I.

[3] Das Geschlecht, dem Johann Sebastian Bach entstammte, ist ein grunddeutsches und läßt sich in seinem thüringischen Heimathsitze schon vor den Zeiten der Reformation nachweisen. Mit derselben Stetigkeit, welche im 17. und auch noch im 18. Jahrhundert seine Angehörigen in den Dienst der Musik trieb, blieb es durch drittehalb Jahrhunderte in einer Gegend wohnhaft, verzweigte sich bis ins Unübersehbare und erschien zuletzt als ein wesentliches Stück der dortigen Volkseigenthümlichkeit. Nicht weniger ausdauernd hielt es an gewissen Vornamen fest, und durch einen bezeichnenden Zufall trägt der erste des Stammes, von dem wir Kunde erlangen konnten, schon den Namen, der als häufigster unter allen vorkommenden auch unserm großen Meister eigen ist.

Dieser früheste Vertreter ist Hans Bach aus Gräfenrode, einem Dorfe etwa 2 Meilen südwestlich von Arnstadt gelegen. Gräfenrode war am Anfange des 16. Jahrhunderts dem Grafen von Schwarzburg untergeben, wahrscheinlich gehörte es jedoch zur gefürsteten Grafschaft Henneberg und der Schwarzburger besaß es nur als Pfand. Die thüringischen Herren jener Zeit befanden sich häufig in Geldnoth, und versetzten dann Ortschaften oder ganze Districte ihres Gebietes wie ein Stück vom Hausrath. Hans Bach, den wir uns als einfachen Bauer denken müssen, scheint mit andern Gräfenrodern, unter denen sich ein gewisser Abendroth befand, in den nahen Ilmenauer Bergwerken gearbeitet zu haben, deren Betrieb zu derselben Zeit von Erfurt aus in Angriff genommen war. Wohlhabende Erfurter Bürger hielten sich wohl zu diesem Zwecke zeitweilig in Ilmenau auf, und einer von ihnen kann Hans Schuler gewesen sein, mag derselbe nun mit Johannes Schüler, dem Ober-Vierherrn des Raths zu Erfurt vom Jahre 1502 und 1506, identisch sein oder nicht. Jedenfalls war [3] dieser Schuler die Veranlassung, daß gegen Bach aus sonst unbekannten Gründen um das Jahr 1508 ein Process beim geistlichen Gericht des Erzstiftes Mainz anhängig gemacht und er mit dem genannten Abendroth in Gewahrsam gehalten wurde. Erfurt gehörte nicht nur zur Mainzer Diöcese, sondern die Erzbischöfe hatten auch seit langem in der Stadt eigne Besitzungen und beabsichtigten unablässig ihren Einfluß daselbst zu vergrößern. Die Verhafteten suchten durch Vermittlung des damaligen Grafen von Schwarzburg, Günther des Bremers, los zu kommen; dieser verwendete sich jedoch, wie es scheint, ohne besondern Erfolg für seine Unterthanen. Ein Brief, den er nach manchen vergeblichen Versuchen im Februar 1509 an den Domherrn Sömmering in Erfurt schrieb, mit der Versicherung, er wolle in strengster Form Rechtens die Sache vor seinen eignen Gerichten entscheiden lassen, wenn man Bach und Abendroth nur frei gäbe, ist erhalten und für den eben erzählten Vorgang die Quelle. Was weiter aus der Sache geworden, kann nicht angegeben werden1. Der Name Bach findet sich aber unter den Bewohnern von Gräfenrode noch das 16. und 17. Jahrhundert hindurch. Auch in Ilmenau war im Jahre 1676 ein Johannes Bach Diaconus2.

