1.

Ein Geburtstag.

[1] »Wie du nun wieder aussiehst, Wolfgangerl!« – rief die Frau Vice-Capellmeister Mozart ihrem dreijährigen Söhnchen zu, indem sie ihm mit mütterlicher Sorgfalt die Kleider abstäubte und den gefältelten Hemdkragen, der die offene Brust des Kindes sehen ließ, zurechtzupfte. »Wie, um aller Heiligen Willen, kommt denn nur der viele Sand in dein Haar? Deine Schwester hat dich doch erst so schön gekämmt, und heute ist Vaters Geburtstag!«

»Ja, Mama, ich und Schachtner's Andres haben Purzelbäume geschlagen!« – sagte Wolfgang ernsthaft und schaute die Angeredete so offen und kindlich an, daß die leisen Falten, die sich auf der hohen Stirne der Frau Vice-Capellmeisterin zusammengezogen, rasch verschwanden.

»Purzelbäume!« – wiederholte mit mühsam unterdrücktem Lächeln die Mutter und gab dem Schelmengesichtchen einen scherzhaften Streich auf die Wange: – »Wie kann man nur Purzelbäume machen, wenn man seine schönen Sonntagskleider an hat. Weißt du nicht, daß diese dem Vater so viel Geld kosten, und er das Geld dafür mit Mühe und Sorgen verdienen muß?«

»Ja!« – rief das Kind und seine Augen feuchteten sich, denn der Gedanke, den geliebten Eltern wehe gethan zu haben, berührte sein zartes, empfängliches Gemüth peinlich: – »der Kopf ist ja nur auf die Erde gekommen, die Beine waren immer in der Höhe.«

»Und daher ist das ganze Haar voll Schmutz und Sand und die Kleider sind bestäubt von unten bis oben.«[1]

»Nun, so mach' mir den Sand aus den Haaren!« – rief der kleine Wolfgang – »und ich will es nicht mehr thun. Aber« – setzte er bittend hinzu und lehnte sich schmeichelnd an die volle, noch immer schöne Gestalt der Mutter – »du bist mir doch nicht mehr böse, Mamachen?«

»Wenn du brav bist, gewiß nicht!« – entgegnete Frau Mozart und drückte einen Kuß auf die Lippen des Kindes. Wolfgang aber sprang fort und rief seinen kleinen Freund, Andreas Schachtner, wieder zu sich, der in der anstoßenden Stube geblieben war.

»Was machen wir jetzt?« – frug er hierauf diesen – »wir sollen keine Purzelbäume mehr schlagen.«

»Nun« – entgegnete Andreas – »so spielen wir Schule.«

»Recht!« – versetzte Wolfgang – »aber im andern Zimmer. Drüben ist's wärmer. Ich bin der Schulmeister und du geh'st in die Schule. Nimm die kleine Bank, ich nehme die Tafel und die Kreide.«

Andreas gehorchte. Als er aber in das andere Zimmer gehen wollte, hielt ihn Wolfgang am Arme fest und rief:

»Das geht nicht so! Stelle dich hinter mich? So – und nun marschiren wir erst rings in dem Zimmer herum und dann hinüber, und ich singe den Marsch dazu.«

Und der kleine Mann sang mit leuchtenden Blicken und kindlichem Stimmchen einen Marsch, den er erfand, und beide tappten im Takte mit den Füßen auf, daß der Staub in Wolken emporwirbelte.1

Glücklicherweise war die Mutter in der Küche beschäftigt und Nannerl, die siebenjährige Schwester, half ihr; denn auf des Vaters Geburtstag sollte einmal eine Ausnahme in der sonst so streng geregelten und höchst bescheidenen Haushaltung gemacht werden. In der That verbreitete denn auch ein am Feuer stehender Braten seine Düfte durch das Haus, und eben jetzt schob die Frau Vice-Capellmeister in seiner Erzbischöflichen Gnaden zu Salzburg einen prächtigen Kuchen in den Ofen.

