IV.

Während Bach in stiller, gesammelter Thätigkeit seinen reinen Idealen nachtrachtete, gingen draußen in der Welt die trüben Fluthen eines gedankenlosen Kunsttreibens höher und höher, und näherten sich in bedrohlichem Andrange auch jenem Gebiete, das noch als Stätte ernster Besinnung auf des Menschenlebens höchste und letzte Ziele gegolten hatte. Die Oper war es, welche durch inländische und fremde Künstler im Wetteifer gefördert mehr und mehr alles Interesse an sich zog. Von den Italiänern am Beginn des 17. Jahrhunderts gewissermaßen erfunden, als ein Luxus für die Fürstenhöfe bald nach Deutschland verpflanzt, aber durch den großen Krieg am Emporkommen verhindert, schoß sie in den letzten Jahrzehnten üppig empor, nicht ohne nationale Eigenthümlichkeiten, besonders seit auch der Bürgerstand nach dem Vorgange Hamburgs sich ihrer bemächtigte. Bald jedoch wurde sie wieder von den originalern und für diese Art begabteren Ausländern ganz abhängig und kehrte in dieser Gestalt noch in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts an die Fürstenhöfe als ihre angemessenste Pflegestätte ganz zurück, um dem Glanze, der Verschwendung, der Zerstreuung zu dienen: in ihrer Gattung [461] ein blattreiches, doch fruchtloses Gewächs auf deutschem Boden. Was der Oper fördernd bei uns entgegen kam, ist zum Theil wenig rühmlicher Natur. Ein mattlebiges, unkräftiges Geschlecht, ermangelnd aller höheren gemeinsamen Ziele und zu ernsterem Kunstgenusse unfähig, fand in den bunten sinnlich bestechenden Gaukelbildern, deren Stoffe ihm meistens eben so fremd wie gleichgültig waren, nur das erwünschteste Mittel, die Jämmerlichkeit des wirklichen Daseins zu vergessen. Allein es gab doch auch edle, ernst ringende Geister, welche in die unversehrt gebliebenen Tiefen des Menschenthums zurückgingen und von dort aus zu neuen und bessern Verhältnissen zu gelangen strebten; es gab als Anzeichen wieder erwachender Kräfte eine Anzahl frischer, reich begabter Künstler, welche der eignen Existenz gespottet hätten, wenn sie ihre Gaben nur zur dumpfen Belustigung hohler Massen hätten vergeuden wollen. Da trotzdem die Hingabe an die Oper eine fast allgemeine war, so mußte noch ein tiefer liegender Grund hierfür vorhanden sein, und dieser ist in der That bald zu erkennen. Die Richtung der gesammten musikalischen Kunst der letzten drittehalb Jahrhunderte ging, hierin dem allgemeinen Zuge der Zeit entsprechend, immer mehr auf Herausbildung des Individuellen hin; die Persönlichkeit, durch die mehrstimmige Musik der vorhergehenden Periode gebunden gehalten, verlangte das Recht, ihre eigensten Empfindungen, zu äußern. Hier für die Mittel und Formen zu erfinden vermochten die Deutschen zwar nicht: die Eigenart ihrer Begabung und die Ungunst der Zeiten hinderten sie daran. Aber nachdem ihnen die Italiäner vorgearbeitet hatten, konnten doch nur sie es sein, die das Gewonnene in der bezeichneten Richtung fortbildeten, weil keinem andern Volke so tief das Streben nach Individualisirung inne wohnt; seit dem Beginne des 18. Jahrhunderts übernahm Deutschland unter den musikalischen Völkern die Führerschaft und hat sie bis heute behauptet. In der damaligen Oper nun fand jenes Streben die schrankenloseste Genüge, da sie fast nur aus Sologesang bestand, auch den dramatischen Organismus zur Maschine für Herbeiführung solistischer Gelegenheiten erniedrigte und also der Persönlichkeit weder musikalische noch poetische Fesseln anlegte. Wo alles endlich auf die Befriedigung virtuosischer Eitelkeit hinauslief, konnten lebenskräftige Kunstwerke von veredelnder Wirkung nicht erstehen. Aber nur die [462] Art, wie der herrschende Drang sich äußerte, war verfehlt, weil er in unüberlegter Nachahmung sich abarbeitete, an sich war er berechtigt und gesund, ein natürliches Resultat geschichtlicher Entwicklungen. So hat denn zwar die Oper jener Epoche auf ihrem eignen Gebiete es zu keinen bleibenden Leistungen gebracht, mittelbar aber die Gattungen, in welchen die damalige vocal-instrumentale Kunstentwicklung gipfeln sollte, die Cantate Bachs nebst dessen Passionen und das Händelsche Oratorium in der Weise beeinflußt, daß in diesen die reinsten Ergebnisse ihrer Pflege, natürlich neben mannigfachen andern Elementen, zu erkennen sind.

Die persönliche Empfindungsweise hatte seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts auch in der Kirchenmusik schon merklich Platz gegriffen. Allein für einen umgestaltenden Einfluß war hier die Gelegenheit vorläufig ungünstig, sowohl aus historischen Gründen, da die Kirchenmusik an eine Vergangenheit herrlich blühenden chorischen Gesanges sich noch immer anlehnte, als aus ästhetischen, da die Heiligkeit des Gegenstandes anmaßlichen Gefühlsäußerungen des Einzelnen zu wehren schien. Erst als auf dem Gebiete, wo der Einzelgesang gattungsbestimmender Factor war, die neue Musikweise sich voll Kraft gesogen und einen sympathischen Widerhall in den Herzen der Menschen überall geweckt hatte, klopfte sie dreist auch an die Pforten der Gotteshäuser und brauchte, durch allgemeine Gunst empfohlen, auf willigen Einlaß nicht zu warten.

Zweierlei hauptsächlich war es, worauf sie ihre eindringende Wirkung stützte: das Recitativ und die Arie. Den recitirenden Gesang in seiner älteren Form und noch sehr gebundenen Bewegung hatte die Kirche bereits recipirt. Es war daraus das Arioso geworden, was gern zum Einzelvortrag von Bibelworten verwendet wurde und mit ziemlich reicher Instrumentalharmonie ausgestattet einen meist formlosen aber doch nicht grade unwürdigen Eindruck machte. Dagegen hatte sich das Recitativ allmählig auf dem Theater zur größten Biegsamkeit und Beweglichkeit ausgebildet; es war geworden, was es sein soll, ein Sprechen in fixirten Tonhöhen auf einfachster Harmoniegrundlage, fähig zugleich den leidenschaftlichsten Regungen Ausdruck zu geben, ohne diese in geschlossener Form zu objectiviren. Die Arie, vorher mit dem ein- oder mehrstimmigen und durch Ritornelle geschmückten Strophenliede gleichbedeutend, [463] hatte trotz ihres empfindsamen Charakters doch in dem Zwange, welcher alle Strophen einer Melodie unterordnete, eine gewisse Schranke gegen die Subjectivität gehabt. Mehr und mehr aber verschaffte sich nun die italiänische Arie Eingang, welche in breiter dreitheiliger Form cyklisch abgerundete und eine Stimmung dialektisch erschöpfende Tonbilder hinstellte. Diese beiden neuen Formen des Solo-Gesanges, zur Aufnahme des freiesten Empfindungsausdrucks in vollendeter Weise geeignet, bedurften aber, um sich voll entfalten zu können, einer entsprechenden textlichen Grundlage. Das Deutsch der lutherischen Bibel war für das geschmeidige Recitativ zu fest gefügt und wuchtig, schien auch wohl wegen seines ehrwürdigen Inhalts mit dem flüchtigen Sprechgesange nicht vereinbar. Für die Arie kam es der dreitheiligen Form zu wenig entgegen und widersprach mit seinem großartigen Empfindungsgehalte dem Sologesange überhaupt. Die kirchliche Dichtung jener Zeit aber mit ihrem zu wenig concentrirten Wesen und mit dem engen Reimgefüge, dem kurzathmigen Zeilenbau ihrer Strophen und nun gar die in der dramatischen Poesie herrschenden klapprigen Alexandriner waren für einen frei strömenden Erguß des Einzelgefühls völlig unbrauchbar. Da die Italiäner die musikalischen Formen geliefert hatten, suchte man bei ihnen auch für die poetischen Hülfe, und fand sie im Madrigal. Der erste Hinweis auf diese Dichtungsart ging noch von Heinrich Schütz aus, dessen Schwager Caspar Ziegler, ein musikalisch begabter Theolog in Leipzig, der später Rechtswissenschaft studirte und als juristischer Professor 1690 in Wittenberg starb, im Jahre 1653 zuerst das Madrigal durch eine Abhandlung über sein Wesen nebst beigefügten Proben in die deutsche Litteratur einführte, auch einen Brief Schützens an ihn der Schrift Vordrucken ließ, aus dem sich des Altmeisters Einfluß auf das Unternehmen deutlich erkennen läßt1. Ziegler, der das italiänische Madrigal gründlich studirt hatte, definirt es als eine epigrammatische Dichtung, »darinnen man oftermals mehr nachzudenken giebt und mehr verstanden haben will, als man in den Worten gesetzt und begriffen [464] hat«, und deren Grundgedanke jedesmal in den letzten Zeilen erscheine. Formell aber sei es unter allen Gattungen die freieste. Man sei an keine bestimmte Anzahl von Zeilen gebunden, wie etwa im Sonnett, doch seien fünf und sechzehn Zeilen die Gränzen; zwischen denen die italiänischen Dichter sich bewegten; es dürften auch die Zeilen nicht gleich lang sein, sondern der Dichter könne kurze und lange willkürlich durch einander mischen, obschon die Italiäner nur Sieben- und Elfsilbler zu verwenden pflegten; endlich sei es nicht gestattet alle Zeilen zu reimen, »weil ein Madrigal so gar keinen Zwang leiden kann, daß es auch zu mehrmalen einer schlichten Rede ähnlicher als einem Poemati sein will«. Von allen Dichtungsarten in der deutschen Sprache eigne sich keine besser zur Musik, und die Redeformen, welche die Italiäner in ihren Singspielen anwendeten, seien nur ein fortgesetztes Madrigal, »doch solcher Gestalt, daß je zuweilen dazwischen eine Arietta, auch wohl eine Aria von etlichen Stanzen laufe, welches denn sowohl der Poet als der Componist sonderlich in Acht nehmen und, eines mit dem anderen zu versüßen, zu rechter Zeit abwechseln« müsse. In wie weit Zieglers Vorgang für andere musikalische Gebiete damals Nachfolge gefunden hat, ist mir unbekannt; in der Kirchenmusik aber dauerte es fast noch funfzig Jahre, ehe man die italiänische Praxis ergriff, die dann alsbald allgemein herrschend wurde.

Der Mann, welcher durch energische That die vielfach entgegenstehenden Bedenken überwand, hieß Erdmann Neumeister. Seine Heimath war Mitteldeutschland, wo er zu Uechtritz bei Weißenfels als Sohn eines einfachen Schulmeisters am 12. Mai 1671 geboren wurde. Die kernhafte Natur des Knaben fand Anfangs an dem frischen Landmannsleben größeres Gefallen, als an den Büchern; erst mit dem 14. Jahre trat die Lust zu wissenschaftlicher Beschäftigung zugleich mit vortrefflichen Geistesgaben bei ihm hervor. Nach vierjährigem Aufenthalte in Schulpforte studirte er von 1689 in Leipzig Theologie, wo August Hermann Francke einen starken, aber vorübergehenden Eindruck auf ihn machte. Neben seinem Hauptstudium beschäftigte ihn auch hier schon die Dichtkunst, und nachdem er 1695 Magister geworden, hielt er auf Grund einer Dissertation über die Dichter und Dichterinnen des 17. Jahrhunderts2 Vorlesungen über Poetik. Zwei Jahre darauf trat er zu Bibra in Thüringen seine erste [465] Pfarrstelle an, wurde kurz nachher als Adjunct an die Superintendentur zu Eckartsberge berufen und im Jahre 1704 als Hofdiaconus nach Weißenfels. Schon durch seine acht Jahre zuvor vollzogene Vermählung mit einer Weißenfelserin stand er zu diesem Orte in engeren Beziehungen; beim Herzoge wurde er bald sehr beliebt und mit der Unterweisung seiner Tochter beauftragt. Gewandtheit der Sprache, Klarheit der Darlegung und ein männliches, unerschrockenes Auftreten kennzeichneten ihn als Kanzelredner. Obwohl er nicht lange in Weißenfels blieb, denn er zog 1706 nach Vermählung der Prinzessin mit ihr an den gräflichen Hof zu Sorau, bewahrte er dem herzoglichen Hause doch eine dauernde Anhänglichkeit, wie eine Reihe von Gratulations-Schreiben aus den Jahren 1736–1741 beweist, welche auch regelmäßig vom Herzog beantwortet wurden3. Seine theologische Richtung war mittlerweile eine streng orthodoxe geworden, und demgemäß begann er in Sorau seinen Kampf gegen den Pietismus und hat denselben sein Leben lang fortgeführt als einer der streitbarsten, angesehensten und intelligentesten Vorkämpfer seiner Partei. Von Sorau, wo er sich durch rücksichtslosen Freimuth die gräfliche Ungnade zugezogen hatte, folgte er im Jahre 1715 einem Rufe als Hauptpastor an die Jacobi-Kirche zu Hamburg. Hier wirkte er in ungeschwächter Kraft bis ins hohe Alter, hielt zu seinem 50jährigen Amtsjubiläum noch selbst die Predigt und starb, ein 85jähriger Greis, von Kindern und Enkeln in großer Anzahl umgeben, am 18. August 17564. Seine litterarische Thätigkeit war nur zum Theil eine theologisch-polemische: er veröffentlichte nach und nach eine große Anzahl viel gelesener Predigt-Sammlungen, und von seinen geistlichen Liedern gingen nicht wenige in den kirchlichen Gebrauch über; manche wie der Epiphanias-Gesang »Jesu, großer Wunderstern« gehören auch zu den besten Liedern nicht nur jener Zeit, sondern der lutherischen Kirche überhaupt.

