18.

[184] Il cavaliere filarmonico

Der Enthusiasmus der Italiener ist in seinen Kundgebungen sehr verschwenderisch, weil er von Herzen geht. Nirgends fand daher der junge Mozart so sehr wie bei ihnen eine herzliche Aufnahme, ein allgemeines Wohlwollen, eine augenblickliche Anerkennung, ein Gefolge von Freunden und Beschützern, das sich in allen Städten, in welchen er verweilte, aus freien Stücken bildete, und die keine anderen Geschäfte, als die seinigen zu haben schienen.69

Dies war aber namentlich auch in Bologna der Fall, woselbst der kleine Maestro vor allen Dingen an dem Feldmarschall, Grafen Palavicini, und dem Cardinal, Grafen Carl von Firmian – einem Landsmanne – die eifrigsten Stützen fand.

Auch die weltberühmten Sängerinnen, die stolzen Signoras Aprile, Cicognani und Spagnoletta, sowie der Castrate Manfredini drängten sich begeistert zu ihm heran und trugen ihn auf den Händen.

Aber so sehr sich Amadeus70 durch alle diese Artigkeiten[184] und dies wirklich liebenswürdige Zuvorkommen geschmeichelt fühlte, so wenig Werth legte er in seiner kindlichen Einfachheit und Bescheidenheit auf alle die Huldigungen, die man ihm von dieser Seite brachte. Wenn auch dem Alter und der äußeren Erscheinung nach, noch ganz ein vierzehnjähriger Knabe, war Wolfgang doch im Geiste und in seiner musikalischen Entwicklung vollständig Mann. Er hatte daher in Bologna gar nichts anderes im Auge, als. sich vor dem unbestechlichen Richterstuhle der, in der musikalischen Welt Ton angebenden, philharmonischen Gesellschaft als vollgültigen Meister zu erweisen, und sich die Achtung Pater Martini's zu erwerben, den die Italiener wie ihren Abgott verehrten und dessen Urtheil in Angelegenheiten der Musik für die damalige ganze Welt entscheidend war.

Wolfgang nahte sich daher auch heute, bei seinem Besuche auf der Villa Farinelli, dem berühmten Contrapunktisten und Präsidenten der philharmonischen Gesellschaft mit der größten Ehrerbietung und mit jener Bewunderung, die wahres Talent dem wahren Talente so gerne zollt. Hatte er als Knabe einst gesagt: »Nach Gott kommt gleich der Papa!« – so hätte er, seiner Überzeugung und seinen Gefühlen nach, jetzt recht gut hinzufügen können: »Und nach dem Papa: Pater Martini

Aber auch dieser und der edle greise Farinelli trugen Wolfgang Amadeus ein offenes Herz und eine aufrichtige Bewunderung entgegen, die sich bei Beiden während des jetzigen Besuches noch bedeutend steigerte.

Wolfgang war ganz entzückt über Farinelli's wunderherrliche Instrumente; freute sich wie ein Kind, daß sie der Künstler so schön nach den ersten italienischen Malern getauft habe, und improvisirte und phantasirte mit einer Lebhaftigkeit, Begeisterung und Virtuosität auf Raphael, Corregio, Titian und Guido, wie sie selbst der Vater nie gehört. Farinelli und Martini aber, die bedeutendsten musikalischen Größen ihrer Zeit, standen, in Bewunderung versunken an des Knaben Seite.

»Schön! sehr schön und brav!« – sagte endlich Martini freudig und mit leuchtenden Augen, aus welchen Entzücken und väterliche Liebe strahlte: – »aber jetzt wollen wir auch dem Componisten im strengeren Sinne einmal auf den Zahn fühlen.«[185]

»Thut es, ehrwürdiger Vater!« – entgegnete der Knabe freudig – »ich weiß zwar, Ihr seid ein sehr gelehrter Herr und strenger Richter, aber ich will doch versuchen, ob ich Euch nicht befriedigen kann!«

»Ich hoffe es, mein Sohn!« – sagte der Franziskaner liebevoll – »denn in dem akademischen Saale wird es noch ernster hergehen.«

»Je ernster, desto lieber!« – rief der junge Mozart mit muthig leuchtenden Blicken. – »Mir ist es bei einer solchen Aufgabe immer, als sei ich ein General, der ganze Colonnen von Feinden vor sich habe und im Begriff stehe, eine entscheidende Schlacht zu schlagen. Das Herz pocht mir freilich; aber nicht vor Furcht, sondern vor Ungeduld, den Feind zu werfen und als Sieger das Schlachtfeld zu behaupten.«

»Nun, bei solchem Muth und freudigem Vertrauen wird der Sieg auch nicht fehlen!« – versetzte Farinelli.

