23.

Jugendfreundschaft und Jugendliebe.

[218] Schon in Florenz hatte Amadeus im Hause der Dichterin Signora Corilla einen jungen Engländer, mit Namen Tommaso Linley, kennen lernen, der – ein Schüler des berühmten Nardini – die Violine wunderschön spielte.

Da dieser Knabe Wolfgang an Größe und Alter fast ganz gleich war, und ein und dasselbe musikalische Streben beide durchglühte, – wenn gleich Linley nur äußerliche Fertigkeit besaß und jeder tieferen Meisterschaft völlig fremd blieb, – so hatte sich natürlich schnell eine jugendliche Freundschaft zwischen ihnen gestaltet. Leider sollte sie aber nur von kurzer Dauer sein, denn da damals Vater Mozart sehr nach Rom eilte, so waren ihr nur drei Tage gegönnt. Aber die Jugend erfaßt rasch und genießt die Gegenwart ohne, wie das reifere Alter, ängstlich nach der Zukunft und der Dauer des Genusses zu fragen.

Den ersten Tag producirten sich beide Knaben bei Signora Corilla wechselweise den ganzen Abend unter beständigen[218] Umarmungen. Den andern Tag ließ der kleine Engländer, ein allerliebster junger Mensch, seine Violine zu Mozarts bringen, und beide spielten wieder den ganzen Nachmittag. Wolf gang accompagnirte ihn auf seiner Violine.

Den Tag darauf speisten sie bei Mr. Gavard, Administrator der Großherzoglichen Finanzen, und Amadeus und Tommaso spielten wieder den ganzen Nachmittag wechselweise, nicht als Knaben, sondern als Männer. Dann begleitete der kleine Tommaso Amadeus nach Hause, und weinte die bittersten Thränen, weil auf den folgenden Tag die Abreise Wolfgangs und seines Vaters bestimmt war.

Durch diese wirklich rührende Scene gewonnen, verschob denn auch der Capellmeister die Abfahrt von Florenz bis zum künftigen Mittag, und so kam der junge Linley des andern Morgens um neun Uhr noch einmal, und gab Wolfgang unter vielen herzlichen Umarmungen eine Poesie, die die Signora Corilla den Abend vorher hatte machen müssen, und dann geleitete er den Wagen der Abreisenden bis zum Stadtthor, wo sie unter Thränen schieden.87

So lieb aber Amadeus den jungen Linley gewonnen hatte, so schmerzlich ihn die Trennung von dem neuen Freunde berührte – – die großartigen Eindrücke Roms, die Begebenheit mit dem Miserere, die vielen neuen Vorstellungen, das Zusammentreffen mit dem Papste, dem Vater der Christenheit, und namentlich die Bekanntschaft mit der liebenswürdigen, reizenden Giuditta, zerstreuten ihn so sehr, daß er sich bald über die Trennung von dem neuen Freunde tröstete. Er liebte ihn noch, aber er dachte nicht mehr viel an ihn; oder vielmehr er fand keine Zeit dazu, an ihn zu denken.

Da frischte das Leben selbst diesen rosigen Jugendtraum der Freundschaft auf.

Vater und Sohn waren von einer musikalischen Soirée nach Hause gekommen, die Cardinal Pallavicini, dem Prinzen Xaver von Sachsen zu Ehren, gegeben hatte. Amadeus war aufgelegter denn je gewesen, und hatte – da man es immer noch nicht glauben wollte – wiederholt, durch den Vortrag des bekannten Miserere, den Beweis geführt, daß er es geistig und blos der Erinnerung nach aus der Kirche mit sich fort genommen.[219]

Das Staunen war hier, wie überall dasselbe, aber die Menschen bezeugten sich so lieb und freundlich – und – was bei Amadeus noch mehr heißen wollte: so wahrhaft musikverständig, daß er mit wahrer Begeisterung und prachtvoll spielte.