[466] Neumeisters erstes Auftreten als Dichter von Cantaten-Texten fällt genau auf das Jahr 17005. Da er selber jeder näheren Kenntniß der Musik entbehrte6, so wird die Anregung dazu von außen gekommen sein, und da es die Weißenfelser Hofcapelle war, für welche er die ersten verfaßte, so sieht man auch, was die Anregung gab. Am dortigen Hofe blühte damals unter Leitung des talentvollen, kunst- und welterfahrenen Capellmeisters Johann Philipp Krieger die Oper; der unmittelbarste Einfluß derselben auf die Gestalt der Texte ist also dargethan, auch sind dieselben nach Neumeisters eigener Aussage von Krieger mit besonderer Vorliebe componirt, und dieser gilt dem Dichter als der weißenfelsische Chenania7, »welcher unter den Virtuosen in Kirchenstücken wohl den Preis davon« trüge. Die Dichtungen beziehen sich auf die Sonn- und Festtage des gesammten Kirchenjahres; sie wurden einzeln gedruckt und jedesmal zum Nachlesen an die Gemeinde vertheilt. Als Neumeister 1704 als Prediger nach Weißenfels kam, wurden sie in ein Octavbändchen vereinigt und von ihm mit einer ausführlichen Vorrede versehen8. Hier verbreitet er sich zuerst im Allgemeinen über die Bezeichnung »Cantate« und fährt dann fort: »Soll ichs kürzlich aussprechen, so siehet eine Cantata nicht anders aus, als ein Stück aus einer Opera, von Stylo Recitativo und Arien zusammengesetzt. Wer nun weiß, was zu beiden erfordert wird, dem wird solch Genus carminum zur Ausarbeitung nicht schwer fallen. Jedoch auch den Anfängern in der Poesie zu Dienste von beiden etwas zu berühren, so nimmt man zum Recitativ jambische Verse. Je kürzer aber, je angenehmer und je bequemer sie zu componiren sind. Wiewohl auch in einem affectuösen Periodo dann und wann ein oder ein paar trochäische wie nicht weniger daktylische sich gar artig und [467] nachdrücklich mit einschieben lassen. Sonst hat man hier Licenz eben als in einem Madrigal, die Reime und Verse zu verwechseln und zu vermischen, wie man will. – Nur ziehe man überall das Gehör zu Rathe, damit aller Zwang und Härtigkeit vermieden, und dagegen die von selbst fließende Lieblichkeit durchgehends beobachtet werde. Was die Arien belanget, sollen selbige aus einer, zum meisten aus zweien, sehr selten aus dreien Strophen bestehen und allemal einen Affect, oder ein Morale, oder sonst etwas besonderes in sich halten. Und hierzu mag man nach eignem Gefallen ein bequem Genus erkiesen. Kann bei einer Arie das sogenannte Capo, oder der Anfang derselben am Ende in einem vollkommenen Sensu wiederholt werden, läßt es in der Musik gar nette.« Dazu wird nun noch die Bemerkung gefügt, daß man Recitative und Arien nach Belieben unter einander mischen könne, und dann der große Vortheil aufgezeigt, den solche Dichtungen der Composition böten. Ueber die vorliegenden im Besonderen bemerkt er, daß ihr Gedankengehalt auf den von ihm gehaltenen Predigten beruhe. »Wenn die ordentliche Amts-Arbeit des Sonntags verrichtet, versuchte ich das Vornehmste dessen, was in der Predigt abgehandelt worden, zu meiner Privat-Andacht in eine gebundene Rede zu setzen und mit solcher angenehmen Sinnenbemühung den durch Predigen ermüdeten Leib wieder zu erquicken. Woraus denn bald Oden, bald poetische Oratorien und mit ihnen auch gegenwärtige Cantaten gerathen sind.« Die Herausgabe aber sei auf Veranlassung von einigen Künstlern und Musikfreunden geschehen, denen dieselben bekannt geworden wären. In der That zeigte ein schon im nächsten Jahre in der Rengerischen Buchhandlung zu Halle erschienener Nachdruck9, einen wie großen Anklang Neumeisters Neuerung fand. Auch die 1707 wider sein Wissen und Wollen durch Chr. Fr. Hunold erfolgte Veröffentlichung eines in Leipzig gehaltenen Collegium poeticum unter dem Titel: »Die allerneueste Art zur reinen und galanten Poesie zu gelangen«, eine Schrift, die im Verlauf der Jahre mehrfach aufgelegt wurde, hängt wohl mit dem Aufsehen zusammen, was er jetzt allgemein erregte. Im Jahre 1708 folgte auf jenen ersten Versuch ein zweiter Cantaten-Jahrgang[468] über die Evangelien, der an die gräfliche Capelle nach Rudolstadt kam und von Erlebach in Musik gesetzt wurde. Ein dritter und vierter wurde 1711 und 1714 für die Kirchenmusik des Herzogs von Sachsen-Eisenach geschrieben, wo damals Telemann Capellmeister war10. Sie alle wurden mit einem neu hinzugedichteten fünften Jahrgange zusammen im Jahre 1716 unter Zustimmung des Verfassers neu herausgegeben von Gottfried Tilgner und dem Herzoge Christian von Weißenfels zugeeignet; ein sauberer Kupferstich, Neumeister in seinem Studirzimmer darstellend, ziert diese Ausgabe und in der Vorrede stellt ihn Tilgner als den Mann dar, »welchem ohne Widerspruch der Ruhm gebühret, daß er der erste unter uns Deutschen gewesen, der die Kirchen-Musik durch Einführung der geistlichen Cantaten in besseren Stand gebracht und in den jetzigen Flor versetzt hat«11. Diese Collection von Poesien erfuhr im Laufe der Zeiten noch zwei Fortsetzungen, von denen eine: »Fortgesetzte fünffache Kirchen-Andachten«, 1726 zu Hamburg, die andere aber als »Dritter Theil der fünffachen Kirchen-Andachten« ebendaselbst 1752 erschien. Neumeister wurde von allen Seiten um Texte bestürmt, er gab sie einzeln fort und ohne sein Wissen wurden sie oftmals gedruckt. Die Sammlung von 1726 enthält außer den Zugaben für öffentliche Feierlichkeiten und Privat-Andachten wieder drei vollständige Jahrgänge, von denen aber der erste schon 1718 zu Eisenach unter dem Titel »Neue geistliche Gedichte« erschien, und mehre Cantaten dieses Jahrganges finden sich wieder in einer 1725 zu Weißenfels anonym gedruckten Sammlung. Der im dritten Theile enthaltene Cantaten-Jahrgang war durchweg von Telemann componirt worden, an dem Neumeister überhaupt einen fleißigen und dankbaren [469] Verarbeiter hatte. Auch für Mattheson setzte er in Hamburg seine Feder in Bewegung und dichtete ihm die Oratorien »Die Frucht des Geistes« (1719) und »Das gottselige Geheimniß« (1725)12. Ein anders gearteter poetischer Cursus durch das Kirchenjahr fand in den zwei Theilen des »Evangelischen Nachklangs« (Hamburg, 1718 und 1729) statt, aber obgleich dies nur Strophenlieder waren, so wurden sie doch, bestimmt wenigstens der zweite Theil, der wieder für die Schloßkirche in Weißenfels geliefert wurde, ebenfalls zu Kirchenmusiken verwendet. Außerdem kamen nun die Nachahmer in Schaaren: es war mit dieser Form ja gefunden, was man nöthig zu haben glaubte, und da es auf Gedankenreichthum nicht eben ankam, so war die Verfertigung eines Cantaten-Textes keine zu schwere Aufgabe. Aber nur wenige gab es, die Neumeisters Leistungen übertrafen, die meisten standen vielmehr beträchtlich hinter ihrem Vorbilde zurück.

Das Hauptwerk bleiben immer die durch Tilgner herausgegebenen »Fünffachen Kirchen-Andachten« und es liegt uns ob, deren Beschaffenheit noch etwas genauer zu prüfen. Neumeister nannte den ersten Jahrgang selbst gleichsam den poetischen Niederschlag seiner Predigten. Irrig aber wäre es zu glauben, daß sich auch die Form der Predigt in ihnen wiederspiegelte, und noch irriger ist die Ansicht, die Gestalt der neueren Kirchencantate sei überhaupt von der Predigt genommen oder allgemeiner ein idealisirtes Abbild des gesammten protestantischen Gottesdienstes13. Ganz andere und viel äußerlichere Grundsätze waren maßgebend: vor allem die Nachahmung der zeitentsprechenden opernhaften Formen, dann die einfache Rücksicht auf die der Kirchenmusik zu Gebote stehenden Ausdrucksmittel. In den ersten beiden Jahrgängen und in dem fünften werden weder Bibelworte noch Choralstrophen zur Benutzung herbeigezogen, der letzte enthält überhaupt nur Strophenlieder, denen jedesmal ein Motto von drei gereimten Zeilen vorangesetzt ist. Die Cantaten des [470] ersten Jahrganges bestehen nur aus Recitativen und Arien; man muß sich allerdings erinnern, daß am Anfange des Jahrhunderts das Wort »Arie« noch nicht ausschließlich für Sologesang gebraucht wurde, und manches ist so gestaltet, daß es die deutsche Arienform verlangt und somit auch mehrstimmig gesungen werden konnte. Aber bei weitem das Meiste ist doch für Einzelgesang berechnet. Die Recitative sind, wie uns der Verfasser selbst belehren durfte, jambisch gebildet, die Arien meist jambisch oder trochäisch und mit größerer Regelmäßigkeit in der Zeilenlänge; doch aber herrscht in Reimverknüpfung, Anzahl und Ausdehnung der Zeilen eine viel bedeutendere Freiheit, als in den damaligen Kirchenliedern, so daß auch hier das Madrigal eingewirkt hat. Nicht immer ist ein Da capo möglich, oft nur ein ganz kurzes; vereinzelt taucht auch noch, wenngleich durch Recitativ getrennt, die strophische Composition auf. Seltener werden Daktylen angewendet, zuweilen nur am Ausgange einer Arie; zweimal finden sich gar Alexandriner, und einmal noch mit Jamben und Trochäen untermischt; doch haben sie wenigstens immer männliche Ausgänge. Eine Arie leitet die Cantate ein und schließt sie auch, selten ein Recitativ, zuweilen werden diesem kurze ariose Zeilen zwischengeschoben, die auch unter einander in Zusammenhang stehen können; dies Verfahren ist in späteren Jahrgängen noch weiter ausgebildet. Gewöhnlich enthält jede Cantate drei Arien mit den entsprechenden Recitativen, zuweilen auch mehr. Der zweite Jahrgang weist einen Fortschritt auf, insofern der Alexandriner ganz abgethan und die Betheiligung des Chors vorgeschrieben ist. Da einmal die Kirchenchöre überall vorhanden waren, konnte man sie doch nicht ganz unberücksichtigt lassen. Die Verwendung geschieht immer in derselben Weise: drei gereimte Zeilen beginnen und werden am Schlusse wiederholt, in der Mitte sind dann dem Chor noch einmal vier Zeilen zugetheilt. Diesen Tuttis fehlt es fast durchweg an jener Kraft und Allgemeingültigkeit des Inhalts, welche ein Chortext erfordert. Entweder empfand Neumeister das selbst, oder seine Componisten machten ihn darauf aufmerksam: im dritten und vierten Jahrgange sind Choräle und Bibelsprüche eingefügt und damit ist die Form der neuern Kirchencantate in ihrer Vollendung hingestellt. In der Anordnung läßt sich ein anderes Princip als das der Abwechslung nicht erkennen, und es bildet ebensowenig ein Choralvers [471] jedesmal den Schluß als ein Bibelspruch den Anfang. Der einheitliche Gedanke war in der kirchlichen Bedeutung des jedesmaligen Sonn- oder Festtages gegeben; der Text that nun weiter nichts, als denselben von verschiedenen Seiten beleuchten, das Weitere war Sache des Componisten. Sieht man Neumeisters Productionen sich im Einzelnen an, so ist an ihnen vor allem eine ungezwungene Glätte, ja Anmuth der Sprache zu rühmen. Nicht selten findet man wirklich melodischen Wohllaut, auch läßt sich ein gewisses Streben nach concretem, bildhaftem Ausdruck nicht verkennen. Reeitativ und Arie sind meist gut auseinandergehalten, indem ersteres die reflectirende Betrachtung, letztere eine einheitliche und ungetrübte Empfindung zum Ausdruck zu bringen bestrebt ist. Der nahedrohenden Gefahr freilich, im Recitativ einem prosaischen, redseligen Moralisiren zu verfallen, ist Neumeister häufig erlegen; ein erschreckendes Beispiel findet sich in der Cantate für den vierten Trinitatis-Sonntag im ersten Jahrgang. Zuweilen verfällt er in wunderliche Plattheiten, wie in der Laetare-Cantate des zweiten Jahrgangs, wo das erste Recitativ alle vier Species der elementaren Rechenkunst durchnimmt; hier und da ist er übermäßig derb und geschmacklos im Ausdruck, so in der Cantate des ersten Jahrgangs zu Sexagesimae. Seinen Arien fehlt oft das erforderliche bescheidene Maß von Innigkeit und Schwung; er besaß keine ausgiebige Dichterphantasie und schrieb zu viel und zu formalistisch. Aber nicht selten findet er doch auch warme und überzeugende Worte. Alles zusammengerechnet kann man von diesen Leistungen so gar gering nicht denken. Sie erfüllten nicht nur ihren Zweck und erwiesen sich als wohl componirbar, sondern zeigen für den damaligen Stand der deutschen Litteratur ein nicht zu unterschätzendes formales Talent, und manche von ihnen sind wirkliche Gattungsmuster und können, wie beispielsweise die auch von Bach componirte Adventscantate »Nun komm, der Heiden Heiland«, selbst unsern so sehr gesteigerten Ansprüchen noch recht wohl genügen14.

