6.

Am Wiener Hofe.

[41] Der Ankunft des jungen Künstlerpaares in Wien war ein großer Ruf vorausgegangen. Graf Palffy nämlich hatte die Mozart'schen Kinder zu Linz in einem Concerte gehört und mit Enthusiasmus dem Erzherzog Joseph davon erzählt, ihm auch mitgetheilt, daß beide Wunderkinder in kurzer Zeit in der Hauptstadt eintreffen würden. So war die Nachricht an die Kaiserin und durch diese an den gesammten hohen Adel gelangt.

[41] Ein Clavier-Virtuose von sechs Jahren, das war noch nicht dagewesen, mithin ein glückliches »Evénement« in dem verbrauchten, ausgebeuteten Leben der ganzen Wiener Haute volée.

Das Neue, das Ungewohnte allein reizt ja die blasirte Menge und bringt Färbung in ihr – mitten in allen Genüssen – so ödes Leben.

Kaum hatte daher der Vater seine Empfehlungsschreiben an die Gräfin Sinzendorff, eine höchst liebenswürdige und freundliche Dame, abgegeben, als für ihn und die Kinder die Einladungen regneten, und zwar um so mehr, als die Protection einer so hohen Dame der Schlüssel zu allen Salons war; denn das reichsgräfliche Geschlecht der Sinzendorff galt als eines der ältesten der Monarchie. Leitete es doch seinen Ursprung von den alten Grafen von Altorf, welfischen Stammes, ab; – ruhte doch seit 1625 das Obrist-Erbmundschenken-Amt in Oesterreich ob der Ens, und das Obrist-Erb-Land-Vorschneider-Erbschildträger- und Kampfrichter-Amt in Oesterreich ob und über der Ens auf ihm.

Trotz aller dieser hohen Würden und – nur in Deutschland möglichen – Titel, war indessen die Gräfin eine so liebenswürdige Erscheinung, so herablassend und herzig, daß sich Wolfgang schon beim ersten Besuche mit der gleichen Offenheit und Ungenirtheit an sie anschloß, wie er es bei dem Benedictiner und dem Mauthner gethan. Da das Wesen des Kindes demohnerachtet aber bei aller Zuthunlichkeit und Schalkheit weit entfernt von Zudringlichkeit war, so eroberte Wolfgang schon dadurch die Zuneigung der hohen Frau, die sein eminentes Talent ihm dann doppelt sicherte.

In der That trat denn auch die Gräfin Sinzendorff fast wie eine zweite Mutter des kleinen Mozart auf; so daß sich die Künstlerfamilie bald von den Grafen Collalto, Wilschegg, dem Reichs-Vicekanzler Grafen von Colloredo, dem ungarischen Kanzler, Grafen Palffy, dem böhmischen Kanzler, Grafen Choteck, dem Bischof Esterhazy, dem Baron Schell, dem Prinzen von Hildburghausen u.s.w. zu musikalischen Produktionen eingeladen sah.20[42]

Aber nun erfolgte auch noch, zur großen Freude des guten Vice-Capellmeisters, eine Einladung an den kaiserlichen Hof selbst.

Wolfgangerl schien sich weniger daraus zu machen. Ein Kind, wie er, legt noch keinen so hohen Werth auf fürstliche Auszeichnung, wie Erwachsene; von dem pecuniären Vortheil hatte er noch gar keinen Begriff, und was sein Spiel anlangte, so ließ er sich weit lieber vor Leuten hören, die Musik verstanden, als vor solchen, die nur das Wunderkind in ihm anstaunten. Und seltsamer Weise verrieth er in dieser Beziehung einen ganz ungemeinen Tact und Scharfblick, und Niemand vermochte den Kleinen hierin so leicht zu täuschen.21

Dennoch regte auch ihn die Einladung vor Oesterreichs Kaiserin zu erscheinen und Proben seines Talents abzulegen, etwas auf, als der dazu bestimmte Tag herankam; wenn auch die Neugierde den überwiegendsten Theil an dieser Erregung hatte.

