XIX.

In Genf, 1835 – December 1836.

(Reiseperiode mit der Gräfin d'Agoult

1835–1840. I. Schweiz.)

Brief an George Sand: Die Calvin'sche Reformationsfeier. Koncert zu derselben in der Peterskirche. Koncert des Fürsten Belgiojoso, Liszt's und Lafont's für italienische Flüchtlinge. – Liszt's Stellung zur Öffentlichkeit. Persönliche Beziehungen. Gebirgstour nach Chamonnix. Gesprächthemen. Im Dom zu Freiburg. Verläßt Genf.


Genf, den 23. November 1835.


Da ich als Musiker kein Bürgerrecht in der»Revue des deux Mondes« habe, so mache ich Gebrauch von den Spalten der »Gazette musicale« die ich leider mit meiner geringen Prosa ermüden muß, um mich bei Ihnen, lieber George, in Erinnerung zu bringen.

Von einem längeren Ausflug ins Gebirg zurückgekehrt, fand ich hier Ihre brüderliche Epistel1 vor, für die ich Ihnen hiermit tausend Dank sage, wiewohl dieselbe Ihr Versprechen bald mit uns zusammentreffen zu wollen, zu widerrufen scheint. Und doch, wie gerne möchte ich Sie wunderlichsten und phantasievollsten aller Reisenden hierherlocken, hierher, diesseits des wolkenumgürteten Jura, der sich im dämmernden Scheine des Zwielichts gleich einem düstertraurigen Gespenst zwischen mich und meine liebsten Freunde zu drängen scheint ... Doch was soll ich Ihnen sagen, um Ihre Neugierde zum Sieg über die Trägheit aufzustacheln?

Es war mir bei meinen Alpenwanderungen nicht vergönnt bis zu den schneebedeckten Schätzen vorzudringen. Das Mauerkraut,[351] das Windglöckchen, die Hirschzunge, mit denen Sie sich so gerne unterhalten, weil sie Ihnen lieblich klingende Geheimnisse, die sie uns verschweigen, ins Ohr flüstern, wagen nicht sich an den spaltenlosen Mauern meines weißen Hauses festzuklammern.

Der musikalische Freistaat, den der Aufschwung Ihrer immer frischen Phantasie geschaffen, ist für mich gottlob! bis jetzt ein von den huldvollen Einschüchterungsgesetzen noch nicht mit Exil und Gefangenschaft bedrohter Gegenstand der Wünsche und Hoffnungen. Komme ich auf mich selbst zurück, so muß ich erröthen vor Scham und Verlegenheit über den irdischen Staub, den meine Füße auf dem prosaischen Weg, den ich wandere, aufwirbeln, wenn ich an Ihre stolzen Ahnungen, an Ihre schönen Träume über das sociale Wirken der Kunst, welcher mein Dasein geweiht ist denke und sie neben die finstere Entmuthigung stelle, die sich oft meiner bei dem Anblick der Wirklichkeit bemächtigt, wenn ich dieses ohnmächtige Thun vergleiche mit dem heißen Verlangen, das Nichts des Geschaffenen mit dem Unendlichen des Gedankens, die Wunder, welche in alter Zeit die dreimal heilige Leier sympa thisch, sinnerneuernd vollbringen durfte mit der niedrigen, sterilen Stellung, in welche man sie heutzutage einschränken zu wollen scheint.

Allein, da Sie zu denen gehören, die trotz einer spröden Gegenwart nie an der Zukunft verzweifeln, da Sie ferner Mittheilung meiner unbedeutenden Reifebeobachtungen von mir verlangen und da die Eigenthümlichkeit der »Revue«, die mir bisher zur Vermittelung diente, jede politische und metaphysische Abschweifung ausschließt, womit wir uns am Kaminfeuer Ihrer von Ruhm und türkischem Tabaksduft erfüllten Räume so herrlich unterhielten – so will ich, bis ich Ihnen von Pergolesi's Stabat mater und der Sixtinischen Kapelle erzählen kann,2 Sie über die wenigen interessanten Begebnisse in Kenntnis setzen, die sich an die musikalische Chronik Genfs, des protestantischen Roms knüpfen.

Es traf sich, daß ich gerade am Vorabend der allhundertjährigen Feier des Calvin'schen Reformationsfestes hier anlandete. Dieselbe dauert drei volle Tage. Der erste ist von der väterlichen Autorität des Kantons der Jugend gewidmet. Wie ging mir das Herz auf, als ich sie in den Garten gleich einer Wolke von Heuschrecken[352] umherschwärmen sah. Das lachte, lief, hüpfte, überschlug sich und that sein Möglichstes die thatsächliche Kritik der katholischen Fasten zu üben durch Verschlingen einer Menge kleiner Käse (vacherins) und Törtchen.

Der zweite, im eigentlichen Sinn religiöse Feiertag wird in der Peterskirche (der Kathedrale) gefeiert. Dieser Tempel war bis zum August 1535, wo der Prediger Farel zum erstenmal die Reformation verkündete, die dem Apostelfürsten geweihte Domkirche. So zeigt sich uns hier wieder eine der merkwürdigen Entwickelungen, wie sie uns so häufig in der Geschichte, dem Drama der Menschheit, begegnen, dessen innere Einheit nur Gott kennt, das sich aber uns erst dann offenbaren wird, wenn der letzte Mensch das letzte Wort davon gesprochen: der dem Gründer des Papstthums, dem großen Prediger der Menschheit gewidmete Dom dient jetzt den Versammlungen und Festen derer, die seinen Nachfolgern den größten Theil ihrer Erbschaft entrissen und das weitläufige Gebäude des Katholicismus, dem Petrus zum Eckstein gedient auquel Pierre seroit de première pierre –, bis in seine Grundlage erschüttert haben.Tu es Petrus et super hanc petram aedificabo ecclesiam meam.

Zu der Zeit, als Genf noch orthodox war, umschloß die Kathedrale 24 Altäre; zahlreiche Gemälde. Statuen,Bas-reliefs schmückten die Wände; die Chorstühle, in denen behäbige Domherrn frommer Ruhe pflegten, waren mit Apostel- und Prophetengestalten verziert. Unter den letzteren war auch Erythrea, die römische Sibylle, zu deren Verewigung sich die künstlerische Laune, ohne Zweifel müde der vielen feierlichen und ehrwürdigen Gesichter, durch den Bericht einer Legende bevollmächtigt glaubte, nach welcher jene Seherin dem römischen Kaiser die Ankunft des Messias in demselben Augenblick, als dieser im Stall zu Betlehem geboren ward, verkündet hat.

Jetzt sind die Wände ihres Schmuckes beraubt; die Schnitzereien und die Bas-relief sind verstümmelt durch der Reformatoren Hand, die alterthümliche gothische Façade ist verdrängt von neumodischer Giebelfronte, einer armseligen Nachahmung des Pantheons, einem verunglückten Denkmal der ersterbenden Glaubenskraft des achtzehnten Jahrhunderts! – Es überrieselte mich kalt, als ich in diese beraubte Kirche trat, wohin mich die Erinnerung an Calvin's Werk sowohl als auch das Bruchstück eines Händel'schen Oratoriums rief.

[353] Die Plätze der Sänger und Sängerinnen hatte man in dem Theil des Chores eingerichtet, dessen Umfang sonst durch ein vergoldetes Gitter bezeichnet gewesen – an dieser so besonders weihevollen Stätte, die zu betreten jedem versagt geblieben, der nicht unmittelbar an der Feier der göttlichen Geheimnisse betheiligt war – an derselben Stelle, wo sonst die Priester sich am blumengeschmückten Altar mit der Weihrauchswolke empor geschwungen, den erlösenden Gott herab zu beschwören. Wohl steigt gewiß der Herr am liebsten hernieder zum Altar eines reinen Herzens, einer frommen keuschen Seele, wie Er ja selbst bezeugt; wohl sind die seltensten und köstlichsten Wohlgerüche nichts in seinen Augen gegen den Schimmer eines jungfräulichen Angesichts, gegen die holde Süßigkeit eines unschuldsvollen Gebets – wer aber einer Versammlung des Reformationsjubiläums beigewohnt, wird zugestehen müssen, daß diese Herren und Damen des protestantischen Kirchengesang-Vereins, von denen die größte Hälfte mit so fanatischem Eifer gegen die Gesetze des Taktes und des Einsatzes protestirte, nur einen kargen Ersatz bieten können für die Größe, die Feierlichkeit, die unendliche geheimnisvolle Tiefe des katholischen Opfers!

