IV.

[853] Fünf Memoriale Johann Kuhnaus.


A.


Rathsarchiv zu Leipzig. Consistorialia. Vol. X.Varia 1619 bis 1767.


»Magnifice, Hoch Edler, Vest und HochGelahrter, auch Hochweiser, Hochgeehrtester Herr und Patron.


Ew. Magnif. haben ohne Zweiffel noch in Andencken, was ich neülichst in Dero Hause wegen derer in beyden Haupt Kirchen allhier befindlichen Posaunen errinnert, daß solche Instrumenta durch den langen Gebrauch ganz abgenuzet, zerbeüget und untauglich worden: Worauff Sie auch damahls mir Ordre ertheilten, daß ich mit dem Thomas Thürmer, Heinrich Pfeiffern, welcher in Verfertigung solcher Instrumenten vor andern wohl geübt und erfahren ist, reden, und vernehmen solte, wie hoch der genaueste Preiß eines ganzen Chores, so in 4 Stücken, nehml. in derQuart-, Tenor-, Alt- und Discant-Trombone bestehet, komme, und wie hoch hingegen er den Chor der alten, der nur von 3 Stücken ist, nehmlich der Bass-, Tenor und Alt Posaune, anzunehmen gedencke?

Nachdem ich nun mit dem Manne geredet, und ihm zugleich den in der Thomas Kirche vorhandenenChor von 3 Stücken Posaunen gewiesen, er auch so wohl den allergenauesten und billigsten Preiß der neüen Posaunen (denn vor etlichen Jahren sind dergleichen Instrumenta gedoppelt theüer bezahlet worden), laut beykommender Specification auffgesezet, alß auch dabey gemeldet, wie hoch er die alten Stücke aus der Thomas Kirche anzunehmen gesonnen; So habe Ew. Magnif. ich hiemit solchen Auffsatz übergeben, und dabey umb Hochgeneigte Resolution, daß nicht alleine vor die Kirche zu St. Thomae, sondern auch für die zu St. Nicolai, und also vor jede Haupt Kirche ein neüer Chor Posaunen (es wäre denn daß man [853] sie in sonderlichen auff dem Falle nöthigen Futteralen, wie wohl nicht ohne Beschwerung und gänzlichen Schaden allemahl aus einer Kirche in die andere trüge) verfertiget werden möge, unterdienstlich bitten wollen.

Und weil 6 zur Kirchen Music getragene Violinen, davon 2 zur Schule gehören, keine Futter haben, und sie also im herumbtragen sehr bestoßen werden, so wäre es nöthig, daß zum wenigsten zu Ersparung derer Unkosten ein einiges Futter mit 6 Fachen inForm eines aus leichten Bretergen mit Boy gefütterten Kastens gemachet würde, daß sie also verwahret von einem eintzigen Schüler in die Kirchen könten getragen werden.

Die weil wir auch bey unsrer Kirchen Music die so genannten Colochonen (eine Art von Lauten, die aber penetriren, und bey allen izigen Musiquen nöthig sind),1 immer von andern borgen müßen, sie aber nicht allemahl geliehen bekommen können; So ist zum wenigsten ein gut Stücke von solcher Art mit einem Futterale vor beyde Kirchen nöthig, und befindet man in deren Verfertigung den Stadt Pfeiffer,Marcum Buchnern, sonderlich glücklich.

Im übrigen ist bey unsrer beyden Haupt KirchenMusic dieses zu beklagen, daß sie sonderlich in Feyer Tagen und in den Meßen, da in der Neüen Kirche musiciret wird, durch die neülichst daselbst Veränderung und Annehmung eines neüen Organisten, der die hießigen Operen machet, sehr geschwächet worden, in dem die sonsten ohne Entgelt mit zu Chore gehende und zum Theil von mir unterrichtete Studenten, weil sie aus der Opera sich einiges lucrum machen können, selbige Zeit, da ich am besten und stärcksten musiciren solte, unseren Chor verlaßen, und dem Operisten helffen. Hingegen wäre unsrer Music in allen 3 Kirchen am besten gerathen gewesen, wenn man mir, der ich allein mit denen Musicis, welche ihre ordentliche Salaria und Stipendia bekommen, zu thun habe, die Production derer Kirchen Concerten, (gleichwie ich die Lieder in allen 3 Kirchen anordne) und Vertheilung derer Musicanten und Adjuvanten in 3 Kirchen, hingegen aber die bloße Tractirung des Orgelwerckes entweder dem vorigen Organisten in der Neüen Kirche, Augusten, oder seinem Successori, (mit deßen Directorio, weil die aus Liebe zur Neüerung izo dahin gehende Adjuvanten kein Salarium bekommen, es doch keinen rechten Bestand, wie August vielmahl selbst gesehen, haben kan) gelaßen hätte. Denn auff solche Art wäre Uneinigkeit durch Separirung und Vertheilung immer uneiniger und einander aemulirender Adjuvanten, verhütet, dem Organisten nichts entzogen, und hingegen auch einem oder dem andern, der selbst was taugliches componiren könte, wenn er mir seine Arbeit zuvor gezeiget und ich sie vor werth an einem heyligen Orte produciret zu werden, befunden hätte, Gelegenheit zum Exercitio gegeben, an der Music und denen darzu nöthigen Personen nirgends kein Mangel gespüret, sonsten [854] auch ein jeder freywilliger Adjuvant zu beständiger Übung derMusic und Besuchung unsers Chori Musici (sonderlich da ich schon auff einen Modum ihne [so!] einige Ergözligkeit davor ohne Beytrag derer Herren Kirchen Patronen zu wege zu bringen gedacht hatte,) angereizet worden.

