X.

1842.

Ein großes Jahr.

Berlin.

(Koncert-Reisen 1839/40–1847. Fortsetzung.)

[144] Zum ersten Mal Weimar. Marie Paulowna. Auszeichnende Aufnahme am Hof. Jena und Dr. Gille. Leipzig. Clara Schumann. Die Kritik. Liszt's Männerchöre in Leipzig. – Berlin. Koncerte und Programme. Rellstab. Liszt's Fugenspiel und erste Klavierübertragungen Bach'scher Orgelfugen. Seine Aufnahme seitens der Berliner, des Königs und der königl. Familie. Die akademische Jugend. Ehrungen und Auszeichnungen. Ein Sendschreiben. Charl. v. Hagn. Glanzvolles Abschiedsgeleite. Die Kritik als Nachzüglerin. »Lisztomanie.« Letzte Begegnung mit Mendelssohn. Klavierübertragungen: »La Romanesca«, »Valse a capriccio« etc.


Vom Rhein aus (1841) wandte sich der Künstler mit seinem Freunde, dem Fürsten Felix Lichnowsky, der ihn während dieser ganzen Tour begleitete, dem Norden zu. Nachdem er Weimar, Leipzig u.a. Städten1 einen kurzen Besuch abgestattet, verfügte er sich nach Berlin. Von da aus wollte er eingedenk seines der Kaiserin von Rußland gegebenen Versprechens, an das die kunstsinnige Gräfin d'Obrescoff in Paris ihn dringend gemahnt hatte, nach Rußland.

Doch vor allem trachtete er nach Weimar. Hierher hatte[145] schon längst sein Sinn gestanden. Er stieg im »Russischen Hof« ab, der bis zum Jahre 1848 sein feststehendes Quartier blieb.

Eduard Genast war der erste Weimaraner Künstler, der ihn begrüßte und auch mit dem dortigen Künstlerkreis bekannt machte. Ihm aber war es, als wandle er auf geweihtem Boden. Und doch, jetzt da sein Fuß Ilm-Athen betrat, die Stadt mit dem unvergänglichen Dichternimbus, die schon in seiner Knabenphantasie eine Rolle durch Nep. Hummel gespielt, deren Dichterfürsten Schiller mit seinem Mahnruf »An die Künstler«, Goethe mit seinen Faust-Problemen seinem hochfliegenden Jünglingsgeist Ideale und Ziele gegeben, ahnte er schwerlich, welche Thätigkeit hier zu entfalten er selbst berufen war und daß dem Ruhme ihrer Dichterperiode durch ihn der Ruhm einer Musikepoche hinzugefügt werden sollte.

Aber so kurz Liszt's Aufenthalt auch in Weimar war, so stellten sich doch bereits die Beziehungen her, die für ihn und die Tonkunst von so reichen Folgen wurden. In der Person der Großfürstin-Großherzogin Marie Paulowna, der Schwester des Kaisers Nicolaus I. und Mutter der deutschen Kaiserin Augusta, begegnete ihm eine jener Seltenen, welche die Würde ihrer hohen Geburt und Stellung in einer wachen Theilnahme für die geistigen Lebensinteressen begriff. Sprühenden Geistes, dabei hochsinnig, allem Alltagswesen abgeneigt, mußte sie von einer Ausnahmserscheinung, wie die des berühmten Künstlers, sich im hohen Grad sympathisch berührt fühlen. Ebenso fühlte sich dieser, als er am 26. November die Ehre hatte im engsten Kreis der großherzoglichen Familie vorzuspielen, von dem ächten Verständnis, das diese hohe Frau seinen Kunstideen entgegen brachte, urplötzlich wie auf heimathlichen Geistesboden versetzt. Beide mochten fühlen, daß, wenn Fürst und Künstler, der eine mit der Macht des Schirmes, der andere mit der Macht der Phantasie begabt, in einem hohen Ziel sich treffen, naturnothwendig eine Saat in den Lebensboden der Kunst sich senkt. Doch war jetzt noch keine Rede davon, den Künstler an Weimar zu fesseln.

Noch einmal trat er am Hofe – jetzt in einem sogenannten »großen« Hofkoncert – auf (am 28. November). Anderntags folgte ein öffentliches Koncert im Hoftheater (am 29. November), bei welchem der Enthusiasmus des Publikums der größte war, den dort ein Virtuos seit Paganini erregte.2[146]

Bei seinem Scheiden aus Weimar, das von einer edlen Herzlichkeit getragen war, verehrte ihm Marie Paulowna einen kostbaren Diamantring, während der Großherzog ihn durch Verleihung des Falkenordens auszeichnete. Freudig verhieß er baldige Wiederkehr. –

Von da aus machte er einen Abstecher nach dem einige Meilen von Weimar entfernten Jena. Er folgte hiermit einer Einladung Dr. C. Gille's, des Vorstandes der Akademischen Koncerte, der ihn nebst seinem Gefährten Fürst F. Lichnowsky dahin abholte. Wie in Weimar, wo der Künstler die nicht unerhebliche Summe seiner Koncerteinnahme vom 29. Nov. dem »Frauenverein« überwies, stellte er auch in Jena den Ertrag des Koncertes einer Wohlthätigkeitsanstalt zur Verfügung.

An diesen ersten Besuch in Jena knüpfen sich Liszt's Beziehungen zu dem späteren Justizrath, dann Hofrath Dr. C. Gille. Dieser, in jener Zeit noch ein jugendlicher Stürmer, dem Fortschritt offen, der Musik mit ganzer Seele zugethan, gab sich voll und ganz dem Eindruck hin, den jener überall hervorrief. Sein Enthusiasmus und zugleich seine Devotion für den Künstler und seine Werke – was zu betonen ist, da Gille mit zu den ersten in Deutschland gehörte, die an sein höheres Kunstschaffen bis zur Überzeugung glaubten – wandelten die nur sachliche Berührung allmählich in ein Freundschaftsverhältnis um, das vielfach die Feuerprobe bestanden hat und in Dauer blieb bis zum Tode des Meisters. – In Folge der Verehrung und Gesinnungstreue C. Gille's trat auch Jena, als Liszt's kompositorische Thätigkeit sich in Weimar entfaltete, in besondere Stellung zu demselben, worauf wir später zurückkommen werden.

Von Jena aus reiste Liszt nach Dresden, wo er am 4. December koncertirte. Dann führte ihn ein Clara Schumann gegebenes Versprechen nach Leipzig. Hier trat er drei Mal – am 6., 13. und 15. December – öffentlich auf. Das erste Koncert[147] war das erwähnte Clara Schumann's, das zweite ein Koncert Franz Liszt's und das dritte ein Gewandhauskoncert.

Das Koncert Clara Schumann's hatte den Zweck, Kompositionen ihres Gatten (darunter seine 2. Symphonie) bekannt zu machen. Wie herzlich aber das gegenseitige Einverständnis zwischen dem jungen Schumann'schen Ehepaar und Liszt war, geht daraus hervor, daß in diesem Koncert des Letzteren »Rheinweinlied« zur Aufführung kam und Clara Schumann die »Lucia-Fantasie« und mit dem Künstler selbst den »Hexameron«, welchen er für zwei Klaviere bearbeitet hatte,3 vortrug und letzteren im Koncerte Liszt's mit ihm wiederholte. Diese Betheiligung aber zog ihr eine bittere Rüge seitens der Kritik zu. Sie habe die »Lucia-Fantasie« wohl mit ausgezeichneter Virtuosität« gespielt, erklärte sie,4 »von ihrer gediegenen Künstlerschaft aber habe man doch erwartet, daß sie dem verflachenden Treiben der neuesten Klaviervirtuosität, die oft ganze Koncertabende mit ihren Etuden, Variationen und sogenannten Phantasien für Pianoforte solo ausgefüllt, mit entgegen arbeiten werde.« »Indessen«, fährt sie fort, »nehmen wir gerne an, daß diese Auswahl andere Rücksichten als gleiche Kunst- und Geschmacksrichtung bestimmt haben mögen, wiederholen aber, daß wir immer und überall von den Besten das Beste verlangen.«5

Clara gab ächte Künstlerantwort. Als sie im Gewandhaus-Koncert vom 1. Januar 1842, in dem sie als Pianistin mitwirkte,[148] hervorgerufen wurde, dankte sie durch den Vortrag der Lucia-Fantasie.

Das Programm zu Liszt's Koncert bestand aus Hummel's »Septett«, seinen Männerchören »Rheinwein-« und »Studentenlied« (»Es war eine Ratt' im Kellerloch«), seiner »Don Juan-Fantasie«, seiner Übertragung der »Adelaide« und des »Erlkönig«. Der »Hexameron« machte den Beschluß.

Im Gewandhauskoncert trug er das Esdur-Koncert von Beethoven vor. Der Kritik der »Allgem. M. -Ztg.« war es nicht möglich eine Aussetzung hiebei zu machen. Sie verschluckte ihr Mißbehagen hierüber in der Bemerkung: »daß Mendelssohn eine tiefere und nachhaltigere Wirkung mit demselben erzielt habe.« In der Schumann'schen »N.Z.f.M.«6 dagegen war der Referent A.W. von Zuccalmaglio nicht mit seiner Beethoven-Wiedergabe einverstanden. Robert Schumann aber glossirte seine Auslassung mit den Worten: »Uns schien gerade diese Leistung Liszt's eine seiner bedeutendsten.«

In diesem Koncert trug Liszt noch seine »Robert-Fantasie« vor. Desgleichen wurde sein Männerchor: »Was ist des Deutschen Vaterland?« zu Gehör gebracht.7 Letzteres geschah auf Mendelssohn's Veranlassung. So lange dieser Künstler an der Spitze der Gewandhauskoncerte stand, war die Direktion dieses Instituts frei von der späteren konservativen Principiensucht, welche den musikalischen Trägern unseres Jahrhunderts – Wagner, vor allem den Symphonikern Berlioz und Liszt – den Koncertsaal hartnäckig verschloß. Kompositionen Liszt's in einem Gewandhauskoncert zu hören, blieb eine vereinzelte Erscheinung bis zur Stunde.

Seitens des Publikums war die Ausnahme des Künstlers eine alle Schranken durchbrechende, an Taumel und Fanatismus streifende.8 Er aber trat als Virtuos nicht wieder in Leipzig auf. Einestheils trug die Schuld hieran der Stachel, den von 1840 an das kritische und allgemeine Verhalten der nordischen Musik-Metropole nur immer tiefer ihm eindrückte, anderntheils fehlten dort Schumann und Mendelssohn, die ihn dahin gezogen hatten und zu denen die Beziehungen nicht mehr so jugendlich[149] frisch erhalten bleiben konnten, wie sie zur Zeit seines ersten Leipzig-Besuchs waren.

Am 27. December war Franz Liszt's erstes Koncert in Berlin. Es fand im Saale der Sing-Akademie statt. Über dasselbe ist in Varnhagen von Ense's »Tagebüchern« zu lesen:


Montag, 27. Dec. 1841.


»Abends im Saale der Singakademie Koncert von Liszt ohne Orchester; er spielte ganz allein, wunderbar, beispiellos, zauberhaft, mit allgemeinem heftigstem Beifall. Seit Paganini habe ich keinen solchen Meister gehört. Die Ouvertüre zu »Wilhelm Tell«, eine Phantasie über Motive aus »Robert der Teufel« und »Erlkönig« von Schubert waren am schönsten. Wir hatten ganz nahe Plätze und sahen den geistvollen, feinen, schönen Mann ganz genau. Zuletzt spielte er einen chromatischen Galopp, den ich nicht aushalten konnte; er hatte meine Pulse in seiner Gewalt und sein Spiel beschleunigte sie so, daß mir schwindlig wurde. – Der König war in seiner Loge, der Graf von Nassau, Prinz und Prinzessin Karl, Prinz August, der Kronprinz von Württemberg. Ferner Meyerbeer, Felix Mendels sohn, Spontini, Rellstab, Spiker, eine Menge von Bekannten.«

(I. Bd. S. 385.)


