11.

Frau von Pompadour.

[97] Acht Tage waren seit jener Zusammenkunft der Encyklopädisten bei Holbach vergangen. Grimm hatte Gelegenheit gefunden, sich seines Auftrages bei Fräulein von Espinasse zu entledigen, und die Unterredung mußte in der That zu einem für beide Theile sehr befriedigenden Ziele geführt haben, denn der Secretair des Herzogs strahlte seit jener Zeit in fast auffälliger Verjüngung; auch war er heiterer und witziger denn je, und es verging kein Tag, an welchem man ihn nicht in dem eleganten Hotel der jungen Dame gesehen.

Aber jener Abend hatte noch andere Folgen gehabt, die weit wichtiger, da sie Paris und Versailles gleich mächtig berührten. Frau von Pompadour hatte sich so eben, obgleich die Sonne schon hoch am Himmel stand, erhoben. Jetzt trat sie, in ein reizendes Negligé gehüllt, in jenes Boudoir, das durch seine Pracht und wundervolle Ausstattung in ganz Europa berühmt war, und von dem Fürst Kaunitz, bei seinem Aufenthalte als Abgesandter des Wiener Hofes zu Versailles, schon gesagt hatte: Um sich einen Begriff von[97] dem Paradiese zu machen, müsse man das Boudoir der Frau Marquise von Pompadour gesehen haben.

Es lag viel, sehr viel in diesem Worte des schlauen Staatsmannes, und doch sagte es – auch ohne Hinblick auf Eva und die Schlange – nicht zu viel; denn man wußte nicht recht, sollte man sagen: die Zimmer der damals allmächtigen Beherrscherin Frankreichs seien in den Garten, oder der Garten sei in ihre Zimmer gebaut; wobei immer noch fraglich blieb, ob hier Kunst oder Natur den Sieg davon trügen. Mit einem Wort: dies Boudoir übertraf Alles, was man bis dahin Aehnliches gekannt hatte, kostete Ludwig XV. aber auch nicht weniger als zweimalhundertundsechzigtausend Livres.

Doch was sind zweimalhundertsechzigtausend Livres für einen König, der liebt, und für ein prunksüchtiges, verschwenderisches Weib, das glänzen will!

In diesem Boudoir nun pflegte Frau von Pompadour täglich, so lange sie sich in Versailles befand, zu frühstücken. Sie setzte sich daher auch heute zu diesem Zwecke in den großen schwer vergoldeten Lehnsessel von himmelblauer Seide mit kostbaren Stickereien, neben welchem das zierliche Frühstücktischchen stand, dessen Platte, von schönster florentinischer Mosaik, Psyche darstellte, in dem Momente, in welchem sie den schlummernden Götterknaben Amor überrascht, und, überwältigt von seiner Schönheit, den verrätherischen Tropfen glühenden Oeles auf seine Schultern fallen läßt.

Es bedurfte keines besonderen Befehles, das Frühstück zu bringen, denn kaum hatte Madame Platz genommen, als ihr auch schon eine ihrer Kammerfrauen die Chocolade, die mit dreifacher Vanille und Ambra angemacht war,47 in einer Tasse servirte.

Frau von Pompadour, obgleich damals schon vierzig Jahre alt und sehr häufig leidend, trug immer noch die Spuren großer Schönheit. Ihre Figur hatte etwas Königliches und war, trotz ihrer Stärke doch vollkommen proportionirt. Ihr blondes Haar zu einem, durch Federkissen im Inneren gehaltenen Thurme hoch in die Höhe gekämmt, ließ die natürliche schöne Färbung unter dem Puder freilich nicht erkennen; aber es war noch voll und reich vorhanden, wie zu den Zeiten, da sie, als Frau von Etioles die Herzen der ganzen Männerwelt und auch das des Königs von Frankreich gewann.[98] Ebenso ging es, wenigstens scheinbar, mit dem Teint, dem freilich Frau von Hausset, ihre Vertraute, durch die Farbe der Lilien und der Rosen – der Unschuld und der Liebe – bedeutend nachgeholfen und dessen Zauber, nach der damaligen Mode, verschiedene Schönheitspflästerchen noch erhöhen mußten. Was aber in seiner ganzen vollen Frische und Schönheit geblieben war, das waren die Augen, die groß und seelenvoll in die Welt schauten und in ihrem feuchten Glanze die alten Leidenschaften, aber auch Geist verriethen. Die Züge dieses Antlitzes trugen dabei das unverkennbare Gepräge eines unbändigen Stolzes, und doch hatte in ihnen die Hand der Zeit auch jene Liniamente angebracht, die so beredt von erlebten Schmerzen, getäuschten Hoffnungen und innerem Zerfall erzählen.

