19.

Der Fußkuß.

[189] Die heilige oder Charwoche ist für die gesammte katholische Christenheit der wichtigste Zeitabschnitt des ganzen Jahres. Nirgends aber wird sie, bekannter Weise, glanzvoller und großartiger begangen, als in dem Dom der Dome, .... als in den imposanten, ehrfurchtgebietenden Hallen der Sankt-Peterskirche zu Rom.

Schon in der Frühe des grünen Donnerstages strömen ungeheure Menschenmassen von allen Theilen der ewigen Stadt und Umgebung herbei, so wie sich früher schon Schaaren von Fremden aus Nord und Süd und Ost und West eingefunden haben. Religiosität und Frömmigkeit, Neugierde und Vergnügungssucht, Bußfertigkeit und Weltlust, Eitelkeit, Habgier und alle anderen menschlichen Interessen und Leidenschaften geben dabei die Triebfedern zu dieser Völkerwanderung ab, die die Straßen Roms zu einem wogenden Menschenmeere macht.

Man kann sich aber auch in der That keinen schöneren Anblick denken, als diese bunte, zum größten Theile in malerische Costüme gekleidete Masse. Da zeigen sich in dem lieblichsten Gemische und in den pittoresquesten Trachten die herrlichen flammenaugigen Frauen von Tivoli und Frascati, von Sonnino und Nettuno und die stolzen und prächtigen Römer-Alkaner-Trasteveriner und Sabinerinnen. Die einen geleitet von den kräftigen Männern der Gebirge, die anderen von Hirten, deren Kleidung, von Schaffellen gewaltig gegen die reichen Gewänder der Fischer und Schiffer absticht. Und das Alles im buntesten Gemische ohne Rücksicht auf Rang und Stand, Alter und Geschlecht; .... hinwogend nach den weiten, herrlichen Hallen Sankt Peters, in welchen sich Alle: Bäuerinnen und Herzoginnen, Prinzen und Schäfer, der Reiche und der Arme, der Kranke und der Gesunde, der Greis und das Kind mit einer Art von Fanatismus nach dem Sitze des Papstes drängen, der den in Sünden schmachtenden Seelen Ablaß ertheilt.

Glaube aber Niemand, daß in dieser nach dem Ablaß der nächst kommenden hundert Tage so fanatisch ringenden[190] Menge eine ernste religiöse Stimmung herrsche. O nein! Man schwätzt, man lacht, man erzählt sich heitere Geschichten, man spricht von schönen Frauen, denn: La Mattina una Messetta, l'apodinar una Bassetta, la sera una Donetta,73 sagt das Sprüchwort .... man freut sich auf die bevorstehenden Feste ..... aber man drängt vorwärts nach dem Gnadenstuhle, als ob die dereinstige Seligkeit davon abhänge. Warum? ..... es ist einmal Gebrauch und Sitte, und hundert Tage Ablaß im Voraus ist immer dem leidenschaftlichen, sinnlichen Italiener angenehm und von Nutzen.

Auch diesmal – wie immer – ging es am grünen Donnerstage auf die beschriebene Weise in Rom und der Sankt Peterskirche zu. Jedermann wollte entweder seinen Ablaß gewinnen, den Papst in der sixtinischen Capelle der Hochmesse assistiren, den Segen von der Loge der Peterskirche ertheilen, oder die Fußwaschung verrichten sehen. Da man aber vor dem unendlichen Gedränge unmöglich alle diese Feierlichkeiten mitmachen konnte, so mußte sich die Masse in verschiedene ungeheuere Strömungen zertheilen, die sich denn auch schon von dem frühesten Morgen an nach den Hauptpunkten, an welchen die Feierlichkeiten stattfinden sollten, ergossen.

