4.

Der kleine Virtuos.

[29] Und was der Vater prophezeit, schien sich immer mehr und mehr verwirklichen zu wollen. Wolfgang machte von nun an so ganz außerordentliche Fortschritte, daß er in seinem fünften Jahre schon kleine Stücke componirte, die er seinem Vater vorspielte und von diesem kunstgerecht zu Papier bringen ließ.14

Der Vater erkannte denn auch alsobald, daß er der Welt in seinem Kinde ein Genie geschenkt, und so setzte er Alles daran, die Ausbildung seines Sohnes auf das sorgsamste zu leiten.

Wenn der berühmte Claude Lorrain als Kind von den Meistern der Schneider-, Maurer- und Pastetenbäckerzunft entlassen worden war, weil er keines dieser Handwerke fassen konnte und allen seinen Meistern zu ungeschickt erschien, zu[29] Rom aber, in dem Palaste eines Cardinals, bei dem Anblicke der großen Werke der Kunst, eine Kohle ergriff und eine so tüchtige Zeichnung entwarf, daß ihn der Cardinal auf der Stelle in eine Zeichnenschule schickte, – so waren des kleinen Mozart's musikalische Anlagen und die Entwicklung und Aeußerung seines Genie's wahrlich nicht minder überraschend.

In der That war die außerordentliche Fertigkeit, die er auf dem Clavier besaß, und die tiefe Einsicht in die Kunst, in einem Alter, wo Kinder sonst noch gewöhnlich keinen Kunsttrieb äußern, erstaunend und über alle Begriffe. Was man ihm lehren wollte, davon schien sein Geist schon eine dunkle Ahnung gehabt zu haben, die zur völligen Deutlichkeit nur einer Erinnerung bedurfte.

Aber nicht allein in der Musik, – nein! in Allem, was man den kleinen Wolfgang Amadeus lehrte, zeichnete er sich aus. Ein ganz besonderes Talent zeigte er zum Beispiel auch für Mathematik, die dem musikalischen Genius so nahe verwandte Wissenschaft, so daß er in kurzer Zeit ein ungemein gewandter Rechner ward, und die verwickeltsten arithmetischen Aufgaben mit Leichtigkeit im Kopfe löste.

Wunderbare Erscheinung! – zwei Jahre rauschten noch an dir vorüber, und dem sechsjährigen Claviervirtuosen öffnete sich die Welt!


Es war am Feste des heiligen Franziskus, als sich mit der Frühe des Morgens eine ansehnliche Gesellschaft aus allen Ständen auf dem Schiffe zusammenfand, welches damals Jahr aus, Jahr ein, die regelmäßige Fahrt von Linz nach Wien machte.

Das Stück der Donau, das man zwischen Linz und Wien befährt, ist ohne Zweifel der herrlichste Theil des ganzen großen Flusses, denn es haben sich hier Natur und menschliche Cultur in einem so hohen Grade bemüht, die Ufer und Umgebungen reich zu schmücken, wie sonst nirgends mehr auf der ganzen, vierhundert Meilen weiten Strecke des Flußlaufes. Und all das Schöne und Große, all das Anmuthige und Interessante, all diese geschichtlichen Denkmäler und die von der Natur geschmückten Landschaften an unseren geistigen und leiblichen Augen vorübergehen zu lassen, scheint ein zauberischer Traum und versetzt den empfänglichen Geist in einen entzückenden Rausch.[30]