Wolfgang benahm sich dabei nicht, wie ein Musiker, der zu hohen Herren eingeladen ist, um bei einer Soirée als Künstler mitzuwirken, und der für seine Leistungen später einen Ehrensold zu erwarten hat. Gott bewahre! der kleine Mann bewegte sich in der That so vollkommen ungenirt und frei, wie ein wirklicher junger Prinz. Er war bei allen diesen vornehmen Herrschaften wie zu Hause, und behandelte sie – ohne sich je etwas zu vergeben – gerade wie Seinesgleichen. So war er aber auch in seinem Spiel, indem er sich nicht auf den Vortrag einiger vorausbestimmter Piecen beschränkte, sondern ganz dem Zufall anheimgab auf was man gesprächsweise kam, oder was irgend Jemand aus der Gesellschaft wünschte. Fand er dann ächte Musiker, war er so unerschöpflich, daß sich die Gesellschaften oft über Mitternacht hinauszogen. Dies war auch heute der Fall gewesen, und der kräftigste erwachsene Mann würde todtmüde nach Hause gekommen sein. Vater Mozart ging es auch so, obwohl er viel weniger vorgetragen, als sein Sohn; Amadeus dagegen spürte keine Ahnung von Müdigkeit oder Erschöpfung. Heute wie immer, hatte ihn die Musik nur angeregt, belebt, gestärkt.

Als sich daher der Capellmeister zu Bette legte, nahm Wolfgang noch seine Violine und trat auf die nach dem Garten gehende Altane. Die Nacht war wundervoll! Ein leiser, vom Meere her kommender Lufthauch wehte erquickend über die schlummernde Welt, über die sich der Himmel, weit und groß, mit seinen Myriaden Sternen, wie die Kuppel eines ungeheuren Domes spannte. Tiefe Stille herrschte dabei rings umher, denn Uslinghi's Haus lag weit ab von den geräuschvolleren Straßen Roms, und nur ganz in der Ferne hörte man die vereinzelten Töne einer Serenade.

Amadeus gab sich eine kurze Zeit diesen Eindrücken hin, die ihn so still und wohlthätig erfaßten. Aber dies dauerte nur wenige Minuten, dann wurden diese Eindrücke in ihm zu Tönen und die Töne gestalteten sich zu Melodien; und wie zufällig diese – jetzt noch innerlichen, geistigen – Melodien einen Anklang an eine Piece gaben, die er mehreremal mit seinem jungen Freunde Tommaso gespielt, so[220] hoben sich mechanisch die Arme, setzten Violine und Bogen an, und, wie von Geistern gehaucht, zogen süße, sehnsüchtige Laute auf den leisen Wellen der Luft dahin ... Laute, die bald wie vor Schmerz, bald wie vor Wonne, sanft erstarben! ... Laute, die, wie aus einer anderen Welt kommend, über die schlummernde Erde dahinglitten und ihr sprachen von der Seligkeit eines höheren reineren Seins! ... Laute, die von einem Herzen Kunde gaben, in dem sich die ersten Ahnungen der Liebe und Freundschaft wie ein rosiger Morgen aufthaten.

Aber was war das? – Wie sie so leise hinschwammen auf den lauen Wellen der Luft, die glockenreinen Töne, die Mozart seiner Violine entlockte, da war es, als gebe ein nahes Echo sie verschämt wieder. Ein Echo?! – ein solches bestand hier nicht, das wußte Wolfgang, der nun schon so oft nächtlicherweise auf der Altane musicirt, sehr gut; auch kann ein Echo nicht accompagniren. Und wie? .... war das nicht ganz das Spiel des lieben Freundes von Florenz, des kleinen Engländers Linley?

Rasch brach Wolfgang ab ..... aber die zweite Violine vollendete wie mit flehenden Tönen das angefangene Stück. Da setzte Amadeus noch einmal an, und, Freude jauchzend, rief sein Instrument: »Tommaso, Freund meiner Seele, bist du es?« – das heißt: es ließ wie feuersprühende Raketen die jubelnden Klänge einer Composition auffliegen, die Mozart seinem jungen Freunde vor wenigen Tagen zu Florenz gewidmet.

Wie diese aber verklungen, da rief es aus den im kühlen Nachtwinde schwankenden Oleanderbüschen mit bekannter, lieber Stimme hervor:

»Amadeus

Aber Amadeus erkannte die Stimme und jauchzte entzückt auf:

»Tommaso

Und, seine Violine unter den Arm nehmend, eilte Wolfgang, da der Vater schlief und die Thüren – wie hier immer – offen standen, wie der Wind in den Garten. Zwei Minuten später und die jungen Freunde lagen sich in den Armen.

O! welcher Moment der reinsten Freude war dies! Welch' eine Lust des Wiedersehens! – Aber nicht nur die Sterne am Himmel sahen dies Glück zweier so kindlicher[221] Herzen .... es gab noch zwei andere Sterne, die es beobachteten, und das waren die Augen Giuditta's, die hinter einem Blumenbeete voll Lavendel und Federnelken und einer durchsichtigen Mauer von weißblühenden Myrthen stand.