Gleichwie ich nun nochmahls unter dienstl. bitte, daß Ew. Magnif. geruhen wolle, unsre beyden Kirchen mit obgedachten Instrumenten zu versorgen; Also stelle ich solche beschehene Schwächung unsrer Kirchen Music zu fernerer Überlegung und die vorgestellte Verbeßerung Dero Gutachten anheim. Ich aber verharre

Ew. Magnif.

unterthäniger und

gehorsamster

Diener

Johann Kuhnau.

Cantor. mp.

Leipzig den 4

Decembr. 1704.


[Adresse:]

An S. Magni- | ficenz, | den regierenden Herrn, | Bürgermeister zu | Leipzig, und getreüen | Vorsteher der Kirchen | zu St. Thomae, | Herrn D. Johann | Alexander Christen, | Hochberühmten ICtum. etc. | Dienstgehorsamstes | Memorial.« |


B.


Schuel zu S. Thomas. Vol. III. Stift. VIII. B. 2. Fol. 356 ff.


»Magnifici, Hoch Edle, Veste, und Hoch Gelahrte, auch Hochweise, Hochgeehrteste Herren und Patrone!


Hiebey übergebe ich sub. lit. A. etliche Puncte, so unsere Schul und Kirchen Music betreffen.

Dieweil nun von Ew. Magnif. Hoch Edlen und Hochweisen Herren2 mit allem Rechte gerühmet wird, daß Sie vor den Wohlstand der Kirchen und Schulen väterliche Sorge tragen, Sie auch dabey des Göttlichen Seegens bey Deren Hochlöblichem Regiment versichert seyn können; So versehe ich mich deßen umb so viel eher, es werde auff gedachtePuncte einige Reflection gemachet, und ich dadurch immer zu mehrern Fleiße encouragiret werden. In übrigen verharre ich auf alle weise

Ew. Magnif. HochEdlen

und Hochweisen Herren

unterdienstgehorsamster

Johann Kuhnau.

Cantor. mpp.

Leipzig den 17

Martij 1709.


[855] Q.D.B.V.


A.


Erinnerung des Cantoris die Schul und Kirchen Music betreffend.


1.


Ist der Schul Violon sehr in Stücken, und durch den täglichen Gebrauch in denen zum Exercitio Musico gewidmeten Stunden so übel zugerichtet, daß die bißhero von den Currende der Leichen Geldern zu kleinen Ausbeßerungen der Schul-Instrumenten biß auff einen Thaler genommenen etlichen Groschen zur völligen Reparatur und zum Bezuge besagten Violons nicht zu reichen können.


2.


Brauchte man ein neü Regal, weil an dem alten immer zu flicken ist. Doch kan es, nach dem es izo wieder ein wenig zu rechte gebracht worden, zur Noth noch eine Weile mit gehen, und die Gelegenheit erwartet werden, da manchmahl was gutes von dergleichen umb einen geringen Preiß zu kauffen vorkommt.3

Doch wäre


3.


hingegen zum wenigsten ein guter Colocion so wohl zum Gebrauche in der Schule, alß auch sonderlich bei der Kirchen Music, dabey auffs wenigste ihrer zwey zu seyn pflegen, von nöthen. Der selige Herr Ober Postmeister Keeß hatte einen dazu hergegeben, der aber vor dem Jahre, weil man die Donation nicht erweisen können, dem Choro Musico wieder abgefordert worden. Der Stadtpfeiffer Buchner, macht dergleichen gute und von starcken Klange.


4.


Ist der Cüster zu St. Thomas wegen der auff demChoro daselbst mangelnden Sand Uhr offt ersuchet worden, daß er vor die nöthige Anschaffung derselben sorgen wolle. Man hat aber noch nicht gesehen, daß er bey dem Herrn Vorsteher deßwegen etwas errinnert hätte.


5.


Brauchten die Instrumentisten auff ihrem Chörgen zur rechten Hand hinter ihnen ein angenageltes Bret, die Geigen auffzuhängen, damit sie [856] solche nicht mehr auff den Fußboden legen, und Schaden dabei besorgen dürfften.

Gleicher gestalt ist


6.


in der Kirche zu St. Nicolai eine Ausbeßerung derer Tritte nöthig, worauff die StadtPfeiffer stehen, maßen einer, der sich nicht wohl versiehet, leichte, wo nicht ein Bein brechen, doch zum wenigsten den Fuß verstauchen kan.


7.


Wäre zu wünschen, daß man zur Unterhaltung derer in beyden Kirchen befindlichen großen Clavicimbeln, dazu auffs allerwenigste ein jährliches Interesse von 300 Thalern gehörte (denn, im Fall man sie brauchen wil, müßen sie bey jeder Music auffs neüeaccommodiret seyn, und im izigen Stande dürften sie unter 6 biß 7 Thalern kaum wieder angerichtet werden) ein Mittel ausfinden könte.

