II.

[138] Kunstthätigkeit. Widerwillen gegen das Koncertiren. Beethoven's Musik in Paris. Der allgemeine Kunstgeschmack daselbst. Verirrungen. Liszt spielt Beethoven's Esdur-Koncert. Deine »Fiancée-Fantasie«.


Während dieser ganzen Zeit von seiner Erkrankung bis zu Ende der Restaurationsepoche war Liszt's musikalische der Öffentlichkeit zugewandte Thätigkeit keine hervorragende. Einestheils stand er zu sehr unter dem Einfluß seiner physischen Entwickelung, anderntheils aber war sein inneres Leben inmitten des Stadiums, wo der Mensch sich als Räthsel empfindet, wo er weder Wachen noch Traum und doch beides zugleich ungestüm und zaghaft einem unbegrenzten Verlangen, Suchen und Sehnen nach Idealen und Geistigkeit sich hingiebt – wo er mehr Schwärmer als Thatkraft erscheint. Bei Liszt trat in diesem Moment die Musik als Studium in den Hintergrund. Auch sein Widerwille gegen ihre öffentliche Ausübung steigerte sich auf das heftigste, und hielt ihn[138] vielfach von derselben zurück. Sein eingeborenes Gefühl für die Würde des Künstlers empfand bereits bitter, wenn auch mehr weltschmerzlich aus der Reflexion, als aus dem Kampf mit dem Leben hervorgegangen, die Kluft, welche sich zwischen sei nen Kunstidealen, seinem Künstlerbewußtsein und dem allgemeinen und herrschenden Kunstgeschmack und Kunsttreiben allmählich aufthun sollte.

Diese Kluft charakterisirte Liszt selbst mit folgenden Worten:2 »Als der Tod mir den Vater geraubt und ich zu ahnen begann, was die Kunst werden könnte, was der Künstler werden müßte, war ich von all den Unmöglichkeiten, welche sich überall und von allen Seiten dem Wege, den mein Gedanke sich vorgezeichnet, entgegen stellten, wie erdrückt. Überdies nirgends ein sympathisches Wort des Gleichgestimmtseins findend, nicht unter den Weltleuten, noch weniger unter den in bequemer Gleichgültigkeit dahin schlummernden Künstlern, die nichts von mir und nichts von den Zielen, welche ich mir gestellt, nichts von den Kräften, mit denen ich begabt war, wußten – überfluthete mich ein bitterer Widerwille (degoût) gegen die Kunst, wie ich sie vor mir sah: erniedrigt zum mehr oder minder einträglichen Handwerk, gestempelt zur Unterhaltungsquelle vornehmer Gesellschaft. Ich hätte alles in der Welt lieber sein mögen als Musiker im Solde großer Herren, patronisirt und bezahlt von ihnen wie ein Jongleur oder wie der kluge Hund Munito.«

Wenn auch diese Worte mehrere Jahre später, zu einer Zeit geschrieben sind als seine Kraft im Begriff stand den Weltschmerz auszustoßen und mehr die Bitterkeit der Erfahrung in ihm nachkochte, so schildern sie doch besser als alle Beschreibung die innere und äußere Situation des jungen Künstlers. Sie bezeichnen ebenfalls seinen darniederliegenden Glauben. Die spätere Devise seines künstlerischen Lebens: »Génie oblige«, wie der christliche Idealismus sie fordert und die neutestamentliche Parabel von den Talenten sie so unvergänglich schön ausspricht, stand noch nicht wie ein höheres Machtgebot siegreich und leuchtend auf seiner Stirn. Der reproducirende Künstler war ihm der Hund Munito.