Noch keiner Neuerung hat es an Widerspruch gefehlt, der um [472] so heftiger ertönte, je tiefer sie griff. Die Uebertragung des theatralischen Stils auf die Kirchenmusik war eine Art von Kunst-Revolution. Daß sie von einem hervorragenden Geistlichen ausgehen mußte, der ein langes Leben hindurch mit Wort und That bezeugt hat, wie sehr ihm seine Kirche am Herzen lag, beweist aber, ein wie tiefes Bedürfniß danach den Zeitgeist erfüllte. Ganz frei von Bedenken war auch Neumeister nicht geblieben, doch wußte er sie niederzuschlagen. »Ich hatte oben gesagt«, äußert er sich in der Vorrede zum ersten Jahrgange (1704), »eine Cantata sähe aus wie ein Stück einer Opera; so dürfte fast muthmaßen, daß sich mancher ärgern möchte und denken, wie eine Kirchen-Musik undOpera zusammen stimmten? Vielleicht wie Christus und Belial? Etwa wie Licht und Finsterniß? Und demnach hätte man lieber, werden sie sprechen, eine andere Art erwählen sollen. Wiewohl darüber will ich mich rechtfertigen lassen, wenn man mir erst beantwortet hat, warum man nicht andere geistliche Lieder abschaffet, welche mit weltlichen und manchmal schändlichen Liedern eben einerlei Genus versuum haben, warum man nicht die Instrumente musica zerschlägt, welche heute sich in der Kirche hören lassen und doch wohl gestern bei einer üppigen Weltlust aufwarten müssen? Sodann, ob diese Art Gedichte, wenn sie gleich ihr Modell von theatralischen Versen erborget, nicht dadurch geheiliget, indem daß sie zur Ehre Gottes gewidmet wird? Und ob nicht diesfalls die apostolischen Sprüche I. Cor. VII, 14; I. Tim. IV, 5; Phil. I, 18 in applicatione justa mir zu einer genügsamen Verantwortung dienen können?«15 Es gab jedoch viele, die sich dadurch nicht überzeugen ließen, in der neuen Art nur eine Entweihung des Gotteshauses sahen und ihr deshalb mit Unwillen und Entrüstung entgegen traten. So erfolglos nun auch diese Opposition war, indem die neuere Kirchencantate von Jahr zu Jahr mehr an Boden gewann, eine so große Hartnäckigkeit zeigte sie doch, und da die Vertreter des neuen Princips sich nicht begnügten, nur durch Kunstthaten zu kämpfen, entbrannte bald auf der ganzen Linie ein erbitterter litterarischer Krieg, der sich in unübersehbaren Streitschriften herüber und hinüber äußerte. Die entschiedensten [473] Gegner bildeten natürlich die Pietisten, die schon der früheren Kirchenmusik abhold gewesen waren, und nichts außer dem einfachen Strophenliede gelten lassen wollten. Merkwürdig, wie wenig sich oft gleichzeitige und gleichartige Richtungen unter einander verstehen! Als ob die Sucht, auf dem Theater die Persönlichkeit hervorzudrängen, etwas anderes gewesen wäre, als auf dem religiösen Gebiete der Pietisten übersubjective Gesänge? Aber mit ihnen war nun einmal nicht zu reden; das wußte auch Neumeister recht gut und besann sich nicht, ihnen derb ins Gesicht zu schlagen, wenn er im Recitativ einer Cantate singen ließ:


So laßt uns seinem Worte gläuben,

Im Glauben heilig leben

Und in der Heiligkeit voll guter Früchte stehn,

Als rechte, fromme Christen,

Und nicht als Pietisten,


und dadurch, daß er den ersten Vers des Kirchenliedes »Erhalt uns, Herr, bei deinem Wort« vorhergehen ließ, sie in wenig schmeichelhafter Weise mit dem Papst und den Türken zusammen brachte16. Eine zweite, freilich dünn gezählte Schaar von Widersachern erhob sich in gewissen Musikern alten Schlages, welche eine allgemeine Antipathie gegen die theatralische Musik erfüllte, ohne daß sie freilich hätten sagen können, auf welchem anderen Wege eine wirksame Kirchencantate herzustellen sei. Da sie auch meistens mit der Feder nicht umzugehen wußten, so war ihre Lage eine ziemlich ungünstige. Zu ihnen gehörte der in seiner Art tüchtige Erfurter Organist Johann Heinrich Buttstedt, für den es ein Unglück war, daß er in seinem »Ut re mi« u.s.w. eine nun doch verlorene Sache und gegen einen so stilgewandten Mann, wie Mattheson, zu halten unternahm. Eine dritte Gattung von Feinden bestand aus ernst denkenden Laien und Dilettanten, wie dem Pastor Christian Gerber, der in seinem Buche: »Unerkannte Sünden der Welt« den Mißbrauch in der [474] Kirchenmusik nachwies, und besonders dem Göttinger Rechtsprofessor Joachim Meyer, dessen »Unvorgreifliche Gedanken über die neulich eingerissene theatralische Kirchenmusik und die darin bisher üblich gewordenen Cantaten« (1726) ihn ebenfalls in einen Streit mit Mattheson verwickelten; ihm gesellte sich hernach als Kampfgenosse noch der Theologe Guden zu Göttingen, jenem dagegen ein pseudonymer Musiker zu, und so wurde denn aller Staub der Arena noch einmal gründlich aufgewirbelt.

Der Behauptende muß beweisen, und die Neuerer gaben sich viele Mühe damit. Man kann aber nicht sagen, daß alle die Mattheson, Motz, Tilgner und wie sie weiter heißen, zur Rechtfertigung ihrer Sache etwas mehr und andres beigebracht hätten, als was in kurzen Worten schon Neumeister ausspricht. Auch dieser frischte nur alte Vertheidigungsmittel auf; denn man hatte schon bei der älteren Kirchencantate über Verweltlichung gestritten17. Vor allem sollte immer aus der Bibel bewiesen werden, daß die angefeindeten musikalischen Mittel und Formen etwas Gott wohlgefälliges und von ihm gebotenes wären. Die Erlaubniß zur Anwendung rauschender Instrumente holte man z.B. aus Chronica II, 5, 12, wo erzählt wird, daß bei Einweihung des Salomonischen Tempels die Leviten mit Cymbeln, Psaltern und Harfen gesungen und hundert und zwanzig Priester die Trompete geblasen hätten. Einen muntern, lebhaften Ausdruck mußten Mirjams Danklied und der Lobgesang Zachariae sanctioniren. Die häufigen Textwiederholungen in den Arien wurden durch den Parallelismus der Glieder bei den hebräischen Dichtern belegt, und sogar die Da capo-Form wies Tilgner im achten Psalme nach, dessen Anfangsvers sich am Schlusse wiederhole18. Auch aus der alten Kirchenmusik borgte man die Waffen: den Tadlern [475] des Recitativs wurde der psalmodirende Altargesang entgegen gehalten; wer sich an der Verwendung opernähnlicher Weisen stieß, wurde gefragt, ob denn nicht auch sehr viele geistliche Melodien ursprünglich weltliche, und oft sehr bedenklichen Inhalts gewesen wären? Und endlich berief man sich immer darauf, daß doch alles zur Ehre Gottes geschehe, daß es gleichgültig sei, wodurch die Gemüther zur Andacht gestimmt würden, wenn nur die Andacht überhaupt sich einstelle, und daß schon durch die religiösen Texte allein der Sinn vom Weltlichen abgewendet werden müsse. Neumeister hatte es außerdem als seinen Grundsatz hingestellt, in der Ausdrucksweise sich möglichst an biblische und theologische Redewendungen anzuschließen. Keineswegs sollten deshalb theatralischer und kirchlicher Musikstil ganz übereinstimmen. Gegner wie Buttstedt behaupteten freilich, kein gescheuter Musicus könne die völlige Gleichheit leugnen, ja man bringe »allen liederlichen Kram in die Kirche, und je lustiger und tänzlicher es gehe, je besser gefalle es, daß es zuweilen an nichts fehle, als daß die Mannsen die Weibsen anfasseten und durch die Stühle tanzten, als wie es je zuweilen auf Hochzeiten über Tisch und Bänke gehe«19. Mattheson aber erwiederte, es sei sehr übel gethan, wenn man keinen Unterschied mache zwischen einem kirchlichen und Opern-Recitativ, und daß »ungeschickte Notenschmierer allen liederlichen Kram in die Kirche brächten, sei eine Sünde und Schande; es bliebe aber doch deswegen der Kirchenstil ein besonderer Stil«20. Fragte man nun weiter, worin denn die Besonderheit zu erkennen sei, so war die Verlegenheit da. Mattheson sagte, verständige Musiker wüßten schon, wie zu verfahren und Maß zu halten sei; Tilgner, der Componist müsse seine Sachen schlecht weg und andächtig machen, ohne jedoch »Gott die alten Schlacken der verlegenen Einfälle zu opfern, die auserlesensten Gedanken aber dem sündlichen Zeitvertreib vorzubehalten«; Niedt21 räth, sich nach dem Geschmacke der Zuhörer zu richten, ob sie Motetten, Concerte oder Arien liebten, Recitative und Arien möglichst einfach zu setzen, alle Fugen »mit Amen,[476] Hallelujah und dergleichen« abzuschaffen, weil sie nur »einem Gelächter und Possen-Spiel ähnlich schienen und insgemein von den Leuten in der Kirche mit Ekel und Verdruß angehört würden«, und den Sänger beständig zu ermahnen, vom Herzen zu singen, so würde er auch die Herzen rühren. Er habe es so gemacht; allerdings sei er dabei für einen Pietisten gehalten und beinahe durch eine Inquisition von Stadt und Land gejagt worden, und in Wahrheit wisse jetzt auch kein Mensch, welches der rechte Kirchenstil sei.

So war es. Und Niemand suchte mit unparteiischem Urtheil der Sache auf den Grund zu kommen. Die Vertheidiger interessirten sich viel zu persönlich für den Gegenstand: es waren theilweise, Mattheson voran, Musiker, die für Haus und Herd kämpften, oder ihnen stand doch die Praxis von reichbegabten Leuten, wie Keiser, Telemann, Stölzel, überredend zur Seite. Hätte sie auch Jemand mit unwidersprechlichen Beweisen ihres Irrthums überführt, der schaffende Künstler würde sich mit ungläubigem Lächeln abgewendet und die begonnene theatralisch-kirchliche Composition unbeirrt beendigt haben, die andern hätten vielleicht bis zur Aufführung der nächsten Kirchenmusik geschwankt, um durch sie der alten Ueberzeugung gänzlich wieder zugeführt zu werden. Der Zug großer Culturbewegungen ist allemal stärker, als der Wille des Einzelnen, und verurtheilen zu sollen, was man als eigne Lebensbedingung empfindet, wäre eine unbillige Zumuthung. Sonst wäre es nicht schwer gewesen, zu erkennen, daß jeder Kunstzweig eine besondere Richtung der Culturgeschichte zur Voraussetzung hat, und daß es andere geistige Kräfte waren, welche die Oper hervortrieben, als die sind, welche in der kirchlichen Kunst sich äußern. Tief in sich, nicht nur äußerlich an sich trägt jede Kunstpflanze den Charakter des Bodens, aus dem sie erwuchs, und es war namentlich eine arge Unterschätzung der Macht der Musik gegenüber dem Worte, wenn man durch Anwendung auf geistliche Texte ihr Wesen erheblich zu ändern glaubte. Doch stellt dies wohl nur einen auf Selbsttäuschung berechneten Scheingrund dar. Wer aber behauptete, durch die religiöse Opernmusik eben so sehr und mehr als durch andre andächtig erhoben zu werden, der verwechselte in seiner Stimmung Kunstandacht mit kirchlicher Andacht. Der ruhelose Schreibetrieb der zahlreichen Apologeten des neuen Stils, mit dem sie sich unaufhörlich [477] in demselben Kreise herumbewegen, verräth übrigens auch zur Genüge ihre Unsicherheit in der Sache. Natürlich! der reflectirende Verstand läßt sich wohl zeitweilig zum Schweigen bringen, nicht so das unmittelbar urtheilende Gefühl.

Die Berechtigung zu energischem Widerspruch fehlte also den Gegnern nicht. Aber darin hatten nun sie wieder Unrecht, wenn sie verlangten, daß um der Reinheit der kirchlichen Tonkunst willen jede Berührung mit außerkirchlichen Kunstelementen vermieden werden solle. Was ist Kirchenmusik? Diese Frage ist seit bald 200 Jahren unzählige Male aufgeworfen, und sieht man genauer hin, so stehen die Meisten mit der Beantwortung heute noch auf dem Standpunkte Matthesons und Genossen. Und doch ist die Antwort so einfach: Kirchenmusik ist die im Schooß der Kirche gewordene Musik. Aber während anfänglich die Kirche alle musikalische Kunst allein umschloß, gediehen bei gesteigerter Cultur auch im Weltleben einzelne Zweige zur fröhlichen Blüthe. Will die Kirche sich nicht in den verderblichen Wahn einspinnen, als sei sie etwas absolut-fertiges, keiner Fortbildung bedürftiges, und sich damit selbst die Lebensquellen verstopfen, so muß sie auch in dieser Hinsicht auf die Ergebnisse freier Entwicklung Bedacht nehmen. Im 16. Jahrhundert hatte der weltliche Volksgesang gradezu erneuernd auf die kirchliche Tonkunst eingewirkt trotz seiner leichtfertigen, ja obscönen Texte; warum sollte der Opernmusik nicht etwas ähnliches möglich sein? Eins jedoch war dazu die unerläßliche Bedingung. Es mußte noch eine wirkliche lebenerfüllte kirchliche Tonkunst geben, welche die fremden Elemente in sich hineinziehen, läutern und mit ihren Säften ganz durchdringen konnte. Der einzige Kunstzweig aber, welcher sich das 17. Jahrhundert hindurch ausschließlich im Gebiete der Kirche zu kräftiger Höhe emporgerichtet und die herrlichsten Blüthen getrieben hatte, war die Musik der Orgel. Sie allein war am Beginn des 18. Jahrhunderts die echte Kirchenmusik, und mit ihr mußte sich vereinigen, was zu diesem erhabenen Kunstgebiete mehr als äußerlichen Zugang zu haben wünschte. Auch schien ihr eignes Wesen dem entgegenzustreben. Denn eine ihrer Hauptformen, der Orgelchoral, griff schon aus dem Gebiete der rein-musikalischen Ideen in das der poetisch-musikalischen hinüber, und verlangte mit dem gemeinsamen Triebe alles natürlich gewordenen aus einer durch Begriffe [478] nur dämmrig erhellten Gefühlsregion ins helle Tageslicht emporzutauchen. Ja die Orgelmusik bedurfte des Zuflusses eines dichtunggetragenen Musikstromes, insofern sie die Forderung einer Kirchenmusik ganz erfüllen wollte. Das Ideal instrumentaler Tonkunst ist zu allgemein, als daß es dem kirchlichen Bedürfnisse genügen könnte; es kann im eminenten Sinne religiös sein, aber das Wesen der Kirche beruht auf gemeinsamen Glaubensgrundsätzen, welche in der Musik nur das gesungene Wort verdeutlicht. Und wie das naturgemäß Entstandene immer zugleich auch das Zweckmäßigste ist, so bot andrerseits der zunächst nur durch das mechanische Wesen der Orgel bedingte strenge und bis zur scheinbaren Leidenschaftslosigkeit erhabene Stil der Orgelmusik wie von selbst das Correctiv dar gegen den excentrischen Individualismus der Oper. Ganz verleugnen ließ sich dieser nicht, so lange noch das Absehen überhaupt auf eine lebensfähige Kirchenmusik gerichtet war. Denn jede Kunst hat die Aufgabe, die bewegenden Mächte ihrer Zeit zu begreifen und zu gestalten.