Gleichwie im übrigen sonsten


8.


zu des vorigen Cantoris Zeiten immer etliche Schüler (4. biß 5.) über den gesezten Numerum gewesen (sonderlich von der Zeit an, da ein Chor davon in die neüe Kirche hat müßen geschicket werden) die Alimenta Gott auch immer so gesegnet, daß sie zugelanget, zu geschweigen, daß weil deren einige öfters entweder verreiset oder kranck sind, der Numerus fast niemahls complet seyn kan: Also wären dergleichen Supernumerarii sonderlich izo, da der Haupt Chorus Musicus von den Studenten entblöset ist, gar sehr nöthig.4

Dieweil auch


9.


an der Kirchen Music vornehmlich aber nach der Predigt, und des Sonnabends nach der Vesper bey der Probe ein ziemlicher Abgang geschiehet, in dem die Schüler nach ihren 8 Cubiculis in 8 Sonnabend und Sonntagen nach einander zur Beichte und zum heyligen Nachtmahle gehen, so würde es so gar übel nicht gethan seyn, wenn in der Woche der ganze Coetus mit denen Praeceptoribus auff einmahl sich zu solchem heyligen Wercke einfände. Denn auff solche Art könte auch durchgehends eine gute Vorbereitung [857] geschehen, und das junge Volck mit desto beßerer Instruction und Andacht dahin geschicket werden.


10.


Aber den grösten Defect von solcher Music verursachet die Opera und Music in der Neüen Kirche. Denn die meisten Schüler, (von denen neüankommenden und dem Choro recommendirten Studenten wil man nichts sagen) sobald sie in der Music bey desCantoris saurer Mühe einen habitum erlanget und nüze seyn können, sehnen sich gleich nach der Gesellschafft der Operisten, thun dahero nicht viel gutes, suchen vor der Zeit ihre Dimission, öffters mit Unbescheidenheit und Troze, lauffen auch, im Falle der Verweigerung gar davon, wie nur neülichst der besteBassist, Pezold, auff die ihm aus der Opera geschehenen Promessen gethan, dem ein andrer guter Discantist, Pechuel, weil ein HochEdler und Hochweiser Rath ihn nicht, wie etwa zu weilen nach Weißenfels, also auch in die Opera nach Naumburg hat ziehen laßen wollen, hierinne vorgegangen, der nun alle Meßen herzukommen, und nicht ohne Ärgerniß der hießigen Schule und Stadt in der Opera und Neüen Kirche zu singen pfleget.5 Die andern aber, welche mit Frieden dimittiret werden, nach dem man ihnen zwar viel durch die Finger sehen müßen, machen es nicht viel beßer. Denn, an statt daß sie zur Danckbarkeit vor die große auff sie gewandte Mühe dem Choro Musico fernere Dienste leisten solten, so gerathen sie gleichfalls bald unter die Operisten. Und wie es freylich lustiger zugehet, wo man Operen spielet, in öffentlichen Caffée Häusern auch zu der Zeit, da dieMusic verbothen ist, und des Nachts auf den Gaßen, oder sonsten immer in frölichen Compagnien musiciret, alß wo dergleichen nicht geschehen kan; Also so leisten sie auch folgentlich lieber ein ander ihres gleichen in der Neuen Kirche Gesellschafft, alß daß sie unter denen Stadt Pfeiffern und Schülern stehen, und dem wiewohl sonsten ordentlich salarirten, und vormahls immer wohl bestalt gewesenen Choro Musico beywohnen solten.

Dieweil aber nun


11.


solche Kirchen Music, wo man die mit großer Mühe abgerichteten Schüler und Studenten, alß das besteOrnament entbehren, und sich allezeit mit neüen Incipienten von denen auff den Gaßen sich heiser schreyenden, im übrigen kranck- und kräzigten Schülern nebenst einigen unter denen Stadt Musicis und Gesellen nicht gar zu geschickten Subjectis, sonderlich in Feyer Tagen und Meßzeiten, da frembde Leüte und vornehme Herren in den Haupt Kirchen etwas gutes zu hören gedencken, behelffen muß, [858] dieweil auch noch dazu der in gemeinen Sonntagen gehörte Chorus alß denn geschwächet, und einandrer aber sehr elender und bloß aus Schülern und etwa ein Paar Stadt Pfeiffer Gesellen bestehender, der doch aber eben so gut ist, alß zu Herrn Schellens Zeiten der andre Chor gewesen, formiret wird, (An die Music von zwey oder mehr Chören, welche in großen Festtagen solte gehöret werden, darff man vollends nicht gedencken, und kan man dergleichen nur bewerkstelligen, wenn die Studenten nicht in die neüe Kirche kommen dürffen, wie zum Exempel neülichst bey Herrn D. Abichts Trauung in der Kirche zu St. Nicolai geschahe) gar schlecht bestellet ist, und man sich der elenden Execution vieler obgleich mit Fleiße ausgearbeiteten Stücken zu schämen, dahero denn auch die Musicalien nach der schlechten Capacität der Subjectorum schlecht genug einzurichten hat:6 So wäre


12.