Die Römer, als sie hier noch haus'ten, haben wohl freilich nichts von diesem Rausch gekannt, und ihnen erschien sicher ein Aufenthalt an den damals noch so furchtbar wilden Donauufern nicht anders, als eine schwere und drückende Verbannung von ihrem sonnigen Vaterlande. Und doch! – gerade an dieser schönsten Strecke der Donau hin bis nach Vindobona (Wien) hatten sie ihre vorzüglichsten Kampfplätze und Schlachtfelder mit den Germanen. Das linke Ufer der Donau nannten sie Frons Germaniae (die Stirne Deutschland's) und das rechte, das sie besetzt hielten, die Supercilia Isthra (die Augenbrauen der Donau15.) Und wie mochten ihre Erzählungen wohl klingen, wenn sie von dieser äußersten, kalten Nord grenze ihres schönen Reiches Nachricht sandten an die Ihrigen im fernen lieblichen Italien, und ihnen Schilderungen machten von den Runzeln, Auswüchsen, Zacken, Felsen und Hörnern der rauhen Stirne der gewaltigen Germania, oder von den dichten, wilden und finsteren Waldungen und den Schilfsümpfen ihrer eigenen Lagerstätten.

Wahrlich, wenn irgendwo, so ist hier ein Fleckchen Erde, um die Wandlung der Dinge und den Umschwung der Begebenheiten zu bewundern. Die finsteren Augenbrauen der Donau sind gelichtet, unter dem Beile und dem Pfluge – diesen Scheermessern der Cultur. – Die Häupter der unbändigen Auerochsen, die einst hier gehaus't, fängt man nun, versteinert, wie zahme Fische, aus dem Grunde des Flusses. Die Gefilde sind mit dem reichsten und schönsten Anbau bedeckt, und von den Waldungen blieb nur so viel, als der Maler gern hat zur Würze und Hebung des milderen Ausdruckes der Wiesen und Aecker. Die Stirne Deutschland's und das, was sonst äußerste Grenze war, bilden nun den innersten Kern eines großen Reiches, und der verworfene Baustein ist zum Eck- und Grundstein geworden, denn hier liegt das Fundament und die Wiege der österreichischen Monarchie.

An dieser Stirne Deutschland's hin, den schönen, prächtigen Donaustrom von Linz nach Wien hinabzufahren, hatte sich also eine beträchtliche Gesellschaft auf dem »Wochenschiff« eingefunden. Es waren reisende Kaufleute und Geistliche, Holzhändler und jüdische Spekulanten, Bauern und Bäuerinnen, Männer, Weiber und Kinder. Auch eine ganze Familie, –[31] aus Vater, Mutter, einer elfjährigen Tochter und einem sechsjährigen zarten Knaben bestehend – war darunter. Alle aber hatten sich so gut als möglich in Ueberwürfe, Mäntel oder Tücher gehüllt; denn wenn man auch erst Mitte October stand, so war es diesen Morgen doch recht unangenehm kalt.

Ein dicker Nebel hing nicht nur wie ein undurchdringlicher Schleier über die Berge herab, – nein! – er verhüllte selbst die schwarzen, mit goldenen Arabesken so hübsch verzierten Thurmspitzen der Stadt Linz. Aus dem Nebel aber entwickelte sich allmälig ein feiner durchdringender Regen, der allgemach stärker und stärker wurde, und es schien daher, als wolle es einen jener unausstehlichen trüben und traurigen Herbsttage geben, wie wir deren in Deutschland so viele zählen.

Ganz natürlicherweise spiegelte sich aber das Wetter auch auf den Gesichtern der Reisenden ab, die sämmtlich finster und verstimmt in den nebligen Morgen hinausschauten und fröstelnd oder gähnend nach einem Plätzchen in dem einzigen verdeckten Raume suchten, den das Fahrzeug aufzuweisen hatte.

Nur auf eine Person der ganzen Gesellschaft schienen Nebel, Regen und Frost keinen Eindruck zu machen, und diese einzige Person war jener sechsjährige Knabe, der mit der ganzen sorglosen Freudigkeit, die Kinder gewöhnlich auf Reisen erfüllt, alles um sich her beobachtete, weil ihm ja alles eine neue Erscheinung war.