Von alledem schien sich freilich heute nichts geltend zu machen; denn die Marquise blickte heiter um sich und unterhielt sich vortrefflich mit Frau von Hausset, die ihr – wie gewöhnlich beim Frühstück – das Neueste aus der Chronique scandaleuse des Hofes erzählte, und daran war zu Versailles niemals Mangel.

Als aber das Frühstück eingenommen und dies schöne und unterhaltende Kapitel beendet war, frug Frau von Pompadour nach den eingegangenen Briefen; den da sie es war, die Frankreich in der That beherrschte, so wandte sich auch alle Welt vorab an sie, zumal ohne ihre Fürsprache und ihren Willen nicht die kleinste Stelle vergeben und keinerlei Regierungsmaßregeln getroffen werden durften.

Nachdem sie die eingegangenen Briefe und Bittschriften dann durchgelesen, pflegten gewöhnlich die Minister zur geheimen Berathung bei ihr einzutreten, namentlich Herr von Choiseul, der Minister der auswärtigen Angelegenheiten, des Krieges und der Marine, der ganz ihre Creatur war48, und sodann der Polizei-Lieutenant und der Post-Intendant;[99] Ersterer, um über die ausgeführten Polizeimaßregeln Rechenschaft zu geben, über die geheime Polizei zu berichten und neue Befehle entgegenzunehmen; Letzterer, um der Geliebten des Königs mitzutheilen, was die Tages zuvor eröffneten Briefe für Resultate geliefert.

Bei der Eröffnung der Briefe und Bittschriften war gewöhnlich – und so auch heute – Niemand zugegen als Frau von Hausset, die ihrer Herrin gewissermaßen auch als Secretair und Vorleserin in geheimen Dingen und Sachen des Vertrauens diente. So stand diese auch jetzt in einiger Entfernung hinter dem Sessel der Marquise, deren Befehle ehrfurchtsvoll erwartend. Aber Frau von Pompadour schien kein Gewicht auf die bis jetzt erbrochenen Schreiben gelegt zu haben, denn sie warf dieselben nach flüchtiger Durchsicht verächtlich zu Boden, indem sie gelangweilt ausrief:

»Diese ewigen Klagen und Bittschriften! Daß man dieser zudringlichen Menschen nie loswerden kann. Ist das ein Jagen nach Aemtern und Stellen! Ich glaube, würde man ein Land entdecken, wo man Gift athmete, aber Gold und Ehrenstellen fände, die Menschen würden sich auch dort um dieselben reißen!«

»Ehre und Geldgier,« – entgegnete die Hausset, – »sind eben die natürlichen Kinder der Ungleichheit der Stände und des Eigenthums, die jede Staatseinrichtung mit sich bringt.«

»Freilich!« – fuhr die Pompadour fort, ein größeres dreimal versiegeltes Couvert ergreifend. – »Im Staate aber ist die natürliche Gleichheit der Menschen unmöglich: sind also Ehrgeiz und Geldgier, wie du sagst, die natürlichen Kinder der Ungleichheit der Stände und des Eigenthums, so muß eine kluge Regierung auch diese Kobolde als Triebfedern ihres eigenen Willens und ihrer Plane sich dienstbar machen. Und ich glaube, meine Liebe, das verstehen wir. Da hat sich zum Beispiel gestern ein Herr von Estrades gemeldet. Er ist ein schöner, noch ziemlich junger Mann, aus sehr guter Familie, aber durch ein wildes ausschweifendes Leben zu Grunde gerichtet und so verschuldet, daß ihm nichts übrig bleibt, als eine Kugel. Er flehte mich auf den Knieen um eine Generalpächter-Stelle an, und versprach dagegen Leib und Seele für uns hingeben zu wollen. Sieh! solche Menschen sind in vielen Lagen des Lebens unschätzbar; – es sind Sclaven, die uns[100] persönlich nichts kosten, und die man zu ›Allem‹ ...... ich sage zu ›Allem‹ gebrauchen kann! Ich werde den jungen Mann nicht vergessen.«

Die Marquise hatte, während sie diese Worte zu ihrer Vertrauten sprach, das Couvert von seinen drei Siegeln befreit und eine kleine Druckschrift daraus entfaltet. Kaum aber waren ihre Blicke auf den Titel der Broschüre gefallen, als sie einen lauten Schrei ausstieß und das kleine Buch wie eine giftige Natter von sich warf.