Mit diesem Koncert beginnt jene Reihe merkwürdiger Tage, deren künstlerischer Glanz und allgemeine Begeisterung nicht allein im Berliner Kunstleben und in der Geschichte der Künstler überhaupt, sondern auch kulturgeschichtlich vereinzelt dastehen. Lassen sich auch aus dem Leben der Maler der glorreichen Zeit italienischer Kunstherrschaft, aus dem Leben der ruhmgekrönten Dichter und Komponisten aller Völker manche Momente und Episoden neben sie stellen, ohne daß die Intensivität ihres Glanzes dadurch litte, so besitzen jene doch eine Eigenartigkeit, die sie einem Vergleich gewissermaßen entreißen. Schon daß im neunzehnten Jahrhundert im kühlbeschauenden Norden Deutschlands, in der »Stadt der Intelligenz«, deren gesammte Geistes-Fakultäten mit Männern besetzt waren, die durch die Summe ihres Wissens das denkende und forschende Europa – um nicht zu sagen – beherrschten, doch tief beeinflußten, einer Künstlererscheinung zehn Wochen hindurch die Ehrenbezeigungen des geistvollsten Monarchen des damaligen Deutschlands nebst den Gliedern der königl. Familie, der Gelehrten und Künstler, der Lehranstalten von der Universität bis herab zur Kleinkinderbewahranstalt, nicht von Einzelnen, sondern von Korporationen dargebracht wurden und daß um diesen Künstler ein Rausch des Enthusiasmus wogte, der alle Gesellschafts-, Bildungs- und[150] Berufsklassen umschloß, dürfte ein historisches Phänomen zu nennen sein.

In Liszt's Virtuosenepoche stellt sich seine Berliner Koncertperiode als der Kulminationspunkt derselben dar. In ihr koncentriren sich alle Fäden seines eingebornen Könnens, seiner Ideale und seines auf sie gerichteten Willens, aber auch die Glut seines Glaubens an die Macht dieser Ideale und dieses Willens. Seine Ideen über die Stellung und Aufgabe der Künstler, über die Aristokratie des Geistes, für die er schon als Jüngling auf Pariser Boden als Kämpfer aufgetreten war9 und denen Wirklichkeit zu erringen er als eine Art heiliger Mission erstrebte, schienen verkörpert in ihm ihre officielle Installation zu feiern. Seine Programme reflektirten in einem Cyklus von einundzwanzig Koncerten, die er in dem kurzen Zeitraume vom 27. December bis 2. März 1842 gab, die ganze Größe und Gewalt seines Genius. Sie überstiegen an künstlerischem Werth alle bisherigen. Eine Weltliteratur in Noten, umfaßten sie in großen Zügen alles, was die Tongeister der Zeiten dem Klavier übergeben hatten. Bach und Händel bildeten gleichsam die historische Basis derselben.

Die Daten und Programme der von ihm gegebenen Koncerte, sowie derer, bei denen er mitwirkte, waren, wie folgt: im Saale der Sing-Akademie (zehn): am 27. December 184110, am 1. Januar 184211, am 5. Jan.12, – dazwischen ein Koncert im Casino zu Potsdam (am 9. Januar13 und ein Koncert Pantaleoni's, in dem Liszt mitwirkte, am 12. Jan.), am 16. Jan.14,[151] am 21. Jan.15, am 23. Jan.16, am 30. Jan.17, am 3. Februar18, am 6. Febr.19; – in der Aula der Universität (?) für die Studenten am 25. Januar20; ebendaselbst zweites Koncert für die Studenten am 4. (?) Februar21; im Koncertsaal des königl. Schauspielhauses (zum Besten des Vereins für hülfsbedürftige Lehrer) am 10. Febr.22; – im königl. Opernhaus (vier) am 16. Febr.23, am 19. Febr.24, am 23. Febr.25; am 2. März (Abschiedskoncert26); – zwischen dem 23. Febr. und 2. März waren mehrere Koncerte Anderer, in denen er zu ihrem Benefiz mitwirkte,[152] im Hôtel de Russie, wo Liszt wohnte, und im Koncertsaal des Opernhauses: für den italienischen Falsettisten Pantaleoni27; für die fünfzehnjährige, eine »Goethe'sche Mignon« genannte Nina Morea28; für die Gebrüder Ganz29; (am 2. März das sogenannte »Abschiedskoncert«); am 3. März im Hôtel de Russie30, bevor er in den Reisewagen stieg, für einen Wohlthätigkeitszweck.31

Die Berliner Kritik, an ihrer Spitze Ludwig Rellstab, liefert in ihrer Gesammtheit eine großartige Beschreibung von den künstlerischen Siegen jener Koncerte. Ihre Berichte heben hervor, daß der Künstler stets die besondere Idee und Stimmung einer jeden Komposition auf das schärfste erfasse, daß er jeden Stimmungswechsel mit der Natur eines Proteus in sich vollziehe, mit der Feuerseele eines Titanen das Große darstelle und dabei jede Idee, jede Stimmung, jede Großartigkeit des Ausdrucks mit zauberhafter Anmuth umgebe. Dabei wird als Besonderheit seines Vortrags noch gerühmt eine scharf ausgeprägte Rhythmik, flammende Accente, ein Zusammenfassen der Ton- und Satzgruppen zu Gedankenganzen, die Abgränzung der letzteren von einander und endlich eine geradezu berückende Ornamentik. Neben der geistigen Seite seines Spiels nennt sie seine Technik märchenhaft jeder Nüance der Empfindung vom seelischen Hauch bis zur höchsten Glut und Gewalt der Leidenschaft nachgebend, seine Rapidität so groß, daß die Hörfähigkeit der Durchschnittsmusiker ihr nicht folgen könne. Oktaven, Doppelgriffe, Passagensprünge aller Art führe er mit einer Hand, wie mit zwei Händen mit einer Sicherheit und Leichtigkeit aus, die man bis jetzt niemals für menschenmöglich gehalten habe.

Bei aller Bewunderung für den Künstler wahrte jedoch die Berliner Kritik den Ernst und die Selbständigkeit ihrer Aufgabe. Am denkendsten suchte L. Rellstab der merkwürdigen Künstlererscheinung nahe zu treten. Es scheint fast, als habe dieser Kritiker[153] das Unrecht, welches seine hinter der Zeit zurückgebliebene musikalisch antikisirende Richtung gegen Schumann und Chopin verbrochen, bei dem die Zeit noch mehr als Chopin und Schumann überfliegenden Liszt wieder ausgleichen wollen. Diesem gegenüber half ihm der Dichter über den engherzigen Musiker hinweg und seine Rolle als »Philister« schien mit der eines »Davidbündlers« vertauscht. Sich gleichsam rechtfertigend angesichts des Widerspruchs, in den er sich hierdurch mit seiner sonstigen musikalischen Richtung versetzt hatte, sprach Rellstab den bedeutsamen Satz aus: »Die Kritik würde sich selbst schlecht begreifen, wenn sie außerordentliche Erscheinungen dem gewöhnlichen »Gesetz unterwerfen und in eigensinniger Starrheit es nicht anerkennen wollte, daß diese nur sich selbst Gesetz ist.«32 seine Berichte in der Vossischen Zeitung, von ihm noch zu einer Brochüre verbunden,33 haben hierher bezügliches historisch werthvolles Material geliefert. Sie gehören daneben zu dem werthvollsten, was dazumal über Liszt geschrieben worden ist. Er suchte für das Phänomen nach allen Richtungen hin die Erklärung zu finden. Konnte ihm dieses auch nur in den Grenzen der Sehweite jener Zeit gelingen, so fand er dagegen für die Beschreibung desselben beredten und unvergänglichen Ausdruck.34 Die Berichte Rellstab's[154] reihen sich denen d'Ortigue's, Berlioz', Heine's, Saphir's, Chorley's, Schumann's u.A. würdig ein und führen diese historisch weiter. Nach Seite der Analyse und Kritik übertreffen sie jedoch die der andern. Dabei überspringt Rellstab nicht die Punkte, in denen er mit dem Künstler sich nicht in Übereinstimmung befindet. Bezüglich der letzteren sagt er:


»Doch wenn er so gerade alle Meister spielt, so unterwirft er sich dabei weniger ihnen, als diese sich. Das ist die Hauptgefahr, vor der wir schwächere Nachahmer warnen müssen. Ihnen bleibe das Gesetz des Tempos, des Takts, des kleinsten Sechzehntheils heilig! Nur eine selbstgeniale Natur, wie diese Liszt's, läßt es uns vergeben, wenn er in die Rechte anderer eingreift; auch er thut es nach unserm Urtheil nicht immer mit Glück. Er zieht vieles in Beethoven aus dem Gebiet edler Einfachheit, ruhiger Tiefe in das einer viel zu unruhigen stürmischen Leidenschaftlichkeit hinüber. Aus dem Spiegel des Komponisten wird er so dessen Hohlspiegel. Ihn vertheidigt dabei seine ursprüngliche Natur, der Boden (Frankreich mit seinen alles Maß zertrümmernden Explosionen in Kunst und Leben), auf dem er gewachsen, aus dem seine Wurzel den Lebenssaft gesogen, der die Farbe seiner Blüthen und Blätter, die Eigenthümlichkeit seiner Früchte bestimmt; doch jeden andern träfe schon die Verurtheilung, wo wir Liszt die Abweichung seines Kometenflugs völlig gestatten, geschweige aber da, wo wir sie auch ihm nicht[155] vergeben! Indeß möchten wir diese Mängel an ihm nicht einmal gern missen, höchstens sie mildern. Sie bestimmen mit den eigenthümlichen Reiz seiner Individualität; nähmen wir sie ihm, so fürchten wir, er möchte vollkommen sein. Doch die Vollkommenheit ist auf Erden nicht heimisch; vielleicht wäre sie gar langweilig. Wir sollen sie, das ist unser Verhängnis, ewig erstreben, niemals erreichen. So wollen wir es auch Liszt vergeben, wenn er sie nicht besitzt. Und doch besitzt er sie: in Einzelheiten! Was überträfe den Reiz seiner Verzierungen, die leichten duftigen Blüthen gleichen? was die Gewalt seiner rollenden Passagen, wenn sie aus dunkler Tiefe heraufbrausen? was die schwindelnd raschen Oktavengänge, die unverfolgbaren Akkordketten in Doppel- und Tripelgriffen beider Hände, die Grazie seiner Melodie, die tiefe Wehmuth, den Adel derselben, wo er sie frei hält von dem Hyper-Romantismus, der in Paris ihn nervenreizend angehaucht hat?« –

»Das Wie seines Spiels ist immer uns noch schöner gewesen, wie das Was erstaunenswürdig! Bei vielen verschmilzt sich beides: so bei der metallenen Macht seines Fugenspiels, wo die Schwierigkeit der Aufgabe mit der wundervollsten Lösung im steten Wettkampf bleibt.«


Liszt's Fugenspiel war das Erstaunlichste, was auf dem Klavier nach dieser Seite hin je vollbracht worden ist. Ohne an dem Buchstaben der ehernen Objektivität der alten Meister zu rütteln, ohne sich ihnen in dogmatischer Sklaverei zu unterwerfen, verstand er ihren Geist lebendig zu machen wie keiner. Von seinem Vortrag der »Chromatischen Phantasie und Fuge« Joh. Seb. Bach's, diesem merkwürdigen Gebilde, dem gleichsam eine Prophezeihung auf die Musik des neunzehnten Jahrhunderts in den Mund gelegt ist, berichtet Rellstab:


»In der phantastischen Einleitung verband sich der feurigste Aufschwung, eine wahrhaft stürmische Rapidität der Passagen mit der klarsten Deutlichkeit; und in der Fuge entwickelte sich jene angedeutete Ruhe zur Ausprägung des großartigsten Styls.«


Von dieser Ruhe aber bemerkt er, daß sie die der »völligsten Beherrschung aller aufregenden Gewalten der Leidenschaft, die positive der überlegenen Kraft« sei.35 Außer dieser Komposition Bach's hatte der Künstler die Kühnheit, zwei der riesigen Orgelfugen in A- und Emoll (Pedal und Manual) dieses Meisters, – der späteren Kollektion:


[156] Sechs Praeludien und Fugen

für die Orgel [Pedal und Manual] von J. Seb. Bach36


angehörend – auf dem Klavier vorzutragen, wobei meistens die beiden Manualstimmen die rechte, das Pedal die linke Hand übernahm, ohne dabei das Pedal des Klaviers zu gebrauchen. Trotz dieser ungeheuerlichen Schwierigkeiten war die Stimmführung, selbst in den Mittellagen, von einer Klarheit und Durchsichtigkeit, der Vortrag des Ganzen von einer Kraft und Größe des Ausdrucks, daß diese Leistung einem Wunderwerk gleich kam.

