10.

Die Encyklopädisten.

[75] Es war ein schöner heißer Sommernachmittag, als über die Boulevards zu Paris durch das Gedränge von Spaziergängern, Reitern und Wagen eine elegante, von vier prächtigen[75] Pferden gezogene Equipage fuhr. Dicke Staubwolken umwirbelten sie; aber wenn ein Luftzug diese theilte oder zur Seite trieb, erkannte man sofort, daß der Wagen einem der vornehmen französischen Geschlechter angehören müsse.

Mehrere Diener in reichen Livreen saßen – wie es die Sitte jener Zeit erforderte – auf dem Bock, während zu beiden Seiten des Wagens Stallmeister ritten, und neben einem derselben der Haushofmeister in einem dunkelblauen mit Gold besetzten Sammt-Kleide, den kleinen Tressenhut auf dem gepuderten Toupet und ein kurzes spanisches Rohr mit großem goldnen Knopfe in der Hand.

Der Wagen war eine gute Strecke weit im schnellsten Laufe dahergeflogen; jetzt aber mußten die Pferde langsamer gehen, da eine Abtheilung königlicher Garden vorüberzog und dadurch ein so gewaltiges Gedränge entstand, daß Niemand vor- noch rückwärts konnte.

In diesem Augenblicke neigte sich ein wunderschönes Mädchenantlitz aus dem Schlage und eine klangvolle Stimme rief:

»Ah, sieh da, mon cher ami!«

Bei diesen Worten erhoben sich viele Augen, aber nur die eines hübschen, sehr fein gekleideten, wenn auch nicht mehr jungen Mannes, flammten in angenehmer Ueberraschung auf.

»Gnädigste Gräfin!« – entgegnete er, indem er näher trat und sich leicht und anmuthig verbeugte, – »welch' angenehme Ueberraschung. Ich bin gerade im Begriff zu Ihnen zu gehen, und nun treffe ich Sie auf halbem Wege!«

»Und welch' besonderem Glücksfall sollte ich Ihren so seltenen Besuch verdanken?« – frug die Dame, nicht ohne einen Anflug von Bitterkeit.

»Einem ›Fall‹ allerdings« – entgegnete der Angeredete fein lächelnd und mit einer Betonung, in der etwas Geheimnißvolles lag, – »der aber nur dadurch zum Glücksfall wird, daß er mir die Gelegenheit verschafft, in die schönsten Augen zu schauen, die Paris kennt!«

»Und das sagt Grimm?« frug die Inhaberin des Wagens, während die Schmeichelei des hübschen Weltmannes die leichten Wölkchen verscheuchte, die ihre Stirne getrübt. – »Das sagt Grimm, der behauptet, nie der Vater einer Schmeichelei gewesen zu sein? der Freund Rousseau's, der Philosophie?«[76]

»Ja!« – versetzte Grimm, – »das sagt der Secretair des Herzogs von Orleans, der die ganze Blüthe Versailles und der Hauptstadt kennt und dessen offene Augen ihm beweisen, daß Fräulein von Espinasse die reizendste Erscheinung der Welt ist!«

»St!« – rief lachend die Schöne, – »wenn das Jemand Gewisses erführe; wir sind auf offener Straße. Sagen Sie mir lieber,« – setzte sie dann leiser hinzu, – »wann und wo ich das Nähere über den so geheimnißvoll angedeuteten ›Fall‹ erfahre.«

»Sie dürfen nur bestimmen, Gnädigste!« – versetzte Grimm ebenso leise. – »Ich bin, wo und wann ich Sie treffe, zum Fall bereit!«

»Abscheulicher!« – entgegnete anscheinend schmollend Fräulein von Espinasse, indem sie mit ihrem Fächer leicht auf die Hand des Freundes schlug, die dieser auf den Schlag des Wagens gelegt; aber ihr Blick strafte den schönen Mund Lügen. Es lag etwas Aufleuchtendes, unendlich Zauberhaftes in ihm.

»Heute Abend ist Cirkel bei Holbach. Kommen Sie hin?«

»Versteht sich!« – rief Grimm. »Bureau d'esprit, wer könnte da fehlen.«

»Gut!« versetzte jene. – »So sehen wir uns dort!«

Sie nickte freundlich, und da das Gedränge sich gelichtet, zogen, auf ihren Wink, die Pferde an und der Wagen flog davon.

Der Secretair des Herzogs von Orleans, der Freund Rousseau's und Diderot's, der bekannte geistreiche Verfasser der literarischen Bulletins für mehrere deutsche Fürsten und des petit prophète de BoehmesbrodGrimm, sah ihm lange nach. Dann lächelte er wohlgefällig vor sich hin und sagte, indem er weiterging.

»Ein fameuses Wesen, diese kleine Espinasse: schön wie ein Engel, geistreich wie die Tencin, verführerisch genug, um einen Rousseau zu bezaubern, und ein Haus machend, das man mit vollem Rechte ›einen Tempel der Grazien und der Musen‹ nennt. Wer könnte ihr widerstehen? Grimm, Grimm, dieses einzige Zusammentreffen hat wieder einmal deine ganze Philosophie über den Haufen geworfen.« – Er schwieg; aber nach einigen Schritten fuhr er fort: »Ich wollte, ein Anderer wäre mit meinem Auftrage betraut worden; denn es giebt[77] nichts Gefährlicheres als ein wichtiges Geheimniß mit einer schönen Frau zu theilen.«

Grimm blieb hier nachdenkend stehen. Dann sich umsehend, ob Niemand sein seltsames Wesen bemerkt, und einen schnelleren Schritt annehmend, murmelte er:

»Ich glaube gar, ich fürchte mich vor diesem Abend, so sehr es mich zugleich hinzieht. Ich sehe Rosengewinde .... aber .... wenn sie zusammenschlagen ... klingen sie fast wie Eisenketten! Zum Teufel indessen mit dieser süßen Furcht! Grimm, bist du ein Mann der Zeit? Bei Gott, ich muß die Bureaux d'esprit wieder mehr besuchen oder ich werde vor der Zeit alt!«

Und dies sagend, schlug er den Weg nach seiner Wohnung ein, um für den Abend Toilette zu machen.

Es ist hier nöthig, einen Blick auf diese sogenannten: Bureaux d'esprit (geistreichen Kreise) in Paris zu werfen, die in der That zum Charakter des damaligen Jahrhunderts gehörten.