Frau von Hausset eilte erschrocken herbei, und sich theilnehmend über ihre Gebieterin neigend, frug sie, bleich vor Schrecken, was ihr begegnet sei?

»Da! da!« – rief mit halb erstickter Stimme die Marquise, indem sie auf die Broschüre deutete, – »lies nur den Titel!«

Frau von Hausset gehorchte; aber auch ihr entschlüpfte ein Ausruf des Staunens, als sie die Aufschrift las:

»Ludwig XV. und der Hirsch-Park!« – »Unerhört! Unerhört!« – rief sie aus.

»Ja, bei Gott, unerhört!« – wiederholte Frau von Pompadour, die indessen aufgesprungen war und nun mit großen Schritten im Zimmer auf- und abging. – »Eine solche Frechheit, dem Könige gegenüber, ist unerhört! und daß eine solche Schrift gedruckt und veröffentlicht werden konnte, ist noch unerhörter! ..... Wo ist Choiseul, wo der Polizei-Lieutenant? .... für was sind diese Menschen da? ... für was erhalten sie ihre unermeßlichen Gehalte? ... Hab' ich dafür ihre Habgierde mit Gold gefüttert, dafür die enormen Summen für die geheime Polizei bewilligt, daß man mir und dem Könige solch' eine Beschimpfung in das Gesicht werfen darf?«

Und Frau von Pompadour riß mit eigener Hand die Flügelthüre auf, die nach den Vorzimmern führte, und rief mit vor Zorn bebender Stimme:

»Wo ist Herr von Choiseul? Wo sind die Minister?«

Glücklicherweise aber hatte die Stunde noch nicht geschlagen, in welcher diese bei der allmächtigen Beherrscherin Frankreichs täglich zu erscheinen pflegten, und Gourbillon, der schlaue und durchtriebene Kammerdiener der Marquise, – der recht gut wußte, um was es sich handelte, da die gedachte Broschüre bereits seit dem gestrigen Abend wie durch Zauber über ganz Paris verbreitet war – konnte dieselben mit Recht entschuldigen.[101]

Aber Frau von Pompadour war nicht gewohnt, bei ihren Launen Widerspruch zu finden. Sie stampfte daher zornig mit ihrem niedlichen Fuße den persischen Teppich, der den Fußboden ihres prachtvollen Boudoirs deckte, und rief:

»Sie sollen sogleich erscheinen!«

Gourbillon verbeugte sich ehrerbietig und Frau von Pompadour warf die Thüre hinter sich zu.

Aber sofort schien ein anderer Gedanke sie zu durchzucken. Rasch ergriff sie die silberne Klingel und ließ sie laut erschallen. Sofort öffnete sich die Thüre abermals, aber diesmal sehr leise, und Gourbillon erschien.

»Gourbillon!« – rief jetzt die Marquise noch immer vor Zorn glühend und mit funkelnden Augen: – »Was giebt es Neues in Paris!«

Einen jeden Anderen, außer dem Angeredeten, hätte diese Frage und der Zorn der Marquise außer Fassung gebracht. Gourbillon aber saß zu fest in der Gnade und war in zu viele Geheimnisse seiner Herrin eingeweiht, als daß er Madame gefürchtet hätte. Er blieb daher ganz ruhig; ja das ihm eigene stereotype und unterthänige Lächeln, das seine bleichen und schmalen Lippen umschwebte, dieses untrügliche Merkmal gallonirter Spitzbubenseelen, verschwand nicht einmal von seinen Lippen, als er, sich demüthig bückend und die Hände reibend, sagte:

»Wenig, Ew. Gnaden! Man scandalisirt sich« ....

»Ueber wen?« – rief die Marquise und ihre Augen funkelten wie die einer Löwin, der man die Jungen rauben will.

