29.

Das Ordenskreuz.

[280] »So ist also Ihre Abreise nach Rom unumstößlich auf morgen festgesetzt?« – frug mehrere Tage später Jomelli, der mit Doll bei Mozarts eben eingetreten war.

»Ja!« – entgegnete der fürstlich Salzburgische Capellmeister. – »Leider können wir nicht länger in dem unvergleichlichen Neapel bleiben.«

»Dies ›leider‹ hören wir sehr ungern und doch auch wieder gern!« – sagte Jomelli freundlich. – »Gern, weil es uns beweist, daß es Ihnen hier gefiel, und ungern, sehr ungern, weil wir daraus ersehen, daß Ihr Entschluß, uns zu verlassen, fest steht!«

»Meine Freunde!« – versetzte der Capellmeister – »vor allen Dingen habe ich, als höchste Richtschnur meines Handelns, die musikalische Carrière meines Sohnes im Auge zu behalten. In dieser Beziehung führt uns denn unser Weg über Rom nach Mailand, denn es ist Zeit, daß Amadeus seine Oper zu componiren beginnt. Ferner bietet sich uns eine treffliche Reisegelegenheit, da uns der kaiserliche Gesandte, Graf Kaunitz, der ebenfalls nach Rom geht, einen seiner Wagen angeboten hat; endlich hat unser Aufenthalt in Neapel, – nachdem wir nun auch den Vesuv, Pompeji, Herkulanum und alle anderen Merkwürdigkeiten gesehen haben, – keinen Zweck mehr, denn zu Hofe kommen wir doch nicht!«[280]

»Es ist unbegreiflich!« – sagte Doll. – »Die Königin war doch immer so artig!«

»O ja!« – rief Amadeus lachend. – »Sie grüßte immer sehr freundlich; aber dabei blieb es auch.«

»Und hat sie denn gar keinen Einfluß auf den König?« – frug der Vater.

Jomelli zuckte die Achseln, dann sagte er, nachdem er sich vorsichtig umgesehen, mit gedämpfter Stimme: – »Hier regiert nur einer, und das ist glücklicherweise der Minister Tanucii; der König ist nach seiner angebornen Natur und nach seiner Bildung der roheste unter den rohen Fischern, Jägern und Lazzaroni, mit denen er denn auch gern verkehrt und täglich umgeht; deren Sitten und Witze er sich angeeignet hat und deren Volksdialekt er redet!«

»Unglaublich!« – riefen Vater und Sohn.

»Er ist ein wilder, zügelloser, unermüdeter Jäger, – ein Fischer, der bei jedem Wetter, selbst bei furchtbar brennender Sonne im offenen Kahne aushält!«

»Und sein Vater?«

»That nie etwas für seine Erziehung. Bildung und Kunst blieben ihm vollkommen fremd.«

»Aber als Regent, als König, mußte doch für sei nen Unterricht gesorgt werden?«

»Es war genug, ihn zur Kirche und ihren Ceremonien anzuhalten, da war er der Seligkeit gewiß und brauchte weder menschliches Gefühl, das ihm überhaupt ganz fehlt, noch Tugend, noch Kenntnisse und Einsicht.«

»Und die Königin?«

Jomelli sah sich wiederholt vorsichtig um, und erst, als er überzeugt war, daß Niemand ihr Gespräch hören konnte, versetzte er:

»Wenn Tanucii nicht wäre, würde Land und Volk diesem ausschweifenden und grausamen Weibe und ihren Liebhabern Preis gegeben sein.«102

»Schweigen wir also über diesen Gegenstand!« – sagte hier traurig Vater Mozart. – »Sie sehen, daß wir recht haben, nicht länger auf eine Einladung des Hofes zu warten. War doch der Violinist Lamotte, der in der Kaiserin Maria Theresia's Diensten steht und auf ihren Befehl[281] und für ihre Unkosten Italien durchreist, und dem man geradezu versprochen hatte, ihn zu hören, Monate lang umsonst in Neapel. Nein, nein! die Zeit ist kostbar, wir gehen.«

»Sie haben recht!« – versetzte Doll. – »Nur ist es recht schmerzlich für uns, Sie zu vermissen.«

»Um Gottes Willen!« – rief jetzt Wolfgang – »nur keine Abschiedsscenen! Sagen Sie mir lieber, bester Jomelli, wie geht es Caraffa

»Um vieles besser.«

»Ist er außer Gefahr?«

»Vollkommen! – Sie wissen ja, Maestro, daß die Bernasconi Wort hielt, sowohl mit der Probe, als mit der Aufführung, in der sie die ganze Fülle und Pracht ihrer Stimme, den ganzen Glanz ihrer Schule entfaltete.«

»Ja! davon war ich ja selbst Zeuge und freute mich darüber!« sagte Amadeus.