Von Händel spielte er in gleich bedeutender Auffassung die Fuge in Emoll und das Thema mit Variationen aus der Dmoll-Suite.

Das phänomenale Gedächtnis, welches der Künstler während seiner Berliner Koncerte dokumentirte, versetzte die Berichterstatter fast nicht minder in Erregung als seine Vorträge selbst, die dort (nach Rellstab) aus achtzig Kompositionen, darunter gegen fünfzig auswendig gespielten,37 bestanden – eine Zahl,[157] die sich möglicherweise verdoppeln und verdreifachen ließe, wollte man die Kompositionen seiner Privatvorträge in prima vista und[158] aus Partituren hinzurechnen. Seine Privat-Koncerte kamen mehrmals seinen öffentlichen gleich, wie z.B. (am 9. Febr.) eine Matinée, die er den sämmtlichen Mitgliedern des königl. und königstädtischen Theaters, der königl. Kapelle, des Ballets u.a. gab, bei der 7–800 Zuhörer anwesend waren und er ohne Mitwirkung eines andern Künstlers das Beste seiner Kunst darbot. Oder auch jene denkwürdigen Abendunterhaltungen, die zuerst bei dem Prinzen von Preußen (Kaiser Wilhelm I.), dessen Gemahlin (Kaiserin Augusta), die Urheberin derselben, auch geistig die Tochter ihrer hochstehenden Mutter Marie Paulowna war, stattfanden; dann bei Madame Beer und schließlich bei dem geistvollen Friedrich Wilhelm IV. im weißen Saale des kgl. Schlosses gegeben wurden. Zu denselben war Alles geladen, was zur geistigen Tafelrunde Berlins gehörte: der greise Alexander von Humboldt, Varnhagen von Ense, Meyerbeer, Mendelssohn, die Unger-Sabatier, Bettina, Charlotte v. Hagn u.A. In Liszt's Vorträgen ruhte ihr Hauptreiz. Er war die stützende Kraft, die auch die Begleitungen übernahm. So wurde z.B. der vierte Akt der »Hugenotten« von Meyerbeer, die in Berlin noch der Aufführung entgegengingen, am Klavier aufgeführt. Liszt vertrat hiebei den instrumentalen Theil und spielte ihn aus der Partitur »jede Hand ein Orchester«. In einer dieser Soiréen war es, daß Liszt's »Loreley« durch Mme Unger-Sabatier zum Vortrag kam.38

Die ersten zehn seiner öffentlichen Koncerte gab Liszt im Saale der Sing-Akademie. Schon nach dem ersten war der Eindruck, den er hervorrief, ebenso bedeutend, wie für die ferneren Koncerte entscheidend. Die geistige Elite, an ihrer Spitze der König und andere Mitglieder des königl. Hauses, besuchten sie regelmäßig. Der Zudrang wurde so groß, daß die Räume der Sing-Akademie die Herbeiströmenden nicht mehr fassen konnten. Nun siedelte der Künstler in das königl. Opernhaus über.

Bei den vier Opernhaus-Koncerten wirkte die Hofkapelle mit. Nach der Bestimmung des Königs traf man für dieselben besondere Vorkehrungen. Ähnlich wie in Weimar wurde ein von der Bühne aus ins Orchester gehender Vorbau errichtet, auf dem die Flügel standen, deren Liszt sich für den Abend bediente. Das Personal des besetzten Orchesters hatte auf der Bühne amphitheatralisch geordnet[159] seinen Platz erhalten.39 War hierdurch ein größerer Raum gewonnen, so schien es auch, als ob mit ihm und mit dem zahlreichen imposant ringsum vor und über ihm geordneten Auditorium sein Genius noch mächtiger ihn ergriffe und über alle Schranken höbe. Bald im Wettkampf mit dem volltönigen Orchester, bald souverän es beherrschend oder mit ihm liebkosend, dabei wie von einem Heere unsichtbarer Victorien umwogt, schien die Musik selbst in ihrer Gewalt und Schönheit sich in seiner Person zu offenbaren. Von einem Beifall als bewußte Äußerung des freien Willens seitens seiner Hörer war keine Rede mehr. Wie von einem geistigen Sturmeswirbel erfaßt, begleiteten sie ihn, den »Rattenfänger von Hameln«, wie er in jenen Tagen oftmals genannt wurde, auf seinen Siegeszügen, um in einen endlosen Jubel auszubrechen und Lorbeeren zu streuen.

Mehrmals dankte er durch Improvisationen über Themen aus der eben vorgetragenen Komposition. Doch zeigen auch manche seiner Programme als Schlußnummer eine »freie Phantasie«, deren Themen das Auditorium in Vorschlag brachte. Meistens wählte er – wie auch bei seinen Koncert-Fantasien über Opernmotive – solche, die in entschiedenem Kontrast zu einander standen. In seinem siebenten Koncert (am 23. Januar) z.B. verflocht er die russische Nationalhymne mit Kaspars Trinklied aus dem »Freischütz«. Ein drittes Thema, das er gewählt hatte, die »Romanesca«, eine Melodie des 16. Jahrhunderts, die in jener Zeit, da die musikhistorischen Forschungen noch im ersten Werden standen, Mode war, ließ er bald wieder fallen, ohne sie aber innerlich aufgeben zu können.40 Publikum und Kritik waren gleich hingerissen. »Wahrlich« – schrieb ein Referent an die Allgem. Musik. Ztg.41 – »Liszt müßte bei seinem Reichthum an Erfindungskraft und der ihm eigenen harmonischen Kenntnis öfter freie Phantasien vortragen!«

In einem andern Koncert – für die Gebrüder Ganz am 28. Februar – trat er auch als Dirigent auf. Er dirigirte Beethoven's C moll-Symphonie und die Ouverture zu Spontini's »Olympia« – »wohl mit heftigen Gestikulationen, aber sehr feurig[160] und im Geiste der Komposition.«42 – Somit lernten die Berliner den Künstler nach allen Seiten hin kennen und nach jeder als eine eigenartige, mit sich fortreißende Erscheinung: als Virtuosen, als Interpreten des Kunstgeistes aller musikalischen Nationen, obenan der deutschen, als Komponisten, als Improvisator, als Dirigenten.

Unter den Koncerten waren einige, die den Berlinern von besonderem Werthe waren. Das vierte Koncert in der Sing-Akademie (am 9. Januar) brachte ihnen eine »ernste, ergreifende Überraschung.« Der Künstler führte ein ganz in Vergessenheit gekommenes Quartett ihres einstigen Lieblings, dessen Ritterlichkeit und Melancholie den Frauenherzen so gefährlich war, der – Musensohn und Held zugleich – der Befreiung Deutschlands mit zum Opfer fiel: ein Quartett des Prinzen Louis Ferdinand43 vor. Nur in mündlicher Überlieferung mochte sich bei Einigen die Kunde von dem Eindruck erhalten haben, welchen die musikalischen Erzeugnisse dieses Prinzen zur Zeit ihrer Entstehung hervorgebracht hatten und von dem ein Gedicht des Tyrtäos der deutschen Freiheitskämpen, Theodor Körner's: »Bei der Musik des Prinzen Louis Ferdinand« beredt spricht. Hat auch Körner weniger die Tonmuse des Prinzen selbst charakterisirt als den stürmischen Gefühlen Ausdruck gegeben, welche in jener hochbewegten Zeit die jungen Helden durchglühten, so lebte doch etwas von jenem kampfbereiten Todesmuth, der den Freiheitsgesängen der »Lützower« innewohnte, in der Musik des Prinzen: aber verklärt in Melancholie und Todesahnung. Auch mit »Leyer und Schwert« war Louis Ferdinand verknüpft. In feiner Inspiration legte Karl Maria von Weber diesen von ihm komponirten Liedern Motive aus obengenanntem Quartett des Prinzen zu Grunde und verflocht so auf das sinnigste das Schicksal der beiden Dichter und Helden mit ihrer Zeit.

Wie nun jetzt die Berliner jenes Quartett hörten, in einer Ausführung so einfach, so edel und traurig, da wurden die Überlieferungen und die Gestalt ihres Lieblings wieder lebendig. Nicht nur die Königsfamilie, sondern das ganze Auditorium war ergriffen von dem edel auflodernden Feuer, der schwermüthigen Grazie dieses Werkes, das so ganz der Abdruck schien von dem Wesen seines[161] hohen Komponisten. Familien-, wie die mit dem angestammten Königshaus verwachsenen Volksgefühle waren von dieser Aufführung gleich tief bewegt und gaben dem Koncert den Charakter einer wehmüthigen Gedenkfeier.

Die königliche Familie, insbesondere Friedrich Wilhelm IV., der Prinz und die Prinzessin von Preußen, welche der Erscheinung des Künstlers ein königliches Verständnis entgegentrugen, wandten ihm ihre Sympathien noch herzlicher zu – wie sehr, geht aus dem Andenken hervor, welches die Prinzessin, mit Zustimmung ihres hohen Gemahls, ihm überreichen ließ. Es bestand aus einer Sammlung der Kompositionen des Prinzen Louis Ferdinand und einer Flötenkomposition in der Handschrift Friedrich's des Großen, von ihm selbst komponirt44 – beides zusammen gleichsam der musikalische Dank des Königshauses gegenüber dem Künstler, der das künstlerische Talent dieses Königshauses öffentlich anerkannt hatte.45

In einem anderen Koncert – am 19. Februar – bereitete der Künstler dem König eine öffentliche Ovation aus dem Stegreif. Friedrich Wilhelm IV., eben erst von seiner englischen Reise zurückgekehrt, erschien in seiner Loge und folgte mit großer Aufmerksamkeit den Vorträgen des Künstlers. Als nach einem derselben der Beifallssturm sich nicht legen wollte und auch der König immer von neuem ihm applaudirte, setzte er sich an den Flügel und intonirte, sein Jupiterhaupt zum König emporgewandt: »Heil Dir im Siegerkranz!« Wie elektrisirt wandte sich das ganze[162] Auditorium zur Königsloge und schloß sich im lautesten Jubel der Huldigung an.

Nicht minder erregt verliefen drei Koncerte, von Liszt scherzend »Vorlesungen« genannt. Sie waren der studirenden Jugend gewidmet. Bei ihr hatte er eine Begeisterung erweckt, die zu solchem Sturm anschwoll, daß, als er nach einem Koncert, um nach Hause zu fahren, seinen Wagen bestieg, die Studentenschaft die Pferde ausspannte und ihn unter lautem Hochruf der umstehenden und bis zum Hôtel sie begleitenden Volksmassen nach Hause fuhr. Aber auch beispiellos hatte der Künstler seine warme Theilnahme für die geistig strebende Jugend an den Tag gelegt. Kaum war von Rellstab ein Wort gegen ihn gefallen, daß die unbemittelten Studenten ihm dankbar wären, wenn er Billete zu ermäßigtem Preis ihnen verabfolgen ließe, als er es sogleich aufgriff und »ein, zwei, drei Koncerte in der Universitätsaula zu zehn Silbergroschen« zu geben sich erbot. Aber nicht allein den Studirenden, auch Unbemittelten aller Stände standen diese Koncerte – das dritte fand im Saale des Opernhauses statt – offen. Den Ertrag dieser Zehngroschen-Koncerte übersandte er der Universität für ihre »unbemittelten Studirenden«.

Wie diese Einnahmen dieser Koncerte, wurden noch andere von ihm humanen Zwecken bestimmt. Unter einundzwanzig Koncerten, die er veranstaltet hatte, waren nur zwölf für ihn selbst, und selbst die Einnahme dieser wanderte zum größten Theil den Weg der Mildthätigkeit, ohne daß er dabei den an ihn gerichteten Forderungen hätte genügen können. Während der letzten Wochen seines Berliner Aufenthaltes mußten über tausend Briefe mit Bitten um Geld verbrannt werden! Er gab, so viel er konnte, d.h. so weit es reichte. Aber nicht nur, daß er gab, machte ihn bei allen Bevölkerungsklassen populär und erwarb ihm eine enthusiastische Liebe, sondern auch wie er gab. Rücksichts-, schonungsvoll, diskret fand er für seine Hülfe stets eine Form, die den Nehmenden zugleich ehrte. Außer den drei »Vorlesungen« war ein Koncert (das vierte in der Sing-Akademie) für den Kölner Dombau – ein Steckenpferd Fr. Wilhelm's IV. –: drei waren für Kunstgenossen (für die Gebrüder Ganz, Nina Morea und Pantaleoni); eines im Opernsaal für Berliner Wohlthätigkeitsanstalten, welches allein Thl. 179446[163] eintrug. Von den vier Koncerten im königl. Opernhaus bestimmte er ebenfalls ein Drittel der Einnahme für ähnliche Zwecke.

