26.

Der Zauberring.

[241] Amadeus befand sich nun mit seinem Vater schon seit einigen Tagen in Neapel und zwar gefiel es beiden hier besser, als an irgend einem der anderen Orte, die sie bisher besucht. Wären Giuditta und Tommaso noch dagewesen, so würde Wolfgang geglaubt haben, in das Paradies versetzt zu sein.

Alles vereinte sich aber auch zu einem so schönen Zusammenwirken, wie man es sich nur denken konnte. Die herrliche Lage Neapels, die Schönheit der Stadt selbst und ihrer Umgebung, das heitere und doch so gewaltig pulsirende Leben in ihr, die herzlichste und begeisterte Aufnahme, die sie fanden, die Freunde und Verehrer, die sich ihnen anschlossen!

Besonders waren es der Baron Tschudy, die Gemahlin des kaiserlich österreichischen Gesandten, die Gräfin Kaunitz, geborne Fürstin von Oettingen, und die Marquise Tanucci, die sie gleich bei ihrer Ankunft mit offenen[241] Armen empfingen. Letztere schickte schon den zweiten Tag ihren Haushofmeister zu den neuen Ankömmlingen, und ließ ihnen melden, daß derselbe jederzeit zu ihren Befehlen stehe, um sie in einem Wagen seiner Herrin aller Orten herum zu führen und ihnen alle Sehenswürdigkeiten zu zeigen. Auch die alte Prinzessin Belmonte und die ihnen von London aus schon befreundete Lady Hamilton schlossen sich den ebengenannten an; während ihnen aus der musikalischen Welt der damals allgemein beliebte und bekannte Componist Jomelli – dessen Oper Cajo Mario gerade damals mit großem Beifall in Neapel gegeben wurde – und ein deutscher Compositeur mit Namen Doll voll der herzlichsten Liebenswürdigkeit entgegenkamen.

Vom Hofe freilich war noch keine Einladung gekommen, obgleich die Königin Amadeus immer freundlich grüßte, wo sie ihn sah; dagegen hatte eine Akademie, von der Gräfin Kaunitz veranstaltet, den jugendlichen Meister in den höchsten Kreisen bereits eingeführt und namentlich auch mit dem Herzoge von Calabritta und dem Prinzen Francavilla, beide Verwandte des Königs, in Berührung gebracht. Das nächst Wichtigste aber für unseren jungen Musiker war nun eine Einladung in das Conservatorium della Pieta, woselbst er sich vor einem Kreise vornehmer Neapolitaner und den Zöglingen des Conservatoriums hören lassen und seine Meisterschaft als Clavierspieler beurkunden sollte. Doll und Jomelli hatten versprochen, ihn und den Vater zu diesem wichtigen Gange abzuholen.

Es war bereits sieben Uhr des Abends. Die größte Hitze war vorüber, und durch die geöffneten Jalousien zog ein frisches, erquickendes Lüftchen ein. Der Vater hatte sich auf den Balkon gesetzt, der sich vor dem Zimmer befand, und schaute, in nicht zu beschreibender Behaglichkeit, auf das Bild, das sich vor seinen Augen ausbreitete und das den ganzen Golf von Neapel umfaßte. Amadeus dagegen saß am Claviere und spielte mit stillem Entzücken ein Menuet von Haydn, den ihm Nannerl vor wenigen Tagen zugeschickt: Haydn war ja sein Ideal, seine Freude – als Deutscher – sein Stolz.