Beide streitenden Parteien schossen also übers Ziel hinaus, wie es bei solchen Gelegenheiten immer zu geschehen pflegt. Derjenige, welcher nicht stritt und theoretisirte, aber mit der Sicherheit des Genies in der allein richtigen Weise handelte, war Sebastian Bach. Sein Geist, der alle Formen, welche die musikalische Atmosphäre erfüllten, im centripetalen Zuge an sich riß, ergriff auch die der Oper, und daß er sie sein ganzes Leben hindurch pflegte, zeigt, wie wohl er ihren hohen Werth erkannte. Aber ihren sinnlich-trüben Inhalt drängte er durch die keuschen, hellen Fluthen seiner Orgelkunst völlig hinaus. Bach unternahm die Verbindung der beiden so verschiedenen Stilarten und schuf dadurch die einzig mögliche Gestalt der damaligen Kirchenmusik. Er war es allein, der sie unternahm, und die unzähligen kirchlichen Compositionen seiner reichbegabten Zeitgenossen sind ausnahmslos wie taube Blüthen vom Baume der Kunst abgefallen, seine Werke aber leben noch heute unter uns und wirken lebenzeugend in immer weiterem Umfange. Daß man ihm die Benutzung theatralischer Formen zum Vorwurf gemacht und deshalb seinen Werken die Kirchlichkeit abgesprochen hat, ist sehr wenig protestantisch, noch weniger historisch rationell, und müßte ganz unbegreiflich heißen, wären nicht die Ansichten über das Wesen [479] der Bachschen Cantaten noch so verworren und über deren Aufführung noch so unklar. Freilich wenn man sie ohne Orgel zur Erscheinung bringen will, sind sie wie künstlich galvanisirte Organismen, denen das Herz herausgenommen ist, wogegen im andern Falle sich alle Räthsel und Bedenken wie von selbst lösen, zum mindesten für den, der kein feststehendes Ideal einer evangelischen Kirchenmusik kennt, sondern diejenige für eine solche ansieht, welche im Schooße des kirchlichen Lebens ungewollt erwuchs. Allerdings da die Orgelmusik der letzte Kunstzweig war, den die Kirche selbständig producirte, so ist auch Bach bis heute der letzte Kirchencomponist geblieben; seit ihm haben wir nur noch religiöse Musik erlebt. Daß die Geschichte diesen Gang nehmen würde, liegt aber in der Orgelkunst angedeutet. Es wäre ganz irrig, ihre Entwicklung zur Kirchencantate als ihr letztes und einziges Ziel anzusehen, zu dem sie als selbständige Instrumentalmusik nur Vorstufe gewesen sei. Sie war, wenn wir die Orgelchoräle mit einem gewissen Vorbehalt ausnehmen, etwas in sich ganz vollendetes und so, ohne das Gebiet des Kirchlichen zu verlassen, doch schon über dasselbe hinausgewachsen, das kirchliche Ideal in das religiöse zu verallgemeinern. Während sie also einerseits den Weg zur rechten Kirchenmusik zeigte, führte sie nach einer andern Richtung davon hinweg. Diese letztere Richtung nahm fürs erste der Entwicklungsgang des Volksgeistes und so kam es, daß Bach in der Kirchencantate ohne Nachfolger blieb, ja zu seinen Lebzeiten schon theilweise nicht mehr verstanden wurde. Es scheint aber fast, als sollten wir den damals fallen gelassenen Faden jetzt wieder aufnehmen.

Bach machte die Bekanntschaft der Neumeisterschen Cantaten-Dichtungen durch den herzoglichen Hof zu Eisenach. Für die dortige Capelle waren, wie erwähnt ist, der dritte und vierte Jahrgang der fünffachen Kirchen-Andachten in den Jahren 1711 und 1714 verfaßt. Bei den verwandtschaftlichen Beziehungen zwischen den Häusern Sachsen-Weimar und Sachsen-Eisenach, besonders aber bei dem Freundschafts-Verhältnisse, was der eisenachische Capellmeister Telemann mit Bach unterhielt, der auch bei dem zweiten Sohne desselben, Karl Philipp Emanuel, Pathenstelle vertrat, ergab sich eine Mittheilung sehr leicht. Nach dem jetzt vorliegenden Bestande seiner Kirchencantaten hat Bach aus dem vierten Jahrgange vier, aus [480] dem dritten zwei und eine aus dem ersten Jahrgange componirt. Von den erstgenannten sind zwei nachweislich in einer späteren Zeit zu Leipzig entstanden, und kommen hier noch nicht in Betracht22. Da auf den Befehl Wilhelm Ernsts im Jahre 1715 durch einen heimischen Dichter ein Jahrgang, und vom 1. Advent 1716 an noch zwei auf einander folgende Jahrgänge eigens für die weimarische Capelle angefertigt wurden, an deren Composition sich Bach, so lange er in Weimar war, zu betheiligen hatte, so ist die Entstehungszeit der andern beiden ganz sicher bestimmt. Wegen der letzten drei wird man zwischen den Kirchenjahren 1712/13 und 1713/14 die Wahl haben23. Wir betrachten sie nach der muthmaßlichen Reihenfolge, und beginnen mit einer Cantate auf den ersten Weihnachtstag24. Ihre Aufschrift Concerto Festo Nativitatis Christi bietet die Bezeichnung, welche Bach seinen Kirchencantaten zu geben pflegte, wenn er sie überhaupt anders, als durch den Textanfang und den Tag ihrer Bestimmung kennzeichnete, oder wenn er sie nicht auf Veranlassung ihres Inhalts Dialogi nannte. Den italiänischen Namen Cantata, worunter man zu seiner Zeit dramatische Scenen für eine und mehre Solostimmen verstand, vermied er und behielt mit der BenennungConcerto die Gewohnheit des 17. Jahrhunderts bei, zugleich damit die wesentliche Betheiligung der Instrumente andeutend. Glücklicherweise hat sich Telemanns Composition desselben Textes dazu finden lassen25 und wir werden vergleichen können. Der Unterschied ist so groß, wie die Charaktere der beiden Künstler verschieden, und ganz durchgreifend; er erstreckt sich bis auf die Tonart. Telemanns Composition steht in C dur. Er behandelt den an der Spitze stehenden Spruch des Jesaias: »Uns ist ein Kind geboren, ein [481] Sohn ist uns gegeben« im fünfstimmigen durchaus homophonen Chor, mit abwechselnd einfallenden Geigen und Trompeten, und hat sich nach 42 6/8 Takten seiner Aufgabe entledigt, wobei ihm das Da capo-Schema gute Dienste leistet. Dieses vermuthlich aus dem Handgelenk in einer halben Stunde hingeschriebene Stück zeigt uns die damalige sogenannte Kirchenmusik von ihrer übelsten Seite: ganz noch die Enge und Dürftigkeit der älteren Cantate, aber mit dem Anspruche, breite Formen auszufüllen. Bach wählte als Tonart A moll; zunächst veranlaßt dadurch, daß er den Text in abgeänderter Form componirte, worin derselbe nicht mit dem mixolydischen Chorale »Gelobet seist du, Jesu Christ« schloß, sondern mit dem aeolischen »Wir Christenleut hab'n jetzund Freud«26. Dieser äußere Anstoß war ihm aber ein willkommener, denn er hat die gedämpfte Moll-Stimmung, welche mit der hellen Weihnachtsfreude so seltsam contrastirt, auf die ganze Cantate ausgedehnt. Es ist in ihr etwas wie wehmüthige Rückerinnerung an das reine Weihnachtsglück der Kindheit, die im holden Farbenwechsel durch die Seele des Mannes zieht; hiergegen nimmt sich Telemanns ewiges C dur oft unbeschreiblich schal und flach aus, Bach beginnt auch nicht gleich mit dem Gesange, sondern läßt ein selbständiges Instrumentalstück voraufgehen für Streichquartett, zwei Flöten und zwei Oboen nebst Continuo, das – ein Zeichen seiner damaligen Entwicklungsstufe – streng in der Form des italiänischen Concerts gehalten ist, und zuletzt sinnig auf den nachfolgenden Chor vorbereitet. Dieser ist eine Doppelfuge mit folgenden Themen:


4.

Der Anfang bietet ein neues Beispiel zu jener merkwürdigen Gestaltungsweise, die wir im letzten Satze der D moll-Toccate für Clavier und in der ersten Fuge des 130. Psalms antrafen: vor dem [482] Beginn der Fuge wird das thematische Material expositionsartig dargelegt. So wie die beiden Gedanken eben angeführt sind, stellen sie sich anfänglich dar, mit dem Beginn der eigentlichen Durcharbeitung aber (vom 4. Takte an) tritt das zweite Thema schon nach dem vierten Tone des ersten ein, ertönt also mit dem längeren Theile desselben zusammen. Es erhellt aber, daß die Exposition hier noch einen andern, als rein musikalischen Grund hat: beide Text-Gedanken sollten zuvor deutlich vernommen werden. Was wir also kürzlich noch an der Schlußfuge des 130. Psalms tadeln mußten, ist hier durch eins jener einfachen Mittel umgangen, welche nur das Genie findet. Der Chorgesang strömt 19 Takte ununterbrochen mit mehrfachen Engführungen fort, wird dann einige Male von motivischen Instrumentalsätzen abgelöst und wandelt vom 29. Takte an wieder ungestört seine Bahn zu Ende, nunmehr mit vorwiegender Betonung des zweiten Themas, das im Nachspiel noch eine Weile sein Wesen weiter treibt. Man vergleiche mit diesem gediegenen Satze nur einmal das Hauptmotiv des Telemannschen Chores!:


4.

Es folgt nun ein Solosatz: »Dein Geburtstag ist erschienen«, von Telemann in C dur für zwei Sopranstimmen mit Continuo durchcomponirt, von Bach in E moll für einen Bass-Sänger mit zwei Violinen und Continuo in der italiänischen Arienform gesetzt. Das Duett ist eigentlich keines, sondern mit geringen Ausnahmen nur ein zweistimmiger Gesang von allseitiger Oberflächlichkeit. Die Bachsche Arie hat eine milde, innige Melodik und ist von sorgfältigster technischer Ausarbeitung. Der eigentlich Bachsche Arienstil kündet sich in der Durchführung eines kleinen Bassmotivs schon vernehmlich an, wenn auch sonst allzu häufige Ritornelle noch den Gesang zerstückeln, und jenes wunderbare melodische Weben der Instrumente um die Singstimme noch wenig ausgebildet ist. Der nächste Satz besteht bei beiden Componisten in einem Chor aus C dur zum Text des Psalmverses (69, 31): »Ich will den Namen Gottes loben mit einem Liede, und will ihn hoch ehren mit Dank«. Telemann giebt [483] hier in einer Doppelfuge sein Bestes: das erste Thema bedeutet freilich sehr wenig, durch das zweite kommt aber mehr Schwung hinein, und an leichtem Fluß fehlt es diesem Componisten ja niemals. Bei Bach hat dieser Satz den geringsten Werth. Die anfänglich zwischen je zwei enggeführten Stimmen angestellte Fugirung macht bald einer altmodigen Homophonie Platz, und das Stück verläuft des weiteren ganz bedeutungslos. Man siehts ihm an der Stirn an, daß es Bach mit größter Theilnahmlosigkeit, ja Unlust schrieb. Er glaubte dem Weihnachtsfeste auch einen heiter glänzenden Chor schuldig zu sein, und konnte so garnicht die Stimmung dazu finden. In der folgenden Arie erst, wo wieder Molltöne angeschlagen werden, sehen wir ihn sich selbst zurückgegeben. Der Dichter bietet nunmehr drei Arien, welche zu einander im Strophenverhältnisse stehen, deren zwei aber durch ein Recitativ getrennt sind. Alles das hat Telemann componirt, abwechselnd für Alt, Bass, Sopran und wiederum Bass, alle drei Arien auch in C dur, wobei aber zugestanden sein muß, daß sie in Rhythmus und Melodie sehr geschickt unter einander contrastiren. Die Form mußte nach Anleitung des Gedichts allemal die italiänische werden. Die ersten beiden Male sind Violinen zur Begleitung herbeigezogen, die aber fast nur Zwischenspiele executiren, der zweite Arientheil erscheint um des Gegensatzes willen nur mit Continuo; so war es gebräuchlich. Die dritte Arie ist über eine Art von Ciaconen-Bass gesetzt, und macht wenigstens ein etwas ernsthafteres Gesicht:


4.