Wenden wir uns über Arnstadt hinaus eine starke Meile nordöstlich zu dem Dorfe Rockhausen. Hier wohnte in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts Wolf Bach, ein reich begüterter Bauer. Als er starb, hinterließ er seiner Gattin Anna, welche ihm elf Kinder geboren hatte, sein sämmtliches Vermögen zum Nießbrauch. Im Jahre 1624 war diese »ein sehr alt verlebt Weib«, und wollte die Güter unter ihre noch lebenden Kinder theilen. Wir erfahren von einem Hofe, 4 guten und 32 geringen Ackern, zusammen geschätzt auf 925 Fl. – ein für damalige Verhältnisse sehr ansehnlicher Besitz und jedenfalls zur Zeit der bedeutendste des Ortes, was auf ein langes Ansässigsein daselbst hinweist. Die Kinder, deren uns drei Söhne: Nikol, Martin, Erhart, und eine verheirathete Tochter genannt werden, [4] waren zum Theil schon ziemlich bejahrt; Erhart befand sich seit 18 Jahren in der Fremde, war schon über die fünfziger hinaus, Nikol schritt im Jahre 1625 zu seiner dritten Ehe. Dieser hatte schon vor der Theilung des väterlichen Nachlasses einen stattlichen Grundbesitz und war zuverlässig auch der einzige, welcher als Stammhalter in Rockhausen zurückblieb. Anläßlich seiner letzten Verheirathung erwuchsen ihm allerhand Vermögensstreitigkeiten; eine eigenhändige Eingabe in dieser Angelegenheit ist erhalten, die ihn auch mit der Feder nicht ungewandt erscheinen läßt3. In den ersten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts scheint sich kein Bach mehr in Rockhausen zu finden.

Unweit Rockhausen in westlicher Richtung liegt Molsdorf, wo das ganze 17. Jahrhundert hindurch ebenfalls eine reichverzweigte Bachsche Familie ihren Wohnsitz hatte. Der dreißigjährige Krieg hat die frühesten und wichtigsten Pfarr-Register vernichtet, die erhaltenen reichen nur bis zum Jahre 1644 zurück. Nach ihnen war der älteste der dort lebenden Bachs – er hieß wiederum Hans – 1606 geboren. Ein Andreas Bach, dessen Wittwe am 21. März 1650 starb, greift aber sicherlich noch in das vorhergehende Jahrhundert hinüber. Söhne desselben können Ernst und Georg Bach gewesen sein, letzterer war 1624 geboren. In einem Zeitraum von kaum 70 Jahren werden über zwanzig Glieder der molsdorfschen Familie erwähnt, die männlichen Individuen mit den Namen Johann, Andreas, Georg, Ernst, Heinrich, Christian, Jakob, Paul, die, von dem letzten abgesehen, auch in der Sebastian Bachschen Linie reichliche Anwendung fanden, während die weiblichen Namen abweichen. Andere Quellen berichten noch von einem Nikol Bach aus Molsdorf, welcher in das schwedische Heer eingetreten war und am 23. Juni 1646 in Arnstadt begraben wurde, da er »trunkener Weise aus selbstgegebener Ursache erstochen worden«4. Auch irren wir wohl kaum, wenn wir Johann Bach, »Herrn General Vrangels Musicanten«, gleichfalls aus dem Orte entstammt sein lassen, einen Mann, der als »kunstreich« gerühmt wird, von dem man aber sonst nur weiß, daß er 1655[5] schon todt war und eine Tochter hinterlassen hatte5. Dies wäre dann der erste Musiker der Molsdorfer Linie. Der zuvor erwähnte Georg Bach erhielt von seiner Gattin Maria am 23. Mai 1655 einen Sohn Jakob, welcher Corporal im kursächsischen Kürassier-Regimente und der fernere Stammhalter des Geschlechtes wurde. Dasselbe verließ Molsdorf im Anfange des 18. Jahrhunderts, um sich weiter nordwärts in Bindersleben bei Erfurt niederzulassen. Hier besteht es noch jetzt, nachdem mehre tüchtige Musiker daraus hervorgegangen waren, unter denen Johann Christoph (1782–1846) der bedeutendste gewesen zu sein scheint, der wenngleich einfacher Landwirth doch als Orgelspieler und Componist zu seiner Zeit in Thüringen einen guten Ruf besaß.