In diesem Augenblick traten die beiden musikalischen Freunde ein. Amadeus ließ sich nicht stören:[242]

»Hören Sie nur! hören Sie nur!« – rief er ihnen mit der ihm eigenthümlichen Lebhaftigkeit entgegen – »hören Sie nur etwas Neues von dem großen, göttlichen Haydn! .... Welch' ein Ausdruck heiteren Gemüthes! .... Ist das nicht als ob man in ein Gewühl glücklicher Menschen hineinkomme? .... Ist das nicht als ob Kinder lachten, sich neckten, mit Blumen würfen? ....«

Und er spielte in vollem Entzücken weiter. Endlich stand er auf und rief, indem sich sein von der Sonne des Südens leicht gebräuntes Gesicht ganz prophetisch verklärte:

»Wie schön, wie beneidenswerth ist doch der Wirkungskreis eines Tonkünstlers! Ich sehe es wieder an dieser Schöpfung. Mit seinen süßen Harmonien entzückt er Tausende und Abertausende empfänglicher Seelen; schafft ihnen die reinste Wonne; erhebt, besänftigt, tröstet sie! – Ja! auch dann, wenn er nicht mehr ist, lebt er fort in seinen Werken .... und Tausende segnen und bewundern ihn.«

»Nun!« – versetzte Jomelli – »unser guter Amadeus ist auf dem besten Wege, ein solch' glücklicher Unsterblicher zu werden!«

»Ja,« – rief Wolfgang lachend – »Wunsch und Wille sind dazu da; aber sonst bis jetzt noch wenig. Dagegen haben Sie sich, Herr Capellmeister, schon die schönsten Denkmale gesetzt. Ihre Opern: ›Iphigenia‹ und ›Cajo Mario‹ entzücken ganz Italien, und Ihr meisterhaft gesetzter Psalm: ›Benedictus dominus deus Israel‹ ist unvergleichlich schön. Wir hörten ihn in Rom!«

»Es geht aber nichts über klassische Kirchenmusik!« – sagte der Vater, der jetzt hinzugetreten war und den beiden Freunden die Hände drückte; – »und darin hat Amadeus recht, Ihr Psalm, Jomelli, ist eine klassische Composition, und wird überall entzücken.«

»Die Musik ist eben die wahre allgemeine Sprache,« – versetzte Jomelli – »die man überall versteht: daher kennen sie alle Länder und Völker, darum tönt sie durch alle Jahrhunderte, – darum wird sie mit so großem Eifer unaufhörlich geredet; deshalb macht eine bedeutsame, vielsagende Melodie auch gar bald ihren Weg um das ganze Erdenrund; während eine nichtssagende gemeinlich schnell verhallt und erstirbt.«[243]

»Nur muß sie nicht von Dingen reden wollen,« – versetzte Amadeus – »sondern einzig und allein von Gefühlen: denn gerade weil sie das Reich der Gefühle unumschränkt beherrscht, spricht sie so sehr zum Herzen, während sie dem Kopfe unmittelbar nichts zu sagen hat. Daher ist alle malende Musik ein Mißbrauch! ... o, ich fühle es so deutlich in mir, deutlicher als ich es sagen kann: Musik soll nichts Anderes sein, als Ausdruck der Leidenschaften.«

Doll und Jomelli hatten mit Staunen den Worten des, in seinem Aeußern fast noch knabenhaften Maestro zugehört. Er hatte mit dem Ernste eines erfahrenen Mannes gesprochen und doch war er ihnen bis dahin fast nur als ein ausgelassenes heiteres und witziges Kind vorgekommen. Aber sie sollten bald noch mehr erstaunen; denn wenn Amadeus einmal von Musik sprach, waren alle Kinderpossen vergessen und er erschien als vollkommen ur theilsreifer Mann. Diese Urtheilsreife lag aber eben so ursprünglich in ihm, als die Begabung zu Compositionen und technischer Ausführung. Er war mit diesen Gaben geboren.

Jomelli wollte ihm indessen heute einmal auf den Zahn fühlen und fuhr daher in dem Gespräche fort, indem er zu Amadeus gewandt, frug:

»Für was erklären Sie eigentlich die Musik? Was ist sie wohl, ihrer tiefsten Bedeutung nach?«

Wolfgang überlegte einen Moment, dann sagte er mit leuchtenden Augen, als spräche er einen Satz seines inneren Evangeliums aus:

»Musik ist die Melodie, zu der die Welt der Text ist!«

Die drei älteren Männer standen frappirt.

