83.

[93] Mon très cher Pére!


gestern Mittwoch den 22ten ist meine accademie in scena gegangen. graf Wolfeck war fleissig dabey, und brachte etliche stiftsdamen mit. ich war schon gleich die ersten täge in seinen logement um ihm aufzuwarten, er war aber nicht hier. vor etlichen tägen ist er wieder angelangt, und da er erfahren daß ich hier bin, so erwartete er nicht daß ich zu ihm kamm, sondern, da ich just hut und Degen nahm um ihm meinevisite zu machen, trat er eben zur thüre herein. nun muß ich eine beschreibung von den vergangenen tägen machen, ehe ich zum Concert komme. vergangenen sammstag war ich zu: ulrich, wie ich schon geschrieben habe. etliche täge vorher führte mich mein h: Vetter zum Prälaten v. hl. kreuz, der ein rechter brafer Ehrlicher alter Mann ist. Den sammstag ehe ich auf s: ulrich gieng, war ich mit meiner baase nochmahls im hl: kreuzerkloster, weil daß erstemahl der h: Dechant und Procurator nicht hier war, und weil mir mein bäsle sagte daß der Procurator so lustig seye.1

ach hat er sie2 ja bekommen, – – Mama: Ey beleibe, er hat ja immer geschrieben, daß er sie noch nicht hat – – Wolf: Das Disputiren kann ich nicht leiden, er hat sie gewis, und hiemit ists aus. Mama: Du irrest dich Wolf: Nein, ich irre mich nicht, ich wills der [93] Mama geschrieben zeigen. Mama: ja, und wo? Wolf: Da, lief die Mama nun liest sie just – – – Vergangenen Sonntag war ich im Ammt beym hl: kreuz. um 10 uhr gieng ich aber zum h: Stein. Das war den 19ten wir Probierten ein paarSinfonien zum Concert. hernach speiste ich mit meinen vettern beym hl: kreuz. unter der Tafel wurde Musique gemacht. so schlecht als sie geigen, ist mir dieMusique in den kloster doch lieber, als das orchestre vom Augspurg. ich machte eine sinfonie, und spiellte auf der violin das Concert er B vom vanhall3, mit algemeinem applauso. Der h: Dechant ist ein brafer, lustiger Mann, er ist ein vetter vom Eberlin4 heist Zeschinger, er kennt den Papa ganz gut. auf die Nacht beym soupee spiellte ich das straßburger-Concert. es gieng wie öhl. alles lobte den schönen, reinen Ton. hernach brachte man ein kleines Clavicord. ich Präludirte, und spiellte eine sonate, und die Variazionen von fischer. Dann zischerten die andern dem h:Dechant ins Ohr, er sollte mich erst orglmässig spielen hören; ich sagte, er möchte mir ein thema geben, er wollte nicht, aber einer aus den geistlichen gab mir eins. ich führte es spazieren, und mitten darin, (diefugue gieng ex g minor) fieng ich maior an, und ganz was scherzhaftes, aber in nämlichen tempo, dann endlich wieder das thema und aber arschling; endlich fiel mir ein, ob ich das scherzhafte wesen nicht auch zum thema der fugue brauchen könnte? – – ich fragte nicht lang, sondern machte es gleich, und es gieng so accurat, al wenn es ihm der Daser5 angemessen hätte. Der h: Dechant war ganz ausser sich. Das ist vorbey, da nuzt nichts, sagte er, das habe ich nicht geglaubt, was ich da gehört habe, sie sind ein ganzer Mann. mir hat freylich mein Prelat gesagt, daß er sein lebetag niemand so bündig und ernsthaft die orgl habe spiellen hören. (Dan er hat mich etliche tage vorher gehört, der Dechant war aber nicht hier.) endlich brachte einer eine sonata her, die fugirt war. ich sollte sie spiellen. ich sagte aber, meine herrn, das ist zu viell; das muß ich gestehen, [94] die sonata werde ich nicht gleich so spiellen können. ja, das glaub ich auch, sprach der Dechant mit viellem Eyfer, dann er war ganz für mich. das ist zu viell, da giebts keinen dem das möglich wäre. Übrigens aber, sagte ich, will ich es doch Probiren. Da hörte ich aber immer hinter meiner den Dechant. O du Erzschusti. o du spitzbub; o Du du! – – Ich spiellte bis 11 uhr. ich wurde mit lauter fugen themata Bombardirt und gleichsam belagert. Neulich beym stein brachte er mir eine sonata vom Beeché – – ich glaube ich habe das schon geschrieben. apropos wegen seinen Mädl6. wer sie spiellen sieht und hört, und nicht lachen muß, der muß von stein wie ihr vatter seyn. Es wird völlig gegen dem