Während dieser luxuriösen Vorbereitungen aber hatten sich die beiden Knaben in dem warmen Zim mer eingerichtet. [2] Andreas saß auf der Erde und hatte eine Fußbank vor sich über seine ausgestreckten Beine gestellt, auf der die Schiefertafel lag. Wolfgang aber, als Lehrer, hatte bereits den ganzen Fußboden, die Stühle und Wände mit der Kreide bearbeitet und unförmliche Zahlen, die mehr Kratzfüße, denn eigentliche Zahlen waren, in Masse auf denselben angebracht.2 Eben wollte er auch den alten mit Leder überzogenen Sessel im heiligen Eifer als Grundlage seiner Vorschriften benutzen, als die Schwester, das Tischzeug auf dem Arme, eintrat. Aber Messer und Gabeln und Tischtuch wären ihr bei dem Anblick des Zimmers beinahe aus den Händen gefallen. Sie stand im ersten Augenblicke wie versteinert, dann aber rief sie:

»Jesus Maria! Wolfgangerl, was hast du denn da wieder gemacht?«

Der Bruder sah sie erstaunt an und frug mit der vollsten Unschuld:

»Was denn, Nannerl

»Je nun, die Kreide!«

»Ich bin Schullehrer!« – entgegnete der Kleine mit komischer Würde – »und da muß ich vorschreiben und Zahlen machen.«

»Aber doch nicht auf Fußboden, Stühle und Wände!« – rief die Schwester verzweifelt: – »Mama und ich haben gestern fast die halbe Nacht durch gefegt, damit alles recht blank und schön heute sei, und nun .....«

»Nun, ich will's wieder wegwischen!« – sagte Wolfgang; aber die Schwester warf nun wirklich das Tischzeug auf den Sessel und sprang herbei, denn der kleine Schulmeister machte Miene, die Stühle mit dem Aermel seines Sonntag-Kleides zu reinigen. Glücklicherweise kam ihm Nannerl noch zuvor, und indem sie ihn zurückschob, tilgte sie mit ihrer Schürze und einem herbeigeholten Schwamme die Spuren der kindlichen Schulweisheit.

Wolfgang, der jetzt erst überlegte, was er gethan, stand beschämt da und sah der Schwester schweigend zu. Aber es schmerzte ihn auch, daß er Nannerl betrübt, und ihr doppelte Arbeit gemacht hatte.

Als diese daher mit dem Abwischen fertig war, trat er leise zu ihr hin, zupfte sie am Kleide und frug, wie er seiner[3] Gewohnheit nach wohl zwanzigmal im Tage zu thun pflegte:

»Nannerl, hast du mich lieb?«

Aber die Schwester war in der That ärgerlich und sagte:

»Nein, wenn du solche Sachen machst, habe ich dich nicht lieb!«

Doch das war zu viel für das gefühlvolle Herz des Kindes. Rasch drehte es sich um, die Tyräne nicht sehen zu lassen, die in seinem Auge glänzte, und indem es sich in eine Ecke des Zimmers setzte, brütete es schweigend und traurig vor sich hin. Da zerriß die Wolkendecke, die bis jetzt den winterlichen Himmel verdunkelte. Ein Sonnenstrahl fiel in das kleine Zimmer, und wie er den Käfig mit dem Canarienvogel traf, reckte dieser vergnügt das Köpfchen, hüpfte einigemal munter von einem Stängchen auf das andere und fing dann plötzlich an aus voller Kehle zu schmettern.

Aber was ist das? Warum verklären sich die Züge des kleinen Wolfgang mit einemmal so wunderbar? Seine Augen strahlen, seine Wangen röthen sich; ein weit über sein kindliches Alter hinausgehender Ausdruck von Begeisterung gibt seinen jugendlichen Zügen etwas ganz Eigenthümliches, fast möchte man sagen »Ueberirdisches!«

Wolfgang, – der kleine dreijährige Wolfgang ist jetzt nur Ohr. Er lauscht dem Schmettern seines gefiederten Lieblings und vergessen ist sein kleiner Kummer, vergessen sind Schwester und Spielgefährte, – vergessen ist Alles um ihn her!