Wer möchte sich nicht versucht fühlen vom schwankenden zusammenklang der Stimmen und Instrumente auf den noch zweifelhafteren der Geister und der Willensrichtungen zu schließen? Welche sonderbare Inkonsequenz veranlaßte ferner die Reformirten aus ihren Kirchen Bildhauerei und Malerei zu verbannen, während sie doch Musik und Beredsamkeit, »die ersten der schönen Künste«, darin festhalten? Die Verblendeten, die Vorurtheilsvollen – wie mögen sie vergessen, daß das Schöne nur der Widerstrahl des Wahren, daß die Kunst nur die Strahlenbrechung des Gedankens ist?! Eine Religion so sehr verflüchtigen, daß sie außerhalb jeder äußeren Erscheinung steht, – heißt das nicht am Werke Gottes mäkeln wollen, am Werke dieses großen, erhabenen Meisters, der in der Schöpfung der Welt und des Menschen sich zu gleicher Zeit als den ewigen, unendlichen und allmächtigen Dichter, Baukünstler, Musiker und Bildner offenbart hat? Wie können sie diese Wahrheit verkennen?

Ich will mich hier nicht weiter ausbreiten über diese im Übrigen so lobenswerthen Versuche der »Société de Chant sacré«,3 vermeide[354] desgleichen auch eine breite Schilderung der Festivitäten und Illuminationen des dritten Feiertags und gehe über zu einer zwar profanen, aber darum auch amüsanteren musikalischen Réunion, zu dem Koncert zum Besten der Armen und italienischen Landesflüchtigen, gegeben vom Prinzen Belgiojoso und Franz Liszt.

Wie hätten Sie gelacht, wenn Sie die ungeheuer großen hochgelben Affichen4 gesehen hätten, auf welchen unsere Namen in großen Buchstaben prangten und die mehrere Tage zahlreiche Gruppen von Gaffern anlockten, welche eilends erkunden wollten, aus welchem Recht und unter welchem Vorwand man sich erdreiste ihnen fünf baare Franken abzufordern, während sie sich seit undenklichen Zeiten mit drei Franken und weniger die ganze Dosis Harmonie verschafft hatten, die sie brauchten, um einen Abend angenehm zu verbringen und dann ohne Furcht vor Alpdruck und bösen Träumen einzuschlafen.


Ob aus Neugierde, ob aus Mildthätigkeit –

»Quelque diable aussi les poussant«


unser Koncert erfreute sich eines großen Zudrangs, der für den aufmerksamen Beobachter in hohem Grad den Reiz des gesellschaftlich Pittoresken darbot.

Obwohl der Kanton Genf auf der Karte kaum zu sehen ist und sich förmlich verliert und begraben liegt im Schatten zweier Bergketten, so wimmelt doch sein Territorium von einer Menge gesunkener Größen, gestürzter Könige, erloschener Mächte. Jeder Tag erhöht die Zahl dieser vornehmen Persönlichkeiten, dieser Könige, Minister, Generale, die vom Revolutionssturm gejagt von[355] Land zu Land irren und in gewisser Beziehung ein heimatloses Volk bilden, ein Volk, an der Stirn gezeichnet gleich dem jüdischen, gleich ihm von einem geheimnisvollen Fluch getroffen, weil auch sie das Wort Gottes verkannt hatten: die Freiheit!

Man sah im Koncertsaal versammelt: den Exkönig von Westfalen, Jerôme Bonaparte und seine reizende Tochter mit dem blonden Haar und dem sanften, traurigen Blick, wie eine Taube auf Ruinen; einen Minister Karl's X., der ohne Entmuthigung und Bitterkeit die über ihn verhängte Strafe erträgt, eine Strafe, die von jeher hart in gegenwärtiger Zeit sogar schmachvoll sein muß; eine Frau, die ihrem Namen Ehre gemacht hat und auf den Schlachtfeldern von Vendée gesehen wurde – und hundert Andere noch, die ich vergessen habe oder aus Mangel an Zeit nicht alle aufzählen kann, und endlich Bourmont's Gefährte bei Waterloo, der durch den Sieg befleckt, durch das Unglück geläutert jetzt als Verbannter seine Mußestunden einem Kunstwerk widmet, das er mit unermüdlichem Eifer verfolgt. Der General C ..., ein leidenschaftlicher Liebhaber der alten Musik, besonders der Händel'schen, welche er mit hinreißender Wärme singt, hat die Herausgabe einer Sammlung klassischer Arien unternommen, um dem, was er den Verfall der modernen Musik nennt, ein Vorbild antiker Reinheit entgegen zu stellen und als einen heiligen Damm gegen das italienische Zierwerk und die kalten französischen Überladungen die erhabene Gesetzmäßigkeit, die fleckenlose Majestät der Namen Händel und Palestrina zu erheben. Indem er sich so in der Kunst, wie er es in der Politik gethan, der Pflege einer Vergangenheit weiht, die er einseitig bewundert, ohne die Gegenwart seiner Beachtung zu würdigen, dient er der, letzteren gerade durch diese Einseitigkeit. Sobald ich genau weiß, in welchem Welttheil sich jetzt mein berühmter Freund George aufhält, wird derselbe die fünf oder sechs erschienenen Lieferungen der interessanten Herausgabe des Vendéer erhalten.

Doch – kehren wir zu den Einzelheiten unseres Koncertes zurück!

Hinter einem weißverhangenen mit Blumengewinden geschmückten Geländer, das einem Altar am Tage der ersten heiligen Kommunion glich, zeigte sich auf einem terrassenartigen Podium das Heer der Violinen, Hoboen, Fagotte und Kontrabässe, welches die Lieblingsouverture zur »Weißen Dame« ausführte, wahrend ein ungeheuerer krystallner Kronenleuchter, wie kadenzirend, in abgemessenen[356] Pausen große Öltropfen auf die weißen und rosa Hüte der eleganten Genferinnen niederfallen ließ. Hierauf sang der in den pariser Salons so hochgeschätzte und verhätschelte Prinz Belgiojoso mit vollendetem Geschmack einige Sachen von Bellini, das entzückende Ständchen von Schubert und eine italienische Romanze, l'Addio, die er zu Ehren der reizenden Comtesse M.5 gedichtet und komponirt hatte. Seine reine weich vibrirende Stimme, seine freie einfache Schule erregten Aufsehen. Ein dreifacher Beifallssturm begrüßte ihn, als er das Klavier verließ. Und nun spricht man in ganz Genf nur noch von dem hochgeborenen Künstler, der seiner freisinnigen Ideen in freisinnigen Werken niederlegt und der, ohne die von seinen Ahnen vererbte Krone zu verleugnen, seinen Ruhm darin findet, sie der plebejischen Krone, die man dem Adel des Geistes und des Talents zuerkannt, unterzuordnen.