»Ueber die Tänzerin Marigni, die den Herzog von Gontaut ....«

»Was Gontaut, was Marigni!« – rief die Marquise, – »ist nicht von Seiner Majestät die Rede?«

»Das ich nicht wüßte!«

»Keine Verstellung, Gourbillon! Hast du nichts von einem infamen Pasquill gegen deinen Herrn gehört?«

»Von einem Pasquill, – nein!«

»Von einer Broschüre ...«

»Doch, Frau Marquise, doch, von einer Broschüre habe ich gehört.«

»Wie ist ihr Titel?«

»Gnädigste Frau!« – bat hier die Hausset, die eine noch gewaltigere Steigerung des Zornes bei ihrer Gebieterin[102] verhindern wollte, da sie mit Recht die Folgen einer solchen Ausregung fürchtete. »Gnädigste Frau, ich bitte Sie, beruhigen Sie sich!« – Aber die Marquise herrschte ihr ein so gebieterisches »Schweige!« entgegen, daß die Arme entsetzt zurückbebte.

»Wie ist ihr Titel?« – rief Frau von Pompadour noch einmal zu dem Kammerdiener gewendet.

»Ludwig XV. und der Hirsch-Park,« – entgegnete Gourbillon so ruhig, als ob von der gleichgültigsten Sache die Rede wäre.

»Und ist sie viel verbreitet?«

»Ueber ganz Paris!«

Die Marquise drückte bei diesen Worten ihr Taschentuch so fest vor den Mund, daß ihr das Blut aus dem Gesichte zurücktrat, was bei der bleibenden Röthe der geschminkten Wangen und den schwarzen Schönheitspflästerchen wahrhaft entsetzlich aussah. Aber es war dies nur ein Moment, dann sagte sie mit wiedergewonnener Kraft:

»Es ist gut, Gourbillon; – laß jetzt die Minister bescheiden.«

Der Kammerdiener verbeugte sich und verschwand; aber in demselben Augenblick schrie auch die Marquise auf und sank, beide Hände auf ihr Herz gedrückt, ohnmächtig in die Arme ihrer Kammerfrau.

Es bedurfte wohl zehn Minuten lang der angestrengtesten Bemühungen der Frau von Hausset, bis die Marquise wieder zu sich kam; dennoch rief die erstere aus zarten Rücksichten Niemand zu Hülfe. Dies erkannte denn die Erwachende auch sogleich, und indem sie ihrer Vertrauten mit einem leisen Druck der Hand dankte, sagte sie:

»Es ist vorüber! Der Herzkrampf hat mich einmal wieder erfaßt. Aber«, – fuhr sie dann fort, sich den kalten Schweiß auf der Stirne trocknend, – »jetzt muß ich vor allen Dingen wissen, was in dem Wisch steht.«

»Gnädigste!« – rief entsetzt die Hausset, – »wollen Sie sich mit Gewalt krank machen? Ich beschwöre Sie bei Allem, was Ihnen heilig ist, legen Sie das Buch weg. Werfen Sie es mit Verachtung in das Feuer. Sie kennen ja längst die Angelegenheiten des Hirsch-Parkes; .... Sie selbst, meine Gnädigste, haben ja in der Großmuth Ihres edlen Herzens die kleinen Schwächen Seiner Majestät geschont ....«[103]

»Sage lieber,« – versetzte die Pompadour jetzt wieder mit festem Tone, – »ich habe mir selbst zumeist diese kleinen Rivalinnen gegeben, weil ich dadurch im Stande war, den König vor größeren Leidenschaften, die mir hätten gefährlich werden können, durch unbedeutende und nichtssagende Wesen, zu bewahren

»Nun,« – rief die Hausset, – »und dennoch konnte Sie dies elende Buch so sehr erzürnen?«

»Wahrlich nicht aus Eifersucht!« – entgegnete stolz die Marquise, – »wohl aber, weil es eine Frechheit ist, die geheimen Angelegenheiten seines Königs bloszustellen. Doch ich muß die Art und Weise kennen, wie dies geschehen. Gieb mir das Buch!«

Frau von Hausset wagte jetzt nicht mehr zu widersprechen. Sie gehorchte daher und die Marquise durchflog die Schrift. Aber sie hatte noch keine fünf Minuten darin gelesen, als sie ausrief:

»Meinen Kopf zum Pfande, dies Pamphlet hat Diderot zum Verfasser, nur er vermag so beißend zu schreiben; – nur er hat die Stirne, mit solchen schneidenden Sarcasmen seinem Herrn und König entgegen zu treten. Und um was dreht sich die ganze Sache? ... um eine Närrin, .... oder besser gesagt, um eine eitle einfältige Thörin, die man, um ihr den Uebermuth zu vertreiben, auf einige Zeit in ein Irrenhaus gesteckt. Indessen .... hier muß Abhülfe geschafft werden; ... man muß dem albernen Ding den Mund auf andere Weise stopfen, sonst giebt es böses Blut! .... Aber wie?«

»Wenn ich es wagen dürfte,« – faßte hier die Hausset – »würde ich Madame an den vorhin erwähnten jungen Mann erinnern.«

»An den Herrn von Estrades?« – rief die Marquise mit leuchtenden Blicken.