Bekanntlich war es Voltaire – dieser leuchtende Stern am Himmel Frankreichs – der den Ton und die Bildung der hochgepriesenen geistreichen Gesellschaften der letzten Zeiten Ludwigs XIV. in die Literatur brachte, und Condorcet erzählt uns, welcher Ton und welcher Witz den wenig Auserlesenen eigen war, während die Menge in Bigotterie und Aberglauben versunken, in grober Unwissenheit, in Armuth, Schmutz und Jammer seufzte.

In jenen höheren und höchsten Kreisen Frankreichs und seines Hofes, wurde nämlich damals Spott und Hohn über alles Höhere und Heilige in reicher Fülle ausgeschüttet; – hier galt jede Tugend als eine kindische Schwäche oder eine kluge Maske; – hier waren Blitz, Brilliren des Geistes, Frivolität, Leichtsinn und Lebensgenuß die einzigen Götter, welchen man huldigte; – hier gab es nichts Lächerliches als Scham, Zucht, Ehre und Einfalt, wobei jedoch jedes Mitglied dieser hohen und sogenannten feinen Gesellschaft zwei Rollen spielte: die eine für sich und im Kreise der Ebenbürtigen, die andere äußerlich und dem Volke gegenüber.

Keinem von all' diesen übermüthigen Müßiggängern fiel es dabei jemals ein, daß die Leichtfertigkeit und der Spott, mit dem sie sich bis zum Frevel schmückten, je zu dem gedrückten, arbeitenden, von den Priestern, den Beamten und dem[78] Adel in geistige und weltliche Fesseln geschmiedeten Volke übergehen werde.

Man huldigte daher gern im Stillen dem, was man öffentlich grausam verfolgte; aber man verdarb sich damit auch das eigene Spiel und legte selbst mit namenlos unvorsichtiger Hand die Mine, die später so furchtbar aufflammen und das ganze Gebäude der alten Gesellschaft in die Luft sprengen sollte.

Schon unter Ludwig XIV. fing nämlich der wachsende Uebermuth der Höflinge an, dahin zu wirken, daß sich der Hof nach und nach von den Gelehrten trennte, und so kann man schon am Ende des siebenzehnten Jahrhunderts die Pariser Häuser historisch angeben, in welchen sich eben solche bürgerliche »geistreiche Gesellschaften« sammelten, wie adelige am Hofe.

Die Verwaltung des Cardinals Fleury war aber auch noch aus einem anderen Grunde der Bildung von Privatgesellschaften günstig. Fleury betrachtete nämlich Alles als sündlich und ärgerlich, was wie Wissenschaft, Scherz, Roman, Schauspiel u.s.w. aussah; der König, als er herangewachsen, zeigte sich für Alles gleichgültig, was sich nicht auf religiöse Ceremonien, Jagd oder schöne Frauen bezog. Fleury redete und schrieb in der geistlichen Phraseologie, die man in der Welt verlachte, er begünstigte Geistliche, Schulgelehrsamkeit, den Ton der Zeiten Ludwig XIV ..... der Zeitgeist aber forderte etwas ganz anderes!

Was Fleury und der Hof nicht wollten, sammelte sich daher um Diejenigen, die die berühmtesten Männer ihrer Zeit an sich zogen. Somit aber bildete sich nun eine gewisse Geistes- und Gelehrten-Aristokratie, – so zu sagen eine Cour spirituel. Dieser Hof ward aber bald den Eiteln wichtiger, als der königliche, und es war durch Erfahrung bewiesen, daß man auch ohne den Hof zu Versailles Ruhm und Ansehen erwerben könne: eine Thatsache die vorher Niemand hatte glauben wollen. Das Publikum huldigte indessen nur den tonangebenden Gelehrten; dies aber gab wieder den Damen, welche die berühmten Männer an sich zogen, sie beschützten und geistig glänzende Kreise um sich bildeten, eine Bedeutung in der politischen und literarischen Welt, die sie für das achtzehnte Jahrhundert so wichtig macht, als Richelieu und Colbert für das siebenzehnte gewesen waren.[79]

Man muß übrigens nicht denken, daß diese Pariser geistreichen Gesellschaften, – diese Bureaux d'esprit, wie man sie nannte, – sittlicher und weniger frivol gewesen seien, als die zu Versailles. Im Gegentheil, sie gaben in dieser Beziehung jenen des Hofes gar nichts nach; aber sie führten doch wenigstens offenen Krieg mit der Heuchelei, sie meinten es zum Theil ernst mit der Wissenschaft, sie waren die Stimme ihrer Zeit, sie bildeten Opposition gegen die Willkürherrschaft des französischen Königthums, sie bereiteten eine freiere und edlere Umgestaltung der ganzen menschlichen Gesellschaft vor!

Unter den Pariser Häusern, welche auf solche Weise zu einer historischen Bedeutung gelangten, nennen wir nur das der Frau von Tencin, der Mutter des berühmten d'Alembert, mit der im Briefwechsel zu stehen selbst Papst Benedict XIV. stolz war; – ferner jenes der Madame Geoffrin, in dem aufgenommen zu werden Minister und Fürsten sich auf das eifrigste bemühten, und die Stanislaus Poniatowsky, noch als König von Polen, mit zärtlicher Dankbarkeit seine liebe »Mutter« nannte. Andere Häuser, die ebenfalls als Schule des guten Tones galten, und deren Gesellschaften zu den Bureaux s'esprit gehörten, waren jene der Madame Du-Deffant, der Gräfin Tessé, der schönen und reizenden del'Espinasse. Endlich glänzte in dieser Beziehung der in Paris lebende pfälzische Baron von Holbach, um den sich namentlich die Männer des Geistes und des Lebensgenusses versammelten. Er war ein liebenswürdiger Weltmann, dessen Haus bald der geistige Mittelpunkt aller seinen Gesellschaften ward, und dessen vortrefflicher Koch als der Abgott aller Pariser Epikuräer galt.

Die Gesellschaft aber, die sich hier traf, bildete ein förmliches Complott gegen die überlieferte Lehre und das bestehende System, und die Mitglieder derselben waren zumeist ebenso fanatisch in ihrem Unglauben, als Mönche und Priester, Jesuiten und Pietisten es für mechanischen Gottesdienst und Wortglauben zu sein pflegen.

Hier sahen sich vor allen Dingen Diderot, Düclos, Helvetius, Marmontel, Grimm, Laharpe, [80] Condorcet, Raynal und Morellet – lauter bekannte Namen; – dann die Damen Tessé und del' Espinasse und eine Masse anderer Schönheiten und Schöngeister, Literaten, Künstler und vornehmer Lebemänner. Wie auf einem Congreß debattirte man dabei förmlich die Lehren, die man bekannt machen, die Bücher, die man herausgeben wollte; Baron Holbach aber half bei der Verfertigung der Schriften und gab das Geld zu ihrem Druck.