Unser alter Kamerad und Schüler, der junge Hermann6 aus Hamburg, den Sie unter dem Namen »Puzzi« verewigt, begleitete ihn. Sein bleiches, schwermüthiges Gesicht, sein schönes dunkles Haar und seine schmächtige Gestalt bildeten einen poetischen Gegensatz zu der sichern Haltung, dem blonden Haupthaar und dem offenen, farbenfrischen Antlitz des Prinzen. Das liebe Kind lieferte von neuem den Beweis jenes frühgereisten Verständnisses, jenes tiefen Kunstgefühls, das ihn schon jetzt von den gewöhnlichen Musikern unterscheidet und das mich ihm eine glänzende und fruchtbare Zukunft verheißen läßt. Bei. einem für vier Klaviere bearbeiteten Stück, das die Herren Wolf7 und Bonoldi, er und ich ausführten, wurde er lebhaft beklatscht, und es würde mich wundern, wenn nicht mehr als ein junges hübsches Dämchen ihn zum Gegenstand ihrer kindlichen glühenden Neigung gemacht hatte. Auch stehe ich nicht dafür, daß nicht manches Heft der Grammatik oder der alten Geschichte auf einem seiner klassischen Blätter in romantischer Verschlingung und symbolisch von einem Vergißmeinnichtkranz umgeben den Namen Hermann und den einer frühreifen Julie oder einer vierzehnjährigen Delphine trägt.

Herr Lafont hatte die Güte die ganze Fülle seines Talentes der Soirée zu widmen, was dieselbe natürlich reichhaltiger und[357] fruchtbarer gestaltete. Dreißig Jahre glänzenden Beifalls und geachteter Berühmtheit entheben mich jeder weiteren Bemerkung über diesen allgemein und mit Recht bewunderten Künstler.

Was nun, lieber George, Ihren Freund Franz betrifft, so wird er Sie weder mit der Schilderung seiner Erfolge noch seiner Niederlagen ermüden und da Sie so viel Besseres zu thun haben als mich anzuhören, so ende ich jetzt meinen genfer Bericht mit dem Vorbehalt ihn gelegentlich wieder einmal aufzunehmen.

Gerne möchte ich Ihnen, um Ihre berühmte Indolenz zu einem Austausch Ihres pariser Fauteuils gegen einen Schweizer Bergère zu bewegen, von den zeitge nössischen Größen, wie z.B. von M. de Sismondi, M. de Candolle u.A., die Genf so stolz ist innerhalb seiner Mauern zu besitzen, sowie von mehreren sich häufig Rue Tabazau versammelnden trefflichen Freunden – unter ihnen M. Fazy, der Atlas, welcher Mittel-Europa auf seinen Schuldern trägt –, sodann von M. Alphonse Denis, welcher Geolog, Archäolog, Orientalist, Metaphysiker, Künstler und, was mehr als das alles, ein unendlich liebenswürdiger, geistvoller Mensch ist, eingehend erzählen – aber ich habe eine entsetzliche Scheu vor allem, was einer Indiskretion ähnlich sehen könnte.

Also kommen Sie zu uns und das sobald als möglich! »Puzzi« hat schon Ihnen zu Ehren die Friedenspfeife gekauft. Ihre Mansarde ist eingerichtet und zu Ihrem Empfang bereit, und mein Klavier mit den Perlmuttertasten, das seit drei Monaten unberührt geblieben, harret Ihrer, um die umliegenden Berge mit verworrenem Echo zu füllen.


Gott befohlen und auf Wiedersehn!


Franz Liszt.«


Dieser Brief war am Anfang seines Aufenthaltes in Genf von Liszt geschrieben. Die seinem »Freunde George« entworfenen Silhouetten seiner Beziehungen zum öffentlichen Leben arbeiteten sich wahrend seines folgenden Aufenthaltes in dieser Stadt nicht zu lebendigem Bilde durch, sie blieben Silhouetten.

Liszt wirkte wahrend desselben überwiegend als Lehrer, wobei der wesentliche Theil dieser Thätigkeit dem mit Anfang des Jahres 1836 unter Leitung M. Bloc's eröffneten Konservatorium der Musik zufiel. Er hatte an dem Zustandekommen dieser Lehranstalt den regsten Antheil genommen und, als sie ins Leben trat, erwarb[358] er sich noch besondere Verdienste um sie, indem er nicht nur einen Lehrkurs im Klavierspiel freiwillig übernahm, sondern auch noch zu Gunsten der jungen Anstalt auf jedes Honorar verzichtete. Liszt gab ihr auf diesem Gebiet einen aufstrebenden Lüstre, wie sie kaum zu einer andern Periode ihres Bestehens ihn besessen.

Als Virtuos trat Liszt in Genf nur durch besondere Veranlassung auf,8 wie zum Besten der politischen Flüchtlinge Italiens am 3. Oktober 1835. Dieses Koncert war das, welches er in seinem Brief an George Sand erwähnt und gemeinschaftlich mit dem Fürsten Belgiojoso und Lafont gegeben hatte und welches auch mit seinem vornehmen Auditorium der Glanzpunkt seines öffentlichen genfer Auftretens blieb.

Dieses Koncert rief seitens der Presse, die seinem Genie und seinen Leistungen eine enthusiastische Würdigung zu Theil werden ließ, einen kleinen Vorfall hervor, welcher für den Charakter des Künstlers bezeichnend ist. Er spielte in demselben ein »Koncert« von Weber, dessen Einzelsätze und deren vom Komponisten vorgeschriebenen charakteristischen Bezeichnungen: »Adagio dolores« und »Presto appassionato« er auf dem Programm angeführt hatte. Dem Koncertreferenten des »Fédéral«9 war diese Art neu. Er hielt die Bezeichnungen für willkürliche des Virtuosen und rügte sie mit den schmeichelhaften und doch so scharfen Worten: »Son jeu et son expression n'ont pas besoin des affiches«. Er nannte diese Bemerkung wohl nur »une petite chicane«, zu deren Entschuldigung er noch die Worte hinzusetzte: »parceque nous avons une souveraine horreur de ces petits moyens, qui nous paraissent ôter au talent un peu de sa dignité«.

Liszt nahm aber diese Rüge ernsthaft und sah in ihr »une accusation tacite de charlatanisme« – für ihn die tiefste Ehrenkränkung, die ihm als Künstler werden konnte. Er sandte darum an die Redaktion zur Beweisführung der Richtigkeit seiner Angaben die Weber'sche Komposition und begleitete sie mit den bemerkenswerthen Worten10: »Entré fort jeune dans la carrière[359] artistique, j'ai été fréquemment éprouvé pendant ces douze dernières années, qui font un peu plus de la moitié de ma vie, par les admonestations et les censures d'un grand nombre d'Aristarques. La critique, ainsi que l'opinion, est reine du monde, et je ne prétends nullement protester contre sa souveraineté de fait et de droit. Sauf quelques cas très rares, il n'est pas convenable que l'artiste en appelle de ces décisions autrement que par un travail assidu et des progrès manifeste. Toutefois, lorsque par mégarde elle vient porter atteinte à ce qui constitue notre moralité intime, c'est assurément un devoir que de rectifier en toute simplicité les assertions erronées qui auraient pu lui échapper.«

Die Berichte der Presse über Liszt's jedesmaliges Auftreten in Genf, »Le Fédéral« und »L'Europe Centrale« an ihrer Spitze, waren glänzend und hervorragend, dem Wesen und Reiz seines Spieles immer näher tretend. So schrieb nach einem Koncert im April 1836 »L'Europe Centrale«:11[360]


»Liszt n'est pas une création ordinaire dans le monde des artistes, quand il joue, sa personne attire autant l'attention que son clavier, parceque toute la magie d'exécution dont il nous charme, vient réellement de l'inspiration.