»Aber wie wollen Sie dies erklären?« – frug Jomelli weiter.

»Erklären?« – wiederholte Amadeus, – »wenn nur das ›erklären‹ nicht wäre. Ich fühle das Alles, aber das ›erklären‹ wird mir oft sauer.«

»Du mußt es aber doch versuchen!« – sagte der Vater – »denn nur so wirst du dir klar.«

»Nun!« – rief Wolfgang – »probiren wir's; aber ich muß einen Vergleich zu Hülfe nehmen. Das Verhältniß der Tonkunst zu dem ihr jedesmal aufgelegten bestimmten[244] Aeußerlichen, wie Marsch, Tanz, Aktion, kirchliche oder weltliche Feierlichkeit u.s.w. ist analog dem Verhältniß der Architektur als blos schöner, d.h. auf rein ästhetische Zwecke gerichteter Kunst zu den wirklichen Bauwerken, die sie zu errichten hat, mit deren nützlichen, ihr selbst fremden Zwecken sie daher die ihr eigenen zu vereinigen suchen muß, indem sie diese unter den Bedingungen, die jene stellen, doch durchsetzt, und demnach einen Tempel, Palast, Zeughaus, Opernhaus u.s.w. hervorbringt, daß es sowohl an sich schön, als auch seinem Zwecke angemessen sei und sogar diesen, durch seinen ästhetischen Charakter selbst ankündige. In gleichem Verhältnisse steht nun die Musik zu Welt und Leben. Ich kann sie mir ideal denken; aber dann ist sie Musik der Sphären. Für uns Erdenmenschen tritt sie nur auf, wenn sie die Melodie zu dem Text wird, den Welt und Leben geben. Die Mutter will ihr Kind in den Schlaf singen, Krieger ziehen in den Kampf, lustige Mädchen wollen tanzen, fromme Seelen sich erheben ..... da haben wir die Texte zu dem Wiegenlied, dem Marsch, dem Tanze, der Kirchenmusik.«

»Sollte aber die Dienstbarkeit zu all' diesen willkürlichen Zwecken das eigentliche Wesen der Musik sein?« – frug hier Doll.

»Nein! gewiß und wahrhaftig nicht!« – rief Amadeus eifrig und mit leuchtenden Augen. – »Ihrem eigentlichen, tiefinnersten Wesen ist dies Alles so fremd, wie der rein ästhetischen Baukunst die menschlichen Nützlichkeitszwecke. Wären wir höhere, nicht an die äußere Erscheinung gebundene Wesen, wüßten wir, daß die Musik ihrem tiefsten Wesen nach keinen Text bedarf, ja, ohne ihn, sich viel freier bewegt; aber wir sind eben Menschen und mit der irdischen Musik an Raum und Zeit, Welt und Leben gebunden. Dennoch geht etwas praktisches hieraus hervor: auch unsere Musik wird da ihren Höhepunkt erreichen, wo sie sich am freiesten vom Text macht, also im Concert, in der Sonate und vor allem in der Symphonie!«

»Sehr richtig!« – sagte Jomelli – »die Symphonie ist der schönste Tummelplatz der Musik, auf dem sie ihre Saturnalien feiert.«

»Und« – rief Amadeus – »den ganzen Jubel der Menschenbrust aushaucht! O, ich sehne mich darnach eine zu schreiben, und hier kann man es lernen. Das Leben in Neapel[245] ist eine einzige große Symphonie! – Aber wir sind von unserem Thema abgekommen, und doch möchte ich mich hier noch über etwas aussprechen.«

»Also?« – sagte der Vater.

»Ich sprach vorhin vergleichend von der Architektur,« – fuhr Wolfgang fort, – »nun, das Schicksal dieser Kunst führt mich wieder auf das der Musik. Beide sind auf böse Wege gerathen, von welchen sie zurückgebracht werden müssen.«

»Und welches sind diese Abwege?« – frug Jomelli.