(sonderlich da die aus 8 Personen zusammen bestehenden Stadt Pfeiffer Kunst Geiger und Gesellen zu blasenden Instrumenten, nehmlich zu 2 oder mehrTrompeten, 2 Hautbois, oder Cornetten, 3 Trombonen oder andern dergleichen Pfeiffen, 1 Fagott, und einem Basson kaum zu langen, und man nicht sehen kan, wo zu der übrigen GeigenMusic, welche die angenehmste ist, wie sie izo in ganz Europa und auch bey uns starck bestellet wird, da bey denen beydenViolinen immer zum wenigsten 8 Personen stehen, und folgentlich zu denen gedoppelt besezten Braccien, zu Violonen, Violoncellen, Colocionen, Paucken und andern Instrumenten mehr, die Leüte herzunehmen seyn, da sie alle in die neüe Kirche gezogen werden.) niehmals so sehr alß izo nöthig gewesen, daß die vormahls auff einige Sänger, vornehmlich aber auff einen starcken Bassisten (denn von der Schul Jugend sind dergleichen tieffe Stimmen nicht so leichte zu gewarten, so schickt sie sich auch theils wegen ihres steten Anfanges in der Music, theils weil sie auch immer die Stimme mutiret, und manche jahre nach dem verlohrnen guten Discant ganz stum bleibet, mehr zu denen Capellstimmen und denen tutti, alß zum concertiren) und zwei ordentliche gute Violisten angewendeten Stipendia wieder dazu angewendet würden.7 Hiedurch würde Gottes Lob und Ehre befördert, manchem frommen, und lieber studirenden alß der lustigen Compagnie immer anhangenden Studenten geholffen, auch vielleicht Gottes Seegen immer mehr und mehr gespüret werden.


[Adresse:]

An | E. Hoch Edlen | und Hochweisen | Rath | zu | Leipzig | unterdienstliches | Memorial.


[859] C.


»ACTA | Den GOTTES Dienst in der Pauliner Kirche und was dem anhängig betr.« Archiv der Leipziger Universität, Repert. II/III No. 3. Litt. B. Sect. II. Fol. 6 und 7.


»Magnifici, Hoch Edle, Vest | und Hochgelahrte, Hochgeehrteste Herren und Patronen.


Gleichwie ich mit der ganzen Stadt über den angestellten neuen Gottes Dienst in der Pauliner Kirche gefreuet, und mir dabey die Hoffnung gemachet, daß ich, da mir sonsten der Chorus Musicus und die Orgel solcher Kirchen anvertrauet ist, auch bey diesem Gottes Dienste meine Dienste leisten würde; Also habe ich hingegen gestern nicht ohne Chagrin sehen müßen, daß am verwichenen Freytage die Orgel-Schlüßel darumb von mir abgehohlet worden, daß ein anderer das Werck dabey spielen sollen. Wenn aber ich albereit in der Hochlöbl. Universitaet Diensten stehe, und mein Amt allemahl solchergestalt abgewartet, daß keine Klage über mich hat kommen können; Ich auch solchen Gottes Dienst Gelegenheit habe, indem ich, imfalle ich ja zuweilen in den andern Kirchen möchte auffgehalten werden, welches aber selten geschiehet, indem nach der Predigt nur kleine schwache Stücken musiciret werden, durch einen meiner auff der Orgel wohl exercirten Scholaren und Studenten, die mir alle mahl zur Music accompagniren, den Anfang zum Gottes Dienste machen laßen könte, biß ich selbst dazu köhme [so!]; Alß gelanget an Ew.Magnif. HochEdle und Hochgelahrte Herren mein unterdienstgehorsamstes Bitten, Sie geruhen hochgeneigt mir die Schlüßel zur Orgel wieder einzuhändigen, und mein Organisten Amt auch auff diesen Gottes Dienst zu extendiren. Hiedurch köhme ich bey denen Leuthen wieder aus dem Verdachte, alß wäre ich gar abgesezet worden, und ich hätte beßere Gelegenheit meine Sonntägliche Andacht fortzusezen, und meinen auff Orgeln erlangten habitum, welchen auch, sonder unzeitigen Ruhm, die Abwesenden aus meinen 4 Musicalischen Wercken, welche zur Übung desClavieres in Kupffer Stichen der Welt publiciret worden, gerne gehöret haben, zur Ehre Gottes weiter zu poussiren. Zu geschweigen, daß ich keine üble Consequenzen bey der Direction meiner Music zu befahren, sondern vielmehr aus der Communitaet einigen Zuwachß meiner Adjuvanten zu hoffen hätte. Ich erbiethe mich, solche Dienste umb das wenige, was einem andern möchte gegeben werden, oder auch, so zu reden, umb Nichts, sonderlich, wenn ich etwa bey Losung der Kirchen Stühle möchte mit bedacht werden, zu verrichten. Ich versehe mich Hochgeneigter Willfahrung, und verharre

Ew. Magnif. HochEdl. und Hochgelahrten

Herren

unterthäniger und schuldigster

Diener

Johann Kuhnau.

Leipzigk

den 1. Sept. 1710.


[860] An

Die Hochlöbliche Universität zu Leipzig

unterdienstliches Memorial.«8


D.


»Schuel zu St. Thomas Vol. IV. Stift. VIII. B. 2.« Fol. 185. (Rathsarchiv zu Leipzig).


Magnifici, HochEdle, Vest- und Hochgelahrte, auch Hochgeehrteste Herren, undPatrone!