Trouvez un autre mobile que l'inspiration à cet ouragan de notes, qui se précipitent, se pressent, je dirais presque se heurtent (si jamais aucune, gênait l'autre) et qui vous transportent malgré vous. Otez à Liszt l'inspiration, et dites à ses doigts: Reprodui sez-nous ces sons, ces rapports, qui viennent de nous enlever; où voulez-vous que ses doigts trouvent l'agilité nécessaire? C'est l'âme qui les fait courir comme la pensée; le corps n'est pas capable, quelque rompu qu'il soit de répéter mécaniquement un tel exercise; cela ne s'apprend pas, c'est un don du ciel! Liszt est un de ces artistes prédestinés à nous laisser entrevoir de certains rapports entre la vie universelle et notre existence individuelle. Il élève la musique à la destination, rêvée par ceux qui ont cru que la béatitude éternelle consistait à entendre toujours de la musique.«


Neben derartigen treffenden Bemerkungen, mit welchen die genfer Kritiken gefüllt sind, fehlte es auch nicht an Poeten, welche »Liszt am Klavier« besangen, uns noch jetzt in unsere Vorstellung auch die Erscheinung des Künstlers tragend, dessen Töne wie die eines übermächtigen Zauberers Gedanken und Gefühle seiner Hörer so dringend und unerklärlich berührten. Das Feuilleton des »Fédéral« besingt den Künstler am Klavier, wie folgt:


Liszt au piano.12

Il s'assied; regardez! sur son front pâlissant

Le précoce génie a gravé son empreinte;

Il allume le feu de ce regard puissant

Où l'âme de l'artiste est peinte.[361]

Son sourire à la fois mélancolique et doux,

D'un charme inexprimable embellit son visage,

Comme luit un rayon en ciel plein d'orage ...

Il prélude; écoutez! amis, recueillez-vous.

Sous ses doigts inspirés la touche obéissante

S'anime et fait entendre une langue éloquente,

Langue passionnée et qui va droit au coeur,

Car elle en a jailli. De l'improvisateur

La foule a partagé l'émotion croissante.

On entend éclater, dans ces savans accords[362]

De longs cris déchirants, d'impétueux transports,

Puis aussitôt l'expression plaintive

D'un chant suave et pur calme l'âme pensive.

Il frappe à coups pressés, le clavier frémissant,

Et semble déchainer au gré de son génie,

Tout un ouragan d'harmonie.

Poète, il l'a suivi dans son fougueux élan:

Il le dompte et l'orage au loin va se perdant;

Puis voici revenir ces voix mystérieuses

Qui charment les douleurs rêveuses,

Nous bercent dans l'oubli, nous entr' ouvrent les cieux ...

Liszt captive l'oreille, fascine les yeux.

Que j'aime de ses traits le changeant caractère,

Ici l'enthousiasme brûlant

S'allie avec le sentiment!

De son regard profond, caressant ou sévère,

Mon avide regard ne se peut détacher;

Je ne sais ce que je préfère,

De voir Liszt ou de l'écouter.


Trotz der Lorbeerkränze, welche ihm Kritik und Poesie, ja auch die Musiker, die ihm in seinem Koncert (im April) mit einem Tusch applaudirten, zuwarfen, verhielt sich das genfer Publikum selbst zurückhaltend gegen den Künstler. In der leipziger »Allgemeinen musikalischen Zeitung« ist über diese auffallende Erscheinung zu lesen: »Liszt spielte so oft und unentgeltlich, daß, als er ein Koncert für sich geben wollte, das allgemeine Interesse für sein Spiel bereits derartig befriedigt war, daß es so ziemlich unbesucht blieb«. Zu dieser unbegreiflichen, selbst damals von »L'Europee Centrale« in einem langen Artikel gerügten und nebenbei gesagt, etwas geschmacklos persiflirten Indolenz der Genfer, hatte jedenfalls noch ein anderer Grund mitgespielt und es liegt die Lesart nahe, daß sie ein Ausdruck des gesunden schweizerischen Sinnes war, welcher kein Verständnis für die von den Romantikern jener Zeit besungenen »großen Passionen« in sich trug und beleidigt von der Öffentlichkeit derselben in bürgerlicher, allerdings in starkem Kontrast zu dem hochherzigen, immer hilfsbereiten Thun des Künstlers stehender Kleinlichkeit diesen ignorirte – was jedoch[363] weder ihn hinderte seinen Lehrkurs am Konservatorium fortzusetzen noch die Genfer denselben anzunehmen. Die Verhältnisse, in die sein Privatleben gedrängt war, erklären die Kühle der Genfer mit ziemlicher Bestimmtheit. Liszt selbst scheint derselben Ansicht zu sein; denn als einmal zufällig die leipziger Bemerkung gegen ihn erwähnt wurde, platzte er plötzlich mit der ihm so eigenen heroischen Offenheit und Ironie los: »Wegen meiner vie scandaleuse, wie sie es nannten – darum kamen sie nicht!«

Weniger kühl wie Liszt's Stellung zum Publikum blieb die zu verschiedenen durch Geist und Bildung hervorragenden Persönlichkeiten Genfs. Es war kein aufgeregter Künstler- und Literatenkreis wie in Paris, dem er sich anschloß: es waren meist Gelehrte, ruhige Forscher und Denker, ihm an Jahren und Erfahrung überlegen. Zu diesen zählte der ebenso eifrige Schüler des Philosophen Schelling wie als Schriftsteller geistvolle Adolphe Pictet, ein Sohn des verdienstvollen genfer Astronomen Marc August Pictet; sodann der greise, durch seine großen Sprachkenntnisse und literarisch-geschichtlichen Werke weit bekannte Simonde de Sismondi, der, obwohl im hohen Alter stehend, dennoch mit nahezu jugendlichem Enthusiasmus die modernen Ansichten über Kunst und Poesie theilte; der seiner Zeit berühmte Botaniker A.P. de Candolle, der Orientale Alphonse Denis, der in der Schweizerpolitik eine hervorragende Rolle spielende Jean James Fazy u.A.

Konnten diese Männer auch nicht immer Liszt's zu Excentricitäten aller Art sich neigende Anschauungen theilen, so war das für ihren freundschaftlichen Verkehr so wenig ein Hindernis wie der Umstand, daß ihre Beziehungen nicht künstlerischer Natur waren. Und Liszt, der für alles, was den Namen »Wissen« führte, ein lebendiges Bedürfnis in sich trug, begrüßte freudig jede neue Quelle, die sich ihm nach dieser Richtung hin aufthat. Mit Pictet diskutirte er philosophische Fragen, von Candolle ließ er sich botanische Aufklärungen geben und Denis regte ihn zu orientalischen Studien an, denen er mit großem Eifer und mit solchem Interesse sich hingab, daß er sogar eine Orientreise plante.

Auch zu Personen der höheren Gesellschaft, die sich in Genf aus den verschiedensten Ländern Europa's zusammengefunden, blieb Liszt nicht berührungslos. Einige waren nicht ohne Einfluß für manche seiner späteren gesellschaftlichen und persönlichen Beziehungen. So insbesondere die polnische damals in Genf lebende geistreiche[364] und sehr musikalische Gräfin Marie Potoka, welche ein großes Interesse an den Jüngling nahm und sich durch seine romantischen pas d'amour durchaus nicht in ihrem Urtheil über ihn bestimmen oder beirren ließ. Sie hatte weit verbreitete Beziehungen, auch nach Paris, speciell zur Gräfin d'Appony und wußte manches zu Gunsten des bei der dortigen Aristokratie in Ungnade Stehenden zu berichten.

In Genf gehörte sie und eine Gräfin de Miramont zu Liszt's Schülerinnen.

Sein bereits in Paris begonnener Verkehr mit dem italienischen Fürsten Belgiojoso setzte sich hier ebenfalls fort. Er musicirte während des Sommers 1835 häufig mit dem Fürsten, der eine eben so schöne wie edelgeschulte Stimme besaß. Ihr gemeinschaftliches Koncert zum Besten italienischer Flüchtlinge – Belgiojoso war ein eifriger Patriot, wenn auch nicht in dem großen Stil, wie seine als Schriftstellerin und Patriotin berühmt gewordene Gemahlin Christine – gab ihren genfer Beziehungen das Hauptgepräge.