Ein heller, sonniger Tag lag über der Erde und warf seine Strahlen über die unbeschreibliche Pracht der Peterskirche, von deren schwindelerregenden Höhe und Größe der Fremde sich erst allmälig eine Vorstellung zu bilden vermag. Willst du aber, der du Rom noch nicht gesehen, einen Maßstab für die hier herrschenden Dimensionen, so wisse, daß der von Papst Urban VIII. erbaute Baldachin über dem Hochaltare die Höhe des Schlosses zu Berlin hat; .... willst du dir einen Begriff von der Pracht dieser Kirche machen, so erfahre: daß alle die kolossalen Bilder, wel che den Prachtbau schmücken, nicht Gemälde, sondern nach diesen in Mosaik von Stein ausgeführt sind, um sie unvergänglich zu machen.

Die Transfiguration Raphaels, deren Original sich im Vatikan befindet, und alle jene Meisterwerke, welche die Altäre zieren, sind Mosaiken von ganz unschätzbarem Werthe.

Aber wie vermöchten wir denn überhaupt die Herrlichkeit dieses unermeßlichen Tempels zu beschreiben? – Mögen sie[191] schlafen in ihren Grabmälern von Marmor und Erz, die unglücklichen Stuarts und jene unselige Königin von Schweden, die von den Kleinodien ihrer Krone nichts rettete, als ein Schwert, um ihren Geliebten zu morden; .... und jene schöne Freundin Gregors VII., jene berüchtigte Gräfin Mathildis, welche die Tiare so liebenswürdig als mächtig zu machen wußte. Mögen sie schlafen in ihren Gräbern von Marmor und Erz, diese Menge der Päpste, deren Denkmäler für das Schiff der riesigen Basilika jetzt ein schönerer Schmuck sind, als dies ihr Leben einst für den päpstlichen Stuhl war. Mag er irren der Schatten des großen Apostel-Fürsten um die sechsundneunzig Tag und Nacht brennenden Lampen der Gruft, in der sein Leichnam ruhen soll; .... mögen sie prangen, alle die Statuen und herrlichen Altäre mit ihren unermeßlichen Schätzen, wir wollen es nicht versuchen, sie zu beschreiben!

Nur dem Menschenstrome folgen wir, der sich in bunten, lebendigen Wogen in die gigantischen Hallen ergießt.

Seht, da thront – an der rechten Seite des Schiffes – eine uralte Erzstatue des heiligen Petrus. Was an ihr vorbeiwogt, wirft sich nieder und küßt den Fuß, der bereits von den Millionen und Millionen Küssen der Gläubigen ganz abgenutzt ist.

Jetzt theilt sich ehrfurchtsvoll die Menge: ein Kardinal mit seinem Gefolge tritt ein. Auch er kniet nieder und küßt den Fuß des Apostels; aber ehe ihm sein Gefolge in dieser Ehrenbezeugung folgen kann, hat sich eine Masse Volkes über den Fuß gestürzt und drängt und ringt, wer ihn zuerst nach dem Kardinale zu küssen bekomme: als ob in der unmittelbaren Nachfolge in dem Kusse noch ein besonderer Segen liege. Das augenblickliche Gedränge ist vorüber; jetzt können sich auch die Diener des Kardinals nähern; aber sie wischen, ehe sie sich zu dieser Devotion entschließen, erst mit ihren Tüchern vorsichtig den Fuß des heiligen Petrus ab. Auch sie verschwinden in der Menge und neue Menschenwogen wälzen sich nach.

»Laß uns eilen!« – sagte in diesem Momente ein wunderhübsches, ganz junges Mädchen zu seiner gleich jugendlichen Begleiterin. – »Laß uns eilen, Veronica, die Menschenmenge wächst zusehends. Wenn wir nicht jetzt noch einen Platz in Sala-Ducale erhalten, so sehen wir die Fußwaschung nicht.«[192]

»Aber, Giuditta!« – entgegnete die Angeredete erstaunt – »wollen wir denn den Segen des heiligen Vaters nicht empfangen?«

»Laß das bis zu Ostern,« – versetzte Giuditta – »die Fußwaschung und Speisung ist viel unterhaltender.«

»Aber, so küssen wir doch erst dem heiligen Petrus den Fuß?« – frug jene fast ängstlich weiter.

