seine eigenen Werke beim gottesdienstlichen Gebrauche nicht vergaß, ist selbstverständlich. Von Antonio Caldara36 sind zu gleicher Zeit genannt: Missa cardinalis (für das Stift Heiligenkreuz componirt), 2 Motetten, Confitebor und Miserere und ein Offertorium »Ascendit Deus«. Obwohl diese spätern Werke Caldara's mehr auf äußern Glanz berechnet sind, waren sie doch dem Castraten Salimbeni, der in der Hofkapelle von 1733–39 angestellt war, zu altväterisch und zu wenig brillant, weßhalb er Wien verließ. Francesco Tuma's37 kunstvoll gearbeitete[51] Kirchencompositionen sind der Ausdruck eines wahrhaft andächtigen Gemüths. In ihrer reichen Verwendung bekunden sie die strenge Schule von Tuma's Lehrern, Chorregent Czernohorsky in Prag und Fux in Wien. – Außerdem waren noch Werke in Gebrauch von Antonio und Bernardo Paumann, Francesco Pruneder, Hofkapellmeister Marc. Antonio Ziani, Giuseppe Bonno, nachmaliger Hofkapellmeister, Wagenseil38, Musiklehrer der Kaiserin Maria Theresia und der kaiserlichen Kinder, und von dem früher genannten Joh. Georg Reinhard, Kapellmeister beim Gnadenbild (als Hofcompositor verfertigte er auch Balletmusik und Serenaden).


Wir haben gesehen, wie sehr die Musikkapelle bei St. Stephan im Decennium 1740–50 in Anspruch genommen war. Außer den gewöhnlichen musikalischen Hochämtern an Sonn- und Feiertagen gab es aber noch besondere Feste aller Art, wobei virtuose Vocal- und Instrumentalmusik, Te Deum's mit zwei- und dreifachen Chören von Trompeten und Pauken die Feier erhöhten. Zahlreiche religiöse Bruderschaften durchzogen in Procession die Kirche und ihre nächste Umgebung; die verschiedenen Nationalitäten[52] und Facultäten der Universität, die Ungarn, Sachsen, die Mediciner und Juristen verherrlichten ihre Schutzpatrone mit Hochamt und solennen Musikaufführungen; die Erinnerung an den Entsatz von der Türkenbelagerung und ähnliche für die Stadt hochwichtige Begebenheiten wurden noch mit allem äußern Glanz gefeiert. Ebenso die miterlebten patriotischen Siege: Rückeroberung der Hauptstadt Linz (1742), Sieg im Elsaß (1744); außerdem auch freudige Familienacte des kaiserlichen Hauses: Geburt des Thronfolgers und des zweiten Prinzen (1741 und 1745), die Krönungen in Preßburg und in Frankfurt (ebenfalls 1741 und 1745). An hohen Festtagen erschien der kaiserliche Hof (die Kaiserin häufig in einer Sänfte getragen) mit glänzendem Hofstaat und im Gefolge der Ritter des goldenen Vließes, der Staats-Würdenträger, Kammerherren und Truchsessen, geheimen Räthe, des Rector magnificus, der Decane der vier Universitäts-Facultäten, des Bürgermeisters und Magistrats.

Von besonderm Interesse war die Feier in der Charwoche. Statt der in früherer Zeit am Palmsonntag abgehaltenen Procession mit dem Palmesel nach dem Palmbühel im nordöstlichen Theile des Friedhofs, wo eine umständliche Ceremonie stattfand, wurde solche nun im Dome selbst abgehalten. Der Erzbischof und die ganze Geistlichkeit trugen beim Umgange Palmzweige, und die Knaben, der Chor und ein Theil der Priester fangen wechselweise jene Stellen aus der heiligen Schrift, welche den Einzug Christi in Jerusalem schildern. Die Knaben, dem Wortlaut der Bibel folgend, breiteten dabei ihre Kirchenkleider auf der Erde aus und bedeckten den Weg mit Palmzweigen; auch die Lamentationen wurden theilweise von ihnen gesungen. – Am Charfreitage, an dem noch wenige Jahre vorher das alterthümliche Passionsspiel auf der dazu errichteten Bühne im mittlern Schiff der Kirche, nahe der Kanzel, abgehalten worden war, beschränkte sich die Ceremonie jetzt auf eine Procession, bei der unter ernsten Kirchengesängen und unter Begleitung der in den Evangelien erwähnten, mit Laternen versehenen Trauerweiber der Leichnam Christi in das, in der Mitte des Domes aufgestellte heilige Grab getragen wurde, und am folgenden Tage wurde dann das Auferstehungsfest mit der verstärkten Musik der vereinigten Kapellen und doppelchörigen Pauken und Trompeten begangen.[53]