Das jedoch, was Liszt als Künstler an nachhaltigen Eindrücken während seines Schweizeraufenthaltes zufloß, kam weniger von seinen persönlichen Verbindungen als von der Schönheit und Großartigkeit der ihn umgebenden Natur. Der Reichthum der Alpenwelt veranlaßte ihn zu vielen Ausflügen in Genfs nächste Umgebung, wie auch in fernere Kantone. Die Gebirgszüge und Thäler vom Mont-Blanc bis zum Wallenstädter See hat er sämmtlich durchwandert. Seine Exkursionen unternahm Liszt stets in Begleitung der Gräfin d'Agoult, mehrmals auch mit noch anderen Freunden. Von der einen derselben ist viel in die Öffentlichkeit gedrungen. Es ist die Gebirgstour nach Chamounix, welche Liszt in Begleitung der Gräfin, George Sand's und ihrer beiden Kinder Maurice und Solange, Adolf Pictet's und »Puzzi's« im Oktober 1836 machte.

George Sand war der Einladung Liszt's gefolgt und nach Genf gereist, von wo aus jene Tour auf Mauleseln unternommen wurde. Adolf Pictet hat ihr ein ganzes Buch gewidmet13 und George Sand hat sie in ihren »Lettres d'un[365] voyageur« in köstlicher Weise verewigt. Mit wenigen, aber genial ausgeführten Strichen giebt sie hier den charakteristischen Kontur der Theilnehmer, auch den manches heiteren und ernsten Intermezzos dieser Reise. Da steht der gravitätische, immer zum Philosophiren bereite Major (A. Pictet), Schelling in der Tasche, daneben Franz (Liszt) voll humaner himmelanstrebender Ideale und wißbegierig jede neue Idee ergreifend, dort haltungsvoll die Dame Arabella (Gräfin d'Agoult) die Dinge schnell erfassend und hier sie selbst (George Sand)»paresseux, nonchalant et orgueilleux de mon ignorance comme un sauvage«.

Reizend humoristisch erzählt sie die Diskussion des Schelling'schen Satzes: »das Absolute ist sich selbst identisch«, welcher eine unversiegbare Quelle, insbesondere der Unterhaltungen Pictet's mit Liszt war und auch den Mittelpunkt der Pictet'schen Erzählung bildete. In ihm koncentrirten sich die Gesprächsstoffe der ebenso geistreichen wie übermüthigen Reisegesellschaft. Wie reichhaltig, vielseitig und witzig dieselben aber im allgemeinen waren, davon spricht das Kapitel: »Pensées detachées«. In kurzen geistvollen, oft in drastische Bilder gekleideten Aphorismen stellen sie Pointen und Resumés ihrer in Kreuz- und Querzügen gepflogenen Unterhaltungen, welche alle höheren Fragen des Lebens, der Zeit, der Politik, vor Allem der Kunst und Künstler berührten, zusammen. Sätze wie folgende lassen auf manche interessante Debatte schließen:14


Faire de la législation et de la politique avec du sentiment et de l'imagination, c'est atteler deux beaux papillons à la plus lourde des charues.


Transplanter un arbre malade en coupant avec soin toutes les racines pour lui redonner de la vigueur: recette infaillible, au dire des novateurs, qui veulent tout améliorer sans tenir compte du passé.


[366] Il y a des gens qui, pour le bien de l'humanité, tel qu'ils l'entendent, sacrifieraient volontiers tout ce qui fait la gloire et la grandeur de l'humanité: l'art, la poésie, la foi, la science. Dans leur zèle empressé, ils jetteraient l'équipage par-dessus bord pour sauver le navire.


L'utopie de l'égalité de fait, de l'égalité matérielle entre tous les hommes, ne peut naître que dans une âme très généreuse ou très méprisable, selon qu'il y aurait à donner ou à prendre. Les plus généreux utopistes sont les hommes de talent et de génie, qui perdraient mille fois plus que les riches dans le partage.


Ceux, qui rêvent ici-bas l'égalité des biens, se trompent non-seulement de date, mais de monde; l'égalité ne s'établira que négativement, par l'absence même des biens matériels, dans la vie future.


Tirer un homme à quatre chevaux pour accélérer sa croissance: voilà ce que font les gens qui voudraient d'évelopper le genre humain à coups de révolutions.


[367] Nouvelle formelle de progrès: Marche ou je t'as somme!


La religion est le véritable ciment des édifices sociaux et surtout des républiques. Plus les pierres sont nombreuses et menues, plus le ciment doit être fort pour les unir. Les faiseurs de sociétés comprennent cela par instinct et s'efforcent de faire du ciment; mais, par malheur, la recette en est perdue.


A proprement parler, toute idée progressive n'est bonne et vraie que lorsqu'elle devient réalisable. Les impatients ne conçoivent pas cela; ils avancent les aiguilles de leur montre et s'imaginent hâter le cours du temps.


Mettre la puissance d'un grand talent au service des passions politiques, c'est livrer au Turcs les statues de Phidias pour en faire de la chaux.


Il y a des grandes erreurs, qui sont plus près du vrai que de petites vérités.


Pour que le génie brille de son éclat immatériel et divin, il faut qu'il soit placé entre les deux pôles du vrai et du[368] bien; comme le charbon dans la pile galvanique. Alors il luit, sans se consumer, de la plus éblouissante lumière. Enflammé par le feu vulgaire des passions, il ne répand qu'une lueur rougeâtre, et se détruit lui-même en propageant l'incendie.


Les plus belles créations du génie sont celles qui succèdent à l'époque des passions. L'expérience de la vie doit précéder l'art; mais l'art veut du calme et s'accomode mal des orages du coeur. Les montagnes les plus belles de notre globe sont des volcans éteints.


Les fautes du génie portent avec elles leur absolution.


L'huître se vante et dit: Je n'ai jamais erré! hélas! pauvre huître! c'est que tu n'as jamais marché.


Si vous voulez arriver au vrai, réconciliez-vous avec vos contraires: la lumière blanche ne résulte que de la réunion des rayons colorés du spectre.


[369] La pensée est à l'action ce que la lumière est à la chaleur. La vie ne se développe que par l'union des deux principes. Toutefois si la lumière sans chaleur reste stérile, la chaleur sans lumière n'enfante que des cryptogames difformes ou nuissibles.


Si vous condamnez la pensée, soyez certains que la pensée vous condamne.


Separez la philosophie de la poésie, et vous n'aurez qu'une trame sans broderie ou qu'une broderie sans trame.


Les hommes de génie, considérés comme individus, ne sont que les vases dans lesquels viennent à fleurir ces merveilleux végétaux qui déployent leurs trésors embaumés une fois par siècle seulement. Les nains de chaque époque ne voient et ne critiquent que le vase de terre ou de bois, tandisque, bien au-dessus de leur têtes, le cactus grandiflorus étale ses magnificences et répand ses parfums.


Neben dem Ernst der Gespräche bewegte sich der ausgelassenste Künstlerhumor. Die Reisegenossen George Sand wie Adolfe Pictet erzählen beide davon, wie im beständigen Wechsel von Ernst und Heiter harmloser Künstlerübermuth als König das Scepter ergriff. George Sand trug ihr historisches Blousenkostüm,[370] ebenso hatten ihre Kinder, sowie Liszt und »Puzzi« eine ähnliche leichte Reisebekleidung angelegt, ihr Haar trugen sie lang à la Liszt, ihre Gesichter waren sonnverbrannt – kein Wunder, daß man sie bei ihrem Frohsinn und ihren Scherzen für eine reisende Kunstreitergesellschaft hielt, welche den Wirth zur L'Union in Chamounix veranlaßte täglich mehrmals seine silbernen Löffel zu zählen, die Engländerinnen, welche in demselben Hôtel logirten, sich zu verschleiern und des Nachts ihre Thüren zu verbarrikadiren, um vor Angriffen dieser wilden Horde, »bei der man nicht unterscheiden konnte, wer Mann oder Weib, wer Herr oder Diener«, sicher zu sein.

Im Fremdenbuch des Hôtels hatte sich Liszt eingezeichnet als musicien-philosophe, né au Parnasse, venant du Doute, allant à la Vérité. Darunter stand in der Handschrift der Gräfin d'Agoult das Signalement:


Noms des voyageursFamille Piffoëls.

DomicileLa nature.

D'où ils viennentDe Dieu.

Où ils vontAu ciel.

Lieu de naissanceEurope.

