I.

[330] Der Organistendienst an der Kirche Divi Blasii in der freien Reichsstadt Mühlhausen war durch mehre reich begabte Künstler, welche ihn während der letzten anderthalbhundert Jahre versehen hatten, zu einer besondern Berühmtheit gelangt. Von 1566 bis 1610 (den 24. Mai) wirkte an dieser Stelle Joachim Moller von Burck (geb. 1541), der Freund Johann Eccards, ein Mann, auf dessen Anregung man zum großen Theil den lebendigen musikalischen Sinn zurückzuführen hat, welcher Mühlhausen lange auszeichnete1. Am Ende des Jahres 1654 trat Johann Rudolph Ahle ein (geb. 1625), ein eben so tüchtiger Orgelspieler und Componist, wie praktischer Lenker öffentlicher Angelegenheiten, da er Mitglied des Raths und selbst Bürgermeister wurde. Er starb im besten Mannesalter am 8. Juli 1673; schon vom Beginn des Jahres 1672 an hatte sein Sohn Johann Georg an seiner Statt fungirt, der ihm auch folgte. Ebenfalls durch musikalisches Talent ausgezeichnet, nahm er gleich dem Vater einen Platz im städtischen Rathe ein, und erwarb sich sogar vom Kaiser Leopold I. die Dichterkrone »wegen seiner Tugend und herrlichen Geschicklichkeit, sonderlich aber seiner vortrefflichen Wissenschaft in der edlen teutschen Poesie, wie auch seiner raren und an muthigen Art in der belobten Musik und deren netten Composition halber«2. Auch versuchten sich beide als musikalische Schriftsteller. Johann Georg Ahle starb am 2. Dec. 1706 und wurde drei Tage darauf begraben [331] unter hohen Ehren, wie sie dem Ansehen entsprachen, welches er genossen hatte3.

Einen Ersatzmann fand man dieses Mal nicht sogleich; inzwischen wurde ein Schüler beauftragt, den Dienst, so gut es gehen wollte, zu leisten. An mehren Bewerbern um einen solchen Ehrenplatz fehlte es jedoch nicht; auch Bach muß ihn dafür angesehen haben, denn in einer Aeußerung des Vetters Johann Ernst, der sein Nachfolger in Arnstadt zu werden sich bemühte, klingt zuverlässig seine eigne Ansicht wieder. Dieser sagt in einem Gesuche, das er am 22. Juni 1707 an das Consistorium richtet, es werde demselben bekannt sein, daß seinem Vetter »die vacirende Organistenstelle bei der berühmten Kirche St. Blasii angetragen, und nach erhaltener Vocation auch von ihm willigst acceptirt worden«. Gleichwohl beeilte er sich nicht zu sehr, den Rath zu Mühlhausen mit seiner Person und Kunstfertigkeit bekannt zu machen. Der Orgelbauer Wender hatte den damals noch in Erfurt lebenden Johann Gottfried Walther veranlassen wollen, schon zum Sonntage Sexagesimae des Jahres 1707 zu einem Probespiel herüber zu kommen; dieser war jedoch aus Gründen nicht darauf eingegangen4. Dagegen hatten einige andre die öffentliche Probe abgelegt, die aber Bach, der sich erst zu Ostern einstellte, ohne Mühe aus dem Felde schlug: der Rath, als er einen Monat darauf, am 24. Mai, zur Sitzung sich versammelte, war gleich darüber im Klaren, und liess ihn auffordern, sich zum zweiten Male einzustellen, damit er wegen billiger Gehaltsforderungen »bearbeitet« werde5. Man fürchtete wohl, daß ein so großer Virtuose unerfüllbare Ansprüche machen würde. Allein es war Bach garnicht um pecuniäre Verbesserung zu thun, trotzdem er in kurzem für zwei zu sorgen hatte, und als er nach drei Wochen [332] persönlich mit dem Rathe verhandelte, verlangte er nur so viel Gehalt, wie ihm in Arnstadt ausgesetzt gewesen war, und dazu was sein Vorgänger an Lieferungen erhalten hatte. Zwar überstieg die Besoldungssumme diejenige Ahles auch so schon fast um zwanzig Gülden, da diesem seit 1677 nur sechsundsechzig Gülden und vierzehn gute Groschen ausgeworfen waren6; sein Vater hatte noch weniger bezogen. Bachs Gehalt belief sich demnach auf 85 Gülden7, 3 Malter Korn, 2 Klafter Holz und 6 Schock Reisig als Aequivalent für das früher mit der Stelle verbundene Ackerland. Die Lieferungen wurden ihm vor die Thür gebracht. Außerdem empfing er, wie alle städtisch Angestellten, nach Mühlhäuser Sitte ein jährliches Fischgeschenk von drei Pfunden. Ausdrücklich sprach er noch die Hoffnung aus, daß ihm »zu Ueberbringung seiner Mobilien werde mit Fuhrwerk assistiret werden«: dem Bräutigam lag natürlich die Aussteuer seines demnächstigen jungen Weibes besonders am Herzen. Das alles gewährte auch der Rath ohne Umstände um so eher, als er augenblicklich durch andre Sorgen sehr bedrängt war. Denn vierzehn Tage vorher hatte ein gewaltiger, nächtlicher Brand die Wohnungen der Blasius-Gemeinde, welcher Bach angehören sollte, zum großen Theil zerstört; das Feuer hatte so sehr in der Nähe der Kirche und Pfarrgebäude gewüthet, daß die Bibliothek seines Superintendenten Frohne in einen Keller geworfen war, wo sie mehre Wochen liegen blieb8; mehre Mitglieder des Kirchenvorstandes waren obdachlos geworden, und als der Rathsdiener am andern Tage ihnen das Protokoll zur Unterschrift brachte, fehlte es an Feder und Tinte, und sie ließen sagen, dass sie jetzt für Musik keine Gedanken übrig hätten und mit dem Beschlusse der andern zufrieden wären. Es waren die schönsten und reichsten Theile der Stadt, welche das Feuer verzehrt hatte9, und der erste Eindruck, den Bach von seiner künftigen Umgebung erhielt, mußte ein wüster und trostloser sein. Daß [333] er trotzdem fröhlichen Muthes war, zeigte sich, da es von Arnstadt Abschied zu nehmen galt. Grund genug war auch vorhanden: die Befreiung aus lästigen Dienstverhältnissen, die Gewinnung eines für seine Jugend doppelt ehrenvollen Postens, die nahe Aussicht auf einen eignen Hausstand.

Seine Bestallung datirte vom 15. Juni, also mit dem Quartal Crucis begann das neue Amt. Am 29. Juni erschien er auf dem Rathhause zu Arnstadt, meldete, was geschehen war, bedankte sich mit Höflichkeit für das erwiesene Vertrauen, bat um seine Entlassung und gab die Orgelschlüssel in die Hand des Rathes zurück10. Auf einen rückständigen Theil seiner Besoldung wartete er nicht. Es kam öfter vor, daß kein Geld in den Kassen war; dann blieb der Gehalt einfach aus, und die Betroffenen konnten sehen, wie sie fertig wurden. Diesesmal benutzte Sebastian sein Guthaben zu einer Unterstützung seines hülfsbedürftigen Vetters Ernst, der seit mehren Jahren in Arnstadt ohne Anstellung lebte. Vermuthlich hatte dieser ihn während der Lübecker Reise vertreten, war ihm auch vielleicht früher in Hamburg behülflich gewesen, als Sebastian von Lüneburg aus dorthin pilgerte, denn es läßt sich ungefähr berechnen, daß beide wenigstens einmal dort zusammengetroffen sein werden. Solche Dienste zu vergelten fand sich jetzt die erwünschte Gelegenheit, und nur scheinbar ist die Summe eine geringfügige, denn fünf Gülden sind bei einem Gesammteinkommen von noch nicht 85 Gülden ein Gegenstand von Bedeutung, zumal wenn eine Vermählung und ein Umzug vor der Thüre warten, fünf Gülden bildeten den achten Theil von Ernst Bachs später erlangter Jahresbesoldung11. Daß Sebastian sie glaubte entbehren zu können, zeigt, in welcher gehobenen Stimmung [334] er sich befand, und wirft auch ein helles Licht auf seine einfache und haushälterische Lebensart.

Nun ging es frisch und mit jugendlicher Zuversicht hinein in die neuen Verhältnisse. Nach drei Monaten war alles so weit geordnet, daß er die Gattin ins eigne Haus einführen konnte, und hierzu kehrte er jetzt noch einmal nach Arnstadt zurück. In Dornheim, einem drei Viertelstunden davon entfernten Dörfchen, stand seit 1705 als Pfarrer Johann Lorenz Stauber, der sich zum Bachschen Geschlechte in nahen Beziehungen befand. Vermuthlich gehörte seine erste Gattin, Anna Sophie Hoffmann, zu jener suhlschen Familie, aus welcher sich Johann und Heinrich Bach ihre Ehefrauen holten. Als sie am 8. Juni 1707 gestorben war, vermählte er sich Jahrs darauf mit derselben Regina Wedemann, bei welcher, wie wir muthmaßen durften, Bachs Verlobte, Maria Barbara, sich aufhielt. Es erklärt sich nun, warum er es war, der am 17. October 1707 die Trauung unseres jungen Paares vollzog. Der Graf Anton Günther hatte dies ausdrücklich gestattet, auch wurden ihnen die vorschriftsmäßigen Gebühren für Arnstadt erlassen, und es erhellt aus diesem entgegenkommenden und freundlichen Benehmen, daß man ohne Groll und Verstimmung aus einander gegangen war. Die Notiz, welche Stauber darüber in sein Pfarr-Register eintrug, verräth in ihrer Ausführlichkeit persönlichen Antheil genug. Sie lautet: »den 17. October 1707 ist der Ehrenveste Herr Johann Sebastian Bach, ein lediger Gesell und Organist zu S. Blasii in Mühlhausen, des weyland Wohlehrenvesten Herrn Ambrosii Bachen, berühmten Stadtorganisten und Musici in Eisenach Seeligen, nachgelassener eheleiblicher Sohn, mit der Tugendsamen Jungfrau Marien Barbaren Bachin, des weyland Wohlehrenvesten und Kunstberühmten Herrn Johann Michael Bachens, Organisten im Amt Gehren Seeligen, nachgelassenen Jungfrau jüngsten Tochter, allhier in unserm Gotteshause, auf Gnädiger Herrschaft Vergünstigung, nachdem sie zu Arnstadt aufgebothen worden, copulirt worden«12. Ein besonders willkommener Zufall erhöhte noch [335] das Glück: Tobias Lämmerhirt, ein älterer Bruder von Sebastians verstorbener Mutter und wohlhabender Erfurter Bürger, war im September dieses Jahres mit Tode abgegangen und hatte jedem seiner Geschwisterkinder 50 Gülden als Legat vermacht13. Am 18. September wurde sein Testament eröffnet, und da einer umgehenden Auszahlung der Legate nichts im Wege stand, so wird die Summe grade zur Hochzeit recht gekommen sein. Es konnte Sebastian nun dünken, als habe seine selige Mutter selbst den Segen zu dieser Verbindung gegeben, und froh und dankerfüllt zogen die Leutchen ihrer gemeinsamen Heimath zu.

Mühlhausen erfreute sich eines guten musikalischen Rufes; zu der Zeit jedoch, als Bach dahin kam, zehrte es größtentheils von einer Vergangenheit, in welcher es Joachim von Burck und Johann Eccard, Georg Neumark und Johann Rudolf Ahle die seinigen nennen durfte, und wo eine »musikalische Societät« die singenden und spielenden Kräfte von Stadt und Land in reicher Anzahl zu regelmäßigen Kunstübungen versammelte14. Schon Johann Georg Ahle bewegte sich auf einer Bahn, die, einseitig verfolgt, zuletzt im Sande verlaufen mußte. Freilich auch sein Vater hatte die geistliche Arie mit Vorliebe gepflegt, dieses aus subjectiver Frömmigkeit entsprungene mehr- oder einstimmige Strophenlied mit Instrumental-Ritornellen. Aber einmal wußte er hierin doch einen allgemeiner ergreifenden Ton anzuschlagen, so daß nicht wenige derselben sich auch für den Gemeindegesang tauglich erwiesen, sodann war er mit den größern und complicirteren Formen des geistlichen Concerts sehr wohl vertraut und hatte hierin Hammerschmidts bahnbrechende Richtung mit Glück weiter verfolgt. Eine dritte Seite seines Künstlerthums bilden [336] bisher unbekannt gebliebene hervorragende Leistungen in der Orgelcomposition, denen seine Fertigkeit als Orgelspieler entsprochen haben wird15. In den Chorälen, die meistens motettenhaft behandelt erscheinen, geht es freilich noch ziemlich planlos und willkürlich her, wie es die damalige Kindheit dieses Kunstzweiges erwarten läßt. Hin und wieder zeigen sich aber schon deutliche Ansätze der Pachelbelschen Form, und es ist belehrend und interessant zugleich, zu beobachten, wie hier einem dunkel vorschwebenden Ideale nachgeirrt wird, was, nachdem es einmal enthüllt war, so einfach und selbstverständlich erscheint, wie jede echte Wahrheit. Auch Ahles Fugen sind merkwürdige historische Denkmale. Die Form der Quintenfuge ist bei ihnen noch nicht zum vollen Durchbruch gekommen: bisweilen beantwortet sich das Thema erst in der Octave und darnach in der Quinte, welche letztere Lage dann wieder eine Beantwortung in der Octave nach sich zieht; es kommt auch wohl eine ganze Weile ausschließlich Octavenbeantwortung vor. Engführungen gleich am Anfange sind beliebt, die Tonart schwankt zwischen alt und neu, die Pedalverwendung ist unregelmäßig und setzt sehr geringe technische Fertigkeit voraus. In der Polyphonie ist die Zweistimmigkeit vorherrschend, und es werden so geführte Partien gern in höherer oder tieferer Versetzung wiederholt. Trotz aller Unentwickeltheit sind diese Orgelcompositionen ein Zeugniß von ernster und eindringender Beschäftigung mit dem Gegenstande und tragen ein unverkennbar instrumentales Gepräge16. Johann Georg Ahle besaß nicht die musikalische Vielseitigkeit Johann Rudolfs, und hat sich, so viel wir wissen, nur auf die geistliche Arie und das kleine Spielstück für mehre Instrumente beschränkt. Beides vereinigte er gern zu kleinen Kunstganzen, indem er einer Arie Vor- und Nachspiel anheftete, häufig darin die Arien-Motive thematisch benutzte, und für letzteres damalige Tanzformen anmuthig verwendete17. [337] Orgelcompositionen wurden selten gedruckt, und daß wir handschriftlich solche nicht kennen, möchte ein Zufall sein; allein die große Fruchtbarkeit, die er in der Arien-Gattung entwickelt hat, bezeichnet doch diese als sein Hauptgebiet, und der großartige, objective Ernst der Orgel ist damit schwer vereinbar. Die geistliche Arie trug weder formell noch ideell die Bedingungen einer reicheren Entwicklung in sich. Sie hat ihre große Bedeutung dadurch gewonnen, daß sie das innerste Gefühlsleben an die Oberfläche lockte und das Tonmaterial auch in seinen feinen Spitzen ausbildete. Aber für die Gestaltung der großen Bachschen und Händelschen Tonformen ist sie nur mittelbar benutzt worden, und vom Anfang des 18. Jahrhunderts an war ihre selbständige Wichtigkeit für die Kunstmusik dahin, die nunmehr, hochfliegenden Geistes voll, nach mächtigem und allgemeingültigem Ausdruck strebte. Bei beständiger Bespiegelung des Ich in den kleinsten Formen verliert man leicht Maßstab wie Interesse für das, was außer uns liegt. So war es bei Georg Ahle geschehen, und die Mühlhäuser, seit lange gewohnt, in ihren Musikern vollgültige Autoritäten zu erblicken, waren ihm gefolgt, und was rings umher in der Musik sich ereignete, hatte sie wenig oder garnicht gekümmert.