Pater Martini war indessen hingegangen und hatte Wolfgang den Gedanken zu einer Fuge mit wenigen Noten entworfen.

»Hier, mein Sohn!« – sagte er jetzt – »führe mir diese Fuge aus!«

Aber wie gewaltig löste nun Amadeus seine Aufgabe. Raphael erbebte unter den Fingern des jugendlichen Maestro und die Seelen der Männer unter dem Eindruck der Composition. Als er geendet, umarmten ihn beide, und Pater Martini rief, Thränen der Freude im Auge, dem Freunde zu:

»Abenddämmerung und Morgenröthe! ..... Wie wahr hast du gesehen, Bruder .... aber das wird ein schöner Tag werden!«

Wolfgang verstand diese Worte nicht; er war indessen durch die Anerkennung solcher Männer unendlich glücklich, und ward wahrhaft ausgelassen vor Freude als ihm Pater Martini zusagte, daß seine Prüfung vor der philharmonischen Gesellschaft in wenigen Tagen stattfinden solle.

Ein herrlicher Abend krönte diesen glücklichen Tag: Manfredini und die Sängerinnen Cicognani und Spagnoletta, so wie die Grafen Pallavicini und Giusti del Giardino, der Marchese Carlotti und andere angesehene Einwohner Bologna's trafen noch als Besuch auf der Villa Farinelli ein. Jetzt ward die Unterhaltung – bei einer wahrhaft fürstlichen Bewirthung – eine ungemein lebhafte. [186] Manfredini und die Sängerinnen trugen die schönsten und schwersten Arien hinreißend vor; auch Amadeus ließ sich wiederholt hören und den Schluß machte ein Vortrag Farinelli's auf seiner Viola d'amour. O! es war ein Abend für Götter! aber er lebte auch nach Jahren noch in der Erinnerung der Anwesenden.

Und diesem Abende sollte bald ein noch wichtigerer Tag folgen .... ein Tag, von dessen Entscheidung die ganze Zukunft des jungen Mozart abhing; denn konnte er es nicht zur Mitgliedschaft der philharmonischen Gesellschaft bringen, so war damit ausgesprochen, daß ihm, bei allem Blendwerk äußerlicher Virtuosität, die tiefere Kenntniß und die eigentliche musikalische Meisterschaft mangle; wogegen ihm seine Aufnahme unter die Notabilitäten der Musik den glänzendsten Ruhm für alle Zeiten sichern mußte.

Und der ersehnte Tag kam heran. Die ganze fein gebildete und musikalische Welt Bologna's war in Bewegung. Zu Fuß und zu Wagen eilte man nach dem großen und schönen Hause, in dessen Sälen dieAccademia Filarmonica ihre Sitzungen hielt. Zwar durften bei dem Acte der Prüfung nur die Richter zugegen sein; aber das Ergebniß, falls es ein günstiges, ward öffentlich verkündigt. Wolfgang Amadeus Mozart erschien mit seinem Vater Nachmittags vier Uhr in dem akademischen Saale. Alle in Bologna anwesenden Mitglieder der Gesellschaft – Pater Martini und Farinelli unter ihnen – waren hier bereits versammelt und erwarteten, in einem weiten Kreise sitzend, den Princeps Accademiae und die Censoren – alte hochberühmte Capellmeister – an ihrer Spitze, in ernstem Schweigen den vierzehnjährigen Preisbewerber.

Man kann sich denken, mit welcher Spannung diese, zum größten Theile hochbetagten und hochgelehrten Musiker den Knaben erwarteten, dessen Ruf als Maestro sie zwar schon kannten, dessen kühnem Auftreten vor einem solchen Gerichtshofe aber doch gar Manche einen schlimmen Ausgang prophezeihten .... Andere im Stillen sogar wünschen mochten.

Selbst Vater Mozart war es heute unbehaglich zu Muthe. Zum erstenmal bangte ihm vor dem Erfolge seines Sohnes; ja er fühlte bei dem Eintritt in den Saal, wie seine Kniee leise bebten. Aber ein Blick in das ruhige, unbefangene, ja Freude strahlende Antlitz Wolfgangs, gab dem Capellmeister[187] seine volle Zuversicht zurück. Dieser Trost blieb ihm indessen nur kurze Zeit; denn nach der gegenseitigen ceremoniellen Begrüßung trennte man Vater und Sohn und führte den ersteren in die akademische Bibliothek, wo er mit dem Marchese Carlotti, der sich ihm als Begleiter angeboten, bis zu der Entscheidung eingeschlossen wurde.