QualitésFlaneurs.

Date de leurs titresToujours.

Déliorés par quiPar l'opinion publique.


Und zwischen all diesen Tollheiten und den genialen Plaudereien und Diskussionen erhob die Musik ihre goldenen Schwingen und rief in den Geistern die Klänge wach, die den Problemen des Unfaßbaren gleich das menschliche Gemüth über sich selbst erheben. Wo Kirchen standen mit Orgelwerk geziert, da ließen sie sich nieder – eine kleine Gemeinde, den Eingebungen des musikalischen Genius lauschend. Das war in Bulle, das war in Freiburg der Fall.

Die Reisenden waren hier in Freiburg nach dem Dom Sankt Nikolas gewandert, weniger um die Architektur desselben zu bewundern als um die Orgel, ein Prachtwerk des in Freiburg lebenden Orgelbauers Mooser, kennen zu lernen. Es war gegen Abend und es hatte geregnet, als sie die Kirche betraten. Die schlanken Linien der gothischen Bogen begannen sich bereits, umspielt von den Mysterien des heiligen Ortes, in Schatten zu verlieren. [371] Liszt saß vor der Orgel, neben ihm stand der bereits ergraute, aber in Glück über sein Werk erstrahlende Mooser, welcher die Register bearbeiten sollte. Mit Spannung folgte sein kleiner Hörerkreis einer jeden seiner Bewegungen – er hatte schon in Bulle erfahren, wo Liszt ebenfalls eine Orgel Mooser's probirt hatte, wie in solchen Momenten die Inspiration ihn ergriff und alle Eindrücke, Ideen und Gefühle, welche im Wechsel der Erlebnisse lagen, noch einmal in ihm auflebten und Ton werdend sich zu einem künstlerischen Hochgesang verwoben.

Heute erwarteten sie ähnliches; denn mancher ern ste Gedanke war getauscht worden und Gespräche über die Menschheit und ihre ewigen Ziele hatten ihr Gefühlsleben in höhere Schwingungen versetzt; auch trennten sich in Freiburg die Reisekurse der Wanderer und die Abschiedsstimmung hatte sich ihrer bereits bemächtigt. Als nun Liszt vor der Orgel saß, verriethen schon die ersten Klänge die tiefe zum Durchbruch verlangende Erregung seines Gefühls. Doch, als ob er den Athem noch zurückhielt, der sich der Brust entringen wollte, begannen seine Finger pianissimo, vermischt mit Modulationen, die wie Schatten in der Tiefe erstarben, Mozarts »Dies irae, dies illa« zu intoniren. Da plötzlich brausten die Töne der Orgel im mächtigen fortissimo und wie eine zurückgehaltene, nun entfesselte Sturmfluth wogten die Harmonien und durchrauschten die Hallen des Gotteshauses.


»Quantus tremor est futurus,

Quando judex est venturus –«


rief in sich erschauernd und überwältigt von der Gewalt seiner Inspiration die Dichterin aus. In ihrer für Musik so empfänglichen Phantasie erstand das Dies irae zum Leben; dazwischen zogen apokalyptische Bilder und Wunder an ihr vorüber, bald Schatten-, bald Lichtgestalten.

Der Künstler aber vor seiner Orgel war ganz Ausdruck dessen, was ihn bewegte. »Nie, äußerte sich George Sand, erschien mir die Zeichnung seines florentinischen Profils reiner und blasser als unter diesem dunkeln Hauch mystischen Schreckens und religiöser Traurigkeit.« –

Pictet war, wie die Dichterin, von seiner Improvisation ergriffen; während aber bei ihr die Töne mehr auf den Wogen ihrer Phantasie verschwebten, suchte er ihrem musikalisch-thematischen[372] Gehalt zu folgen. In seiner Reiseerzählung den empfangenen Eindrücken Worte gebend schildert er sie wie folgt:

»Ein Adagio begann«, schrieb Pictet, »von finsterem, strengen Charakter. Unbestimmte düstre Modulationen folgten, sich durch eine Reihe von Dissonanzen schlingend und windend wie Nebel durch Nebel. Dazwischen tauchten bestimmtere Formen auf, als suchten sie Körper und Licht. Bald verschwanden sie wieder inmitten anderer flüchtiger Gestalten, die nur erschienen, um im Moment zu vergehen. Hätte ein Bild die Wirkung dieser Musik wiedergeben sollen, so hätte es nur das einer kräftigen Seele gekonnt, welche voll Unruhe und Aufregung, voll Zweifel und Leidenschaft sich vergeblich abringt des Geschickes entscheidendes Wort zu finden, oder auch die erhabene Darstellung des Chaos, als die alte Natur in ewiger Nacht mit unendlichen Kräften formlose Schöpfungen erzeugte, um sie schnell der Vernichtung anheim zu geben.

Als die Spannung den höchsten Gipfel erreicht, schloß das Vorspiel und ein ernstes, bestimmtes Thema, gleich einem Ausspruch klassischer Weisheit, trat ein, langsam von den tiefen majestätischen Stimmen der Orgel, dann regelrecht von den höheren Stimmen in der Fugenweise des Meisters Sebastian Bach ausgeführt. Zu diesem ernsten feierlichen Thema trat als Gegensatz ein zweites, schnelles und glänzendes, das, während ersteres mehr einer monotonien Größe glich, zu aller Veränderung und Verwandlung geeignet schien. Während die Ausführung des ersteren sich streng den Gesetzen der Harmonie unterordnete, bewegte sich das andere frei in den unerwartetsten Kombinationen und überraschendsten Effekten.

Und nun entspann sich ein eigenthümlicher Kampf zwischen beiden. Kühn griff das leichtere den ernsten Gegner an und entwickelte um ihn herum tändelnd alle Gaukeleien der Kunst, um ihn von seiner regelmäßigen Bahn in die Abgründe der Dissonanzen zu verlocken. In den glänzendsten Tönen der Orgel erging es sich anmuthig in tausend neckische Launen, bis es ärger entflammt über den beharrlich ernst gemessenen Gegner voll Leidenschaft und Glut in Töne des Spottes und Zornes überging. Endlich mit Aufbieten aller Kräfte umschlangen sich beide Themen: Klagelaute, Schmerzenstöne, bizarre Klänge erhoben sich aus dem Kampf, als ob Laokoon von Schlangen umstrickt den peinigenden[373] Gewinden sich kraftvoll, aber vergeblich entreißen wolle. Doch war des Kampfes Ende ein anderes. Das erste Thema behauptete seine Suprematie und zwang das zweite zurück zum Grundton. Die zerstörte Harmonie kehrte wieder und mit unbeschreiblicher Kunst vereinigten sich beide zu einem Thema, zu einem Ausdruck vollendeter Größe und Pracht, Sinnigkeit und Leidenschaft, Macht und Grazie. Und dieses neue mit der verve des Genies entwickelte und durch alle Hilfsmittel des herrlichen Instrumentes dargestellte Thema, eine Hymne der Erhabenheit, beschloß des Künstlers Improvisation.« – –

Als die Orgel verstummte und der Künstler zu den Freunden trat, rief George Sand ihm begeistert entgegen:

»Du bist unser Meister in allem. – Du! hingegeben an diese magische und zauberhafte Sprache! Welche Beredsamkeit! wahrlich, keine Poesie könnte diese geisterhafte Sprache ersetzen, die zu jedem Herzen spricht! Deine Zeichen, Deine Offenbarungen sind nicht verloren, sie dringen in die Tiefen des Seins.«

Liszt's Hände aber zitterten, Schweiß perlte auf seiner Stirn und sein leuchtendes Auge war feucht.

»Freunde«, sagte er ernst, »wir sind im Begriff zu scheiden. Möge die Erinnerung an diese Tage nie unserm Gedächtnis entschwinden! mögen wir auch nie vergessen, daß die Kunst und die Wissenschaft, Poesie und Gedanke, das Schöne und das Wahre die zwei Erzengel sind, welche die goldenen Pforten öffnen zum Tempel der Humanität.«15

So schieden sie aus dem Dom. –

Andern Tags trennte sich die Gesellschaft. Pictet hatte noch andere Reiseziele und Liszt mit der Gräfin, sowie George Sand mit ihren Kindern begaben sich zurück nach Genf.