Die Musiker selbst feierten den Cäcilientag mit auserlesener Musik. Als Gegensatz der seit Jahrhunderten bei St. Michael bestehenden St. Nicolai-Bruderschaft, welche die musikalische Zunft repräsentirte, hatten die Musiker im Jahre 1725 die freiere, vornehmere »Cäcilien-Congregation« (wie eine ähnliche in Prag bei St. Jakob seit 1680 bestand) gegründet. Jährlich veranstalteten seitdem die Mitglieder, meistens kaiserliche Hofmusici, zu Ehren ihrer Schutzpatronin am Cäcilientag (22. Nov.) eine Kirchenfeier, Hochamt und Vesper, und eine zweite Vesper am Vorabend, wobei sich in einem virtuosen Concert die vorzüglichsten Künstler hören ließen. Die Kirche war glänzend beleuchtet und der Hochaltar festlich geschmückt. Die erste dieser Feier wurde am 22. Nov. 1725 in der Hofpfarrkirche zum h. Augustin abgehalten und noch einige Jahre dort wiederholt. Dann aber übersiedelten die »freien« Tonkünstler (wie sie sich vorzugsweise gern nannten) nach St. Stephan und blieben dort stabil. Diese Kirchenconcerte standen in großem Ansehen und einheimische und fremde Künstler drängten sich herzu, der Ehre der Mitwirkung theilhaftig zu werden. Das sonst in musikalischen Dingen so schweigsame Wiener Diarium erwähnt der Aufführungen gewissenhaft: »Alles was wir dermalen von vortrefflichen und theils berühmten Tonkünstlern hier haben, ließ sich dabei hören«, und ein andermal: »Nie war der Wetteifer, sich selbst zu übertreffen, unter den Tonkünstlern lebhafter als bei dieser Gelegenheit, welche ihnen die erhabensten Begriffe von der Bestimmung ihrer Kunst und der Heiligkeit ihres Zwecks einzuflößen schien«.39 (Auch im Collegio Soc. Jesu[54] wurde das Fest der h. Cäcilia jährlich von den Musikern des Seminars begangen und ebenso bei den P.P. Piarum Scholarum mit einem Hochamte gefeiert.)

Einer großen Kinder-Procession, bei welcher über 5000 Schulkinder jährlich am Feste des h. Laurentius (10. Aug.) unter großem Zulauf des Volks mit Singen und Beten vom Profeßhaus der Societät Jesu in die Metropolitan-Kirche zu St. Stephan zogen, mag sich Haydn in London erinnert haben, als er dort vom Gesang einer gleich starken Schaar von Waisenkindern in der riesigen St. Paul-Kathedrale so mächtig ergriffen wurde. In Wien zog die »große Kinderlehr« (wie sie genannt wurde) auf dem Rückwege vom Dome über den Burgplatz, wo die Knaben des Waisenhauses am Rennwege (Straße in der Vorstadt Landstraße) vor den anwesenden Mitgliedern des kais. Hofes ihre Militärexercitien machten und auf drei errichteten Schaubühnen »die vier letzten Dinge des Menschen« darstellten und dazu ihre Sprüche hersagten.

Die Processionen zogen von St. Stephan aus zum Theil auch an bestimmte Plätze: auf die hohe Brücke (Wipplingerstraße), wo am Nepomuktage Abends bei einer aufgerichteten Ehren-Statue, bei brillanter Beleuchtung und in Gegenwart des Adels und einer großen Volksmenge nach der Predigt ein Oratorium von Reutter aufgeführt wurde; nach der Johannes-Statue am ehemaligen Schanzel vor dem rothen Thurm-Thor, wo im benachbarten Donaukanal auf glänzend beleuchteten Schiffen (gleich ähnlichen Aufführungen auf der Moldau in Prag) eine stark besetzte Musik die Feierlichkeit begleitete. Die musikalischen Litaneien bei den Säulen am Hof und Graben (zwei Plätze Wiens) wurden erst im Jahre 1756 abgestellt und flossen die Musikbeiträge in die Armenkasse.


Im Vergleich zur Dom-Musikkapelle war die kaiserliche Hofkapelle durch hervorragendere Mitglieder und reichere Besetzung die bei weitem bedeutendere. Da Beide häufig in nähere Berührung kamen und also auch Haydn, während er selbst mitwirkte, hier die besten Sänger hörte, ist diese Doppelstellung des Knaben wohl zu beachten, und es ist daher nöthig, wenigstens[55] summarisch einen Einblick in den damaligen Stand dieses vornehmern Instituts zu gewinnen.40

Der Dienst der Hofkapelle war auf die Kirchen-, Kammer- und Tafelmusik und einzelne, nach Schluß des großen Opernhauses (1744) in den kais. Gemächern der Burg, in den Lustschlössern Laxenburg oder Schönbrunn abgehaltene musikalischdramatische Vorstellungen vertheilt. Die Aufführungen der bisher in der Fastenzeit in der Hofburgkapelle stattgefundenen Oratorien, die jedoch mit keiner liturgischen Kirchenfunction verbunden waren, sondern nur zur Erbauung und Andacht dienten, schlossen im Jahre 1740 für immer ab. Daselbst fand aber beim musikalischen Hochamte ein reicherer Wechsel in Compositionen statt und namentlich waren die Werke von Fux stark vertreten. Auch Compositionen der gekrönten Häupter Oesterreichs kamen hier in Gegenwart und auf Befehl der Kaiserin an bestimmten Tagen jährlich zur Aufführung: von Ferdinand III., von dessen Nachfolger Leopold I. und von Karl VI. (Ein Miserere von Kaiser Leopold I., das damals mit jenem des Kaisers Karl VI. in der Fastenzeit alternirte, kommt noch heutzutage in der Hofburg-Kapelle jährlich am Leopoldstage zur Aufführung.)

