Vorwort

Nach meiner kritischen Gesamtausgabe der »Briefe Mozarts und seiner Familie« (München 1914, 4 Bände) und der Mozart-Ikonographie (ebenda 1914) lege ich hiermit im Rahmen der Veröffentlichungen des Fürstlichen Institutes für musikwissenschaftliche Forschung i.E. zu Bückeburg die Handschrift Mozarts in zeitlich geordneten Nachbildungen vor.

Die Veröffentlichung einer fortlaufenden Reihe Mozartscher Handschriften bedarf heute wohl keiner besonderen Begründung mehr. Händelsche Originalpartituren sind durch Friedrich Chrysander einem weiteren Kreise zugänglich gemacht worden, Hermann Kretzschmar hat der Handschrift Sebastian Bachs einen Band der großen Bachausgabe gewidmet. Neuerdings hat Alfred Schnerich das vielumstrittene Requiem Mozarts in einer Faksimileausgabe erscheinen lassen. Sind auch einzelne Dokumente, Briefe und Notenseiten Mozarts in ihrer Originalgestalt gelegentlich da und dort wiedergegeben worden, eine Tafelfolge, die Mozarts Handschrift aus allen Zeiten seines kurzen Lebens, von Jahr zu Jahr, aufzeigt, fehlte bislang. Sie soll in dieser Mappe geboten werden und dürfte, wie wohl zu erwarten ist, von den Kunstfreunden mit dankbarer Anerkennung des durch das Fürstliche Institut bekundeten Opfersinns aufgenommen werden.

Wie die Handschrift Bachs und Händels sowie anderer Meister wird besonders auch die Mozarts Interesse und Rührung bei denen hervorrufen, welche die in Theater, Haus und Konzertsaal gehörten Werke des großen Salzburger Künstlers sich einmal in ihren Autographen vor Augen führen wollen. Der praktische Musiker, der sich dem Studium Mozartscher Partituren zugewandt hat, wird in Ergriffenheit den Schriftzügen des Schöpfers der Jupitersymphonie, der Zauberflöte gegenübertreten. Auch die Handschriften Mozarts lassen einen Blick tun in die innere Werkstatt des Künstlers, sie geben ferner stellenweise Berichtigungen und Ergänzungen zu den Drucken, denen gegenüber sie wie alle Originale der Künstler stets eine primäre Stellung einnehmen. Weiterhin können Handschriftproben Mozarts der modernen Mozartforschung, die mit Recht auf die Urzeugnisse zurückzugreifen sucht, immerhin einige nicht unwichtige Hilfsdienste leisten.

Die Auswahl der einzelnen Tafeln erfolgte unter dem Gesichtspunkt, für möglichst alle Jahre von 1764 bis 1791, also von Mozarts neuntem Lebensjahre an bis zu seinem Tode, ununterbrochen solche Handschriftenteile kleineren und größeren Umfangs zu bieten, deren Echtheit unbestritten und deren Datierung zweifelsfrei ist. Auch einzelne Skizzen und Briefe wurden neben den Notenstücken herangezogen. Fast alle Gebiete des Mozartschen Schaffens fanden Berücksichtigung, neben Werken, bei denen das entwicklungsgeschichtliche Interesse vorwiegt, besonders auch die Hauptwerke, die noch heute unverblaßt unter uns leben. Von einzelnen Hauptwerken wie etwa dem Don Giovanni und der g-moll-Symphonie Blätter mitzuteilen, lag außerhalb der Möglichkeit. Bei allen Aufnahmen wurde die Originalgröße streng eingehalten, und auf die denkbar sorgfältigste und genaueste Wiedergabe Nachdruck gelegt. Verschiedene Handschriften wurden, um dem Originalbild möglichst nachzukommen, mehrfach photographiert. Die Reproduktionen sind in der Werkstätte des Fürstlichen Institutes unter der Leitung des Herrn Dr. Heinrich Jantsch hergestellt. Erfreulicherweise brachten die Besitzer der Handschriften dem Unternehmen die größte Bereitwilligkeit und Liberalität entgegen. Ihnen allen, ferner den Herren Bibliotheksdirektor Professor Dr. W. Altmann in Berlin, Paul Hirsch in Frankfurt a.M., Konservator G. Kinsky in Cöln, Bibliothekar Dr. Robert Lach in Wien, Direktor Professor Dr. Carl August Rau in Bückeburg gebührt ein besonderer Dank. Nicht unbemerkt soll bleiben, daß diese Ausgabe inmitten des Weltkrieges fertiggestellt werden konnte.


Bonn am Rhein, Ende Juni 1919.


Dr. Ludwig Schiedermair.

Quelle:
W.A. Mozarts Handschrift. Herausgegeben von Ludwig Schiedermair, Bückeburg, Leipzig 1919, S. 5.
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