Wir wandern nun zum dritten Male weiter nach Süd-Westen, wo wir nahe bei Gotha die Heimath der directen Vorfahren Sebastian Bachs erreichen. In welchem Zusammenhange dieselben mit den vorher erwähnten Stämmen stehen, ist nicht zu sagen, aber es hieße das Unwahrscheinlichste annehmen, wenn man ihn zwischen Familien gleichen Namens und vielfach gleicher Vornamen, die auf einem kleinen Flächenraume neben einander wohnen, leugnen wollte. Wir müssen übrigens die gemeinsame Wurzel mindestens in die Mitte des 15. Jahrhunderts zurückverlegen, denn im 16. hatte der Stamm schon mächtige Aeste nach vielen Seiten hin getrieben. Auch in Wechmar – so heißt das letzte Ziel unseres Umganges – saßen die Bachs schon vor 1550 fest. Ihr ältester Repräsentant, der auch hier den Namen Hans führt, erscheint am Montage vor Bartholomaei des Jahres 1561 als Mitglied der Gemeindevormundschaft6. Ein solcher Posten verlangt einen gereiften Mann, sein Geburtsjahr mag also um 1520 zu setzen sein. Veit Bach, den Sebastian Bach selbst als Ahnherrn der Familie angiebt, kann als Hansens Sohn gelten, und dürfte zwischen 1550 und 1560 geboren sein; wahrscheinlich war er nicht der einzige, wie das Folgende ergeben wird. Seinen Vornamen trug er von St. Vitus, dem Schutzheiligen der wechmarischen Kirche7, [6] und deutet dadurch auf ein inniges und dauerndes Verwachsensein mit den Ortsangelegenheiten. Er lernte das Bäckerhandwerk, zog, wie sein Stammverwandter Erhart Bach aus Rockhausen, in die Fremde, und ließ sich in irgend einem ungarischen Orte nieder8. Im Kurfürstenthum Sachsen, zu dem bei Beginn der Reformation auch Gotha und Umgegend gehörte, war bekanntlich am frühesten die lutherische Religion angenommen worden; ebenso hatte sich dieselbe unter den Kaisern Ferdinand I. und Maximilian II. in Ungarn rasch und blühend entwickelt. Unter Rudolph II. (1576–1612) begann der Rückschlag; die Jesuiten wurden wieder ins Land geführt und bedrängten die Lutheraner mit wachsendem Erfolg. Veit wird das Jahr 1597, wo durch Erwerbung der Probstei Thurócz jesuitischer Einfluß übermächtig wurde, nicht abgewartet haben. »Ist dannenhero«, wie Sebastian Bach erzählt, »nachdem er seine Güter, so viel es sich hat wollen thun laßen, zu Gelde gemacht, in Deutschland gezogen«, und, fahren wir fort, in sein thüringisches Heimathdorf zurückgekehrt, wo er Sicherheit für sich und seinen Glauben fand. Hier soll er die Bäcker-Profession weiter getrieben haben, sicherlich aber nicht mehr lange, denn am Ende des 16. und Anfange des 17. Jahrhunderts waren die Wechmaraner Backhäuser in andern Händen. Die Mittheilungen Sebastian Bachs schildern den Veit auch eigentlich nicht als Bäcker, sondern als Müller, doch waren beide Handwerke wohl oftmals mit einander verbunden9. Als echter Thüringer liebte und übte er die Instrumental-Musik. »Er hat«, sagt sein Ururenkel, »sein meistes Vergnügen an einem Cythringen10 gehabt, welches er auch mit in die Mühle genommen, und unter währendem Mahlen darauf gespielet. Es muß doch hübsch zusammen geklungen haben! Wiewol er doch dabey den Tact sich hat inprimiren lernen. Und dieses ist gleichsam der Anfang zur Musik bey seinen Nachkommen gewesen.« Was jedoch Veit nur als Liebhaberei [7] trieb, war bei einem andern mitlebenden Familiengliede, vielleicht seinem leiblichen Bruder, schon zur Profession geworden. Veit starb am 8. März 1619 und wurde noch an demselben Tage begraben11. Er besaß möglicher Weise eine ganze Anzahl von Kindern, denn die große Menge männlicher und weiblicher Individuen der wechmarschen Linie läßt sich kaum auf die Söhne allein zurückführen, von denen die Genealogie redet. Genannt werden uns durch dieselbe zwei, oder genauer einer, da bei dem zweiten nur die Existenz constatirt, der Name aber verschwiegen wird. Der Genannte hieß natürlich Hans, und ist Sebastian Bachs Urgroßvater. Am passendsten denken wir ihn uns in Wechmar etwa um 1580 geboren, wie denn auch Veit sich wohl erst nach seiner Rückkehr aus der Fremde vermählt haben wird. Er zeigte Lust zur Musik, so beschloß denn der Vater, ihn einen »Spielmann« werden zu lassen, und gab ihn nach Gotha zu dem dortigen Stadtpfeifer in die Lehre. Dieser war aber ebenfalls ein Bach, hieß Caspar, und dürfte ein jüngerer Bruder, jedenfalls ein naher Verwandter Veits gewesen sein. Den Hans nahm er zu sich auf den Thurm des alten Rathhauses, wo er seine Dienstwohnung hatte: in den Hallen um die Kaufläden, welche das ganze untere Stockwerk einnahmen, ertönte das Treiben des Marktes und oben von der Gallerie mußte er nach Herkommen zu bestimmten Stunden den Choral mit seinen Gesellen abblasen12. Seine Gattin hieß Katharina, von seinen Kindern war Melchior im Jahr 1624 schon ein erwachsener Mensch, eine Tochter Maria wurde am 20. Febr. 1617, ein anderer Sohn Nikolaus am 6. Dec. 1619 geboren13. Hiernach wandte er sich nach Arnstadt, wo er als frühester Vertreter des Geschlechtes daselbst gestorben ist; seine Frau folgte ihm am 15. Juli 1651 hochbejahrt14. Hans kehrte also »nach ausgestandenen Lehrjahren« zurück in das väterliche Dorf, und nahm Anna Schmied, die Tochter des dortigen Gastwirths, zum Weibe. Wie man es in jener Zeit ungemein häufig findet, daß die Musikanten noch etwas andres [8] als Gewerbe nebenher treiben, so übte auch er als gewöhnliches Handwerk die Teppichflechterei15. Doch blieb das Musikmachen sein eigentlichster Beruf, wie die im Pfarr-Register ihm beigelegte Benennung »Spielmann« beweist. Der führte ihn weit durch Thüringen umher: oftmals wurde er »nach Gotha, Arnstadt, Erfurt, Eisenach, Schmalkalden und Suhl verschrieben, um denen dasigen Stadt-Musicis zu helfen«. Da ließ er lustig seine Fiedel ertönen, hatte den Kopf voller Späße und war bald eine volksthümliche Persönlichkeit. Ohne das wäre er wohl schwerlich zu der Ehre gekommen, zweimal portraitirt zu werden. Beide Bilder besaß Philipp Emanuel Bach unter seiner Sammlung von Familien-Bildnissen, eins davon war ein Kupferstich aus dem Jahre 1617, das andere ein Holzschnitt; hier sah man ihn Violine spielen mit einer großen Schelle auf der linken Schulter, linker Hand standen die Reime:


Hier siehst du geigen Hansen Bachen,

Wenn du es hörst, so mustu lachen.

Er geigt gleichwohl [d.i. nämlich] nach seiner Art

Und trägt einen hübschen Hans Bachens Bart,


und unter den Versen war ein Schild mit einer Narren-Kappe. Wie der fröhliche Sinn auch auf eins seiner Kinder überging, werden wir später sehen.

Hans Bach ist nicht sehr alt geworden; er starb am 26. Dec. 1626 im Pestjahre, was auch andere Familienglieder dahin raffte. Als neun Jahre darauf die Seuche im Dorfe noch viel furchtbarer wüthete, so daß von damals ungefähr 800 Einwohnern 503 starben (im September allein 191), folgte ihm seine Wittwe nach (18. Sept. 1635). Von ihren Kindern werden uns in der Folge diejenigen drei beschäftigen, auf welche der musikalische Sinn des Vaters überging. Daß aber mehr noch vorhanden gewesen sind, deren die spätere Genealogie nur deshalb nicht gedachte, weil sie einfache Bauern blieben, ist sicher. Ohne uns bei den verschiedenen weiblichen Individuen aufzuhalten, von deren Existenz noch Spuren vorhanden sind, wollen wir nur ein kurzes Wort noch den übrigen Männern[9] gönnen. Es ist freilich nicht leicht, zuweilen auch nicht möglich, sich durch die bunte Schaar, welche sich aus den Pfarr-Registern entwickelt, sichern Weges hindurch zu finden; so wird denn gegeben was zu erreichen war. Von den drei musikalischen Söhnen bietet die genannte Quelle nur etwas über Johann, den ältesten. Neben diesem aber treffen wir noch auf sechs andre Persönlichkeiten, die muthmaßlich von ziemlich gleichem Alter waren und für Söhne von Hans Bach oder seiner Brüder oder altersgleichen dortigen Verwandten gelten können. Zunächst ein Hans Bach, welcher als junior dem alten Hans Bach senior mehrfach gegenüber gesetzt wird, also doch wohl sein Sohn war. Identisch mit Johann Bach kann er nicht sein, da er schon 1621 mit seinem Weibe zum Abendmahle ging, Johann sich aber erst 1635 verheirathete: halten wir ihn also für einen älteren Bruder, und viel leicht erstes Kind des alten Hans Bach, der nach damaliger einfacher Lebensweise früh in die Ehe getreten sein wird. Der Sohn starb am 6. Nov. 1636, jung an Jahren, seine Wittwe Dorothea lebte noch bis zum 30. Mai 1678, wurde 78 Jahre alt. Von Söhnen aus dieser Ehe erfahren wir nichts. Dann noch ein Hans Bach, der um einiges jünger erscheint, und sich am 17. Juni 1634 verheirathete, das Mädchen hieß Martha. Söhne werden angeführt: Abraham (geb. 29. März 1645), Caspar (geb. 9. März 1648) – dieser war späterhin Schafhirt in Wechmar –, ein nicht benannter dritter Sohn (geb. 27. März 1656), »so bei der Geburt kaum eine Spanne lang«. Auch dieser dritte Hans war ein Sohn des Spielmanns16. Also drei Brüder desselben Namens. Es ist charakteristisch für den Alten mit der Schelle, daß er an diesem Triumvirat von Hansen seine Freude hatte. – Ferner Heinrich Bach, von dem wir nur hören, daß ihm 1633 und 1635 zwei Söhne geboren wurden, die beide am 28. Jan. 1638 starben. Denselben Namen führte der jüngste des musikalischen Kleeblatts; wäre der genannte dessen Bruder, so hätte der lustige Fiedler zwei Heinriche gehabt, wie er drei Hanse besaß. – Weiter Georg Bach, welcher 1617 geboren wurde. Seine erste Gattin, Magdalena, war 1619 geboren und starb am 23. Aug. 1669. Er verheirathete sich am 21. Oct. 1670 zum zweiten Male, die Braut hieß Anna, sie starb am 29. Febr. 1672 [10] in Folge eines Wochenbettes. Unverehelicht konnten diese Leute nicht leben; er schloß die dritte Ehe am 19. Nov. 1672, starb am 22. März 1691; seine Gattin Barbara folgte am 18. April 1698. Söhne werden nicht erwähnt; ebenso wenig ist zu sagen, wessen Sohn er selbst war. Eines Bastian (Sebastian) Existenz endlich verräth uns nur sein Tod (3. Sept. 1631); er kann daher auch schon ein Greis gewesen sein und ist der einzige des Geschlechts, welcher vor dem großen Tonmeister diesen Namen führte.