»Dies Weib hat eben doch etwas Großes!« – fuhr Jomelli fort – »auch in ihrer Denkungsart. Aber ....«

»Aber!«

»Sie ist eben Primadonna, und damit ist Alles gesagt.«

»Und Caraffa

»Er war überglücklich als er hörte, wie herrlich seine früher so erbitterte Feindin in der ›Thisiphone‹ gesungen und daß seine Oper gefallen. Ich denke, es ist der Welt dadurch ein tüchtiger Musiker erhalten worden.«

»Und haben Sie von der Bernasconi schon Abschied genommen?« – frug hier Doll.

»Wir sprachen sie seit jenem Abend auf Ischia nicht mehr!« – entgegnete Vater Mozart. – »Wenn sie uns aber auch nicht annahm, so war sie nicht min der liebevoll.«

Und mit diesen Worten holte der Capellmeister ein Etuis herbei, das bei seinem Oeffnen ein reizend gemaltes Bild von Ischia zeigte.

Auch der Rahmen war von wundervoller und kostbarer Arbeit; in der Mitte des oberen Theiles aber tauchten zwei kleine Engel aus den, das Ganze schmückenden, Arabesken – zwei kleine allerliebste Engel, die ein goldenes Schildchen hielten, auf welchem die Worte standen:

»Kyrie eleison!«

»Das ist ein sehr sinniges Andenken!« – sagte Jomelli – »auf das unser Amadeus noch dazu stolz sein kann.«[282]

»Es ist mir wenigstens unendlich theuer!« – versetzte dieser und seine Blicke hingen mit Entzücken an demselben.

Freunde traten jetzt ein, dann mußten noch einige Abschiedsbesuche gemacht werden und so ging die letzte Zeit in Neapel dahin.

Aber wie leid that beiden am anderen Morgen die Trennung von der herrlichen Stadt und Gegend! Für Wolfgang war es ein Glück, daß er nach Rom und zu Giuditta ging, die er in den letzten Wochen fast vergessen hatte. Ob in Giuditta's Herz und Geist sein Bild und Andenken wohl auch so schnell vergessen war?

Nun, es mußte sich ja bald zeigen! Aber die Reise war diesmal ziemlich anstrengend, denn es ging, beinahe ohne Aufenthalt, siebenundzwanzig Stunden mit Postpferden. Herr Leopold Mozart galt dabei für den Haushofmeister des kaiserlich österreichischen Gesandten, Grafen Kaunitz, und bekam somit überall freundliche Gesichter und gute Pferde, so wie es ihm in Rom die lästige Mauth-Visitation ersparte.

So hatten sie, bei Ankunft in Rom, in siebenundzwanzig Stunden nur zwei Stunden geschlafen. Sobald sie daher ein wenig Reis und ein paar Eier gegessen hatten, die ihnen Frau Uslinghi servirte – Giuditta zeigte sich nicht – schlief Amadeus vor Müdigkeit und Abspannung auf dem Stuhle ein, und zwar so fest, daß ihn der Vater völlig ausziehen und schlafend in's Bett legen mußte. Aber auch hierbei gab er kein Lebenszeichen von sich, und als er den anderen Morgen um neun Uhr erwachte, wußte er nicht, wo er war und wie er in's Bett gekommen.103

Aber wo war Giuditta? – Der Angabe der Mutter nach, hatte sie sich nur auf wenige Tage zu ihrer Tante nach Civita Vecchia begeben; aber diese wenigen Tage vergingen und sie kam nicht zurück. Frau Uslinghi selbst erschien Amadeus weniger freundlich und es lag auf ihr und Giuditta's Abwesenheit etwas Geheimnißvolles.

Amadeus peinigte die Sache um so mehr, als er sich seit dem letzten Zusammentreffen mit dem lieben Mädchen in der Grotte der heiligen Cecilie von Marino nicht ganz frei von Schuld fühlte; wenigstens insofern, als er diese Zusammenkunft seinem Vater verheimlicht hatte, was[283] ihn, bei seiner sonstigen Offenheit und Ehrlichkeit, ungemein drückte und peinigte.

Sollte – so dachte er jetzt oft im Stillen – dem wachsamen Auge des Vaters jener letzte Abschied doch nicht entgangen sein? Und war die jetzige Abwesenheit Giuditta's und die leise Mißstimmung ihrer Mutter seine Schuld?