[484] Auch ist die Combination auf dem Papiere mit Telemannscher Gewandtheit ausgeführt; klingen kann sie schon deshalb nicht, weil Singbass und Instrumentalbass sich beständig ins Gehege gerathen. Das von Bach gesetzte Recitativ ist um mehr als die Hälfte abgekürzt, ferner hat er nur die erste und dritte Strophe benutzt und zwar zu derselben Musik, das eine Mal in A moll für Tenor, und für Alt in D moll das andere Mal. Die Worte, voll von Dank- und Preis-Gefühlen, sind in eine ganz wehmüthige Musik getaucht:


4.

Auch hier fehlt noch der große Zug, in dem die vollentwickelte Bachsche Arie den Gesang unablässig fortströmen läßt, nur die Haupteinschnitte durch eintretende Ritornelle markirend, auch hier tritt jenes in der Schule der Orgelkunst erworbene Vermögen, mit den Instrumenten die Singstimme stützend, widersprechend, fortspinnend, ausdeutend und vergeistigend zu umschlingen, erst in bescheidenem Maße hervor. Nur wenn man Telemanns Leistung dagegen hält, merkt man unverzüglich, daß beider Wege schon jetzt ganz verschiedene sind. Den Beschluß macht hier und dort ein einfach vierstimmiger Choral, dessen Stimmen von Bach interessant und melodisch, von Telemann leichtfertig und nur harmoniemäßig geführt werden. Bach hat eine Sechzehntelbegleitung hinzu gesetzt, die sich aber darauf beschränkt, die Melodie zu umspielen, so daß von hier bis zu jenen Choralchören, in denen die Instrumente ein selbständiges Bild vorführen, das der Choral mit seinem magischen Scheine durchstrahlt, noch ein ziemlich weiter Weg ist.

Die zweite Cantate des dritten Neumeisterschen Jahrgangs bezieht sich auf den Sonntag Sexagesimae, wird also entweder am 19. Februar 1713 oder am 4. Februar 1714 zur Aufführung gebracht [485] sein27. Auch dieses Mal liegt die Telemannsche Composition zur Vergleichung vor28. Der Text beschäftigt sich im Anschluß an das Sonntags-Evangelium mit der wunderbaren Kraft des göttlichen Wortes, geht von der Bibelstelle Jesaias 55, 10 und 11 aus, wo dasselbe mit dem zur Erde niedergesandten, befruchtenden Regen verglichen wird, und richtet dann in einem Recitativ die Bitte an Gott, das Herz zur Aufnahme des Wortes geeignet zu machen. Zwischen das Recitativ sind verschiedene Male je zwei bezugnehmende Zeilen der deutschen Litanei eingeschoben, auch wird damit das Recitativ abgeschlossen. Dann folgt eine Arie, welche Gottes Wort als das höchste und einzige Gut preist, und den Schluß macht die 8. Strophe des alten Spenglerschen Kirchenlieds »Durch Adams Fall ist ganz verderbt«. Bach beginnt wieder mit einer Instrumentalsymphonie für zwei Flöten, vier Bratschen, Fagott, Streichbässe und Orgel, G moll 6/4 Takt. Die Form dieses großartigen und äußerst geistvollen Tonstücks ist ciaconenartig: ein mächtiges von allen Instrumenten ohne die Flöten eingeführtes Thema:


4.

zieht sich hindurch, meist streng wiederholt, zuweilen mit Ciaconen-Freiheit motivisch ausgesponnen, einmal auch aus dem Bass in die Mittellage emporsteigend. Einige Züge sind vom italiänischen Concertsatze hergenommen, so gleich am Anfang der Zwischensatz, ehe das Thema zum zweiten Male eintritt, nach welchem man eine Entwicklung zwischen zwei Gedanken erwartet, auch die unveränderte Wiederkehr der ersten 20 Takte am Schlusse, und die Gestalt des[486] Themas überhaupt, welche sehr an die unisonen Concert-Tuttis mahnt. Da Bach die Formen der italiänischen Kammermusik in das Orgelgebiet hineinzog, durfte er sie auch für die Kirchencantate verwenden; nur mußte sich der Stileinheit wegen die Orgel als herrschender Factor zeigen, was in der Symphonie der Weihnachtscantate noch kaum der Fall ist. Die Ciacone dagegen durfte, wie wir früher bemerkten, schon lange als echte Orgelform angesehen werden, und von diesem Standpunkte aus hat Bach das vorliegende Stück geschaffen, ohne darum die Eigenthümlichkeit der Blas- und Streichinstrumente unberücksichtigt zu lassen. Auch in der klanglichen Gestaltung war das Wesen der Orgel maßgebend, durchweg verdoppeln nämlich die Flöten die beiden ersten Violen in der oberen Octave, als wenn zu einem achtfüßigen Register ein vierfüßiges hinzugezogen wäre. Dieser Effect findet sich bei Bach mehrfach, z.B. in der herrlichen Alt-Arie der Pfingstcantate »O ewiges Feuer, o Ursprung der Liebe« (B.-G. VII, Nr. 34), und ist für die Grundsätze, welche ihn beim Instrumentiren leiteten, äußerst belehrend29. Eine Frage wäre noch, ob der Componist mit dieser Symphonie etwas besonderes habe sagen, vielleicht die gewaltige Fülle der Wirkungen, welche vom göttlichen Worte ausgehen, habe musikalisch versinnlichen wollen. Ich glaube dies nicht, da Bach in allen seinen Instrumental-Einleitungen nur ganz allgemein auf die Stimmung vorbereitet und niemals schildernde Zwecke verfolgt, ein Grund, weshalb er auch so häufig einzelne Stücke aus selbständigen Instrumentalwerken als Einleitungsmusiken für Cantaten verwendet hat. Nur einen dem ernsten Charakter der Cantate entsprechenden Satz wollte er gestalten; daß er aber überhaupt nicht sofort mit dem Gesange begann, geschah aus seiner vorwiegenden Liebe und Anlage für Instrumentalmusik. In Behandlung der Dichtung stimmen beide Componisten ziemlich überein, wenn man die Formen im Allgemeinen betrachtet. Aber im Einzelnen ergeben sich, den verschiedenen Standpunkten und Anlagen gemäß, wieder die größten Verschiedenheiten. So vor allem im Recitativ. Schon das einleitende Bibelwort ist von ihnen als solches behandelt, jedoch mit baldiger Hinüberführung ins Arioso, das für Fälle, wo ein Chor nicht angemessen war, seines [487] größeren Nachdrucks wegen als die geeignetere Form erschien. Telemanns Satz hat ohne Zweifel den Vorzug der natürlichsten und nächstliegenden Auffassung für sich: er giebt v. 10, den Vordersatz, welcher das Gleichniß enthält, als Recitativ dem Tenor, v. 11, den Nachsatz mit der Anwendung, dem Basse als Arioso; hier läßt er nur die Orgel und den Violonbass begleiten, dort schildert er durch rauschende Zwischenspiele der Streichinstrumente das biblische Bild: »Gleichwie der Regen und Schnee vom Himmel fällt«. Bach läßt die ganze Bibelstelle nur vom Bass unter Begleitung der Orgel mit unterstützendem Fagott singen, und erst zu der recitativischen Dichtung eine andere Stimme und den vollen Instrumentenchor eintreten; er bewirkt hierdurch einen schärferen Gegensatz zwischen Bibelwort und freier Dichtung, schwächt dagegen die in ersterem selbst enthaltenen Gegensätze; beide Verse behandelt er gleichmäßig, nämlich recitativisch beginnend und arios auslaufend. Das malerische Element fehlt auch bei ihm nicht, aber wie dort in den Instrumenten, so liegt es hier in der Singstimme selbst. Streng genommen ist es ungenau, von Malerei zu reden, wenn die Musik Bewegungen der sichtbaren Welt in ihrer Weise nachahmt. In jeder bewegten Erscheinung der Außenwelt erkennt der Mensch ein Spiegelbild gewisser eigner Gefühlsströmungen, und das Gefühl ist uns das unmittelbarste Zeugniß des Lebens. Das Leben aber, diesen im tiefen Grunde rauschenden Strom, in den alle in die Erscheinungswelt aufragenden Dinge ihre Wurzeln hinabsenken, künstlerisch darzustellen ist die eigentliche Aufgabe der Musik. Hierin beruht die innere Berechtigung der sogenannten Nachahmungen von dem Rieseln der Quelle, dem Wogen des Meeres, dem Niederströmen des Regens, dem Ziehen der Wolken, dem Zittern der Blätter, ja selbst dem Schwärmen der Vögel und Insecten: sie stellen das unlösliche Band dar, welches uns mit dem zu Eins verbindet, was uns entgegengesetzt scheint, die Kräfte, welche mit gleicher Intensität die übrige Welt wie unser eignes Wesen durchziehen. Weil aber die Berechtigung nur dann zu finden ist, wenn man in die Tiefe des Wesens der Musik hinabsteigt, wo alles individuelle aufhört, so fallen solche Aufgaben auch naturgemäß der reinen d.h. instrumentalen Musik zu. Daß Bach darauf keine Rücksicht nahm, zeigt uns, welches Princip im Innern seiner schaffenden [488] Natur vorzugsweise thätig war, das allgemein musikalische nämlich, dem die Singstimme in erster Reihe Tonwerkzeug ist. Dies Princip ist auch für seine Behandlung des Recitativs im Allgemeinen maßgebend, obgleich dadurch das Wesen dieser Form scheinbar auf den Kopf gestellt wird. Das Recitativ ist ursprünglich ein dramatisches Kunstmittel, und soll in erzählender oder dialogischer Form die Darstellung einer fortschreitenden Handlung ermöglichen. Daher liegt das Hauptgewicht auf dem, was singend gesprochen, nicht was sprechend gesungen wird. Aber es besaß doch auch eine musikalische Seite, und daß es mit dieser mächtige Wirkungen hervorbringen und eine leidenschaftliche Rede bis zur erschütternden Eindringlichkeit um so mehr steigern könne, als es eben der aussöhnenden Gleichmäßigkeit der Form entbehrte, mußte bald bemerkt werden. Demnach eignete es sich andrerseits auch dazu, durch musikalische Spannung und Aufregung ein in geschlossener Form sich darstellendes Musikstück vorzubereiten. In jener ersteren Eigenschaft hat es für die Kirchenmusik keinen Sinn, in der letzteren wenigstens nicht sofortige Berechtigung. Denn unmöglich kann das selbstherrliche Auftreten individueller Leidenschaftlichkeit kirchlich heißen. Das dramatische Moment wurde nun auch durch die Poesie beseitigt, das musikalische aber nahmen die Componisten unverändert in die Kirchenmusik hinüber. Wie in der Oper behandeln sie das Recitativ als Sprechgesang mit einzelnen schärferen musikalischen Accenten, wo eben die Poesie dazu Veranlassung bot; höchstens verlangten sie, daß der Sänger sich im Vortrage etwas mäßigen solle, aber die Nöthigung zu diesem Maßhalten in die Composition selbst zu legen, fiel ihnen nicht ein. Bach ist der einzige, der auch hier nicht äußerlich übertrug, sondern innerlich neu schuf. Ausdrucksvolle Declamation ist keineswegs sein einziges Streben. Ein allgemein musikalisches Princip waltet in seinen recitativischen Tonreihen, was über den Declamationsgesetzen schwebt, sich häufig mit ihnen deckt, nicht selten aber auch ihnen entgegentritt und sie zwingt, sich ihm zu bequemen. Und dieses eben ist es, was sie stilgemäß für die Kirchenmusik macht. Man fühlt beständig: die subjective Willkür wird gebändigt durch eine erhabenere Kunstidee, welche ihre unsichtbaren Schranken um sie zieht. Der melodische Strom in Bachs Recitativen ist zuweilen so voll und [489] gleichmäßig, daß man ihn getrost von den Textworten ganz abstrahiren kann. Gleich der Anfang des zweiten Recitativs in der vorliegenden Cantate (S. 238 und 239) ist hierzu das treffendste Beispiel. Man vergleiche dagegen einmal Telemanns Composition derselben Stelle:


4.

[490] Daraus entwickeln sich auch ganz folgerichtig alle die auffallenden Erscheinungen, welche uns sonst noch in Bachs Recitativen aufstoßen. Da finden wir in der Cantate »Aus tiefer Noth schrei ich zu dir«30 ein Recitativ, zu dem die Bass-Stimme der Orgelbegleitung einen vollständigen Choral durchführt, wir finden die gleiche Combination mit einer instrumentalen Oberstimme in den Cantaten »Du wahrer Gott und Davids Sohn« und »Wachet, betet, seid bereit«31. Und wäre es anders möglich gewesen, ein vierstimmiges fugirtes Recitativ zu schreiben, wie es im sechsten Theile des Weihnachts-Oratoriums steht32, oder ein recitativisches Duett, wie es die Cantate auf den 23. Trinitatis-Sonntag vom Jahre 1715 enthält? Man hat von der Unruhe der Bachschen Recitative gesprochen. Aber unruhig erscheinen sie nur so lange, als man sie in der gewöhnlichen Weise declamiren will. Sobald das Absolutmelodische in ihnen klar zur Darstellung gelangt, wird das scheinbar Gewaltsame natürlich und harmonisch, die scharfen Zacken der Accente mildern und ründen sich im Lichte rein musikalischer Formschönheit. Dann erst ergiebt sich auch ein Vortrag, der mit dem gleichmäßig strömenden Klange der begleitenden Orgel nicht im grellen Widerspruche steht. Da diese Ansicht über das Bachsche Recitativ der jetzt herrschenden einigermaßen entgegen ist, so wiederhole ich, daß darum eine eindringliche Wortdeclamation durchaus nicht fehlt. Im Gegentheil; nicht weniger als bei andern Meistern finden sich bei ihm jene Betonungen, welche blitzartig den Begriff bis in die dunklen Tiefen des Gefühlslebens beleuchten, wo er seine Wurzeln hat, und wer Bach nur etwas kennt, wird es glauben, daß diese Blitze von dämonischer Farbe und Helligkeit sind. Aber das ist sicherlich ganz irrig, zu meinen, Bach habe seine recitativischen Tonfolgen den Sprechaccenten abgelauscht und nachgebildet, und gehe immer nur darauf aus, das Wort in seiner Tiefe zu deuten; mit großer Leichtigkeit lassen sich Stellen in Fülle zusammen bringen, die im gemeinen Verstande einfache Declamationsfehler sind33. Vom rechten Gesichtspunkte [491] aus betrachtet, sind sie das freilich keineswegs, und wer an solchen Stellen einmal zu ändern versuchen wollte, würde meistens rasch bemerken, daß es nicht angeht, ohne den melodischen Zug empfindlich zu schädigen. So muß man sagen, daß seine Recitative im schönsten Verhältniß zum Stile seiner Arien stehen; sie führen zu denselben hinüber und hinan, wie auf dem Gebiete der Orgelmusik die Praeludien zu den Fugen, und wie jene oft gegensätzlich registrirt sind, so singt jeder dramatischen Auffassung entgegen häufig gar eine andre Stimme das Recitativ, eine andre die Arie. – Um auf die Sexagesimae-Cantate zurückzukommen, so laufen deren Recitative sämmtlich in Ariosos mit oft recht verwickelter Begleitung und malerisch bunter Führung der Singstimme aus, welche den jedesmaligen Uebergang zur Litanei-Strophe gehörig vermitteln. Auch dieser Zug muß auf das eben erörterte Verhältniß zurückgeführt werden; fast stehend findet er sich in den Cantaten jener Periode, und der Instrumentalbass pflegt die Gänge des Arioso zu imitiren. Ferner läßt Bach allemal die erste Zeile der Litanei nur vom Sopran mit bewegter Orgelbegleitung singen, und erst mit dem Anrufe »Erhör uns, lieber Herre Gott« den Chor und alle andern Instrumente hineinschlagen. Telemann macht nicht so viele Umstände, sondern fährt mit seinem vollen Chore immer gleich hinter dem Recitative her. Im allgemeinen ist der Text etwas zu breit angelegt und theilweise von moralisirender Trockenheit; deshalb erzielt Telemann einen günstigeren Gesammteindruck, da er rascher über die Solostellen fortgeht, als Bach, der sich musikalisch tiefsinnig einwühlt. Zu der nun folgenden Arie hat Telemann eine anmuthige Tenor-Composition in D moll (seine Grundtonart ist A moll) gesetzt, viel bedeutender als irgend eine Arie seiner Weihnachtscantate, wenngleich es nur eine einfache Melodie mit simpel begleitenden Violinen ist. Dies der Anfang:


4.

[492] Trotzdem fällt sie gänzlich ab gegen die hohe Originalität und quellende Frische der Bachschen Musik. Er wählte den Sopran und als Tonart das nach dem fortwährenden Moll der vorigen Abschnitte doppelt erquickende Es dur; zur Begleitung dienen Orgel und sämmtliche vier Bratschen im Einklang, ein Effect, den Bach nicht erfunden hatte34, dem er aber durch die »vierfüßige Registrirung« d.h. dadurch, daß die Flöten in der höheren Octave mitgehen mußten, eine besondere Würze gab. Mit einer herrlichen, ganz von Freude und Zuversicht erfüllten Gesangsmelodie wird nun dieser Begleitungsapparat in köstlicher Weise combinirt: bald schwimmt die Sopranstimme leuchtend auf den dunklen Wogen der auf- und niedertauchenden Violen und Flöten, bald spiegeln diese ihr zitterndes Bild zurück, bald fliehen die Stimmen in froher Eile vor einander her, um sogleich sich wieder glückstrahlend hin und her zu wiegen. In der Stimmung ähnliche Arien werden wir noch in der gleich zu besprechenden Ostercantate und in der Adventscantate von 1714 kennen lernen; wer sich nur irgend in den Charakter der verschiedenen Bachschen Schaffensperioden eingelebt hat, kann nicht übersehen, daß hier noch jene Frühlingsfrische herrscht, die jedem Menschenleben nur einmal beschieden ist, und die der Meister in späteren Jahren durch gesteigerte Größe, Tiefe und Reife wohl aufwog aber nicht ersetzte. Der Schlußchoral ist von Telemann einfach und würdig harmonisirt, nur durch eine unbegreifliche, koboldartig springende Bassfigur:


4.

u.s.w. verunziert. Bachs Tonsatz, einfach vierstimmig und durch alle Instrumente verstärkt, ist von jenem wundervollen Reichthum und jener kühnen Lebendigkeit in der Stimmführung, welche sich aus seiner Orgelmeisterschaft entwickeln mußten, und an denen er unter allen, die damals Choräle für Singstimmen setzten, sogleich heraus zu erkennen ist. Während andre den Schlußchoral meistens flüchtig und flach hinschrieben, nur um der Sitte zu genügen, sehen [493] wir Bach von früh an auch in den einfachen Choralsatz sich mit voller Hingebung und Liebe vertiefen. Andre, die weltliche Tonformen nur äußerlich dem kirchlichen Gebrauche anpaßten, konnten freilich für den Choral, mit dem man bald ganz allgemein die Kirchencantate zu schließen pflegte, kein Verständniß noch Interesse haben. Denn blos vom musikalischen Standpunkte aus gesehen ist es befremdlich und künstlerisch unwirksam, ein Werk, das mehr oder minder den ganzen damals bekannten Formenreichthum in Anspruch nimmt, in einen schlichten vierstimmigen Liedsatz auslaufen zu lassen. Für das kirchliche Gefühl war aber immer noch der einfache Choral die bedeutsamste und inhaltreichste vocale Musikform, und wenn Bach auf seine Ausgestaltung die größte Sorgfalt verwandte, so beweist das eben wieder, wie nur ihn allein das richtige Gefühl für Kirchenmusik erfüllte. Der Schlußchoral war das knappe Gefäß, in welches der ganze Stimmungsgehalt der Cantate gesammelt werden sollte; ihn mit liebevoller Vorsicht zu halten und sinnig zu schmücken mußte eine wahre Ehrenaufgabe für den Künstler sein. Merkwürdiger Weise hat man in neuerer Zeit mehrseitig gemeint, in diese Endchoräle habe die Gemeinde mit eingestimmt. Dann hätte sich Bach seine kunstvolle Arbeit sparen können. Wer in der Kirchencantate eine wirkliche Kunstform erblickt, wird es unbegreiflich finden, wie nur jemand im Ernst an solch eine naturalistische Entstellung denken kann. Nicht einmal soviel ist zuzugeben, daß der Sängerchor der ideale Repräsentant der Gemeinde sei. In der Kirchenmusik kommt es durchaus garnicht darauf an, wer singt; was und wie gesungen wird, ist allein die Frage. Auch der Irrthum mag gleich hier zurückgewiesen werden, dem freilich Bachs eigner Sohn durch die Herausgabe von Sebastians Choralsätzen zur Entstehung verholfen hat, als seien diese Choralsätze in sich geschlossene Meisterwerke, analog etwa den Haßlerschen vierstimmigen Kirchengesängen35. Grade nur als Schlußsteine der Cantaten sind sie gedacht und gewinnen sie ihre volle Bedeutung und erfordern als solche auch nothwendig den Glanz und die Unterstützung mitgehender [494] Instrumente. Für den a cappella-Gesang sind sie durchweg zu kühn in der Stimmführung und klingen gewaltsam und erzwungen, wenngleich einzelne Sätze, gut vorgetragen, auch so eine ergreifende Wirkung machen können.

Die Dichtung, welche Bach dem ersten Cantaten-Jahrgange Neumeisters entnahm, ist für den ersten Ostertag bestimmt. Daß die Composition früher als in Weimar erfolgt sein sollte, ist durchaus unwahrscheinlich, und einzelne besonders vorzügliche Partien und auffällige Züge weisen darauf hin, daß sie gar später, als die beiden Cantaten des dritten Jahrgangs geschrieben ist36. Danach würde ihre Aufführung wohl auf den 16. April 1713 oder den 1. April 1714 zu setzen sein. Sie ist durchweg Solo-Cantate für Tenor, und wahrscheinlich die erste dieser Gattung, welche Bach verfaßt hat37; an Instrumenten wird nur die Orgel mit bassverstärkendem Fagott und eine Solo-Violine verwendet. Der Beschaffenheit des ganzen Jahrganges gemäß besteht der Text nur aus freier Dichtung, drei Arien und zwei Recitativen. Die ersten beiden Arien stehen im Strophenverhältniß und sind durch das erste Recitativ geschieden; Bach hat, anders als in der Weihnachtscantate, zu jeder eine besondere Musik gesetzt. Die gesammte Composition zeigt jene Mischung von weicher Innigkeit und frischer Lebensfülle, die wir noch eben in einer Arie der Sexagesimae-Cantate zu bewundern hatten. Ein getragener Charakter ist der ersten Arie eigen. Es ist ein geistvoller Zug, wenn das Hauptmotiv, was das Ritornell vorspielt:


4.

von der Singstimme gleich zum ersten Male in der Vergrößerung gebracht wird:


4.

[495] ein wahres Aufblühen aus der Knospe, wozu der tiefsinnige Meister vielleicht durch die Textesworte veranlaßt wurde:


Blüht doch der Trost im Herzen:

Ich weiß, daß mein Erlöser lebt!


Das zweite Mal erscheint dann das Motiv in seiner einfachen Gestalt. Reize und Feinheiten aller Art entwickelt auch der weitere Verlauf. Zu dem nachfolgenden Recitative hatte der Dichter einen sehr brauchbaren Text geliefert, indem er des Heilands ganze Leidensgeschichte bis zur Erstehung aus dem Grabe in Ausdrücken von lobenswerther Plastik noch einmal kurz vorüberführte und andeutete, was das Gemüth des theilnehmenden Christen dabei empfunden. Was Bach daraus gemacht, ist ein wahres Kleinod an ergreifender Declamation und herrlichem melodischen Zuge. Zum Beweis sei wenigstens der Anfang hergesetzt:


4.

[496] Für den Ausdruck, der in den letzten beiden Takten liegt, mit dem Septimenvorhalte und der Wendung nach F dur, wird wohl nicht leicht jemand unempfindlich bleiben können. Mit überraschender Wahrheit ist der Accent äußerster qualerzeugter Erschöpfung getroffen zu den Worten »folgt ich halbtodt bis Golgatha ihm nach« ist der Ausdruck für durchdringenden Schmerz bei der Betonung der Zeilen gefunden: »Hab ich So manchen Stich Mit Ach und Weh empfunden, Da man sein Haupt mit Dornen stach«. Und alles nur durch einfache melodische und harmonische Wendungen ohne besondere instrumentale Beihülfe. Nur einmal wird durch eine Coloratur der Begriff »Freuden-Thränen« musikalisch stark hervorgehoben, der in der That dort einen Höhepunkt bezeichnet. Ariose Stellen fehlen ganz, vielleicht weil der Componist das schon sehr lange Recitativ nicht noch mehr ausdehnen wollte. Die zweite Arie, welche, wie auch die dritte, wieder in C dur steht, besingt in feurigen Weisen die heilbringende Kraft von Christi Auferstehung und hat schon einen viel breiteren melodischen Strom, als ihre Gattungsgenossinnen in den früheren Cantaten. Der Gesang steht zu den Instrumentalstimmen schon annähernd in dem Verhältniß eines ersten zu seines gleichen, wie dies das Ideal der Bachschen Kirchenarie ist. Zu dem mittleren Arientheile pflegte man keinen hervorstechend neuen Gedanken zu erfinden, und auch Bach verwendet dort regelmäßig etwas vom früheren Stoffe zu neuen Bildungen. Es ist interessant, wie er an der genannten Stelle hier das Motiv, aus dem eigentlich die ganze Arie erwächst:


4.

in den Bass legt, wo es zum Gesange emsig fortarbeitet, obgleich dieser fast garkeine Rücksicht darauf nimmt. Noch ist eine Stelle anzumerken, wo der Gesang nach einer vollständigen Cadenz auf die Dominante von dort sich durch einen jauchzenden Melodiegang mit Hülfe des Grundmotivs in die Haupttonart zurückschwingt:


4.

[497] Eine ganz ähnliche Stelle findet sich in der Cantate »Ach ich sehe, jetzt da ich zur Hochzeit gehe« aus dem Jahre 1715 (Duett, Takt 25), und da diese Wendung sonst bei Bach ungewöhnlich ist, so enthält sie eine Andeutung, daß zwischen beiden Cantaten kein großer Zeitraum liegen kann. Das folgende Recitativ zeigt in seinem Anfange, wie vortrefflich Bach den zwischen Recitativ und Arioso bestehenden Gegensatz für den Ausdruck auszunutzen wußte:


4.

Die Schluß-Arie steht an Werth der Factur den andern gleich; für die Worte, welche den Wunsch aussprechen, im Himmel mit Jesu vereinigt zu werden, könnte man, grade weil es Bach ist, vielleicht eine tiefer dringende Musik erwarten, doch scheint die Absicht, eine durch alle Arien gehende Steigerung der Belebtheit zu bewirken, entscheidend gewesen zu sein.