»Meinethalben!« – rief Giuditta heiter – »aber dann mache nur, daß wir vorwärts kommen!«

Und mit diesen Worten nahm sie die Gefährtin am Arme und zog sie energisch mit sich nach der Gegend fort, in welcher sich die Erzstatue des Apostelfürsten befand.

Giuditta war ein Kind von vierzehn Jahren, reizend wie eine frisch aufbrechende Rosenknospe. Es lag dabei etwas unendlich kräftiges und naturwüchsiges in ihr, und zu der schönen, vollkommen entwickelten, schlanken und doch kräftigen Gestalt, die getrost auf ein Alter von 16 Jahren hätte schließen lassen, paßten das offene Antlitz, der bräunliche, ächt italienische Teint und die schwarzen Feueraugen vortrefflich. Dabei war sie in jene malerische Tracht der römischen Bürgermädchen gekleidet, die dazu geschaffen scheint, jugendliche Erscheinungen in der ganzen Fülle ihrer Schönheit zu zeigen.

Ein Rock von leichtem Stoff und einem Blau, so tief wie der italienische Himmel selber, umschloß den wohlgebauten Körper; da das Leibchen nur den unteren Theil von Rücken und Brust bedeckte, von da an aber nichts als das blendendweiße Hemde hoch über die Brust und den Rücken ging, wo es in seinen Falten gekräuselt zusammenlief, so stach dies Weiß, vereint mit dem der langen und weiten Hemdärmel, köstlich von dem bräunlichen Teint des Halses und der Arme ab. Ein großer, den Hinterkopf rund einschließender Kamm, zierlich aus Silber gearbeitet – derSpicciatoro – hielt dabei die tief herabhängenden vollen schwarzen Haarflechten zusammen, während ein langer weißer Schleier das Haupt deckte und das reine Oval des blühenden Gesichtchens gar reizend und naiv unter dem Spitzenbesatze herausschauen ließ.

Es war in der That eine Lust, Giuditta, und ihre, fast ganz wie sie gekleidete, Gespielin anzusehen. Beide Mädchen erstrahlten in prächtiger Frische, leuchteten vor Jugend und Lebensfülle. Und diese Jugend und Lebensfülle gab sich denn auch in Allem kund: in dem muthwilligen Lächeln, das[193] um ihren Mund spielte, in dem feurigen Aufblitzen ihrer schwarzen Augen und in der Raschheit und Energie ihrer Bewegungen. Das war ächt italienisches Blut! Wie mußte das einst stürmen in den beiden jugendlichen Herzen; welche gewaltigen Leidenschaften schliefen wohl hier noch unter dem Frührothe der Jugend, wie das gewaltige Toben des Vesuvs unter lachenden Weinbergen und üppigen Olivenwäldern.

Und welch' ein Bild war es nun, diese beiden kräftigen Mädchen neben der ernsten, Jahrhunderte alten Erzstatue des Apostels betend knien zu sehen – wahrhaftig des Pinsels eines Raphaels würdig!

Aber mit dem Beten schien es bei Giuditta gerade nicht so viel auf sich zu haben. Wohl liefen die Kügelchen des Rosenkranzes durch die rosigen Finger; wohl bewegten sich die frischrothen Lippen .... aber die Gedanken waren sicher ganz wo anders und die schwarzen Äuglein ruhten jetzt auf dem netten, feinen Knaben, der, an der Seite eines älteren Mannes – von der Menge geschoben – sich ebenfalls der Statue des heiligen Petrus nahte.

Es mußten beide Fremde sein, das sah man nicht nur auf den ersten Blick an ihrer Kleidung, man durfte es getrost auch aus dem Staunen schließen, welches sich in ihren schönen und edlen Zügen aussprach. Übrigens trugen sie sich sehr elegant, und namentlich schien der Knabe, dessen Begleiter wohl sein Hofmeister war, irgend ein junger reisender Prinz, so fein und leicht erschien er in Manieren und Bewegungen.