Der Stand der bald darauf so tief gesunkenen und erst durch Florian Gaßmann wieder gehobenen Hofkapelle war in den Jahren 1740–50 folgender: Hofkapellmeister Joh. Jos. Fux, der aber schon im Febr. 1741 starb; Vice- und seit 1746 erster Hofkapellmeister Luca Antonio Predieri; Hofcompositor und seit 1746 zweiter Hofkapellmeister Georg v. Reutter. Außer ihm waren noch 4 Hofcompositore: der hochbetagte Giuseppe Porsile (gest. 1750), Matteo Palotta, Georg Christ. Wagenseil und Giuseppe Bonno. Der bedeutendste unter den 4 Hoforganisten war August Gottlieb Muffat, ein Schüler von Fux und seit 1717 angestellt (gest. 1770). Der Chor sammt Solisten zählte 4 Soprane und 7 Altisten (Castraten)41,4 Tenoristen,[56] 6 Bässe und 6 Sängerknaben – im Ganzen 27 Vocalisten. Darunter waren dem höhern Gehalte und dem Rufe nach die vorzüglichsten: die Sopranisten Domenico Genuesi, Ang. Monticelli, Gius. Monteriso; die Altisten (Castraten) Gaetano Orsini, Pietro Cassatti; Tenorist Gaetano Borghi; Bassist Christian Praun. (Die beiden Hofsängerinnen, Therese von Reutter und Anna Perroni-Ambreville kommen hier, als in der Hofkapelle nicht mitwirkend, auch nicht in Betracht.) – Außer den Saiteninstrumenten (16 Violinen und Violen, 4 Celli und 4 Violon) waren in Gebrauch: je 1 Theorbist, Cymbalist, Cornettist, 3 Fagottisten, 3 Oboisten, 5 Posaunisten, 8 »musikalische Trompeter« und 2 Pauker – im Ganzen 48 Instrumentisten. – Monteriso, den Fux als den unmittelbar nach Genuesi besten Sopran erklärt, excellirte besonders in den 20er Jahren in Prag und wurde im Jahre 1767 nach funfzigjähriger Dienstleistung von der Kaiserin mit der goldenen Kette sammt Medaille ausgezeichnet. (Wien. Diar., Nr. 67.) Der hochberühmte Contraltist Orsini, dessen Gesang einst Benda und Quanz in Prag zu Thränen gerührt hatte und von dem Fux die »vortreffliche Schule« rühmt, »welche heutigen Tags (1727) fast allein die wahre Singkunst emporhält«, mochte wohl kaum[57] mehr activ gewesen sein, obwohl von ihm besonders hervorgehoben wird, daß er seine Stimme bis ins hohe Alter erhalten habe. Er starb als 83jähriger Greis in Wien am 21. Oct. 1750 und sein Nachlaß spricht für den Kunstsinn und die Wohlhabenheit des großen Sängers. An Dom. Genuesi rühmt Fux Stimme und musikalische Sicherheit und Verwendbarkeit und nennt ihn, wie oben gesagt, »den besten Sopran der Hofkapelle«. Die uns schon bekannte berühmte Posaunistenfamilie war auch hier durch zwei Mitglieder vertreten.42

Fußnoten

1 Quellen: Vogel-Perspective und Pläne Wiens von Hufnagel (herausg. von N. Vischer); Jos. D. Huber; Van Allen; Suttinger; Bonifaz Wolmuet; Aug. Hirschvogel; Jos. Nagel; W.A. Steinhauser; Mildemann (Rundschau). – Berichte und Mittheilungen vom Alterthums-Verein zu Wien, Bd. XI, 1870 (»Der Stephansfreithof und seine Denkmale« von Alb. Cammesina R. v. Sanvittore). Die in die Geschichte Alt-Wiens einschlagenden Werke von Joh. Jordan, Ogesser, De Luca, Schlager, Schimmer, Hormayr, Karl Weiß, Schuender. – Repertorium des Magistrats (alte Registratur); Archiv der Commune Wiens; Wiener Oberkammeramts- und Kirchenmeisteramts-Rechnungen der Dompfarre; nieder-österr. Herrschaftsacten (Hofkammer-Archiv); Acten des Landesgerichts; Todten-Protokolle; Wienerisches Diarium; Handschriftl. Mittheilungen von Neukomm, von Thomas, Uhl, Prinster.