Hier entstand denn auch das berühmte französische Realwörterbuch aller Wissenschaften, Künste, Gewerke und Handwerke (Dictionaire universel et raisonné des connaissances humaines) – jene bekannte große »Encyklopädie,« von welcher man die ganze Gesellschaft, die Mitarbeiter des Werkes, so wie ihre Anhänger und Verehrer »die Encyklopädisten« nannte.37

Auch heute erwartete Baron von Holbach seine Freunde und Freundinnen. Einer besonderen Vorkehrung dazu bedurfte es nicht. Der große, mit außerordentlich feinem Geschmack hergerichtete Gartensalon war ja täglich geöffnet. Jetzt zumal, als an einem Clubtage, standen die Flügelthüren, die auf einen herrlichen Garten gingen, aus dem der Abendwind süßberauschende Düfte auf seinen leichten Schwingen hereintrug, weit offen, während die plätschernden Fontainen eine angenehme Kühlung verbreiteten. Kostbare Marmorvasen von ungeheurer Größe und bedeutendem Kunstwerthe schmückten dabei die Nischen des im reinsten Renaissancestyle gehaltenen Salons, während sich an den Wänden, zwischen den Vasen, die von Künstlerhand gearbeiteten Statuen der Venus und des Mars, der Diana und des Apollo auf entsprechenden Piedestalen erhoben. Das Ganze hatte fast das Ansehen eines griechischen Tempels, zumal wenn man die verschiedenen Marmortischchen mit ihren schön geschnitzten und reich vergoldeten Füßen für Altäre nahm, was um so eher geschehen konnte, als sie alle mit den herrlichsten Früchten des Südens besetzt waren. Statt der Priester freilich, bewegten sich jetzt nur Lakaien in prächtigen Livreen in diesen Räumen, da diejenigen Gäste, die bis zur Stunde eingetroffen, es vorgezogen hatten, ein kühles Plätzchen in dem Garten aufzusuchen.[81] Es war ein Rondel in dem nahen Bosquet. Auch hier gewährte ein kleiner See erfrischende Kühle, – ein See en miniature, umschlossen von einem, aus zahllosen Seemuscheln gebildeten Rande und bevölkert mit steinernen Tritonen, die aus großen Muscheln dicke Wasserstrahlen bliesen.

Hier saßen denn auch bereits schon drei Männer jenes so berühmt gewordenen Cirkels. Es waren: der bereits achtundfünfzigjährige Düclos, Secretair der französischen Akademie, bekannt durch seine Romane und Memoiren und ausgezeichnet als Grammatiker; Helvetius, der Haushofmeister der Königin, der Verfasser des berühmten, von den Jesuiten so arg verfolgten Werkes de l'esprit und Diderot, das Haupt der Encyklopädisten. Alle drei gehörten zu der Holbach'schen Gesellschaft; dennoch zeigte sich im Aeußeren ein merkwürdiger Unterschied unter ihnen. Düclos und Helvetius waren fein und reich, ja mit peinlicher Sorgfalt gekleidet; – Diderot's Anzug dagegen zeugte von einer genialen Unbesorgtheit, die fast bis zum Cynismus ging. Sein Haar war ungepudert und wohl seit mehreren Tagen nicht frisirt, seine abgetragenen Kleider hingen schlotternd um den mageren Körper, Chapeau und Manschetten waren zerdrückt und unrein.

Düclos und Helvetius trugen eine gewisse Würde zur Schau. Man sah, daß sie sich selbst als Großwürdenträger der Gelehrtenrepublik erkannten; – Diderot dagegen – den Ausdruck der Genialität in den verwitterten Zügen – erinnerte in seiner Erscheinung etwas an den »verlorenen Sohn« und Rameau's »Neffen,« und streckte sich so nachlässig auf seinem Sitze aus, als ob er sich in einer Kneipe befinde. Dennoch waren diese Männer in ihren geistigen Bestrebungen einig, ja sie gingen sogar Hand in Hand dem großen Ziele entgegen, die »alte Gesellschaft« förmlich zu stürzen und die Welt einer socialen Neugestaltung entgegenzuführen.

Ihre Unterhaltung drehte sich denn auch jetzt um diesen Gegenstand:

»Wißt Ihr was,« – sagte eben Diderot zu den Freunden, indem er sich, eine Blume zerrupfend, auf dem Stuhle weit zurücklehnte und seine beiden Beine auf den vor ihm stehenden steinernen Tisch legte – »ich hätte große Lust einmal an den König selbst zu schreiben, und ihm unumwunden die Wahrheit zu sagen.«[82]

»Ich glaube,« – entgegnete Helvetius lächelnd, – »es gelüstet Freund Diderot nach einemLettre de cachet.38 Er will den Märtyrer der Freiheit spielen.«

»Und was würdet Ihr denn der Majestät schreiben, Diderot?« – frug in ironischem Tone Düclos.

»Nun,« – versetzte dieser, – »ich würde mich ungefähr folgendermaßen ausdrücken: Sire, ein eifriger Diener schreibt an Eure Majestät« ...

Helvetius und Düclos lachten laut auf und letzterer rief:

»Göttlich! ein eifriger Diener!«

»Bei diesen Worten würde freilich selbst der Herr Polizeilieutenant nicht an Diderot denken!«

Aber Diderot ließ sich nicht irre machen. Behaglich auf seinem Stuhle schaukelnd, fuhr er ruhig fort:

»Wahrheit ist immer bitter, hauptsächlich den Königen. Von Schmeichlern umgeben, sehen sie alle Gegenstände nur in den Farben, die ihnen gefallen. Viel habe ich über diesen Gegenstand gedacht und gelesen, und nun hört das Resultat meiner Erfahrungen!«

»Ich bin gespannt!« – rief Helvetius.

»Man hat Sie gewöhnt Sire, – würde ich also dem Könige schreiben – unsichtbar zu sein« – sagte, gleichsam im Geiste dictirend, Diderot weiter. – »Auf diese Weise ist also jede direkte Mittheilung zwischen dem Staatsoberhaupte und seinen Unterthanen unterbrochen. In dieser Zurückgezogenheit in Ihrem Palaste werden sie von Tag zu Tag den Kaisern des Orients ähnlicher ...«

»Kostbar!« – rief hier Düclos, – »aber ich würde noch die übrigen Aehnlichkeiten erwähnen, die der Hof Ludwig XV. mit dem Hofe Sardanapals hat: Frau von Pompadour und das Haus im Hirschpark!«39

»Seien wir ernsthaft!« – fiel jetzt Helvetius ein, – »die Sache ist nicht so übel gedacht.«

»Nicht so übel?« – rief Düclos kopfschüttelnd, – »und was glaubt Ihr, würde der König zum Beispiel auf[83] eine solche Ansprache – würde sie mündlich gemacht – antworten?«

»Nun,« – sagte Helvetius, – »er würde entgegnen: Ich habe Truppen, um die Massen meinen orientalischen Befehlen gehorsam zu machen und Kerker um allzukecken Schreiern das Maul zu stopfen.«

»Und dann?« – frug Düclos.