In den Hallen der Loge Royal-Yorke erklang ebenfalls sein Spiel zum Preise der Humanität (am 8. Febr.). Hierauf wurde dem Künstler unter dem Präsidium des Prinzen Wilhelm (Kaiser Wilhelm I.) der zweite Grad, der »Gesellengrad« des Maurerbundes ertheilt.47

Bei dieser Gelegenheit toastete Liszt unter rauschendem Beifall auf den »Prinzen der Maurer«.

Neben seiner außerordentlichen Erscheinung als Künstler, war es seine universelle Bildung, der Blitz seiner Einfälle, sein vornehmer Charakter, welcher Liszt zu allen Rang- und Bildungsklassen Berlins in Beziehung brachte.


»Wer den Künstler, den Virtuosen als solchen nicht zu würdigen vermochte«, – berichtet Rellstab hierüber – »der war elektrisch berührt von dem Feuergeist in ihm oder gefesselt durch die wunderbare Mischung von Stolz und Milde des Charakters, von Adel, Grazie und Kindlichkeit seines Wesens.«


Er verkehrte mit Rauch, Cornelius, Dr. Förster, Varnhagen, Alex. v. Humboldt u.A. Stundenlang war er bei Bettina von Arnim, über deren geistvollem Geplauder er die schöne, von ihm vielfach ausgezeichnete Charlotte von Hagn vergaß. Vor allem aber überschüttete ihn die preußische Königsfamilie, öffentlich wie privatim, mit den ausgesuchtesten Gunstbeweisen, wie schon das Musikaliengeschenk der Prinzessin es ausspricht. Fr. Wilhelm IV. vertrat die Öffentlichkeit. Seine Schätzung des Künstlers war stichhaltig und, als er dem Orden Pour le mérite eine »Friedensklasse« für Gelehrte und Künstler hinzufügte, gehörte der Name Franz Liszt zu den ersten, die er aufzeichnete. »Er war des Königs entschiedene Wahl und keine Einwendungen fruchteten,« schrieb unterm 26. Juni 1842 Alex. von Humboldt an Varnhagen.48 Für die ihm gewordene Auszeichnung antwortete der Künstler dem Monarchen mit der Widmung seines feurigen Männerchores: »Was ist des Deutschen Vaterland?« Der Prinzessin brachte er Dank und Huldigung durch[164] das ihr dedicirte »Buch der Lieder«, dessen das vorige Kapitel bereits gedacht hat.

Vor der Ordensverleihung hatte ihm der König nach einem Koncert im Opernhaus einen kostbaren Brillantring durch seinen Adjutanten überreichen lassen. Brillanten waren das bei jedem Virtuosen gebräuchliche Geschenk des Hofes. Liszt stand höher als alle Virtuosen; das wußte er, das wußte die ganze Welt. Dazu vertrat er den Künstler- und Virtuosenstand, für dessen höhere Stellung er eingetreten war. Das Geschenk des Königs aber reihte ihn ein in die Allgemeinheit. Das reizte ihn und er empfand es als eine Beleidigung. Zornig warf er das kleine Etui in die Koulissen und stieß hervor: »Ich brauche ja so etwas nicht!«

Noch ehe der Kavalier den Vorgang begriff, sprang eine Dame aus den Koulissen hervor und reichte ihm das Etui mit dem Ausruf: »Herr Liszt, – aus lauter Freude lassen Sie die Freude aus den Händen fallen!« Diese Geistesgegenwart Charlotte von Hagn's rief seine Besonnenheit ebenso schnell zu rück und sich gegen den Kavalier wendend sprach er: »Majestät sind sehr gütig gegen mich.« Vor der gefeierten Schauspielerin aber verbeugte er sich ehrerbietig und zog ihre Hand an seine Lippen, indem er sagte: »So eine wohlthätige Hand muß man segnend küssen.« Das Etui aber nahm er nicht. Bei seiner Abreise übergab die Künstlerin dasselbe seinem Sekretär Belloni.

Einem andern kleinen Vorgang wohnte Varnhagen bei der Prinzessin von Preußen bei. Es sollte eine Soirée hier abgehalten werden und der Künstler machte der Prinzessin seine Aufwartung. Sie empfing ihn huldvollst, unterhielt sich lange lebhaft mit ihm und führte ihn schließlich gegen alle Hofetiquette in den Saal, in dem musicirt werden sollte, zur Probe des Instrumentes. Es war ein kalter Tag, Eis an den Fenstern. Der Weg führte über lange Korridore, die nicht geheizt wurden. Trotzdem geleitete sie ihn, der Künstler entblößten Hauptes ihr ehrerbietig zur Seite, hinter ihnen die Kavaliere, unter ihnen Varnhagen. Letzterer hörte mehrmals, wie die Prinzessin dem Künstler gebot: »Setzen Sie auf, Herr Liszt – Sie werden sich erkälten!« Er aber schritt, den Hut in der Hand, weiter. Im Saal, als er sich zum Probiren des Flügels setzte, stellte er den Hut nach seiner Gewohnheit unter den Stuhl; unversehens, vielleicht auch absichtlich, stieß er mit dem Fuß an ihn, und er rollte über den spiegelglatten Boden fort.[165]

»Der Hut – der Hut!« rief die Prinzessin.

»»Königliche Hoheit,«« entgegnete er aufspringend und sich tief vor ihr verneigend, »»was soll der Hut, da ich über so viel Güte schon kopflos bin?«« –

Noch ein anderer Vorfall, der in der königlichen Familie spielte, dürfte hier Platz finden.49 Liszt kam damals öfter mit einem Baron Rosenberg zusammen, der durch seine Brieftauben-Kultur, sowie als glücklicher Spieler bekannt war. Plötzlich ging das Gerücht – auch die Presse nahm es auf –, er habe Liszt ruinirt. Dieser selbst hatte keine Ahnung davon. Da eines Abends wurde er, wie öfter, in das Palais der Prinzeß Wilhelm befohlen. Er glaubte zum Vorspielen. Als er zu der ihm bestimmten Zeit eintraf, befremdete es ihn, daß keine Lakaien da waren; die Korridore waren dunkel, alles still. Er wurde in das Wohnzimmer der Prinzeß geführt. Sie saß bei einer Lampe und las, das Zimmer war matt beleuchtet. Sie begrüßte ihn freundlich, freute sich ihn wohl zu sehen – von Vorspielen keine Rede. Dagegen erkundigte sie sich immer eindringlicher, ob ihm wirklich nichts fehle, ob er nicht »Freunde bedürfe«: er habe einen »Verlust« gehabt. Liszt hatte erst an diesem Tage gute Nachrichten von seiner Mutter erhalten, ihm war kein Todesfall bekannt. »Nein,« sagte er darum immer erstaunter. Da sagte die hohe Dame plötzlich, ohngefähr wie folgt:

»Ich weiß schon, Herr Liszt, Ihr Stolz läßt es nicht zu darüber zu reden, allein mein Bruder hat es mit mir besprochen. – Sie wissen, wie er und meine Mutter50 Sie schätzen! – Dieses Portefeuille Ihnen eingehändigt, das wird Sie aus Ihrer Verlegenheit und von Rosenberg befreien!« Dabei reichte sie ihm ein Portefeuille hin, das 20,000 Thaler enthielt. Nun klärte sich die Sache auf und die Prinzessin erfuhr, daß er, einem Gelübde getreu, nie um Geld spiele und das Gerücht eine Finte sei. Diese Güte und Delikatesse seitens der königlichen Familie aber bewegte ihn tiefer als alle öffentlichen Auszeichnungen. Gegen Andere schwieg er darüber; es hätte ihm Reden eitel Prunk gedünkt.[166]

Neben dem legendarischen Ruin des Künstlers nestelte sich eine Unmasse von Erfindungen an seinen Namen; auch Mißbrauch. So erschien gerade in den Tagen seiner größten Feier ein »Sendschreiben Liszt's aus Berlin« an den Redakteur der »Rheinlande« (Dr. Friedr. Wiest),51 datirt 28. Januar, welches die Berliner musikalische Welt und Gesellschaft, darunter auch seine Freundin Charlotte v. Hagn, deren kleines Gedicht:


Dichter, was Liebe sei, mir nicht verhehle!

»Liebe ist das Athemholen der Seele.«

Dichter, was ein Kuß sei, Du mir verkünde!

»Je kürzer er ist, um so größer die Sünde.«


er in jenen Tagen musikalisch verewigte,52 mit Witz und Spott im höheren Kneipenstil übergoß. Der Berliner Dichter und Humoreskenschreiber Ad. Glasbrenner hatte sich diesen Koboldscherz hinter seinem Rücken erlaubt. In den musikalischen Kreisen, besonders in denen der von ihm bewitzelten Personen, wirkte er sehr verstimmend. Als Liszt auf einer Assemblée der Mme. Beer erschien, empfing man ihn kühl; selbst die ihm befreundeten Künstlerinnen Unger-Sabatier und Charlotte von Hagn waren steif. Befremdet hierüber forschte er nach, erfuhr den Grund und war ebenso erstaunt, wie die Gesellschaft empört. Er erklärte, daß das Sendschreiben nicht von ihm stamme, war aber verletzt, daß man nur einen Augenblick glauben konnte, er sei solchen Verraths gegen seine Freunde fähig. Charlotte v. Hagn, höchst aufgeregt, rief ihm zu:

»Sie müssen widerrufen!«

»»Ich muß?!«« entgegnete er stolz, »»das Sendschreiben ist nicht von mir – ich widerrufe nicht.«« Und er widerrief nicht.53

Trotzdem war in der Augsburger »Allgem. Zeitung« Anfang März zu lesen:


»Im Auftrag des Herrn Franz Liszt erkläre ich, daß demselben der mit seinem Namen unterzeichnete Arti kel des Mainzer Blattes »Das Rheinland« Nr. 18 vom 10. Febr. 1842 seinem ganzen Umfange nach völlig fremd ist.


Berlin, am 1. März 1842.


G. Belloni, Sekr. des Herrn Fr. Liszt.«[167]


Von diesem Widerruf wußte dieser jedoch ebenfalls nichts. Fürst Felix Lichnowsky hatte für ihn gehandelt und dadurch den Schatten, der durch die stolze Schweigsamkeit seines Freundes auf dessen Charakter fallen mußte, hinweggewischt. – In Berlin waren die Beleidigten versöhnt und Liszt's Ehre in der Öffentlichkeit wieder hergestellt.

So lange Liszt in Berlin war, drehte sich alles bis hinab zu den untersten Volksklassen um ihn. Er war ebenso im Munde der Eckensteher und Schustersfrauen, wie er der künstlerische und gesellschaftliche Glanz der Oberschichten war.54

Koncerte, Aufführungen im Opern- und Schauspielhaus, Privatgesellschaften hatten nur Reiz, wenn er zugegen war. Wie vormals in London, konnte man auch in Berlin Koncertanzeigen lesen mit der Bemerkung: »Herr Liszt wird zugegen sein.«55 Familien, die er besuchte, bewahrten Tassen und Gläser, aus denen er getrunken, als Reliquien. Wo man ging und stand, hörte man den Namen »Liszt.« Der Anekdoten kursirten zahllose, überall erzählte man sich kleine Ereignisse, Aperçus von ihm – für die Armen war er dabei der Deus ex machina, für die Frauen ein Magier, für die Künstler ein König.