Giuditta hatte dies alles unter dem Beten des Rosenkranzes bemerkt und zwischen dem Hersagen der Vater-Unser und Ave Maria ihrer Freundin in einzelnen Sätzen mitgetheilt.

»Cospetto di Bacco!« – flüsterte sie dieser jetzt zu – »der kleine Prinz gefällt mir. Sieh nur die schönen Augen und die prächtige Stirne!«

»Und den hübschen kleinen Mund!« – meinte Veronica.

»Und wie fein er gekleidet ist,« – fuhr Giuditta fort – »den Spitzen-Chapeau hält eine Busennadel, deren Stein in allen Regenbogenfarben leuchtet.«

»Gerade wie der große Brillant in dem Kreuze des heiligen Vaters!« – ergänzte Veronica.

»Mag er wohl ein Engländer sein?«[194]

»Oder ein Franzose?«

Giuditta schüttelte mit ernster Miene ihr reizendes Köpfchen, betete ein Ave Maria und sagte – »wenn ich mir ihn recht ansehe, muß ich ihn für einen Deutschen halten.«

»Warum?« – frug die Gefährtin.

»Sein Gesicht hat so etwas gutmüthiges!« – versetzte Giuditta.

»Und haben das die Deutschen?«

»Ja, zumeist wenigstens. Du weißt wohl, ich kann darüber urtheilen,« – fuhr Giuditta dabei fort, jetzt ihr Credo betend: – »Deum de Deo, lumen de lumine ..... denn da mein Vater päpstlicher Courier ist .... Deum verum de Deo vero ..... und wir ein großes Haus besitzen ..... genitum, non factum .... so werden oft vornehme Fremde bei uns eingewohnt ....consubstantialem patri ..... o! wir haben schon Gäste von allen Nationen gehabt .... perquem omnia facta sunt ..... und auf Morgen sind sogar wieder zwei Deutsche angesagt, ein Vater und sein Sohn ... qui propter nos homines et propter nostram salutem descendit de coelis .... der ein Zauberer sein soll .....et incarnatus est de spiritu sancto ....

»Ein Zauberer?« – rief bestürzt Veronica.

»Ja! aber nur in der Musik« – flüsterte Giuditta. – »Doch still, der Prinz und sein Hofmeister kommen heran .... wie fromm der Alte den Fuß des Heiligen küßt.«

»Der Prinz will es auch.«

»Aber er kann nicht, weil er zu klein ist, er reicht ja kaum an das Piedestal.«

»Und Niemand hilft ihm ... auch der Alte nicht ... weil er betet.«

»Ei!« – rief Giuditta und ihre schönen schwarzen Augen sprühten Funken – »da muß ich dem Prinzen helfen!«

Und ehe Veronica sie zurückhalten konnte, war Giuditta aufgesprungen, hatte den hübschen Knaben umfaßt und hob ihn kräftig empor.74

Der kleine Mann glaubte unzweifelhaft, sein älterer Begleiter leiste ihm diesen Liebesdienst; er bückte sich also über den abgeküßten Fuß des erzenen Petrus, und drückte auch seinen Kuß darauf. Als er aber sanft niederglitt, kam es ihm[195] vor, als fühle er weibliche Gewänder und Formen. Überrascht wandte er den Kopf .... und .... eine glühende Röthe übergoß sein Gesicht ... denn er schaute in das ebenfalls hocherröthende Antlitz eines wunderschönen Mädchens.

Aber es war nur ein Moment. Kaum hatte er die Erde berührt, war der Engel verschwunden und eine neue gewaltige Menschenwoge schob ihn und seinen Begleiter weit hinweg.

Quelle:
Heribert Rau: Mozart. Ein Künstlerleben. Berlin 4[o.J.], S. 189-196.
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