Endlich erschien die anberaumte Stunde, und auf den Glockenschlag drei Uhr rollte eine kaiserliche Hofequipage mit reichgalonnirten Dienern vor. Der geheime Zahlmeister ihrer Majestät in großer Gala holte Vater und Kinder ab. Die Pferde brausten davon, und ehe eine halbe Stunde vergangen, stand die Familie Mozart in dem Vorzimmer der Kaiserin.

Es ist etwas eigenes – eine Audienz erwartend – in dem Vorzimmer eines Großen zu stehen.

Freilich kommt sehr viel darauf an, was wir unter »Großen« verstehen.

»Voulez vous être grand homme? oubliez que vous êtes prince!«22 sagt ein berühmter Franzose (und mit ihm der unvergleichliche lachende Philosoph). Aber dies kann nur in einem gewissen Sinne gelten; gerade der Mann, der nicht bloß »groß« heißen, sondern es auch sein will, wird es nur dann sein, wenn er jeden Morgen in Geist und Herz erwägt, was es heißt, Fürst sein (das ist the first, der Erste), das Oberhaupt von Millionen Menschen, deren Wohl und Wehe von ihm abhängt. Es ist in der That etwas »Großes« um die wahren »Großen«, als Regierer ganzer Staaten. Ihr Beruf ist heilig und schwer .... denn ... auch sie sind Menschen, und gerade auf dem wichtigsten Posten – auf dem[43] Throne – lernen sie, verhindert durch ihre Lage und Umgebung, die Menschen am wenigsten kennen. Ihr Beruf ist so schwer, daß ein ängstlicher Mann, der seinen Beruf ganz übersieht, vielleicht sich weigern würde, einen Thron zu besteigen.

Das höchste menschliche Ideal ist das eines Königs, wie er sein soll, um »groß« zu sein. Können wir uns da wundern, wenn so wenig Könige, nachdem mit ihrem Hingang die Schmeichler abgetreten sind, diesem Ideale sich nähern?

Die Geschichte kann übrigens Maria Theresia »Größe« nicht absprechen.

Unter welchen unendlich schwierigen Umständen hatte sie den Thron bestiegen, – welche Gefahren wußte sie zu überwinden, – welche Quellen der Macht eröffnete sie ihren so ganz gesunkenen Staaten, – welche Begeisterung und Liebe für sich entflammte sie in den Herzen ihrer Völker?

Fast gegen die ganze Welt im Kampfe, erhielt sie nicht nur ihre weiten Reiche, die Spanien, Frankreich, Baiern, Sardinien, Sachsen und Preußen schon in Gedanken unter sich getheilt hatten, nein – sie ging auch in denselben den Weg der Reformation, und nahm bei allen dort nothwendigen Rücksichten diejenigen inneren Verbesserungen vor, die sich mit dem ihr angeborenen Verstande und guten Willen machen ließen.

Sie mußte den hohen Adel, dem sie Dank schuldig war, schonen; aber sie suchte denselben, da ihm der alleinige Zutritt zu den höheren Stellen nicht entzogen werden konnte, durch Errichtung von Ritter-Akademien zu nöthigen, daß er sich Kenntnisse erwerbe.

Sie konnte die Pedanterie und das Perrückenthum der alten Staatsmänner ihres Reiches nicht auf einmal beseitigen, und ließ deshalb lange das bisherige Ministerium Uylefeldt-Bartenstein bestehen, über dessen Mitglieder sie sich selbst zuweilen spottend äußerte; aber sie schenkte ihr eigentliches Vertrauen nur einem genialen Manne: dem Grafen Kaunitz, der später mit ihr ein »neues« Oesterreich anbahnte.

Und welche Verbesserungen sah ihre Regierung im Verwaltungswesen.