Es ist ein Kind, das hier den süßen Tönen lauscht; – aber das innerste Wesen dieses Kindes ist so wunderbar geartet, daß Musik jede Faser seiner Nerven, seines Gehirnes, freudig erbeben macht, daß seine Seele gleichsam selbst Musik ist – die dunkle, noch verschwimmende Ahnung einer das Weltall durchziehenden, ewigen, göttlichen Harmonie!

Der kleine Wolfgang weiß noch nicht, was Musik ist; aber wo und wie sie sein Ohr trifft, elektrisirt sie ihn. Er singt sich einen Marsch, wenn er sein Spielzeug trägt; – er schwimmt in Entzücken, wenn sein Canarienvogel sich wie jetzt hören läßt.

Aber der Vogel hat längst zu schlagen aufgehört; sein kleiner Spielgenosse Andreas hat sich nach Hause geschlichen; – – Wolfgang indessen sitzt noch unbeweglich in der Ecke des Zimmers und sieht und hört nicht; aber .... er denkt, er[4] träumt im wachen Zustande. Es klingt so etwas wie Märchen in ihm nach; – wie Märchen, die die gute Mutter ihm Abends vor dem Schlafengehen schon erzählt hat. Wolfgang träumt sich: er sei ein König, und sein Königreich heiße »Rücken,« – und seine Einbildungskraft gebärt ihm ganz eigene Geschöpfe und Städte und Berge und Seen, welchen er phantastische Namen gibt.3 Auf seinem Haupte aber sitzt eine Krone und von hier aus geht ein Glanz, der weit, weithin seine Strahlen wirft.

Lange sinnt und träumt der Knabe auf diese Weise, – und lange würde er noch still weiter geträumt haben, hätte ihn jetzt nicht ein Kuß aufgeschreckt. Erstaunt blickt er empor. Es ist die Schwester, mit dem treuen, lieben, freundlichen Gesicht. Rasch umschlingt er ihren Hals und seine erste Frage ist: »Hast du mich auch lieb?«

»Ja!« – entgegnet jene herzlich, und beide halten sich innig umschlossen.

Es war eine schöne, liebliche Gruppe! aber der kleine, unruhige, für alle Sinneneindrücke so zart organisirte Mensch, vermochte jetzt plötzlich einem andern Einflusse, als dem der Geschwisterliebe, nicht zu widerstehen. Es war in der That komisch, wie sich – noch in den Armen der Schwester und von ihren Küssen glühend – das Köpfchen hob, und die weit geöffneten Nasenflügel bekundeten, daß Wolfgangerl auf dem Wege der Geruchsnerven die gastronomische Thätigkeit der Mutter entdeckt. Freude leuchtete aus seinen Zügen, und auf dem Schiffe des Columbus konnte man nach der langen, gefährlichen und mühseligen Fahrt das Wort »Land!« nicht so begeistert und triumphirend ausrufen, als der kleine Mozart jetzt rief: »Es giebt Kuchen!«

»Ja,« – sagte die Schwester lachend, – »und zwar einen Geburtstagskuchen, denn wie du weißt, ist Papa heute 49 Jahre alt.«

»Freilich weiß ich es!« – entgegnete Wolfgang, – »ich habe ja ein Gedichtchen dazu auswendig gelernt.«

»Kannst du es denn noch?«

»Warum nicht.«

»So sage es einmal.«

»Ja!« – sagte der Kleine schlau lächelnd und mit verlangenden[5] Blicken – »wenn du mir zuvor den Kuchen gezeigt hast!«

»Du bist ein kleines Leckermäulchen!« – rief die Schwester; aber sie nahm ihn doch bei der Hand und führte ihn in das anstoßende Zimmer, woselbst mitten auf dem reinlich gedeckten Tische ein prächtiger Kuchen stand.