2 Der Friedhof wurde im Jahre 1734 aufgelassen, die bestehenden Grüfte jedoch bis gegen die 80er Jahre noch benutzt; im Jahre 1783 wurde der Friedhof auf Befehl des Kaisers Joseph ganz entfernt und im Jahre 1788 auch die Thore abgebrochen.


3 Dieses, dem Haupt- oder sog. Riesenthore des Domes gegenüber liegende Haus sammt dem angrenzenden Häuser-Complex sieht im Augenblick (Herbst 1874) einer Neugestaltung entgegen.


4 Der Heilthumstuhl, im Jahre 1700 abgebrochen, stand als Schwibbogen quer über die Straße gegen die Brandstatt und wurden von dessen oberen Fenstern an bestimmten Festtagen dem Volke die Reliquien der Kirche gezeigt.


5 Die Ansicht des Platzes von dieser Seite, im Jahre 1779 von Karl Schütz gezeichnet und gestochen, findet man in einer Nachbildung in den Berichten des Alterthums-Vereins, Bd. XI. Von der früher besprochenen linken Seite der Häuser vor dem Dome befindet sich eine Abbildung von Rauck auf der kaiserl. Hofbibliothek in Wien.


6 Die Magdalenen-Kapelle, im Jahre 1338 über die schon vorhandene Virgilius-Kapelle gebaut, war u.a. der Versammlungsort der Schreiberzech (Zunft der städtischen Notare), welche hier eine Stiftung auf eine tägliche Messe hatten. Im Jahre 1742 wurde die im Jahre 1696 gegründete und noch jetzt bestehendeConfraternita del sovegno (ital. Congregation) hierher versetzt, der im Jahre 1782 vom Kaiser Joseph II. die Kirche zu den Minoriten als Nationalkirche zugewiesen wurde. Bereits baufällig, brannte die Magdale nen-Kapelle nach der Johannisfeier am 12. Sept. 1781 dergestalt aus, daß sie abgebrochen werden mußte. Ueber diesen Brand schreibt Mozart an demselben Tage an seinen Vater, daß man, da fast Niemand helfen wollte, die Leute durch Prügel zum Löschen aufmunterte. »Man sagt, daß, seit Wien steht, keine solche schlechte Anordnung gewesen sei, als diesesmal. Der Kaiser ist halt nicht hier.« Auch diese Kapelle war mit Grabsteinen von Außen bedeckt. Ogesser nennt u.a. »Johann Giester, Hof- und Kammerorganist, welches Amt er auch bei St. Stephan 28 Jahre bekleidet hat, † 1826.«


7 Nach Vorlagen im Stadtarchiv wurde die Freimachung der Westseite des Domes von der vorgebauten Häuserreihe schon im Jahre 1733 in Vorschlag gebracht. Kaiser Joseph II. ordnete sie 57 Jahre später (1789) ebenfalls an, doch erst im Jahre 1792 wurde mit Abbrechung der linken Häuserreihe der Anfang gemacht, indem Kaiser Franz bei der Rückkehr von der Krönung in Frankfurt a.M. die Auslagen für die üblichen Ehrenpforten hierzu bestimmte. Die Häuser zur Rechten (Cantorei und beide Zinshäuser) wurden erst im October 1803 abgebrochen und erhielt somit der Platz von dieser Seite seine jetzige Gestalt.


8 Ein Lobspruch der hochl. weitberümbten Khüniglichen Stat Wienn in Oesterreich durch Wolffgang Schmeltzl, Schulmaister zun Schotten und Burger daselbst im 1548 Jar.


9 Instruction vnd Ordnung. Wie es hinfuran jn Gemainer Stat Wienn Canntorey bey Sanct Steffans Thumbkhirchen gehalten werden solle. (Wiener Stadtarchiv 6/1571). Ueber die frühere Einrichtung (vor 1571) siehe Hormayr's Geschichte Wiens, V.B., p. CLXXXV.


10 Reihenfolge der Cantoren bei St. Stephan, mit dem Jahre 1463 beginnend: Thomas List, Kaspar Mandl, Kaspar Slußler, Georgius Stennczl, Hans Lannkbusch, Mathias Tutt, Wolfgang Gebhart, Kaspar Capus, Lucas Plaßmann, Michael Petauer, Simon Roy, Judas Pyerpant, Hilarius Nunitsch, Mag. Wolf Khöberl, Quintin de la Court, Christoph Strauß, Johann Khreuzer, Johann Windtsauer. Kapellmeister: 1663, Wolfgang Ebner (1634 Organist bei St. Stephan; 1637 Hoforganist); 1665, Georg. Kappen; 1666, P. Augustin Kerzinger (früher Stiftsgeistlicher in Melk); 1678, Michael Stadler; 1679, Michael Zächer; 1712, Joh. Jos. Fux (später kais. Hofkapellm.); 1715 Georg Reutter (seit 1686 Organist); 1738, Georg Karl v. Reutter; 1772, Leopold Hofmann; 1793, Georg Albrechtsberger (1772–93 kais. Hoforganist); 1809, Jos. Preindl; 1823, Joh. Bapt. Gänsbacher; 1344, Jos. Drechsler; 1852, Gottfried Preyer (1844 überzähl. Vice-Hofkapellmeister, 1846 Hoforganist, 1862 wirkl. Vice-Hofkapellmeister).