Indem Ew. Magnif. HochEdle und Hochweise Herren, wie vor das Wohlseyn des gesammten gemeinen Wesens, also auch insonderheit unserer Schule zu St. Thomae höchstrühmliche Väterliche Sorge tragen, und zu dem Ende eine Verbeßerung der Schul-Ordnung im Wercke haben, wozu ich Gottes Gnade und Seegen wündsche; Dabey aber jedem unter uns Schul-Collegen die Freyheit gelaßen, etwas schrifftlich beizutragen, oder zu erinnern: So stelle auch ich mich hiermit gehorsamst ein.

Zuförderst lebe zu Ew. Magnif. HochEdl. und Hochw. Herren hohen Güte der gewißen Zuversicht, Sie werden nichts neues vornehmen, so der Music, oder mir in der Arbeit, und den wenigen Revenuen zum Praejudiz gereichen könne, sondern vielmehr alles, was zu jener Verbeßerung, und zum Beytrag meines Besten dienen könne, befördern.

Was die Music anbetrifft, so scheint es fast, und werden es vermuthlich die meisten Legata weisen, daß diese Schule umb ihrentwillen, wie hingegen die zu St. Nicolai wegen der andern Studiorum, meistens gestifft sey. Und ob zwar auch aus dieser Schule immer solche Leute gekommen, welche hernach Gott in der Republic, Kirchen und Schulen als gelehrte Leute dienen können; So sind doch darinne zu allen Zeiten fast mehr [861] Musici aufgewachßen, welche so wohl in Fürstlichen Capellen, als auch vornehmlich bey der Gott geheiligten Kirchen-Music beliebteMembra und Choragi worden. Wenn ich von denen, welche, Gott sey Danck, nur aus meiner Anführung gelaßen worden, viel Rühmens machen wolte, könte ich unter vielen andern, welche an unterschiedenen Orten als gute Musici Beförderung gefunden, 2 berühmte Capellmeister anführen. Einer ist unsers allergnädigsten Königs seiner, Hr. Heinichen9, der andere ist der zu Darmstadt, Graupner, welche aber in specie das Clavier und die Composition, und zwar der erste auch einige Zeit vor meinem Cantorat bey mir gelernet, dabey auf der Schule meine Notisten, so meineConcepte und Partituren mundiret, gewesen. Es wird aber bey uns die Music hauptsächlich zur Ehre Gottes in der Kirche, und der Stadt zur Devotion exerciret und angewendet, dabey man sich viel Seegen nicht nur in der Schule und Kirche, sondern auch der gantzen Republic immer hat versprechen können.