»Dann,« – sagte Diderot und streckte seinen Körper mit den gegen den Tisch gestützten Füßen so lang aus, daß er jeden Augenblick auf seinem Stuhle umzustürzen drohte, – »dann würde ich den Mann mit der Krone aufmerksam machen, daß, wenn – wie die Geschichte beweist – Könige sich einzig auf Soldaten stützen, diese gar bald ihre Gewalt nur allzugut fühlen und sie mißbrauchen.«

»Diderot! Ihr fallt und brecht den Hals!« – rief hier Helvetius hastig und mit anscheinender Besorgniß.

Aber Diderot blieb ruhig. Ein feines Lächeln spielte auf seinen vom Leben verwüsteten Zügen; dann sagte er:

»Helvetius würde auch auf seinem schönen Landgute Voré sicherer sitzen als hier. Die Jesuiten haben so lange Arme als die Könige.«

»Malt den Teufel nicht an die Wand!« – rief jetzt Düclos dazwischen, – »sondern erbaut uns lieber noch weiter mit Eurer sublimen Idee eines directen Schreibens an den König.«

»Also,« – fuhr Diderot fort und bog die Kniee schaukelnd zusammen, – »ich schrieb dann ungefähr folgendermaßen weiter: Ihre Finanzen, Sire, sind in der größten Unordnung ....«

»Und der größte Theil der Staaten ist durch diese Ursache untergegangen!« – warf Helvetius ein.

»Richtig!« – sagte das Haupt der Encyklopädisten. – »In unserem Jahrhundert ist aber das Geld zur Universalkraft geworden und Sie, Sire, haben keines. Der Finanzgeist hat alle Theile angesteckt und beherrscht den Hof. So kommt es, daß bereits Alles verkäuflich ist: Stellen, Ehren, Tugend, Treue .....«

Hier klatschten zwei Hände in feinen weißen Glace-Handschuhen Beifall, es waren die Grimm's, der leise hinzugetreten war, aber Diderot ließ sich dadurch weder in seiner[84] Lage noch in seiner Rede stören. Er nickte Grimm freundlich zu und fuhr unerschütterlich in gleichmäßigem Tone fort:

»Seit der Entlassung der Herren von Argenson und Machault sind Ihre Minister ohne Genie und ohne Fähigkeit ....«

»Bravo! bravo!«

»Man verwaltet in den Tag hinein, und es fehlt durchaus an einer Seele, an einem kühnen, gewaltigen Geiste, von dem die Impulse der Regierung ausgehen. Die Veränderungen, welche man im Militair vornimmt, erregen Widerwillen bei den Truppen .....«

»Und sind Veranlassung, daß vortreffliche Offiziere aus dem Dienste treten!« – ergänzte Grimm heftig.

» ... ein aufrührerisches Feuer entzündet die Gemüther der Parlamente. Sie entschlossen sich dazu, sie zu bestehen, und das Mittel ist schlimmer als das Uebel. Es heißt dies das Laster in das Heiligthum der Gerechtigkeit einführen und die edlen Theile des Staates verpesten.«

»Er hat recht, er hat bei Gott recht!« – rief hier Helvetius. – »Würde ein bestochenes Parlament der Wuth der Ligue getrotzt haben, um dem legitimen Souveraine die Krone zu erhalten? – Aber weiter Diderot, Ihr seid göttlich in Eurem Briefe, schade daß die l'Espinasse noch nicht da ist, sie müßte Euch mit einem Lorbeerzweige krönen!«

»Weiter! weiter!« – riefen die Andern, die in der That anfingen, auf des Freundes Gedanken einzugehen. Und Diderot fuhr fort:

»In der Vergessenheit der Grundsätze Ludwigs XIV., der es als eine Gefahr erkannte, das Ministerium großen Herren anzuvertrauen, haben sie den Herrn von Choiseul dazu erhoben; aber das ist noch wenig: Sie haben ihm sogar drei Ministerien gegeben, und was ist dieser Minister, auf dessen Haupt eine so schwere Last liegt? .... Er ist ein Petit-Maitre ohne Talent und ohne Wissen, der lediglich ein wenig Phosphor in seinem Verstande hat!«

»Prächtig!« – »Ausgezeichnet!« – riefen hier Alle und lachten aus vollem Herzen; aber zu gleicher Zeit krachte es, und Diderot, dessen Stuhl durch das Schaukeln gebrochen, würde zu Boden gestürzt sein, hätte ihn Grimm, der noch hinter ihm stand, nicht aufgefangen.[85]

Alle waren erschrocken: – Düclos aber sagte:

»Freund, das ist ein böses Omen. Laßt den Brief lieber sein.«

»Nichts da!« – versetzte Grimm – »dem Aberglauben zum Trotz muß der Brief jetzt erst recht geschrieben werden; aber ... ohne Namensunterschrift. Und damit man nicht darauf kommt, daß er von unserer Partei ausgeht, so schlage ich vor, wir verdächtigen uns selbst darin.«

»Da kommt der Diplomat wieder zum Vorschein, der Secretair des Herzogs von Orleans!« – entgegnete Diderot finster. – »Warum nicht gerade und mit offenem Visir?«

»Weil, wenn wir uns nennen, der König die gut gemeinten Winke verächtlich wegwerfen und uns außerdem vielleicht beim Ohre nehmen wird,« – versetzte Grimm – »während ihn die Gewißheit, von wem ein solches Schreiben kommt und das Räthselhafte, Geheimnißvolle desselben, sicherlich reizt und fesselt; obgleich ich demohnerachtet an keinen Erfolg glaube.«

Diderot schüttelte mit dem Kopfe, dann sagte er: – »Ich mag die verdammten Winkelzüge nicht leiden!«