»Das, was man thörichterweise jetzt ihre Tugenden nennt!« – versetzte der junge Maestro eifrig – »die römische Architektur, das hat man ja in Italien täglich vor Augen, kam unter den späteren Kaisern dahin, daß ihre reine ursprüngliche Schönheit unter der Ueberladung mit Verzierungen unterging. Ist es mit der Musik unserer Tage anders? Wird nicht alle Einfachheit und natürliche Schönheit verrückt und erdrückt von Schnörkeln, Verzierungen und Ueberladungen? Lärm, Lärm und wieder Lärm! ..... Viele Instrumente, viele Kunst, ..... aber wenig Wahrheit, wenig deutliche, eindringende und ergreifende Grundgedanken!«

Vater Mozart war bei dieser etwas allzukühnen Aeußerung seines Sohnes unruhig geworden. Er fürchtete, daß sich Jomelli durch diesen directen Tadel der damaligen italienischen Musik beleidigt fühlen und die Worte des Sohnes vielleicht weiter verkünden könnte. Aber Jomelli, der dies bemerkte, legte beruhigend seine Hand auf des alten Mozarts Arm und sagte lächelnd:

»Befürchten Sie nichts, mein edler Freund, Ihr Sohn spricht mir aus der Seele, und ich glaube, daß mein Cajo Mario beweist, daß ich denke, wie er.«

»Deshalb machte ich auch meiner Seele bei Ihnen Luft!« – rief Amadeus. – »Ich habe so viele schaale, nichtssagende, melodielose Compositionen des Zeitgeschmackes hören müssen, daß ich – gerade bei Ihrer Oper – mir vornahm, Ihrem Beispiele zu folgen, und wenn ich jetzt meine Oper für Mailand schreibe, den überflüssigen, entstellenden Quark wegzulassen.«

Vater Mozart ward es, trotz der erfrischenden Seeluft, die durch die geöffneten Jalousien hereinwehete, immer heißer: aber Amadeus war einmal im Zuge und so mußte der Vater mit Bangen und Zagen zuhören, wie sich sein vierzehnjähriger Sohn in den kühnsten reformatorischen Ideen erging:[246]

»Die große Oper« – sagte der junge maestro jetzt – »ist gar kein Erzeugniß des reinen Kunstsinnes mehr, vielmehr des barbarischen Begriffs von Erhöhung des ästhetischen Genusses mittelst Anhäufung der Mittel. Gleichzeitigkeit ganz verschiedenartiger Eindrücke und Verstärkung der Wirkung durch Vermehrung der wirkenden Masse und Kräfte; während doch die Musik, als die mächtigste aller Künste für sich allein, den für sie empfänglichen Geist vollkommen auszufüllen vermag; ja, ihre höchsten Produktionen, um gehörig aufgefaßt und genossen zu werden, den ganzen ungetheilten und unzerstreuten Geist verlangen, damit er sich ihnen hingebe und sich in sie versenke, um ihre einfache, aber so geheimnißvolle als innige Sprache zu verstehen. Statt dessen dringt man jetzt in der Oper zugleich durch das Auge auf den Geist ein, mittelst des buntesten Gepränges, der phantastischsten Bilder und der lebhaftesten Licht- und Farbeneindrücke; wobei noch außerdem die Fabel des Stückes ihn beschäftigt. Durch dies Alles aber wird der Zuhörer abgezogen, zerstreut, betäubt, und so am wenigsten für die heilige, geheimnißvolle innige Sprache der Töne empfänglich gemacht.«

»Da bietet doch die Kirchenmusik einen viel reineren Genuß!« – fiel hier Vater Mozart ein, der in seiner Verlegenheit nach einer Wendung des Gesprächs haschte.