Da nun bey dem Gottes-Dienste die Alumni gebrauchet werden, und 2 Gottes-Häuser mehr worden, hingegen aber der Numerus Alumnorum geblieben, (wiewohl etliche Supernumerarii zu meines Antecessoris Zeiten gewesen, sind sie doch, seitdem Dessen Frau Wittbe die Schul-Speisung gehabt, wieder abgeschaffet worden,) und dahero zu Bestellung solcher heiligen Verrichtung nicht zu langen, sonderlich da ich (1) in meinem ersten Chore bey der heutiges Tages gewöhnlichen starcken Music von viel Sing-als Concert- und Capell-Stimmen, oder den so genannten Ripieno, und Instrumenten, als viel Violinen, Violen, Bässen, als Violonen, Violoncellen, Calichonen, Bassonen, wozu die wenigsten von den Kunst-Pfeiffern kommen, weil sie andere blasende Instrumenta, als Trompete, Posaune, Hautbois und dergleichen mehr immer zu tractiren haben: (2) Die Purganten, Calefactores, und Leichen-Famuli von allen Kirchen-Diensten befreyet sind: (3) immer etliche von Schülern verreiset oder kranck sind; (4) der Krätze zu geschweigen, die sie fast die gantze Zeit plaget, und sie nicht viel zu Kräfften, welche doch zum guten Singen (von Tractirung der Instrumenten will ich nichts gedencken,) nöthig sind, kommen läßet: (5) Die besten Sänger, und sonderlich die Discantisten, bey ihren vielen Singen, bey Leichen, Hochzeiten, in derCurrente, und andern Umgängen, sonderlich des Abends in der Neu Jahrszeit bey rauher und scharffer Luft nicht geschonet werden können, wo bey sie denn die Stimmen eher verliehren, alß sie den Habitum erlanget, ein ihnen vorgelegtes leichtes ConcertgenSecur und mit einigem Iudicio, oder der bey dem Kirchen-Stylo nöthigen Observanz der viel zu schaffen machenden Battuta, zu singen, (welches gewiß ein langes und großes Studium praesupponiret, maßen auch viel von virtuosen Sängern zu dergleichen Perfection nicht kommen, und nur die Sachen, wie etwa das Frauen-Zimmer die Oper-Arien [862] und Recitativ nach der Larve und meistens auswendig lernen.) Bey welcher Beschaffenheit denn, und da mit neuen Incipienten immer Sysiphus lapis moviret wird, auch nach beschehener Mutation der Discant-Stimme eine andere sich entweder gar langsam, oder auch wohl bey manchen gar nicht wieder finden will, auch das beste Kirchen-Stücke zu keiner guten Execution gebracht werden kan. Dahero wäre es wohl von nöthen, daß außer der fast nothwendigen Vermehrung der Zahl der Alumnorum auch, wie in Dreßden bey der Creutz-Kirche 2 sonderliche Discantisten, bloß zur Kirchen-Music gehalten, geschonet und wohl versorget werden, (davon ich selbst einer gewesen,) auch bey uns wo nicht dergleichen, weil wir auch in Fest-Tagen in beyden Kirchen musiciren, dennoch zum wenigsten ihrer 2 gehalten, und mit allen Umgängen und Currente-Singen verschonet würden. Zu deren einiger Versorgung könnten die 2 fl., die ich jährlich unter die Concertisten auszutheilen aus ieder Kirche bekomme, ohnmaßgeblich mit angewendet werden. Daß ich aber endlich auch auf dasjenige Exercitium Musicum komme, da sich 4 Cantoreyen zum Neu Jahrs-Singen praepariren müßen, so hat es freylich das Ansehen, als ob zu viel Zeit (immaßen immer von 4 Wochen geredet wird,) mit Hindansetzung derer anderen und nöthigeren Lectionen, hierzu angewendet würde. Allein, gleich wie ich mich nicht erinnere, daß man iemahls dergleichen Exercitium gantzer 4 Wochen vor dem Neu Jahres Feste angestellet hätte, sondern der Anfang darzu ist entweder den Montag nach dem 3ten Advent-Sonntage, wie heuer, oder wenn etwa das Weynachts-Fest gleich auf die ersten Tage der Woche gefallen, endlich auch nach dem andernAdvent-Sonntage gemachet worden; Also wendet man ja auch die iezt beniehmte [so] Zeit nicht gantz dazu an. Denn außer dem, daß denen Lectionibus, sonderlich aber meinen Stunden vor Mittage nichts abgehet, und die immer gehalten werden, so brauchet man nur hierzu fürnehmlich die Nach Mittages Stunden, davon aber ihrer viel eingehen, zum Exempel die Stunden des freyen Donnerstages und des zum Gottes-Dienst gewiedmeten Sonnabends, inngleichen die Stunden, so zu denen umb solche Zeit immer vorfallenden Leichen-Begängnissen gehören. Da aber nun zur Execution derer vielen Motetten, die mancher wohl exercirte Studiosus nicht treffen wird, kleinen Vocal-Concerten, und andern feinen Arien, derer von Zeiten zu Zeiten in ihren Büchern oder so genannten Stimmen immer mehr und mehr colligiret und unter den Bürgern beliebt worden, ja da auch bloß zu denen manierlich klingenden teutschen Liedern (dabey denn, wenn denen einmahl verwehnten Leuten hierinne keine Satisfaction geschiehet, das sonsten davon einkommende Geld großen Theils zurücke bleibet) eine fleißige Übung obgedachter maßen gehöret; So sehe ich nicht wie die dazu bestimmte wenige Zeit, die doch auch eben, wie die zu andern Lectionibus, nicht übel anwendet wird, genauer könte eingeschrenket seyn.