In diese Verhältnisse kam Bach, der alle die seither gemachten Errungenschaften in der Orgelkunst und der Kirchencantate völlig beherrschte und schon über sie hinaus kühn nach Größerem strebte. Der Ruhm seiner Vorgänger mußte dem jungen Feuergeiste noch ein besonderer Sporn werden, an seinem Posten etwas tüchtiges zu leisten. Der Bestallung nach war er nur zum Orgelspiel in der Blasiuskirche an den Sonn-, Fest- und Feiertagen verpflichtet. Aber mächtig war bereits der Gedanke in ihm erwacht, die gesammte kirchliche Kunst auf eine höhere Stufe zu erheben, und dies bezeichnete er in einer späteren Eingabe an den Rath zweimal ausdrücklich als den Endzweck seines Strebens. Das sichere und unbeirrbare Gefühl für das Gebiet, auf dem die volle Kraftentfaltung möglich ist, war in allen Zeiten ein Merkmal des Genies, und so wenig Bach damals schon geahnt haben mag, wohin ihn einst dieser klar erschaute Weg führen werde, so bedeutsam ist es doch, eine solche Aeußerung aus dem [338] Munde des 23jährigen Künstlers zu vernehmen. Er erstreckte also seine Thätigkeit auch auf die kirchliche Gesangsmusik, obgleich diese eigentlich in den Wirkungskreis des Cantors fiel; ja, es scheint, als ob er sie ganz allein geleitet hätte. Vielleicht war dies von seinen Vorgängern her üblich und ihm daher ein solcher Uebergriff leichter möglich gewesen. Nach seinen Kunstanschauungen konnte er begreiflicher Weise nicht bei den Ahleschen Compositionen auch nur vorwiegend stehen bleiben, und da außer ihnen in Mühlhausen wenig Kirchenstücke vorhanden waren, so schaffte er sich kurzweg auf eigene Kosten eine gediegene Auswahl derselben an und führte sie auf. Den Kirchenchor nebst dessen begleitenden Instrumenten suchte er zu vervollständigen, und daß er im eignen Orgelspiel sein Bestes gab, versteht sich von selbst. Ihm ging dabei sein erster Schüler zur Hand, Johann Martin Schubart, geb. am 8. März 1690 in Gehra bei Ilmenau, der volle zehn Jahre in seiner unmittelbaren Nähe blieb und durch diese treue Anhänglichkeit bezeugt, eine wie große Anziehungskraft Bachs geniale Jugendlichkeit auf andre Musiker ausüben konnte, wenn sie unbefangen und ohne Eitelkeit ihm nahten. Im Jahre 1717 wurde Schubart seines Lehrers Nachfolger in Weimar, starb aber schon vier Jahre darauf im besten Alter. Auch der Name von Bachs Chorpräfecten läßt sich beibringen: es war Johann Sebastian Koch, der von 1708–1710 diese Stelle bekleidete, geboren 1689 in Ammern bei Mühlhausen und gestorben 1757 als Cantor in Schleiz18.

Bei dem unermüdlichen Eifer für seine Kunst ließ Bach auch den Stand der Musik in Mühlhausens nächster Umgebung nicht unbeachtet, und mußte bemerken, daß dort für die Kirche oft mehr und bessere Mittel verwendet wurden, als in der Stadt. Unter den umliegenden Dörfern hat sich besonders Langula vom Beginn des achtzehnten Jahrhunderts an bis in die neueste Zeit durch eine Reihe tüchtiger Cantoren und regen Musiksinn ausgezeichnet. Daß Bach hier bekannt wurde, offenbart eine in der Cantorei daselbst von mir entdeckte Kirchencantate seiner Composition, die sich als frühes Werk zu erkennen giebt, und wahrscheinlich in seiner Mühlhäuser [339] Zeit dorthin gelangte19. Sie ist unvollständig und auch mit theils nachweislichen, theils wahrscheinlichen Zusätzen der späteren Cantoren zu Langula ausgeputzt, bietet aber für die historische Betrachtung doch einen echten Kern als Stützpunkt. Das erste Stück, ein Duett zwischen Sopran und Baß (F dur) mit dem Textanfange: »Meine Seele soll Gott loben, denn das ist sehr wohlgethan« behandelt den Singbaß freilich noch ganz in der Weise der älteren Kirchencantate, und erinnert auch in der Melodik sehr an sie, ist aber schon in der vollen Form der italiänischen Arie gehalten und hat einige interessante Züge. Die Schlußfuge (B dur): »Alles was Odem hat, lobe den Herrn« ist ein prächtiges Stück feurigen Flusses, wovon das kühne, weitgeschwungene Thema eine Probe geben kann:


1.

Die weiten Melodieschritte zeigen sich ebenso in einer andern zu Mühlhausen componirten Cantate, die, da sie in denkbar bester Ueberlieferung und unverfälschter Gestalt vorliegt, eine genauere Betrachtung erfahren soll, wie sie einem Erstlingswerke des jungen Meisters zukommt.

Die Angelegenheiten der Reichsstadt leitete ein aus 48 Personen bestehender Rath, unter denen sechs Bürgermeister waren und welcher sich in drei Abtheilungen zu je 16 Personen gliederte. Von diesen führte je eine von Februar zu Februar das jährliche Regiment mit dem Vorsitze von zwei Bürgermeistern. Es war Sitte, daß der Rathswechsel durch eine kirchliche Feier und ein eigens dazu componirtes Musikstück ausgezeichnet wurde, welches dann in Stimmen in den Mühlhäuser Officinen von Joh. Hüter oder Tob. Dav. Brückner [340] gedruckt wurde. Die Composition lag seit langem dem Organisten an der Blasiuskirche ob, gegen den der Organist an der zweiten HauptkircheBeatae Mariae Virginis stets zurückgestanden zu haben scheint – zu Bachs Zeiten hieß er Hetzehenn –, und welcher überhaupt nach alter Tradition die höchste musikalische Würde der Stadt repräsentirte. Der Inaugurirung einer neuen Raths-Körperschaft mit den Bürgermeistern Strecker und Steinbach verdankt eine Cantate Bachs zum 4. Februar 1708 ihre Entstehung und auch Drucklegung, wozu es während Bachs Lebzeiten keine andre Cantate, so weit wir wissen, gebracht hat. Nicht nur dieser Druck ist uns erhalten, sondern auch Partitur nebst Stimmen in autographer Schrift von entzückender Zierlichkeit und Anmuth, in der Partitur sind die Taktstriche, wie in des Meisters früheren Werken öfter, sogar mit dem Lineal gezogen20. Die Aufführung fand in der Marienkirche statt, in der auch der Superintendent zu Divi Blasii an bestimmten Feiertagen zu predigen hatte. Der Text besteht aus alttestamentlichen Sprüchen, einigen gereimten Gelegenheits-Strophen und einer Choralstrophe, drückt zuerst die Empfindungen eines ergrauten Dieners aus, der seine letzten Tage in Ruhe hinzubringen sich sehnt und Segenswünsche dafür empfängt21, wendet sich dann an die regierende Allmacht Gottes, bittet sie die Stadt zu schützen, der neuen Regierung Erfolg und endlich dem Kaiser Joseph Glück und Heil zu verleihen. Das Vorherrschen des Bibelworts und Chorals wird Bach veranlaßt haben, der Composition den Namen Motetto zu geben, und nicht Concerto, eine Bezeichnung, welche er späterhin vorwiegend anwendete. Meistens benannte man, so viel ich gefunden habe, die ältern Kirchencantaten nur nach Textanfang und musikalischer Besetzung, der Name Cantate kam erst mit der späteren Form auf. Für die Unsicherheit des Motetten-Begriffs in jener Zeit ist diese Bezeichnung ein Beleg; später unterschied Bach die Gattungen genau. [341] Mit dem Zusatze:diviso in quatuor Chori giebt er den Standpunkt der älteren Cantate hinsichtlich der Begleitung deutlich an, indem er darunter die verschiedenen Instrumentalgruppen versteht: drei Trompeten und Pauken, zwei Flöten und Violoncell, zwei Oboen und Fagott, zwei Violinen, Bratsche und Bass, die meistens nur alternirend oder im vollen Tutti angewendet werden22. Dasselbe Princip tritt darin zu Tage, daß Bach einen schwächern und einen vollen Chor unterscheidet, welch letzterer nur an Kraftstellen hineinschlägt, um sich bald wieder zurückzuziehen, und in der PartiturCapella genannt ist, mit Zurückdeutung auf die Terminologie der Musiker des 17. Jahrhunderts. Faßt man nun endlich noch die Massenhaftigkeit des aufgebotenen Tonmaterials ins Auge, so ist nach allen Seiten klar, wie ganz diese Composition in ihrer äußern Form noch auf dem Boden gewisser Buxtehudescher Kirchencantaten steht; um so interessanter ist es aber, zu beobachten, wie überall ein neuer Geist hindurchdringt. Der erste Chor (»Gott ist mein König« C dur) klingt anfänglich noch ziemlich bekannt, nimmt aber schon vom 16. Takte an, wo zu den Worten »der alle Hülfe thut« die Stimmen in engen Imitationen einander unaufhaltsam forttreiben, einen neuen und ungewöhnlich breiten Charakter an, der nur durch den Schluß wieder etwas abgeschwächt wird. Im zweiten Stück (E moll) singt der Tenor zur Orgelbegleitung die Worte des alten Barsillai aus Sam. II, 19: »Ich bin nun achtzig Jahr; warum soll dein Knecht sich mehr beschweren. Ich will umkehren, daß ich sterbe in meiner Stadt bei meines Vaters und meiner Mutter Grab.« Ihm gegenüber stellt der Sopran die sechste Strophe des Heermannschen Liedes »O Gott, du frommer Gott« auf:


Soll ich auf dieser Welt

Mein Leben höher bringen,

Durch manchen sauren Tritt

Hindurch ins Alter dringen,

So gieb Geduld, vor Sünd

Und Schanden mich bewahr,

Auf daß ich tragen mag

Mit Ehren graues Haar.