Hier in Genf blieben sie alle zusammen bis Mitte December. Die Dichterin mit ihrer Familie bewohnte die Mansarde, die schon seit vorigem Jahr für sie bereit war. Tage voll geistigen Genusses und künstlerischer Anregung folgten. In dieser Zeit glitten Liszt's Hände oft über das »Instrument mit den Perlmuttertasten«, sich hingebend an die innere Stimme des Genius. George Sand saß dann lauschend am Kaminfeuer oder senkte[374] ihr großes Auge in die prachtvolle Naturscenerie, während sie angeregt durch die Musik, willenlos ihren Träumen nachging und seine Harmonien dichterisch verkörperte.

In dieser Zeit komponirte Liszt sein Rondo fantastique, über ein Lied von Manuel Garcia, das durch den hinreißenden Vortrag seiner Tochter Malibran sich des allgemeinen Beifalls erfreute. Er gab ihm den Titel des Liedes: »El Contrabandista« und widmete es George Sand – »à Monsieur G. Sand« nach einer leipziger Ausgabe des Rondos von 1837; eine wiener von 1839 dagegen widmet sie: »à Madame G. Sand«. Als Liszt diese Komposition beendet hatte, spielte er sie ihr, nach ihrer eigenen Erzählung, im Dämmerschein eines Herbstabends vor. Ergriffen von den Tönen, angeregt vom Duft einer Havanna, eingelullt von dem auf- und niederwogenden Wellenschlag des vor ihr liegenden Sees, wurde sie von den Tönen wie von einem die Pforten der Dichtung öffnenden Zauberstab berührt. Sie schrieb die ganze Nacht hindurch, wie es ihre Gewohnheit war. Und andern Tags las sie ihren Freunden eine lyrische Geschichte »Le Contrebandier« vor, in der sie die Bilder verarbeitet hatte, welche Liszt's Musikstück in ihr wach gerufen – die dichterische Übersetzung eines Tonstückes. Das war neu. Der Musiker hatte wohl von jeher aus dichterischer Quelle geschöpft, aber nicht umgekehrt der Dichter aus musikalischer. Überrascht rief darum Jules Janin den Parisern zu:16 » – – Inmitten dieser rauhen Versuche kommt – hört! hört! – kommt vom Gebirge her Hand in Hand ›Musiker und Poet‹ Franz Liszt und sein Gefährte George Sand. Und dieses Mal – wunderbare Umwälzung der Dinge! – setzt nicht der Musiker Töne zum Dichterwort, sondern der Dichter Worte zum Musikerton!«

Es ist seltsam: George Sand's Muse hatte nach dieser Seite hin keinen Einfluß auf Liszt. Trotz ihres tiefen musikalischen Sinnes berührte sie nicht sein Stimmungsleben und nur die Dedikation des »Kontrabandisten-Rondos« ist ein Erinnerungszeichen dieser Beziehungen überhaupt.

Noch bis gegen Mitte December blieben die Freunde zusammen in Genf. Liszt wollte dann die Schweiz und Frankreich gänzlich[375] verlassen. Sein Sinn stand nach dem Orient, die Gräfin dagegen, insbesondere durch George Sand's italienische Reise angeregt, strebte nach Italien. In Folge dessen wurde der Wanderplan dahin festgesetzt: erst Italien, dann den Orient zu bereisen.

Vorher aber rief Liszt ein seinem Freund Berlioz gegebenes Versprechen nach Paris, um in den Koncerten des letzteren mitzuwirken. Hier blieb er bis zum Ende der musikalischen Saison, wo er der Mittelpunkt des Koncertlebens wurde.

Die Gräfin weilte inzwischen auf Schloß Nohant, dem denkwürdigen Sitz der französischen Dichterin – einem Musenhof der Romantik.

Fußnoten

1 Dem Briefe Liszt's war ein an ihn gerichteter von George Sand »Sur Lavater et une maison deserte« in der »Revue des deux Mondes« vorausgegangen. (»Léttres d'un voyageur.« No. VII.)


2 Anspielung auf eine projektirte Reise nach Italien.


3 (Anmerkung Liszt's:) So mittelmäßig auch das Resultat des Koncertes zur Jubiläumsfeier war, so verfehlt dieser Verein nicht der Kunst große Dienste zu leisten indem er kirchliche Werke der großen Meister aufführt. Es wäre sogar zu wünschen, daß sich in Frankreich ähnliche Vereine bilden möchten, wäre es auch nur, um aus unsern Kirchen die Herde jener gewöhnlichen Schreier zu jagen, die gewöhnlich Sänger genannt werden.


4 (Anmerkung Liszt's:) Um Ihnen einen Begriff von der Geschicklichkeit zu geben, mit welcher die sich in Genf sehen- und hörenlassenden Künstler die Neugierde des Publikums erregen, schreibe ich Ihnen buchstäblich eine Annonce ab, die ich am Ende eines Programms, das an allen Mauern prangte, bei meiner Ankunft hier las und die mich bezweifeln machte je mit einer so eleganten Ausstattung und solcher Poesie des Stiles rivalisiren zu können: »Avis. Es kann sein, daß das Publikum durch strafbare Täuschung manchmal hintergangen worden ist und sich nun gegen anmaßende Anzeigen vorsichtig verhält. Das, was man hier hört und sieht, übertrifft jedoch die Versprechungen des Künstlers und die Erwartungen der Kunstliebhaber«.


5 Miramont?


6 Der junge Hermann war ein Lieblingsschüler Liszt's und George Sand nannte in Beziehung hierauf auch Beide. »Raphael und Tebaldeo«.


7 Peter Wolf, sein früherer Schüler.


8 Wir finden seinen Namen als mitwirkend genannt neben dem Th. Haumann's (Februar 1836), J. Schad's (April), seines Schülers Hermann's (Sept.) u.a., nur einmal im April als Koncertgeber.


9 »Le Fédéral« (Journal Genoive), 1835 No. 80.


10 »In die Künstlerkarriere sehr jung eingetreten, bin ich während dieser letzten zwölf Jahre, die mehr als die Hälfte meines Lebens sind, sehr häufig durch Verwarnungen und Censuren einer großen Zahl Aristarchen geprüft worden. Die Kritik ist – ebenso wie die Meinung – Königin der Welt, und ich maße mir keineswegs an gegen ihre Beherrschung der Thatsachen und des Rechts zu protestiren. Einige sehr seltene Fälle ausgenommen, ist es nicht am Platze, daß der Künstler ihre Bestimmungen anders beantworte als durch angestrengte Arbeit und sich manifestirende Fortschritte. Doch stets, wenn sie aus Irrthum das angreift, was zu unserer inneren Moralität gehört, ist es sicherlich eine Pflicht in aller Bescheidenheit die irrigen Behauptungen, die ihr entschlüpfen konnten, zu berichtigen.«


11 1836 No. 34. Deutsch: »Liszt ist in der Welt der Künstler keine gewöhnliche Erscheinung. Wenn er spielt, zieht seine Persönlichkeit unsere Aufmerksamkeit ebenso auf sich wie sein Klavier; denn all' der Zauber des Vortrags, mit dem er uns umstrickt, entspringt thatsächlich der Inspiration.