»Freilich! Freilich!« – rief Amadeus – »schon darum weil deren meistens unvernommene Worte, oder das wiederholte ›Hallelujah!‹ – ›Gloria!‹ – ›Eleison‹ – ›Amen‹ u.s.w. zu einem bloßen Solfeggio95 werden, in welchem die Musik – den allgemeinen Kirchencharakter bewahrend – sich frei ergeht und nicht, wie beim Operngesange, in ihrem eigenen Gebiete von Miseren aller Art beinträchtigt wird, sondern sich frei und mit großen Flügelschlägen emporschwingt, wie ein Seraph!«

»Ja, ja!« – rief Jomelli und reichte Amadeus mit dem Ausdruck der aufrichtigsten und tiefsten Achtung die Hand – »ja! junger Mann, Sie haben recht! Messe und Symphonie allein geben vom höheren rein musikalischen Standtpunkte aus betrachtet, ungetrübten, vollen musikalischen Genuß; während in der Oper die Musik sich nur gar zu oft mit dem schalen Stück[247] elend herumquält und mit der ihr aufgelegten fremden Last durchzukommen sucht, so gut sie kann.«

Jetzt aber war Vater Mozarts Angst bis auf das Höchste gestiegen:

»Kinder!« – rief er daher mit fast rührender Besorgniß – »Kinder, Ihr habt beide recht und ich theile Eure Ansicht ganz und gar. Aber ich beschwöre Euch, kommt von dem unseligen Gedanken ab, den einmal herrschenden Geschmack zu reformiren. Hört mich als einen Mann von Erfahrung: Ihr seid verloren, wenn Ihr es thut! Führt das Gute und Schöne, was Euer Genius gebiert, immer ein; aber achtet die alten anerkannten Doctrinen. Führt die Menschen nach und nach zum Besseren, – läutert, veredelt die Musik – aber langsam, allmälig, unbemerkt. Wer den Menschen das Gute mit Gewalt aufzwingen will, erliegt den Anathemen der Privilegirten und Beschränkten; wird – ist er ein Musiker – von ihrem Schreien, Toben und Pfeifen zu Tode gehetzt werden!«

»Bester Capellmeister,« – versetzte Jomelli lächelnd, – »Ihr seid zu ängstlich. Alles schreitet vorwärts, also auch die Musik. ›Laßt die Todten ihre Todten begraben!‹ sagt die heilige Schrift; wir, die Lebenden, sind verpflichtet, den Gesetzen des Lebens Rechnung zu tragen und das Alte, Ueberlebte abstreifend, Neues, Edleres und Besseres zu schaffen.«

Vater Mozart schüttelte trübe das Haupt; dann sagte er zu Jomelli:

»Ihr, Herr Capellmeister, seid ein Mann von begründetem Rufe, großen Talenten und ausgebreiteten Lebenserfahrungen. Vielleicht glückt es Euch; aber ich fürchte, ich fürchte, Ihr fallt Eurem edlen Streben zum Opfer. Amadeus ist noch ein Knabe – ein Anfänger – er hat jedenfalls jetzt noch das Alte zu achten. Steht er einst groß da, dann mag er thun, was er nicht lassen kann!«96

Indessen war die Zeit zum Besuche in dem Conservatorium della Pieta herangekommen. Die Musiker machten sich also mit Amadeus auf den Weg dahin.[248]

Das Conservatorium war ein altes düsteres Gebäude, das eher das Ansehen eines Klosters, als das einer theoretisch und praktischen Bildungsanstalt für Musiker und Sänger hatte. Das große dunkle Thor glich einem Löwenrachen und der Empfang-Saal sah – trotz der vielen Heiligenbilder an den Wänden – einer Reitschule gar nicht unähnlich. Die Eindrücke, welche es daher auf Wolfgang machte, waren durchaus keine angenehmen, und die Stimmung, in die sie ihn versetzten, wurde durch die große Gesellschaft von Herren und Damen, die er außer den Schülern des Conservatoriums hier fand, durchaus nicht gehoben.