Während sich die kleinen deutschen Höfe und Höfchen – wie jener des Fürst-Erzbischofs von Salzburg – durch unsinnigen Aufwand und kindische Ueberhebung ruinirten, beschränkte man in Wien die Mißbräuche, die in der Hofhaltung eingerissen[44] waren, und entließ den größten Theil der »vierzigtausend« Kammeralisten, die unter dem Vater Maria Theresiens, Kaiser Karl VI., vom Hofe gelebt und jährlich zehnthalb Millionen gekostet hatten.23 Dann reformirte sie – durch ihren Gemahl – die Art, wie die Abgaben erhoben wurden; denn die Zahl der mit der Erhebung beschäftigten Personen betrug damals nicht weniger als »sechzigtausend«, und von diesen entließ man so viele, daß dadurch jährlich abermals »zwölf Millionen« erspart wurden.24 Auch die anderen Zweige der Staatsverwaltung wurden unter Maria Theresiens Regierung völlig und im Sinn und im Geiste eines gemäßigten Fortschrittes umgestaltet. So trennte man schon 1749 Justiz-, Polizei- und Kammer-Angelegenheiten von den eigentlichen Staatsgeschäften und Ministerien, und übertrug sie besondern Behörden; – so verminderte man die Zahl der Feiertage und beschränkte die politische Gewalt der Geistlichkeit; so hob Maria Theresia, gleich Friedrich dem Großen, die Tortur auf – so verbannte sie die Hexenprocesse, das Zufluchtsrecht der Kirchen und die Inquisition25. Auch die Frohndienste wurden gemildert, und in allen diesen Reformen zeigte die Kaiserin ebensoviel Muth, Unternehmungsgeist und Entschlossenheit, als Ruhe, Scharfblick und Klugheit.

Dies in Wahrheit »große Streben« erwarb ihr denn auch die ungetheilteste Liebe des Volkes, während ihre Privattugenden und ihre Herzensgüte die Achtung, die man ihr als Fürstin zollte, auch auf das Weib übertrugen.

So stand Maria Theresia »groß« da, und hoch durften wohl die Herzen derer schlagen, die ihr persönlich entgegentreten sollten.

Flüchtig hatten denn diese Gedanken auch des Vice-Capellmeisters Hirn durchkreuzt, als sich jetzt die Flügelthüren geräuschlos öffneten und der erste Kammerherr ihrer Majestät die Harrenden zum Eintritt aufforderte.

Es war ein prachtvolles Gemach, in welches sie traten, ein großes regelmäßiges Achteck bildend, von dessen acht Seitenflächen viere mit ungeheuren, in breite Goldrahmen gefaßten venetianischen Spiegeln bedeckt waren. Zwei der andern[45] zeigten eben so riesige Fenster, von schwerseidenen Vorhängen halb verhüllt, während die übrigen zwei Seiten durch Flügelthüren nach den Vorzimmern und den inneren Gemächern der Kaiserin führten. Ein großer, massiv silberner, durchaus vergoldeter Kronleuchter, dessen acht Arme wunderbare Schnörkel bildeten, hing an einer schweren Kette von gleichem Metall von der gemalten Decke herab. Die Wände bedeckte eine Tapete von weißem Seidenzeug mit eingewirkten vielfarbigen Blumenbouquets, während sämmtliche Möbel mit demselben Stoffe überzogen und in ihrem Holzwerk durchaus vergoldet waren. Ein glänzend parquetirter Fußboden, – einer bräunlichen, Alles wiederspiegelnden Eisfläche nicht unähnlich – und zwei schöne Augsburger Claviere vollendeten das Ganze, das in seiner einfachen Pracht imponirend wirkte, und doch auch wieder einen ganz eigenen Hauch von Gemüthlichkeit verbreitete.

Maria Theresia saß, fast in der Mitte dieses Gemaches, auf einem hohen, von einer goldenen Krone überragten Sessel, umgeben von den Prinzen und Prinzessinnen und ihrem Hofstaate, während ihr Gemahl, Franz I., an einem der Instrumente lehnte.

Es war ein hübsches Bild, das auf diese Weise die eben angeführte Gruppe hervorrief. Denn die Kaiserin selbst war, obgleich damals schon 45 Jahre alt und sehr stark, doch noch immer schön zu nennen. Die gebogene Nase, der sein geschnittene Mund, die großen blauen Augen, die kühngeschwungenen Augenbrauen und die hohe Stirne gaben ihrem Gesichte einen Ausdruck von Hoheit und stiller Würde, während der Blick und ein gewisser Zug um den Mund Herzensgüte und Menschenfreundlichkeit verriethen.