Den Künstler zu ehren – das schien der eine Gedanke, in dem ganz Berlin sich fand. In einer außerordentlichen Plenarsitzung ernannte ihn die königl. Akademie der Künste zu ihrem Mitglied; die Akademie für Männergesang – unter Leitung von Fr. W. Wieprecht und Flodoard Geyer entstanden – wählte ihn zu ihrem Ehrendirektor. Es reihte sich Fest an Fest. Alle Stände waren hierin von einem Wetteifer ergriffen und selbst die Vorstände der Wohlthätigkeitsanstalten suchten ihm Überraschungen zu bereiten. Zu letzteren zählt ein Morgenbesuch von Einhundert Kindern, von denen keines über sechs Jahre alt war; geführt von dem Major von Plehwe (dem Vorsteher der verschiedenen Berliner Kinderanstalten) waren sie zu ihm gekommen,[168] um ihm im Namen der tausend andern Kinder für eine Koncerteinahme, die er ihnen zugesandt hatte, zu danken. Eine große Anzahl anderer Kinder, Knaben der Malmène'schen Erziehungs-Anstalten von ihren Lehrern geführt, schlossen sich jenen an. So standen sie im Halbkreis im Saale des Hôtel de Russie ihres Wohlthäters harrend. Die Direktoren hatten sich in seinen Salon als Deputirte begeben, um ihn in den Saal zu bitten. Bei seinem Eintritt zwitscherte es aus hundert Kinderkehlen: »Lobt froh den Herrn, ihr jugendlichen Chöre.« Der Major von Plehwe dankte hierauf dem Künstler im Namen der Vereine. Nun nahten sich ihm vier der Kleinen, sagten mit ihren Silberstimmchen einen Spruch, boten ihm Kränze und streuten ihm Blumen. Liszt war so ergriffen, daß er sprachlos die Kleinen an sich zog und herzte. Nun kamen noch die Malmène'schen Knaben und sprachen auswendig Verse, denen ein Spielliedchen von allen Kindern ausgeführt folgte. Eine Stelle desselben erregte große Heiterkeit und blieb dem Künstler lebenslänglich im Gedächtnis. Während die Stimmchen zwitscherten: »die sind uns zum Spielen gegeben,« flogen alle Ärmchen in die Höhe und die tausend kleinen Finger spielten in der Luft. Diesen Morgenbesuch beschloß ein Spiellied der Knaben – ein scherzhaftes Koncert ohne Instrumente. – Von hier datirt das Interesse für die Kindergärten, welches Liszt in Zukunft oft bethätigt hat.

Große Dimensionen und den Charakter städtischer Feier nahm ein Festmahl an, welches am 18. Februar im Jagor'schen Saal dem Künstler von einem glänzenden Flor wissenschaftlicher, künstlerischer und städtischer Notabilitäten – unter ihnen Namen, die unser Jahrhundert durchklingen –, denen sich zahlreiche Kunstfreunde anschlossen, gegeben wurde. Dreihundert Couverts bedeckten die Tafel.

Als die Gäste den Saal, in welchem sinnvoll eine bekränzte Victoria aufgestellt war, betraten, empfing sie Liszt's Ungarischer Marsch (D moll). Dem Künstler war Graf Redern, der General-Intendant der Königl. Schauspiele, und Dr. Dieterici, der Rektor der Universität, zur Seite gegeben. Nach dem officiellen Toast auf König und Königin begrüßte Dr. Förster (der Historiker) in gebundener Sprache den Ehrengast. Dieser ergriff das Wort und sprach aus, wie sehr es ihn mit Stolz erfülle gerade von Berlin, dem Zentrum des geistigen und künstlerischen Deutschlands, mit[169] solchem Wohlwollen aufgenommen worden zu sein. Nicht als von ihm verdiente – sagte er – nehme er die Ehrungen an, vielmehr als noch zu verdienende, und schloß mit einem Hoch auf die »Geistesherrschaft der Künste und Wissenschaften in Berlin.« Es folgte Toast auf Toast, die, wie brennende Raketen, einer am andern sich entzündeten. Der Abgeordnete der Studirenden dankte Liszt für seine Unterstützung der studirenden Jugend.

»Jugend!« rief dieser dagegen in noch selbst jugendlicher Aufregung aus – »nichts ist mir so theuer wie die Jugend und ihre warmen, aufwallenden Gefühle – allem jugendlichen Streben in Kunst, Wissen und Leben, der Jugend überhaupt ein Lebehoch!«

O'Etzel, der Deputirte der Freimaurer, spann den Gedanken weiter und dehnte ihn aus auf die »Jugend in allen Formen, auch auf die mit bejahrtem Herzen und ergrautem Haupt.« Immer höher schlugen die Wellen in geistiger Brandung und sprühten ihre Lichtfunken über die Tafelrunde der hochbedeutenden Männer. Mendelssohn und Meyerbeer waren ebenfalls zugegen. Liszt – auf »Paulus« und »Hugenotten« anspielend – brachte ihnen, den »Vertretern der kirchlichen und weltlichen Macht der Tonkunst«, ein herzliches Hoch.

A. von Humboldt, verhindert persönlich zu erscheinen, versäumte ebenfalls nicht durch einige schriftlich an die Gesellschaft gerichtete Worte Glanz und Bedeutung der Feier zu mehren.


»Wenn der edelste Charakter,« – schrieb der große Gelehrte – »äußere Liebenswürdigkeit, anmuthige Freiheit der Rede sich den höchsten und glücklichsten Gaben des schaffenden Genies zugesellen: so hat die städtische Feier, die Sie, meine Herren, patriotisch vorbereiten, eine große Bedeutung. Der Gefeierte weiß, wie sehr ich ihm anhänge; er wird es mir daher nicht verargen, wenn ich aus Schonung für meine Gesundheit, der einsamen Ruhe etwas bedürftig, Ihre liebenswürdige Einladung für diesmal mit ergebenstem Dank ablehne.«


Die Festlichkeit selbst gipfelte in einer Ehrengabe, die Liszt von einer aus Vertretern der in Berlin gepflegten Künste zusammengesetzten Deputation, im Namen der Gesellschaft überreicht wurde. Die Deputation bestand aus dem Maler Wach, dem Architekten Stier, dem Bildhauer Rauch und den Musikern Meyerbeer und Mendelssohn. Das Geschenk bestand aus einem goldenen Medaillon, das nach einer in Paris auf Liszt geprägten Medaille, aber um vieles vergrößert, in der Berliner Hossauer'schen[170] Officin gearbeitet worden war. Auf der Vorderseite befand sich Liszt's Bild, unter demselben die Chiffre B.(erlin) in Brillanten. Die Rückseite trug die Inschrift:


Dem Genius,

dem Künstler von Geist und Gemüth,

dem Ehrenmanne von Gesinnung und Charakter


Franz Liszt


in dankbarer Erinnerung

an schöne Stunden frohester Begeisterung

die Kunstgenossen und Kunstfreunde in Berlin

den 18. Februar 1842.


Der also Gefeierte dankte einfach und bewegt, insbesondere für die Bezeichnung »Ehrenmann von Gesinnung und Charakter.« Ob er – schloß er seine Rede – der Künstler sei, der eine solche Gabe verdiene, bleibe dahingestellt, auch liege das außerhalb seiner Macht; doch der Ehrenmann werde er sein und bleiben: das habe er in seiner Gewalt. –

Huldigten ihm in dieser Weise ganze Korporationen, darunter Männer, welche die Vertreter und Träger ihrer Zeit waren, so huldigten ihm die Frauen nicht minder – nur anders nach ihrer Art. Von der Bewunderung zur Liebe ist nur ein Schritt. Die Verbindung beider aber führt zum Kultus. Diesen Kultus übten die Berlinerinnen im reichsten Maße. Und da jede Form eines solchen von dem Bildungsgrad abhängig ist, dessen der Theilnehmer sich erfreut, so umfaßte er ebensoviel des Thörichten und Überspannten, wie des wahrhaft Schönen.

Wie nun der Tag seiner Abreise herannahte, gaben ihm die Studirenden Berlins ein Ehrengeleit. Am 2. März war Liszt's Abschiedskoncert im Opernhaus. Noch einmal drängte sich alles hin, ihn zu sehen und zu hören. Der Beifall war endlos. Für den folgenden Tag war seine Abreise festgesetzt worden, vorher – um 12 Uhr – gab er noch seine Matinée im Saale des Hôtel de Russie. Schon gegen elf Uhr begann eine Menschenmenge sich zu sammeln, so dichtgedrängt, daß die Koncertbesucher nur mühsam das Hôtel erreichten. Der Saal war wieder übervoll. Der Künstler erschien im Reiseanzug. Sein Wesen war ernst und still. Im Gegensatz hierzu stand der unbeschreibliche Ausbruch des Beifallssturmes, der sich nach seinen Vorträgen erhob.[171]

Draußen schien die Sonne. Die Volksmassen hatten sich bis ins Unübersehbare gemehrt. Aus Tausenden von Kehlen erscholl der Ruf nach dem Künstler hinauf in den Koncertsaal. Er zeigte sich endlich am Fenster. »Hoch – hoch!« Wie Meeresbrausen, das sich weiter und weiter wälzt, füllte es die Luft.

Der Augenblick der Abfahrt war gekommen. Ein Wagen, mit sechs Schimmeln bespannt, stand vor dem Hôtel. Unter dem Zujauchzen der Menge wurde der Künstler zur Treppe fast hinab getragen und in den Wagen gehoben, wo er zwischen den Senioren der Universität Platz nahm. Nun setzte sich der Zug in Bewegung. Seinem Wagen folgten dreißig vierspännige mit Studirenden, geleitet von einer großen Anzahl Reitern im akademischen Festornat, zahllose andere Wagen und Berittene schlossen sich an. Der Zug nahm zunächst seinen Weg nach den Linden, bog um den Platz, der für Friedrich's des Großen Denkmal bestimmt war, und wandte sich so zur neuen Schloßbrücke zurück und dann über die Schloßfreiheit, den Schloßplatz, auf dem wie bei der Huldigung56 ein Volksgedränge sich befand, durch die Königsstraße dem Frankfurter Thore zu. Nicht nur die Straßen und Plätze, sondern auch die Fenster der Häuser, aus denen Kränze und Sträuße ihm zuflogen und Grüße zugewinkt wurden, waren besetzt; bis hinaus zur »neuen Welt« war die Chaussee von einer ihm zurufenden Menschenmenge bedeckt. Selbst der König und die Königin waren in die Stadt gefahren, um den Jubel zu sehen.57

Das Geleit währte bis zum Schloß des Herrn v. Treskow, welcher seine Räume gastfreundlich dem Feste zur Verfügung gestellt hatte. Da, wo der Weg zum Schloß abbiegt, wurden nur die zum Komitat gehörenden Wagen zugelassen; selbst diese wollte der Raum kaum fassen. Im Saale des Schlosses empfing den Gefeierten Musik – sein Ungarischer Marsch, dem sich ein an ihn gerichtetes Lied (gedichtet von Ph. Kaufmann), von allen Anwesenden gesungen, anschloß. Nachdem es verklungen, trat eine Todtenstille ein. Man hing an Liszt's Munde, der nicht sprechen wollte. Endlich brachte er mühsam hervor, »daß ihm eine Ehre widerfahren, wie eine ähnliche kaum bisher; ausgenommen in seinem Vaterland, zu Pest, an einem Abend, dessen er ewig gedenken werde.«[172]

Nun zog er sich auf kurze Zeit zurück, trat dann nochmals in den Saal, wo die Jünglinge sich aufgestellt hatten und paarweise zum Lebewohl zu ihm traten, worauf er den Reisewagen bestieg. Unter einem letzten »Hoch!« fuhr der Wagen von dannen. –

Rellstab nannte Liszt's Aufenthalt in Berlin »ein Ereignis des öffentlichen Lebens.«


»Man hat sich für ihn begeistert«, – schrieb er – »nicht weil er der größte aller Virtuosen, sondern weil er überhaupt eine geistige Erscheinung außerordentlichster Art war. Darum ist der Enthusiasmus für ihn ein würdiger, in seiner innersten Natur durchaus verschiedener von jenem flachen, mit Recht gegeißelten, der sich an bloß äußerlichen Tageserscheinungen und Talenten entzündet. Wir wollen einer Sontag nichts von dem hochbedeutungsvollen Werth ihrer künstlerischen Erscheinung nehmen; doch der Enthusiasmus für sie und der für Liszt sind verschieden. Diejenigen, die fünfzig und hundert Vorstellungen der »Italienerin in Algier« mit unerschöpflichem Entzücken beiwohnten, sind in keinen Vergleich zu stellen mit denen, die durch Liszt's Kunst und wahrhaft künstlerischen Geist wahrhaft entzündet wurden. Das Verwechseln beider Erscheinungen und daher das erbitterte Anfeinden der heutigen (in einigen schlechten Journalen) enthüllt nur die stumpfe Beschränktheit dieser Gegner. Daß auch die Kreise einer flach alltäglichen, nur in äußerlich sinnlicher Weise verkehrenden Welt von der Begeisterung für Liszt ergriffen worden, ist kein Beweis gegen die Ächtheit derselben: denn die Sonne scheint nicht nur auf Böse und Gute, sondern auch auf Flächen und Höhen, oder in einem andern Gleichnis, wer von Lunel trunken wird, wird es auch von Tokaier. Nicht leugnen wollen wir es, daß der edle Geist Vielen, besonders den Frauen, etwas zu stark gewesen ist und so allerdings auch sehr wunderliche Symptome erzeugt hat.