[342] Wir wissen, daß die Verbindung von Bibelwort und inhaltsverwandtem Choral keine Erfindung jener Zeit war. Nach Hammerschmidts Vorgange hatte schon Johann Rudolf Ahle sie mit Geschick angewendet, Johann Christoph und Michael Bach hatten sie mit andern auf die Motette übertragen, in Buxtehudes Cantaten fanden wir ein Beispiel, wo Christus und die gläubige Seele, wenn nicht im gleichzeitigen, aber doch im Wechsel-Gesange mit einander verkehrten. All diese Arten der Gestaltung sind ganz verschieden von dem Verfahren, was Bach einschlug. Er ging, mit seiner ganzen Entwicklung von der Orgel herkommend, zunächst auch nur von rein musikalischer Seite an die Aufgabe: die musikalische Verflechtung war ihm das erste und die Choral-Melodie natürlich die Hauptsache. So wenig richtete sich seine Aufmerksamkeit auf den poetischen Zweck solcher Combinationen, daß er ganz übersah, wie die, jedenfalls von ihm selbst ausgewählte, Strophe des Kirchenlieds mit ihrem Inhalte eigentlich garnicht zu der Empfindung der Bibelworte paßte. Denn hier spricht ein Greis, der nur nach einem Platze verlangt, wo er ruhig sterben darf, dort wird gebeten, daß ein später vielleicht bescheertes höheres Alter ein ehrenvolles sein möge; beiden Stimmungen ist nicht viel mehr gemeinsam, als daß sie sich an den Begriff des Alters anschließen. Noch viel weniger kann von einem dramatischen Gegensatze die Rede sein; die mit den Bibelworten betraute Tenor-, nicht Bassstimme deutet es schon an, daß der Componist allenfalls dem Ausdruck geben wollte, was er selbst bei ihnen empfand, nicht aber, was einen alten Mann in Barsillais Lage bewegen mußte. Mehr noch bezeugt es die bewegliche, zwar sehr ausdrucksvolle, aber auch in kühnen Schritten, ja Sprüngen sich auf und nieder bewegende Melodiebildung. Eben da Bach zunächst instrumental dachte, und für keine kunstmäßig gebildeten Sänger schrieb, konnte es ihm entgehen, zu welch excentrischem Ausdrucke ein solcher Gesang gelangen müßte, wenn er von einer Menschenstimme mit aller ihr zu Gebote stehenden Ausdrucksfähigkeit vorgetragen [343] würde. Es währte aber nicht lange, so wurde er auf den großen Unterschied aufmerksam, und späterhin bieten die meisten seiner Einzelgesänge das lautere Gold einer zwar im instrumentalen Feuer flüssig gemachten, aber doch echt poetisch-musikalischen Empfindung, und ebenso lernte er bald den poetischen Sinn der Verflechtung von Choral und Schriftwort in einer Tiefe erfassen, wie kein zweiter vor und nach ihm. Hier bietet er fürs erste nur einen nach Buxtehudes Weise gestalteten Orgelchoral, aber mit einer in die harmonischen Tiefen dringenden Energie, von der Buxtehude nichts geahnt hatte. Das Stück ist eigentlich ein Trio für Sopran, Tenor und einen gleichmäßig gehenden Orgelcontinuo, in dem sich die Stimmen mit größtmöglicher, vor Bach noch nicht gewagter Selbständigkeit bewegen, es tritt aber, zuerst nur schüchtern und echoartig, nachher immer zusammenhängender auf einem Orgel-Positiv noch eine frei figurirende und von den Generalbass-Harmonien unabhängige Stimme hinzu, so daß endlich ein Quatuor entsteht. – Nun folgt eine vierstimmige Doppelfuge: »Dein Alter sei wie deine Jugend, und Gott ist mit dir in allem, das du thust« (A moll), deren Thema im Vergleich mit dem aus der andern Cantate angeführten ziemlich unbedeutend und schleppend ist, und deren Entwicklung etwas mechanisches hat. Die Contrapuncte bleiben durch die ganze Fuge ziemlich dieselben und sind nur durch ihre Lagen unterschieden, die Durchführungen werden auch nur einmal durch einen Zwischensatz unterbrochen und durch einen neuntaktigen freien Nachsatz beschlossen; erst bei diesem spürt man wieder den lebendigen Athem des Bachschen Geistes. Vollauf aber entschädigt für das kleine Stückchen Sandgegend ein blühendes Arioso des Basses: »Tag und Nacht sind dein« (F dur). Mit den Benennungen ist Bach in der Cantate willkürlich umgegangen, denn das Bass-Solo ist vielmehr eine ordentliche Da capo-Arie, wogegen die zweite Nummer, Aria con Corale genannt, in der Tenorstimme eine gänzlich ariose Behandlung aufweist. Auch über die Auffassung der Textworte ließe sich rechten, allein die Musik an sich ist durchaus erfreulich. Die Behandlung der Bassstimme im Arioso hat mit Ausnahme des Mittelsatzes noch den älteren Zuschnitt, nach welchem die Stimme sich nicht frei durch den Tonraum bewegt, sondern meist nur als Grundlage der Harmonien erscheint. Der erste Theil, welcher am Schlusse wiederkehrt, [344] trägt mit seiner nur aus Holzbläsern, Violoncell und Orgel bestehenden Begleitung einen zart pastoralen Charakter, der zur vollen Schönheit erblüht ist in einer reizenden B dur-Arie aus einer acht Jahre später componirten weltlichen Cantate (»Was mir behagt, ist nur die muntre Jagd«). Im zweiten Theile schweigen die Instrumente bis auf die Orgel, der stolze Ausdruck der Singstimme: »Du machest, daß beide, Sonn' und Gestirn, ihren gewissen Lauf haben« bildet einen schönen musikalischen Gegensatz und ist auch den Worten angemessen. Uebrigens legt die Anordnung des ganzen Werkes Zeugniß dafür ab, daß der Componist sehr wohl wußte, wie man durch Klangcontraste wirken könne, und diese Einsicht ist im Mannesalter nicht geringer gewesen, als in seiner Jugend, wenngleich aus höhern Rücksichten später solche Wirkungen zurücktreten mußten. So folgt nun eine Arie für Alt, bei der außer der Orgel nur drei Trompeten und Pauken mitwirken, in dem folgenden Chore sind alle Instrumente außer diesen angewendet, zum Schlusschore erst vereinigt sich wieder das gesammte Tonmaterial. »Arie« kann man das Altsolo etwa deshalb nennen, weil die Anfangsphrase mit ihrem Ritornell am Schlusse noch einmal gehört wird, sonst ist sie mehr ein Arioso und erinnert endlich in der oberflächlichen Melodik an die ältere deutsche Arie; wir fanden eine Formenmischung von ähnlicher Unsicherheit schon in der Ostercantate des Jahres 1704. Der schon genannte Chor (Larghetto, C moll) ist dagegen wieder ein Stück von Bedeutung und Eigenthümlichkeit. Ganz homophon gehalten wirkt er hauptsächlich durch innigen Ausdruck der Melodie und farbenreiche Begleitung. Die Sechzehntel des Violoncells verfolgen in gebrochenen Accorden den harmonischen Gang der Vocalmasse, eine fortlaufende Figur des Fagotts


1.

verleiht den Charakter des Schweren, Gebundenen, Bass und Orgel gehen staccato nebenher, Flöten und Oboen lassen echoartig die ausdrucksvollste Melodiephrase nachtönen. Am Ausgange theilt sich die Violoncellbewegung auch diesen Instrumenten, endlich gar allen Geigen mit, sie schlingen nun immer reichere, phantastischere Kränze um den Gesang, in dem sich – ein eben so neuer wie wirkungsreicher Gedanke – alle Stimmen zum Einklange vereinigen, auf dem / den Text declamiren, sich zum 1. heben, wieder zum b [345] absenken und nach / zurückkehren, wo sie im langen Klange unter der Durterz verhallen. Der schaurige Ausdruck verhaltener Qual ist die Höhe, zu welcher die Stimmung des ganzen Stücks naturgemäß hindrängt. Prüft man aber am Text die Berechtigung derselben, so ist leicht zu bemerken, daß Bach das Tongemälde viel zu dunkel gefärbt hat. Die Psalmworte: »Du wollest dem Feinde nicht geben die Seele deiner Turteltauben« enthalten bildlich nur die Bitte um Schutz vor Feindesgewalt, und für diese Bitte sowohl wie für den Stimmungsdurchschnitt der ganzen Cantate war eine vertrauensvoll gefaßte Empfindung wohl das einzig Angemessene. So, wie der Chor, äußert sich aber nur ein von innern Schmerzen durchwühltes Herz. Der Componist hat hier sein Ziel weit überflogen und somit verfehlt, allein dieses Verfehlen ist von hohem psychologischen Interesse, weil es die Vorliebe desselben für dunkle, tiefbewegte Seelenzustände so unzweideutig verräth. Diese Saite seines Empfindungsvermögens brauchte nur leise angerührt zu werden, um sofort in volltönenden Schwingungen zu erbeben: die Besorgniß vor möglicher Gefahr verfinsterte sich ihm zur Angst eines von Schrecken und Noth aufs äußerste gepeinigten Gemüthes. Daher kommt es auch, daß man niemals einen Fall finden wird, wo Bachs musikalische Behandlung auch den besten Text verflachte oder seinen Ansprüchen nicht Genüge thäte, eher kommt es vor, daß er zu tief, bis ins Abstruse sich einwühlt. Daher stammt sein Zug zu poetischen Vorlagen, welche von Leid und Thränen, von Sterben und Tod zu sagen haben, daher die Fähigkeit, in dem Riesenwerke einer Matthäus-Passion eine und dieselbe Stimmung in so unerhörter Mannigfaltigkeit zu schattiren. Daß er sich in dem Chor der Rathswechsel-Cantate von subjectiver Neigung habe zu weit fortreißen lassen, mußte ihm später klar werden, als er ein Chorstück von ganz ähnlicher Grundstimmung, ja ähnlicher Einzelbildung (besonders in der seufzenden kleinen Sexte) zu den Worten schuf: »Weinen, Klagen, Sorgen, Zagen, Angst und Noth sind der Christen Thränenbrod«23, was er hernach nochmals zu dem erschütternden Crucifixus der H moll-Messe verwendete. Hier waren jene Töne am Platze, die sich schon so früh und in so überraschender Gestalt hervordrängten. Selbst der [346] an Ernst und Innigkeit so reiche Johann Christoph Bach hatte Farben von solcher Sattheit und Gluth auf seiner Palette nicht. Nur einen wüßte ich zu nennen, der vor Sebastian Bach etwas annähernd ähnliches gebildet, es ist der Rudolstädter Capellmeister Philipp Heinrich Erlebach (1657–1714). Im ersten Theile seiner »Harmonischen Freude musikalischer Freunde« (1697) findet sich unter Nr. XIV eine herrliche Arie in der cyklischen Da capo-Form für Sopran, zwei Violinen und Generalbass, deren ansprechende Dichtung die Stimmung einer gramzerrissenen Seele ausdrückt:


Meine Seufzer, meine Klagen

Schicke ich

Nur vergebens über mich;

Ich muß leben,

Doch in lauter Furcht und Zagen.

Himmel! und du kannst es geben!

Ach, warum verschließt du dich?


Die Composition vereinigt breite strömende Melodik mit echter deutscher Innigkeit, und redet noch heute eine herzergreifende Sprache. Sie steht den Bachschen Chören im Ausdruck sehr nahe, in der Bildung der Hauptmelodie auffällig mit dem früheren, in andern Einzelheiten noch mehr mit dem späteren Chore übereinstimmend. Die Verhältnisse liegen so, daß Bach Erlebachs Ariensammlung sehr wohl gekannt haben kann. Am 28. October 1705 hatte der Graf von Rudolstadt im Auftrage des Kaisers Joseph I. die Huldigung der freien Reichsstadt Mühlhausen entgegen genommen und sein Capellmeister zu diesem Zwecke dort eine große Festmusik aufgeführt. Erlebach war also in Mühlhausen bekannt, und wenn man bei dem Charakter der Bewohner auch nicht annehmen darf, daß er sich durch seine Musik dort viel Freunde erworben hatte, so war die Composition, welche besonders einen vortrefflichen, klar auf Händel weissagenden Chor enthält, doch bedeutend genug, um nicht gleich vergessen zu werden, und Bach, falls er sie kennen lernte, zu näherer Bekanntschaft mit Erlebach anzuspornen, vorausgesetzt, daß er sie nicht schon früher gemacht hatte. – Doch wenden wir uns dem letzten Chore der Rathscantate zu, dessen Bezeichnung Arioso, übrigens nur auf einen Theil davon gemünzt, den bunten Wechsel zwischen [347] homophonen Chorstellen und Ritornellen, zwischen gradem und ungradem Takte andeuten soll. Das Bedeutendste an ihm ist eine in der Mitte stehende Chorfuge auf den Kaiser Joseph, neben der jene frühere Fuge kaum noch zu nennen ist, so hoch wird sie von dieser überragt. Dort war fast nur nüchterne Schulmäßigkeit, hier herrscht überall ein frisches, herbkräftiges Leben. Thema wie Contrapuncte, deren zwei sich so stetig wiederholen, daß man das Stück in seiner musikalischen Gestalt auch Tripelfuge nennen könnte, sind sehr glücklich erfunden, alles fügt sich wie aus einem Gusse zusammen und steigert sich im Klang und in harmonischer Fülle bis ans Ende. Besonders bedeutsam ist die Mitwirkung des Orchesters, sie zeigt, wie Bach schon jetzt sich ganz darüber klar war, daß in dem damals allein möglichen Kirchenstile die Singstimmen mit den Instrumenten zu einer innerlich verbundenen Gesammtmasse zusammengeschmolzen werden müßten, so zwar, daß erstere als vorzüglichste und gattungsbestimmende Factoren die Form bedingten und feststellten, sich aber zu letzteren nicht wie Herren zum Dienervolk, sondern wie die ersten unter ihres gleichen verhielten. Er hatte erkannt, daß das menschliche Organ soviel wie möglich seinen persönlichen, wenn man will, dramatischen Charakter abstreifen und, soweit es irgend angeht, zum Instrumente werden müsse, was selbstlos dem Ausdrucke einer allgemeinen religiösen Lyrik dient; mit dieser Erkenntniß war aber der Empfindsamkeit und der Vereinzelungssucht der ältern Kirchencantate die Freundschaft aufgesagt. Während man sonst das Orchester nur stützend, ausfüllend, verstärkend und mit den Singstimmen abwechselnd verwendet, als äußerstes einem hochliegenden Instrumente gestattet hatte, über dem Chore einen selbständigen Gang zu nehmen, haben bei Bach schon hier alle Instrumente an der Fugirung den lebhaftesten Antheil. Zuerst wird von den vier Stimmen des kleineren Chors das Thema einmal durchgeführt, dann ergreifen es die erste Violine und Oboe, indem der Vocalsatz weiter geht, darnach zweite Violine und Oboe, dann setzt der Sopran des vollen Chors wieder ein und die Contrapunctirung im Orchester verstärkt sich, nun folgen die übrigen Tuttistimmen allmählig nach und mit ihnen mehr und mehr Instrumente, die Harmonie ist mittlerweile fünf – dann sechsstimmig geworden, endlich erfassen gar die hellschmetternden Trompeten das Thema, welche bis[348] dahin absichtsvoll geschwiegen hatten. Man kann Gesang- und Orchesterstimmen nicht angemessener combiniren, eine bis ans Ende andauernde Steigerung nicht geschickter anlegen. Der noch angehängte Schlußsatz, welcher eine frühere Partie wiederholt, ist als Bachsche Composition von geringerer Bedeutung, und den Maßstab, welchen der Meister uns in seinen vorzüglichsten Werken an die Hand giebt, wenden wir bei Beurtheilung dieser Cantate überhaupt an. Verglichen mit Werken seiner Vorgänger würde sie in den meisten Theilen weit über denselben zu stehen kommen, nirgends unter ihnen. Aber ein solcher Vergleich ist auch nur theilweise noch zulässig, weil an mehren Stellen schon das Neue und Andersgeartete zu entschieden hervortritt. Daß dies einer ganz sichern und der einzig richtigen Anschauung entsprang, suchten wir anzudeuten. In der Verbindung von Choral und Bibelwort löschte er alles dramatische aus, um nur einer allgemein-musikalischen Idee zur Gestalt zu verhelfen, durch die zweimalige Anwendung einer strengen Vocalfuge gab er zu erkennen, wie er in diese, alles persönliche möglichst zurückdrängende Form den Schwerpunkt aller Chorbehandlung verlegt wissen wollte, in der letzten Fuge bestrebte er sich, auch den Gegensatz zwischen menschlicher und Instrumentalstimme auf das geringste Maß zurückzuführen. Fugen finden sich in der älteren Kirchencantate äußerst selten und mußten es nach dem Inhalt derselben; solche nun gar, wie unsere letzte, sind ebensowohl wie die Choralcombination etwas gänzlich neues und konnten nur dadurch möglich werden, daß die Orgelkunst zuvor diese Formen ausgebildet hatte. Man muß vocale Fugirungen älterer damaliger Meister vor Augen haben, um den ganz eminenten Fortschritt voll zu würdigen. Einiges in dieser Richtung hatten schon andre vor ihm zaghaft versucht, es verschwindet vor der unfehlbaren Sicherheit, mit welcher der 22jährige Bach das Rechte und allein Mögliche ergriff. Während des Absinkens der unbegleiteten Vocalmusik war es die Orgel gewesen, welche die Idee kirchlicher Kunst in Deutschland am reinsten gewahrt hatte; aus ihr sollte sie neuverjüngt erstehen, subjectiver freilich, da der Wille des Künstlers das todte Instrument schrankenloser beherrscht, als eine Vereinigung lebendiger Menschen, und um so viel innerlicher und schwerer verständlich, als das Gebiet der Instrumentalmusik tiefer und geheimnißvoller ist, aber darum nicht weniger würdig, [349] die erhabensten religiösen Ideale auszudrücken. Es kam nun darauf an, die Mitte zu finden und das dichterische Element von den Wogen der reinen Tonkunst nicht gänzlich überfluthen zu lassen.