Man mußte sich unwillkürlich von ihr hingezogen fühlen, und leicht war es jetzt dem Vice-Capellmeister begreiflich, wie Maria Theresia's Schönheit und Liebenswürdigkeit einstens ganz Ungarn hinreißen und bezaubern konnte.

Um aber das Reizende der Gruppe zu vollenden, stand neben der Mutter ein Theil der jungen Erzherzoge und Erzherzoginnen, von welch' letzteren eine, ein engelgleiches siebenjähriges Kind, sein Lockenköpfchen auf den Arm der Kaiserin gelegt hatte. Es war Maria Antoinette, die nachmals so unglückliche Königin von Frankreich.[46]

Wer hätte damals ahnen können, daß dies holde Wesen, – den ganzen Zauber der Kindlichkeit und Unschuld in den Zügen, – einst auf dem Blutgerüste sein Leben aushauchen werde? – Doch .... warum den Schleier der Zukunft heben, mit dem die Güte des Allmächtigen so weise die kommenden Zeiten den Augen der Sterblichen verhüllt hat.

Blicken wir lieber noch einmal auf das vorgeführte Bild, dessen Hintergrund sich fast komisch von den Hauptfiguren abhob, da er von den steifen hochadeligen Gesichtern alter Hofdamen und den, von langen und mächtigen Perrücken beschatteten Häuptern ergrauter Cavaliere, die sich in ihren goldstrotzenden Kleidern kaum zu bewegen vermochten, gebildet wurde.

Von alledem sah indessen unser guter Wolfgangerl nichts, als die freundlich zu ihm hinblickende Kaiserin und das Lockenköpfchen Maria Antoinetten's, das ihm besser gefiel, als alles, was er bisher gesehen. Indessen blieb ihm auch keine Zeit, Beobachtungen zu machen, denn Franz I. war bereits zu ihm hingetreten und hatte ihn der Kaiserin zugeführt, die ihm, wie eine Mutter, beide Hände mit den Worten entgegenstreckte:

»Das ist also der kleine Clavier-Virtuose, von dem man Uns so viel erzählt?«

»Ja, Majestät!« – antwortete Wolfgang so unbefangen und heiter, als spreche er zu seiner eigenen Mutter – »klein bin ich, das ist wahr; daß ich aber dennoch etwas auf dem Clavier leisten kann, das möchte ich Euch, Frau Kaiserin, gern beweisen!«

Ein panischer Schrecken zuckte bei diesen ungenirten Worten des Kindes wie ein elektrischer Schlag durch das ganze kaiserliche Gefolge, und nur die riesigen Coiffüren der Hofdamen und die lockenschweren Perrücken der Hofcavaliere verhinderten sämmtliche hochadelige Haupthaare, sich wegen dieses Frevels gegen die Hof-Etiquette bergeshoch zu sträuben.

Der Kaiser und die Kaiserin aber lachten, und letztere, die ein augenscheinliches Gefallen an dem offenen Wesen des Knaben fand, frug:

»Bist du denn auch deiner Sache so gewiß? dahinten bei den Herren sind viele, die Musik meisterhaft verstehen, sie werden dich scharf beurtheilen.«

Wolfgang bog sich bei diesen Worten der Kaiserin zur Seite und schaute mit seinen großen klugen Augen nach[47] dem Gefolge; dann schüttelte er mit verächtlicher Miene den Kopf und sagte:

»Nein! von denen scheint mir Keiner was von Musik zu verstehen!«

»Und warum?« – frug Maria Theresia.

»Ich seh' es ihnen an: sie sind viel zu steif!«

Jetzt mußte die Kaiserin aber laut auflachen, und so lachte denn in Gottes Namen – nolens volens – der ganze, sich eben nicht geschmeichelt fühlende Hofstaat mit, wenn auch die sauersüßen Mienen so manchen hochadeligen Gesichts bewiesen, wie schwer ihm dies Lachen wurde.