Sie war es ja, die das Ganze so veranstaltet hatte.

Die Sache aber verhielt sich wie folgt: Nach Wolfgangs Abreise hatte den jungen Linley ein solcher Trübsinn ergriffen, daß Mr. Gavard, Administrator der Großherzoglichen Finanzen, – dem der kleine Engländer während der Zeit seiner musikalischen Ausbildung in Italien anvertraut war, – ängstlich wurde. Linley gestand ihm offen, daß er krank werden würde, wenn er seinen jungen Freund nicht noch einmal sehen könne. Darüber aber kam Mr. Gavard vor Besorgniß außer sich, bis ihn der Rath Signora Corilla's bestimmte, Tommaso noch auf einige Tage nach Rom und in das Haus Uslinghi's zu bringen.

Dies war denn auch heute Nachmittag – während Vater und Sohn bei dem Cardinal Pallavicini waren – geschehen, und da Giuditta mit den nächtlichen Solo-Concerten bekannt war, die Amadeus gewöhnlich nach solchen Abenden auf der Altane sich und den Sternen gab, und welchen sie – in Entzücken versunken – jedesmal in den Oleandergebüschen versteckt lauschte, .... so bestimmte sie den neuen Gast, – von dem ihr Amadeus schon erzählt – sich auf die gedachte Weise dem jungen Freunde zu nähern. Eine selige Nacht folgte dem Wiederfinden. Giuditta ward jetzt herbeigerufen und Amadeus faßte seine »zweite Nannerl« – wie er sie nannte – und küßte sie vor Entzücken auf Stirne, Augen, Nase und Hals. Ach! er wußte nicht, wie die kleine Italienerin unter diesen Küssen erzitterte, wie ihr Herz bis zum Zerspringen hoch aufschlug, wie es in ihr brannte und kochte, während sie, durch Linley's Anwesenheit eingeschüchtert, sich sträubte und von dem wilden Burschen loszumachen suchte.

»Aber jetzt!« – rief Amadeus, als sich die »kleine wilde Katze« losgewunden, – »jetzt Tommaso eines unserer Florenzer Duette!«

»Ja, gewiß!« – entgegnete der Engländer, – »ich habe mich unaussprechlich darnach gesehnt!«

»So komm, Freundchen; aber wo ist unser Orchester?« »Dort, in der Laube!« – sagte Giuditta, – »da ist ein gar heimliches, liebes Plätzchen!«[222]

Und alle drei gingen nach dem bezeichneten Orte, an Beeten von Melonen, Tomaten und reifendem Mais vorüber, dessen langfasrige Fruchtkapseln wie tausend kleine Federbüschchen im leisen Nachtwinde wehten. Die Monatsrosen, die die Laube bildeten, dufteten dabei balsamisch, während Leuchtkäfer – Elfengeistern ähnlich – über den Blumen schwärmten, oder, wie berauscht von Liebe in ihre Kelche sanken.

In der Laube setzten sich die beiden Knaben neben einander, Giuditta drückte sich selig in eine dunkle Ecke, und jetzt war auch sie ganz Ohr. – – –

Warum aber recken denn mit einemmale alle Blumen des Gartens sich so hoch empor? – warum öffnen sie so entzückt ihre Kelche? – warum verlassen die flimmernden Käfer ihr süßes duftendes Bett und umschweben die Laube wie zahllose Sterne? – Warum wird der Wind so stille, als lausche auch er? Warum flüstern die Oleanderbüsche so selig? warum zittert es wie Entzücken in den nahestehenden Oliven- und Granatbäumen?

Warum? – warum? .... o! solche Töne haben sie noch nicht vernommen, – solche Harmonien noch nicht gehört!

Und selbst der Mond schien langsamer zu ziehen; und die Nacht zürnte dem Morgen, als er seine ersten Lichter über die Erde sandte.

Da drückte eine zarte Hand jedem, – Amadeus und Tommaso, – einen Kranz von frischem Lorbeer auf das jugendliche Haupt und eine Stimme flüsterte: »Es ist Zeit heimzukehren!«

Beide sahen sich freudig um, aber Giuditta warf ihnen nur noch einen Kuß aus der Ferne zu und verschwand dann im Hause.

Amadeus und Tommaso standen auf. Sie sprachen nichts; aber sie folgten Hand in Hand der Reizenden.

Quelle:
Heribert Rau: Mozart. Ein Künstlerleben. Berlin 4[o.J.], S. 218-223.
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