Oder können Sie in diesem Gewittersturm von Tönen, die sich überstürzen, sich drängen, sich – ich möchte sagen – stoßen, ohne sich dabei zu beeinträchtigen, und Sie so gewaltsam mit sich fortreißen, eine andere Triebfeder finden als die der Inspiration? Nehmen Sie diese Liszt und sagen Sie zu seinen Fingern: Bringt sie uns wieder – jene Töne, jene Rapporte, die uns so eben uns selbst entrückt haben: von wo sollen sich seine Finger die nothwendige Beweglichkeit für sie holen? Die Seele ist es, welche sie gedankenschnell dahin eilen macht; – ohne sie wäre die größte Gewandtheit nicht im Stande eine solche Übung mechanisch zu wiederholen – das lernt sich nicht, das ist Himmelsgabe! Liszt ist einer jener Künstler, die ausersehen sind uns gewisse Wechselbeziehungen zwischen dem universellen Leben und unserem individuellen Dasein fühlbar zu machen. Er erhebt die Musik zu jener Bestimmung, geträumt von denen, die da wähnen: Musik zu hören sei die ewige Seligkeit.«


12

Liszt am Flügel.

Er läßt sich nieder. – Seht, die Stirn voll Macht

Erbleicht, die früh des Genius Spur besiegelt,

Der des gewalt'gen Blickes Glut entfacht

Drinn' sich die Künstlerseele widerspiegelt.

Ein Lächeln, sanft und doch so schwermuthsreich,

Unsäglich zaubervoll sein Antlitz schmücket –

Als ob ein Strahl durch Sturmeshimmel zücket.

Horcht! – er beginnt! – in Andacht sammelt Euch!

Die Taste, folgsam der geweihten Hand,

Belebt sich schwungvoll zu beredter Sprache,

Zu mächt'ger, die den Weg zum Herzen fand

Wie aus dem Herzen sie entquoll zu Tage.

Die Menge theilt die wachsende Bewegung –

Aus des Verzückten Seherklängen hallt's

Und langetönend, herzzerreißend wallt's

Wie ungestüme, glühende Erregung,

Um dann mit reinen süßen Klagetönen

Gedankenschwere Seelen zu versöhnen. –

Die Saiten beben unter stärk'rem Schwung,

Der, kraft des Genius, dem Orkan gebeut,

Den Harmoniensturm aus Haft befreit

Und dichtend nachstürzt seinem wilden Sprung!

Von ihm bewältigt muß der Sturm entweichen. –

Horcht! Die geheimen Stimmen kehren wieder,

Der träumerischen Schmerzen Zauberlieder,

Die in Vergessen wiegend, Himmel zeigen! ...


Liszt bannt das Aug' und hält das Ohr gefangen.

Wie lieb' ich seiner Züge wechselnd Leben,

Hier wo Begeist'rung und Empfindungsbeben

Zu Eins verschmolzen, brennend sich umfangen.

An seinem tiefen Blick, bald ernst, bald mild,

Hängt stets mein lechzend Auge ungestillt.

Nicht weiß ich hier, was Höhepunkt des Schönen:

Genie im Antlitz oder in den Tönen!


(In das Deutsche übertragen von Frau Alexandra von Geruler-Harsdorf.)


13 Une Course à Chamounix. Conte fantastique. Genève, Cherbuliez & Co. Letzte Ausgabe 1871.


14 Mit Gefühl und Phantasie an Gesetzgebung und Politik gehen, heißt zwei schöne Schmetterlinge an den schwersten aller Karren spannen.


Einen kranken Baum umpflanzen, indem man sorgfältig alle die Wurzeln abschneidet, die ihm neue Kraft geben könnten: ist nach den Reden der Welterneuerer, die alles verbessern möchten, ohne der Vergangenheit Rechnung zu tragen, ein unfehlbares Recept.


Es giebt Leute, die zum Wohle der Menschheit gern alles opfern, was den Ruhm und die Größe der Menschheit ausmacht: Die Kunst, die Poesie, den Glauben, die Wissenschaft. Ihr übergroßer Eifer würde die Mannschaft über Bord werfen, um das Schiff zu retten.


Die Utopie von einer Gleichheit der Thaten, von einer materiellen Gleichheit der Menschen kann nur, je nachdem sie zu geben oder zu nehmen hätte, in einer sehr edelmüthigen oder in einer sehr niedrigen Seele entstehen. Die edelmüthigsten Utopisten sind die Menschen von Talent und Genie, welche bei der Theilung tausend Mal mehr verlieren würden als die Reichen.


Diejenigen, welche hienieden die Gleichheit des Besitzes träumen, irren sich nicht allein im Datum, sondern auch in der Welt. Die Gleichheit wird sich nur negativ im zukünftigen Leben durch die Abwesenheit aller materiellen Güter herstellen.


Einen Menschen mit vier Pferden ziehen, um sein Wachsthum zu beschleunigen: das thun diejenigen, welche das menschliche Geschlecht mit Hilfe der Revolutionen entwickeln wollen.


Neue Fortschrittsformel: Gehe – oder ich erwürge Dich!


Die Religion ist der wahre Kitt socialer Gebäude, namentlich der Republiken. Je geschliffener und zahlreicher die Steine sind, desto stärker muß der Kitt sein, der sie zusammenhält. Die Gesellschafts-Macher begreifen das instinktiv und strengen sich an Kitt zu fabriciren, aber unglücklicherweise ist das Recept dazu verloren gegangen.


Eigentlich ist jede Fortschrittsidee nur dann gut und wahr, wenn sie sich realisiren läßt. Die Ungeduldigen begreifen das nicht – sie schieben den Zeiger ihrer Uhr vor und glauben den Lauf der Zeit beschleunigt zu haben.


Die Macht eines großen Talentes in den Dienst politischer Leidenschaften stellen heißt soviel wie die Statuen des Phidias den Türken ausliefern, um Kalk daraus zu machen.


Mancher große Irrthum kommt dem Wahren näher als viele kleine Wahrheiten.


Wenn das Genie in seinem körperlosen göttlichen Glanze leuchten soll, muß es wie die Kohle in das galvanische Rohr, zwischen zwei Pole gesetzt werden, zwischen die des Guten und Wahren. Dann leuchtet es im blendendsten Lichte ohne sich zu verzehren. Entzündet von dem gemeinen Feuer der Leidenschaften, verbreitet es nur einen röthlichen Schein und zerstört sich selbst, indem es der Feuersbrunst vorarbeitet.


Diejenigen Schöpfungen des Genies, welche der Epoche der Leidenschaft folgen, sind die schönsten. Die Erfahrungen des Lebens sollen der Kunst vorausgehen. Die Kunst will Ruhe und bequemt sich schlecht den Stürmen des Herzens an. Die schönsten Berge unserer Erde sind ausgelöschte Vulkane.


Die Fehler des Genies tragen ihre Absolution mit sich.


Die Auster prahlt sich und sagt: Ich habe mich nie verirrt! Ach, arme Auster! Das macht, weil Du nie gegangen bist. –


Wenn Ihr zum Wahren kommen wollt, so versöhnt Euch mit Euren Gegensätzen: das weiße Licht erzeugt sich nur in der Vereinigung der farbigen Strahlen des Spektrums.


Der Gedanke ist dem Handeln, was das Licht der Wärme. Das Leben entwickelt sich nur durch die Einheit beider Principe. Sicherlich, wie das Licht ohne Wärme steril bleibt, so bringt die Wärme ohne Licht nur mißgestaltete oder schädliche Kryptogamen hervor.


Verdammt Ihr den Gedanken: seid sicher, daß der Gedanke Euch verdammt!


Trennt die Philosophie von der Poesie: und Ihr habt einen Nahmen ohne Stickerei oder eine Stickerei ohne Nahmen.


Männer von Genie, als Individuen, sind nichts als Gefäße, in denen jene wunderbaren Gewächse erblühen, die in einem Jahrhundert nur einmal ihre balsamischen Schätze entfalten. Die Zwerge jeder Epoche sehen und kritisiren nur das Gefäß von Holz oder Erde, während weit über ihren Köpfen sich der cactus grandiflorus in seiner Herrlichkeit ausbreitet und seine Wohlgerüche ausströmt.


15 Nach A. Pictet.


16 Gazette musicale de Paris 1837, No. 9.

Quelle:
Ramann, Lina: Franz Liszt. Als Künstler und Mensch, Band 1, Leipzig: Breitkopf & Härtel, 1880.
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