Maria Theresia aber streichelte Wolfgangs Wangen, und mit jener gewinnenden seelenvollen Freundlichkeit, die sie stets im Kreise ihrer Familie zu entfalten wußte, nach ihrem Gatten blickend, sagte sie:

»Franzerl, das ist ein Goldbue, der sollte Staatsmann werden; zu déchiffriren versteht er wenigstens vortrefflich!«

Der Kaiser nickte beifällig, indem er beifügte: »Und an Muth gebricht es ihm auch nicht.«

»So wollen wir ihn hierbehalten!« – rief jetzt die kleine Maria Antoinette, ihr Lockenköpfchen erhebend und die Mutter mit leuchtenden Augen anblickend. – »Er gefällt mir auch.«

»O!« – meinte die Mutter – »das wäre so übel nicht; Ihr alle würdet an ihm wenigstens ein Beispiel haben, wie man Clavier spielen soll.«

»Spielt er denn so gut?« –

»Vortrefflich, sagt man.«

Wolfgangs Köpfchen glühte von den eigenthümlichen Gefühlen, die die Worte der kleinen reizenden Erzherzogin in ihm hervorgerufen. Sein Ehrgeiz war erwacht und vielleicht auch die Ahnung eines anderen noch tieferen Gefühles, das später sein empfängliches Herz noch oft berühren sollte. Rasch wandte er sich daher dem Instrumente zu, fest entschlossen, sein Bestes zu thun, um der schönen kleinen kaiserlichen Hoheit zu zeigen, daß man nicht zu viel von ihm gesagt. Aber der Kaiser trat ihm mit den Worten entgegen:

»Halt, kleiner Mann! Wenn du die Herren und Damen da nicht ebenbürtig in der Kunst hältst, und nicht glaubst, daß sie ein Urtheil über dein Spiel zu fällen im Stande sind, wer soll dann Richter sein?«[48]

Aber der Knabe besann sich nicht lange:

»Ist Herr Wagenseil nicht hier?« – rief er so laut, daß es alle hören konnten, – »der soll kommen, der versteht es!«26

Der Kaiser, den die Naivetät des Knaben immer mehr entzückte, gab ein Zeichen, daß man Wagenseil rufe. Unterdessen aber hatte Wolfgang ohne alle Complimente seine Schwester herbeigeholt und sie der Kaiserin mit den Worten vorgestellt:

»Das ist die Nannerl, meine Schwester, die so gut spielt, wie ich!«

Maria Theresia kam über diese drollige Vorstellung gar nicht aus dem Lachen. Sie winkte jetzt Vater Mozart selbst herbei und unterhielt sich längere Zeit sehr freundlich und herablassend mit demselben über die beiden Kinder und deren wunderbare Begabung.

Unterdessen hatten aber auch die Erzherzoginnen sich Nannerln genaht, während Maria Antoinette ihre kindlichen Fragen an Wolfgang richtete, dessen Wangen immer mehr zu glühen begannen.

Bald lauschte auch die Kaiserin diesem Gespräch, und da Wolfgang eben zu ihrer Freude so ganz ohne allen Neid das Spiel seiner Schwester lobte, frug sie:

»Hast du denn deine Nannerl auch recht lieb?«

»Gewiß!« – rief der Knabe, mit strahlenden Blicken die Kaiserin anschauend, und ihre beiden dargebotenen Hände abermals fassend, – »aber dich hab' ich auch lieb, denn du gefällst mir sehr27

»Außerordentlich schmeichelhaft!« – sagte heiter die Herrscherin – »und wie willst du mir das beweisen?«

»Daß ich dir ein Schmatzerl gebe!« – rief der Knabe, und ehe noch die Hofdamen Zeit hatten, über diese ganz unerhörte Kühnheit ohnmächtig zu werden, und die Herren nicht wußten, ob sie den Degen ziehen oder in die Erde sinken sollten, war Wolfgangerl der Kaiserin auf den Schooß gesprungen, hatte sie um den Hals genommen und recht tüchtig abgeküßt28.