Der Junge sah drollig genug aus, denn über seine sonst nette und sehr reinliche Kleidung hatte mütterliche Vorsicht und Liebe heute Morgen, wahrscheinlich aus Mangel eines Mantels – an den man, bei der vorher so schönen Witterung gar nicht gedacht hatte – einen jener Teppiche geschlagen, wie sie noch bis in die letzten Jahrzehnte von den Tyrolern auch bei uns auf Messen und Jahrmärkten feil geboten wurden. Da aber der so Eingehüllte klein und schmächtig war, so hing der also improvisirte Mantel ihm von den Schultern bis zu den Sohlen herab, und gab ihm, nebst dem breitgekrämpten Hute, das Aussehen eines kleinen Slowaken.

Aber wie lebendig und feurig blitzten die Augen unter dem Hute hervor: welch kluges, sinniges Lächeln umspielte den feinen Mund, als er nun die verschiedenen Gruppen beobachtete, die sich indessen in der engen, schmutzigen und dunklen Cajüte gebildet hatten.[32]

Dort in der Ecke saß ein dicker geistlicher Herr, in einen schweren, bis zur Erde reichenden schwarzen Tuchüberrock gehüllt, den dreigespitzten Hut tief in den Kopf gedrückt, die Hände auf dem Bauche gefaltet, – und vollendete unter lautem Schnarchen seinen unterbrochenen Morgenschlaf.

Nicht weit von ihm – und mit dem frommen Schläfer stark contrastirend – hatten sich zwei wohlhabende Bauern postirt, deren dicke, bläulichrothe Nasen ganz zu dem Geschäfte paßten, mit welchem sie den unbehaglichen Herbstmorgen zu überwinden strebten und das unserem kleinen Beobachter viel Freude zu machen schien. Denn so oft einer der Bauern ein Gläschen Branntwein ansetzte und den Inhalt unter Kopfschütteln und Gesichterschneiden hinuntergoß, drehte sich der Kleine lachend nach den Eltern um, als wolle er sagen: »Habt Ihr die drolligen Kerls gesehen, wie sie sich mühen, das wüste Zeug zu schlucken und doch immer wieder neu eingießen?«

War es aber Ueberdruß an diesem Anblicke oder der starke Geruch des Getränkes, der Knabe wandte sich bald von den Bauern ab, und da fiel denn freilich sein Blick auf ein anziehenderes Bild.

Den Bauern gegenüber saß ein nettes, junges Weib in der malerischen Tracht der schönen Linzerinnen. Sie hatte ein eng anschließendes Mieder von dunkler Farbe an, und um ihr schlicht gescheiteltes Haar trug sie ein schwarzes »Tüchl,« das – nicht ohne eine gewisse coquette Weise geknüpft – die langen Enden zur Seite herabfallen ließ. Ihr blühendes Gesicht mit den frischen, rothen Wangen und den glänzenden Augen strahlte vor Gutmüthigkeit und Mutterfreuden: denn sie hielt zwischen den Knieen ein allerliebstes Kind, das den zwanzig Tauben, die sich vor ihm in einem großen Korbe befanden, Brodkrumen zuwarf und laut aufjauchzte, sobald eine derselben flügelschlagend und aufflatternd die hingeworfene Speise glücklich erwischte.

Doch wer tritt jetzt zwischen den Knaben und die hübsche Mutter mit dem blondlockigen Kinde, alle Aussicht versperrend? Es ist ein Handelsjude mit seinem Kram von hundert und aber hunderterlei Dingen. Er bietet dem kleinen Mozart – denn wer anders sollte der kleine Mann sein – Bürsten und Kämme, Taschenmesser und Seife, Spielzeug und Hosenträger, Schuhschnallen und Bilder, alles durcheinander an. Wolfgang zuckte mit der Hand nach der Tasche, er hätte für sein[33] Leben gern das Eine oder das Andere erhandelt, aber die Tasche war leer und ein Blick auf den Vater vertrieb ihm alle Lust; denn die strengen und ernsten Züge des Herrn Vice-Capellmeisters sagten: »Junge! die Reise kostet schon Geld genug!«

Aller weiteren Verführung zu entgehen, bat Wolfgang daher um die Erlaubniß, auf das Verdeck steigen zu dürfen, da der Regen nachgelassen habe. Sie ward ihm ertheilt, doch begleitete ihn der Vater, dem es ohnehin schon lange in dem unteren Raume bei den vielen Menschen und verschiedenen Gerüchen zu eng geworden war.