»Es käme darauf an« – meinte Düclos – »was Grimm zu sagen gedenkt.«

»Nun« – versetzte dieser – »ich würde etwa sagen: Eine andere der Aufmerksamkeit würdige Sache, Sire, ist der offene Krieg gegen eine Religion. Unter dem Vorwande die Menschen aufzuklären, untergraben die Encyklopädisten die Grundsäulen des Christenthums. Die Philosophen greifen den Stamm des Baumes an, die Jansenisten und Oekonomisten einige Zweige. So kann in zwanzig bis dreißig Jahren dies Gouvernement in allen seinen Theilen untergraben sein und mit Getöse zusammenstürzen.«

»Nicht übel!« – meinte Helvetius – »das erschreckt! – ... das wird wirken und uns in Respect setzen!«

»Aber,« – sagte jetzt der bedächtigere Düclos – »wenn man die Wunde aufdeckt, muß man doch auch an die Heilung denken. Welche Mittel empfehlt Ihr dazu, Diderot

»Auch daran habe ich gedacht!« – versetzte dieser, der – die glücklich überstandene Gefahr eines Sturzes schon vergessen habend – seiner Gewohnheit nach abermals auf einem Stuhle schaukelte. – »Ich dachte man könne dann allenfalls sagen: Wenn Eure Majestät, betroffen über diese nur zu wahre Darstellung,[86] um das Mittel fragen, wie diese Uebelstände zu heilen sind, so werde ich antworten, daß das Gouvernement zu seinen Principien zurückzuführen ist, und vor allen Dingen sich beeifern muß, den Zustand der Finanzen wieder herzustellen; denn die Verlegenheiten, in welchen sich ein verschuldeter Staat befindet, führen neue Auflagen herbei, und neue Auslagen reizen ein niedergedrücktes Volk zum Aeußersten.«

»Schön!« – rief Düclos spöttelnd – »setzt dann nur noch gleich dazu: Mögen dann auch Majestät Ihrer Stellung entsprechen! Rex, König und regere, regieren, das sind die Worte, welche Ihre Pflichten andeuten. Machen Sie nicht, daß man von Ihnen sage:Foeminas et scorta volvit animo et haec principatus proemia putat.«40

»Nun, Diderot!« – rief jetzt lachend Helvetius – »da habt Ihr Wahrheit, nackte Wahrheit, so viel Ihr wollt!«

»Die ich auch gebrauchen werde, wenn Ihr beistimmt!« – entgegnete dieser.41

»Laßt uns nur noch mit Holbach darüber sprechen!« – versetzte Helvetius.

Aber in dem gleichen Augenblick rauschte es wie seidene Gewänder. Alle blickten um, und Holbach trat, die reizende Espinasse an dem Arme, in das Rondel. Ihnen folgte die Gräfin Tessé, begleitet von noch mehreren Herren und Damen jener Gesellschaft, die sich wöchentlich an den Dienstag Abenden bei Baron Holbach versammelte.

Welche Erscheinung aber war diese Espinasse! Nicht blendend von enormer Schönheit; aber übergossen mit jenem, den Französinnen ganz eigenthümlichen Reiz geistiger und körperlicher Vivacität, hinreißender und verlockender Grazie, entzückender – und doch geistig gehobener – Sinnlichkeit! Alles an und in ihr war Natur, und doch hatte auch Alles wieder den Schein einer allerliebsten Coquetterie. In ihren Zügen lag etwas unendlich Liebliches und doch waren sie zugleich so kräftig ausgeprägt, daß sie einen kühnen, festen, vor nichts zurückschreckenden Geist verriethen. Die Stirne war hoch und frei, Witz und Gedankenschärfe verrathend; die[87] Lippen warfen sich ein wenig, wie von süßem Verlangen geschwellt, auf; die Nase war leicht gebogen, die Augenbrauen schwangen sich kühn. Alles aber beherrschten die lebhaften, feurigen Augen, über welchen lange und dichte Wimpern einen Schleier warfen, als wollten sie die Gluth mildern, die in ihnen brannte. Und nun die Gestalt, so schlank und sein gebaut und doch auch voll Kraft und Elasticität, die schönsten Formen zeigend, zumal was die Büste betraf, da nach der schlüpfrigen Mode jener Zeit Hals und Schultern völlig entblößt und der Busen kaum zur Hälfte bedeckt war. Was Fräulein von Espinasse aber vor allen Dingen auszeichnete, war ihr prachtvolles schwarzes Haar, das sie – ganz im Gegensatze zu den damals üblichen, thurmartigen, dickgepuderten Haargebäuden der seinen Welt – ungepudert trug, und das in einer Fülle von natürlichen Locken auf die schönen Schultern und den von Perlenschnüren umschlungenen Hals herniederfiel.

So war sie denn auch in der That das Entzücken aller Gesellschaften; denn ihr Inneres entsprach dem Aeußeren. Witz und Laune verbanden sich bei ihr mit einem scharfen Verstande und nicht unbedeutenden Kenntnissen. Und während diese, im Vereine mit einem sehr lebhaften Temperamente, ihr ein fast männliches Streben gaben, behauptete doch die Welt, daß das Herz der schönen Espinasse sehr empfänglich für zärtliche Eindrücke sei.42

Uebrigens gehörten ja in jenen Tagen verliebte Abenteuer so sehr zum guten Tone, daß sich eine Dame von Welt, die deren nicht fortwährend abzuspinnen gewußt, geradezu lächerlich gemacht hätte. Der Hof zu Versailles ging mit gutem Beispiele voraus, und Paris blieb natürlich nicht zurück.

Was übrigens die Espinasse – dieses damals leuchtendste Gestirn der Pariser Salons – immer bei ihrem Erscheinen that, geschah auch heute bei Holbach: es ging mit ihr der Tag für die Gesellschaft auf, die Sonne der Heiterkeit leuchtete mit einemmale in ihrer vollen Pracht, Funken des[88] Witzes sprühten hier, schlugen dort, Bonmots, Calembours und Spottgedichte regneten, durch Alles aber zog sich ein beißender Hohn gegen das Bestehende, namentlich gegen das Treiben des Hofes und die Scheinheiligkeit der höheren Geistlichen.

Grimm und der kleine schmächtige d'Alembert suchten sich dabei nicht nur in Witzen, sondern auch in Artigkeiten gegen die kleine Espinasse zu überbieten, die jedoch heute noch keinem den Vorzug gegeben; nicht einmal gegen den Secretair des Herzogs von Orleans des heutigen Zusammentreffens und der verabredeten Mittheilung gedacht hatte. Und doch brannten ihre Blicke wie Feuer in den Herzen dieser beiden Freunde, die sich hier als Rivalen gegenüberstanden.