»Bei Gott, Du hast recht! Das kommt wie gerufen! Es ist eine Generalpächter-Stelle frei! Nimmt Estrades die Kleine, die gar nicht übel ist, in den Kauf, soll er die Stelle haben, und ich denke, das Mädchen soll auch zufrieden sein, in ein alt-deliges Haus zu heirathen. Für Estrades bangt mir es nicht ....« setzte sie dann nachdenklich hinzu ... – »wenn nur der kleine Trotzkopf keine Schwierigkeiten macht.«

»Nun,« – meinte die Hausset, – »die Wahl zwischen Wasser und Brod in einer Zelle des Irrenhauses und dem[104] glänzenden und heiteren Leben an der Seite eines schönen jungen Mannes von Adel, der Generalpächter wird, dünkt mir eben nicht zu schwer.«

»Nur muß alles klug eingeleitet werden, so daß die Heirath – kommt sie zu Stande – und sie muß zu Stande kommen, – dies alberne Pasquill Lügen straft!« – fuhr Madame fort. – »Estrades muß öffentlich bekennen, daß er jenen polnischen Grafen gespielt, den in Wahrheit der König machte. Kann sie dann durch Geld und Brillanten dahin gebracht werden, einzustimmen, so haben wir gewonnen.«

»Und wen wollen Madame mit dieser – wenigstens in Betreff des Mädchens – vielleicht schwierigen Aufgabe betrauen?« – frug jetzt die Kammerfrau.

»Wen anders,« – versetzte Frau von Pompadour, – »als Gourbillon, der ja alle diese Sachen besorgt, und der schon weit schwierigere Dinge geordnet hat. Eile sogleich zu ihm, bringe ihm diese fünfzig Louisd'or, setze ihm die Sache auseinander und sage ihm namentlich, daß er die strengste Sorge trage, damit dies Pasquill nicht bis zum Könige dringe, derselbe auch von seinem Dasein keine Sylbe vernehme. Eile!« – rief die Marquise – »denn ich höre Geräusch im Vorzimmer, die Minister werden eingetroffen sein. Wir wollen eine Partie spielen, die entweder Diderot oder der Herr Polizei-Lieutenant theuer bezahlen soll.«

Und Frau von Pompadour beurlaubte mit einem Winke ihre Kammerfrau, während Gourbillon die Herren Minister anmeldete.

»Sie sollen kommen!« – herrschte die Marquise stolz, indem sie sich nachlässig in ihrem Sessel zurücklegte und einen weiteren Brief erbrach.

Der Staatsminister Herzog von Choiseul und der Polizei-Lieutenant Graf de Lusace traten ein.

Beide blieben an der Thüre stehen und verneigten sich tief, – tief, wie vor dem Könige, und doch war das Weib, das ihnen gegenüber saß und sie gar nicht zu bemerken schien, nur die uneheliche Tochter des Pächters von La-Fertésous-Jouarre, der wegen Betrügereien hatte flüchten müssen. Aber was kann die Liebe eines Königs nicht? Mademoiselle Poisson, später Frau von Etioles, war jetzt Marquise von Pompadour, Beherrscherin Frankreichs, die selbst die Kaiserin von Oesterreich, die stolze Maria Theresia, in[105] einem eigenhändigen Schreiben »ma chère cousine« genannt hatte. Sie war die »Macht«, und der »Macht« huldigt die Welt.

Choiseul und Lusace verharrten daher mit geneigtem Haupt an der Thüre des Boudoirs, bis es der Marquise gefiel, sie bemerken zu wollen.