Die Genealogie erwähnt, wie schon bemerkt, noch einen andern Sohn Veit Bachs, ohne dessen Namen zu kennen. Derselbe kann auch auf anderm Wege nicht mit Sicherheit bestimmt werden; doch läßt sich nach den Pfarr-Registern wenigstens ein Altersgenosse des Spielmanns Hans Bach beibringen, der sein Bruder gewesen sein könnte. Er hieß Lips, und starb am 10. Oct. 1620; ein Sohn gleichen Namens fiel am 21. Sept. 1626 der Pest zum Opfer. Die Söhne, welche das Geschlecht fortpflanzten, würden demnach in den Registern fehlen. Die Genealogie spricht von dreien, welche durch den regierenden Grafen von Schwarzburg-Arnstadt zu ihrer weitern musikalischen Ausbildung nach Italien geschickt werden und von denen Jonas, der jüngste, blind und Gegenstand vieler abenteuerlicher Erzählungen gewesen sein soll17. Dagegen läßt sich nachweisen, daß ein Sohn des ungenannten Bruders von Hans Bach den Namen Wendel führte, 1619 geboren ward und späterhin in Wolfsbehringen, einem Dorfe nordwestlich von Gotha, seßhaft war; er scheint Landwirth gewesen zu sein und starb am 18. Dec. 1682. Sein vermuthlich einziger Sohn Jakob (geb. 1655 in Wolfsbehringen) bekleidete das Cantorat in Steinbach, seit 1694 in Ruhla und starb dort 171818. Er war erster Lehrer des später merseburgischen Capellmeisters und nicht unbedeutenden Componisten Johann Theodorich Römhild19. Von ihm gehen, wenn man den vorhandenen Zeugnissen trauen darf, die meisten musikalischen Persönlichkeiten dieses Stammes aus, ganz sicher wenigstens der bedeutendste unter ihnen. Dieser, Johann Ludwig, wurde als Sohn des Cantors Jakob Bach im Jahre 1677 geboren. [11] 1708 war er Hofcantor in Meiningen, drei Jahre darauf aber, als er sich verheirathete, schon Capell-Director, und starb 174120. Da Sebastian Bach mit ihm von Weimar aus in persönlichen Verkehr trat, so erscheint es passend, ihn auch dann erst in seiner künstlerischen Bedeutung zu charakterisiren. Das bedeutende musikalische Talent dieses Mannes lebte in seinen beiden Söhnen, Samuel Anton (1713–1781) und Gottlieb Friedrich (1714–1785), sowie in dem Sohne des letzteren, Johann Philipp, weiter. Alle drei waren zeitweilig herzogliche Hoforganisten, der letzte reicht bis in die neueste Zeit hinab, da er erst 1846 im 95. Lebensjahre starb, nachdem am 22. Dec. 1845 auch der letzte Enkel Sebastians geschieden war21. Neben der musikalischen Begabung ist dieser Familie aber auch die für Malerei eigen, ein Talent, was sich in der Sebastianschen Linie nur bei einem Sohne Philipp Emanuels findet, und dieser scheint in der That erst durch die Meininger angeregt zu sein. Denn sie verkehrten in seinem elterlichen Hause, so daß Ph. Emanuel in der Genealogie schreiben konnte: »des Meinungschen Capellmeisters Sohn lebt noch da, als Hoforganist und Hofmaler; dessen Herr Sohn ist ihm adjungirt in beyden Stationen. Vater und Sohn sind vortreffliche Portraitmaler. Letzterer hat mich vorigen Sommer besucht und gemalt, und vortrefflich getroffen.«