Wolfgang, der so klein war, daß er kaum auf den Tisch sehen konnte, postirte sich dicht vor denselben, erhob sich auf den Zehen und betrachtete das gastronomische Kunstwerk seiner Mutter mit einer Mischung von Ehrfurcht und Lüsternheit. Noch aber zog er die süßen Düfte mit tiefen Zügen ein, als sich die Thüre öffnete und beide Eltern erschienen.

Der Vice-Capellmeister war ein schöner Mann, nicht groß, aber von edlen Formen. Seine Kleidung war sehr einfach, fast konnte man sagen ärmlich; aber dennoch war sein Erscheinen ein stattliches, wozu der würdevolle Ernst seiner wahrhaft edlen und schönen Züge, die hohe, gedankenvolle, den Musiker auf den ersten Blick verrathende Stirne, der kleine, sein geschlossene Mund und der sinnige Blick der Augen nicht wenig beitragen mochten. Dabei war in ihm der Deutsche von ächtem Schrot und Korn nicht zu verkennen. Auch seine Gattin trug die Spuren großer Schönheit, und bildete sich noch immer viel darauf ein, daß sie beide einstens allgemein für das schönste Ehepaar in ganz Salzburg gegolten. Freilich hatten seitdem viele und schwere Sorgen, harte und häufige Schicksalsschläge kleine Furchen in beider Antlitz gezogen, aber die Liebe wenigstens – auf gegenseitige Achtung gegründet – hatte nichts dadurch gelitten. Im Gegentheile, sie war doppelt erstarkt im Feuer des Schicksals, inniger geworden durch so manche trübe Stunden, die man gemeinsam durchgekämpft.

Darum war auch die Feier des heutigen Tages, so still und einfach er begangen wurde, keine gekünstelte. Sie ging vom Herzen und drang zum Herzen, und so gerade liebte es Herr Leopold Mozart und er hielt viel auf solche kleine Familienfeste, die dem häuslichen Leben, wie er sagte, so nöthig seien, wie dem öffentlichen die Sonn- und Festtage, und ihm Farbe, Licht und Wärme gäben. –

Mit sichtlicher Rührung nahm daher auch der im Leben so kalte und berechnende Mann die Glückwünsche der Seinen hin. Wolfgangerl aber ward auf einen Stuhl gestellt und sprach, den offenen Blick mit kindlicher Liebe auf den Vater gerichtet:
[6]

Was schlägt mein Herz, so froh und laut

Dem Tag, der freundlich niederthaut,

Dem jungen Tag entgegen?

Er grüßet mich in Gluth und Schein

Und jubelt mir in's Herz hinein:

»Ich bringe Glück und Segen!«


Ja, Glück und Segen bringst du mir,

Denn, schöner Tag, ich danke dir

Des treuen Vaters Leben!

Durch ihn ward mir ja Licht und Lust,

Und Alles, was in Herz und Brust

Mir Göttliches gegeben!


Wie treu und lieb sein Auge spricht:

»Vergiß des rechten Pfades nicht,

Laß Tugend uns verbinden!«

Ja, Vater, ewig bleib ich dein,

Und immer sollst du brav und rein

Mein Herz im Leben finden!


Der kindliche Ton, mit welchem der Kleine dies einfache Gedichtchen gesprochen, der Ausdruck des theilweisen Verständnisses, der aus der Art des Vortrages hervorging und weit über die Jahre des Kindes hinausreichte, ergriffen Vater und Mutter so sehr, daß sie Wolfgang mit Thränen im Auge an ihr Herz drückten.