Unmittelbar nach Composition und Aufführung der Cantate nahm Bach eine neue Aufgabe in Angriff, deren angemessene Lösung für die Pflege der Kirchenmusik, wie sie ihm im Sinne lag, von großer Bedeutung war. Die Orgel in der Blasiuskirche bedurfte, obwohl sie erst in den Jahren 1687 bis 1691 von J.F. Wender für 450 Thaler weitläufig reparirt war24, doch wieder einer gründlichen Ausbesserung, ja theilweise Neugestaltung. Die Zahl der Bälge war für die Größe der Orgel nicht ausreichend, die Leitung des Luftstroms nach den Bass-Windladen mangelhaft angelegt, ein 32füßiger Sub-Bass fehlte und die Pedal-Posaune hatte keine Kraft, im Hauptwerk war eine Anzahl von Stimmen abgenutzt und das Brustwerk gänzlich unbrauchbar geworden. Bach stellte alle Mängel fest und reichte dem Rathe einen Entwurf der vorzunehmenden Reparatur ein. Als ganz neue Zuthat stellte er ein von ihm selbst erfundenes Pedal-Glockenspiel von 24 Glocken in Aussicht, für das sich die Mitglieder der Blasius-Gemeinde schon so sehr interessirten, daß sie beschlossen hatten, es auf eigne Kosten anzuschaffen25. Außer der Hauptorgel war in der Kirche noch ein kleines Positiv auf dem unterhalb der Orgel gelegenen Sängerchore, was nur zum Einüben des Chores oder discreten Begleiten von Motetten, sonst aber nicht weiter brauchbar war; Bach hatte es im zweiten [350] Satze der Rathscantate sehr fein als Echo der Gesangsmelodie und zum Einweben einer vierten Stimme verwenden wollen, vermuthlich ehe er wußte, daß die Aufführung nicht in der Blasius-Kirche sein würde26. Er machte nun den Vorschlag, dieses kleine Werk daran zu geben, um mit geringeren Kosten zur Herstellung der Hauptsache, der großen Orgel, zu gelangen. Sein Entwurf zeigte eine so überzeugende Sachkenntniß, daß der Rath in einer Sitzung vom 21. Februar nicht nur sofort beschloß, ihn auszuführen, sondern ihm auch vertrauensvoll die Leitung des ganzen Unternehmens übertrug27. Wegen der Arbeit wurde wieder mit Wender unterhandelt, der sich dazu bereit erklärte gegen eine Summe von 230 Thalern, wofür er auch die Materialien anschaffte; das Positiv übernahm er für 40 Thaler. Bachs Entwurf ist ein Zeugniß meisterwürdiger Einsicht in die Technik des Orgelbaues, und auch durch seine originelle, kunstbegeisterte Ausdrucksweise sehr interessant; er folgt hier in seiner wörtlichen Fassung:

»Disposition der neuen reparatur des Orgelwerksad D: Blasii.

1. Muß der Mangel des Windes durch drey neue tüchtige Bälge ersezet werden, so da dem Oberwercke, Rückpositive und neuem Brustwercke genüge thun.

2. Die 4 alten Bälge so da vorhanden, müßen mit stärckerem Winde zu den neuen 32 f. Untersaze und denen übrigen Bass-Stimmen aptiret werden.

3. Die alten Bass Windladen28, müßen alle ausgenommen, und von neüen mit einer solchen Windführung versehen werden, damit mann eine einzige Stimme alleine, und denn alle Stimmen zugleich ohne Veränderung des Windes könne gebrauchen, welches vormahle noch nie auff diese Arth hat geschehen können, und doch höchst nöthig ist.

4. Folget der 32 f. Sub Bass oder so genandte Untersatz von Holz, [351] welcher dem ganzen Wercke die beste gravität giebet. Dieser muß nun eine eigene Windlade Haben29.

5. Muß der Posaunen Bass mit neüen und gröserncorporibus versehen, und die Mundstücke viel anders eingerichtet werden, damit solcher eine viel beßere gravität von sich geben kan.

6. Das von denen Herrn Eingepfarten begehrte neüe Glockenspiel ins Pedal, bestehend in 26 Glocken à 4 f.-thon; Welche Glocken die Herrn Eingepfarten auff ihre kosten schon anschaffen werden, und der Orgelmacher solche hernachmals gangbahr machen wird.

Was anlanget das Obermanual, so wird in selbiges anstatt der Trompette (so da herausgenommen wird) ein

7. Fagotto 16 f. thon eingebracht, welcher zu allerhandt neüen inventionibus dienlich, und in dieMusic sehr delicat klinget. Ferner anstatt desGemshorns (so gleichfalls herausgenommen wirdt) kömmet eine

8. Viol di Gamba 8 f., so da mit dem im Rückpositive vorhandenem Salicinal 4 f. admirabel concordiren wird.

Item anstatt der Quinta 3 f. (so da gleichfalls herausgenommen wirdt,) könnte eine

9. Nassat 3 f. eingerücket werden.

Die übrigen Stimmen in OberManuale so vorhanden, können bleiben, Wie auch das ganze Rückpositiv, indem doch solche bey der reparatur von neüem durchstimmet werden.

10. Was denn hauptsächlich anlanget das neue Brustpositiv, so könten in selbiges folgende Stimmen kommen – als:


Im gesichte 3 Principalia, nahmentlich:

1. Quinta 3 f. von guthem 14 löthigem Zinn.

2. Octava 2 f. von guthem 14 löthigem Zinn.

3. Schalemoy30 8 f. von guthem 14 löthigem Zinn.

4. Mixtur 3 fach.

5. Tertia, mit welcher mann durch zuziehung einiger anderer Stimmen eine vollkommene schöne Sesquialteram zu wege bringen kan.

[352] 6. Fleute douce 4 f. und letztens ein

7. Stillgedockt 8 f., so da vollkommen zur Music accordieret, und so es von guthem Holze gemacht wird, viel beßer als ein Metallines Gedockt klingen muß.

11. Zwischen dieses Brustpositives und Oberwerckesmanualen muß eine Copula seyn.

Und schließlichen muß beynebst Durchstimmung des ganzen Werckes, der Tremulant in seine richtig Wehende mensur gebracht werden.«


Den ernsten Willen, im Interesse der kirchlichen Musik das seinige zu thun, hatte Bach also überall bekundet. Aber bald traten seinem Eifer Hindernisse entgegen, welche sich im Verlaufe weniger Monate so gehäuft haben müssen, daß er noch im Sommer des Jahres den Entschluß fassen konnte, das mit so viel Frische begonnene Werk ganz im Stiche zu lassen. In seinem Entlassungsgesuche spricht er von »Widrigkeiten«, die sich ihm entgegengestellt hätten, und auch wohl nicht so bald aus dem Wege geräumt sein würden. Wir haben darunter zunächst die Gesinnungen eines Theils der Mühlhäuser Bürgerschaft zu verstehen, welcher am Alten hing und Bachs kühnen Flügen nicht folgen konnte noch wollte, auch den Fremdling wohl mit scheelen Augen ansah, der an einer Stelle sich so eigenmächtig gebärdete, wo seit Menschengedenken Einheimische zum Ruhme der Stadt gewaltet hatten. Wie man mit Liebe und Stolz das Thun und Lassen hervorragender Mitbürger verfolgte, so pflegte man sich, zum Theil wenigstens, gegen Auswärtiges abweisend und kalt zu verhalten. Daß J. Georg Ahle im Jahre 1704 zur Einweihung der Kirche Mariae Magdalenae das Lied »Lobt, ihr Frommen, nah und fern« verfertigt hatte, wurde als große Wichtigkeit noch in einer handschriftlichen Chronik im Jahre 1794 vermerkt31. Derselbe Chronist weiß aber bei der ein Jahr später erfolgten Huldigungsfeierlichkeit von Erlebachs großer Festcomposition nicht ein Wort. Und wenn wir lesen, wie Bachs zweiter Nachfolger, [353] Christoph Bieler aus Schmalkalden, sich beim Rath über das »besondere Wesen der Leute« beklagt, und »daß man ihm mehr feindlich als freundlich begegne«32, so liegt die Wahrscheinlichkeit vor, daß Bach hie und da Gleiches erfahren mußte. Am übelsten wurde es genommen, wenn die umliegenden Ortschaften als nachahmenswerthe Muster musikalischer Leistungen aufgestellt wurden, da besonders zwischen Langula nebst den übrigen Dörfern der sogenannten Vogtei und Mühlhausen eine gewisse Opposition herrschte, die, wie mir erzählt wurde, auch heute noch nicht ganz aufgehört haben soll. Aber alles das waren endlich doch unwesentliche Dinge, wo es sich um das Wirken eines großen Künstlers handelte, und Bach genoß andrerseits die Gunst eines höchst achtungswerthen Raths, wie es ihm auch an Privatfreundschaften nicht gefehlt hat33. Hingegen weisen gewisse Ereignisse darauf hin, daß es zwischen ihm und dem obersten Geistlichen der Stadt, dem Superintendenten und Hauptprediger an der Blasiuskirche zu allerhand Conflicten gekommen ist, und daß hierbei verschiedene Ansichten über Kirchenmusik eine wesentliche, vielleicht die hervorragendste Rolle spielten. Wenn sich aber Bach in seinen Bestrebungen durch seinen nächsten und höchsten kirchlichen Vorgesetzten eingeengt und gehemmt sah, dann erklärt es sich leicht, wie ihm so bald seine Stellung dort gründlich verleidet werden konnte.

Es war in jener Zeit, daß die religiösen Streitigkeiten zwischen dem Spenerschen Pietismus und der altlutherischen Orthodoxie allgemein entbrannt waren und von Seite der letzteren um so leidenschaftlicher geführt wurden, je mehr Boden von Jahr zu Jahr der Pietismus [354] im deutschen Volke gewann. In Arnstadt hatte er allerdings, wie wir oben erzählt haben, nur vorübergehend Wurzel gefaßt, und nach dem Tode Dreses sich gegen die Feindseligkeiten der beiden Olearius nicht behaupten können; anders in Mühlhausen. J.A. Frohne, seit 1684 Diaconus daselbst, von 1691 an Nachfolger seines Vaters in der Superintendentur, hatte durch Spener angeregt auf Erweckung einer tiefern christlichen Gesinnung und Bethätigung derselben an sich und andern lebhaft und unangefochten eine Reihe von Jahren hindurch hingewirkt. Speners Pia Desideria (1675), welche zu der ganzen religiösen Bewegung den Anstoß gaben, hatten anfänglich überall keinen Widerspruch, von Seite einsichtiger Theologen sogar volle Billigung erfahren; nur als die Theorie mit Nachdruck zur Ausführung gebracht werden sollte, und die strengen Orthodoxen aus ihrer selbstgefälligen Ruhe und unfruchtbaren Dünkelhaftigkeit unangenehm aufgestört wurden, begann ihre mit wenig Geist und viel Gehässigkeit gepaarte Opposition. Genau so ging es in Mühlhausen. Im Jahre 1699 kam von Heldrungen, wo er Superintendent gewesen war, als Archidiaconus und Pastor an die Kirche B. Mariae Virginis G. Chr. Eilmar, der obgleich 13 Jahre jünger als Frohne doch dem frischen, thatkräftigen Pietismus durchaus feindlich gesinnt war, und nichts eiligeres zu thun hatte, als dies nachdrücklichst hervorzuheben. In seiner am Sonntage Sexagesimae gehaltenen Gast-Predigt hatte er so auffällig gegen Frohne, dessen Gesinnungen er kennen mußte, Stellung genommen, und auch bei gewissen Elementen der Bürgerschaft Anklang gefunden, daß dieser einer solchen Aufreizung und Verwirrung der Gemüther nicht glaubte ruhig zusehen zu dürfen. Eilmars Vorwürfe hatten sich zumeist auf das Verhältniß der Pietisten zur Bibel bezogen: daß es ketzerisch sei, beim Lesen der heiligen Schrift um besondere Erleuchtung zu beten, da der heilige Geist schon im Bibelworte wohne, daß zwischen innerlichem und äußerlichem Worte ein Unterschied nicht zu machen sei, daß die Pietisten das Wort Gottes für einen todten Buchstaben hielten; er war andrerseits so weit gegangen zu behaupten, daß die Verächter der Kirche und der Bibel ohne eigne Bekehrung und Selbsterziehung allein durch die Vermittlung des Geistlichen gerechtfertigt werden könnten. Dies war allerdings der Standpunkt der Orthodoxie, zu dem sich zu bekennen sie jetzt durch den Kampf auch [355] äußerlich gezwungen wurde; das lutherische Princip war ihr schon wieder abhanden gekommen, die Kirche galt ihr, fast wie den Katholiken, als etwas vollkommenes, göttliches, deren Heilsmittel man nur passiv zu empfangen brauche, und die Geistlichen betrachteten sich als Träger einer göttlichen Amtsgnade, die von ihrer sittlichen Führung ganz unabhängig sei, wogegen der Pietismus edelstrebend den Grundgedanken des Protestantismus weiter zu entwickeln suchte. Wie Frohne seine Ansichten Eilmar gegenüber vertrat, darüber hat er sich selbst hernach öffentlich geäußert. »Nachdem ich nun dieses vernommen«, sagt er, »und gemerket, wie es ein Anfang sein sollte zur Zerstörung der guten Erbauung, so zeithero ohne einzigen öffentlichen Widerspruch bei uns geführet worden, da er [Eilmar] die Treibung der Gottseligkeit unter dem Namen der Pietisterei, wie schon andere heimlich gethan hatten, öffentlich hat versuchet verdächtig zu machen, so habe kraft meines Amtes als Superintendens meine Pflicht erachtet, daß ich dieses mit Stilleschweigen nicht dürfte vorbeigehen lassen, sondern weil ich hörete, daß etliche gottlose Leute sich darmit trugen, kitzelten und wider mich glorirten, nun wäre mir das Maul geboten, ich würde sie nun müssen unangetastet lassen, habe deswegen am Sonntag Quinquagesimae, da ich die Predigt zu S. Marien hatte, und von der Erleuchtung occasione textus Luc. 18, v. 34. 41. 42 redete, nicht zwar eine formale Widerlegung angestellt, indem ich ganz keiner Person gedachte, auch keinePersonalia tractiret, doch meine Lehrsätze so eingerichtet, daß das Gegentheil aus Gottes Wort behauptet worden. Habe also gezeiget: 1) Ohne Treibung der wahren Bekehrung soll dem Gottlosen der Trost des Evangelii nicht geprediget werden. 2) Daß dem Gottlosen der Trost nicht bloßhin zu predigen sei, habe bewiesen aus den Sprüchen Es. 1, v. 16. 17. 18; Jer. 3, 12. 13. 14; Ez. 18, 21. 32, in welchen Sprüchen den Sündern der Trost nicht bloßhin, sondern wenn sie sich bekehren verkündiget wird. 3) Wann aber der Trost bloßhin, ohne Meldung der Bekehrung, geprediget wird, so werde der Weg zur Sicherheit aufgethan. 4) Habe ich gezeiget, daß es nicht irrig sei, wenn man die Schrift lesen und zu seiner Herzenserbauung betrachten wolle, daß man Gott um den Heil. Geist anrufe, der das Wort dem Leser öffne, daß er das Wort heilsamlich verstehen und annehmen könne: denn ob zwar der Heil. Geist schon im Worte sei, so muß er doch auch im Herzen sein, wenn er [356] den Menschen durchleuchten und heiligen solle. Solche Einwohnung des Heil. Geistes im Herzen müsse aber von Gott durch ein andächtiges Gebet gesuchet werden, welches bewiesen aus Luc. 11, 13; Eph. 1, 17. 18; 1. Cor. 2, 12; Ps. 119, 18. – 5) Ich habe weiter dargethan, daß es nicht irrig sei, einen Unterschied zu machen zwischen dem innerlichen und äußerlichen Wort Gottes, wenn solches nicht geschieht nach enthusiastischer Art, als wenn das innerliche Wort ganz ein anderes sei, als das äußerliche Wort Gottes; so ferne es in der Bibel gelesen und gehöret wird, sei es das äußerliche Wort, so ferne es aber mit gläubigem Herzen angenommen und bewahret wird, sei es das innerliche Wort. Und daß, wenn die Erleuchtung und Bekehrung geschehen solle, so müsse das äußerliche Schrift-Wort ein innerliches Herzens-Wort werden, und so folge daraus die Erleuchtung und Bekehrung des Menschen. Gleichwie der Same nicht nur Same außer der Erde müsse bleiben, sondern er müsse auch ein innerlicher Same oder ein Same im Acker werden, wenn Früchte erfolgen sollen. Solches habe ich bewiesen aus Luc. 8, 15; Act. 16, 14; Rom. 10, 8. Habe darbei die Zuhörer ermahnet, das 12. Cap. L. 1. im Liebes-Kuß des sel. D. Müllers zu lesen, allwo der Unterschied zwischen dem innerlichen und äußerlichen Wort ganz deutlich und schriftmäßig erkläret wird. 6) Ich habe auch bewiesen, daß die heutigen frommen Theologi, welche die Pietät treiben, und so insgemein Pietisten genennet würden, mit dem Rathmannischen Irrthum nicht könnten beleget werden, als hielten sie das geschriebene Wort Gottes für ein todtes Wort«34.