[49] Maria Theresia, der Kaiser und die älteren Erzherzoginnen lachten, wie vielleicht niemals wieder in ihrem Leben, so daß sie sich die Thränen aus den Augen wischen mußten; da dies aber der Hof hörte, erholte er sich rasch von dem neuen Schrecken, und lachte in Corpore ganz »hofwidrig« mit.

Indessen war Wagenseil eingetreten, und der Kaiser lud Wolfgang nun zum Spiele ein.

Wie der Blitz war denn auch dieser am Clavier, und sich zu dem Musiklehrer der Kaiserin wendend, rief er:

»Es ist mir sehr lieb, daß Sie da sind. Ich spiele ein Concert von Ihnen. Sie müssen mir umwenden«29.

Und nun flogen die kleinen Finger über die Tasten, daß Alle staunten. Und wie der kleine Mozart weiter und weiter spielte, da ward es – still und stiller, – – und bald hörte man keinen Athemzug mehr.

O welche wunderbare Bewandtniß hat es doch um die Musik! Die Töne erwecken jede schlummernde Empfindung, wirken erheiternd, belebend – und doch auch wieder schmerzlich anregend und schmerzstillend, begeisternd und doch auch wieder besänftigend! Die aufjauchzenden öffnen dem Blick eine Zukunft voll Sonnenglanz und Licht; die dahin sterbenden erinnern uns an Vergänglichkeit und Tod! – Ja, es gibt schmelzende, entzückende Töne, die wie aus einer anderen Welt zu uns herüberklingen und aus dem Reiche der Lüfte die Geister der Harmonie wach rufen, daß sie Herz und Seele uns entführen, und wir schon hienieden den Zusammenklang der himmlischen Sphären, die Harmonie der Engelschöre zu hören glauben.

Einen solchen Eindruck machte denn auch des Knaben Spiel auf die Anwesenden, namentlich als er über ein Thema Wagenseil's noch lange fortphantasirte.

Als er geendet, war Alles entzückt, und das »herrlich! herrlich!« aus dem Munde Wagenseil's und der Majestäten hallte in hundertfachem Echo und endloser Steigerung in dem ganzen Kreise des Hofes wieder.

Auch Nannerl's Spiel gefiel ungemein; doch ward die Schwester durch des Bruders Jugend und geniale Art der Auffassung und des Vortrags weit verdunkelt. Die Kaiserin aber, ganz ergriffen, rief ein-über das anderemal:[50]

»Lieber Vice-Capellmeister, was wünsche ich Ihm Glück zu diesen Kindern. Da hat Ihm der liebe Gott ein großes Geschenk gegeben, aber auch schwere Pflichten auferlegt; denn unverzeihlich wäre es, würden diese herrlichen Naturanlagen nicht auch entsprechend ausgebildet.«

»Majestät!« – entgegnete Mozart, als die Kaiserin hier schwieg, mit ungezwungener Bescheidenheit, – »ich fühle diese große Gnade Gottes vollkommen; aber eben so sehr bin ich auch über die Aufgabe meines Lebens klar, und wenn es dem Himmel nur gefallen wird, mir die nöthigen Mittel an die Hand zu geben, die Ausbildung meiner Kinder zu vollenden, so soll es dabei an mir gewiß nicht fehlen.«

»Die Mittel werden nicht ausbleiben,« – versetzte Maria Theresia – »und wären Wir nicht augenblicklich wieder in diesen unseligen Krieg mit Preußen verwickelt, der alle finanziellen Kräfte des Landes in Anspruch nimmt und verschlingt, so würden Wir selbst die ganze weitere Ausbildung der beiden Kinder übernehmen. Doch auch so soll gethan werden, was der Augenblick zu thun erlaubt. Ihr bleibt doch noch einige Zeit in Wien?«