Eine außerordentliche Frühreife war hier nicht zu verkennen, und vielleicht hätte, gerade durch diese Erkenntniß geweckt, ein peinliches, beängstigendes Gefühl in dem Herzen der Eltern jetzt Platz gegriffen, wäre diese Stimmung nicht rasch durch eine ebenso kindliche, als naive Aeußerung des Knaben verscheucht worden.

Noch auf dem Stuhle stehend, die kleinen Aermchen um den Nacken des Vaters geschlungen, die großen Augen auf diesen gerichtet, sagte er langsam: »Väterchen, ich hab' dich lieb, sehr lieb! und wißt Ihr was, gleich nach dem lieben Gott kommt der Papa4

Der Vater umarmte ihn; aber er konnte nichts sagen, als: »Behalte beide im Herzen und es wird dir wohlgehen!«

In diesem Augenblicke traten die Hofmusiker Adlgasser und Lipp – beide Freunde des alten Mozart – ein.[7] Die Mutter hatte sie zu Tisch gebeten, und, so wenig es sonst im Mozart'schen Hause üblich war, Gäste zu sehen, so sehr trug diese Einladung heute zur allgemeinen Heiterkeit bei. Man scherzte, man sprach von Diesem und Jenem, und kam endlich auch auf die Verhältnisse zu reden, die alle Anwesenden berührten und die nichts weniger als angenehm erschienen.

Die anwesenden Männer waren ja sämmtlich in der Capelle des Fürst-Erzbischofs von Salzburg angestellt, von diesem aber unglaublich schlecht besoldet5 und in einer Weise behandelt, die es kaum begreifen läßt, warum sie den Erzbischöflichen Dienst nicht aufgaben. Aber es waren sämmtlich höchst bescheidene Naturen, und was sie anzog und hielt, war die Aus sicht auf Versorgung der Wittwen, die Umgebung des Hofes und das behagliche und wohlfeile Leben in dem gemüthlichen, so romantisch gelegenen, von den herrlichsten Bergen umschlossenen Salzburg.

Freilich gehörte eine so unerschütterliche Ausdauer, ein so nie ermüdender Fleiß, eine so große Einfachheit und Sparsamkeit dazu, wie sie der alte Mozart besaß, um es am Erzbischöflichen Hofe zu Salzburg auszuhalten. Nur die vielen und mühsamen Unterrichtstunden auf Violine und Clavier, die der Vice-Capellmeister, außer seinem Dienste bei dem Fürsten und in der Metropolitankirche, noch gab, und der kleine Verdienst, den ihm seine Compositionen abwarfen, machten ihm eine bescheidene Existenz möglich.

Davon war denn auch eben die Rede, als Adlgasser sagte:

»Wir müssen uns freilich alle schinden; aber Vater Mozart hat doch noch etwas Besonderes davon.«

»Etwas Besonderes?« – wiederholte der Capellmeister – »daß ich nicht wüßte.«

»Ei, ei, wie bescheiden!« – fuhr jener fort, – »ist denn der Ruhm und die Ehre nichts?«

»Und wo hätte ich die verdient?« – rief Leopold Mozart, die Gläser der Freunde auf's Neue füllend – »etwa mit meinen Violinstunden?«

»Nein!« – sagte Adlgasser – »die machen Euch zwar[8] auch alle Ehre; was ich aber meine, das ist die Herausgabe Eurer trefflichen Violinschule, die so großes Aussehen erregt.6«

»Und bereits in's Französische und Holländische übersetzt ist!« – fügte Lipp hinzu.