Diese Ansichten sind diejenigen Speners und wurden vollständig mitgetheilt, weil sie die pietistische Anschauung vom Christenthum klar und bündig darlegen. Gleichwohl konnte Frohne mit Recht von sich behaupten, durchaus auf orthodoxem Boden zu stehen, und in einer Druckschrift vom 12. Aug. 1700 die »falschen wider ihn ausgesprengten Zumessungen, als ginge er von der Evangelischen Orthodoxie [357] ab und wäre dem Chiliasmo und allerley Neuerungen zugethan« mit Grund zurückweisen. Denn es befand sich in ihnen ebenso wenig, wie in Speners Pia desideria, irgend etwas, das sich nicht ganz folgerichtig aus den Grundlehren der protestantischen Kirche hätte ableiten lassen, und separatistische Ausschreitungen wird er in seiner Amtsstellung sicher nicht begünstigt haben. Der Pietismus war ursprünglich doch nur eine von allen dogmatischen Neuerungen entfernte Erscheinung des kirchlichen Lebens. So konnte denn auch der Mühlhäuser Rath und eine Anzahl von theologischen Facultäten ihm seine Rechtgläubigkeit unbedenklich bezeugen, die vorher niemals angefochten war, Eilmar aber für nöthig gefunden hatte alsbald öffentlich zu verdächtigen, indem er ihn nicht nur des Pietismus sondern auch des Majorismus, Weigelianismus, Chiliasmus und Terminismus beschuldigte.

Der Wortstreit, welcher nach jener Predigt Eilmars rasch entbrannt war und auch die übrigen Geistlichen der Stadt angesteckt zu haben scheint, fand jedoch nach kurzer Zeit sein vorläufiges Ende, indem am 23. Mai desselben Jahres der Rath gemessenen Befehl erließ, daß sämmtliche Geistliche sich aller Streitigkeiten in öffentlichen Predigten zu enthalten hätten, wenn aber einer unter ihnen bei seinen Collegen »etwas verdächtiges« bemerkte, solle er es dem Consistorio schriftlich anzeigen, »damit dergleichen Irrungen freundlich und brüderlich abgeholfen, und sonst besorgliche ärgerliche Weiterung und Zerrüttung vermieden bleiben möge«. Gewiß achtungswerthe und maßvolle Ansichten; wie sich denn überhaupt der Rath in dieser ganzen Zeit durchaus taktvoll und besonnen zeigt. Allein nach wenigen Jahren entbrannte in Schrift und Wort der Hader von neuem; wer ihn begonnen, läßt sich nicht entscheiden, beide Theile behaupteten, die angegriffenen zu sein. Aber mag auch die Schuld auf beiden Seiten gelegen haben, gleich vertheilt war sie sicher nicht, und die Ergebnisse des ziemlich reichlich vorliegenden Materials sind der Art, daß der Unbefangene nicht zweifeln kann, wem er seine etwaigen Sympathien zuzuwenden hat.

Eilmar erscheint als würdiger Genosse der gesammten gegen Spener auftretenden Orthodoxie, hart, leidenschaftlich, in todtem Formalismus erstarrt. Nirgends entdeckt sich ein Zug warmen Religionsgefühles, wohl aber ein unerquicklich doctrinäres Wesen, schulmeisterlich pedantische Logik, rechthaberische Geschwätzigkeit [358] und ausfallende Grobheit. In einer im November 1706 an den Rath gemachten Eingabe erwähnt er prahlerisch, daß er innerhalb zehn Wochen »fast ein halb Reiß Papier« gegen Frohne verschrieben, und von seinen theologischen Elaboraten hat er eine gewaltig hohe Meinung. Ueberall wo er etwas wider »die reine Lehre« geschehenes wittert, ist er eifrig bei der Hand, dies dem Rath zu denunciren. Besonders als Frohne, der zugleich als erster Geistlicher das Censoramt verwaltete, den Druck einer Schrift von Johann Kessler, Conrector substitutus in Gotha, betitelt: »Gründliche Rettung der Orthodoxiae D. Breithaupts« gestattet hatte, schien ihm nichts wichtiger, als dies zur sofortigen Anzeige zu bringen (20. Jan. 1707), und mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln Sturm zu läuten.

Frohne war ein Mann von lebendiger Religiösität, sittlicher Tüchtigkeit und Strenge gegen sich und andre. Dies machte ihn bei einem großen Theile der Einwohner unbequem und verhaßt, welcher natürlich nun zu Eilmar hielt und Einfluß genug besaß, um diesen nach Frohnes Tode an dessen Stelle zu bringen. In der zuvor angeführten Vertheidigungsschrift sagt Frohne bedeutungsvoll (S. 1 u. 2): »Die werklosen Christen halten die Predigten eifriger Lehrer, die neben der unverdienten Rechtfertigung auf die nothwendige Heiligung dringen und treiben, für verdächtig, als wären sie von Papistischer Art. Oder, weil man jetzo allenthalben von Pietisten redet, so beschuldigen die Weltgesinnten diejenigen Predigten, die auf die Buße, so vor dem Glauben hergehet, und auf die Werke, so aus dem Glauben fließen müssen, mit Ernst und Nachdruck gerichtet sind, sie seien nichts anders als Pietisterei. Und dies letztere habe ich auch an meinem Orte erfahren müssen. Denn nachdem ich neben der reinen Lehre der gnädigen Rechtfertigung vor Gott, auch die Buße und die Uebung zur Gottseligkeit etliche Jahre mit Anhalten zu rechter Zeit und Unzeit getrieben habe, hat solches den Teufel und die Welt verdrossen, und hat sich bei den Weltgesinneten erzeiget ein Unwille gegen mich, der manche widersinnige Rede wider meine Person und Lehre erreget hat. Dessen ungeachtet aber habe ich meines Berufs abgewartet, und mich an der Welt Ungunst und Verläumdung nicht gekehret. Und weil ich mußte hören, daß diejenigen frommen Bürger in unserer Stadt, welche sich den Sauf- und Spiel-Gela gen entzögen, von Sauf- und Karten-Brüdern für Pietisten ausgeschrieen wurden, so bestrafte [359] ich solches öffentlich, und zeigte den unverständigen, daß fromm sein, der Gottseligkeit sich befleißigen, und neben dem Glauben Buße und gute Werke in Predigten treiben keine Pietisterei, sondern eine heilige und von Gott anbefohlene Uebung und Werk sei.« Es flößt unter allen Umständen Achtung ein, einen Mann mit ehrlichen, selbstgewonnenen Ueberzeugungen im Kampf gegen die Zeitrichtung und zum Dank für seine Gewissenhaftigkeit allerhand Injurien ausgesetzt zu sehen, und wir steigern diese Achtung mit Freuden, wenn er selbst darin sich Milde und Maß bewahrt. Dies that Frohne, der übrigens schon bejahrt, schwächlich und augenleidend war, in seinen schriftlichen Auslassungen auch dem Rathe gegenüber, und genoß die Genugthuung, daß derselbe sich entschieden auf seine Seite stellte. Wenn er ihm einige Male Vermahnungen zugehen ließ, so beweist das nur seine Unparteilichkeit; im übrigen mißbilligte er offen das Eilmarsche Treiben. Schon dessen Entgegnung auf Frohnes Schrift »Das Recht des geistlichen Priesters«, genannt Harmonia Frohniano-Pietistica-Chiliastica (1705) hatte der Rath zurückgewiesen, und gefordert, daß er seine Anklagen in kurzen Thesen formuliren solle. Als er später den Superintendenten wegen Druckes der Kesslerischen Schrift denuncirte, und dieser nach Aufforderung eine Erklärung darüber abgegeben hatte, drückte der Rath dem Eilmar sein besonderes Mißfallen aus, und untersagte ihm, dieser Schrift wegen »dem Herrn Superintendenten etwas weiteres zu imputiren« (21. Febr. 1707); Frohne hatte also sein Verfahren in den Augen des Raths gerechtfertigt. Dies war dem händelsuchenden Orthodoxen sehr unangenehm, und er remonstrirte gegen das Decret (21. und 23. März 1707), aber vergebens. Im Aerger nahm er seine Entlassung, doch wurde dieser Schritt später wieder rückgängig gemacht.

Der Streit sollte endlich geschlichtet werden durch das Urtheil unparteiischer Facultäten. Frohne erklärte ausdrücklich, sich in jedem Falle dabei beruhigen zu wollen, wenn nur Eilmar dasselbe aufgetragen würde. Dies Urtheil wurde am 3. Mai 1708 im Rathe eröffnet und Tags darauf den beiden Geistlichen mitgetheilt. Es hat sich aber keine Kunde davon erhalten, wie es ausfiel. Frohne starb am 12. Nov. 1713, 61 Jahre alt; Eilmar zwei Jahre später35.

[360] Wer, der je versuchte, nach den Werken des Meisters sich ein Bild seiner Persönlichkeit zu entwerfen, dächte nicht sogleich, daß in dieser beklagenswerthen Entzweiung Bach mit Wort und Gesinnung zu seinem Superintendenten und dem Hauptprediger seiner Kirche gestanden hätte? Und doch ist genau das Gegentheil der Fall gewesen. In der Notiz der Pfarr-Register über die Geburt seines ersten Kindes, welche noch desselben Jahres in Weimar erfolgte, lesen wir unter den Pathen an erster Stelle: »Herr Doctor Georg Christian Eilmar, Pastor primarius bei der Kirche zu M. Virginis und Consistorii Assessor in Mühlhausen.«

Die aufmerksame Betrachtung der von Bach seinen Kindern bestimmten Taufzeugen ist für seine eigne Lebensgeschichte von nicht geringer Wichtigkeit, weil dadurch jedesmal ein ganz bestimmtes augenblickliches Verhältniß zu gewissen Menschen sich ergiebt. Der Grundsatz, nahe Verwandte oder Freunde oder sonstige Vertrauenspersonen zu wählen, war natürlich stets derselbe, zudem wurde und wird in den Gesellschaftskreisen, welchen Bach angehörte, ein solches Ereigniß mit ganz besonderer Feierlichkeit behandelt, und dies mußte um so mehr der Fall sein, je patriarchalischer seine Lebensanschauungen waren. Daß er nun gar die erste Pathenstelle bei seinem erstgebornen Kinde für ein ganz ausgesuchtes Ehrenamt hielt, ist selbstverständlich, und Eilmar figurirt zusammen mit den allernächsten Verwandten des Künstlers. Da er damals schon Hoforganist in Weimar war, und zu Mühlhausen in keiner dienstlichen Beziehung mehr stand, so kann dieser Schritt auch nur auf einem ganz freien Entschlusse beruhen und muß als Ausdruck innerster Ueberzeugung gelten. Es ist also nicht zu bestreiten, daß Bach ein Anhänger und Verehrer Eilmars war, und folglich, der Sachlage nach, zu Frohne mehr oder weniger feindlich stand. Wie das möglich sein konnte, wird man mit Erstaunen fragen; und galt nicht überhaupt Bachs Hinneigung zum Pietismus bereits für ausgemacht?