»Ah!« – sagte sie dann mit einer kaum sichtbaren Kopfbewegung – »die Herren Minister! – ... Treten Sie näher, meine Herren!«

Aber ihr Blick war bei diesen Worten so finster, in ihren Zügen arbeitete so deutlich ein verhaltener Zorn, daß beide Herren jetzt lieber einer Armee Feinde als diesem leidenschaftlichen, herrschsüchtigen Weibe gegenüber gestanden hätten. Dennoch galt es, sich zu fassen, und Herr von Choiseul sagte daher mit anscheinender Ruhe:

»Die gnädige Frau Marquise haben befohlen zu erscheinen, als wir gerade auf dem Wege hierher waren, und wir finden Sie schon mit Staatsangelegenheiten beschäftigt. Bei Saint Denis! Frankreich darf sich Glück wünschen, daß eine so thätige als schöne Hand das Steuer seines Staatsschiffes leitet!«

»Ich wache wenigstens für das Land und den König,« – versetzte Frau von Pompadour mit stolz zurückgeworfenem Haupte und finsteren Mienen, – »wenn diejenigen schlafen, welchen diese Pflicht am heiligsten sein sollte.«

»Die Frau Marquise kann gewiß damit uns nicht meinen!« – versetzte, so unbefangen als möglich, der Herzog. – »Sie weiß ja, wie ergeben Choiseul und Lusace Ihren und des Königs Interessen sind.«

»O ja!« – rief höhnisch auflachend die Marquise, – »halte ich doch den Beweis dafür in den Händen!«

»Welchen Beweis?« – stammelten Beide. Frau von Pompadour warf einen durchdringenden, zornigen Blick, in dem sich zugleich ein grenzenloser Hochmuth spiegelte, auf die Minister, die verwirrt vor ihr standen; dann nahm sie langsam die unselige Druckschrift und sie dem Grafe de Lusace hinreichend, sagte sie mit beißendem Tone:

»Wir gratuliren Frankreich zu einem Polizei-Mini ster, der – trotz seiner öffentlichen und geheimen Polizei, trotz der Millionen, die wir auf dies wichtige, zur Sicherung der Ruhe und der Ordnung so unentbehrliche Institut verwenden, nicht[106] einmal den Druck und die Verbreitung einer solchen, für Seine Majestät so beleidigenden Schandschrift verhindern kann!«

In der That hatte sich jetzt eine Todtenblässe auf den Angesichtern beider Herren gelagert, denn sie kannten dies verhängnißvolle boshafte Pasquill, das Ludwig XV. auf eine um so verletzendere Weise bloßstellte, als es nur zu sehr in der Wahrheit begründet war, seit gestern sehr gut.

»Nun!« – rief die Marquise zornflammend – »wie kommt es, Herr Graf, daß dies Buch erscheinen konnte?«

»Gnädigste!« – entgegnete der Polizei-Lieutenant mit unsicherer Stimme – »ich habe seit gestern Abend kein Auge geschlossen, keine Minute unthätig und außer Amt verbracht; ... alle mir zu Gebot stehenden Hebel sind in Bewegung gesetzt ... aber vergeblich, ... bis jetzt konnten so wenig die Verbreiter und die Urheber dieses Pasquills, als der Schreiber des unverschämten Briefes an den König entdeckt werden, dessen Abschrift auch an Sie gelangte.«

»Einen Brief an den König?« – rief die Marquise überrascht – »dessen Abschrift an mich gelangte? Ich habe keine erhalten!«

»So liegt sie wohl noch versiegelt vor Ihnen!« – entgegnete, durch diesen Beweis seiner Allwissenheit etwas freier aufathmend, der Graf. – »Belieben die Frau Marquise nur jenes Couvert mit dem schwarzen Rande zu öffnen. Auch ich erhielt dies frevelhafte Schreiben, welches durch unsichtbare Hände in mein Hôtel kam, denn die Post passirte keine der drei Abschriften.«

Frau von Pompadour riß hastig das bezeichnete Couvert auf und entfaltete den darin liegenden Brief. Es war das bei Holbach verabredete Schreiben. Eine dunkle Röthe des Zornes überflog ihre schönen Züge beim Lesen desselben, und eben wollte sie ihrem Unmuthe mit der vollen Leidenschaft, die ihr eigen, die Zügel schießen lassen, als sich ein Geräusch vernehmen ließ. Entsetzt sprang sie auf und lauschte nach dem geheimen Gang, der von des Königs Gemächern zu den ihren führte. »Der König!« – rief sie dann hastig, indem sie den beiden Herren durch einen Wink bedeutete, sich rasch zu entfernen. Aber noch hatten diese sich nicht umgewandt, als sich die Tapetenthüre öffnete und Ludwig XV., einen Brief in der Hand, eintrat.[107]

Auch er war heftig erregt und seine bleichen verlebten Züge durschoß blitzartig jenes Nervenzucken, welches immer ein Beweis höchster Erregung bei ihm war, und wenn auch von ihm gar nicht gefühlt, doch unendlich peinlich auf seine Umgebung wirkte.