»Nun« – versetzte Mozart, sich vergnügt die Hände reibend, – »ich würde lügen, wenn ich nicht eingestehen wollte, daß mich in der That der Erfolg dieses Unternehmens glücklich macht. Ich danke denn auch meinem Schöpfer alle Tage recht innig dafür, daß er mir so viel Sinn für Musik gegeben hat. Und meine Violine, o! über meine Violine geht mir – nach Frau und Kindern – nichts. Am reinsten spricht sich eben doch das Wesen der himmlischen Tonkunst in der Instrumentalmusik aus, da diese, jede fremde Beimischung verschmähend, der ungetrübteste Ausdruck der Seele ist. Kinder! wenn ich glücklich bin, so jauchze ich meine Lust auf der Violine aus; – will ich beten, so recht innig beten, so geschieht es in den Glockentönen meiner Violine; drückt mich die Sorge zu Boden, nun so weint sie mit mir oder sie tröstet mich, wie ein von Gott gesandter Engel! – Und ist denn die Musik nicht überhaupt die geheimnißvolle Sprache Gottes, welche die Brust jedes für sie empfänglichen Menschen mit wunderbarer Allgewalt berührt? Ist sie nicht die Sprache, in der der ewige göttliche Geist selbst in der Natur zu uns Allen spricht, wenn der Frühling jubelt und der Sturm heult, – wenn die Lerche schmettert und der tobende Ocean in furchtbar erhabenen Accorden brüllt?«

»Ja, ja!« – rief Adlgasser mit leuchtenden Augen – »es liegt ein wunderbarer Zauber in ihr. Des Orpheus Lyra öffnete die Thore des Orcus! Welch' tiefer Sinn ruht in dieser reizenden Sage der Griechen.«

»Es liegt die hohe beseligende Wahrheit darin« – sagte Lipp; – »die Musik schließt dem Menschen ein unbekanntes Reich auf, eine Welt, die nichts gemein hat mit der äußeren Sinnenwelt.«

»Ja!« – rief Adlgasser – »eine Welt der höchsten Sehnsucht, der heiligsten Liebe, des reinsten Schmerzes, der göttlichsten Begeisterung!«

»So laßt uns dies Glas zu Ehren der edlen Musika leeren!« – fiel hier Vater Mozart ein. – »Glücklich der, dem Gott Sinn und Empfänglichkeit für sie gegeben hat. Ist[9] er auch sonst ein armer Teufel, wie wir es alle sind, nun, so giebt es doch Stunden, in welchen er sich durch die Huld dieser Göttlichen als einen König, als einen Krösus träumen kann. Darum: Hoch lebe die edle Musika!« und die Gläser klangen und ein freudiges »Hoch!« erschallte und Alle, auch Wolfgangerl, stießen mit an, obgleich er nicht wußte, wovon die Rede war und der Kuchen seine volle, ungetheilte Aufmerksamkeit in Anspruch nahm. Aber des Vaters Blicke ruhten mit Wohlgefallen und Zärtlichkeit auf ihm und der Schwester.

»Ihr zwei seit von sieben Kindern die einzigen, die der Herr mir gelassen,« – sagte er dann fast wehmüthig – »ob wohl so ein bischen musikalischer Sinn auf euch übergehen wird?«

»Warum nicht?« – versetzte die Mutter – »Nannerl hat recht viel Sinn dafür. Es käme jetzt nur auf die Probe an. Du hast ihr ja so lange schon versprochen, den Clavierunterricht mit ihr zu beginnen.«

»Ach ja, Papachen!« – bat diese – »laß mich endlich Clavier lernen. Ich bin ja sieben Jahre alt und verspreche dir auch, recht fleißig zu sein.«

»Gut denn« – sagte der Vater – »und damit ihr seht, daß ich dankbar für die viele Liebe bin, die ihr mir heute entgegengebracht, so will ich auch heute noch, wenn wir aus der Nachmittagskirche nach Hause kommen, mit Nannerl die Lectionen beginnen.«

»Und ich?« – rief hier Wolfgang – »soll ich nicht auch Musik lernen?« – Alle lachten; der Vater aber sagte: »Du, Männchen, du mußt erst noch wachsen, damit du über das Clavier hinaussehen kannst. Aber ein Musiker wirst du doch gewiß auch werden?«