Als man sich jedoch mit dem Kühlerwerden des Abends nach dem großen Garten-Salon zurückgezogen, um hier an einer prachtvollen Tafel den Genüssen des Lebens und den Wunderwerken des Holbach'schen Koches zu fröhnen, war es Grimm gelungen, einen Platz an der Seite seiner Dame zu erobern, während Diderot, der heute mehr wie je in Gedanken versunken schien, zum Aerger d'Alembert's die andere Seite einnahm. Aber auch hier war die Unterhaltung so belebt, daß Grimm zu keinem Zwiegespräch gelangen konnte. Die Gräfin Tessé berichtete nämlich eben von neuen Indiscretionen, die sich Herr von Choiseul in Betreff des Briefgeheimnisses zu Schulden hatte kommen lassen, indem er seinen Freunden die lächerlichen Liebesverhältnisse erzählte, welche die Briefe, die man entsiegelte, oft enthielten.

»Unerhört!« – rief hier Baron Holbach. – »Man begnügt sich also nicht damit, das Heiligthum des Briefgeheimnisses zu mißachten, nein! man scheut sich sogar nicht mehr, öffentlich wissen zu lassen, daß man diesen Frevel begeht!«

»Aber wie kommt Choiseul dazu?« – frug Grimm, den Champagner aus dem Eis nehmend und den Damen eingießend, – »ich dachte dieses saubere Amt sei nur in den Händen des Post-Intendanten und des Polizei-Lieutenants!«

»Jetzt,« – entgegnete die Tessé – »ist auch der allmächtige Choiseul in das Geheimniß eingeweiht.«

»Und kennen die Freunde das Verfahren dabei?« – frug hier die Espinasse.

Man verneinte.[89]

»Nun« – fuhr jene fort – »da es in der That zu der Sittengeschichte gehört, will ich es Ihnen mittheilen. Sieben Post-Commis suchen die Briefe aus, die ihnen zum Entsiegeln bezeichnet werden oder die auch nur verdächtig erscheinen. Darauf wird der Abdruck des Siegels mit der sogenannten Quecksilber-Kugel genommen. Ist das geschehen, legt man die Briefe auf die Seite des Siegels über eigens dafür eingerichtete Gefäße mit heißem Wasser, welches das Lack auflöst, ohne das geringste an den Briefen zu verderben. Nach genommener Einsicht und Abschrift werden sie dann wieder vermöge des genommenen Siegel-Abdrucks zugesiegelt.«43

»Und von wem weiß unsere angebetete Julie diese saubere Procedur so genau?« – frug jetzt Helvetius.

»Von Choiseul selbst!« – entgegnete die Angeredete – »der es mir lachend erzählte.«

Tiefer Unwille gab sich überall kund und Dr. Quesnay, der – obwohl Leibarzt der Pompadour – dennoch zu den Encyklopädisten gehörte, rief mit Indignation:

»Ich würde lieber mit dem Henker als mit diesen Menschen speisen.«44

»Wer wird sich da ärgern!« – sagte Diderot und trank sein Glas Champagner auf einen Zug aus. – »Bekannte Sachen. Ich weiß aber noch eine pikantere Neuigkeit.«

»Nun?!« – riefen Alle.

»Wenn mir Holbach verspricht, keinen schlechten Roman daraus zu machen, will ich sie mittheilen!« – versetzte Diderot sich dehnend. – »Sonst will ich mein Gewissen mit keiner neuen Todsünde unnöthig belasten.«

Alle lachten. Holbach aber rief: »Seitdem ich Diderot's: ›Jacques le Fataliste‹ gelesen habe, ist mir der Geschmack an allen Romanen vergangen. Diderot kann also ruhig sein!«

Jubel begrüßte diese beißende Entgegnung; Diderot aber versetzte ganz ruhig: – »Wenn das Buch schlecht ist, trägt Holbach die Schuld, denn ich nahm ihn als Typus für meinen Jacques. Doch zur Sache! Sie berührt den Hirschpark.«

»Diderot!« – rief jetzt Helvetius lachend – »Ihr werdet doch nicht!«[90]

»Nun,« – versetzte dieser – »wenn Ihr Trappist geworden seid, was freilich erst seit Kurzem sein kann, so haltet Euch die Ohren zu, ich erzähle jetzt die Geschichte meiner schönen Nachbarin!«

»Recht, Freund!« entgegnete diese, in ihrer kleinen weißen Hand den Fächer spielen lassend, – »was Liebe betrifft interessirt ein weibliches Herz immer, und hier ist doch gewiß von einer gekrönten Liebe die Rede!«

»Also!« – hub Diderot an – »ein junges Mädchen aus einer braven bürgerlichen Familie, das der König öfters gesehen und dem er – nachdem man sie in den Hirschpark gebracht – mehr Zärtlichkeit als einer anderen bewiesen hatte, war ohnlängst bei der Nachricht, der König sei meuchelmörderisch angefallen worden, beinahe in Verzweiflung. Die Mutter Aebtissin, – denn so nennt man die gute Frau, welche zwar nicht Mitglied der Wiener Keuschheits-Commission aber Oberaufseherin über den Hirschpark ist, – wurde den außerordentlichen Schmerz gewahr, dem das Mädchen unterlag, und frug es so glücklich aus, daß dieses ihr gestand, es wisse, daß ihr Geliebter, der sich für einen polnischen Grafen ausgebe, der König von Frankreich sei.«

»Nun!« – rief Fräulein von Espinasse – »für einen polnischen Grafen kann sich Se. Majestät Ludwig XV. schon ausgeben; denn das ganze Regierungswesen ist ja jetzt eine polnische Wirthschaft

»Er scheint also Selbsterkenntniß zu besitzen!« – meinte Diderot. – Aber davon wollte die Dame im parc aux cerfs nichts wissen. Sie examinirte also weiter und es ergab sich, daß die holde Kleine aus unschuldiger Neugierde, vielleicht auch aus Eifersucht, in den Taschen ihres Endymions gekramt und zwei Briefe hervorgezogen hatte, von denen der eine von dem König von Spanien und der andere von dem Grafen Broglie war.

Das Mädchen wurde nun tüchtig ausgescholten, und man rief den ersten Kammerdiener, Lebel, der in jenem Hause alles veranstaltet. Dieser nahm die Briefe und trug sie zum Könige, welcher sehr verlegen wurde und bei sich beschloß, eine so wohl unterrichtete Geliebte nicht wiederzusehen. Bald aber merkte das Kind, daß der König doch heimlich kam, um ihre Genossin zu besuchen, und daß sie verlassen sei. Sie paßte nun auf seine nächste Ankunft, und in dem Augenblick, in welchem er[91] das Zimmer der Anderen betrat, stürzte sie – die sich Mutter fühlte – herein und zu seinen Füßen, flehte um Vergebung und beschwor den König bei seiner Liebe, bei seinen Zusagungen und Versprechungen, bei dem Kinde, das sie von ihm unter dem Herzen trage, sie nicht zu verlassen.