»Es ist Uns lieb, Sie hier zu finden!« – rief der Monarch noch in der offenen Thüre, als er seine Minister erblickte, die sich, als sie sahen, daß es zu spät sei, sich zu entfernen, schnell mit tiefer Verbeugung nach ihm gewandt.

»Es ist Uns lieb, Sie hier zu finden! ..... Bleiben Sie daher, meine Herren, Wir haben Wichtiges zu berathen!«

Und sich leicht vor Frau von Pompadour neigend, ergriff er deren Hand und sagte, indem er sie an seine Lippen führte:

»Welchen Dank schuldet Unser Herz der Frau Marquise, die mit so freundlichem Eifer Uns die tausend und abertausend Sorgen der Regierung zu erleichtern sucht. Bei Gott, Madame, Sie haben Uns zu sehr verwöhnt, und eben darum rüttelt Uns vielleicht die Vorsehung von Zeit zu Zeit aus Unseren Träumen auf, wie dies heute wieder geschehen.«

»Ich hoffe, daß dies wenigstens nicht auf unangenehme Weise der Fall war?« – versetzte mit fast hörbarem Herzklopfen die Geliebte des Königs.

»Doch!« – entgegnete Ludwig und die Falten seiner Stirne zogen sich finster zusammen. – »Setzen Sie sich, meine Liebe, und lesen Sie dies Schreiben.«

Der König führte dabei Frau von Pompadour nach ihrem Sessel zurück, und während er sich selbst in einen andern warf, überflogen die Blicke der Marquise mit Hast die Zeilen des dargereichten Briefes.

»Majestät!« – sagte sie dann – »Sie haben mich mit den Herrn Ministern gerade in dem Augenblicke überrascht, als wir Rath pflogen, aus welcher Quelle des Giftes und des Hasses dieser schmachvolle, frevelhafte Brief geflossen sein möchte.«

»Wie?!« – rief der König überrascht. –

»Sie wissen um dies Schreiben?«

»Ja, mein Fürst!« – versetzte Frau von Pompadour – »mir und dem Herrn Polizei-Lieutenant hat man Abschriften davon mitgetheilt; dem Herrn Grafen Lusace Unzweifelhaft,« – setzte sie schneidend hinzu – »um ihm die Mühe der Nachforschung zu ersparen.«[108]

Der Graf zuckte zusammen, aber der König rief: – »Als ob es hier Nachforschung bedürfte; wer anders hat dies elende Machwerk verfaßt, als der Herr Abbé von Bernis, der, seit Wir ihn vom Hofe verbannt, sich mit den Jesuiten gegen Uns verbündet hat.«

Aber diese Ansicht schienen die übrigen Anwesenden nicht zu theilen. Die Marquise schüttelte daher mit dem Kopfe und sagte: »Sire! Sie trauen dem guten Abbé zu viel zu. Zu diesem perfiden Aktenstück hat er weder den Muth noch den Verstand. Auch ist er ja Ew. Majestät zu Dank verpflichtet, da Sie ihm den Cardinalshut verschafft.«

»Wir haben ihm denselben hingeworfen!« – rief Ludwig XV. finster – »wie man einem bösen Hund einen Knochen hinwirft; – und hat er auch den Brief nicht verfaßt, so stammt er doch von seinen Freunden.«

»Herzog!« – sagte jetzt die Pompadour – »was ist Ihre Meinung?«

»Wenn ich es wagen darf, hier meine Meinung auszusprechen,« – versetzte der Herzog von Choiseul – »so glaube ich eher, daß der Brief ein neues Machwerk der verwegenen und revolutionären Partei der Encyklopädisten ist.«

»Dann wäre die Stelle gegen die Aufklärer nicht darin!« – meinte der König.

»Wenn sie keine Finte ist, das Auge der Polizei zu täuschen und sie auf falsche Wege zu führen!« – versetzte Choiseul.

»Und was meint Ihr, Lusace?« – frug Ludwig weiter.