»Ja!« – rief der Kleine – »ich spiele schon.«

»Gewiß« – versetzte die Mutter heiter – »mit Andres Purzelbäume schlagen!«

»Nein« – rief Wolfgang erhitzt, denn sein leicht verletzbares Ehrgefühl war empfindlich berührt, – »ich habe ihm diesen Morgen erst einen Marsch vorgeblasen!«

Allgemeine Heiterkeit folgte dieser kindlichen Aeußerung, während sich die Gesellschaft erhob und zum Kirchgang anschickte, da Mozart, Adlgasser und Lipp auch den Nachmittag in der Metropole zu thun hatten.[10]

Es war ein ziemlich trüber Dezembertag und die Nacht lag daher schon völlig über der Erde, als die Familie Mozart in ihre stille Behausung zurückkehrte. Noch glühten die Kohlen im Ofen, die warmen Winterkleider wurden abgelegt, wenige Holzstücke genügten, das Feuer wieder laut aufprasseln zu lassen, und bald war auch der Kaffee gekocht, der den Bescheidenen als Vesper- und Abendbrod zugleich diente.

Nachdem er eingenommen war und sich alle genügend erwärmt hatten, schlug der Vater das Clavier auf und rief die Tochter herbei, um – seinem Versprechen getreu – mit ihr die erste Clavierstunde zu beginnen.

Nannerl zeigte vom ersten Augenblicke an viele Gelehrigkeit; der kleine Wolfgang aber stand, die Hände auf den Rücken gelegt, neben der Schwester und rührte sich nicht. Er nahm sich in der von den Kerzen des Claviers auf ihn zurückfallenden Beleuchtung reizend aus. Die offene, nur von dem weißen gefältelten Hemdkragen halb bedeckte Brust, das zarte Gesichtchen mit den feinen Zügen, die sich von Minute zu Minute bei den kindlichen Uebungen der Schwester mehr und mehr verklärten, machten ihn zu einem allerliebsten kleinen Bilde, an welchem denn auch das Auge der Mutter mit stillem Entzücken hing.

So verging die Stunde, ohne daß der sonst so lebhafte und auf kindliche Spiele verlegene Knabe auch nur einen Augenblick seine Stellung verlassen hätte. Ganz neue Gedanken mußten in ihm erwacht sein, und während er doch sonst seinen Vater so oft hatte vortrefflich spielen hören, ohne seinem Spiele besondere Aufmerksamkeit zu schenken, fesselten ihn heute die ersten Griffe der Schwester mit wunderbarer Gewalt. Des Vaters vollendetes Spiel lag eben dem Kinde zu fern, die gewaltigen Melodien rauschten über ihn hinaus. Jetzt aber durchzuckte ihn plötzlich und zum erstenmale in seinem Leben der Gedanke: das kannst du auch!

Sein Auge wich daher nicht von Nannerls Fingern, sein Ohr faßte mit Leichtigkeit den harmonischen Zusammenklang verschiedener Töne, und als der Vater geendet und die Schwester das Clavier verlassen, schlich er sich leise zu demselben hin und fing an, mit seinen kleinen Händchen Terzen zu suchen7. Wie aber strahlte sein Gesicht vor Entzücken, wenn er nun einen übereinstimmenden Ton berührte.[11]