Sie galt für ausgemacht auf gewisse innere Uebereinstimmungen hin. Aber man scheint ganz unerwogen gelassen zu haben, ob denn nicht die pietistischen Kunst- und Lebensanschauungen eine solche Hinneigung von vorn herein verhindern mußten. Alle Kunst, die auch etwas für sich selbst bedeuten wollte, fiel den Pietisten unter den Begriff der »Welt«, zu der, wie sie meinten, jeder wahre [361] Christ sich im ursprünglichen Gegensatze befinde. Bald mehr, bald weniger unumwunden sprachen sie es aus, daß künstlerische Genüsse, welche die Orthodoxie als Mitteldinge (ἀδιάϕορα) bezeichnete, die an sich weder gut noch böse seien, aber nach den Umständen beides werden könnten, sich nicht vereinigen ließen mit einem für jeden Augenblick Gott verantwortlichen Lebenswandel, und darum als verführerisch und verderblich gemieden werden müßten. Nur insofern die Kunst selbstlos in den Dienst der Religion und zwar der subjectiven Erbauung und Erweckung trat, entging sie der Verurtheilung. In musikalischer Hinsicht wurde deshalb in den pietistischen Kreisen auch nur die geistliche Arie in ihrer kleinsten Gestalt gepflegt, die sich der Dichtung eng und bescheiden anschmiegte und zugleich der Empfindsamkeit sehr entgegen kam. Alle die Bestrebungen aber, welche die Formen kirchlicher Kunstmusik erweitern und zu größeren Ganzheiten vereinigen wollten, oder gar neue Formen aus der so verpönten Opernmusik in die Kirche hinübernahmen, mußten vom pietistischen Standpunkte aus absolut verwerflich erscheinen. Denn was im besten Falle auch hier mit erhebender und erbaulicher Kraft hervortrat, war, wie sie nicht übersehen konnten, keineswegs die von ihnen gesuchte und durch Negirung der »Welt« allein für möglich gehaltene contemplative Annäherung an Gott, sondern es war eine Anerkennung und Idealisirung alles geschichtlich gewordenen. Nun sah es Bach nach eignem Geständnisse als ein Stück seiner Lebensaufgabe an, die Kirchenmusik neuen, höheren Zielen durch Vereinigung alles vorher geleisteten zuzuführen, und grade in Mühlhausen zuerst hatte er mit frischem Meistermuthe nach dieser Richtung energisch zu wirken begonnen. Seiner Ueberzeugung gemäß konnte Frohne dies nur in sehr eingeschränktem Maße dulden, er mußte die üppig aufquellende Productionskraft des Künstlers niederzudrücken suchen, und ahnte vermuthlich nicht, daß er diesem damit die Lebensadern unterband. Hier herrschte ein principieller Gegensatz, der groß genug war, Bach aus dem Lager eines edlen Geistlichen zur Partei seines Gegners hinüberzutreiben. Es scheint überdies, daß Eilmar musikalisch und einer Entwicklung der kirchlichen Musik im neueren Sinne zugethan war36.

[362] Aber wir müssen noch weiter gehen und behaupten, daß Bach auch niemals im Lager Frohnes sich befunden hat und nicht nur durch eine Art künstlerischer Nothwehr an Eilmar sich anzuschließen gezwungen wurde. Die nahe Verbindung, in welche er letzteren alsbald zu seiner Familie brachte, fordert durchaus die Annahme einer innern Uebereinstimmung – es braucht kaum daran erinnert zu werden, daß auch in der Lehre von der Wiedergeburt durch die Taufe die Ansichten der Pietisten und Orthodoxen aus einander gingen. Die religiösen Traditionen des Bachschen Geschlechts: ein schlichter, aber tief und lebendig gefühlter Protestantismus, der durch eine lange Thätigkeit im Dienste der Kirche eingewurzelt und erstarkt war, gelangten natürlich unverändert auch in die Kindesseele Sebastians. Seine Erziehung unter den Augen des älteren Bruders und auf dem orthodox gesinnten Lyceum zu Ohrdruf war nicht geeignet, hieran etwas zu ändern. Ebenso wehte in Arnstadt eine dem Pietismus durchaus ungünstige Luft, und da die Eiferer diesen als völlige Revolution gegen die reine, althergebrachte Lehre verdächtigten, mußte Bach nur entschieden gegen ihn eingenommen werden. Selbst geprüft hat er sicherlich schon aus dem Grunde nie, weil er schwerlich je ein religiöses Bedürfniß empfand, das er in dem Glauben seiner Väter nicht hätte befriedigen können. Was darüber hinaus war, das bot ihm eben die Kunst und sein Künstlerthum. Ohne Frage brachte er es hier bisweilen zu Aeußerungen, die mit gewissen Seiten des Pietismus sich nahe berühren. Die Mystik, mit welcher er sich in seine Texte, besonders in die Worte der Bibel hineingraben kann, ist der lebendigen Inbrunst, mit der die Pietisten die heilige Schrift lasen, nahe verwandt. Jener transcendentale Zug, welcher ihn so gern bei der Vernichtung des Erdenlebens durch den Tod und den Wonnen einer himmlischen Seligkeit verweilen läßt, entspricht der weltverneinenden und auf ein herrliches Reich Christi harrenden Stellung der Spenerianer. Ja, das Verlangen derselben, wenigstens auf Augenblicke das Gefühl des völligen und durch nichts vermittelten Einsseins mit Gott zu genießen, und die Unendlichkeit [363] des göttlichen Wesens entzückt im eignen Selbst zu empfinden, hat ein Gegenbild in Bachs Instrumentalmusik. Es ist ja die Aufgabe dieser Kunst, von allem, was der Mensch erlebte, nur die allgemeinsten Formen des Geschehens zur idealisirten Darstellung zu bringen, und unter allen Tonmassen erweist sich das Orgelmaterial gegenüber der Einprägung einer Individualität am sprödesten. Ein Tonstück dieser Qualität ist in Wahrheit das Symbol der ewigen Urharmonie, deren Wogen von Gott aus und zu ihm zurückströmen; ein solches dem menschlichen Empfinden auch ohne Vermittlung zufällig verbundener Begriffe nahe zu bringen, es mit subjectiver Wärme zu umfassen und zu durchglühen, ist wohl ein ähnliches Beginnen, wie wenn die frommen Seelen den unnahbaren, unbegreiflichen Gott ohne Dazwischentreten der Kirche liebeglühend zu umfangen suchten. Wie sehr Bach dies vermocht hat, zeigen seine frei erfundenen Orgelfugen, die auch heute noch ohne irgend ein appercipirtes Gefühl kirchlicher und gottesdienstlicher Feierlichkeit einem jeden von warmer Innigkeit durchtränkt und trotz ihrer Starrheit wundersam belebt erscheinen müssen, wie Felsen vom Abendroth übergossen. Aber alles dieses waren keine Resultate pietistischreligiöser Anschauung, es waren nur die Offenbarungen einer aus der gleichen Wurzel deutschen Gemüthslebens aufschießenden Richtung im Gebiete der Kunst. Und fürwahr dicht neben den übereinstimmenden Merkmalen stehen die größten Verschiedenheiten: die stärkste Zügelung der Subjectivität durch die denkbar strengste Form, die gesunde Weltbejahung in der Anerkennung und Ausnutzung alles neben und vor ihm geleisteten und in der kräftigen, von den Vorfahren ererbten Freude am eignen Dasein. Wenn das Schöne, Gute und Wahre, was der Pietismus enthielt, eben in jener Zeit vielleicht grade in Bachs Musik am reinsten sich gestaltete, so konnte es nur dadurch geschehen, daß ihr Schöpfer ihm nicht angehörte. Freilich auch nicht, wenn er sich in harter Opposition zu ihm befunden hätte. Aber dies kann in der That niemals der Fall gewesen sein. Sein religiöser Standpunkt war ein über allen Streit erhabener und allgemeiner, wie er sich für ein universales Genie geziemte, und wenn ihn die Tradition seines Geschlechts und die Liebe zu seiner Kunst auch in die Reihen der Orthodoxen wies, so wäre doch nichts verkehrter, als ihn für einen fanatischen Parteigänger zu halten. Oder soll man noch fragen, ob sich eine Musik, so voll [364] Leben und Inhalt, wie die seinige, mit dem todten und hohlen Scheinchristenthum eines Eilmair und Genossen vereinbaren lasse?

Vielfach ist die pietistische Ausdrucksweise in den Cantaten- und Passionstexten Bachs in einem Sinne gedeutet, als ob der Componist hierin sein eignes Element gesehen und geliebt hätte. Aber ganz allgemein bemächtigte sich jener zum ersten Male wieder warm zum Herzen redenden Sprache, wer überhaupt einen Funken Poesie in sich trug, und es wäre sehr erfreulich, wenn nur alle von Bach componirten Dichtungen von diesem Tone getragen wären, man würde so mancherlei Schwülstigkeiten und Geschmacklosigkeiten schon in den Kauf nehmen können, zumal sie in den Wogen der Töne fast ganz verspült werden oder ohne Mühe sich tilgen lassen. In Wahrheit befindet sich unter allen Bachschen Textdichtern, soweit sie bis jetzt sich feststellen ließen, nicht ein einziger Pietist, und konnte es auch garnicht, da ihnen allen die neuere Kirchencantate ein sündhafter Gräuel war, vielmehr war der eigentliche Erfinder dieser Form, soweit es dabei auf die Dichtung ankam, einer der eifrigsten orthodoxen Vorkämpfer. Von andrer und im übrigen sehr urtheilsfähiger Seite ist zu beweisen versucht, daß Bach an den Melodien des Freylinghausenschen Gesangbuchs sich selbsterfindend und Fremdes bessernd betheiligt habe37. Johann Anastasius Freylinghausen, Schwiegersohn August Hermann Franckes und dessen Pfarr-Adjunct, nach dem Tode desselben Pastor an der Ulrichskirche und Director des von Francke gegründeten Waisenhauses zu Halle, gab im Jahre 1704 ein »Geistreiches Gesang-Buch« heraus, »den Kern alter und neuer Lieder, wie auch die Noten der unbekannten Melodeyen in sich haltend«. Halle war seit dem Ende des 17. Jahrhunderts durch Männer wie Francke und Breithaupt zu einer Hauptstätte des Pietismus geworden, und das »zur Erweckung heiliger Andacht und Erbauung im Glauben und gottseligen Wesen« herausgegebene Buch der volle Ausdruck jener religiösen Lebensanschauung. Es fand ungemeine Verbreitung, Auflage folgte der Auflage, im Jahre 1714 erschien trotz heftiger Anfeindungen der Gegenpartei als zweiter Theil das »Neue geistreiche Gesangbuch«, das ebenfalls den größten Beifall erfuhr und 1741, zwei Jahre nach Freylinghausens Tode, von dem Sohne Franckes mit dem ersten Theile zu einer Liedersammlung von nahezu 1600 Nummern mit mehr als 600 Melodien vereinigt wurde. [365] Die Behauptung einer Theilnahme Bachs an dem musikalischen Theile des Gesangbuches, gegen die man nach des Meisters eben entwickelter Stellung zum Pietismus von vorn herein mehr als mißtrauisch sein muß, stützt sich auf ein »Musicalisches Gesangbuch«, was der Schloßcantor zu Zeitz, Georg Christian Schemelli, im Jahre 1736 ber Christoph Breitkopf in Leipzig erscheinen ließ; in ihm befinden sich 69 Melodien, die sämmtlich laut Vorrede von Sebastian Bach »theils ganz neu componiret, theils auch von ihm im General-Bass verbessert« waren. Eine genaue Prüfung hat ergeben, daß 40 dieser Melodien schon in früheren Quellen sich finden, und zwar 18 davon zum ersten Male in dem genannten Gesangbuche Freylinghausens38. Bachs Thätigkeit für dasselbe wäre also unter der Bedingung erwiesen, daß sich seine Autorschaft bei diesen 18 Melodien, oder einigen von ihnen, darthuen ließe. Für die ersten Auflagen vereiteln diesen Versuch sofort Freylinghausens eigne Worte, da er in der Vorrede sagt: »Den alten und gewöhnlichen Kir chen-Liedern hat man Melodeyen in Noten vorzusetzen, weil sie überall bekannt sind, unnöthig erachtet; die neuern aber sind damit sämmtlich versehen, und zum Theil aus dem darmstädtischen Gesang-Buch genommen, zum Theil von christlichen und erfahrnenMusicis hieselbst aufs neue darzu componiret worden.« Die Vorrede datirt vom 22. September 1703 aus der halleschen Vorstadt Glaucha; Bach war damals 18 Jahr alt und Organist in Arnstadt, es ist also einfach unmöglich, ihn unter die »erfahrnen Musici hieselbst« (d.h. in Halle) einzubegreifen. Damit scheiden alle die Melodien aus, welche zuerst in der frühesten Auflage des Gesangbuches vorkommen, und es ist dies nicht weniger als die Hälfte. Von den übrigen neun stehen drei in der fünften, 1710 erschienenen Auflage, welche in ihrer Vorrede die allgemeiner gehaltene Bemerkung hat, daß alle Melodien »nach den Regeln der Composition von christlichen und erfahrnen Musicis aufs neue fleißig untersuchet und an sehr vielen Orten verbessert« seien. Eine dieser Melodien: »Seelenweide, meine Freude« (Nr. 436) sollte denn auch als hauptsächliches Beweismittel dienen. Zu diesem Liede Adam Dreses war in den ersten beiden Auflagen eine, vermuthlich vom Dichter selbst erfundene Melodie im ionischen Metrum (1.) gefügt, deren tänzelnder Charakter übrigens schon [366] in der dritten Auflage (1706) durch Umsetzung in den Viervierteltakt getilgt war. Die fünfte Auflage bietet eine ganz neue Melodie, und weil man irriger Weise glaubte, daß Bach in Arnstadt noch mit Drese zusammengelebt und zu ihm in Beziehung gestanden habe, entstand die Vermuthung, er sei der Componist. Dieselbe sollte dadurch begründet werden, daß die Melodie in Schemellis Gesangbuche fast unverändert wiederkehre, während der Vergleich ergäbe, daß Bach an nachweislich fremden Melodien immer reichlich geändert habe, zumal in der Bassführung; an seiner eignen Composition sei ihm das nicht nöthig erschienen. Dieses kritische Instrument erweist sich aber als unbrauchbar, da es in Bachs Natur lag, fremde wie eigne Melodien, so oft sie ihm wieder unter die Hände kamen, mit neuen Harmonien auszustatten: es beweisen dies unter anderm die von ihm erfundenen Melodien zu den Liedern »Dir, dir, Jehovah, will ich singen« und »Gieb dich zufrieden und sei stille«, die beide in zwei verschiedenen, gleich meisterhaften Harmonisirungen vorliegen, und fremde Melodien beweisen es ebenfalls in ungezählten Fällen, daß seine verschiedenen Satzarten durchaus nicht immer aus dem Bestreben, mangelhaftes zu verbessern, sondern meistens aus dem Drange schöpferischer Bildkraft entsprangen. Dazu kommt weiter, daß die andern beiden Melodien, welche in Freylinghausens fünfter Auflage und dann wieder im Schemellischen Gesangbuche stehen (Freyl. Nr. 592 und 614; es sind die Lieder: »Die güldne Sonne voll Freud und Wonne« und »Der lieben Sonnen Licht und Pracht«), sich im letzteren mit vollständig veränderten Bässen und Harmonien, auch mit mehrfach umgebildetem Melodiegange finden, so daß das an der ersten Melodie scheinbar erhaschte Resultat allein hierdurch wieder jede Sicherheit verlöre39. Endlich ist noch zu sagen, daß doch auch die Weise des Dreseschen Liedes bei Schemelli einige nicht unerhebliche [367] Abweichungen zeigt. Wollte man aber alle diese Einwände nicht gelten lassen, so ist folgendes sicherlich entscheidend. Es war die fünfte Auflage, welche sich durch die Aufnahme der drei Melodien von den ersten Auflagen unterscheiden sollte40. Man hat nicht bemerkt, daß die fünfte nur ein wörtlicher Abdruck der vierten ist, und das Erscheinen dieser fällt in das Jahr 1708. Die baare Unmöglichkeit, daß Bach sich grade in diesem Jahre, wo er in dem erbitterten Streite eines Orthodoxen gegen einen Pietisten auf der Seite des ersteren stand, an einer erklärt pietistischen und von den Gegnern aufs heftigste angefeindeten Unternehmung betheiligt haben könnte, leuchtet wohl einem Jeden ein. Damit sinkt aber auch das ganze Conjecturen-Gebäude in sich zusammen. Denn die Wahrscheinlichkeit einer Theilnahme muß in dem Verhältniß geringer werden, als die Zahl der Melodien zusammenschmilzt, bei denen sie möglich erscheint. Hier stützte eins das andere, jetzt bleibt für die letzten sechs Tonweisen nur die sehr trügerische Handhabe der harmonischen Aehnlichkeit, die in dem Maße, wie vorgegeben wird, nicht einmal vorhanden ist. Wenn Bach dem Anfange des Unternehmens fern geblieben war, und den Lenkern desselben stets fern stand, wie sollte man dazu gekommen sein, für die Fortsetzung seine Hülfe zu begehren? Und erwägt man endlich, daß offenbar jenes Gesangbuch Schemellis ein Gegenstück zu dem Freylinghausenschen werden sollte, und zwar ein zwischen den Parteien vermittelndes, wie denn in der That Lieder von den Führern sowohl der Pietisten als der Orthodoxen dort einträchtig neben einander stehen – sogar von Freylinghausen selbst ist eines darunter41 –, dann begreift man, wie Bach zur Aufnahme von 18 Freylinghausenschen Melodien kam, begreift aber auch, wie grade ihm, dessen parteilose Religion man kannte, die musikalische Herstellung des Gesangbuches übertragen werden konnte. Daß er unmittelbar mit Freylinghausens Liedersammlung niemals das geringste zu thun gehabt hat, dies dürfte nunmehr wohl eine unanfechtbare Thatsache sein. –