Was nun meine Arbeit und Inspection anbetrifft, so habe ich verhoffentlich mit Gottes Hülffe solche iederzeit also abgewartet, daß nichts wieder mich sonderlich zu erinnern wird gewesen seyn. Ja ich habe[863] auch, so viel mir immer möglich gewesen, die Sonntags-Communion, wie es die alte Schul-Ordnung erfodern wollen, mit abgewartet, obgleich zu meines Antecessoris Zeiten, da sich die Communicanten immer gemehret, solches in Desvetudinem gekommen, weil es vor Leute, wenn sie sonderlich schwacher Leibes-Constitution sind, im Winter, ja auch im Sommer, da es bey gröster Hitze in Kirchen-Gebäuden kalt ist, fast unmöglich ist, so viel Zeit, nehmlich von Anfange des Gottes-Dienstes vor 7 Uhr, da ich gleich mit meinen Schülern und Adjuvanten zugegen bin, auch seyn muß, und also alle Sonntage 4 Stunden vor Mit tages, und auch die zur Vesper nöthige Zeit auszudauren. Die Schüler haben noch ein Kohl-Feuer in derNicolas-Kirche, und in der Thomas-Kirche gehen sie heraus, und lesen die Predigt, dabey der Hr. Rector meistentheils zugegen ist. Unser einer aber kan dergleichen nicht haben auch nicht wohl vertragen. So ist auch unter der Communion der Chorus nicht beysammen, maßen ihrer viel davon zum Büchßen tragen, und andern zum Eßen nöthigen Verrichtungen heraus gehen, auch nicht nöthig sind. Denn es ist allezeit beßer befunden worden, daß weil die Communicanten sich meistens dem Altar nähern, und also von dem Schüler-Chore weit entfernet sind, der Praefectus nur alleine die Lieder und Verse angefangen und mitgesungen, dabey aber fein auf das Volck Achtung gegeben, als wenn die andern Schüler auch starck mit und sich vollends heiser gesungen, dabey den Praefectum in seiner Attention auf das Volck nur gehindert, und also Confusion gemachet. Da nun sonderlich die Praefecti bey ihren Ammte viel genung zuverrichten und zu observiren haben, wolte ich fast bitten, daß sie bey ihren wenigen Einkünfften gelaßen würden. Die Praefecti haben ja auf allen Schulen eine gute Ergötzlichkeit vor ihre Arbeit, welches ich selbst erfahren, der ich zwar nur Adjunctus auf der Dreßdenischen Creutz-Schule, und dergleichen auf dem Zittauischen Gymnasio gewesen, wie wohl ich auch in Zittau bey dem damahligen (daß ich es so nennen mag) interregno Chori Musici (denn es war der Cantor, und Organist, als der Director Chori, gestorben)Vicarius gewesen, und das von denen Herrn Patronen mir davon gereichte Salarium nebenst denen Accidentibus noch mit hieher auf die Universitaet gebracht habe. Diesem nach wäre vor die Conservation desLucelli unserer Praefectorum zu bitten, daß sie in der Observanz ihres Ammts nicht verdroßen würden. Jedoch gleichwie ich solches alles Ew. Magnif. HochEdlen und Hochweisen Herren hohen Gefallen überlaße, also habe ich vielmehr Ursache umb Ihre Väterliche Sorge vor mein eigenes Interesse so wohl, als vor der gantzen Schule, zu bitten: Alldieweil mein Salarium fixum sehr schlecht ist, und in 100 fl. bestehet, womit sonderlich ein Musicus, wie ich, der immer von seinen Kunst-Verwannten Zuspruch hat, auch denen Studiosis, so mit zu Chore gehen, manche Ergötzlichkeit machen muß, über dieses auch bey seinem starken Hauß-Wesen, wenig Sprünge machen kan, die Accidentia aber, so das Kraut machen sollen, bey denen heutigen Beysetzungen und Hochzeiten sich sehr verschmählern. Denn zu Anfange meinesCantorats habe ich vor die bey öffentlichen Leichen-Begängnißen sonderlich begehrte neue Composition[864] einiger Moteten und Arien, noch etwas bekommen; ietzo aber bey denen Beysetzungen entgehet mir nicht nur das beste Accidens von vielen großen halben Schulen (denn öffentllich schämeten sich die Leute der kleinen Schulen) sondern auch von besagter neuen Composition, und wird an mich, obgleich die Leute noch eines und das andere von sonderlichen Liedern begehren, wegen der offtmahls gehabten Mühe, da sie in 4 Stimmen gesetzet und abgeschrieben werden müßen, nicht einmahl gedacht. Bey großen Braut Meßen wird mir zwar zuweilen von Liebhabern derMusic auf obgedachte Art ein Accidens gegönnet, doch aber wird mir und der Schule auch das gewöhnliche bey vielen ohne Gesang und Klang, oder sonsten auf dem Lande nach erhaltenen genädigsten Befehl angestellten vornehmen Trauungen gar sehr offt entzogen. So hat auch, ungeachtet ich es bey denen Herren Pastoribus Vielmahl erinnert, die Gewohnheit einreißen wollen, daß Sonntags nach der Vesper, nehmlich umb 4 oder 5 Uhr und hernach, welche Vesper-Zeit, wie in der Woche, also auch des Sonntags bloß zu gantzen BrautMeßen bestimmet ist, (gestalt auch bey meines Antecessoris und meines Organisten Ammtes Zeiten stets darüber gehalten worden) die Verlobten ohne Unterscheid, ob sie vornehme oder geringe, mit halben BrautMeßen, oder auch wohl gar in der Stille zur Trauung gelaßen werden. Diesem nach, und da mir hierdurch mein Accidens entgehet, indem ich von halben Braut-Meßen gar nichts bekomme, denen Schülern auch das von großen Braut-Meßen ihnen zukommende zurücke bleibet; So bitte ich innständigst und gehorsamst, die alte löbliche Verordnung wegen der auf die Vesper-Zeit gelegten gantzen Braut-Meßen wieder in Schwang zu bringen, und denen itzigen Herren Pastoribus, im Fall sie sich der vorigen Observanz in diesem Stücke nicht erinnern möchten, zu intimiren.

Im übrigen repetire ich priora, überlaße alles derer HochEdlen Herren Patronen reiffer Überlegung und Väterlichen Vorsorge, wündsche dabey ein geseegnetes Regiment, und verharre

Ew. Magnif. HochEdlen, und

Hochweisen Herren

unterthäniger und gehorsamster

Johann Kuhnau,

Cantor an der Schule zu

St. Thomae. mp.10

Leipzig d. 18. Decembr:

Anno 1717.


[865] E.


»Project, welcher Gestalt die Kirchen Music zu Leipzig könne verbeßert werden.


[Befindet sich jetzt auf der Stadt-Bibliothek zu Leipzig. Auszugsweise abgedruckt in der Neuen Zeitschrift für Musik. Bd. 7, Nr. 37 und 38.]