Der Vater, der seine Pfeife angezündet und die Zeitung ergriffen hatte, bemerkte im Anfang diese Erstlingsversuche seines Söhnchens nicht; als ihn aber sein Weib am Aermel zupfte und auf Wolfgang deutete, ließ er allmälig die Zeitung und endlich auch die Pfeife sinken. Immer freudiger erstrahlten seine Blicke, immer lebhafter prägten sich die Zeichen des Staunens in seinen Zügen aus; aber er glaubte seinen Ohren und Augen kaum mehr trauen zu können, als Wolfgang, der dreijährige Wolfgang, nun die kleine Uebung, die der Vater eben der Schwester gezeigt, fehlerlos mit seinen niedlichen Fingerchen wiederholte. Die Zeitung lag auf der Erde, – die Pfeife war ausgegangen, – die weiße Zipfelmütze, von der linken Hand im Staunen gedankenlos zurückgeschoben, deckte nur noch den hintern Theil des ehrwürdigen Hauptes, während helle dicke Freudenthränen die Augen des Vaters füllten. Endlich, endlich fand er Bewegung und Sprache wieder. Rasch eilte er zu dem Clavier, stürmisch hob er den Sohn empor und mit einem Ausdruck unbeschreiblicher Wonne drängte sich der Ruf aus seiner Brust:

»Wolfgangerl! Blitzjunge! ja, du wirst ein Musiker!«

Und Vater und Mutter küßten das Kind, und sich die Freudenthränen aus den Augen wischend, rief Mozart mit dankbar zum Himmel gerichtetem Blicke:

»Herr! sei gepriesen für dies Geschenk! Ich ahne es, deine Gnade hat mir eine Wunderblume erblühen lassen; aber ich gelobe dir auch, mein ganzes Leben und Sein an ihre Pflege zu setzen!«

Und er nahm das Kind und stellte es – wie er dies jeden Abend vor dem Schlafengehen zu thun pflegte – vor sich hin auf einen Stuhl und faltete ihm die Händchen und sprach ihm sein kleines, einfaches Nachtgebet vor. Aber diesmal zitterte dem Vater die Stimme, als er aus dem tiefsten Grunde seiner Seele die Worte schöpfte:

»Lieber himmlischer Vater, ich danke dir für deine Güte ...«

Und der kleine Wolfgang wiederholte mit seinem kindlichen Stimmchen:

»Lieber himmlischer Vater, ich danke dir für deine Güte ...«

»Du hast mir ein herrliches Geschenk gegeben ...«

»Du hast mir ein herrliches Geschenk gegeben ...«

»Gieb deinen Segen, daß ich es redlich gebrauche ...«

»Gieb deinen Segen, daß ich es redlich gebrauche ...«[12]

»Dir zur Ehre und mir zum Heil!«

»Dir zur Ehre und mir zum Heil!«

»Amen!«

»Amen!«

Aber die letzten Worte waren nur langsam und schwerfällig herausgekommen; denn der Schlaf machte plötzlich bei dem Kinde seine Rechte geltend und die Mutter hatte es noch nicht völlig in seinem Bette zugedeckt, – – als es schon schlief.

Aber bald spielte ein bunter Traum mit seiner Seele, und es war ihm, als befinde es sich auf einer Wiese. Tausend und abertausend Blumen prangten um es her in wunderbarer Pracht, der Himmel war blau und die Sonne strahlte warm und rein. Nie wohl war es ihm da, wie lauschte es dem Gesange der Vögel, dem Summen der Bienen. Und es sprang hin, die Blumen zu pflücken; aber wunderbar, – so oft es eine Blume berührte, fing sie an gar lieblich zu tönen, und je mehr es der Blumen pflückte, desto mehr Töne erklangen; aber sie mischten sich in unendlich süßen Harmonien, und wuchsen in seinen Händchen riesig groß empor, und mit ihnen wuchs die Gewalt der Töne, bis es wie Meereswogen brauste und die Blumen Sterne geworden waren. Da flammten sie oben am Himmel; – aber der Himmel war nicht mehr blau und licht, sondern schwarz und dunkel. Wolfgang weinte. Aber wie die Thränen über seine Wangen rollten, da zogen ihn die Töne, die nun zu gewaltigen ernsten Accorden angewachsen, zu den Sternen hinan, und, unwillkürlich dem Zuge folgend, entschwand er der Erde und verging in stillem Entzücken.

Quelle:
Heribert Rau: Mozart. Ein Künstlerleben. Berlin 4[o.J.], S. 1-13.
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