Wir können die drei Cantaten auf Weihnachten, Sexagesimae und Ostern als gelungene Versuche ansehen, sich in den Formen der neueren Kirchencantate festzusetzen. Nicht daß sie nur als solche ihren Werth hätten! Wer auf einer Kunsthöhe stand wie Bach, bei dem konnte von bloßen Studien keine Rede mehr sein. Aber keine der drei Cantaten zeigt uns Bachs gesammte Herrschaft über alle Seiten der erforderlichen Technik. Die erste steht in der Arien- und Choralbehandlung noch zurück, wie sie überhaupt die wenigst bedeutende ist; die zweite nimmt einen großartigen Flug, entfaltet aber keine breitere Chorform, die letzte ist durchweg vorzüglich, allein nur ein Solostück. Wir werden nun aber sogleich eine Kirchencomposition [498] kennen lernen, die nicht nur alle Formen mit Meisterschaft vereinigt zeigt, sondern auch beweist, daß schon mit dem Jahre 1714 dasjenige vollständig ausgebildet war, was wir den Bachschen Stil nennen müssen, der zugleich einzig und allein den kirchlichen Stil jener Epoche repräsentirt. Hierunter ist zu verstehen die vollständige Durchdringung der gesammten Vocalmusik durch die Orgelkunst, nachdem diese wiederum ihr Gebiet durch Zuflüsse aus der Kammermusik erweitert hatte. Am unmittelbarsten äußert sich ihr Einfluß im Chor, sowohl dem freien, hauptsächlich fugirten, als dem Choral-Chor; nicht in solchem Maße grundlegend, wohl aber die specifischen Merkmale bestimmend in der Arie und den verwandten Formen für mehre Solostimmen, wo durch das polyphone Geflecht obligater Instrumente die Menschenstimme ihrer persönlichen Bedeutung sich bis auf den äußerstmöglichen Grad begeben muß; im Arioso durch die fast zur Regel gewordene canonische Bassführung und endlich im Recitativ durch die Geltendmachung des instrumentalen, d.h. rein musikalischen Princips. Auch in die Instrumentalsymphonien tritt der Orgelstil überall mit durchgeistigender Kraft ein, sowohl in jene letzten Blüthen der Gabrielischen Kirchensonate, als in die aus der Kammer- oder Opernmusik entnommenen Formen. Zwischen den letzten herrlichen Cantaten älterer und denen neuerer Fassung besteht hinsichtlich des Sologesanges noch der Unterschied geringerer und größerer Formvollendung, was aber mit Rücksicht gesagt sein soll nicht sowohl auf Bachs persönliche Leistung, als auf das Form-Ideal der Zeit. Das Gefäß, welches sich der Meister jetzt für seine Ideen geschaffen hatte, erfährt in dessen 36 übrigen Lebensjahren eine wesentliche Umgestaltung nicht mehr. Die Verschiedenheiten, welche in den einzelnen nachfolgenden Perioden noch zu bemerken sind, stammen aus der immer großartiger sich entwickelnden Empfindungsweise und Lebensanschauung des Künstlers, es sind Verschiedenheiten des Inhalts, der jedesmal die Form nach seinem Bedürfnisse dehnt, sie aber immer für sich geeignet findet. Bedenkt man, daß Bachs unermessene Thätigkeit auf dem Felde der Kirchencantate nun erst eigentlich beginnt, so wird man in dem raschen Herausbilden einer allgenügenden Form, deren sämmtliche Theile er nach unzureichenden und heterogenen Vorlagen fast neu gestalten mußte, die Offenbarung einer staunenswürdigen, einer Naturmacht zu vergleichenden [499] Schöpferkraft erkennen. Da aber auch keine Form ohne einen Inhalt denkbar ist, und beides in unlösbarem Wechselverhältnisse steht, so liegt der Grund zu Tage, warum die Cantaten der zweiten Gestalt dem Gefühl in so ganz andrer Weise gegenüber treten, als die der ersten. Sie reden klarer, bestimmter, der Wille tritt neben dem Fühlen in sein gleiches Recht. Zuerst begegnet man noch zuweilen Anklängen der früheren Weise; manchmal weht es verloren herüber wie Harfenton aus einem versunkenen Zauberlande; bald aber verstummen diese romantischen Laute ganz, und ohne wehmüthige Rückblicke geht es fort zu den ernsten Manneszielen hinan.

Die angedeutete Cantate ist die erste des vierten Jahrgangs der Neumeisterschen Poesien, also für den 1. Adventssonntag bestimmt. Die Jahreszahl 1714 ist zum Ueberfluß von Bach auf dem Titel eigenhändig vermerkt, so daß demnach die Aufführung am 2. December stattgefunden haben muß38. Es knüpft sich an diese Cantate noch ein biographisch interessanter Umstand, auf den wir nachher zurückkommen. Auch muß, um zu ihrer musikalischen Betrachtung zu gelangen, eine früher geschriebene Cantate vorläufig übersprungen werden, welcher alle technischen Vorzüge der Adventsmusik gleichfalls eigen sind, die aber nach mehren Seiten hin in einen andern Zusammenhang gehört. Der Text ist in jeder Beziehung vorzüglich zu nennen, er gehört zu den besten, die Neumeister geschrieben hat. Zwei Choräle schließen ihn ein, am Anfang steht die erste Strophe des Ambrosianischen Adventshymnus »Nun komm, der Heiden Heiland« (Veni redemptor gentium), den Schluß macht der Abgesang der letzten Strophe von »Wie schön leucht't uns der Morgenstern«. Das erste Recitativ bringt die kirchliche Bedeutung von Christi Einzug zum Bewußtsein, die anschließende Arie erfleht seine segnende Herbeikunft zum neuen Kirchenjahre. Durch eine geheimnißvoll schöne Stelle der Offenbarung Johannis (3, 20) wird die Empfindung auf das persönliche Gebiet geleitet, in einer neuen Arie will sich das Herz öffnen, um den einziehenden Heiland in sich zu empfangen, ein Gedanke, dem dann durch den einfallenden Choral allgemeine Gültigkeit [500] gegeben wird. So zerfällt das Ganze in zwei contrastirende Gruppen von je drei Abschnitten. Wie scharf Bach diesen Wink erfaßte, zeigt schon seine Tonartenwahl: in der ersten Gruppe herrschen A moll und C dur, in der zweiten E moll und G dur. Mit sichtlichster Sorgfalt und Wärme sind nun die einzelnen Bilder angelegt und ausgeführt. Der Anfangschor ist das unter Bachs Werken vielleicht einzigste Beispiel der Verbindung des Chorals mit der französischen Ouverture. Es ist klar, daß eine solche nur möglich war nach dem Durchgange jener Instrumentalform durch das Orgelmedium, und in der That entspricht der erste Theil ganz der orgelmäßigen Durchführung eines Cantus firmus, während in dem fugirten zweiten Theile der Ouverture die Beziehung zur Orgel ohnehin nahe lag. Nur ganz bestimmte Strophen konnten sich überhaupt für einen solchen Bau schicken, Bach wird aber auch wohl gesehen haben, daß die Mühe der Gestaltung in keinem Verhältniß zu der erreichten Wirkung stehe und daß die französische Ouverture keine Form biete, welche die Orgel nicht schon in Praeludium und Fuge besser und ausgiebiger besäße. Jedenfalls ist die Combination mit ungemeiner Gewandtheit vorgenommen. Die beiden Anfangszeilen »Nun komm, der Heiden Heiland, Der Jungfrauen Kind erkannt« kommen in den gewichtig-ernsten ersten Theil der Ouverture; die oberen Instrumente schreiten im punktirten Rhythmus dahin, die Orgel-, Fagott- und Streichbässe spielen die Melodie vor, welche darauf vom Sopran und darnach vom Alt in der Quinte, sodann nach einem längern Zwischenspiele wieder auf der Tonika vom Tenor und nochmals auf der Quinte vom Bass angestimmt wird. Dann vereinigen sich die Stimmen zur zweiten Zeile und der 32. Takt führt hinüber in den andern Theil: »des sich wundert alle Welt«. Das betreffende Melodiestück dient als Thema zu einer klangvoll strömenden Fuge im 3/4 Takt39 von prächtig gesunder Herbheit, sie mündet nach Brauch wieder in den Anfangstheil zurück, den die letzte Choralzeile ausfüllt: »Gott solch Geburt ihm bestellt«. Bemerkenswerth ist die Modernisirung, die Bach mit der Melodie durch Erhöhung des dritten Tones der ersten und letzten Zeile vorgenommen hat, wodurch die Tonart A moll [501] gleich anfangs scharf markirt wird, aber ein im diatonischen Klanggeschlecht verbotener Melodieschritt entsteht, die verminderte Quarte:


4.

Der vorspielende Bass füllt den Zwischenraum durch stufenweis aufsteigende Sechzehntel aus; ebenderselbe Zug findet sich in einer Orgelbearbeitung des Chorals durch Nik. Bruhns, die Bach vielleicht gekannt hat40. Das Gis setzte sich aber in seinem Ohre so fest, daß es ihn zu einer neuen Kühnheit im Fugensatze verleitete, wo er so imitirt:


4.

In einer späteren Cantate kehrte er bei Behandlung desselben Chorals zur Originalgestalt zurück41. Die Sache findet ihre tiefere Erklärung in der Stellung Bachs zu den Kirchentonarten, worüber auf spätere Ausführungen verwiesen wird. – Das erste Recitativ, das in ein melodisch sehr entwickeltes Arioso ausgeht, liefert mit seinem Anfange einen recht augenfälligen Beweis, wie bei Bach das musikalische Princip über dem declamatorischen stand. Neumeister dichtet:


Der Heiland ist gekommen,

Hat unser armes Fleisch und Blut

An sich genommen.


Bach macht den ersten Einschnitt ganz regelrecht, den zweiten aber nach dem Worte »Fleisch« und zieht die Worte »und Blut« zum folgenden Satze – declamatorisch unbedingt falsch! Betrachtet man aber die Tonreihen, so stellt sich heraus, daß auf diese Weise drei musikalische Glieder von ganz gleicher Größe entstehen, deren erstes und drittes einen weiblichen, deren mittleres aber einen männlichen Ausgang hat, so daß eine kleine cyklische Periode vom schönsten Ebenmaße gebildet wird. Mit leichter Mühe läßt sich der [502] Declamationsfehler beseitigen, es wird dann aber auch das Wohlgefühl aufgehoben, welches das Ohr beim Erklingen correspondirender Glieder empfindet. Aufgabe des Sängers ist es nun, durch biegsamen Vortrag den Declamationsmangel zu mildern, ohne die musikalische Structur zu zerstören. Von hinreißender Melodieschönheit ist die Tenor-Arie »Komm, Jesu, komm zu deiner Kirche«. Die Singstimme concertirt über einem selbständig fließenden Continuo mit vier im Einklange gehenden Geigen (2 Violinen und 2 Bratschen), deren pastoser Klang das angemessene Gewand für den milden Ernst der Gedanken bildet. Vielleicht durch diesen Klangzauber verleitet hat Bach die Singstimme mehr als billig zurücktreten lassen; ein Ritornell von großartiger Breite exponirt zuerst den melodischen Stoff, auch während des Gesanges fällt den Geigen fast der Haupttheil zu, obwohl das poetische Organ insoweit respectirt ist, daß die Textworte ganz klar vernehmlich werden, und nachher kehrt das volle Ritornell noch einmal wieder, so daß es mittelst des Da capo viermal gehört wird. Im zweiten Arientheil soll die Vernachlässigung freilich wieder gut gemacht werden, aber das Gewicht desselben reicht nicht aus. Abgesehen von diesem Mangel ist die Arie ein Musterstück echten Bachstils. Von der gewaltigen Fülle des melodischen Stromes mag einen Begriff geben, daß bis zum Anfange des zweiten Theiles durch funfzig 9/8 Takte hindurch nur drei wirkliche Cadenzen eintreten. Mit dem nächsten Recitativ werden ganz neue Töne angeschlagen. »Siehe, ich stehe vor der Thür und klopfe an. So jemand meine Stimme hören wird und die Thür aufthun, zu dem werde ich eingehen und das Abendmahl mit ihm halten, und er mit mir«, so lauten die apokalyptischen Worte; Christus naht, und Seligkeit erwartet die, welche ihn willkommen heißen. Aber nicht nur diesen Adventsgedanken hat Bach ausdrücken wollen, viel tiefer greift er, und legt die Gesammtstimmung der Offenbarung Johannis in die zehn zu diesen Worten gesetzten Takte. Bange Spannung lauscht aus den Pizzicato-Accorden der Geigen hervor, die in gleichmüthiger Regelmäßigkeit wie Pendelschläge das Ablaufen der Zeit markiren, welche das Erwartete bringen soll, und hochcharakteristisch mit einem unvorbereiteten Septimenaccorde beginnen, als sei es vom Uranfange her so weiter gegangen. Die Worte singt der Bass, ebensowenig ein dramatisirter [503] Christus, wie in einer andern Cantate durch dasselbe Stimmmittel der heilige Geist persönlich vorgestellt werden soll42; er ist nur das poetisch-musikalische Organ, das die hier beabsichtigte Stimmung am besten vermittelt. Wie eigenthümlich wirkt die Malerei!:


4.

eine Versinnlichung des Ausdrucks, wo es sich um die allerübersinnlichsten Dinge handelt! geschmacklos vielleicht, wenn sie Telemann oder Stölzel unternommen hätten, großartig hier, wo sie im Vordergrunde einer so ungeheuren Empfindungs-Perspective steht. Takt 4 und 5 wären wieder declamatorisch verfehlt mit der Betonung:


4.

wenn nur nicht ein ganz andres Ideal des Meisters Feder geleitet hätte, als die logische Vertheilung der Wortaccente, wenn es nicht der Wächterruf wäre, der schaurig geheimnißvoll durch die Nacht tönt, munter zu sein und wie jene fünf klugen Jungfrauen wohlgerüstet zur Stunde der Entscheidung. So fällt in die helle Feststimmung ein unheimlich rother Schein des jüngsten Gerichts. Aber er wandelt sich zum reinsten Glanze dem, der in kindlicher Hingabe dem Herrn entgegen tritt. Das sagt die dem Recitativ gegenüber gestellte Arie in G dur »Oeffne dich, mein ganzes Herze, Jesus kommt und ziehet ein«. Ja, das ist die wahre Adventsfreude, die ein Jeder unvergeßbar kennen lernte, dessen Kindheit nicht ganz einer religiösen Einwirkung entbehrte, das ist jenes Gefühl, mit dem die Seele, erfüllt von den lieblichen und gewaltigen Bildern der Adventsevangelien, dem Weihnachtstage entgegen harrt! Nur zur Orgel und zu unterstützenden Violoncellen singt der Sopran seine in kindlicher Seligkeit jauchzenden Melodien; einfache Mittel waren hier allein gestattet. Mit welcher Feinheit dennoch das Motiv:


4.