Doch alle Erscheinungen dieser Art sollen nicht nach Einzelheiten, sondern im Ganzen und Großen gewürdigt werden.

Und in dieser Allgemeinheit ehrt die Begeisterung für Liszt unsere Vaterstadt, sie beweist, daß das Außerordentliche seiner Erscheinung tief und wahr empfunden, daß sich Jeder das, was er darin zu fassen vermochte, was sich seiner Besonderheit näher verschmolz, angeeignet hat.«


Hindeutend auf des Künstlers glanzvolles Abschiedsgeleite schließt Rellstab begeistert:


»Nicht gleich einem Könige, sondern als ein König zog er aus, vom jubelnden Volksgedränge umringt, als ein König im unvergänglichen Reiche des Geistes.«


Diese Worte des bekannten Kritikers wurden vielfach als eine[173] verfrühte Apotheose bespöttelt. Und doch – hätte Liszt auch niemals sein Virtuosengeheimnis durch seinen Komponistenberuf verrathen, so berechtigten allein schon seine Charaktereigenschaften, die sich in seiner Kunst, seiner Intelligenz und seinem persönlichen Sein zu einer so merkwürdigen Einheit verschmolzen äußerten, mehr als genugsam zu denselben. Heutigentags tastet sie Niemand mehr an. Der Spott kam auch erst, als die Berliner in ihr normales Maß, d.i. in ihre Alltäglichkeit zurückgekehrt waren. Unter dem direkten Eindruck des Künstlers hatte diese ganz andern Regungen Platz gemacht. Kaum aber hatte er die Stadt verlassen, als auch die kleinliche Beschauung, die Bosheit und endlich der Witz an der Spree in den Vordergrund traten. Der Klein-Kritiker nahm das Wort, das ihm bis jetzt entzogen war, und analysirte den Virtuosen, der nach seinem Placirsystem in die Reihe der Cagliostro, Alex. Habitt, Boska und Frankoni zu stellen war. Nach dieser Seite hin blieben die Sprecher von der öffentlichen Meinung unberücksichtigt. Anders aber war es mit ihren Angriffen auf den Enthusiasmus und seine Äußerungen, den sie als einen »öffentlichen Skandal« der Welt plausibel zu machen suchten. Und hier boten sich Angriffspunkte genug.58 Denn wo hat es jemals einen Enthusiasmus gegeben, der eine ganze Bevölkerung, wie die Berliner, bis zum Taumel erfaßt und zugleich die höhere Form eines solchen gefunden und sich in ihr bewegt hätte!

Wie eine Springfluth zur Zeit des Neu- und Vollmondes ergoß sich die Journalistentinte Deutschlands über »Liszt in Berlin.«59 Zuerst war es Fr. W. Gubitz, der Herausgeber des[174] »Gesellschafter«, der laut seine Stimme gegen das »tolle Treiben« erhob, aber mit mehr Gereiztheit als Kraft. Seine Angriffe auf Liszt's Künstlerhöhe blieben bei den Berlinern ohne Wirkung. Besser gelang es einem Freiherrn von Schönholz – er schrieb unter dem italienisirten Namen F. Bellegno –, eine kaustische Lauge im »Gesellschafter« über den Liszt-Enthusiasmus zu gießen. Er zog die Lacher auf seine Seite. Das Publikum wurde ruhiger und eine gegnerische Kritik gewann freien Spielraum. Empfindlich berührte es jedoch in Berlin lesen zu müssen:


»Berlin hat eine Katastrophe bestanden, die in den Annalen des Völkerlebens historische Bedeutung verdient; und der Held dieser Katastrophe ist – – ein Klavierspieler. Das ist der Punkt, das ist vielmehr der Klecks!«60


Namentlich war der höhere Adel, aber schon – wie Varnhagen in seinen »Tagebüchern« bemerkt, zur Zeit seiner Anwesenheit in Berlin – außer sich darüber, daß ein Musikant wie ein König geehrt werde, ja diesen verdunkele.

»Berlin und Liszt« waren die Tagesparole. Es ging so weit, daß man aus dieser eine Art negativer Reklame schuf, bei der sie als Schlagwort figurirte. Im Jahr 1842/43 war selten eine Kritik über einen Virtuosen zu lesen, bei der die Versicherung gefehlt hätte: der Beifall, den das Publikum gespendet, sei nicht wie der der Berliner gewesen, sondern ein wohl verdienter und mäßiger. – Neben den zahllosen Artikeln, Anekdoten, Bonmots, die nach allen Himmelsgegenden ausgestreut und gierig gelesen wurden, öffnete Glasbrenner seinen Guckkasten und führte das »Liszt'ge Berlin« von den höheren Gesellschaftskreisen bis herab zu Kellner, Hausknecht und Stiefelwichser in humoristischen Bildern seiner Zeit vor.61 Sie geben dem Kulturbild »Liszt in Berlin« die drastische Linie.[175]

Setzten sich so die Federn in Bewegung, so war der Stift nicht minder thätig. Es erschienen viele Illustrationen, Karikaturen, Allegorien. Sogar die Reiterstatue des großen Kurfürsten mußte sich gefallen lassen einer allegorischen Zeichnung zu dienen, bei der alle Köpfe – der Kopf des Kurfürsten in den des Virtuosen, und die Köpfe der Besiegten, welche die Statue tragen, in Köpfe von Berliner Damen verwandelt waren. Der Witz an der Spree konnte sich hierin nicht genug thun und schickte dem allgemeinen Jubel sein Heer von Fratzen als nachziehendes Gesindel zu.

Der Berliner Enthusiasmus, so fern er auch im Großen und Ganzen der heutigen Empfindungsweise stehen mag, bleibt trotz der Nackenschläge, die ihm wurden, das, was er war: ein im Moment von der geistigen Macht einer Künstlerpersönlichkeit entzündetes Gefühl, das nicht nur die geistig Hohen, nicht nur die edelsten Korporationen, sondern unterschiedslos auch die Volksmassen ergriffen hatte und aller Berechnung bar sich Luft schaffte. Schon hierin liegt etwas einziges. Und hätte Berlin sich nicht durch seine Persiflanten den Kern des Enthusiasmus – das intuitive Erkennen des schaffenden Geistes – entreißen lassen, so hätte es mit seinem Liszt-Enthusiasmus die Idealkrone allgemeiner Begeisterung getragen. Dem Zersetzungsprozeß des Witzes aber vermochte er nicht Stich zu halten. Theils lachte man mit den Lachern, theils überließ man wie ein Kind, das die Ruthe gesehen hat und beschämt sich zurückzieht, in Zukunft einer konservativen und gegnerischen Kritik Liszt die öffentlichen Honneurs zu machen. Als dieser in den fünfziger Jahren als Komponist hier auftrat, verstand diese Kritik im vollkommensten Maße jene höhere Taschenspielerkunst, die den Hörern den Glauben an ihr eigenes warmes Gefühl für die Liszt'sche Musik in Zweifel stellte. Erst das letzte Jahrzehent beginnt unter dem Vorgehen hervorragender Dirigenten (J. Liebig, Al. Holländer, K. Klindworth, Fr. Mannstedt, X. Scharwenka u.A.) – ihnen zur Seite die unerschrockene Feder O. Leßmann's – denselben ihr zurückzuerobern.

Jene andere Seite des Berliner Liszt-Enthusiasmus, die sowohl mit der Zeitstimmung selbst, welche dem socialen Umschwung von 1848 vorausging und durch das monarchische System noch nicht durch die[176] Entfesselung der politischen Parteiungen vernüchtert war, als auch mit dem Berliner Lokalton, der durch einen ebenso geistvollen als schwankenden Monarchen besondere Aliquottöne in sich barg, im Zusammenhang steht, muß dem Kulturhistoriker überlassen bleiben.

Was aber Rellstab betrifft und was er auch als musikalischer Kritiker an Chopin und Schumann gesündigt hat: hier in diesem Augenblick erwies er sich als eines jener vereinzelten Kritikerbeispiele, die mit Schwung des Gedankens und Gefühls die Barrière des Vorurtheils und des Systems überfliegen.

Hier in Berlin war Liszt's letzte Begegnung mit Mendelsohn. Derselbe war einem Ruf Fr. Wilhelm's IV., der ihn zum Königl. Preuß. Musik-Direktor ernannt hatte, nach Berlin gefolgt. In seiner Erwartung über die daselbst zu entfaltende Wirksamkeit enttäuscht, mißmuthig, mochte der Enthusiasmus für Liszt ihn in diesem Augenblick verstimmen, indem er ein Hemmnis für seine eigene Thätigkeit hier fühlte, möglich auch, daß es ihn wurmte, da er in jener Zeit unstreitig bleibendere Verdienste aufzuweisen hatte, als der Virtuose. Wenigstens so nur läßt sich erklären, daß, nachdem Liszt durch das Geschenk des Flötenkoncert-Manuskripts Friedrichs des Großen und der Kompositionen des Prinzen Louis Ferdinand seitens der Prinzessin von Preußen ausgezeichnet worden war und sich beide auf der Straße begegneten, Mendelssohn ihn mit einem hierauf bezüglichen verletzenden Scherz begrüßte. Liszt entgegnete ihm kein Wort, aber ging ohne Gruß von dannen. Es fand keine Aussprache zwischen beiden mehr statt. Der bei dem Liszt gegebenen städtischen Ehrenfeste von ihm ausgebrachte Toast auf Mendelssohn liegt außerhalb ihrer persönlichen Beziehungen.

Trotz des Saus und Braus der Berliner Episode fand der Künstler dennoch Zeit, einige Klavierübertragungen, die erst später edirt wurden, zu skizziren:


Élégie

sur des motifs du Prince Louis de Prusse

(à son Altesse Mme la Princesse de Prusse),


welche bei Schlesinger in Berlin und später »revue et corrigée par l'auteur« in neuer Ausgabe erschien (1847).

Sodann die Klavierübertragung:


[177] Le Moine

de Meyerbeer,


die noch im selben Jahr (1842), ebenfalls von Schlesinger, verlegt wurde. Er hatte dieses Gesangstück in dem Ganz-Koncert einem Sänger begleitet, worauf er es, jedenfalls seine freundliche Gesinnung für den in Berlin anwesenden Meyerbeer bethätigend, dem Klavier übertrug. – Die


La Romanesca,

fameux air de Danse du 16ième Siècle,62


ist eine Nachklang seines Koncertes am 23. Januar. (Siehe Seite 160.)

Seine Berlin-Programme brachten ferner – soweit wir ermitteln konnten – zum ersten Male von ihm öffentlich vorgetragen, außer der bereits erwähnten »Puritaner«-Transkription (Introd. et Polonaise):


Valse a capriccio

sur deux motifs de Lucia e Parisina63


Reminiscences de »Lucrezia Borgia« (Donizetti)

Grande Fantaisie.

1ière Partie: Trio du II. Act; 2de Partie: Chanson à boire.64


Die zuerst am 21. Januar in Berlin gespielte Fantasie:


Marche et Cavatine

de Lucia de Lammermoor de Donizetti,65 Seconde Partie,[178]


gehört einer früheren Kompositionsperiode, der Genf-Zeit Liszt's an. Bezüglich dieser Bearbeitung bleibt eine über die Lucia-Fantasie gemachte Bemerkung (I. Band, Seite 409) richtig zu stellen. Der Titel bezeichnet diese Fantasie als »dramatisch«, während der Charakter derselben eine Paraphrase des »Sextettes« aus der »Lucia« ist. Der Komponist gab mir hierüber folgende Aufklärung:


»Die Lucia-Fantasie ist wegen Vorkommnissen des Musik-Verlags in zwei Theile gestückelt worden. Der erste Theil erschien sogleich nach dem Koncert- Erfolg in Wien und Leipzig bei Hofmeister, der zweite Theil (ziemlich unbekannt geblieben) bei Schott. Meinerseits schrieb ich die ganze Fantasie vorweg zusammen, und betitelte sie »dramatisch«.