»Der König war in der größten Verwirrung; um jedoch keinen Lärm zu machen, beschwichtigte er das arme Kind, das ihn wirklich zärtlich liebte, und versprach ihr Alles, – auch für sie zu sorgen. Und, meine Herren und Damen,« – setzte Diderot mit einer ironischen Ruhe hinzu, die seinen verwitterten Zügen einen fast diabolischen Ausdruck gab, indem er gemächlich ein weiteres Glas ausschlürfte und langsam schaukelte – »der König hielt natürlich Wort. Vor drei Tagen brachte man die Kleine in eine Irrenanstalt, behauptend, ihre Meinung: der polnische Graf sei der König von Frankreich, wäre eine fixe Idee und sie sei wahnsinnig!«

»O das ist schrecklich!« – riefen die Gräfin Tessé und Fräulein Espinasse, und letztere setzte hinzu – »und Diderot ist von der Wahrheit der Sache überzeugt?«

»Ich habe sie aus dem Munde der Mutter der Unglücklichen!« – versetzte jener, – »die sich aus Verzweiflung in die Seine stürzte und die ich so glücklich war zu retten!«

»Und ist für das Mädchen an keine Hülfe zu denken?«

»Schwerlich! Kommt sie glücklich nieder, so erhält das Kind, wie alle Kinder seiner allerchristlichen Majestät, eine lebenslängliche Rente, und da sich alle diese Kinder beerben, und schon zwölf oder fünfzehn gestorben sind, so wird es einst zu leben haben, wenn auch seine Mutter .....«

»Hört auf, Diderot!« – rief jetzt die Tessé – »oder glaubt Ihr, wir hätten Herzen von Stein?«

»Bewahre!« – entgegnete der Philosoph – »das ist eben der Fehler der Menschen. Hätte Ludwig XV. so kein weiches und empfängliches Herz, wäre diese Geschichte und so manch' andere nicht passirt!«

»Diderot!« – rief jetzt Holbach in edlem Zorne und mit glühenden Wangen – »die Sache indignirt mich. Machen wir ein Pasquill darüber, diese schändliche Handlungsweise zu diffamiren!«

»Und bald!« – setzte Fräulein de l'Espinasse eifrig hinzu – »und so boshaft wie möglich. Die Sache wird dadurch bekannt und für den Hof gefährlich, was das Mädchen möglicherweise retten kann.«[92]

»Soll geschehen!« entgegnete Diderot mit seinem ewigen Gleichmuth; aber es leuchtete jetzt ein schönes Feuer aus seinen Augen. – »Soll geschehen und wenn auch nach dem altrömischen Zwölftafelgesetze der Tod und bei uns civilisirten Barbaren Zuchthaus darauf steht.«

»Und ich besorge den Druck und gebe das Geld zur Verbreitung!« – rief Baron Holbach. – »Aber jetzt auch genug von diesen ernsten Dingen. Was wir heute von Neuigkeiten gehört, war schlimm. Hat Niemand etwas Erfreuliches?«

»Grimm, lieber Grimm!« – sagte bei diesen Worten die Espinasse, mit dem vollsten Zauber ihrer seelenvollen Stimme, indem sie sich so tief zu ihrem Nachbar herüberbeugte, daß dieser, geblendet von den sich ihm erschließenden Reizen, gluthroth und fast wie trunken ward – »lieber Grimm, retten Sie uns von Politik und Philantropie! Sie, der Mann der Kunst und zugleich der Diplomat, der mit allen deutschen Fürstenhöfen in Berührung steht ..... Sie haben gewiß irgend eine Neuigkeit auf dem Felde der Aesthetik, .... eine Kunstnotiz! ... einen Bericht über irgend eine schöne und herrliche Erscheinung!«

»Ich habe in der That« – versetzte Grimm leise, seine vielsagenden Blicke auf das holde Wesen neben ihm gerichtet – »in diesem Moment eine Anschauung des Schönsten und Herrlichsten gehabt, was man sich denken kann.«

»Ach!« – seufzte mit feiner Coquetterie Fräulein von Espinasse, ohne jedoch ihr triumphirendes Lächeln verbergen zu können, – »auch er ist nichts als ein leichtsinniger Mensch und ein Epikuräer! – Die Gesellschaft schmachtet nach seinen ästhetischen Ergüssen, als Balsam für die Wunden, die ihr die rohe Wirklichkeit geschlagen, und er speist uns in seinem Egoismus mit verwegenen Blicken und süßen Redensarten ab. Hat man in Wien, in Italien keine neue Oper? Ist keine Primadonna durchgegangen? .... Antworten Sie doch auf diese Weltfragen.«

»Nun, Grimm!« – riefen jetzt auch die Anderen.

»Da Sie mich an Musik erinnern,« – versetzte Grimm, der sich indessen von seiner Entzückung erholt hatte, – »so fällt mir da allerdings eine Neuigkeit ein, die Sie Alle interessiren wird. Ein Wunder wird ein Wunder verrichten!«

»Soll das etwas Neues sein?« – frug d'Alembert mit einem Blick auf Fräulein von Espinasse. – »Ich will[93] gar nicht von den Wundern der Kirche sprechen; aber ich kenne Augen, die selbst das härteste Philosophenherz in Gluth und Fluß zu bringen vermögen.«

»Sogar mehr als eines!« – spöttelte die Tessé.

»Ach!« – rief Grimm – »das ist auch das einzige Wunder, an das ich bis jetzt glaube. Indessen sollen wir Ungläubigen in der That demnächst auch durch ein musikalisches Wunder bekehrt werden.«

»Sprechen Sie doch nicht immer in Räthseln!« – sagte jetzt ungeduldig Frau von Epinay.

»Nun denn,« – versetzte Grimm, einige Zeitungsblätter und Briefe aus der Tasche seines Rockes ziehend – »so hören Sie. Der Prinz von Zweibrücken schickt mir da die Salzburger Zeitung,45 in der folgender Artikel, der von Augsburg aus datirt ist, von ihm roth angestrichen wurde.« – Und er als in geläufiger Uebertragung: –


»Augsburg, den 9. Juli.