11 Gegenwärtig kostet die Erziehung und Verpflegung der 9 Sängerknaben jährl. 5500–6000 Fl. Die Knaben werden im Gesang, im Klavier- und Violinspiel unterrichtet und stehen unter einem Hofmeister. Die Oberaufsicht führt der Domkapellmeister.


12 Die Singfundamente von Joh. Jos. Fux (in seiner eigenen Handschrift) sind Eigenthum des Archivs der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien.


13 Ignaz Holzbauer, geb. 1711 zu Wien, war 1745 beim Theater nächst der Burg als Musikdirector angestellt. Er kam später als Oberkapellmeister nach Stuttgart und starb 7. April 1783 zu Mannheim als Kurpfälz. Kapellmeister und Hofkammerrath. Von seinen zahlreichen Compositionen aller Art hatte die Oper »Günther von Schwarzburg« den meisten Erfolg. Ausführl. über ihn giebt Fétis (Biogr. univ. des Musiciens). Seine Selbstbiographie findet man in der Musik. Correspondenz, Speyer 1790, S. 107 und 132. Mozart schrieb aus Mannheim (4. Nov. 1777) mit vieler Achtung über ihn (siehe Mozartbriefe von Nohl, S. 81).


14 Wiener Theater-Almanach auf das Jahr 1794, S. 50.


15 Aehnliches finden wir in London, wo die Zöglinge der Westminster-Abtey häufig in Oratorien und Theatervorstellungen mitwirkten oder auch selbst solche Aufführungen veranstalteten, wie z.B. 1732 Händel's »Esther« im Hause ihres Meisters Bernhard Gates. (Vergl. Friedrich Chrysander's G.F. Händel, Bd. II, S. 270.)


16 Die Auflösung des Jesuitenordens im Jahre 1773 machte auch ihren weltl. Komödien ein Ende. Schlager erwähnt einer noch im MS. erhaltenen musik. dramat. Vorstellung vom Jahre 1677 unter dem Titel »Pia et fortis mulier«, die Musik von dem berühmten Joannes Casperus Kerl (Vergl. J.E. Schlager's »Wiener Skizzen«, Bd. III, S. 211 fg. u. 240.)


17 Der vollst. Taufname ist Johannes Adamus Josephus Carolus Georgius. (Reg. d. Dompf.) Reutter's Geburtsjahr wurde bisher allgemein mit 1705 oder 1709 angegeben. Man findet häufig die Schreibart Reitter; Vater und Sohn schrieben sich jedoch Reutter.


18 Georg Reutter, geb. 1656 zu Wien, wurde 1686 Organist bei St. Stephan, 1700 Hof- und Kammerorganist. Ueberdies gehörte er der Hofkapelle als Theorbist vom Jahre 1697–1703 an. Im Jahre 1712 erhielt er an Stelle des J.J. Fux, der nach Zächer's Tode Essential-Kapellmeister bei St. Stephan wurde, die Kapellmeisterstelle beim Gnadenbild daselbst und gleichzeitig 3 der Sängerknaben zur Verpflegung. 1715 rückte er an Stelle des zum Hofkapellmeister ernannten Fux zum ersten Domkapellmeister vor, behielt aber die Stelle beim Gnadenbild bei. Im Jahre 1728 jubilirt, trat er diesen Posten an Joh. Georg Reinhard ab, behielt dagegen alle 6 Sängerknaben. Im Gutachten des Gesuches der Witwe Reutter's (vergl. v. Köchel's J.J. Fux, S. 252 und 451) rühmt Fux Reutter's zu jeder Zeit geleisteten virtuosen Dienste und sein Accompagnement bei den Opern. Als Kirchencomponist war Reutter wohl geschätzt, ohne gerade hervorzuragen. Er starb im 82. Lebensjahre am 29. Aug. 1738. Wie mir Hr. Prof. P. Wilh. Neumann im Stifte Heiligenkreuz auf mein Anfragen mittheilte, besitzt das Stift ein Diplom, nach welchem Reutter vom Grafen Franz Sforza, des h. röm. Reiches Fürst, in Rom am 8. Jan. 1695 die Ritterwürde ertheilt wurde, welches Ernennungsrecht die Familie Sforza vom Papste Paul III. im Jahre 1539 erhielt. – Reutter's zweitgeborner Sohn Karl (Carolus Josephus), geb. am 6. Mai 1699, war ebenfalls Organist bei St. Stephan seit dem Jahre 1720; er starb am 15. März 1736.