Die weil dergleichen junge Leüte, welche bißher die Music in der Neüen Kirche dirigiret, von dem wahren Kirchen Stylo, wozu gar ein sonderliches und langes studium gehöret, nicht viel wissen können, und alles ihr Werck auff eine so genandte Cantaten Art hinaus läuffet;11 So wäre es beßer, (ja es wird auch in dem Corpore Juris Saxonici, und zwar in der Schul Ordnung Part. 4. Von der Election und dem Examine, oder Amt der Schul Diener pag. m. 296. Deßgleichen sollen die Cantores,12 aus drücklich verbothen,) daß solcher Incipienten, und folgentlich der heütigen jungen Operisten ihre doch nur in fleischlicher Absicht verfertigten Dinge nicht in die Kirche gebracht, und der heilige Gottes Dienst dadurch prophaniret, sondern anderer in dem Pathetischen oder Zur Andacht bewegenden Kirchen Stylo geübter und bloß auff die Ehre Gottes Zielenden Componisten Wercke von ihnen angeschaffet und gebührender maßen musiciret würden:

Die weil auch sonderlich in Festtagen unsermChoro durch die bißherige Music in der Neüen Kirche die meisten Studiosi entzogen worden, welche doch aus vielen Ursachen, fürnehmlich, weil fast die meisten aus der Thomas Schule, und meiner Information kommen, zur Dankbarkeit uns helffen solten, es freylich lieber mit der lustigen Music in der Opera, und denen Caffée Häusern, alß mit unserm Choro halten werden, und daher, obgleich auch noch unterschiedene bey uns bleiben, dennoch auff beydenChören die Music an ein und anderer Person, welche sich zur Execution eines Stückes in specie wohl schicket, Mangel leyden muß:

Die weil ferner das OrgelWerck in der Neüen Kirche bißher, so zu reden, in die Rappuse herumbgegangen, in dem der Director entweder nicht selbst spielen können, oder, wenn er ja was gekont, dennoch, wie die Operisten pflegen, bald zu dieser, bald zu jener Lust verreiset gewesen, und dahero immer andere ungewaschene Hände darüber gerathen, welche, [866] wenn sie dem entstandenen Heülen, oder andern durch die Veränderung des Wetters verursachten Zufällen abhelffen wollen, dasselbe immer mehr verderbet;

So wäre es beßer, wenn das Werck einem gewissen und beständigen Organisten, und die Direction derMusic zu gleich unserm Choro mit übergeben würde. Auff solche Art würde das wilde Opern Wesen verhütet, und eine devote Kirchen Music, welche ihre besondere Schönheit, Kunst, und Anmuth haben muß, eingeführet.13

Die weil die Music am angenehmsten, wenn sie nicht zu offte gehöret wird, und in vielen großen Städten, zum Exempel in Hamburg, der Cantor nur in einer Kirche des Sontages musiciret, und bey so vielen Kirchen, alß daselbst sind, späte herumb komt; So könte bey uns auch, nach dem in denen beyden Haupt Kirchen die Music gewesen, solche den dritten Sontag in die Neüe, alß die dritte Haupt Kirche der Stadt gebracht, und inzwischen die Music daselbst, wie in der Peters Kirche, eingestellet werden.

Da aber diese Einstellung der Music in denen Feyertagen in der Neüen Kirche, samt deren Alternation bedenklich seyn möchte, kan nichts desto weniger dieMusic daselbst durch unsern Chor wohl bestellet werden, in dem ich also in dem freyen Gebrauche dererStudiosorum, welche zu gleich mit denen in der Neüen Kirche befindlichen Thomas Schülern, die ich zu jeder Music wie sie dazu nöthig, erlesen kan, nicht gehindert werde.

Einen beständigen Organisten kan man sich auch von denen Studiosis versprechen, welche bey ihrerMusic ihr Haupt studium fort sezen, und practiciren, oder sonsten einen Dienst verwalten können.14

[867] Die weil auch endlich in dem Falle, wenn nicht die bloße Alternation, sondern zu gleich, wie in denen beyden Haupt Kirchen, die Fest Tages Music in der Neüen Kirche möchte gefällig seyn, wären von des Organistens Salario 10 biß 15 fl. zu Bestreitung der Unkosten und Mühe, welche zu Anschaffung der Musicalien, des Pappieres, zu denen Copialien, und dergleichen erfordert werden, mir leichte zu zu wenden.

Die Volontaires unsers Chori könten auch, wie alle dergleichen Adjuvanten in unsern Chur Fürstlichen und andern Landen eine Ergözligkeit haben, wenn der Klingel Beütel, wie an besagten Orten allen, vomChoro bliebe, und dagegen etwas zu dem so genanten Cantorey Essen, darüber Räthe und Geistliche in Städten halten, oder einer andern ihnen gefälligen Vergnügung colligiret würde. Dieses, weil es auff die Beförderung der Kirchen Music und der Ehre Gottes zielet, wäre ja eben und vielleicht noch eher einecausa pia, alß wenn das Geld auff Bettel Leüte, die dergleichen Gutes nicht praestiren gewendet wird.

Solte es aber mit der Music der Neüen Kirche im vorigen Stande bleiben so wäre zum wenigsten auff ein Mittel zu dencken, wie diejenigen Studiosi, so von unsrer Thomas Schule kommen, dahin zu bringen, daß sie, wie es gleichwohl etliche andere und fremde thun, zur Danckbarkeit gegen unsern Chorum es beständig mit uns halten und allda ihre Kunst, wo sie solche mit Gottes Hülffe gelernet, anwendeten.

Dieses ist also mein unvorgreifflicher Vorschlag wegen der Verbeßerung unsrer Kirchen Music, welchen ich aber einer reifferen Überlegung derer HochEdlen Herren Patronen lediglich überlaße.

Leipzig den 29sten Maji 1720.

Johann Kuhnau

Cant. mpp.«

Quelle:
Spitta, Philipp: Johann Sebastian Bach. Band 2, Leipzig: Breitkopf & Härtel 1880., S. 853-868.
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