Diskant hinauf gesessen, beleybe nicht mitten, damit man mehr gelegenheit hat, sich zu bewegen, und grimaßen zu machen. Die augen werden verdreht. es wird geschmuzt. wenn eine sache zweymahl kömmt, so wird sie das 2te mahl langsamer gespiellt. kommt sie 3 mahl, wieder längsammer. Der Arm muß in alle höhe, wenn man eine Pasage macht, und wie die Pasage marckirt wird, so muß es der arm, nicht die finger, und das recht mit allem fleiss schwer und ungeschickt thun. Das schönste aber ist, daß wenn in einer Pasage (die fortfliessen soll wie öhl) nothwendiger weise die finger gewechselt werden müssen, so brauchts nicht viell acht zu geben, sondern wen es zeit ist, so läst man aus, hebt die hand auf, und fängt ganz commod wieder an, durch das hat man auch eher hofnung einen falschen ton zu erwischen, und das macht oft einen Curiosen Effect. Ich schreibe dieses nur um dem Papa einen begrif vomClavier spiellen und instruiren zu geben, damit der Papa seiner zeit einen Nuzen daraus ziehen kann. h: stein ist völlig in seine tochter vernarrt. sie ist 8 halb jahr alt, sie lernt nur noch alles auswendig. sie kann werden, sie hat genie. aber auf diese art wird sie nichts. sie wird niemahlen viell geschwindickeit bekommen, weill sie sich völlig befleist die hand schweer zu machen. sie wird das nothwendigste und härteste und die hauptsache in der Musique niemahlen bekommen, nämlich das tempo, weil sie sich [95] vom jugend auf völlig beflissen hat, nicht auf den Tact zu spiellen. h: stein und ich haben gewis 2 stund mit einander über diesen Punct gesprochen. ich habe ihn aber schon ziemlich bekehrt. er fragt mich iezt in allen um rath. er war in den Beeché völlig vernarrt. nun sieht und hört er, daß ich mehr spielle als Beeché; daß ich keine grimassen mache, und doch so expressive spielle, daß noch keiner, nach seinen bekenntniss, seine Piano forte so gut zu tractiren gewust hat. Daß ich immer accurat im tact bleybe. über das verwundern sie sich alle. Das tempo rubato in einem Adagio, daß die lincke hand nichts darum weiß, können sie gar nicht begreifen. bey ihnen giebt die lincke hand nach. graf Wolfeck und mehrere, die ganz Passionirt für Beché sind, sagten neulich öfentlich im Concert, daß ich den Beeché im sack schiebe. graf wolfeck lief immer im saal herum, und sagte. so hab ich mein lebetag nichts gehört. er sagte zu mir. ich muß ihnen sagen, daß ich Sie niemahlen so spiellen gehört, wie heute. ich werde es auch ihrem Vatter sagen, sobald ich auf salzbourg komme. was meynt der Papa was das erste war nach der Sinfonie? – – Das Concert auf 3 Clavier: h: Demmlerr7 spiellte das Erste, ich: das zweyte, und h: stein das dritte. Dann spiellte ich allein, die lezte sonata ex D fürnDürnitz: dann mein Concert ex B. dann wieder allein ganz orglmässig, eine fuge ex C minor, und auf einmahl eine Prächtige sonata ex C maior so aus dem kopf mit einem Rondeau auf die lezt. es war ein rechtes Getös und lerm. h: stein machte nichts als gesichter und grimassen vor verwunderung. h: Demler muste beständig lachen. Das ist ein so Curioser Mensch, das wen ihm etwas recht sehr gefällt, so mus er ganz entsezlich lachen. bey mir fieng er gar zu fluchen an. addio. ich küsse dem Papa die hände, und meine schwester umarme ich vom ganzen herzen ich bin dero gehorsamster sohn

Wolfgang Amadé Mozart8


Den 24 oct: 1777 augusta vindelicorum.

Fußnoten

1 Folgt der Brief der Mutter (23. Oktober), der plötzlich abbricht und von Wolfgang nun weitergeführt wird.


2 Die Duette Schusters.


3 Johann Wanhal (1739–1813), ein ungemein fruchtbarer und beliebter Klavierkomponist.


4 Ernst Eberlin (1716–1762), Salzburger Hofkapellmeister.


5 Ein Salzburger Schneider.


6 Maria Anna Stein (1769–1833), das damalige Augsburger Wunderkind, die spätere Gattin J.A. Streichers.


7 Der Organist Joh. Mich. Demmler († 1784).


8 Antwort des Vaters: 29. Oktober.


Quelle:
Die Briefe W. A. Mozarts und seiner Familie. 5 Bände, Band 1. München/ Leipzig 1914, S. 96.
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