Noch vielseitiger war Johann Ludwig Bachs Bruder, Nikolaus Ephraim, welcher bei der Aebtissin Elisabeth Ernestine Antonia zu Gandersheim, der Schwester des damaligen regierenden Herzogs von Sachsen-Meiningen, in Diensten stand und diese Stelle vielleicht durch Vermittlung seines Bruders erhielt. Es war freilich herkömmlich an kleinen Höfen, daß die Hofmusiker auch noch andre Obliegenheiten hatten, z.B. eines Schreibers oder Kammerdieners, aber ein solches Bunterlei von Diensten, wie von Nikolaus Ephraim geleistet werden mußte, wurde wohl selten auf die Schultern eines einzigen Individuums gepackt. Er war seit 1708 dort im Dienste und [12] wurde am 30. Nov. 1713 zum Lakaien ernannt, in seiner Bestallung heißt es aber speciell: »So haben Wir ihm hiemit die Aufsicht über Unsere Mahlereyen und Statuen-Gallerie aufgetragen, – – wobey er dann in der Musik und vorfallenden Compositionen sich gebrauchen laßen soll; dagegen wir ihm zur jährlichen Besoldung vom verwichenen Michaelis an 20 Thaler und vom letztverwichenen 22. Octobris aber wöchentlich 20 ggr. Kostgeld benebenst der gewöhnlich doppelten Livrée, Reiseröcken und Winter-Strümpfen, in Gnaden verwilliget.« Späterhin wurde er auch Mundschenk, am 15. Mai 1719 Organist und Kellermeister, mußte auch die »abteilichen Bedienten« in der Musik und Malerei »informiren«, und endlich seit 1724 die Privat-Rechnungen der Aebtissin führen. Man sieht, er war ein Factotum22.

Ein muthmaßlich dritter Sohn des Cantor Bach aus Ruhla war Georg Michael (1703–1771), Lehrer der achten Classe am lutherischen Stadtgymnasium zu Halle; dessen Sohn Johann Christian (1743–1814) war Musiklehrer dort, und wurde kurz »der Clavier-Bach« genannt. Er stand mit Friedemann Bach, dem ältesten Sohne Sebastians, in Verbindung, als dieser Organist an der Liebfrauenkirche in Halle war, oder vielleicht auch, als er es nicht mehr war. Denn von ihm erhielt er jenes »Clavier-Büchlein vor Wilhelm Friedemann Bach«, welches der große Sebastian in Cöthen größtentheils selbst für sein Lieblingskind geschrieben hatte, und das uns später noch eingehend beschäftigen wird23. – Endlich ist noch Stephan Bach zu erwähnen, welcher der Genealogie zufolge mit dieser Linie zusammenhängen soll, ohne daß anzugeben wäre, in welcher Weise. Er war Cantor und Succentor am Blasius-Stift in Braunschweig, ein Dienst, den er 1690 antrat und bis zu seinem Tode 1717 bekleidete. Seine erste Gattin hieß Dorothea Schulze, und es wird daher der spätere Organist an der Lamberti-Kirche in Hildesheim, Andreas [13] Heinrich Schulze, dessen Gesanglehrer Stephan Bach gewesen ist24, für einen Verwandten seiner Frau zu halten sein. Der älteste Sohn hieß Johann Albrecht (geb. 1703) und stammte aus zweiter Ehe. Was sonst über ihn zu sagen wäre, bezieht sich nur auf Krankheiten und allgemeines Lebens-Elend, mit welchem diese Leute stets zu ringen gehabt haben. Bei Verfolgung der directen Vorfahren Sebastian Bachs wird uns dasselbe noch oft genug entgegen treten; darum schweigen wir hier darüber25.