Es fielen jetzt nur noch einzelne Tropfen, ja der Nebel schien sich verziehen zu wollen. Wenigstens war er in einem sichtbaren Kampfe begriffen: bald steigend, bald fallend, – bald sich wie ein Schleier verdichtend und dann wieder zerreißend. Da ließ sich ein leichter Wind verspüren und plötzlich – wie auf einen Zauberschlag – war er verschwunden! Das war ein Jubel! Man hatte einen abscheulichen Tag gefürchtet und nun strahlte die liebe Sonne so hell und prachtvoll vom rein blauen Himmel herab, wie kaum am schönen Sommertage; die Erde lachte so frisch und heiter, prangte so wundervoll in dem bunten Farbengemisch des Herbstes, als wäre sie eben neugeboren aus dem Meere der Unendlichkeit emporgestiegen.

Natürlich kam jetzt auch Alles auf das Verdeck, und zwar mit welch' anderen Gesichtern. Der geistliche Herr rieb sich vergnügt den Schlaf aus den Augen; die Bauern vergaßen ihr Frühstück und dehnten sich unflätig, als wollten sie sich vorbereiten, die frische Luft zu durchschwimmen. Die Mutter tänzelte mit seligen Blicken ihr Kind auf dem Arme und zeigte ihm die vorüberziehenden Bäume und Häuser. Zwei Minoriten und ein Benedictiner theilten, aus Dankbarkeit für den glücklichen Wechsel in der Witterung, Heiligenbilder aus, nur der Jude ließ sich nicht beirren und ging mit seinem Krame und dem ewig gleichförmigen und gleichtönenden: »Nichts zu handeln?« von einem Passagiere zum andern.

Wolfgangerl aber war seelenvergnügt. Von seiner Decke befreit, sprang er bald dort und bald dahin und zeigte sich mit allen Anwesenden so vertraulich, als wenn er sie schon seine ganze Lebenszeit hindurch gekannt hätte. Besonders gefiel ihm der Benedictiner, der seinen vielen Fragen am freundlichsten[34] antwortete, und in dem auch der Vater einen recht gebildeten Mann erkannte. Er führte ihn daher zur Frau und Tochter, und bald war das Gespräch allgemein.

Und welche Abwechslung bot sich nun den Blicken der Reisenden dar. Wolfgang und seine Schwester waren außer sich vor Freude und Entzücken!

Diese Auen mit Espen, Erlen, Linden, Pappeln, Ahorn, Weiden und Gebüschen aller Art; diese Buchten und kleine See'n mit Tausenden von wilden Enten, Reihern, Kranichen und Möven bevölkert. Hier Fischer, die ihre Netze auswerfen, dort Jäger, die die Höhlen und Wohnungen der Biber suchen. Dann wieder ein Floß mit singenden Ruderschlägern oder am Ufer hin 30 bis 40 Pferde – ein Schiff den Strom hinaufziehend – jedes mit einem »Stangenreiter« besetzt und aus allen 30 oder 40 Kehlen das »Ho! Ho! Lasse ha!« – und das Knallen von ebensoviel Peitschen und das in Bewegungsetzen von viermal vierzig Pferdefüßen! Und alle die Burgen und Ruinen und Schlösser: Steyeregg, das Schloß der alten Kuhenringer, – Lichtenberg, die Burg der »von Starhemberge,« – Tillysburg, die alte Festung der Volkersdorfe, welche Kaiser Ferdinand seinem Feldhauptmann »Tilly« schenkte, – Spielberg, der Sitz der Ritter von Spielberg – und die Schlösser im Schilfe versteckt, und die zahllosen Dörfer und Klöster und Abteien!

Es war eine Pracht, – es war hinreißend!