»Da geht wieder mein Leiden an,« – sagte er daher nach den ersten Begrüßungen in verdrießlichem Tone halblaut zu seinen Gefährten. – »Das wartet wieder Alles auf Hexereien und musikalische Seiltänzerkünste! Sehen wollen sie, wie meine Finger hüpfen und fliegen .... der Flug der Phantasie, das Hervorrufen musikalischer Ideen ist nicht die Sache der Menge.«

Und er war zerstreut, sein Blick unstät, sein Geist bei dem vorhin geführten Gespräche. Endlich bat man ihn, sich an das Clavier zu setzen. So wie er aber diesen Platz eingenommen, war er auch ein ganz anderer Mensch. Die Gesellschaft existirte nicht mehr für ihn. Ernst und gesammelt blickte sein Auge vor sich; jede Muskel drückte die Bewegung aus, die in ihm vorging und welcher er durch Töne Sprache gab.

So fing er, wie gewöhnlich, in langsamem Tempo an. Es war eine einfache Melodie, noch einfachere Harmonie, die nur nach und nach interessanter wurden. Er that dies, theils um sich selbst zu erheben, theils um den Geist der Zuhörer zu sammeln und dann mit sich in kühnem Adlerfluge emporzutragen.

Aber Wolfgang bemerkte nicht dabei, daß die Leutchen ringsumher sich ansahen, und daß über manches Gesicht eine Miene flog, die halb spöttisch, halb verächtlich sagte: – »Sehr gewöhnlich!«

Da ward das Spiel Mozarts plötzlich feierlich, seine Harmonie frappant und groß; aber das Frappante und Große war für gewöhnliche Ohren zu schwer. Das däuchte den Meisten langweilig, und so fingen verschiedene Damen an, einander etwas zuzuflüstern, mehrere nahmen Theil, am Ende sprach beinahe die halbe Gesellschaft leise.[249]

Jetzt erst bemerkte dies Amadeus, der bis dahin zu tief in seine Phantasien versunken war, um etwas anderes als die Klänge zu hören, die seinen Geist erfüllten und seine Hände wachriefen. Das Blut schoß ihm, dem leicht Gereizten, zu Kopf.

»Dummköpfe!« – brummte er ziemlich laut, aber in deutscher Sprache, vor sich hin. – »Sie schwätzen und basen, weil ich die Töne keine Purzelbäume auf ihrem Trommelfell schlagen lasse. Aber wartet, ich will Euch Respekt einflößen!«

Und mit einemmale, den Hauptgedanken mit einer brillanten Wendung wiedergebend, behandelte er denselben mit einer Virtuosität, die sogleich Alles verstummen machte, – und variirte dann die Melodie zehn- bis zwölfmal mit solcher ungeheuren Fingergewandtheit, daß sich die ganze Gesellschaft staunend herbeidrängte. Aber je mehr Ausrufe des Entzückens und der Bewunderung Amadeus jetzt hörte, desto wilder vor Zorn und Verachtung ward er. Seine kleinen schönen Hände flogen in den, nun wie zum Hohn und Spott losgelassenen Fingerhexereien so schnell über die Tasten, daß sie effectiv fast nicht mehr zu sehen waren und nur der Brillant seines Ringes durch sein Blitzen ihre pfeilschnellen Bewegungen kundgab.

Jetzt war die Gesellschaft starr und stumm vor Staunen. Namentlich erfaßte die Schüler des Conservatoriums ein unheimliches Grauen. Es war bei vielen – namentlich den älteren, die sich schon Jahre lang mit dem Clavier quälten, ohne es zu etwas Bedeutendem zu bringen – das Bewußtsein ihrer völligen Nichtigkeit gegen diesen vierzehnjährigen Knaben aus dem barbarischen Deutschland. Sie starben bald vor Neid, und als Amadeus geendet und ein lauter Applaus sein Spiel lohnte, zuckten mehrere die Achseln und flüsterten den Nächststehenden etwas in die Ohren. Da hörte man denn manches: »Ja so!« – »Jetzt begreife ich es!« – »Natürlich!« – »Das ist keine Kunst!« – und bald ging das Gezischel durch den ganzen Saal.