19 Reutter hatte diese Messe die freie Benutzung einer Hof-Equipage eingebracht, nach welcher er sich sehnte. Er ließ in dieser Absicht das Dona nobis sich im 12/8 Takt bewegen, den bekannten Hexameter aus Virgil's »Aeneide« zu Grunde legend: Quadrupedante putrem sonitu quatit ungula campum. Der Kaiserin entging die Anspielung nicht. »Das hat sich ja wie Pferdegetrampel ausgenommen«, äußerte sie zu Reutter, worauf dieser gestand, er habe damit bei seinem vorgerückten Alter den Wunsch nach einem Wagen ausdrücken wollen. Am nächsten Morgen war sein Wunsch erfüllt – eine stattliche Carrosse mit einem prächtigen Schimmelpaar hielt vor dem Hause und wartete die Befehle des Hrn. Hofkapellmeisters ab.


20 Great noise and little meaning characterized the whole performance. Chs. Burney, the present state of Music in Germany. I, p. 357.


21 Wiener Diarium, 1766, Nr. 84. Anhang: Gelehrte Nachrichten, XXVI. Stück.


22 In Schilling's Univ. Lexicon d. Tonkunst, Bd. V, ist Therese Holzhauser irrthümlich als Reutter's Schwester bezeichnet. Bei Fétis, der den Vater und die Söhne Reutter's ganz unverständlich vermengt, sowie bei Gerber ist Therese Holzhauser gar nicht genannt.


23 Zwei Söhne, Franz und Franz Ignaz Holzhauser, waren als Sänger beim Gnadenbild im St. Stephansdome, ein dritter, Domenico, war als Tenorist in der Hofkapelle angestellt. Franz gest. 5. Juni 1743, 42 Jahre alt; Franz Ignaz gest. 25. Mai 1750, 38 Jahre alt; Domenico gest. 13. Jan. 1772, 54 Jahre alt.


24 In der langen Liste der Hofsängerinnen bezogen nur Mar. Landini-Conti (gest. 1722) und M.A. Lorenzini-Conti (ausgetreten 1732) einen höhern Gehalt (4000 Fl.). Vergl. v. Köchel: Die kais. Hof-Musikkapelle, S. 75 fg.)


25 Therese Holzhauser schloß die ältere Liste der Hofsängerinnen ab. Nach langer Pause finden wir im Jahre 1818 nur noch zwei Namen in dieser Rubrik: Anna Wranizky (bis 1848) und Therese Grünbaum, Tochter des bekannten Kapellmeisters Wenzl Müller (bis 1867). v. Köchel: Die kais. Hof-Musikkapelle.


26 Die Beschreibung des Wappens giebt Dr. Const. v. Wurzbach, Biogr. Lexicon des Kaiserth. Oesterreich, 25. Theil, 1873, S. 367. Das Wappen ist auch auf des Sohnes Grabstein im Stifte Heiligenkreuz bei Baden angebracht.


27 Vergl. O. Jahn's Mozart, 2. Aufl., I. F. 717. Das Todesjahr Hofmann's, mit 1792 angegeben, ist zu berichtigen. Siehe auch Bd. II. S. 594.


28 Clarin blasen, die sanftere Behandlung der Trompeten (mit Dämpfern), als Gegensatz zum Prinzipal blasen. Das Volk entbehrte nur ungern die ihm lieb gewordenen Lärminstrumente; sie wurden daher im Jahre 1767 bei Abhaltung eines Te Deum für die glücklich überstandene Krankheit der Kaiserin zum erstenmal wieder, aber einstweilen nur »mit Erlaubniß des Hofes« gestattet und weiterhin bei hohen Festen und Processionen mit jedesmaliger Bewilligung der weltlichen, in Verbindung mit der geistlichen Behörde.


29 Gegenwärtig betragen die Unkosten für den Dom-Chor jährlich bei 8000 Fl.


30 Im Jahre 1784 wurde die Essential-Musik im Dome durchaus regulirt.


31 Cameral-Zahlamts-Rechnungen im Archiv des k.k. Finanz-Ministeriums. – Auch unter Joseph I. hatten die Mitglieder der damals sehr kostspieligen Hofkapelle durch Unordnung in Auszahlung der Gehalte zu leiden. Siehe v. Köchel's J.J. Fux, S. 220.


32 v. Köchel: Joh. Jos. Fux, S. 410, Nr. 127.


33 Die Häuser Wiens waren mit dem Servitut der Hofquartiere belastet. Kaiser Leopold I. bewilligte nach der 2. Türkenbelagerung die theilweise Befreiung davon. Maria Theresia wandelte sie 1750 (nach Einführung der Haussteuer) in steuerfreie Jahre um, und Kaiser Joseph II. befreite die Bürger gänzlich von der Verpflichtung der Freiquartiere für den Hofstaat. Vergl. Karl Weiß: Geschichte der Stadt Wien, II, S. 229 fg.


34 Reihenfolge der Kapellmeister beim ungarischen Gnadenbild im St. Stephansdom: Joh. Michael Zächer (zugleich Essential-Kapellmeister); 1705, Joh. Jos. Fux (später Dom-, dann Hofkapellmeister); 1712, Georg Reutter sen., (seit 1715 zugleich Domkapellmeister); 1728, Joh. Georg Reinhard (zugl. kais. Hoforganist u. titulirter Hofcompositor); 1740, Georg v. Reutter jun. (provis.); 1743, Ferdinand Schmidt; 1756, Georg v. Reutter jun. (zugleich Dom- und Hofkapellmeister); 1772, Leopold Hofmann (bis 1784).