»Ich theile die Meinung des Herzogs!« – entgegnete der Gefragte – »es ist ganz die Sprache Diderots

»Und auch ich stimme dieser Meinung bei!« sagte die Marquise. – »Es sind dies die unseligen Früchte der Spöttereien Voltaire's, der alles Heilige in den Staub zieht, und der albernen Schwärmereien Rousseau's, der von einem Utopien träumt, das die Welt nie finden wird.«

»Aber!« – rief jetzt der König und es zuckte wie ein vernichtender Blitz über sein Antlitz – »der Brief ist Hochverrath, er tritt Unsere von Gott erhaltene Souverainetät mit Füßen! Das Volk ist die rohe Kraft, die Regierung das Organ, der Kopf, die Seele des Staates, die Vereinigung beider[109] ist die politische Macht, aber diese Macht ist nichts, wenn sie nicht in einer Hand ruht und von der Souverainetät getragen wird.«

»Darum Sire!« – versetzte die Marquise – »lassen wir um Gottes Willen diese Ideen nicht aufkommen. – Das Zwangsgesetz des Staates ist das Bindemittel der menschlichen Gesellschaft; wer dies Bindemittel lockert oder löst, ist ein Verräther an ihr!«

»Und sollen wir Gewalt gegen die Encyklopädisten anwenden?« – frug der König. – »Sollen Wir Holbach, d'Alembert, Grimm, die Prinzessin Carignan, die Gräfin Tessé, die Espinasse aufheben und nach der Bastille senden?«

»Majestät!« – rief hier der Herzog von Choiseul besorgt – »um Gottes Willen nicht! das hieße Feuer an eine Pulvertonne legen.«

»O der Klugheit!« – versetzte hohnlächelnd Frau von Pompadour. – »Choiseul ist ein großer Diplomat. Sollen wir warten, bis jene unruhigen Köpfe zu der einen Pulvertonne noch hunderte hinzugetragen und dann der Blitz hineinschlägt? Wenn bei einem Schiffbruch zwei Menschen ein und dasselbe Brett ergreifen, das nur Einen tragen kann, so muß der schwächere herunter. Noch hat kein Gebot!«

»Vergebung!« – sagte Choiseul – »ist auch die Sache so ernst? Mir däucht: beim Lichte betrachtet sind auch die Ansichten dieser Menschen nichts als Gegenfüßelei, Unzufriedenheit aus Eitelkeit!«

»Die Eitelkeit maß die Mutter der Ausgeburten Diderot'scher Ansichten sein« – fuhr die Pompadour fort – »aber wenn diese Witze und Bosheiten nun Drachenzähne wären, die mit der Zeit zu einer furchtbaren Ernte würden?«

»Am vernünftigsten wäre es am Ende,« – sagte jetzt der König – »wenn man diese Menschen gewönne. Die lautesten Schreier und Lästerer der Regierungen, wenn sie ein warmes und einträgliches Plätzchen, einen Titel, einen Orden oder sonst eine ähnliche Spielerei erhalten, schweigen und sterben ab, wie die Fische außer dem Wasser. Wir kennen diese Menschenbrut!«

»Das Herz Ew. Majestät ist zu gut!« – versetzte kopfschüttelnd die Marquise, der es indessen während dieses Gespräches viel leichter geworden war, da aus der Nichterwähnung des Pasquilles über den Hirsch-Park von Seiten des Königs klar[110] hervorging, daß dieses nicht bis zu ihm gedrungen. Sie widersetzte sich daher auch nicht weiter, als Ludwig – dessen Zorn sich, wie immer, rasch gelegt – jetzt ausrief: »Wir sind überhaupt thöricht, aus der ganzen Sache viel zu machen. Es schadet Unserer Gesundheit und« – setzte er mit einem Blick auf Frau von Pompadour hinzu – »raubt Uns Stunden, die Wir besser verbringen können. Choiseul und Lusace: Ihr setzt jedenfalls Eure Forschungen fort; – man muß wenigstens seine Feinde kennen. Zeigt die Spur auf den Abbé, wird es Uns sofort berichtet; ergiebt es sich aber, daß sie nach dem Hôtel Holbach führt, läßt man die Sache fallen. So lange Holbachs Koch noch so vortreffliche Pasteten liefert und sie sich die Lorbeeren zu ihren Kränzen von seinen Schweinsköpfen nehmen, sind sie unschädlich. Gourmands können fanatische, revolutionäre Schreier sein; aber ... sie stürzen keinen Staat, denn sie lärmen nur um der Verdauung willen!« Und nun, meine Herren, sagen Wir mit Unserem großen Ahn: »tel est notre bon plaisir!«

Und der König machte eine leichte verabschiedende Handbewegung, worauf sich der Herzog von Choiseul und der Graf von Lusace unter tiefen Verbeugungen zurückzogen.

Quelle:
Heribert Rau: Mozart. Ein Künstlerleben. Berlin 4[o.J.], S. 97-111.
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