Wolfgang unterhielt sich gerade mit dem Director des Conservatoriums, und sah und hörte von diesem unanständigen Treiben daher nichts; in desto größere Verlegenheit brachte es Vater Mozart, Doll und Jomelli. Endlich sagte Letzterer: »Ich muß wissen, was das ist.« Und auf einen der Schüler zugehend, der ihm bekannt und verwandt war, frug er nach der Ursache dieses auffallenden Betragens.[250]

»Je nun!« – entgegnete dieser – »meine Freunde meinen, es sei so leicht als unrühmlich auf die Weise des jungen Herrn Mozart sich die Ehre zu verdienen.«

Jomelli stutzte.

»Ich verstehe Sie nicht!« – sagte er dann. – »Leicht? – wo ist denn einer von Ihnen allen, der sich mit ihm messen könnte? und was soll das ›unrühmlich‹ bedeuten?«

»Jeder kann sich mit ihm messen, der sich dazu hergiebt, sich desselben Mittels zu bedienen.«

»Mittel? .... ich wüßte hier keines, als ein eminentes Talent und eine horrible Fingerfertigkeit, die einen unbeugsamen Fleiß voraussetzt!«

»So?« – rief der Schüler verächtlich lächelnd.

»Was soll Ihr ›so‹?« – rief jetzt Jomelli, in ächt italienischen Zorn aufblitzend, so laut, daß auch der Director des Conservatoriums und Amadeus es hörten und näher traten.

»Sie sind des Herrn Freund!« – entgegnete achselzuckend der Schüler.

»Ich bin ein fünfzigjähriger Mann von begründetem Ruf,« – entgegnete Jomelli stolz, – »und beuge mich in hoher Verehrung vor diesem jungen, aber ächten Künstler, den selbst Bologna zum Cavaliere filarmonico ernannt hat.«

»Was wohl nicht geschehen wäre, wenn man gewußt hätte ....«

»Was?« – fielen hier Amadeus, Jomelli und Doll zugleich ein.

»Daß Sie einen ›Zauberring‹ am Finger tragen,« – platzte jener heraus – »der Ihnen die Kunstfertigkeit, mit welcher Sie alle Welt hinreißen, durch magische Kraft giebt!«

»Ja! es ist ein Zauberring,97 den er am Finger trägt!« – riefen jetzt eine Menge Stimmen.

Jomelli und Doll lachten laut auf; über die feinen Züge des jungen Mozarts aber lief nur ein leises Lächeln, in dem indessen der Ausdruck tiefsten Bedauerns lag. Ohne ein Wort zu sagen, streifte er den Ring vom Finger, legte ihn in die Hand des Directors, setzte sich abermals an das Clavier und spielte nun wo möglich noch wunderbarer, eleganter, künstlicher und hinreißender wie zuvor.[251]

Die Eleven standen verdutzt, bleich .... sprachlos da, den Ausdruck der Scham in den bornirten Zügen; und jetzt kannte, als Amadeus geendet, die Bewunderung der bis dahin Ungläubigen keine Grenzen mehr.

Aber Wolfgang fühlte sich nicht behaglich, und drang auf baldiges Weggehen.

Der Vater willigte gern ein und Jomelli und Doll begleiteten sie. Als sie aber das Conservatorium kaum hinter sich hatten, machte Amadeus zum Schrecken Aller auf einmal und mitten auf der Straße einen Luftsprung, indem er – freudig, wie ein freigelassener Sclave – rief:

»Zum Teufel jetzt die Dummheit der Menschen! Gott sei Dank, ich bin diese Gesichter los und will heute Abend so ausgelassen sein, als hätte ich die Nannerl oder meine ›kleine wilde Katze‹ bei mir!«

»So kommt zu mir!« – rief Jomelli, – »Ihr seid heute Abend meine Gäste!«

Die Einladung wurde mit Freuden angenommen, und nun hätte man Amadeus sehen sollen. Er parodirte mit köstlicher Persiflage die Eleven des Conservatoriums, von welchen auch einige diesen Abend gespielt und gesungen hatten, mit ihrer süßlich-bornirten Weise und ihrem verdorbenen und verdrehten Kunstgeschmack. Dann setzte er sich – während eine götterschöne Nacht durch die weit offen stehenden Fenster hereinblickte – vor Jomelli's Clavier, und – auf ihr heutiges Gespräch über die Verirrungen der damaligen Operncompositeure eingehend – führte er ganze Operscenen aus dem Stegreife in jener überladenen Manier so wahrhaft komisch auf, daß die Uebrigen sich vor Lachen schütteln mußten.