[368] Einige Monate waren vergangen, seit Bach die Erlaubniß zur Orgelreparatur vom Rathe eingeholt, und sofort das Werk kräftig in Angriff genommen hatte. Während dieser Zeit war ihm klar geworden, daß sei nes Bleibens in Mühlhausen nicht sei. Rascher als er gehofft hatte, bot sich ein neuer Wirkungskreis dar: in seinem altbekannten Weimar war der Dienst eines Hoforganisten frei geworden, und da ihm ohnehin daran lag, als Virtuose weiter bekannt zu werden, so beschloß er, sich an dem herzoglichen Hofe zu produciren. Er verband mit dieser Reise noch einen andern Zweck. Am 5. Juni wollte der Pfarrer Stauber mit Regina Wedemann, der Muhme von Bachs Gattin, zu Arnstadt seine zweite Ehe schließen. Sebastian hatte den Gedanken, dem würdigen Manne, der im Jahre vorher ihren eignen Bund eingesegnet hatte und nun in nähere verwandtschaftliche Beziehungen zu ihnen trat, jenen Tag durch Aufführung einer Cantate zu verschönen. Da er am 25. Juni in Mühlhausen sein Entlassungsgesuch einreichte, so wird er zuerst nach Arnstadt gegangen sein, wohin er jedenfalls seine Frau mitnahm; diese blieb dann wohl dort bei ihren Freundinnen, oder ging mit nach Dornheim hinüber, von wo der Gatte sie auf seiner Rückkehr von Weimar wieder abholte.

Die Cantate, welche hier in Frage kommt, und die über die Verse 12–15 des 115. Psalms gesetzt ist (»Der Herr denket an uns und segnet uns« u.s.w.)42, trägt in ihrer handschriftlichen Gestalt keinen Hinweis auf ihre Bestimmung, ja, daß überhaupt eine Cantate von Bach an jenem Tage geschrieben wurde, ist nur eine auf mehre sehr deutliche Anzeichen hin gewagte Combination. Daß das gemeinte Werk in die früheste Zeit Bachs gehört, erkennt sofort jeder, der sich gewisse Stilunterschiede einmal klar gemacht hat, ebenso, daß es sich darin um eine Hochzeitsfeierlichkeit handelt. Die Vermuthung aber, es sei auf eine gewöhnliche Trauung abgesehen, wird unzulässig durch die Textworte: »Der Herr segne euch je mehr und mehr, euch und eure Kinder«, und an eine Jubelhochzeit, mit welcher doch eine kirchliche Feier nicht verbunden ist, kann man auch nicht denken. Wohl aber paßt alles auf die zweite Verehelichung eines von Kindern umgebenen Wittwers, wie es Stauber war. Und [369] da die Psalmstelle sich direct auch an das Haus Aarons wendet, so liegt es nahe genug, aus ihrer Verwendung für die Cantate, und besonders aus den Worten: »Ihr seid die Gesegneten des Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat«, gradezu die Beziehung auf einen Geistlichen herauszufinden. Die Gelegenheit, für einen sich zum zweiten Male verheirathenden Prediger eine Cantate zu componiren, bot sich in den ersten Jahren von Bachs Meisterzeit jedenfalls nicht so häufig dar, daß die in diesem Falle genau zutreffenden Umstände unbeachtet zu lassen wären. Das Werk besteht aus zwei Chören, zwischen denen eine Arie und ein Duett stehen. An Instrumenten sind nur Geigen und Orgel verwendet, dieselben führen zu Anfang eine Sinfonia aus, die über das Anfangsthema des ersten Chors gebaut ist: die beiden Violinen arbeiten es in kurzen Abschnitten durch, welche immer durch ein paar überleitende Takte verbunden werden. Es lassen sich im allgemeinen zwei Behandlungsweisen an den Bachschen Kirchen-Symphonien oder -Sonaten bemerken. Das Hauptmerkmal der einen und älteren ist, daß über ruhigen, bald breitgezogenen, bald sanft schwebenden Harmonienfolgen zwei obere Stimmen ausdrucksvoll und gesangreich imitiren. Die Form der späteren schließt sich eng an die Construction eines Instrumental-Concertsatzes an, und ist eine geistvolle Uebertragung aus dem weltlichen Gebiete, während die erstere, in der Bach auf den Leistungen seiner Vorgänger weiterbaute, ganz dem kirchlichen Boden entsprossen ist. Was er nach dieser Richtung schuf, haben wir als die letzte Vollendung der Gabrielischen Sonate anzusehen: die harmonischen Massen sind noch dem Auge nicht entzogen, aber ihren breiten Rücken bedecken die Blumen und Ranken der neueren Instrumentalpolyphonie. Auch die Sinfonie der vorliegenden Cantate gehört dahin. Doch betheiligen sich die Bratschen und Violoncelle häufiger an der Contrapunctirung, als es in andern Fällen geschehen ist, wenn auch meist in Terzen- und Sextenverdoppelungen, die Stimmführung ist vortrefflich und strömend.

Die vier Vocalstücke sind vorwiegend milden und innigen Ausdrucks, was ja im allgemeinen der Zug der älteren Cantate ist, hier aber zuversichtlich durch Bestimmung der Composition mit veranlaßt wurde. Beide Chöre sind fugirt, der erste wird durch einen frei imitirenden Abschnitt eingeleitet, in dessen Stimmgewebe zweimal die [370] Instrumente tutti hineinschlagen; schon aus diesem Zuge, in Verbindung mit ähnlichen Stellen und den Zwischenspielen des letzten Chors könnte man den frühen Ursprung des Werkes ableiten. Die Fuge, in der das Thema mit einer Freiheit beantwortet wird, welche Bach später sich nicht mehr gestattete, stimmt in der Einflechtung der Instrumente ganz mit dem letzten Satze der Rathswechselcantate überein, zum Schluß kehrt, als wäre er ein Ritornell, der Anfangsabschnitt wieder. Die Arie hat eine knappe Da capo-Form und geringere Bedeutung, es waren der Textworte auch zu wenige, um ein ausführlicheres Stück zu machen. Desto wärmer und ergreifender ist das Duett zwischen Tenor und Bass: »Der Herr segne euch je mehr und mehr«, ein Stück von echt evangelischer Milde, wie es Bach nicht zum zweiten Male geschrieben hat. Eine weiche, breitathmige Melodie, welche die Imitation einer zweiten Stimme schon gleichsam in sich trägt, beherrscht bald instrumental bald vocal fast das ganze Duett, und obschon die gleichmäßige Abwechslung zwischen bei den Tonkörpern noch einen ältlichen Zuschnitt hat, so sind sie doch so geistreich und gewandt in einander geflochten, daß Bachs spätere Weise ganz deutlich durchschimmert. Sehr schön und überraschend ist der Schluß, wo nach einem, wie man meint, abschließenden Ritornell die Stimmen noch einen letzten Segensspruch thun, während die Geigen im C dur-Accorde harfengleich durch vier Octaven abwärts steigen. Der letzte Chor, welcher homophon und unter glänzender Instrumental-Figuration anhebt, geht nach sechzehn Takten in eine Amen-Doppelfuge über voll Frische und Kraft, deren Wirkung allerdings durch einige zu instrumental gedachte Stellen etwas geschädigt werden möchte, auch fehlt ihr der große unaufhaltsame Zug, da die Entwicklung sich in zu kurzen Abschnitten zwischen Singstimmen und Instrumenten, und Singstimmen mit Instrumenten vertheilt; dies war ein Stück Erbschaft seiner Kunstvorgänger, das Bach vollständig erst mit der Zeit seinem eignen Besitz assimilirte, wenngleich es ihm auch jetzt schon ungleich höhere Interessen abwarf. Ganz prächtig und kühn nimmt es sich aus, wenn im 54. Takte beide Violinen das Hauptthema auf dem 1. ergreifen, während darunter in Sechzehnteln und Achteln alles durcheinander braust, das glänzt wie ein ritterlicher Held auf steigendem Schlachtrosse! Aber der leise verhallende Schluß leitet schön in die Grundstimmung des Ganzen [371] zurück. Verglichen mit der Rathswechsel-Cantate ist diese weniger reichhaltig, aber entschieden einheitlicher, ein köstliches Erzeugniß echter religiöser Innigkeit. Und da sie von den meisten Schwierigkeiten andrer Bachscher Werke frei ist, so könnte die Kunstwelt sie bald in ähnlicher Weise lieb gewinnen, wie ihren wohl nur wenig jüngeren Bruder, den schönen, ernsten Actus tragicus, wenn man sie eben nur aufführen wollte.

Die Vorstellung in Weimar hatte günstigen Erfolg gehabt, und Bach über diese unvermuthet glückliche Wendung dankbar erfreut, beeilte sich, seine Verbindungen in Mühlhausen zu lösen. Nur dem Rath gegenüber that ihm die schnelle Trennung leid, der sich stets in wohlwollendster Weise zu ihm gestellt hatte, und dem er sich verpflichtet fühlen mußte. Deutlich merkt man dies aus seinem sehr artigen Entlassungsgesuche heraus:


»Magnifice43, Hoch und Wohl Edle44, Hoch und

Wohlgelahrte45, Hoch und Wohlweise Herrn46,

Hochgeneigte Patroni und Herrn.

Welcher gestallt Eür: Magnificenz, und Hochgeschäzte Patronen zu dem vor dem Jahre verledigtemOrganisten Dienste D. Blasii meine Wenigkeit Hochgeneigt Haben bestellen, darneben auch Dero Milde zu meiner beßeren subsistenz mich genießen laßen wollen47, habe mit gehorsahmen Danck iederzeit zu erkennen. Wenn auch ich stets den Endzweck, nemlich eine regulirte kirchen music zu Gottes Ehren, und Ihren Willen nach gerne aufführen mögen, und sonst nach meinem geringen Vermögen der fast auf allen Dorfschafften anwachsenden kirchen music, und offt beßer, als allhier fasonierten48 harmonie möglichst aufgeholffen hätte, und darümb weit und breit, nicht sond kosten, einen guthen apparat der auserleßensten kirchen Stücken mir angeschaffet, wie nichts weniger das project zu denen abzuhelffenden nöthigen Fehlern der Orgel ich pflichtmäßig überreichet Habe, und sonst aller Ohrt meiner Bestallung mit lust[372] nachkommen währe: so hat sichs doch ohne Wiedrigkeit nicht fugen wollen, gestalt auch zur zeit Die Wenigste apparence ist, daß es sich anders, obwohl zu dieser kirchen selbst eignen Seelen, vergnügen künfftig fügen mögte, über dießes demüthig anheim gebende, wie, so schlecht auch meine Lebensarth ist, bey dem Abgange des Haußzinses und anderer äußerst nöthigen consumtion49, ich nothdürftig50 leben könne.

Alß hat es Gott gefüget, daß eine Enderung mir unvermuthet zu Handen kommen, darinne ich mich in einer hinlänglicheren subsistence und Erhaltung meines endzweckes wegen der Wohlzufaßenden kirchen-music ohne verdrießligkeit anderer ersehe, Wenn bey Ihro Hochfürstl: Durchlaucht zu Sachsen-Weymar zu dero Hof capelle und Cammer music das entree gnädigst erhalten habe.

Wannenhero solches Vorhaben meinen Hochgeneigtesten Patronen ich hiermit in gehorsahmen respect habe hinter bringen und zugleich bitten sollen, mit meinen geringen kirchen Diensten vor dießesmahls vor willen zu nehmen, und mich mit einer gütigen dimission förderlichst zu versehen. Kan ich ferner etwas zu Dero Kirchen Dienst contribuiren, so will ichs mehr in Der That, als in Worten darstellen, verharrende Lebenslang

Hochedler Herrr

Hochgeneigte Patronen und Herrn

Deroselben51

Dienstgehohrsamster

Joh. Seb. Bach.


Mühlhausen, den 25. Jun. an: 1708.

[Adresse:]

An Die | Allerseits respective | Höchst und Hochgeschäzten | Herrn Eingepfarrten | D. Blasii, | unterthäniges | Memoriale.