So sehr aber auch der Kunstüberdruß sich seiner bemächtigt haben mochte, so konnte er der öffentlichen Kunstausübung sich doch nicht ganz entziehen. Seine äußeren Verhältnisse führten[139] ihn immer und immer wieder in die aristokratischen Salons und trieben ihn immer und immer wieder in den Koncertsaal, aus denen er meist von neuem verwundet zurückkehrte. Die Ursache dieser Verwundung waren meistens seine Programme. Er spielte häufig Werke von Beethoven, Weber und Hummel, bei welcher Wahl er jedoch der herrschenden oberflächlichen Geschmacksrichtung jener Zeit gegenüber selten Glück machte. Man ermangelte nie zu bemerken, daß die Stücke »sehr schlecht« gewählt seien. Solche Äußerungen verletzten ihn auf das tiefste. Sein Glaube jedoch an die Schönheit und Wahrheit der von ihm vertretenen Kunstrichtung war trotz seiner Jugend unwandelbar; sie konnten ihn darum wohl zu Irrthümern verleiten, aber nie ihn von ihr entfernen.

Es wurde bereits erwähnt, daß Liszt kaum älter als siebzehn Jahre, Beethoven's Esdur-Koncert öffentlich gespielt habe. Heutigen Tags würde das nicht so besonderer Beachtung verdienen, jenes Tags aber war es eine hervorragende Künstlerthat. W.v. Lenz erzählt sehr hübsch, welchen Eindruck es auf ihn machte, als er im November 1828, fremd in Paris, über die Boulevards schlendernd, unter den Theater-Affichen des Tages in fetten Riesenbuchstaben auf hellgelbem Grund (la couleur distinguée jener Zeit in Paris) die Anzeige eines von »Mr. Litz im Konservatorium zu gebenden Extra-Koncertes« mit dem Esdur-Koncert an der Spitze, las. Er war eben im Begriff Kalkbrenner aufzusuchen, um ihn als Lehrmeister zu erwerben; aus der Koncertanzeige aber schloß er, daß jemand, der ein Klavierkoncert von Beethoven öffentlich spiele, ein »Tausendsappermenter« sein müsse, und so fuhr er, anstatt zu jenem, zu Mr. Litz.

Beethoven war damals in Paris und anderswo auch kaum mehr als ein Name. Er hatte wohl seine Augen geschlossen, aber sein Vermächtnis war noch unentsiegelt. Nur einzelne hervorragende Künstler ahnten seine Bedeutung. Wie ferne selbst gebildete und berühmte Musiker ihm damals noch standen, geht daraus hervor, daß, als A.F. Habenek, der Dirigent der Concerts spirituels, den Versuch machen wollte seine Symphonien in diesen Koncerten aufzuführen und zu diesem Zweck die Ddur-Symphonie probirt wurde, der an der ersten Violine stehende Rudolf Kreutzer – derselbe, nach welchem die ihm von Beethoven gewidmete Sonate die »Kreutzersonate« genannt[140] wird – sich die Ohren zuhielt und aus dem Saale laufend Habenek zurief: »Aber um des Himmels willen, lieber Freund, wollen Sie uns doch mit solch barbarischem Machwerk verschonen!« Sogar Cherubini sagte von Beethoven's späteren Werken: »Cela me fait éternuer«.

Kein Wunder, daß bei solchem Urtheil seitens hervorragender Musiker das größere Publikum diesem Meister noch ganz ferne stand. Mehrere Jahrzehnte unter dem tändelnden Scepter Rossini's stehend, entzückte es sich im Koncertsaal an den Klavierwerken Kalkbrenner's, Herz's, Pixis', Pleyel's und Geistesgenossen. Von den Pianisten würde keiner gewagt haben den deutschen Meister zu vertreten. Mit wenig Ausnahmen hüteten sie sich vor seinen Kompositionen, mit denen kein Beifall zu ernten war und welche in ihren Augen dem Pianisten nur eine mühsame und undankbare Arbeit brachten.

Liszt, schon als Knabe mit seiner wunderbaren Liebe im Herzen, schmuggelte sie ein in den Koncertsaal, aber meist unter der bergenden Hülle eines beliebten Namens. Oder auch er nannte den Komponisten, behängte aber dessen Werk mit selbstgefertigtem Schmuck, den er trillernd um die ernste Einfachheit der Harmonien und Melodien wand. Dieses knabenhafte Treiben sicherte ihm einigermaßen den Beifall der Menge: Beethoven – und ihm. Er brauchte den Beifall. Denn abgesehen davon, daß der Beifall der Menge der äußeren Existenz des Virtuosen die einzige Gewährleistung giebt, trägt dieser auch – und der jugendliche Virtuose am meisten – in der Beifallsliebe das Wunderkraut, das zu Thaten ihn reizt und durch sie in edlen männlichen Ehrgeiz sich verwandelt. Man nehme sie dem Knaben, dem Jüngling und sie werden jungen Bäumen gleichen, deren Wurzeln dorren; man nähre sie und zu edlem Ehrgeiz geworden, werden sie zu Eichen und Palmen wachsen. Dem Virtuosen ist der Beifall im Koncertsaal zur rechten Zeit ein das Können stachelndes Etwas, das im Moment ihn auf den Pegasus des Dichters heben kann, jedoch wenn mangelnd ihm die Schwingen bindet. Liszt bedurfte desselben nach zweifacher Seite, aber sein auf das Edle und Hohe gerichteter Sinn konnte ihn unmöglich durch jene Modeprodukte erringen, die ihm, seiner Natur und seinem Wesen, voll ständig entgegengesetzt waren. So schuf er sich jenen Ausweg, ohne zu beachten, auf welchen künstlerischen Abweg er zugleich gerieth. Nicht nur Beethoven, auch Weber[141] und Hummel u.A. mußten sich seine Zuthaten und Veränderungen des Publikums wegen gefallen lassen und nicht nur der Knabe, auch der Jüngling Liszt beging im ernsten Eifer der Kunst zu dienen derartige Irrthümer.

Auf welche Weise Liszt damals Beethoven's Esdur-Koncert vortrug, ob notengetreu, ob verziert, läßt sich nicht mehr ermitteln, aber Thatsache ist es, daß er der erste und einzige Pianist war, welcher die Kühnheit besaß es in Paris zu einer Zeit öffentlich zu spielen, wo weder Künstler noch Publikum den deutschen Meister zu würdigen wußten. Liszt's Kunstfühler war seiner Zeit voraus.

Im Ganzen genommen läßt sich von seiner damaligen Thätigkeit als Pianist wenig berichten. Auch als Komponist zog er das Schweigen vor. Nur eine seiner Kompositionen fällt jener Periode zu. Nach einer Bemerkung seines Zeitgenossen d'Ortigue hat er allerdings mehrere komponirt, doch übergab Liszt nur die eine der Öffentlichkeit: seine Fantasie über die Tirolienne der Oper »La Fiancée« von Auber, welche Oper in demselben Winter, als »Marion Delorme« ihre Reize auf den jungen Künstler ausübte, über die Pariser Bühne ging. Sie ist ein Ausdruck von dem dieser Zeit angehörenden pêle-mêle seiner Stimmung, kein Träger der in der Periode seiner Rekonvalescenz ihn beherrschenden Gesammtstimmung und Geistesrichtung. D'Ortigue sagt von dieser


Fantaisie

sur la Tirolienne de l'Opera La Fiancée3,


daß sie »spöttischen Ernst und Byron'schen Geist zeige und kokett und brillant in Herz's Manier sei«.

Fußnoten

1 Rudolf Gottschall, »Litterarische Charakterköpfe«.


2 Liszt's »Gesammelte Schriften«. II. Band. Briefe: No. 2.


3 Diese Fantasie, welche zu jener Zeit in Paris – bei welcher Firma konnte ich nicht ermitteln – erschien, wurde von Liszt später nochmals bearbeitet und von Pietro Mechetti in Wien gedruckt. In dieser Ausgabe ist sie als Opus 1 an Stelle der zurückgezogenen »Douze Etudes« Opus 1 bezeichnet.

Quelle:
Ramann, Lina: Franz Liszt. Als Künstler und Mensch, Band 1, Leipzig: Breitkopf & Härtel, 1880.
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