35 Der Sicilianer Mattêo Palotta, mit dem Beinamen II Panormitano war Weltpriester und wurde im Jahre 1733 bei der kais. Hofkapelle eigens als Componist für Gesangwerke ohne Begleitung angestellt, da an Werken dieser Art Mangel war. Fux in seinem Gutachten schildert Palotta als einen Componisten, der »vermög guten Fundaments hirzu sonderbar tauglich wäre«, (v. Köchel's Fux, S. 439, Nr. 209.) Eine in unsern Tagen bei St. Karl in Wien aufgeführte Messe bestätigte alle an ihm gerühmten Vorzüge. Von Palotta erschien auch ein, noch in seinem Vaterlande geschriebenes Werk: »Gregoriani cantus enucleata«, eine Abhandlung über die Guidonische Solmisation und Lehre von den Kirchentönen. Palotta starb zu Wien am 28. März 1758 (Todtenpr.) im 70. Lebensjahre.


36 Bei Caldara's Bewerbung um die Kapellmeisterstelle sagt das Gutachten des Fux, daß, da er selbst (Fux) nur wenig, der Kaiser (Karl VI.) aber vollständige Wissenschaft über diesen Virtuosen habe, er die Entscheidung Sr. Majestät überlasse. Caldara wurde demgemäß am 1. Jan. 1716 als Vice-Kapellmeister angestellt (vergl. v. Köchel's Fux, S. 379, Nr. 1715). Ca muß auffallen, daß er trotzdem schon bei dem Taufact seiner Tochter, 9. Mai 1712, im Protokoll der Dompfarre als Magister Capellae Augustissimi Imperatoris erscheint, allenfalls ein Ehrentitel, den er führte. (Unter den Taufpathen dieser Tochter ist auch der damals in Wien anwesende Componist Baron Emanuel d'Astorga genannt.) Caldara's Gehalt, anfangs 1600 Fl., stieg sammt Adjuta bis auf 3900 Fl., eine Summe, die selbst Fux, der erste Hofkapellmeister, nicht bezog. Ueberdies erhielt Caldara als Abfindungssumme für eine Pension der eventuellen Witwe 12000 Fl., und später die »nothdürftige« Witwe, eine geb. Petroni, trotzdem noch 500 Fl. Pension. Antonio Caldara starb in Wien am 28. Dec. 1736, alt 66 Jahre. (Todtenpr.) Eine große Anzahl seiner Werke, zum Theil in seiner Handschrift, befindet sich auf der kais. Hofbibliothek und im Archiv der Gesellsch. d. Musikfreunde in Wien.


37 Francesco Tuma, der auch die Gambe meisterhaft spielte, wurde im Jahre 1741 von der verwitw. Kaiserin Elisabeth zu ihrem Kapellmeister ernannt. Hof und Adel zeichneten ihn aus und die Kaiserin Maria Theresia gab ihm glänzende Beweise ihrer Werthschätzung. Mit einer Pension bedacht, zog er sich im Jahre 1758 ins Kloster Geras zurück, starb aber in Wien im Kloster der barmh. Brüder am 4. Febr. 1774, alt 73 Jahre. (Wien. Diar.) Ambros bezeichnet namentlich als wahrhaft groß Tuma's Messen in D-moll und E-moll, »Meisterwerke der Bach'schen Richtung, womit er eine Ehrenstelle unter den Meistern einnimmt«. (A.W. Ambros: Das Conservatorium in Prag. Eine Denkschrift. Prag 1858, S. 9. Anm. 2.)


38 Georg Christoph Wagenseil, ein Schüler von Palotta und Fux, wurde von Letzterm zum Hofscholar und dann zum Hofcompositor empfohlen, da er »vor andern, nach den Grundreguln des Contrapuncts zu schreiben sich befleyssiget«. (v. Köchel's Fux, S. 446 und 450.) Er schrieb viele kirchl. u. weltl. Musik; namentlich wurden seine Clavierwerke geschätzt, die mehrfach in Paris, London, Amsterdam und auch in Wien in schönem Stich von Nicolai erschienen; darunter 4 Sammlungen, jede zu 6 Sonaten, den kais. Erzherzoginnen, seinen Schülerinnen gewidmet. Bekannt ist Mozart's Aeußerung, als er im Jahre 1762 als sechsjähriger Knabe am Wiener Hofe spielte und, da ihm die vornehme Umgebung als Kennerschaft nicht genügte, ägerlich fragte: »Ist Herr Wagenseil nicht da? der soll kommen, der versteht's«, und dann, zu Wagenseil gewendet: »Ich spiele ein Concert von Ihnen, Sie müssen mir umwenden.« Wagenseil war seit 1739 Hofcompositor (1740–50 auch Organist der verwitw. Kaiserin Elisabeth Christine) und starb in Wien am 1. März 1777, alt 62 Jahre. (Wien. Diar.)