[504] durchgeführt wurde, kann man aus der Bassführung schließen. Die Orgel-Ritornelle und das generalbassmäßige Accompagnement zur Singstimme hat uns Bach, wie gewöhnlich, nicht hinterlassen; durchgängig pflegte man den Stoff zu den Ritornellen aus den Motiven des Gesanges zu entnehmen, sodaß ihre Grundzüge immer unschwer zu erkennen sind, wie auch hier; einzelnes bleibt dem feinen Geschmacke dessen überlassen, der die Wiederherstellung unternimmt. Bekräftigend fällt der Chor ein: »Amen, Amen! Komm, du schöne Freudenkrone, Bleib nicht lange. Deiner wart ich mit Verlangen«, der erste Choralchor in Pachelbelscher Form, dem wir bei Bach begegnen. Als dieser Tonstrom sich vom Orgelchor herab ergoß, muß es gewesen sein, als füllte lauter Goldglanz die Kirche. Die Geigen im Einklange übernehmen eine selbständige Rolle, sie schwingen vom achten Takte in Sechzehnteln ihre glänzenden Fittiche auf und nieder und steigen endlich bis zu der damals sehr gewagten Höhe des dreigestrichenen G wie ins lichte Himmelsblau empor – eine Vorwegnahme jenes berühmten Effects im Credo der BeethovenschenMissa solemnis43.

Es ist noch die zweite Cantate übrig, welche Bach aus dem vierten Jahrgange der fünffachen Kirchen-Andachten in Musik setzte. Sie gehört dem 1. Pfingsttage (7. Juni) 1716 an44. Bach hat Neumeisters Dichtung nicht vollständig componirt, einen Theil des Componirten aber nach 15 Jahren noch einer erweiternden Bearbeitung für werth gehalten. Der erste Satz besteht in einem Duett zwischen Sopran und Bass: »Wer mich liebet, der wird mein Wort halten«, das, ohne durch melodische Innigkeit zu gewinnen, wegen seiner höchst kunstvollen Polyphonie interessant ist. Von den Instrumenten, nämlich Orgel, Streichquartett, zwei Trompeten und Pauken, [505] sind es eigentlich nur die letzten und die Viola, welche nicht ihre eignen melodischen Gänge spinnen. Die Form ist vom italiänischen Concerte hergenommen, und diese muß man gewohnt sein, um durch das erneuerte Abschließen und Wiederbeginnen mit demselben Hauptgedanken nicht befremdet zu werden. Bei der Beschaffenheit des Bibelspruchs war eine Da capo-Form kaum möglich; die gewählte bietet Gelegenheit, den Text-Gedanken als Einheit durch immer neue Combinationen und reichere Harmonien bis ans Ende zu steigern, was hier ohne Frage das angemessenste war. Es folgt ein Recitativ, dem außer der Orgel auch die Streichinstrumente in gezogenen Accorden zur Begleitung dienen. Diese Weise, die uns schon in der Sexagesimae-Cantate begegnete, ist für das Bachsche Recitativ ebenfalls bemerkenswerth. Der ursprünglichen, dramatischen Bestimmung des Recitativs ist sie hinderlich; als solches verlangt es nur musikalische Stützpunkte, kurze Accorde, höchstens bei affectvollen Stellen eine hineindringende harmonische Wendung, und im übrigen illustrirende Zwischensätze. Dieses Accompagnement aber hüllt die Singstimme überall in einen dichten harmonischen Mantel, damit sie keinen Augenblick ihres vorwiegend musikalischen Zweckes vergesse. Es ist, wie man sogleich sieht, der Orgelspielweise angeähnelt. Die recitativischen Betrachtungen finden in dem herrlich gesetzten Pfingstchoral »Komm, heiliger Geist, Herre Gott« ihren Abschluß, dem einzigen Chorstücke, das die Cantate enthält. Hierauf folgt eine Bass-Arie mit Violine von warmem, melodischem Charakter, und in ihrer trioartigen Anlage stilistisch vollendeter, als die Tenor-Arie der Advents-Cantate, da die Singstimme ihrem Range gemäß bevorzugt ist. Von besonders freundlicher Wirkung ist es, wenn wie im Aufgesange eines Strophenliedes die Melodie der beiden ersten Zeilen zu andern Worten sich wiederholt, eine seltene Verschmelzung dieser Form mit derjenigen der italiänischen Arie! Damit schließt Bachs Cantate, während Neumeister noch für drei weitere Nummern den Text liefert, eine Choralstrophe, eine Bibelstelle (Röm. 15, 13) und eine Ariendichtung. Ob nicht Bach mit dem Choral der dritten Strophe von »Erhalt uns, Herr, bei deinem Wort« geendigt hat, oder hat endigen wollen, scheint mir zweifelhaft; eine schwache handschriftliche Spur ist davon vorhanden. Der Grund, weshalb er das Uebrige unberührt ließ, denn an [506] ein Verlorengegangensein ist bei der Beschaffenheit des Autographs nicht zu denken, beruht sicherlich in der musikalisch unvortheilhaften Anordnung45.

Fußnoten

1 »Caspar Ziegler | von den | Madrigalen | Einer schönen und zur Musik be- | quemesten Art Verse | Wie sie nach der Italianer Ma- | nier in unserer Deutschen Sprache | auszuarbeiten, | nebenst etlichen Exempeln | LEIPZIG, | Verlegts Christian Kirchner, | Gedruckt bey Johann Wittigaun, | 1653. |«


2 »De poetis Germanicis hujus seculi praecipuis Dissertatio compendiaria. Additae et sunt Poëtriae, haud raro etiam, ut virtutis in utroque sexu gloria eo magis elucescat, comparebunt Poëtastri Erdmann Neumeister et Friedrich Grohmann. Lipsiae, 1695.« S.W. Klose im Lexicon der hamburgischen Schriftsteller, Bd. 9, S. 497, wo sich überhaupt (S. 496–512) ein sehr sorgfältiges Verzeichniß der Neumeisterschen Schriften findet.


3 Diese Briefschaften befinden sich im Staatsarchiv zu Dresden.


4 Koch, Geschichte des Kirchenliedes I, 5, 371 ff. (3. Aufl.).


5 G. Tilgner in der Vorrede zu Neumeisters »Fünffachen Kirchen-Andachten«. Leipzig, 1716.


6 Wie der Vorredner der »Fortgesetzten Fünffachen Kirchen-Andachten« (Hamburg, 1726), ein gewisser J.E. Müller, ausdrücklich berichtet.


7 »Chenania aber, der Leviten Oberster, der Sangmeister, daß er sie unterwies zu singen.« I. Buch der Chronica 16, 22.


8 »Erdmann Neumeisters | Geistliche | Cantaten | statt einer | Kirchen-Music. | Die zweyte Auflage | Nebst | einer neuen | Vorrede, | auf Unkosten | Eines guten Freundes. | 1704.« s.l. Befindlich auf der gräflichen Bibliothek zu Wernigerode; fehlt in Kloses Verzeichniß.


9 Daß es ein solcher war, ergiebt sich aus der Vorrede zu den »Fünffachen Kirchen-Andachten«.


10 Der dritte nennt den Dichter nicht und wurde in Gotha gedruckt unter dem Titel: »Geistliches | Singen | und | Spielen, | Das ist: | Ein Jahrgang | von Texten, | Welche | dem Dreyeinigen GOTT | zu Ehren | bey öffentlicher Kirchen-Versammlung | in Eisenach | musicalisch aufgeführet werden | von | Georg. Philip. Telemann, | F.S. Capellmeister und Secr. | GOTHA, gedruckt bey Christoph Reyhern, | F.S. Hof-Buchdr. 1711. |« Ein Exemplar in meinem Besitz.


11 »Tit. Herrn | Erdmann Neumeisters | Fünffache | Kirchen-Andachten | bestehend | In theils eintzeln, theils niemahls | gedruckten | Arien, Cantaten und Oden | Auf alle | Sonn- und Fest-Tage | des gantzen Jahres. | Herausgegeben | Von | G.T. | LEIPZIG, | In Verlegung Joh. Großens Erben. | Anno 1716. |«


12 Mattheson, Ehrenpforte S. 205 und 210.


13 Winterfeld, Evang. Kirchenges. III, 61. Auch desselben Forschers Behauptung, daß von jetzt an ein Spruch aus dem Fest- oder Sonntags-Evangelium den Kern jeder kirchlich-musikalischen Feier bilde, ist ganz unrichtig. Im Gegentheil: es wird das Bibelwort viel seltener, als in der älteren Kirchencantate, verwendet.


14 Bei den Zeitgenossen galt er allgemein für einen großen Verskünstler. Gottfried Blümel nennt in einer von ihm selbst gedichteten Cantatensammlung (Budissin, 1718) Neumeisters kleine metrische Willkürlichkeiten »nur naevi in pulchro corpore«.


15 Das erste Citat muß einen Druckfehler enthalten; wahrscheinlich ist I. Cor. 14, 7 gemeint.


16 Fünffache Kirchen-Andachten, Jahrg. IV, 8. Sonntag nach Trinitatis. Kräftig sagt auch Constantin Bellermann in seinem »Parnassus Musarum« S. 5: »pii quidam homines – qui – omnem externum musices usum aut ex templis eliminant aut minaci lege circumscribunt: faciamus hos missos, quos neque herba neque pharmacum restituet!«


17 So z.B. der Cantor Christian Schiff zu Lauben gegen seinen Pastor Johann Muscovius im Jahre 1694. Den Inhalt der Schiffschen Apologie verzeichnet Mattheson, Ehrenpforte S. 317 f.


18 Mattheson hat in seiner Entgegnungsschrift gegen Joachim Meyer (»Der neue Göttingische u.s.w. Ephorus«. Hamburg, 1727) den ganzen auf diese Frage bezüglichen Theil von Tilgners Vorrede zu den fünffachen Kirchen-Andachten abdrucken lassen und mit ergänzenden Noten versehen (S. 101–108). Für das Da capo führt er z.B. noch 16 Stellen aus den Psalmen an, worunter zwei sogar die Rondo-Form enthalten sollen.


19 Buttstedt, Ut re mi etc. S. 81 und 64.


20 Mattheson, Das beschützte Orchestre. S. 142 f.


21 Friedrich Ehrhardt Niedtens Musicalischer Handleitung dritter Theil. Hamburg, 1717. S. 37 ff.


22 »Ein ungefärbt Gemüthe« zum 4. Sonnt. nach Trin. (B.-G. V, 1, Nr. 24) und »Gottlob nun geht das Jahr zu Ende« zum Sonnt. nach Weihnachten (B.-G. V, 1, Nr. 28). Der genaue Nachweis darüber später. Möglicherweise liegt der ersteren Cantate eine frühere Arbeit zu Grunde, obwohl es an deutlichen, Spuren fehlt.


23 S. Anhang A. Nr. 21.


24 In einer Handschrift aus dem Nachlasse Fischhoffs auf der königl. Bibl. zu Berlin.


25 Ich erwarb sie in einer etwa um 1750 gefertigten Handschrift (Partitur und Stimmen) aus der Cantorei zu Langula bei Mühlhausen; dorthin war sie jedenfalls von dem nahegelegnen Eisenach gelangt.


26 Eingehenderes über die Textveränderungen im Anhang A. Nr. 21.


27 Veröffentlicht durch die B.-G. II, Nr. 18, nach Stimmen auf der königl. Bibl. zu Berlin, welche meist autograph sind und in Bezug auf Schrift und Papier größtentheils mit dem Autograph der 1714 componirten Adventscantate übereinstimmen.


28 In Stimmen auf der Schloßkirchen-Bibliothek zu Sondershausen befindlich; nur die Stimme des Chorsoprans fehlt, die sich aber sofort nach der ersten Violinstimme ergänzen läßt.


29 S. Anhang A. Nr. 22.


30 B.-G. VII, Nr. 38.


31 B.-G. V, 1, Nr. 23 und XVI, Nr. 70.


32 B.-G. V, 2, S. 255.


33 Wie auch schon, und eben in diesem Sinne, geschehen ist von Lobe, Lehrbuch der musikalischen Composition IV, S. 58 f.


34 Mattheson, Neu eröffnetes Orchestre (Hamburg, 1713), S. 283: »es werden vielmahl gantze Arien con Violette all' Unisono gesetzet, welche denn, wegen der Tieffe des Accompagnements recht frembd und artig klingen.«


35 »Kirchengesäng: | Psalmen vnd geistliche Lieder, | auff die gemeynen Melodeyen mit vier Stimmen simpliciter gesetzt, | durch Hanns Leo Haßler« u.s.w. Nürnberg, 1608. Neu herausgegeben von G.W. Teschner, Berlin bei Trautwein.


36 S. darüber Anhang A. Nr. 21.


37 Der Besitzer dieser werthvollen unveröffentlichten Composition ist Herr Dr. Rust in Berlin. Die Handschrift stammt aus der Musikaliensammlung des Lexicographen Gerber; sie ist keine sehr sorgfältige: vom 33. Takte der ersten Arie an fehlen zwei Takte, die sich aber aus dem Anfangs-Ritornell leicht reconstruiren lassen, und mehrfach ist der Text fehlerhaft oder ganz unverständlich. Zwei Abweichungen darin scheinen jedoch von Bach selber herzurühren, nämlich in Takt 37 des ersten und am Anfange des zweiten Recitativs.


38 B.-G. XVI, Nr. 61. Das Originalmanuscript, größtentheils autograph, ist mit vorzüglicher Sorgfalt geschrieben, die Taktstriche sind durchweg mit dem Lineal gezogen. Auf der königl. Bibl. zu Berlin.


39 »gaij« überschrieben, was wohl eine Abkürzung aus »gaiement« oder »gayement« sein soll.


40 Commer, Musica sacra I, Nr. 6.


41 B.-G. XVI, Nr. 62.


42 B.-G. XII, 2, Nr. 60.


43 Mattheson (Neu eröffnetes Orchestre, S. 281) sagt von der Geige, daß sie drittehalb Octaven umfasse, »etliche wenige Fälle ausgenommen, wo man wol gar ins 4. hinaufsteiget, und also 3. Octaven macht, welches aber, wie man sagt, den Gesellen nicht zukommt«.


44 B.-G. XII, 2, Nr. 59. S. Anhang A. Nr. 23.


45 Ueber eine unter Bachs Namen überlieferte Composition eines dritten Textes des vierten Jahrganges s. Anhang A. Nr. 24.

Quelle:
Spitta, Philipp: Johann Sebastian Bach. Band 1, Leipzig: Breitkopf & Härtel, 1873.
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