»Ja! ja!« – sagte jetzt der Bruder Benedictiner, als er gewahrte, wie Kinder und Mutter staunten, und selbst der Vater, der doch die Gegend kannte, vor Entzücken verstummt war, – »Ja! ja! die Donau, dieser mächtige, schiffbare Fluß, ist der große elektrische Leiter für alle die Völker gewesen, die von dem Wirbel der Ereignisse in seine Gebiete geführt wurden. Daher diese vielen baulichen Denkmäler aller Zeiten. Die Völker hielten an der Donau, als an der Hauptpulsader ihres Lebens, fest und griffen von ihren Ufern aus, an beiden Seiten, so weit um sich, als es die Verhältnisse gestatteten.«

»Und wer that dies?« – frug hier Wolfgang.

»So breiteten sich die Ungarn auf beiden Seiten der Donau aus!« – erwiderte der Mönch – »so griffen die alten Oesterreicher rechts und links derselben um sich, – so schrieben die Baiern auf beiden Ufern das Land sich zu, und ebenso fanden sich die Schwaben zur Rechten und Linken der Donau[35] ein. Alle Länder, Würtemberg, Baiern, das Land ob und das Land unter der Ens, Ungarn, liegen allesammt an beiden Seiten der Donau, die mitten durch sie hindurchgeht, sie sind daher, so zu sagen wie Perlen auf diesen großen, gewaltigen Silberfaden angereiht.«

So ging es weiter, bald in belehrendem Gespräche, bald im Anstaunen der ewig wechselnden Bilder.

Wolfgang war selig! Er konnte nicht genug sehen, – er konnte nicht genug fragen.

Und wie hundert, ja tausenderlei hübsche Täuschungen führte der vielgewundene Lauf des Stromes herbei; – wie hunderterlei Erwartungen, kleine Hoffnungen und Befürchtungen machte er rege.

Zuweilen zog er sich langgestreckt vor den Blicken hin, wie eine große, in Silberglanz schimmernde Chaussee, die in nebliger Ferne viel Schönes in Aussicht stellt. Die Reisenden erblickten dann undeutliche Punkte, schwache Schattirungen und matte Umrisse.

Was mag es sein? – Was wird sich zeigen?

Nur Geduld! – Jene Zeit kannte noch nicht den Zauber des Dampfes; aber ihre Kinder waren auch noch nicht, wie wir, verwöhnt, Tausende von Schönheiten mit einem Blick und in einer Minute zu verschlingen, um dann – ungeduldig, ungesättigt und unbefriedigt – nach neuen, massenhaft auf die Sinne losstürmenden Eindrücken zu haschen. Jene Zeit war weit entfernt, ihre Söhne durch die Kraft des Dampfes und die Macht des elektrischen Stromes über Zeit und Raum zu erheben; aber .... sie ließ sie die Poesie des Lebens ruhig und mit vollen Zügen genießen; sie gesellte zu dem Genuß ... die Gemüthlichkeit, die für uns, Kinder der Gegenwart, fast nur noch ein Gegenstand der Sage ist.

Geduld also, auch auf unserer jetzigen Reise! Wahrlich diese schöne Tugend lohnt sich reichlich.

Seht nur, wie die Punkte, die wir erst als matte Umrisse sahen, nach und nach wie Samenkörner zu vollständigen, prächtigen Blumen aufgehen, zu Blumen, die sich – näher kommend – in herrliche Ansichten, in weite prächtige Landschaften verwandeln.

Seht nur, wie sie wachsen an Farbe und Form, bis ihr Zauberkelch sich voll und duftig vor uns erschlossen hat und ein reizendes paradiesisches Bild vor Auge und Seele führt.[36]

Aber auch dieses Bild verschwindet wieder, und jetzt ist es plötzlich, als ob der Lauf des Stromes in Stücke zerhackt sei. Berge schließen ihn von allen Seiten ein, und das Schiff gleitet sanft und ruhig dahin, wie in dem engen Kreise eines Bergsee's. Es dreht sich .... und abermals trifft der Blick eine solche abgeschlossene Wassermasse, so daß es scheint, als reihe sich eine Kette von See'n aneinander.