Wir haben die Wurzeln des Bachschen Geschlechtes an verschiedenen Orten Thüringens bloslegen können, überall fanden wir nur dorfbewohnende Bauern. So recht aus der Kernkraft des deutschen Volkes ist Sebastian Bach entsprungen. Und wie überall in Deutschland vor dem dreißigjährigen Kriege Wohl stand herrschte, so fehlte auch dem thüringischen Bauer ein friedliches Behagen nicht. Mit seiner Tüchtigkeit und seinem Fleiße verband er die Frömmigkeit. Die wechmarischen Communicanten-Verzeichnisse von den Jahren 1618–1623 legen durch die reichliche Anführung der Bachs männlichen und weiblichen Geschlechts, aus alten und jungen Jahren, Zeugniß davon ab, daß denselben ihre protestantische Religion eine lebendige Herzenssache war. Es muß jedoch gesagt sein, daß, während Wolf Bach in Rockhausen ein freier Grundbesitzer von ungewöhnlicher Wohlhabenheit war, seinen Wechmaraner Stammesgenossen wahrscheinlich ein härteres Loos fiel. In dem Dorfe und dessen Bezirk befand sich eine Anzahl großer Adels-Güter, und wer von ihnen als Bauer denselben zugehörte, hatte an Abgaben und Knechtsdiensten nicht geringe Lasten zu tragen, und dies um so mehr, als die Besitzer jener Güter, Vasallen der Grafen von Gleichen, oft und viel Kriegsmannschaft stellen mußten, was natürlich den Zurückbleibenden nicht zu gute kam. Der Tod des Spielmanns Hans Bach (1626) führt uns auch schon in die Anfänge jener Zeit, wo Thüringen unter der furchtbaren Kriegsgeißel zu leiden und zu [14] bluten begann. Seit dem Jahre 1623, in welchem die ersten Truppendurchzüge stattfanden, brachen mit immer kürzeren Unterbrechungen durch die wilden Kriegshorden alle nur erdenklichen Gräuel über dies schöne Stückchen deutscher Erde herein. Die Dörfer wurden geplündert und verbrannt, die Fluren verwüstet, die Männer getödtet, die Frauen gemißhandelt, und auch die Kirchen nicht geschont. Dazu kamen die entsetzlichen Seuchen der Jahre 1626 und 1635. Wer aus all dem Elend sein Leben rettete, floh am liebsten Schutz suchend in die Städte, oder verbarg sich in den Wäldern, oder trat, weil nichts anderes übrig blieb, wie Nikol und Johann Bach aus Molsdorf, ins Heer ein. So zerstreuten sich auch die wechmarischen Bachs, die zurückbleibenden starben nach und nach aus, bis am Ende des vorigen Jahrhunderts erst ein Mann des Namens, Ernst Christian Bach, dorthin zurückkehrte, und als Cantor und Schullehrer sein Leben da am 29. Sept. 1822 beschloß26. Auch von Hans Bachs drei musikalischen Söhnen blieb keiner dauernd in seinem Heimathdorfe. Eine Zeit voll Blut und Schrecken ist es, in welcher sie heranwuchsen und lebten, eine Zeit, die auch den Sittlichsten verwildern, den Kräftigsten ermatten konnte, und die nach dem Beruf, wie den besondern Lebensschicksalen der drei Brüder auf ihr Wesen von großem Einfluß sein mußte.

Fußnoten

1 S. Anhang B.I.


2 Fürstl. Archiv zu Sondershausen, fol. 158 act., Schulbestallungen in Gillersdorf betr. 1653–1760. Ein Bernhard Bach, Lehrer in Schleusingen, gehörte zu denen, welche das Concordienbuch vor 1580 unterschrieben (Concordia e Joh. Muelleri manuscripto edita a Philippo Muellero. Lips. et Jenae, 1705;p. 889). Dieser Ort liegt jedoch außerhalb des von den Bachs bewohnten Gebietes.