Wolfgang wagte nicht zu fragen; übrigens blieb ihm auch wenig Zeit dazu, so wie überhaupt sein Charakter nicht geschaffen war, derartigen Dingen lange nachzuhängen. Auch war die Stimmung des Vaters um so weniger eine erfreuliche, als er auf der letzten Station vor Rom durch einen Sturz des Wagens eine schmerzliche Verwundung am rechten Fuße davongetragen.

»Du weißt,« – schrieb in dieser Beziehung der Alte unter dem 30. Juni an seine Gattin nach Salzburg, – »daß zwei Pferde und ein Postillon drei Bestien sind. Auf der letzten Post nach Rom schlug der Postillon das Pferd, welches zwischen den Stangen geht und folglich die Sedia so gut als auf dem Rücken trägt. Das Pferd stieg in die Höhe, verwickelte sich in dem mehr als spanntiefen Sand und Staub und fiel mit Gewalt nach der Seite zu Boden, riß folglich den vorderen Theil der Sedia mit sich, weil diese nur zwei Räder hat. Ich hielt den Wolfgang mit einer Hand zurück, damit er nicht hinausstürze, mich aber riß die Gewalt mit dem rechten Fuße an das mittlere Eisen des zurückfallenden Spritzleders, daß ich das halbe Schienbein des rechten Fußes fingerbreit aufriß.«104

Indessen heilte die Wunde rasch, was um so nöthiger war, als der Capellmeister überhaupt diesmal nur wenige Tage für Rom bestimmt hatte und schon wieder Einladungen zu dem Cardinal Pallavicini, dem toskanischen Gesandten Baron Saint Odile und anderen Notabilitäten vorlagen.

Die Soirée bei dem Cardinal war ungemein glänzend. Amadeus spielte wie immer zum Entzücken der Anwesenden, wurde aber auch von dem Kirchenfürsten auf die liebenswürdigste Weise behandelt und ausgezeichnet.[284]

»Nun!« – sagte dieser, nachdem er sich lange mit dem jungen Maestro über deutsche und italienische Kirchenmusik unterhalten und von diesem Thema endlich auf die bevorstehende Abreise desselben von Rom gekommen war, – »der heilige Vater bedauert, wie wir Alle, Sie sobald von hier scheiden zu sehen; aber er wünscht wenigstens bei dieser Gelegenheit Ihnen und der Welt beweisen zu können, wie hoch er wahres Verdienst schätzt. Seine Heiligkeit haben mich daher beauftragt, Ihnen, Signore Cavaliere, seinen Orden vom goldenen Sporn zu überreichen. Sie sind damit zum Ritter dieses Ordens erhoben, und wollen dies goldne Kreuz zum Zeichen tragen.105 ›Te creamus auratae militiae equitem!‹«

Amadeus und der Vater standen überrascht. Dem noch nicht fünfzehnjährigen Maestro war hier dieselbe Ehre widerfahren, welcher sich der damals so berühmte Gluck zu erfreuen hatte. Neben Ritter von Gluck stand nun der noch so kindliche – Ritter von Mozart.

Amadeus und sein Vater statteten, wie sich von selbst versteht, dem Cardinal, und am andern Tage Seiner Heiligkeit ihren wärmsten Dank ab. Aber wie weit waren diese beiden edlen und einfachen Naturen von allem Stolze entfernt! Sie freuten sich über die Auszeichnung, legten aber keinen weiteren Werth hinein. Amadeus erwähnte dieses Vorfalles sogar nur in einem Briefe an die Schwester mit den leichthin scherzenden Schlußworten: »Mlle. j'ai l'honneur d'être Votre très humble serviteur et frère: Chevaliere de Mozart!«106

Dagegen gab etwas Anderes der ganzen Stimmung des jungen Künstlers eine solch' entschiedene Richtung, daß er alles Uebrige: Rom, Orden, Giu ditta und die Welt darüber vergaß .... es war das endliche Eintreffen des Textes seiner jetzt für Mailand zu componirenden Oper:»Mithridate Re di Ponto!«107 von Vittorio Amadeo Cigna-Santi.

Amadeus war, wie durch einen Zauberschlag, ein Anderer. Jetzt gab es keinen Gedanken für ihn mehr, als das neue große Werk. Jetzt war selbst Italien unter[285] seinen Füßen verschwunden, und kaum achtete er darauf, daß, als er zur Abreise in den Wagen stieg, eine unbekannte Hand ihm einen Zettel zwischen die Finger schob. In musikalische Gedanken verloren, entrollte er ihn und las:

»Wir sehen uns wieder!

Giuditta

Quelle:
Heribert Rau: Mozart. Ein Künstlerleben. Berlin 4[o.J.], S. 280-286.
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