»Schon diese gnädige Frage kaiserlicher Majestät würde mir Befehl sein,« – entgegnete der Vice-Capellmeister geschmeichelt, – »selbst, wenn er mit unserem Vorhaben nicht übereinstimmte. Wien ist die Stadt der Clavierspieler, – seit Maria Theresia, die erhabene Beschützerin alles Edlen und Schönen, die Kaiserkrone trägt, – die Metropole der Künste, wo könnten meine Kinder ihre Laufbahn besser beginnen als hier?«

»Das ist recht!« – versetzte beifällig die Kaiserin – »und wie seid Ihr mit Unserem Adel zufrieden? Wir wollen hoffen, er interessirt sich für die angehenden Künstler.«

»Gewiß!« – entgegnete Vater Mozart; aber es spielte bei diesem »Gewiß« ein so eigenthümliches Lächeln um den Mund des Vice-Capellmeisters, daß Maria Theresia nach dessen Ursache frug.

»Je nun, kaiserliche Frau« – versetzte der Angeredete – »über die freundliche Aufnahme dürfen wir nicht klagen, wenn nur der Werth der Kunstleistung nicht über das ›Wunderkind‹ übersehen würde.«

»Es geht eben hier« – sagte die Herrscherin tröstend – »wie in allen großen Städten. Die blasirte Welt will[51]Wunder‹ haben, die sie durch ihr Unerhörtes aus der Indolenz aufrütteln. Ueberall finden sich Menschen, die nur aus Eitelkeit und der Mode wegen Concerte geben und besuchen und dann oberflächlich über die Musik raisonniren, oder besser gesagt déraisonniren! Wir sind indessen überzeugt, daß das Urtheil weniger Kenner bei Euch, Herr Vice-Capellmeister, das Geschwätz aller Nichtkenner hundertmal überwiegt.«

Ein lautes Gelächter, das von der Seite her schallte, auf welcher sich der Kaiser mit Wolfgang seither unterhalten, unterbrach hier das Gespräch. Maria Theresia sah sich erstaunt um, und es blitzte etwas wie Zorn in ihrem Auge auf. Aber sie selbst mußte lächeln, als der Kaiser nun herantrat und ihr berichtete, daß er den Knaben eben gefragt: Wen er für den größten Musiker der Vorzeit halte? und dieser ihm geantwortet habe: »Den Trompeter, der die Mauern Jericho's umblies!«

»Ich fange ihn indessen doch noch!« – sagte Franz I. jetzt, und sich zu dem kleinen Mozart wendend, fuhr er fort:

»Höre einmal, Wolfgang, es ist keine große Kunst mit allen Fingern zu spielen; aber nur mit einem Finger oder auf einem verdeckten Claviere zu spielen, das würde Bewunderung verdienen!«

Wolfgang schwieg; aber statt aller Antwort trat er neuerdings an das Instrument und führte mehrere sehr schwierige Passagen mit einem Finger aus; dann ließ er sich auch die Claviatur bedecken und spielte dennoch so gut, daß seine Zuhörer hätten glauben können, er habe sich durch lange Uebungen auf diese Art von Prüfung vorbereitet. Und doch war es das erste Mal, daß er es versucht hatte.30

Der Kaiser aber stand hinter ihm und rief ein über das andermal: »Hexenmeister!« – »Verteufelter kleiner Hexenmeister!«

So war längere Zeit vergangen, als Maria Theresia, nach zahllosen Beweisen ihrer Huld, das Zeichen zur Entlassung gab. – »Wir sehen uns wieder!« – sagte sie dabei – »denn ich danke den Kindern einige glückliche Stunden und möchte ihnen auf diese Weise noch mehr verpflichtet sein!«

Noch einmal hob sie hierauf den Knaben empor, küßte ihn herzhaft, reichte Nannerl die Hand und entfernte sich dann, von ihrem Gemahl geleitet mit dem Hofe.

Wolfgang und Nannerl aber hielten jedes einen schönen Diamantring in der Hand und der Vater strahlte in Seligkeit.

Quelle:
Heribert Rau: Mozart. Ein Künstlerleben. Berlin 4[o.J.], S. 41-52.
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