Vorgestern ist der Salzburgische Vice-Capellmeister L. Mozart mit seinen zwei bewunderungswürdigen Kindern von hier nach Stuttgart abgereist, um sich über die größten Höfe Deutschlands nach Frankreich und England zu begeben. Wir haben die Kinder – ein Mädchen von eilf und, was ganz unglaublich ist, einen Knaben von sieben Jahren, – auf dem Claviere gehört, und müssen sie der musikalischen Welt als ein Wunder unserer und voriger Zeiten darstellen. Alle Kenner haben dasjenige, was ein Freund von Wien ehedem von diesen Kindern geschrieben, so unglaublich es schien, nicht nur wahr, sondern noch weit bewunderungswerther gefunden.«


»Ich entsinne mich!« – rief hier Holbach – »seiner Zeit von diesen Wunderkindern gehört zu haben. Sie machten am Wiener Hof ungeheures Aufsehen.«

»Und werden dies in Versailles und hier nicht minder thun!« – bemerkte Grimm. – »Der Prinz von Zweibrücken, der sie in Nymphenburg bei dem Churfürsten von Baiern hörte, kann gar nicht genug von der Liebenswürdigkeit ihrer Erscheinung und der Virtuosität und Pracht ihres Spieles[94] schreiben. Auch aus Schwetzingen schreibt mir der Musik-Intendant, Baron von Eberstein, mit dem gleichen Enthusiasmus von diesen Lieblingen der Götter.«

»Ganz Schwetzingen ist in Bewegung,« – sagt er unter anderem, – »und die churfürstlichen Herrschaften hatten ein unbeschreibliches Vergnügen. Das Mädchen spielt das Clavier auf eine brillante Manier und führt die größten Stücke mit einer erstaunlichen Präcision aus. Der Knabe, der künftigen Februar erst sieben Jahre alt wird, ist eine so außerordentliche Erscheinung, daß man das, was man mit eigenen Augen sieht und mit eigenen Ohren hört, kaum glauben kann.«

»O darauf freue ich mich unendlich!« – unterbrach hier die Gräfin Tessé den Lesenden und alle Damen stimmten ein. Aber Diderot meinte achselzuckend:

»Was werden diese Kinder, näher betrachtet, anderes sein, als Automaten. Maschinen, die, durch eine vielleicht barbarische Dressur in Bewegung gesetzt, außergewöhnliche Verrichtungen zeigen. Ich liebe diese unnatürlichen Erscheinungen nicht, und ziehe wahrhaft die hölzerne Taube des Archytas, die fliegen konnte, die kriechende Schnecke des Demetrius Phalereus und namentlich unseres großen Vaucanson's Flötenspieler und Ente vor. Darin liegt doch eine großartige geniale Berechnung.46 Aber dort ...!«

»Diderot!« – rief hier Grimm, – »Ihr seid ungerecht.« Hört nur, was der Intendant, also ein Mann von Fach, weiter sagt: »Es ist dem Kinde nicht nur ein leichtes, mit der größten technischen Fertigkeit die schwierigsten Stücke auszuführen, und zwar mit Händchen, die kaum die Sechste greifen können; nein! es ist unglaublich, wenn man sieht, wie[95] es ganze Stunden lang phantasirt und so sich der Begeisterung seines Genius und einer Fülle entzückender Ideen hingiebt! Der geübteste Capellmeister kann unmöglich eine so tiefe Kenntniß der Harmonie und der Modulationen haben.«

Grimm hielt hier einen Augenblick inne, um dem allgemeinen Staunen Raum zu geben, dann wandte er sich wieder zu Diderot und frug triumphirend:

»Nun, Freund, wie steht es nun mit Eueren Automaten?«

»So lange ich nicht selbst gehört und selbst gesehen habe,« – entgegnete der Philosoph kalt, – »glaube ich nicht daran.«

»O!« – rief Fräulein von Espinasse – »er ist und bleibt ein ungläubiger Thomas.«

»Nun, er soll seine Finger in des Herrn Wunden legen!« versetzte Grimm. – »Der Prinz von Zweibrücken hat dem Vice-Capellmeister ein Empfehlungsschreiben an mich mitgegeben; auch aus Frankfurt haben Mozart's ein solches an mich erhalten, und so werde ich sie denn unter die Flügel meiner Protection nehmen, und das Vergnügen haben, sie in dem Hause meiner schätzbaren und liebenswürdigen Nachbarin, dem Tempel der Musen und Grazien, wie ganz Paris es nennt, einzuführen.«

»Allerliebst!« – versetzte mit graziöser Verbeugung und schelmischem Lächeln die Schöne. – »Wir werden suchen für diese Artigkeit dankbar zu sein.«

Aber nun baten sich dies auch die übrigen Damen, namentlich die Gräfin Tessé und Baron von Holbach aus. Grimm sagte natürlich zu, und freute sich schon im Voraus, sowohl auf die Kinder selbst, als auch auf die zu feiernden Triumphe.

Man war unterdessen aufgestanden oder hatte sich in kleinere Gesellschaften gruppirt. Der Champagner wirkte und die Unterhaltung wurde lebhafter und leichter. Der Witz funkelte wieder und die warm gewordenen Herzen streiften die letzten leichten Bande der Etiquette ab. Scherze und Bonmots traten in ihre alten Rechte, und jetzt war es namentlich Gott Amor, der schalkhafte Knabe, der in diesen lusterfüllten Regionen herrschte. Es versteht sich von selbst, daß Fräulein von Espinasse auch jetzt die Königin des Abends blieb, und Grimm verwünschte mehr als einmal im Stillen den Hof von Verehrern und Verehrerinnen, der sie umlagerte und umstand und ihm auch nicht die kleinste Möglichkeit ließ, sie auf einen Augenblick zu sprechen.[96]

Jetzt brach man auf und schon wollte Grimm verzweifeln, als Julie an ihm vorbeigehend, seinen Arm nahm und lachend ausrief:

»Nun, mein ungetreuer Ritter, ich glaube die Wunderkinder haben es Euch jetzt schon angethan. Muß man des Herrn Secretair Arm selbst nehmen? Ist das chevaleresque?«

»Aber«, – flüsterte Grimm, – »haben Sie denn ganz vergessen, daß ich Ihnen etwas mitzutheilen habe?«

»O nein?« – versetzte sie und ein zauberhaftes, verführerisches Lächeln umschwebte ihren Mund. – »Sie wollten mir etwas von einem ›Fall‹ berichten.«

»Ganz recht! und Sie gehen?«

»Nein, Bester, ich fahre, und« – setzte sie flüsternd hinzu – »in meinem Wagen ist auch noch Platz für Sie

Quelle:
Heribert Rau: Mozart. Ein Künstlerleben. Berlin 4[o.J.], S. 75-97.
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