5.

Ein neuer Amphion.

[38] Die schönen Tage der Reise waren vorüber – für Wolfgang und seine Schwester nur zu schnell vorübergegangen; denn wenn auch das Fahrzeug, das sie gebracht, mit der ganzen Gemüthlichkeit der damaligen Reiseart den schönen Strom herabgeschwommen, so hätten doch die Kinder in ihrer Glückseligkeit gerne noch acht Tage zugegeben. Es war so recht das Wehen der vollen Freiheit in Gottes freier Natur, das sie beseligend anhauchte. Sie athmeten die köstliche reine Luft, sie schauten so viel Prächtiges und Neues; Pater Hermann, der bleiche Benedictiner – der den Knaben seit seinem Orgelspiel in dem Kloster zu Ips fast wie einen Heiligen verehrte – erzählte so manch' Belehrendes, daß Wolfgang, der zu Hause fast nur mit Gewalt vom Claviere gerissen werden konnte, jetzt in der ihm so neuen Freiheit und Ungebundenheit wie ein Seliger schwelgte.[38]

Er war eben immer noch – bei all' seiner fast übernatürlichen Begabung für Musik – ein Kind, und als solches hier so recht in seinem Elemente. Wie hatten er und Nannerl gestaunt, als sie, dem Städtchen Grein vorüber, sich dem bekannten Strudel nahten.

Freundlich grüßend spiegelt hier noch einmal der Strom die Bilder des hübschen Schlosses Greinsburg und des Städtchens selbst zurück, bevor er, melancholisch von den Fichtenwaldungen gefärbt, seine Wellen auf die Folterbank des »Strudels« wirft.

Und als sie nun das Inselchen Wörth – das noch als alter Rest eines vor Jahrtausenden von der Gewalt der Wasser durchbrochenen Felsendammes wie ein verfallener Brückenpfeiler mitten im Thorwege des Strudels daliegt – erreicht, wie singen da ihre Herzen an höher zu klopfen, nicht aus Furcht, sondern in Erwartung und höherer Erregung.

Auf der Krone des Felsens prangte ein großes Kreuz. Der bleiche Benedictiner sagte: »Wie der Glaube mitten im Strudel des Lebens!« Auch Heiligenbilder waren hier auf den verschiedenen Stufen des Felsens errichtet, von den häufig passirenden Schiffern mit Votivgeschenken geschmückt. Wie, dicht vor der gefährlichen Stelle – jetzt schießen die Dampfer mit der Schnelle und Sicherheit eines wohlgezielten Pfeiles hindurch – kleine Boote an das »Wochenschiff« heranruderten und anlegten, um den Reisenden schützende Heiligenbilder und Amulete zu verkaufen. Und in der That erhielt jedes der Kinder von dem streng religiösen Vater einen geweihten Rosenkranz, mit dem Bedeuten, ihn bis über die gefährliche Stelle hinaus zu beten.

Wolfgang gehorchte wie immer, nur daß ihm bei den Kugeln seine runden Notenknöpfe einfielen, und er während dem leisen Hersagen der Gebete – den Blick auf die schauerlichschöne Passage gerichtet – ein musikalisches Gemälde in Gedanken componirte, das die emporstarrenden Felsen, die anbrandenden Wogen, die hinabziehenden Wasser darstellte.

Von Sarblingstein, das Kaiser Ferdinand baute, um die Donau gegen die Türken zu befestigen, – von Freinstein, in dessen Nähe Karl der Große den Herzog Tassilo geschlagen, von Mölk, der schönsten Abtei des ganzen heiligen römisch-deutschen Reiches, mit seinen Palästen und Kathedralen, Bibliotheken und Sammlungen, von[39] den Ruinen der Burg Dürrenstein, auf welcher Richard Löwenherz so lange gefangen gesessen – Orte, an welchen man allen vorüberkam – wußte Bruder Hermann viel zu erzählen, und nur mit Thränen trennte man sich in dem Städtchen Stein, – wo man das letztemal übernachtete – von ihm.

Aber wir Sterblichen müssen ja alle schon als Kinder den Schmerz der Trennung kennen lernen; denn er ist der, der am häufigsten im Leben unser Herz zerreißt, bis dieses die letzte Trennung ....... von allen Schmerzen heilt.

Auch von der herrlichen Donau mußte geschieden sein, aber hier überwogen die Erwartungen alles dessen, was Wien – die stolze Kaiserstadt – bieten würde, jede Wehmuth. Außerdem ließ auch die Mauth keine Zeit zu weiteren Betrachtungen; denn da die Familie Mozart darauf vorgesehen war, längere Zeit in Wien zu bleiben, so fehlte es ihr an Koffern, Kasten und Schachteln nicht.

Auf der Schanzel-Mauth17 war indessen viel zu thun, und der Herr Vice-Capellmeister hätte wohl, wie so manch anderer Reisender, Stunden lange warten können, wäre ihm nicht in seinem Söhnchen einDeus ex machina erschienen.

Mit der ihm eigenen Vertraulichkeit hatte sich nämlich Wolfgangerl dem Mauthner genähert, und da dieser, als gemüthlicher Oesterreicher, ein Freund der Kinder war, gefiel ihm das offene und heitere Wesen des hübschen Knaben sehr.

So frug ihn Wolfgang, nach Art der Kinder, warum er denn allen Leuten die Kisten und Kasten aufmache und hineinschaue?

Lachend erklärte der Mauthner sein Geschäft; stellte dann aber auch an den kleinen Mann die Gegenfrage: »Was denn er in der Kaiserstadt thun wolle?«

»Clavier spielen!« – entgegnete Wolfgang mit Stolz.

»Ja, Clavier spielen!« – rief jener lachend – »wird was sauberes Clavier spielen können mit Seinen kleinen Pratzerln!«18

Aber dieser Zweifel an seiner Kunst ärgerte Amadeus sehr. Glücklicherweise bildete des Vaters Clavier – welches man, der Uebung wegen, und weil solche Instrumente damals[40] noch wenig zu haben waren, mitgenommen hatte – einen Theil des Mozart'schen Passagier-Gutes. Ohne ein Wort zu sagen, ging Wolfgang daher hin, rief einen Arbeiter herbei, ließ den Deckel der Kiste, die das Klavier einschloß, aufmachen, und fing an, so lustige Tänze zu spielen, daß der Mauthner ein über das anderemal vor Entzücken in die Hände schlug. Ja die ganze Mauth ward rebellisch, und es fehlte wahrlich nicht viel und der Raum, der sonst meistens nur harte Worte, grobe Redensarten, Seufzer und Flüche zu hören bekam, hätte sich in einen Concert- und Tanzsaal umgewandelt.

Jedenfalls wirkte Wolfgang's Spiel mit ähnlicher Sauberkraft, wie die Musik großer Meister es schon im Alterthume gethan haben soll. Orpheus belebte durch den Klang seiner Lyra Bäume und Felsen; – Amphion setzte durch seine Melodien Bausteine in Bewegung, so daß sie sich selbst zu Theben's Mauern aufrichteten; Arion bezauberte durch seine Lieder einen Delphin so sehr, daß er ihn auf seinem Rücken von Tarent nach Tänaros durch's Meer trug; – und der kleine Mozart spielte so lieblich, daß sein Herr Vater sofort auf das freundlichste und schnellste abgefertigt und von der Hauptmauth ganz dispensirt wurde.19

Quelle:
Heribert Rau: Mozart. Ein Künstlerleben. Berlin 4[o.J.], S. 38-41.
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