Demnach ist obiges Stück die zweite Hälfte der »Lucia-Fantasie«, jene Benennung aber nur so lange unzutreffend, als die beiden Theile, welche zusammen gehören, getrennt bleiben. Die Frage: welche der beiden Hälften der erste und welche der zweite Theil sei, bedarf kaum einer Erörterung. Denn abgesehen davon, daß der Komponist die eine Lucia-Reminiscence mit 1. Partie, die andere mit 2. Partie bezeichnet hat, kann es keinem Zweifel unterliegen, daß das Sextett gleichsam die Einleitung zu der dramatischen Entfaltung des »Marsch und Cavatine« betitelten Theils bildet. Vergleicht man die Schlüsse der beiden, so ergiebt sich, daß der Schluß des Sextettes dem Schluß der andern Partie, aber auszugsweise, entnommen ist oder auch eine erste Skizze war, was auch den keineswegs befriedigenden Abschluß des »Sextetts« erklärt. Ad. Henselt hat vor Jahren, als er die »Lucia-Fantasie« bearbeitete, sehr wohl empfunden, daß hier etwas fehle, und suchte das Skizzenhafte derselben zu überwinden, ohne daß es ihm ganz gelungen wäre. Anders als die eben berührte Frage liegt die andere: an welcher Stelle der Übergang zum Trauermarsch – zur Tragödie – herzustellen sei. Daß hier nach Abtrennung des Schlusses der prima Partie eine Vermittelung – wenn auch nur von wenigen Takten – fehlt, ist unverkennbar. Die Vorlagen der deutschen Herrn Verleger geben hierüber keinen Aufschluß. Wollte man auch an den chromatischen Lauf (zehnter Takt der Kadenz):


10. Ein großes Jahr. Berlin. 1842.

[179] anknüpfen und die aus seiner Konstruktion heraustretende große Tonleiter mit ihrem düstern Ernst:


10. Ein großes Jahr. Berlin. 1842.

als Übergangsbrücke zur Einleitung des Trauermarsches benutzen, so läßt sich dem entgegenhalten, daß dieser Lauf einer zweiten Ausgabe der Weimarperiode angehört, folglich (abgesehen davon, daß er keinen vollständigen Anschluß an den 2. Theil bildet) der ursprünglichen Komposition Liszt's nicht ganz entspricht. Eine vollständige zweifellose Herstellung der dramatischen66 Lucia-Fantasie wird darum einer Wiederauffindung des Original-Manuskriptes vorbehalten bleiben müssen. Jedenfalls aber ist danach zu trachten, die getrennten Theile wieder zu vereinen. So reizvoll der erste Theil ist, welcher gleichsam das liebliche Wesen der Heldin bis zum Pathos des Tragischen steigert, ebenso voll düsterer Größe und heroischer Leidenschaft ist der zweite, Marche funèbre et Cavatine benannte Theil.

Die Verbindung beider Theile wird die Lucia-Fantasie als eine dramatische wieder in ihre Rechte einsetzen.

Fußnoten

1 Liszt koncertirte 1841 am (?) November in Kassel, wo seine erste Begegnung mit Louis Spohr stattfand, am 26., 28., 29. in Weimar, am 30. in Jena, am 4. December in Dresden, am 6. in Leipzig in einem Koncert Clara Schumanns, am 9. in Dresden, am 11. ebendaselbst in einem Quartettabend Lipinski's, am 13. in Leipzig, am 14. in Altenburg, am 15. in Leipzig in einem Gewandhauskoncert, am 18. und 19. in Halle.

Am 27. December war sein erstes Koncert in Berlin.


2 Sein Programm bestand aus: Weber's »Aufforderung zum Tanz«, dem Hexameron, seiner Erlkönig-Übertragung, Don Juan- und Robert-Fantasie und dem Galop chromatique. Bei diesem Koncert hatte er angesichts der damals noch schwach gebauten Flügel die Vorsicht gebraucht, »durch einen Überbau über das Orchester das Instrument dem Auditorium näher zu rücken, was allen Pianisten, die in Theatern spielen, deren Proscenium nicht weit über die Soffiten hinausgeht, zu empfehlen sein dürfte.« »N. Zeitschr. f. Musik« 1841, Nr. 48.


3 Bei J. Schuberth & Co., Leipzig und New-York 1870.


4 »Allgem. Musik. Zeitung« 1841, Nr. 51, S. 1099.


5 Kaum war Liszt mit seinen Kompositionen also auf die Armesünderbank gesetzt worden, als man auch anderorts anfing strebsame Pianisten, die seine Klavierstücke in Koncerten spielten, darob zu tadeln. Nach einigen Jahren wurde es seitens der Pianisten geradezu zu einem Wagnis, sie in ihr Repertoir aufzunehmen und in einem Theil unserer Koncertinstitute vorzutragen. Ja es gab Referenten, die unverhohlen den Pianisten dankten, die sie nicht spielten.

Sie hörten die flachsten Machwerke der damaligen Virtuosen ohne die geringste Demonstration an; dagegen schien es ihrem Kritikercharakter eine Ehrensache zu sein, nichts von Liszt ohne gehässige Nebenbemerkungen (siehe »Allg. Mus. Zeitung« 1842, Nr. 19, Prag) zu hören.

Viele Pianisten ließen sich dadurch einschüchtern und bestimmen, viele aber auch nicht. Ein Theil sah es – schon wegen der technischen Schwierigkeiten seiner Stücke – als eine Art pianistischen Abiturienten-Dekrets an, sie öffentlich zu exekutiren.


6 Über die Aufnahme seiner Chöre siehe voriges Kapitel II.


7 Über die Aufnahme seiner Chöre siehe voriges Kapitel II.


8 Siehe »Neue Zeitschr. f.M.« 1841, Nr. 50, S. 199.


9 Siehe I. Bd. XI. u. XVIII. Kapitel.


10 Erstes Programm: Tell-Ouvertüre; Lucia-Fantasie (Andante); Robert-Fantasie; Adelaide; Chromatische Fantasie und Fuge; Erlkönig; Galop chromatique.


11 Zweites Programm: Cis moll-Sonate; Hugenotten-Fantasie; Aufforderung zum Tanz; Fuge und Var. (Händel); Tarantelle (Rossini); Mazurken (Chopin); Polacca (Puritaner); Ungar. Marsch.


12 Drittes Programm: Septett (Hummel); Arie, gesungen von Pantaleoni; Ständchen und Ave Maria; Rheinweinlied (Liszt's); Pedalfuge; Bravour-Walzer.


13 Viertes Programm: Pianoforte-Quartett (Prinz Louis Ferdinand); Don Juan-Fantasie; Momento capriccioso; Etüden (Moscheles und Chopin); Präludium und Fuge (Orgel-Pedal); Hexameron.


14 Fünftes Programm: Scherzo, Gewitter und Finale der Pastoralsymph.; Sonnambula-Fantasie; Mazeppa; Sonate und Katzenfuge (Scarlatti); Valse capriccio.


15 Sechstes Programm: Koncertstück (Weber); Marcia und Cavatina nach »Lucia«; D moll-Sonate; Lob der Thränen; Scherzo (Mendelssohn); Heil Dir im Siegerkranz (God save the king).


16 Siebentes Programm: Don Juan-Fantasie; Ständchen, Ave Maria; Erlkönig; Aufforderung zum Tanz; Freie Fantasie (russische Nationalhymne und Caspar's Trinklied); Robert-Fantasie.


17 Achtes Programm: Puritaner-Fantasie; Ungar. Melodien; F moll-Sonate; Campanella und Carneval von Venedig; Präludium und Fuge Cis moll (Wohltemper. Klavier); La Serenata e l'Orgia.


18 Neuntes Programm: Niobe-Fantasie; Marcia funèbre (Eroica); As dur-Sonate (Weber); Norma-Fantasie; Au lac de Wallenstadt; Au bord d'une source; Improvisation (über 3 Themen).


19 Zehntes Programm: As dur-Sonate (Beethoven); Lucrezia Borgia-Fantasie; Campanella; Scherzo und Fuge (Beethoven opus 106).


20 Elftes Programm: Tell-Ouvertüre; Erlkönig; Aufforderung zum Tanz (Weber); Agathe-Arie für Klavier (Kullak); Galop chromatique. Dazwischen wurden Liszt's Männerquartette »Rheinlied« und »Es war eine Ratt' im Kellerloch« vorgetragen.


21 Zwölftes Programm: (unter Mitwirkung von Pantaleoni und Zschiesche) nicht zu ermitteln. Liszt paraphrasirte das »Gaudeamus igitur«. (Wurde von der akademischen Jugend in sein Hôtel gefahren.)


22 Dreizehntes Programm. In diesem Koncert trug er drei Piecen, darunter die Paraphrase »Heil Dir im Siegerkranz« vor. Die andern konnten wir nicht ermitteln. Gesungen wurden Liszt's Quartette: Das Rheinweinlied und »Was ist des Deutschen Vaterland?«


23 Vierzehntes Programm: Pianoforte-Koncert in Es mit Orchester (Weber); Hexameron; Don Juan-Fantasie; Lucia-Fantasie (Andante); Galop chrom. – Orchester-Vorträge: Oberon- und Leonoren-Ouvertüre. Zwei Gesangs-Vorträge aus den Puritanern (?).


24 Fünfzehntes Programm: Orchester-Ouvertüre zu Gluck's Iphigenia; Es dur-Koncert; Tell-Ouvertüre; Aufforderung zum Tanz (mit freien Zusätzen); Fantasie für Pianof., Chor und Orchester (Beethoven).


25 Sechszehntes Programm: Sonnambula-Fantasie; Hexameron; Ständchen; Robert-Fantasie; Phantasie mit Chor (Beethoven).


26 Siebzehntes Programm: Ouvertüre zu Coriolan, C moll-Koncert, Oberon's Zauberhorn; Don Juan-Fantasie; Ave Maria und Erlkönig.


27 Achtzehntes Programm: (?).


28 Neunzehntes Programm: (?) Galop chromatique.


29 Zwanzigstes Programm: Beethoven'sCmoll-Symphonie; Spontini's Olympia-Ouvertüre dirigirt von Liszt. Meyerbeer's Le Moine, begleitet von Liszt etc.


30 Einundzwanzigstes Programm: (?).


31 Nach der »N. Zeitschrift f. Musik« (1842, Nr. 33, S. 130) war diese Matinée für »arme Studirende«.


32 Ergrimmt über den Abtrünnigen klagte die Leipziger »Allgem. Musik. Ztg.« (1842) Rellstab der Untreue gegen sich selbst an. »Diese Blätter«, ruft entrüstet über R.'s Berichte ihr Mitarbeiter C.F.B.(ecker) aus, »werden ein wichtiges Dokument zur Künstler- wie zur Kunstgeschichte bleiben. Sie werden einst dazu dienen, ein strenges, vielleicht schroff klingendes Urtheil über eine Zeit – die unserige – und Kunstbildung zu fällen, wo in einer der größten Hauptstädte Deutschlands der Virtuosität eines Pianisten wegen, manche Eingebildete und Vornehme die Pflichten, welche sie sich und den Ihrigen zu erfüllen schuldig waren, unverantwortlich vergessen und Andere sogar – wahnwitzig werden konnten! Welche Zauberkünste übte doch jener Virtuose nicht allein auf die große Einwohnerzahl von Preußens Königsstadt, sondern auch auf einen in seinen Kunsturtheilen sonst so ruhigen und so besonnenen Mann, wie L. Rellstab aus! Ein L. Berger, dessen Ausspruch er so gern anführt: »er wisse es sich gar nicht vorzustellen, wie ein wahrhaft großer Spieler existiren könne, ohne auch ein großer Komponist zu sein« und der ihm (Rellstab) von allen Künstlern, lebenden und todten, »der nächste neben Beethoven und Mozart war«, wird über dem Klavierspieler Fr. Liszt gänzlich vergessen u.s.f.«


33 Franz Liszt. Beurtheilungen, Kritiken etc. Berlin, Trautwein & Co., 1842.


34 »Wir sehen ihn« – sagt er – »mit den leichtesten, gewinnendsten Formen der Freundlichkeit vor das Publikum hintreten; seine ungezwungene Unterhaltung nach allen Seiten mit den Vertretern aller Rangstufen des Lebens, jeder Künste und Wissenschaft, selbst seine durch irgendwelche Veranlassungen herbeigeführten Anreden an die Versammlung tragen das Gepräge leichtester französischer Beweglichkeit, ohne dabei die deutsche Bescheidenheit und Gemüthlichkeit zu verlieren. Unter dieser Erweckung der vortheilhaftesten Eindrücke setzt er sich an das Instrument. Jetzt wird ein neuer Geist in ihm lebendig. Er lebt die Musikstücke in sich, die er vorträgt. Während er mit der staunenswürdigsten Gewalt der Mechanik eigentlich Alles leistet, um es mit einem Wort auszudrücken, Alles, was bisher von irgend Jemand einzeln bezwungen worden ist, und außerdem noch ein ganzes Füllhorn neuer Erfindungen, völlig ungekannter Effekte und mechanischer Kombinationen vor uns ausschüttet, so daß die aufs höchste gespannte Erwartung und Forderung sich weit überflügelt sieht: bleibt doch der eigenthümlichste Geist, den er diesen wunderwürdigen Formen einhaucht, das bei Weitem anziehendere, anregendere und fesselndere Element. Diese geistige Bedeutsamkeit seines Kunstwerks prägt sich aber auf das lebendigste in seiner Persönlichkeit aus. Die Affekte seines Spiels werden zu Affekten seiner leidenschaftlich aufgestürmten Seele und finden in seiner Physiognomie und Haltung den treuesten Spiegel. Das ist der Zauber, mit dem er seine Hörer und (die Frauen werden mir dieses Geständnis in ihrem Namen gestatten) vorzüglich die Hörerinnen so unwiderstehlich packt und zieht – vielleicht wohin er will! Seine künstlerische Leistung wird zugleich eine Thatsache des Innern, sie bleibt nicht getrennt von ihm, sondern wirkt in dem mächtigen Bündnis mit dem Geist, der sie erzeugt.«


35 Hans v. Bülow's Ausgabe der »Chromatischen Phantasie« etc. von J. Seb. Bach dürfte, nebst Liszt's Klavierübertragungen der Orgelfugen Bach's, dessen am schärfsten darlegen.


36 Edirt 1852: C.F. Peters, Leipzig.

Liszt hatte 1842 mit der Übertragung der Orgelfugen nur einen »Versuch« machen wollen – wie er selbst mir erzählte –, ob eine Möglichkeit vorhanden sei, sie dem Klavier zu übergeben, ohne ihren großartigen Charakter und die Stimmführung zu verwischen. Die Manuskripte lagen Jahre hindurch in einem seiner Portefeuilles, bis sie Dehn aufstöberte und in Liszt drang sie zu veröffentlichen. Vermehrt erschienen sie hierauf im Stich.

Noch eine Orgelfuge bearbeitete er in späterer Zeit für die Große Pianoforteschule von Lebert & Stark:


1868: J. Seb. Bach's Orgelphantasie und Fuge in G moll.

(Einzelausgabe: Berlin, F. Trautwein (R. Bahn.)

Dem Professor Sig. Lebert gewidmet.


37 Die auswendig gespielten Kompositionen waren, soweit sie sich nach der Tagespresse verfolgt feststellen ließen,


von Bach:

Chromatische Phantasie und Fuge,

Präludium u. Orgel-Pedalfuge in A moll,

Präludium u. Orgel-Pedalfuge in E moll,

Präludium u. Fuge in Cis moll (Wohltemp. Kl.);

von Händel:

Fuge in E moll;

Thema mit. Variat. (D moll-Suite);

von Scarlatti:

Sonate,

Katzenfuge;

von Beethoven:

Sonate in Cis moll,

Sonate in D moll,

Sonate in F moll,

von Beethoven:

Sonate in As dur,

Sonate in B dur (op. 106).

Es dur-Koncert,

C moll-Koncert,

Phantasie mit Chor;

von Beethoven-Liszt:

Scherzo, Gewitter u. Finale der Pastoral-Symph., Trauermarsch der C moll-Symphonie,

Adelaide;

von Hummel:

Septett,

Oberon's Zauberhorn;

von Moscheles:

Etüden;

von Weber:

Momento capriccioso,

Koncertstück,

As dur-Sonate,

Aufforderung zum Tanz;

von Schubert-Liszt:

Erlkönig,

Ave Maria,

Ständchen,

Lob der Thränen;

von Rossini-Liszt:

Tell-Ouvertüre,

Tarantelle,

La Serenata e l'Orgia;

von Paganini-Liszt:

La Campanella, Etüde,

Carneval von Venedig, Etüde;

von Mendelssohn:

Capriccio in Fis moll;

von Chopin:

Etüden,

Mazurken,

Valses;

von Liszt:

Don Juan-Fantasie,

Robert-Fantasie,

Lucie-Fantasie (Andante),

Lucie-Fantasie (Marcia e Cavat.),

Niobé-Fantasie,

Sonnambula-Fantasie,

Puritani-Fantasie,

Norma-Fantasie,

Lucrezia Borgia Fantasie,

Hugenotten-Fantasie,

Valse a Capriccio (Nr. 3),

Heil Dir im Siegerkranz!,

Polacca (Puritani),

Valse di Bravura,

Galop chrom.,

Au lac de Wallenstadt

Schweizer-Album,

Au bord d'une source

Schweizer-Album,

Ungarische Melodien,

Ungarischen Marsch (D moll),

Mazzepa.


Hexameron.


38 Kapitel IX., S. 136.


39 Diese amphitheatralische Aufstellung auf der Bühne brachte der Meister öfter in Anwendung; auch bei der Beethoven-Feier 1870 in Weimar.


40 Siehe Schluß dieses Kapitels.


41 1842, Nr. 7, S. 144.


42 Allg. Musik. Ztg. 1842, Nr. 14, S. 293.


43 Prinz Louis Ferdinand war musikalisch ein Schüler Berger's.


44 Über diese Gabe schrieb mir Liszt vor Jahren:

»Bei dieser Gelegenheit hatte ich die Ehre andere musikalische Werke des Prinzen Louis Ferdinand der Frau Prinzeß von Preußen zu erwähnen. Allerhöchstdieselbe erfreute mich mit dem außergewöhnlich kostbaren Geschenk der bei Mesdemoiselles Erard in Paris edirten Werke des Prinzen Louis Ferdinand, welchen J.K.H. die Prinzeß von Preußen das Autograph des Flötenkoncerts von Friedrich dem Großen (Principal und Begleitungsstimmen von seiner Hand geschrieben) gnädigst beifügte.

Beide Geschenke sind, in dem mir anno 42 in Berlin zugestellten violetten »Sammet-Schmuckkästchen«, seit 25 Jahren in Weimar aufbewahrt.

Meine Danksagung dafür erneuerte ich der Prinzessin von Preußen (anfangs der 50er Jahre) durch die Widmung der Elegie sur des motifs du Prince Louis Ferdinand de Prusse.«


45 Welche kleinliche Auffassung diese hochherzige Gabe erfuhr, geht aus mancher Bemerkung der Presse jener Zeit hervor. Hierher zielt die gehässige Bemerkung in der »Allgem. Musik. Zeitung« über die »Vornehmen«. (Siehe S. 154.)


46 R.-M. 5382 –. Siehe »Allgem. Musik. Ztg.« 1842, Nr. 291.


47 Den »Meistergrad« erhielt Liszt im Jahr 1870 von der »Loge zur Einigkeit« zu Budapest. – Im Orden Zürich (1845) wurde er zum Ehrenmitglied der Loge Modestia cum Libertate ernannt.


48 »A.v. Humboldt's Briefe an Varnhagen« S. 121.


49 Diese Episode erzählte mir Liszt im engsten Kreise bei einer Whistpartie, gelegentlich eines Besuches, den er mir in Nürnberg abstattete.


50 Die Großfürstin Maria Paulowna und der spätere Großherzog Karl Alexander.


51 »Das Rheinland«, Mainz. 1842, Nr. 18, 10. Sept.


52 »Sechs Lieder für eine Singstimme«, siehe Kapitel »Nonnenwerth« II.


53 Mystifikationen, wie die erzählte, blieben nicht vereinzelt. Zu Anfang der siebziger Jahre tauchte eine solche, sogar in Broschürenform in Frankreich auf (»Souvenirs d'un Piniste«). In jüngster Zeit (1886) las man Citate aus dieser Schrift als »Aussprüche« des Meisters in deutschen Zeitungen; auch droht eine deutsche Ausgabe dieser Broschüre – alles im guten Glauben, sie sei von ihm verfaßt. Der Meister selbst war sehr wild bei ihrem Erscheinen, und nannte sie mir und Andern gegenüber ein »gemeines, untergeschobenes Machwerk.«


54 Varnhagen v. Ense's »Tagebücher« II. Bd.


55 »Vossische Zeitung« Nr. 13.


56 Siehe Varnhagen v. Ense's »Tagebücher« II. Bd. S. 30.


57 Siehe Varnhagen v. Ense's »Tagebücher« II. Bd. S. 1.


58 So erzählt z.B. ein berliner Bericht von Dr. Cohnfeld in der Th. Hell'schen »Abendzeitung« (1842, Nr. 88):

»man hat ihn fetirt, man hat ihm Serenaden gebracht, eine Dame ist vor ihm niedergekniet und hat ihn gebeten seine Fingerspitzen küssen zu dürfen, – eine andere hat ihn im Koncertsaal publice umarmt, – eine dritte hat den Überrest aus seiner Theetasse in ihr Flacon gegossen, – Hunderte haben Handschuhe mit seinem Bild getragen, – Viele haben den Verstand verloren. Alle haben ihn verlieren wollen, ein Kunsthändler hat Glaspasten mit seinem Bild angefertigt und zu Schmucksachen verkauft, Tausende haben um seine Gunst und sein Geld gebuhlt und respektive gebettelt, – das ist alles noch nichts. Die Hauptsache bleibt der Abschied. Liszt saß mit den Senioren der Studenten in einem mit sechs Schimmeln bespannten« etc. – »Die Narrheit hat nie einen größeren Triumph gefeiert!«


59 Siehe 1842: »Zeitung f.d. elegante Welt« Nr. 47–56 (»Berliner Lisztler und Lisztlerinnen als Karikaturen um ein Künstlerleben.« Eine Arabeske von M.L.); Nr. 57–68 (Aus Berlin. Über den Liszt-Spektakel); »Der Gesellschafter« Nr. 1–7; Nr. 34–41 (»Bellengo über ein Koncert Liszt's in Berlin«); »Der Komet« Nr. 36–50 (Öttinger über den Berliner Liszt-Jubel); »Rosen« Nr. 36–50 (Banseske über die Liszt-Tollheiten); »Bemerker« (»Abwehr der Berliner gegen die Lisztomanie«) u.v.a.


60 Th. Hell's »Abendblatt« Nr. 89.


61 »Berliner Witze« 9., 10. und 11. Heft (Das Liszt'ge Berlin). – »Berlin unter Liszt oder der Wertherin Leiden«. – »Berlin, wie es ist und – trinkt« von A. Brennglas. 14. Heft (»Franz Liszt und Berlin«, eine Komödie in drei Akten) u.s.f.


62 Sie erschien 1842 und 1852, »revue et corigée par l'auteur«, bei Haslinger in Wien, dann Schlesinger in Berlin.


63 Nr. 3 der: 3 Caprices-Valses, welche anfangs seiner Weimar-Periode von Liszt abermals durchgesehen und verbessert, 1852 bei Haslinger in Wien in zweiter Ausgabe erschienen; die erste war 1842 mit obigem Titel. (Später bei Schlesinger in Berlin.)


64 Edirt 1842: Mechetti in Wien; 1853 ebendas. »revue et augmenté«. Spätere Firmen: Fr. Schreiber in Wien, C.F. Peters in Leipzig (Opern-Fantasien).


65 Edirt 1841 (Mai): Schott's Söhne in Mainz.


66 Die Verlagshandlung der première Partie hat in jüngster Zeit bei einer neuen Ausgabe das »dramatisch« gestrichen. Eine getreue Beibehaltung der ursprünglichen Titel muß aber immer wünschenswerth bleiben.

Quelle:
Ramann, Lina: Franz Liszt. Als Künstler und Mensch, Band 2.1, Leipzig: Breitkopf & Härtel, 1887.
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