3 Nach Documenten des fürstl. Archivs zu Sondershausen.


4 Extract Aus Denen Arnstädtischen und andern Kirchenbüchern de anno 1612 seqq. (Archiv zu Sondershausen).


5 Copulations-Register zu Arnstadt.


6 Nach dem Handelbuch der Gemeindeacten zu Wechmar. Ich unterlasse nicht, dem dortigen Pfarrer, Herrn Dr. Koch, für die freundlich geleistete Hülfe hier meinen Dank zu sagen.


7 Brückner, Kirchen- und Schulenstaat im Herzogthum Gotha. Gotha, 1760. Th. III, Stück 9, S. 7.


8 Daß es Preßburg gewesen sei, ist ganz ungegründet. Vermuthlich rührt diese Tradition von Korabinsky her.


9 Die Vermuthung, das Bäckerhandwerk sei ihm nur seines Namens wegen angedichtet, ist deshalb zurückzuweisen, weil der Vocal des Namens gedehnt gesprochen und darum derselbe im 17. Jahrhundert auch häufig »Baach« geschrieben wurde.


10 Die alte Cithara, ein guitarreartiges Instrument, zu unterscheiden von der heutigen Schlagzither. Das Wort »Cythringen« ist Deminutivbildung.


11 Pfarr-Register zu Wechmar.


12 S. Anhang A. Nr. 1.


13 Pfarr-Register der St. Augustinus-Kirche zu Gotha.


14 Das Arnstädter Todten-Register giebt an, sie sei 821/2 Jahr alt geworden. Das paßt doch wohl nicht zu den angeführten ehelichen Erlebnissen; hier wird ein Schreibfehler vorliegen.


15 Die Genealogie sagt, er habe zuerst das Bäckerhandwerk erlernt und sei darauf ganz zur Musik übergegangen. Eine viel zuverlässigere Quelle aber ist die Leichenpredigt auf Heinrich Bach, Hans Bachs Sohn (Arnstadt, 1692), wo letzterer geradezu Musikant und Teppichmacher zu Wechmar genannt wird.


16 S. Anhang A. Nr. 2.


17 S. Anhang A. Nr. 3.


18 S. Anhang A. Nr. 4.


19 E.L. Gerber, Historisch-Biographisches Lexicon der Tonkünstler. Leipzig, 1792. Th. 2, Spalte 309.


20 Außer auf die meiningenschen Pfarr-Register stütze ich mich auf einige Mittheilungen, welche Herr Hofrath Brückner daselbst mir freundlichst gemacht hat.


21 Wilhelm, Sohn von Johann Christoph Friedrich, Concertmeister in Bückeburg. Das Datum nach Bitter, Carl Philipp Emanuel und Wilhelm Friedemann Bach und deren Brüder. Berl., 1868. Bd. 2, S. 140.


22 Nach Acten des herzogl. Landeshauptarchivs zu Wolfenbüttel. S. Anhang A. Nr. 5.


23 Das Buch erwarb aus dem Nachlasse Johann Christians der Musik-Director Kötschau in Schulpforte, nach dessen Tode es in den Besitz des Herrn Oberappellationsrath Krug in Naumburg überging, dem ich die Angaben darüber verdanke. – Nach den meiningenschen Kirchen-Registern wird am 13. Aug. 1699 einem Hautboisten und Hoflakaien Johann Bach ein Sohn: Johann Christoph Carl getauft. Dieser war vielleicht ein vierter Sohn Jakob Bachs.


24 J.G. Walther, Musicalisches Lexicon. Leipzig, 1732.


25 Nach den Registern des Blasius-Stiftes in Braunschweig und Acten des Landesarchivs zu Wolfenbüttel. Griepenkerl, der Herausgeber der Bachschen Instrumentalwerke, wollte die Reihe tüchtiger Organisten, welche Braunschweig besessen, auf einen Einfluß Stephan Bachs zurückführen, wie mir Herr Dr. Schiller freundlichst mittheilte.


26 Nach gefälliger Mittheilung des Herrn Dr. Koch.

Quelle:
Spitta, Philipp: Johann Sebastian Bach. Band 1, Leipzig: Breitkopf & Härtel, 1873.
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