39 Wir lernen sie auch von der ökonomischen Seite kennen. Der Secretär der »löbl. Musicanten-Congregation«, Leopold Christian, verkaufte der Kirche im Jahre 1748 das angebrannte noch brauchbare Wachs für 15 Fl. 36 Kr. – Der Cäcilienverein ging Ende der 70er Jahre ein und das vorhandene Capital kam an die Tonkünstler-Societät (jetzige Haydn-Verein). Als schwacher Nachklang jener Feste vereinigten sich in Wien noch zu Anfang der 20er Jahre unsers Jahrh. die Musiker zn einem gemeinschaftlichen Mahle im Gasthof zum wilden Mann auf dem Neumarkt, wozu der greise Hofkapelle meister Salieri eigens einige heitere Canons zum Absingen verfertigt hatte. (Wiener Ztg.) Näheres über die Cäcilien-Bruderschaft siehe Ed. Hanslick: Geschichte des Concertwesens in Wien. Wien 1869. S. 12 fg. Die nun sehr selten gewordenen Original-Statuten sind S. 28 fg. abgedruckt.


40 Ausführliches über die Hofkapelle bieten die beiden, bereits mehrfach erwähnten Werke von Dr. Ludwig Ritter von Köchel: »Joh. Jos. Fux«, Wien 1872, und »Die kais. Hof-Musikkapelle in Wien«, Wien 1869.


41 Die Castraten der Hofkapelle hatten sich schon unter Kaiser Leopold I. und noch früher besonderer Auszeichnung von Seite des Hofes zu erfreuen und waren unter den Sängern die am besten besoldeten. Die kais. Gnade machte sie aber häufig übermüthig und verleitete sie, sich einen hohen Begriff von ihrer Wichtigkeit zu machen. Ein Reisender erzählt in denMémoires de la cour de Vienne (Cologne 1705, 2. édit., p. 111), daß ein solcher Hofmusikus bei einer feierlichen Gelegenheit bei Hof sich durch die Versammlung drängte und einen Cavalier, der ihm nicht sogleich Platz machen wollte, die drohenden Worte zudonnerte: »Ego sum Antonius M[anna?], Musicus sacrae Caesareae Majestatis!« Manchmal gab es gewaltige Gährungen unter diesen reizbaren Geschöpfen, und als einst dem Kaiser ein ungefährlicher Palastaufstand gemeldet wurde, äußerte er gutmüthig: »Ey, ey, ich glaube, diese Leute haben mit ihrer Mannheit auch ihr Gehirn verloren.« – Rossini sagte von diesen, der Natur abgezwungenen Stimmen: »Die eigentliche Kunst del bel Canto hat mit den Castraten aufgehört; man muß das zugestehen, wenn man diese auch nicht zurückwünschen kann. Diesen Leuten mußte ihre Kunst Alles sein, und so wandten sie denn auch den angestrengtesten Fleiß, die unermüdlichste Sorgfalt auf ihre Ausbildung. Sie wurden immer tüchtige Musiker und, wenn es mit ihrer Stimme fehlschlug, wenigstens treffliche Lehrer.« (Ferd. Hiller: Aus dem Tonleben unserer Zeit. Leipzig 1868, Bd. II. S. 27.)


42 Neben der kais. Hofkapelle bestanden noch zwei kleinere Musikkapellen der beiden verwitweten Kaiserinnen, denn wie früher die nachgelassene Gattin Kaiser Leopold I., Eleonore Margarethe (gest. 1720) eine selbständige Kapelle hatte, bei welcher Joh. Peter Mayer (gest. 1717) und nach ihm Mathias Oettl (gest. 1725) als Hofkapellmeister fungirten, so hatten auch Wilhelmine Amalie, Witwe nach Kaiser Joseph I., und Elisabeth Christine, Witwe nach Karl VI., jede ihren eigenen Hof-Musikstaat, der aber nur in der Kirche Dienste zu leisten hatte. Bei Ersterer (gest. 1742) war Joh. Jos. Fux Hofkapellmeister von 1713–18. Sein Nachfolger, der früher genannte Heinrich Holzhauser, führte nur den Titel Hof-Musikdirector, ebenso nach ihm Heinrich Ponheimer (gest. 1743). Gottlieb Muffat aus der Hofkapelle war auch hier Hof-Kammerorganist. Diese Kapelle zählte nach Köchel (Fux, S. 77) durchschnittlich bei 28 Angestellte, darunter 5 Sänger. In der Kapelle der Kaiserin-Witwe Elisabeth Christine (gest. 1750) waren, wie schon erwähnt, Tuma als Hofkapellmeister und Wagenseil als Organist angestellt.

Quelle:
Pohl, Carl Ferdinand / Botstiber, Hugo: Joseph Haydn. Band 1, Leipzig, Breitkopf & Härtel, 1878.
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