[373] Ungern aber liberaldenkend ertheilte denn auch am folgenden Tage der Rath die Entlassung, jedoch mit dem Vorbehalt, daß Bach zur Vollendung der Orgelreparatur seine fernere Hülfe verspreche. Da das neue Brustpositiv, wie die erwähnte Chronik erzählt, erst im Jahre 1709 fertig wurde, so wird Bach während dieser Zeit mindestens noch ein Mal, vermuthlich aber öfter von Weimar herübergekommen sein. Uebrigens blieb die Stadt Mühlhausen bei ihm sein Leben lang in gutem Andenken, und noch mehr als 25 Jahre später veranlagte ihn die »alte Faveur« des Rathes für seinen Sohn Bernhard um die Organistenstelle an der Marienkirche mit Erfolg nachzusuchen. In den von ihm aufgegebenen Dienst rückte, wie wir erzählt haben, sein Vetter Johann Friedrich Bach.

Fußnoten

1 Seine unberühmt gebliebenen nächsten Nachfolger waren: Johann Heydenreich (Schwiegersohn Mollers) von 1610 bis 1633, Rudolph Radecker von 1633 bis 1634, Hermann Schmied von 1634 bis 1649, Johann Vockerodt von 1649 bis 1654. Diese und die folgenden Angaben über beide Ahles stützen sich in ihren Abweichungen von der bisherigen Ueberlieferung auf die Kirchenrechnungsbücher zu Divi Blasii.


2 Gerber, N.L. I, Sp. 35.


3 »Herr Johann Georg Ahle begraben mit der gantzen Schule mit 2 Zeichen den 5. Dec.« (Sterbe-Register zu Divi Blasii. 1706). Die Beerdigung pflegte drei Tage nach dem Tode zu erfolgen, wie noch jetzt.


4 Nach seiner eignen Erzählung bei Mattheson, Ehrenpforte S. 388 und 389, wo er aber Ahle den Sohn mit Ahle dem Vater verwechselt. Von einer Berufung Walthers vor derjenigen Bachs, die er ausgeschlagen hätte, ist nie die Rede gewesen, vergl. Gerber, Lex. II, Sp. 764.


5 Da die Bach betreffenden Actenstücke in dem Buche Bitters sehr entstellt zum Abdruck gekommen sind, habe ich sie im Anhange B. V noch einmal voll ständig mitgetheilt.


6 70 Schock nach den Kirchenrechnungen. 1 Schock = 20 guten Groschen; 1 (meißenscher) Gülden = 21 guten Groschen.


7 In Arnstadt bekam er, genau genommen, nur 84 Gülden 6 ggr., da ihm sein Gehalt in verschiedenen Münzsorten ausgezahlt wurde.


8 Nach eigner Mittheilung Frohnes anläßlich der später zu erwähnenden Streitigkeiten.


9 So heißt es in dem auf dieses Unglück sich beziehenden Bußgebete.


10 »Actum den 29. Junij 1707.

Erscheinet Herr Johann Sebastian Baach, bißheriger Organist zur newen Kirchen, Berichtet, daß er nach Mühlhausen Zum Organisten beruffen worden, auch solche Vocation angenommen habe. Bedanckte sich demnach gegen den Rathe gehorsambst, Vor bißherige Bestallung, und bittet umbDimission, Wolte hiermit die Schlüßel Zur Orgel dem Rathe, Von deme er sie empfangen, wieder überliefert haben.

D.R.Z.A.«

(Arnstädter Rathsprotokolle.)


11 Daß es nur ein Quartal derjenigen Summe war, die Sebastian aus der Brauzins-Kasse bekam, läßt sich aus den Rechnungsbüchern und Quittungen des Arnstädter Rathsarchivs in Verbindung mit den amtlichen Angaben über Johann Ernsts Besoldung mit Sicherheit nachweisen. Man entschuldigt es, wenn ich in die Einzelheiten des weitläufigen Nachweises hier nicht eingehe.


12 Im arnstädtischen Eheregister steht: »Anno 1707,Dom. XV p. Tr. Herr Johann Sebastian Bach, bei der Kaiserl. freien Reichsstadt Mühlhausen zu St. Blasii wohlbestellter Organist, so noch ledig, Weil. Hrn. Johann Ambrosius Bach, Fürstl. Sächs.-Eisenachschen Stadtmusikanten nachgelassener eheleibl. jüngster Sohn, und Jungfrau Maria Barbara, weil. Mstr. Johann Michael Bachs, Organisten in Gehren, nachgelassene ehel. jüngste Tochter. Sind zu Dornheim am 17. October copulirt. Die Accidentien wurden ihnen geschenkt.« (»Mstr.« = »Meister« bezieht sich vielleicht auf Michael Bachs Thätigkeit als Instrumentenbauer.)


13 Acta des Magistrats zu Erfurt. Stadt-Archiv, Abth. IV, Nr. 116.


14 Ueber diese »musikalische Societät« im 17. Jahrhundert habe ich nach archivalischen Quellen berichtet in den Monatsheften für Musikgeschichte II, S. 70–76 (Berlin, Trautwein. 1870).


15 Von der Thätigkeit als Kirchencomponist giebt ein vollständiges und mit Liebe ausgeführtes Bild Winterfeld, Evangel. Kirchenges. II, S. 296–328.


16 Sie befinden sich in der Musikaliensammlung des Herrn Musikdirektor Ritter, der sie aus dem schon oben genannten Tabulaturbuche von 1675 copirte. Glücklicherweise! denn der werthvolle Musikalien-Nachlaß des Organisten Hildebrand in Mühlhausen wurde von seinen Erben in einen Fleischerladen verkauft, wie ich im Winter 1867/68 leider entdecken mußte.


17 Winterfeld, a.a.O. S. 328–342.


18 Walther, Lex. unter »Schubart« und »J.S. Koch«.


19 Alles wesentliche, was an alten Musikalien der damalige Cantor Sachs zu Langula im Sommer 1868 besaß, ist in meinen Besitz übergegangen. Von der alten halbzerfressenen Handschrift der Bachschen Cantate gelangte nur eine Abschrift des alten Cantors an mich und ohne den inzwischen verloren gegangenen ersten Chor.


20 B.-G. XVIII, S. 3–54. Es ergiebt sich aus dem Obigen, daß die Composition nicht sowohl Rathswahl-, als Rathswechsel-Cantate genannt werden müßte.


21 Ob sich unter dem zurücktretenden Rathe einige sehr alte Leute befanden, auf welche die Cantate besonders Bezug genommen hätte, konnte ich nicht ermitteln. Die Bürgermeister von 1707 hießen Johann Georg Stephan und Christian Grabe.


22 Die Holzbläser und das Violoncell (dieses nur der Uebersichtlichkeit wegen) sind in D dur geschrieben, während die Cantate sonst in C dur steht. Man sieht daraus, daß die Stimmung der Blasius-Orgel sich eine ganze Stufe über dem Kammerton befand. Für die Trompeten war ein Umschreiben nicht nöthig, da sie immer im Chortone standen (s. Mattheson, Neu eröffnetes Orchestre, S. 267).


23 Cantate zum Sonntage Jubilate, B.-G. II, Nr. 12.


24 Collectanea die Bauten der Kirche D. Blasii betr., im Kirchenarchiv daselbst.


25 Der nachmalige Organist Voigt in Waldenburg, ein geborner Mühlhäuser, sagt in seinem »Gespräch von der Musik zwischen einem Organisten und Adjuvanten«. Erfurt, 1742. S. 38: »Er [ein ungenannter Musiker] fiel hierauf in einen Discurs von Herrn Bachen, ob ich ihn kennte, er hätte vernommen, daß ich ein Thüringer und von Geburt ein Mühlhäuser wäre, und er, Herr Bach, wäre ja in Mühlhausen Organist gewesen. Ich versetzte, daß ich mich zwar noch wohl erinnerte, ihn gesehen zu haben, aber doch nicht mehr kennte, weiln ich dazumal nur 12. Jahre alt gewesen, auch in 30. Jahren nicht wieder dahin kommen, – – –. Er hatte ein Glocken-Spiel in der St. Blasii-Kirchen angegeben, alleine, da er fast damit fertig war, wurde er, wiewohl mit grossem Verdruß des Raths zu Mühlhausen, als Cammer-Musicus nach Weymar beruffen«.


26 Hieraus erklärt sich ungezwungen die Thatsache, daß in der gedruckten Orgelstimme diese Stellen fehlen. In der Marienkirche wurden sie dann wohl auf dem zweiten oder dritten Orgel-Manual gespielt, wenn sich nicht etwa dort auch ein selbständiges Orgelpositiv befand; im letzteren Falle wäre das im Text gesagte hiernach zu modificiren.


27 Wie sich aus dem Protokoll über Bachs erbetene Entlassung ergiebt.


28 Im Original verschrieben »Windlanden«.


29 Nämlich weil für diese neu hinzukommende Stimme auf der Hauptlade kein Raum mehr gewesen sein wird.


30 d.h. Schalmei.


31 »Beschreibung der Kayserlichen Freyen Reichs Stadt Mühlhausen in Thüringen. Zweiter Theil«; auf dem Rathsarchive daselbst. Ahles Lied erhielt sich im Gebrauch, man kann es im Mühlhäuser Gesangbuch von 1739 auf Seite 345 finden, die Melodie aber nicht, welche er jedenfalls doch auch dazu gesetzt hatte.


32 In einer Eingabe vom 7. Juni 1730.


33 So wurden zu Friedemann Bach (geb. 22. Nov. 1710) als Pathen gebeten: »Frau Anna Dorothea Hagedornin, Herrn Gottfried Hagedorns, J.[uris] U.[triusque] Candidati in Mühlhaußen Frau Eheliebste«, und »Herr Friedemann Meckbach, J.U. Doctor in Mühlhaußen« (Pfarrregister der Stadtkirche zu Weimar). Eine interessante Reliquie besitzt Herr Oberappellationsrath Krug in Naumburg in einem einstmaligen Vorblatte eines gebundenen Buches im Octavformat aus Bachs Privatbibliothek. Rechts unten stehen in zierlicher Schrift seiner eignen Hand die Worte: ex libera donatione Dn. Oehmii | me possidet Joh. Seb. Bach. Die Familie Oehme war früher in Mühlhausen weit verzweigt und existirt noch heute dort. Das Blatt war nebst dem vollständigen Buche im Besitz des Litterarhistorikers Koberstein in Schulpforte; ersteres verschenkte er, letzteres wurde mit seiner nachgelassenen Bibliothek verauctionirt, und es gelang nicht, auch nur zu erfahren, welches der Inhalt gewesen ist.


34 »Acta betr. den theologischen Streit zwischen dem Superintendent Dr. J.A. Frohne und dem Archidiaconus Dr. G. Chr. Eilmar. E.C. Nr. 22«; auf dem Rathsarchiv zu Mühlhausen. Die obige Auseinandersetzung steht wahrscheinlich zuerst in seiner Denkschrift: »Verthädigung des Rechts des geistl. Priesters«, welche mir unbekannt geblieben ist; er sagt nämlich an andrer Stelle, daß er dort den Beginn des Kanzelstreits erzählt habe. – Außerdem habe ich die Protokolle des Senatus Seniorum benutzen können, welche Herr Stadtrath Dr. Schweineberg mir in zuvorkommendster Weise zugänglich machte.


35 Altenburg, Beschreibung der Stadt Mühlhausen in Th. Mühlhausen, 1824. S. 393 und 394.


36 Mattheson (Der musikalische Patriot. Hamburg, 1728. S. 151) nennt ein im Jahre 1701 zu Braunschweig erschienenes Buch Eilmars: »Güldenes Kleinod Evangelischer Kirchen«, in dem der Verfasser ebenfalls gegen die Pietisten eifert. Es kam ihm bei seiner Vertheidigung der modernen Kirchenmusik gut zu statten, und er theilt deshalb einige Sätze daraus mit; dies würde wohl bei der Masse des in dieser Angelegenheit Geschriebenen nicht geschehen sein, wenn er nicht um die zustimmende Gesinnung Eilmars gewußt hätte.


37 Winterfeld, Der evangelische Kirchengesang, III, S. 270–276.


38 Nicht 19; Winterfeld hat Nr. 284 bei Schemelli (Nr. 94 bei Freylinghausen) aus Versehen zweimal in Rechnung gebracht.


39 Irrthümlich hat Winterfeld angegeben, jene beiden letzten Melodien ständen schon in der ersten Auflage des Gesangbuchs, während daselbst doch dem Gerhardschen Morgenliede die alte Ebelingsche Melodie, und dem Scriverschen Abendgesange eine zwar neuere, aber doch ganz abweichende Tonweise beigegeben ist. Die auf S. 271 befindlichen Verzeichnisse sind also folgendermaßen abzuändern: Schemellis NNr. 108, 121, 463, 475, 522, 572, 580, 700, 779 entsprechen in Freylinghausens erster Auflage vom Jahre 1704 die NNr. 363, 278, 349, 461, 659, 515, 405, 353, 412; Schemellis NNr. 13, 39, 710 in Freylinghausens fünfter Auflage vom Jahre 1710 die NNr. 592, 614, 436. Das Verzeichniß zur ersten Auflage des zweiten Theils vom Jahre 1714 ist richtig.


40 Vrgl. Winterfeld a.a.O. S. 14. Auch haben nicht 23, sondern nur 19 Lieder an Stelle der früheren Melodien neue erhalten; Nr. 662 ist aus Dur nach Moll versetzt, einige andre sind in eine bequemere Lage transponirt.


41 Nr. 496: »Mein Herz, gieb dich zufrieden«, unterzeichnet mit J.A. Fr., und im zweiten Theile des »Geistreichen Gesangbuchs« unter Nr. 450 zu finden. Von August Hermann Francke ist in dem Gesangbuche Schemellis unter Nr. 798 das Lied »Gottlob, ein Schritt zur Ewigkeit« einverleibt.


42 B.-G. XIII, 1, S. 73–94.


43 Der Bürgermeister, welcher im Kirchenvorstande präsidirte.


44 Rathsherrn.


45 Litterarisch Gebildete.


46 Einfache Bürger.


47 Er war besser gestellt, als sein Vorgänger.


48 d.i. façonnirten.


49 Ahle besaß sein eignes Haus. Sonst scheint Hauszins mit der Stelle verbunden gewesen zu sein. Bieler erhielt unter diesem Titel jährlich 12 Thaler, und hatte auch sonst eine Reihe besonderer kleiner Revenuen an Geld und Materialien.


50 d.h. nur nothdürftig.


51 Die Schrift der Worte »Hochedler Herrr Hochgeneigte« und »Deroselben« ist aus deutschen und lateinischen Buchstaben gemischt, was sich im Druck nicht gut wiedergeben ließ.

Quelle:
Spitta, Philipp: Johann Sebastian Bach. Band 1, Leipzig: Breitkopf & Härtel, 1873.
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