Als dies geschehen, erhoben sich der Princeps Accademiae und die Censoren und überreichten Amadeus eine Antiphonia aus dem Antiphonarium Romanum71 zur sofortigen vierstimmigen Ausarbeitung in einem verschlossenen Zimmer, in dem Zeitraume von drei Stunden. Amadeus empfing das Blatt mit einer ehrfurchtsvollen Verbeugung und folgte dann raschen Schrittes und heiteren Muthes dem Pedell, der ihn in das Arbeitszimmer führte und die Thüre geräuschvoll hinter ihm zuschloß.

Eine solche Antiphonia (einen solchen Gegengesang, Wechselgesang)72 vierstimmig zu setzen, war übrigens eine um so schwierigere Aufgabe, als diese Art der Composition Vieles – was nicht angewendet werden darf – ausschließt. Nur ein Meister im Reiche der Musik, .... nur ein durch und durch tüchtiger Contrapunktist ist einer solchen Aufgabe gewachsen, und schon mancher sonst berühmte Musiker war an diesem Steine des Anstoßes gescheitert. Tüchtige Männer hatten an derselben Stelle, an der jetzt Amadeus saß, die ihnen gegönnten vollen drei Stunden zur Bearbeitung einer Antiphonia, von drei Zeilen zugebracht.

Wer beschreibt daher das Staunen der ganzen Gesellschaft, als schon nach einer kleinen halben Stunde der Pedell eintrat, und – selbst ganz blaß vor Staunen – die Meldung machte: der junge Maestro habe das Zeichen gegeben, daß die Arbeit vollendet sei.

Eine allgemeine Bewegung gab sich jetzt unter sämmtlichen Anwesenden kund. Seit mehr denn hundert Jahren bestand bereits die Akademie .... aber ein solcher Fall war noch nie vorgekommen. War dieser vierzehnjährige Knabe ein Zauberer?

Pater Martini und die Censoren erhoben sich sichtbar erregt und gingen nach dem Arbeitszimmer. Hier empfing der Pedell den Schlüssel aus der Hand des Franziskaners und[188] öffnete. Da stand der Knabe freundlich lächelnd, das Noten-Manuscript in der Hand. In seinen offenen, kindlichen Zügen aber sprach sich eine hohe Freude aus; .... eine Freude gepaart mit edlem Stolze, und doch aller Anmaßung und Überhebung so ganz fremd; .... eine Freude, wie sie sich in den unsterblichen Werken der großen Maler auf den Gesichtern der Engel ausdrückt, die, im vollen Genusse der Seligkeit, die Königin des Himmels auf lichten Wolken emportragen.

Aber auch Pater Martini's Augen strahlten. Noch durfte er nichts sagen; aber der alte Mann zitterte und konnte sich kaum zurückhalten, seinen Liebling nicht zu umarmen.

Indeß das Herkommen gebot ein zweites Einschließen des Aspiranten. Die Prüfung der Arbeit durch sämmtliche Capellmeister und Compositoren begann. Es verschwand abermals eine volle peinliche Stunde.

Endlich war auch dies vollendet und der Princeps Accademiae rief zur Abstimmung. Unter tiefem Schweigen wurden die schwarzen und weißen Kugeln – jene als verwerfende, diese als annehmende – im Kreise dargeboten. Wenn aber kein Wort die Meinung der Stimmenden verrieth, so thaten dies doch die freudig flammenden Blicke der Meisten.

Jetzt leerte der umgestürzte Beutel die Kugeln vor dem Präsidenten auf dem grünen Tisch – – jetzt war der Moment der Entscheidung gekommen – – er war – – ein glücklicher.

»Alle Kugeln weiß!« – rief der greise Pater Martini und Thränen der Freude und des Entzückens liefen über seine gefurchten Wangen: – »der Aspirant ist aufgenommen

Und die Thüren öffneten sich, .... ein Jubelchor erschallte, und wie auf der einen Seite das Publikum hereinströmte, und auf der anderen Wolfgang Amadeus Mozart, der vierzehnjährige Sieger, die Schwelle betrat, erhoben sich auf einen Schlag sämmtliche Akademiker und begrüßten ihn mit dem Klatschen ihrer Hände und einem donnernden:

»Evviva il maestro! evviva il cavaliere filarmonico!«

Wolfgang aber erblaßte ..... dann sank er seinem Vater vor Freude in die Arme .... und weinte Thränen der Seligkeit.

Quelle:
Heribert Rau: Mozart. Ein Künstlerleben. Berlin 4[o.J.], S. 184-189.
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