Plötzlich war er verschwunden; zehn Minuten später aber trat er mit einem beschriebenen Notenblatt, dessen Noten noch nicht trocken waren, aus Jomelli's Arbeitszimmer.

»Nun!« – rief Doll heiter, – »was für ein Werk haben wir jetzt wieder der Inspiration unseres jungen Maestros zu danken!«

»Werk?!« – frug Amadeus mit komischem Pathos, – »Herr, wenn der Cavaliere filarmonico mit dem ›Zauberringe‹ schreibt, so giebt das nicht so schlechthin nur ›ein Werk,‹ sondern ein Kunstwerk

»Nun!« – versetzte jener lachend, – »also: mit was für einem ›Kunstwerk‹ will uns Signor Mozart überraschen?«[252]

»Mit einem der erhabensten Kunstwerke im Sinn und im Geiste der Zeit!«

»Und das ist?«

»Eine der großartigsten Bravour-Arien für irgend eine großartige Prima-Donna.«

»Etwas für die Bernasconi, die in deiner Mailänder Oper singen soll, und die wir morgen besuchen müssen?« – frug der Vater scherzend.

»Einerlei!« – rief Amadeus lustig, ein volles Glas köstlichen im Eis gekühlten Capri-Wein hinunterschlürfend. – »Bernasconi, Gabrielli, Bastardella oder Spagnoletta .... jedenfalls müßte sie eine Stimme wie eine Nachtigall und einen Athem wie ein Blasbalg haben.«

»Zeig her!« – sagte der Vater. – »Ha, ha! ..... Spottvogel .... das sind Lieblingsideen der Alessandri, Gazzaniga u.s.w.«

»Und der Text!«

Aber ein neues homerisches Gelächter schallte jetzt durch die Räume. Amadeus hatte ihn aus einer Summe der hochtrabensten und wüthigsten italienischen Opernfloskeln und Exclamationen zusammengesetzt und diese bunten Glasperlen auf das Possierlichste zusammengereiht.

»Gebt jetzt Acht!« -rief er, an das Clavier tretend, – »die Prinzessin kommt!« – und mit unnachahmlicher Schelmerei sang er, mit seiner schwachen aber schönen und schulgerecht gebildeten Stimme:

»Dovo, ohi dovo, son io? – – – Oh Dio! questa pena! o prince! ... o sorte! ... io tremo! ... io manco! ... io moro! ... o dolce morte!« 98

Aber in demselben Moment fiel, wie eine Bombe in's Haus, der entlegenste Accord brausend drein, und Amadeus sang, an der Prinzessin Stelle zusammenfahrend: »Ah qual contrasto! .... barbare stelle! .... traditore! .... carnifice!« ....99

Und so ging es voll Schelmerei fort über die wankenden Brücken des Imponendo, colla parte, vibrando, rinforcando, smorzando u.s.w. und deren vielfältige Schnäbel und Widerhaken.[253]

Niemals hatte der Vater seinen Amadeus noch so liebenswürdig ausgelassen gesehen als heute; er ward selbst ganz jung und feurig, und alle vergaßen so sehr der Zeit, daß der Morgen schon am Himmel stand, als sie von einander schieden.

»Es lebe der Zauberring!« – rief Amadeus noch, als sie schon auf der Straße waren, Jomelli zurück. – »Ohne ihn wären wir nicht so lustig gewesen!«

Quelle:
Heribert Rau: Mozart. Ein Künstlerleben. Berlin 4[o.J.], S. 241-254.
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