Und alle diese Ruinen – Schlösser – Paläste – Klöster – friedliche Dörfer – nahen Thürme – dunkle Schluchten – offene Thäler – schroffe Abhänge – lachende Auen – welch' ein Kaleidoskop voll Pracht und Schönheit!

Sie waren zu Ips, einem kleinen Städtchen, angekommen, und da die Minoriten und der Benedictiner in dem dortigen Kloster Messen lesen wollten, nahmen sie die ihnen liebgewordene Familie mit. Wolfgang erschien ungewöhnlich in sich gekehrt und sinnend. Erst als ihm der Vater in der schönen Klosterkirche die Orgel zeigte, thauete er wieder auf.

Es war still und lautlos in dem weiten Raume rings umher, denn die Brüder saßen mit einigen Gästen an der Mittagstafel.

Wolfgang aber schaute die Orgel mit Ehrfurcht an. Was für Töne mußten in diesen gewaltigen Pfeifen ruhen? Töne, wie er sie eben noch bei der Erzählung des heiligen Mannes geahnt! .... Melodien, wie sie ihn dort umrauscht – Melodien, von der Weltgeschichte componirt, von den Völkern im Laufe der Jahrtausende ausgeführt.

Plötzlich sagte der Knabe: – »Papa, erkläre mir das Pedal!« –

Der Vater willfahrte mit Freuden. Da rückte der Kleine den Schemel hinweg, und als der Alte die Blasebälge in Bewegung gesetzt, präludirte Wolfgang stehend und trat das Pedal, als wenn er es Monate geübt.16

Wie brausten da die Töne durch die Hallen der Kirche, – wie riefen sie schlafende Geister wach, wie blitzten Römer- und Hunnenschwerter, wie fromm und innig tönten der Kreuzfahrer Lieder.

Den Mönchen aber im Refectorium entfielen Messer und Gabeln. Der Bruder Organist war unter ihnen; auch hatte er nie so gewaltig gespielt. Sie lauschten und lauschten; –[37] ja man sah welche unter ihnen erbleichen, Andere bekreuzten sich, bis der Prior aufstand, – Muth faßte und nach der Kirche eilte. Alle folgten – aber – o Entsetzen! – es war kein Organist zu sehen, und doch rauschten und brausten die Töne fort und fort.

»Es ist der leibhafte Satan!« riefen Einige.

»Es ist ein Wunder!« – stammelten die Anderen. Als aber die Kühnsten nun die Orgel erstiegen, blieben sie wie versteinert stehen.

Da stand ein Kind, – ein sechsjähriger Knabe und spielte. Aber das Kind hörte nichts und sah nichts; dennoch leuchteten seine Augen wie Sterne und seine Stirne glänzte von Begeisterung.

Und immer kühner und immer glühender steigerten sich die Töne, und wälzten sich fort in gewaltigen Strömen, bis sie endlich zu einem sonnigen Ruhepunkte gelangten, dessen letzter Halt das Schiff der Kirche wie ein ersterbendes Lispeln der Aeolsharfe lange, lange durchzitterte!

Quelle:
Heribert Rau: Mozart. Ein Künstlerleben. Berlin 4[o.J.], S. 29-38.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Ebner-Eschenbach, Marie von

Ein Spätgeborner / Die Freiherren von Gemperlein. Zwei Erzählungen

Ein Spätgeborner / Die Freiherren von Gemperlein. Zwei Erzählungen

Die beiden »Freiherren von Gemperlein« machen reichlich komplizierte Pläne, in den Stand der Ehe zu treten und verlieben sich schließlich beide in dieselbe Frau, die zu allem Überfluss auch noch verheiratet ist. Die 1875 erschienene Künstlernovelle »Ein Spätgeborener« ist der erste Prosatext mit dem die Autorin jedenfalls eine gewisse Öffentlichkeit erreicht.

78 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.

442 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon