X.

Es ist eine überreiche Ernte, welche während der Jahre 1723–1734 auf dem Felde der Kirchenmusik von dem Genius Bachs gezeitigt wurde. Sie legt das beredteste und verläßlichste Zeugniß dafür ab, wie ganz sich Bach in seinem Elemente fühlte. Daß er grade in den reifsten Mannesjahren auf den Posten des Thomascantors gelangte, muß man demnach nicht weniger als eine glückliche Fügung bezeichnen, als ihm seine Berufungen nach Weimar und Cöthen für die erste freie Entfaltung und beschauliche Vertiefung seines Wesens auf das zweckmäßigste zu statten kamen. Gegenüber den Ergebnissen dieses elfjährigen Leipziger Wirkens geht die Bedeutung der Unzulänglichkeiten und Widerwärtigkeiten, welche sein Amt im Gefolge hatte, von selbst auf ihr richtiges bescheidenes Maß zurück. Bach schätzte auch wirklich seine Lage als eine günstige und fühlte sich wie wir gleich sehen werden sogar aufgelegt das Lob Leipzigs zu singen. Der Schritt ins Ungewisse, den er in des Höchsten Namen gewagt hatte1, war, ob es ihm auch zu Zeiten anders schien, dennoch geglückt. Für die Darstellung seines Lebens und Schaffens muß es geboten erscheinen, in dieser Periode Bachs Thätigkeit für die Kirchenmusik als die alles übrige zurückdrängende Macht in ganzer Breite zur Geltung zu bringen, nur so kann sich Licht und Schatten auf der Bahn seiner Entwicklung richtig vertheilen. Deshalb soll auf die zahlreichen nebenher entstandenen Instrumentalcompositionen hier nicht eingegangen werden. Ihre Betrachtung wird am Schlusse des Ganzen die passendere Stelle finden, um so mehr als Bach bis zu seinem Ende nicht aufhörte, grade in dieser Beziehung hochbedeutendes zu produciren. Anders liegt die Sache mit den Gelegenheitscompositionen für Gesang und Instrumente. Die größere Zahl derselben fällt ebenfalls in die frühere Leipziger Zeit; sie hängen außerdem zum Theil mit [443] den Kirchencompositionen so eng zusammen, daß schon deshalb eine Beleuchtung derselben an diesem Orte gefordert wäre.

Die Gelegenheitscompositionen, welche bestimmt waren ein einmaliges wichtiges Ereigniß im Leben einer einzelnen Person oder irgend einer öffentlichen Anstalt feierlich zu begehen, sind geistliche und weltliche. Zu jenen gehören demnach auch die Trauungsmusiken »Dem Gerechten muß das Licht immer wieder aufgehen« und »Herr Gott, Beherrscher aller Dinge«, die Trauercantate auf den Herrn von Ponickau »Ich lasse dich nicht« (1727), die Begräbniß-Motette für den Rector Ernesti »Der Geist hilft unsrer Schwachheit auf« (1729) und die Störmthaler Orgelweih-Cantate (1723), wogegen die jährlich wiederkehrenden Rathswahlmusiken und die auf besondere kirchliche Feste geschriebenen Compositionen, welche man in gewissem Sinne ja auch Gelegenheits-Cantaten nennen könnte, hier nicht mit einbegriffen sein sollen. Von den angeführten Werken ist früher schon die Rede gewesen, weil sie theils auf Rathswahl-Cantaten zurückzuführen, theils zugleich in ihrem ganzen Umfange zum kirchlichen Gebrauch verwendet worden sind.2

Wir wissen, daß auch ein Theil der Marcus-Passion nur Übertragung einer Gelegenheitsmusik ist.3 Die Passion als solche existirt nicht mehr, aber die benutzte Composition hat sich vollständig erhalten als Trauermusik auf den Tod der Königin-Churfürstin Christiane Eberhardine. Schon aus diesem Grunde müßte sie für sich gewürdigt werden. Sie verdient solches aber auch deshalb, weil sie ihren eignen kirchenpolitischen Hintergrund hat. Christiane Eberhardine, aus dem markgräflichen Hause von Brandenburg-Bayreuth, war mit Friedrich August seit 1693 vermählt. Als ihr Gemahl 1697 sich auf den polnischen Königsthron gesetzt und den katholischen Glauben angenommen hatte, war sie der evangelischen Kirche treu geblieben. Sie trug kein Verlangen nach Ehren, die sie um den Preis ihrer Religion hätte erkaufen müssen; wenn sie sich auch nicht dauernd weigern konnte, den Titel einer Königin zu führen, so hat ihr Fuß doch nie das polnische Reich betreten. Schon vorher ihrem Gemahl durch dessen Verhältniß mit der Gräfin Königsmark [444] entfremdet, trennte sich jetzt völlig von ihm und lebte still zu Pretzsch bei Wittenberg. Es blieb ihr nicht erspart, auch den Thronfolger, ihren Sohn, dessen erste Erziehung sie geleitet hatte, 1717 von dem Glauben seiner Väter abtrünnig werden zu sehen. Eine wie lebendige Herzenssache und festgegründete Überzeugung aber ihr die protestantische Lehre war, das bewies sie bei dieser Gelegenheit von neuem durch einen Brief, in welchem die bibelkundige Frau die Irrthümer der katholischen Lehre nachzuweisen sucht, und den Sohn »um seiner eignen armen Seele und um seiner armen Mutter willen, die er sonst mit Herzeleid in die Grube bringen werde, beschwört, sich wieder zu der evangelischen Wahrheit zu kehren«.4 Durch den Übertritt zum Katholicismus verloren die sächsischen Churfürsten die führende Stellung, welche sie seit der Reformation im protestantischen Deutschland eingenommen hatten, und die nun mehr und mehr an Preußen überging. Bedenklicher war für den Augenblick die in die Bevölkerung hineingetragene religiöse Aufregung. Zwar gab der Fürst mehrfach beruhigende Versicherungen, daß sein Religionswechsel eine rein persönliche Angelegenheit sei und im Lande alles beim Alten bleiben werde, er bemühte sich auch nach Kräften diese Versicherungen wahr zu machen. Aber das sächsische Volk war zu eifrig protestantisch, als daß es nicht argwöhnisch jede Bewegung beobachtet hätte, welche das Eindringen des Katholicismus zu begünstigen oder auch nur zu gestatten schien. Auf dem Landtage des Jahres 1718 kam es zu sehr nachdrücklichen, ja heftigen Anklagen und Forderungen seitens der sächsischen Stände.5 Glaubenseifrige protestantische Prediger thaten das ihrige, die Aufregung und den Haß zu schüren. Die im Jahre 1702 erhobenen Bedenken des Leipziger Raths wegen der lateinischen Bestandtheile des dortigen Cultus, die ihn dem katholischen allzu ähnlich machten6, erscheinen unter diesen Vorgängen in einem besonderen Lichte. Ein Jahr vor dem Tode der Königin hatte der religiöse Fanatismus sogar zu Mord und [445] Aufruhr geführt. Der Archidiaconus an der Kreuzkirche zu Dresden, Magister Joachim Hahn, wurde am 21. Mai 1726 durch einen von ihm zum Lutherthum bekehrten Katholiken, der nachher über sein Seelenheil in Unruhe gerieth, erstochen. Die That rief einen ungeheuren Tumult hervor, welcher das nachdrücklichste Auftreten der bewaffneten Macht erforderte.7 In diesen Verhältnissen war es natürlich, daß die sächsische Bevölkerung mit der Empfindung besonderer Ehrfurcht und Liebe auf die standhafte königliche Dulderin blickte, und von ihrem plötzlichen Hinscheiden tief schmerzlich bewegt wurde. Die angeordnete allgemeine Landestrauer dauerte vom 7. Sept. bis zum 6. Januar.8 Am 17. October ehrte die Stadt Leipzig die edle Verstorbene durch eine großartige öffentliche Trauerfeierlichkeit; die Stille, mit welcher man sechs Jahre später die Trauerzeit für das Ableben des Königs vorübergehen ließ, erscheint ihr gegenüber beredt genug. Als im Jahre 1697 nach der polnischen Königswahl ein Te deum in den sächsischen Kirchen angeordnet worden war, hatten die Gemeinden nach demselben mit unzweideutiger Demonstration Luthersche und andre protestantische Kraftlieder angestimmt.9 Mit einem kirchlich protestirenden Accent wurde auch jetzt die Trauerfeierlichkeit für die Königin, welche ihrem Glauben treu geblieben war, ausgeführt. Das von Bach componirte Gedicht umgeht zwar vorsichtig alles andre, woran der König etwa Anstoß nehmen konnte, aber die Königin, »das Vorbild großer Frauen« als die »Glaubenspflegerin« zu preisen, läßt es sich doch nicht nehmen.

Ein eigentlich kirchliches Gepräge trug die Feier nicht: sie war nach Art der akademischen Redeacte eingerichtet und fand in der Universitätskirche statt, wie sie denn überhaupt auch von der Universität ausging.10 Bei solchen Gelegenheiten pflegten nicht Cantatentexte in der modernen madrigalischen Form, sondern lateinische Oden componirt zu werden. Zur Geburtstagsfeier des Herzogs Friedrich von Gotha hatte auch Bach 1723 schon eine lateinische [446] Ode gesetzt.11 Die allgemeine Theilnahme, auf welche bei der Trauerfeierlichkeit gerechnet werden konnte, mußte diesesmal den Gebrauch der deutschen Sprache passend erscheinen lassen. Gottsched, welcher seit einigen Jahren an der Universität Vorlesungen hielt und Senior der Deutschen Gesellschaft war, verfaßte die Ode; man kann derselben zwar nicht großen Schwung und Gedankenreichthum, aber doch eine würdige Haltung und correcte Sprache nachrühmen.12 In der Composition zerfiel sie in zwei Theile, von denen der erste vor, der andre nach der Trauerrede gesungen wurde. Die Rede hielt Hans Carl von Kirchbach, »des Königlichen und Churfürstlichen Oberberggerichts zu Freyberg Assessor«.

Bach vollendete die Composition erst am 15. October, also nur zwei Tage vor dem Traueractus. Da doch auch die Stimmen ausgeschrieben werden mußten, so sieht man an diesem Falle, mit wie wenigen Vorbereitungen derartige musikalische Aufführungen vor sich gingen.13 Er hat dem Werk Cantatenform gegeben, indem er die Textstrophen zu Chören, Recitativen und Arien geschickt zerlegte. Es scheint dies für derartige Zwecke eine Neuerung gewesen zu sein, da ein Berichterstatter eigens erwähnt, die Ode sei »nach italienischer Art« componirt gewesen. Die italiänische Art trat auch in der Benutzung des Clavicembalo hervor, welches Bach selbst spielte, und womit er, wie es in der italiänischen Oper geschah, die Recitative und Arien begleitet haben wird; die Orgel hat dann wohl[447] nur bei den Chören mitgewirkt. Die Mittelstellung, welche das Werk zwischen kirchlicher und weltlicher Musik einnahm, indem es sich jeder Bezugnahme auf Gott und jeder Benutzung des Chorals enthält, durchweg nur eine Menschenpersönlichkeit feiert, aber doch im Kirchenraum zu Gehör gebracht wurde, erhält hierdurch unmusikalisches Merkzeichen14. Die verstorbene Königin hatte Musik sehr geliebt. Der anspachische Capellmeister Bümler war von 1723–1725 in ihrem Dienste gewesen, auch beschied sie zur Sommerzeit oftmals Mitglieder der Dresdener Capelle zu sich.15 Dies mag den Componisten noch besonders angeregt haben. Die Musik der Trauerode reiht sich dem vorzüglichsten an, was Bach gemacht hat. In den breitathmigen Zügen des ersten Chors, welcher durch die Verwendung von Gamben und Lauten eine volle aber umflorte Farbe erhält, spricht sich eine dem Schlußchore der Matthäuspassion verwandte Empfindung aus. Nur herrscht im Chor der Trauerode, eben weil er ein Eingangschor ist, noch eine stärkere schmerzliche Erregtheit. Sie redet mit geschärften Accenten auch aus dem zweiten Recitativ, welches die Instrumente mit Glockenklängen begleiten: die hohe Flöte beginnt, dann schließen sich nach der Tiefe zu immer mehr Instrumente in verschiedenartigen Tonfiguren an, zuletzt auch in langsamen Pulsen der Bass, in eigenthümlich schaurigen Modulationen fluthet dieses Klangmeer weiter, bis es allgemach verhallt. Das bescheidenere Vorbild hierfür findet sich in der weimarischen Cantate »Komm du süße Todesstunde«, bei Gelegenheit deren auch über die ästhetische Berechtigung dieser Malerei gesprochen ist16. Im weiteren Verlauf der Trauerode wird die Empfindung immer gefaßter, die Chöre namentlich werden schlichter und ruhiger, der letzte ist gar ganz einfach liedhaft. Was hier der Dichter prophezeit:


Doch Königin du stirbest nicht,

Man weiß, was man an dir besessen,

Die Nachwelt wird dich nicht vergessen,


hat sich, obzwar in etwas andrer Weise, als dort gemeint ist, erfüllt. Bachs Kunst ist es, die dem Bilde der frommen Königin Unsterblichkeit verliehen hat. Ich glaube, daß ihr das Vorrecht, in dieser [448] Verklärung in der Geschichte fortzuleben, nicht dadurch verkümmert werden sollte, daß man die Trauerode seit sie wieder bekannt geworden ist mit einem modernen, allgemein religiösen Texte singt. Ästhetisch wäre freilich dagegen nichts einzuwenden und Bach hat ja selbst sein Werk mit anderem Texte für einen kirchlichen Zweck benutzt. Der scharfe Tadel, durch welchen eine spätere verständnißlose Zeit wegen eines ähnlichen Verfahrens mit Händels Trauerhymne auf die Königin Caroline gerechtermaßen getroffen worden ist, würde hier nicht angebracht sein.17 Händels Musik ist in ihrer ganzen Herrlichkeit und Tiefe nur von dem zu begreifen, der sich bewußt bleibt, daß sie der frommen Erinnerung an einen geschiedenen edlen Menschen geweiht ist. An Stelle dieser frei menschlichen Empfindung steht bei Bach auch hier die enger begränzte kirchliche, seine Musik redet ja immer dieselbe Sprache. Aber die glaubenstreue Protestantin, welche Bach zu einem solchen Meisterwerk begeisterte, dürfte doch auch wohl den nachlebenden Generationen einer Stunde der Erinnerung würdig erscheinen. –

Eine zweite, noch viel umfangreichere, Trauermusik verfaßte Bach nur ein gutes Jahr später zu Ehren des Fürsten Leopold von Anhalt-Cöthen. Mit diesem kunstverständigen Gönner war Bach, auch nachdem er seinen Hof verlassen hatte, in fortdauerndem Verkehr geblieben. Schon der ihm erhaltene Titel eines fürstlich cöthenischen Capellmeisters verpflichtete ihn zu gewissen Ehrendiensten. So componirte er denn für den 30. November 1726, den Geburtstag der Fürstin, eine Cantate; ihrem Erstgebornen, dem Erbprinzen Emanuel Ludwig (geb. 12. September 1726) legte er die eben im Stich erschienene erste Partita seiner »Clavierübung« in einem eigenhändig geschriebenen Exemplare in die Wiege, und fügte demselben ein selbstverfaßtes Widmungsgedicht vor, das sein Verhältniß zu dem Fürstenhause als ein fast freundschaftlich gemüthliches erscheinen läßt. Im Mai 1727, zur Zeit der Jubilate-Messe, war der Fürst Leopold in Leipzig und hörte hier [449] die Festmusik, welche Bach am 12. Mai zu Ehren des anwesenden Königs aufführte.18 Es scheint das letzte Mal gewesen zu sein, daß sie einander gesehen haben. Der Tod des Fürsten erfolgte schnell und unvermuthet am 19. November 1728. Die Trauerfeierlichkeit, zu welcher Bach seine Composition in Cöthen selbst aufführte, fand erst im folgenden Jahre statt, das genauere Datum wissen wir nicht. Es ist neuerdings sehr wahrscheinlich gemacht worden, daß dieses einstweilen verschollene Tonwerk größtentheils aus Stücken der eben damals componirten Matthäus-Passion zusammengesetzt wurde. Hier läge demnach ein ähnliches Verhältniß vor, wie zwischen der Trauerode von 1727 und der Marcus-Passion, nur daß diesesmal das kirchliche Werk jedenfalls das ältere war.19

Übergehend zu der beträchtlich größeren Anzahl weltlicher Gelegenheits-Cantaten habe ich zunächst ein Werk nachträglich zu erwähnen, welches noch in die Cöthener Zeit gehört, aber erst kürzlich wieder zu Tage gekommen ist.20 Da Titel und Anfang verloren gegangen sind, läßt sich die Bestimmung nur vermuthen. Soviel sieht man klar, daß es sich darin um eine Verherrlichung des gesammten anhalt-cöthenischen Fürstenhauses handelt. Möglich, daß Bach die umfangreiche Cantate, welche allem Anscheine nach vor Ablauf des Jahres 1721 geschrieben ist, dem verehrten Hause zum Jahreswechsel widmete und auch den Text, welcher an Gehalt [450] und Form viel zu wünschen übrig läßt, selbst verfaßt hat. Die Worte des letzten Recitativs:


Ja sei durch mich dem theursten Leopold

Zu vieler tausend Wohl und Lust,

Die unter seiner Gnade wohnen,

Bis in ein graues Alter hold.

Erquicke seine Götterbrust.

Laß den Durchlauchtigsten Personen,

Die du zu deinem Ruhm ersehn,

Auf die bisher dein Gnadenlicht geschienen,

Nur im vollkomnen Wohlergehn

Die schönste Zeit noch viele Jahre dienen.

Erneure Herr bei jeder Jahreszeit

An ihnen deine Gut und Treu.


drücken die Bestimmung der Cantate am deutlichsten aus. Die feine und gedankenreiche Composition, in welcher ein Duett zwischen Alt und Tenor (Es dur 10.) durch besondere Schönheit hervorragt, ist durchweg für Sologesang bestimmt, selbst der vierstimmige Schlußgesang nur für einfache Besetzung berechnet. Hierin kommt die Cantate also mit der Geburtstags-Serenade »Durchlauchtger Leopold« überein21 und beweist abermals, daß Bach in Cöthen einen brauchbaren Chor nicht zur Verfügung hatte. Wie jene zu einer Pfingst-Cantate, so hat er diese später in Leipzig zu einer Musik auf den dritten Ostertag (»Ein Herz, das seinen Jesum lebend weiß«) umgestaltet, ohne jedoch alle Stücke derselben zu benutzen.22 Ich muß hier nochmals darauf hinweisen, daß auch die oben erwähnte Cantate »Steigt freudig in die Luft«, welche Bach für den ersten in Cöthen gefeierten Geburtstag der zweiten Gemahlin Fürst Leopolds componirte, später zu andern Zwecken mehrfach überarbeitet ist.23 Die erste Überarbeitung diente der Geburtsfeier eines Lehrers, vielleicht Gesners;24 die zweite machte das Werk zu einer [451] Kirchencantate auf den ersten Adventsonntag25. In Leipzig lebte ein Rechtsgelehrter, Johann Florens Rivinus (geb. 28. Juli 1681), der am 9 Juni 1723 zum Professor ordinarius der Universität befördert war. Er muß sich schon damals einer besondern Beliebtheit erfreut haben, denn am Abend dieses Tages brachten ihm die Studenten eine solenne Serenade.26 Mindestens zehn Jahre später warteten ihm die Studenten gelegentlich seines Geburtstages wieder mit einer Musik auf; hierzu erlitt die cöthenische Cantate ihre dritte Überarbeitung und wurde in ihrem ursprünglich weltlichen Charakter wieder hergestellt.27 Bach scheint demnach das zwar angenehme aber nicht grade bedeutende Werk besonders lieb gehabt zu haben, vielleicht weil sich freundliche Erinnerungen daran knüpften. –

Die weltlichen Gelegenheits-Cantaten Bachs gehören fast alle in das Gebiet der dramatischen Kammermusik. Es liegt ihnen also eine Handlung zu Grunde, die sich zwischen einer Anzahl von selbstredend auftretenden Persönlichkeiten entwickelt, oder doch eine Situation, welche sich durch die Reden verschiedener Persönlichkeiten exponirt. Während im allgemeinen die gesungene Kammermusik in der Mitte zwischen kirchlicher und theatralischer Tonkunst stehen soll, neigt sich diese Art derselben stärker der Oper zu. Natürlich hatten solche Stücke eine viel geringere Ausdehnung und glichen mehr nur dem letzten Aufzug einer Oper. Die Stoffe und Persönlichkeiten wurden ebenfalls gern der antiken Mythologie entnommen, wenngleich meist nur allegorisch ausgebeutet. Dramatische und Situations-Charakteristik wurden in demselben Maße wie bei einem Bühnenwerke verlangt; es fehlten nur Costumirung, Action [452] und Scene. Und selbst letztere nicht ganz. Daraus daß man diese Compositionen noch zur Kammermusik rechnete, folgte nicht, daß man sie auch immer nur im Musikzimmer aufführte. Es bezeichnet einen wesentlichen Unterschied zwischen der Musikübung unserer und jener Zeit, daß hinsichtlich der Aufführungsorte eine viel größere Freiheit und Mannigfaltigkeit bestand. Durch viel zahlreichere Fäden hing damals die Musik mit dem gesellschaftlichen Leben zusammen. Während jetzt fast alle außerhalb des Hauses geübte Musik, soweit sie nicht kirchliche und theatralische ist, sich im Concertsaal zusammendrängt und zum Anhören derselben sich das Publicum wie zu einem besondern Geschäft versammelt, wählte man sich damals auch die Straße, den Garten, den Lustwald, selbst den See oder Fluß, jenachdem das aufzuführende Tonstück einer Huldigung, einer Hochzeit, einem Geburtstage, einem Jagdvergnügen oder irgend einer andern Lustbarkeit galt. Handelte es sich nun um ein dramatisches Gesangswerk, so wurde der Ort der Aufführung gleichsam als Scene gedacht und die Beschaffenheit der Handlung mußte ihm angemessen sein. Nur ausnahmsweise kam es vor, daß bei solchen Musiken im Costum agirt wurde. Zur richtigen Beurtheilung des Charakters und der Wirkung auch der Bachschen dramatischen Cantaten ist es nothwendig, diese Art der Aufführung stets zu berücksichtigen. Sie brachte die für uns befremdliche Verwendung nicht nur des vollen Chors sondern selbst des recitativ- und arienmäßigen Sologesanges mit Instrumenten und Clavier im Freien mit sich. Die übliche schwache, oft nur einfache Besetzung der Singstimmen und Instrumente konnte natürlich jenen weittragenden Vollklang nicht erzielen, der für einen unbegränzten Raum unter freiem Himmel angemessen erscheint; man richtete sich gewissermaßen auch in Gottes Natur häuslich ein. Dennoch war der gewiegte Componist immer bedacht, die klangliche Erscheinung seines Werkes nach dem Orte der Aufführung zu berechnen, und gewisse Auffälligkeiten der betreffenden Bachschen Cantaten lassen sich zuverlässig auf diese Rücksicht zurückführen.28

[453] Abgesehen hiervon unterlagen die dramatischen Cantaten schon deshalb weil sie zur Gattung der Kammermusik gehörten der Anwendung gewisser Stilregeln. Ihrer Mittelstellung gemäß sollten sie die Gediegenheit des kirchlichen und die leichte Gefälligkeit des theatralischen Stiles in sich vereinigen. Sie zeigen uns den musikalischen Grund und Boden, über welchem das Händelsche Oratorium sich erhob: der Zusammenhang desselben mit der dramatischen Kammer-Cantate verräth sich auch äußerlich dadurch, daß Händel sein Oratorium Acis und Galatea noch auf einer wenngleich künstlichen, so doch passend ausgeschmückten Scene zur Aufführung brachte.29 Aber freilich: Händel verkörperte den Vollgehalt der antiken Mythen zu Kunstwerken, die für den weitesten Kreis der Gebildeten bestimmt waren; bei Bach bildet eine Allegorie das poetische Grundmotiv, und der Zweck des Werks war einer einzelnen Person zu huldigen und eine geschlossene kleine Gesellschaft zu ergötzen. Während Händel hier auf seinem eigensten Gebiete herrschte, konnte Bach solchen Aufgaben gegenüber sich kaum anders, denn als dienstschuldiger Musikant vorkommen. Er hätte nicht der überragende Künstler sein müssen, der er war, wenn er sich in der Composition von dramatischen Cantaten hätte befriedigt fühlen können. Denn was es Händel in England ermöglichte, diese und ähnliche Musiken zu einer Kunstgattung ersten Ranges zu erhöhen: das öffentliche Concertwesen, das fehlte in Deutschland. Der einzige Platz, von dem aus ein Mann mit Bachs umfassender Kunstbegabung auf sein deutsches Volk wirken konnte, war das Kirchenchor. Diese seine eigentliche Bestimmung erfüllte ihn denn auch, ihm selbst bewußt oder unbewußt, bei allem was er angriff. Das meiste aus den weltlichen Cantaten hat er hernach ohne durchgreifende Umarbeitung für Kirchenmusiken verbraucht, wo es sich denn vollständig an seinem Platze zeigt. Daraus folgt, daß es in der Originalgestalt nicht ganz zweckentsprechend gewesen sein kann. Wirklich neigen sich Bachs Kammercantaten aus der ihnen zukommenden Mittelstellung merklich nach Seite des Kirchenstiles hinüber. Die für die dramatischen unter ihnen erforderte Personal- und Situa tions-Charakteristik zeigt in ihrer großen Schärfe und[454] Gegensätzlichkeit den mit reifer Überlegung schaffenden Künstler, beweist aber doch nichts als dessen mannigfaltige Erfindungskraft innerhalb seines eigensten Gebietes. Sie entspricht nur einer Forderung des dramatischen Stils im allgemeinen; für die betreffende Gattung aber ist sie viel zu gewichtig, zieht die leicht spielenden Empfindungen ins Schwer-Pathetische und das Komische ins Groteske. So charaktervoll manche Gestalten erscheinen, wenn man sie unter einander vergleicht, so beweisen sie doch keinesweges schon, daß Bachs Talent auch für die Oper geeignet gewesen wäre; es ist vielmehr unzweifelhaft, daß ihm dafür ein Haupterforderniß fehlte: die durch das Wesen der Gattung bedingte Grundempfindung. Deshalb ist es unmöglich, Bachs Kammercantaten als allgemeingültige Muster hinzustellen. Sie sind Werke voll Gehalt und Reiz, aber nur für denjenigen, der Bachs persönlichen Standpunkt sich aneignet. Dies gilt für die nachfolgende Betrachtung der einzelnen Werke allemal als Voraussetzung.

Wir sahen früher, wie Bach von Anfang an bestrebt sein mußte, sich in der Gunst der Leipziger Studentenschaft festzusetzen.30 Offenbar hängt es hiermit zusammen, wenn wir ihn gleich in den ersten Jahren, bevor er noch zur Leitung des Telemannschen Musikvereins gelangt war, mehrfach beschäftigt finden, studentischen Unternehmungen durch seine Kunst zu helfen. Zu den beliebten Lehrern der Universität gehörte der Doctor der Philosophie August Friedrich Müller, der am 3. August seinen Namenstag beging.31 Seine Schüler wollten im Jahre 1725 ihm hierzu eine Huldigung darbringen, der immer bereite Picander verfertigte den Text, welchen Bach componirte.32 Es war eine dramatische Cantate, ihr Inhalt zeigt an, daß sie im Freien aufgeführt worden ist, und die starke musikalische Besetzung bestätigt dies. Den dramatischen [455] Apparat lieferte die antike Mythologie. Pallas will zu Ehren des gelehrten Mannes mit den Musen ein Fest auf dem Helicon feiern. Es wird nur befürchtet, daß schlechtes Herbstwetter eintreten könnte (eine Befürchtung, die am Anfang des August-Monats etwas verfrüht erscheint); die grimmigen Winde rumoren schon in ihrem Gefängniß und der Beherrscher Aeolus verspricht ihnen baldige Freilassung, läßt sich dann aber, nachdem Zephyrus, der Gott der lauen Sommerlüfte, und Pomona, die Beschützerin des Obstbaus, vergeblich gebeten haben, auf Vorstellungen der Pallas herbei, die angenehme Ruhe der Jahreszeit einstweilen noch nicht zu stören. Den Chor der Winde und das Recitativ des Aeolus, womit die Cantate beginnt, hat Picander nach einer bekannten Schilderung Vergils (Aeneis I, 50 ff.) gearbeitet. Die Winde befinden sich in einem Bergverließ, wo sie sich mit einander balgen und ihre ungezähmte Wuth an festem Schloß und Riegel brechen.33 Aeolus selbst freut sich darauf, wenn sie bald losgelassen sein werden,


wenn alles durcheinander geht,

wenn selbst der Fels nicht sicher steht,

und wenn die Dächer krachen.


Bach hat sich durch diese Vorstellungen zu Tonbildern von seltener Großartigkeit anregen lassen. Auch für das weitere hat Picander dem Componisten gut vorgearbeitet, schöne musikalische Contraste ermöglicht, und selbst zur genaueren Charakterisirung treffende Züge angebracht. Die Arie des Zephyrus mit ihrem leisen Geflüster und zarten Farbenreiz gehört zu Bachs lieblichsten Naturgemälden, und Aeolus ist von ihm zu einem recht wilden, ungalanten Tölpel ausgebildet. Sein Gebahren eignet sich freilich mehr für eine blutige Tragödie, als für ein heiteres Gartenfest, und wenn nun der einzige Name »Müller« ihn veranlaßt, die unbändigen Winde in ihrer Höhle zu beschwichtigen,34 so schlägt die Wirkung unbeabsichtigt ins [456] Komische um.35 Neun Jahre später brachte Bach bei einer weit feierlicheren Gelegenheit sein Werk nochmals zur Aufführung. Am 17. Januar 1734 wurde Friedrich August II als August III in Krakau zum polnischen Könige gekrönt. Dem Festacte der Leipziger Universität, welcher am 19. Februar begangen wurde, mußte diesesmal Görner mit einer lateinischen Ode dienen.36 Bach hatte schon im Januar, als das Bevorstehen der Krönung in Leipzig bekannt wurde, eine Feier im Musikverein vorbereitet, die denn auch sofort nach Eingang der Nachricht, daß die Krönung vollzogen sei, vor sich gegangen sein muß. Die nöthige Umdichtung des Textes war von ihm selbst besorgt worden. Aeolus war in die Tapferkeit verwandelt, die im ersten Recitativ nun nicht mehr das Rasen der Winde schildert, sondern die Thaten, welche von ihr selbst bei Bekämpfung und Vertreibung des Gegenkönigs Stanislaus und seiner Partei vollbracht sind. Zephyrus mußte die Maske der Gerechtigkeit, Pomona die der Gnade vornehmen, nur Pallas blieb und bittet den König um Schutz für die Musen. Mit »August« wurde jetzt nicht der Professor Müller sondern der König von Polen angeredet. Die Musik verlor hierdurch natürlich alles dramatisch charakterisirende, aber es ist auch klar, daß Bach hierhinein den Schwerpunkt des Werkes nicht gelegt wissen wollte; sonst wäre die Umdichtung eine Verunstaltung gewesen, die zu begehen er um so weniger Grund hatte, als ihn keinerlei Auftrag zur Veranstaltung seiner Feier nöthigte.37

[457] Eine andere Gelegenheit sich den Studenten dienlich zu erweisen fand Bach im Jahre 1726. Gottlieb Kortte, ein im Jahre 1698 zu Beescow in der Lausitz geborener Gelehrte, der zuerst in Leipzig Theologie und Philologie, hernach auch in Frankfurt an der Oder Rechtswissenschaft studirt hatte, promovirte am 11. Dec. 1726 in Leipzig zum außerordentlichen Professor der Rechte. Seine schon in jenen Jahren erworbenen umfassenden Kenntnisse wie auch seine Persönlichkeit ließen ihn bereits jetzt als eine Zierde der Universität erscheinen. In der kurzen ihm noch beschiedenen Lebenszeit hat er sich offenbar als eine solche bewährt und sein früher Tod – er starb am 7. April 1731 – »wurde von der studirenden Jugend, bei welcher er in großem Applausu gestanden, und allen, welchen seine gründliche Gelehrsamkeit bekannt gewesen, gar sehr bedauert.«38 Der Promotions-Actus fand natürlich in den Räumlichkeiten der Universität statt, und dieser Scene gemäß sind die Personen der aufgeführten dramatischen Cantate nur Allegorien: Fleiß, Ehre, Glück, Dankbarkeit. Bach stattete seine Musik pomphaft aus, componirte sie aber nicht ganz neu, sondern benutzte das erste der Brandenburgischen Concerte,39 dessen dritten Satz er gewandt, wenn auch mit einiger genialischen Lässigkeit, zum Eingangschor umarbeitete. Das zweite Trio der dem Concert angehängten Tanzstücke wurde als Ritornell des Duetts angebracht. Die, soweit jetzt noch zu entscheiden, zwar selbstständige Alt-Arie hat Menuett- Rhythmus und erinnert mit den leise hineinklingenden fanfarenhaften Sätzchen der vereinigten Geigen und Bratschen an die zweite Gavotte der Orchesterpartie aus C dur.40 Das ganze Werk wird durch einen Marsch eröffnet, wie man ihn zur Begleitung feierlicher Auf- und Abzüge damals zu machen pflegte, d.h. mehr nur eine zur [458] zweitheiligen Marschform erweiterte Fanfare, als ein melodisch prägnantes, straff gegliedertes Tonbild; der Marsch in Erlebachs großer Huldigungsmusik von 1705 ist ähnlich beschaffen.41 Später hat Bach die Cantate mit verändertem Text zur Namenstag-Feier des Königs August III. (3. August) wieder aufgeführt.42

Dieselbe oder eine verwandte Bestimmung wie die Musik für Kortte scheint die Cantate »Siehe der Hüter Israel« gehabt zu haben. Sie war für vier Stimmen, starkes Orchester und Cembalo gesetzt, ist aber verloren gegangen.43

Fünf Monate nach Korttes Promotion ging eine neue Studentenfeierlichkeit mit Bachscher Musik vor sich. Der König August II. langte am 3. Mai 1727 in Leipzig an, um sich während der Jubilate-Messe dort eine Weile aufzuhalten. Am 12. Mai war sein Geburtstag. Da er Anfang des Jahres zu Bialystock in Polen eine schwere Krankheit zu überwinden gehabt hatte, gedachte der Leipziger Patriotismus sich zur Feier des Geburtstages außergewöhnlich anzustrengen. Am Morgen war Festactus in der Universitätskirche mit einer lateinischen Ode von Görners Composition und einem Te Deum unter Kanonenschüssen und Glockengeläut. Des Abends aber nach 8 Uhr führten die dem akademischen Convict angehörigen Studenten vor dem Logis des Königs, der wie gewöhnlich im Apelschen Hause am Markte (Nr. 17) wohnte, eine dramatische Cantate auf; zu dieser hatte Bach die Musik gesetzt und dirigirte sie persönlich. Die Musik ist verloren gegangen; das Gedicht hatte ein gewisser Christian Friedrich Haupt verfertigt. Picanders diensteifrige Feder ruhte auch nicht; er ließ ein Festgedicht in Alexandrinern los. Die Stadt war illuminirt. Daß auch Fürst Leopold den Tag in Leipzig anwesend war, wurde oben schon bemerkt.44

[459] Aus den folgenden Jahren sind eigens für die Studenten componirte Gelegenheitsmusiken Bachs, eine einzige ausgenommen, nicht mehr nachzuweisen. Von 1729 hatte Bach in dem alten Telemannschen Musikverein die solide Stütze, deren er für sein Wirken bedurfte, und zugleich das geeignete Organ für solche Fälle, wo es ihm angezeigt erschien, sich mit musikalischen »Aufwartungen« bemerklich zu machen. Im ersten und zweiten Jahre der Regierung Augusts III. geschah dieses dem königlichen Hause gegenüber wenigstens fünfmal. Man kann nicht wohl umhin, diese Beflissenheit mit Bachs persönlichen Verhältnissen in Verbindung zu bringen. Am 27. Juli 1733 hatte er in Dresden die ersten beiden Sätze der H moll-Messe dem Könige mit der Bitte überreicht, ihm einen Hoftitel zu verleihen, welcher ihn vor weiteren Kränkungen des Leipziger Rathes sichern sollte. Jedenfalls wollte er dem Gesuch durch die in Leipzig veranstalteten Festaufführungen mehr Nachdruck geben. Von der im Januar 1734 aufgeführten Krönungscantate ist oben schon die Rede gewesen. Aber am 5. September 1733 bereits hatte er zum Geburtstage des Churprinzen (geb. 5. September 1722) eine von Picander gedichtete dramatische Cantate »Hercules auf dem Scheide-Wege« zu Gehör gebracht.45 Die Zusammenkünfte des Collegium musicum fanden während des Sommers im Zimmermannschen Garten vor dem Thore statt, und für eine Aufführung im Freien ist offenbar die Cantate auch berechnet. Die Personen des Dramas: Hercules, Wollust, Tugend, sind vortrefflich charakterisirt und bilden schärfere Gegensätze als in Händels »Wahl des Herakles«46, das gesammte Werk blüht von Frische und Reichthum. Aber als Ganzes verräth es doch auch wieder jenen Empfindungs-Überschwang, welcher zu dem Gegenstand und der Gattung nicht paßt. Wir können uns daher glücklich schätzen, daß es mit Ausnahme des Schlußchors und der Recitative ganz in das ein Jahr später componirte Weihnachts-Oratorium übergegangen ist.47 Ein Vierteljahr darauf beging das Collegium musicum am 8. December 1733 den [460] Geburtstag der Königin wiederum mit einer dramatischen Cantate. »Tönet ihr Pauken, erschallet Trompeten.« Bach war dieses Mal auch der Textverfertiger gewesen, die Composition hatte er erst am Tage vorher vollendet.48 Jrene, Bellona, Pallas und Fama treten darin auf, die schöne Musik wurde mit Ausnahme der Arie der Bellona »Blast die wohlgegriffnen Flöten« und der Recitative gleichfalls für das Weihnachts-Oratorium verwendet.49 – Bei der vom 17. Mai 1734 bis zum 26. währenden Anwesenheit des Königspaares zu Leipzig scheinen die dortigen Musiker eben so wenig zur Geltung gekommen zu sein, wie bei der am 21. April 1733 in Leipzig geschehenen Huldigung.50 Als aber König und Königin am 2. October 1734 die Stadt wieder besuchten und dieselbe am 5. October den Jahrestag der Wahl Augusts III. zum polnischen König feierlich begehen wollte, wurde Bach Gelegenheit, für die Studenten eine den Majestäten zu bringende Abend-Musik zu liefern. Es ging dabei ziemlich eilig her. Der unbekannte Textfabrikant schrieb manchmal ins Blaue hinein um nur die nöthige Wortmenge zu Stande zu bringen, an einer Stelle des letzten Recitativs gradezu Unsinn, so daß sich der Componist genöthigt sah, verändernd einzugreifen. Das Product wurde halb lyrische, halb dramatische Cantate; welche Person aber am Anfang des vorletzten Stückes gemeint ist, hat der Poet verschwiegen. Eine ganz neue Musik zu schaffen war in dem gegebenen Zeiträume von drei Tagen selbst einem Bach unmöglich. Er benutzte deshalb wenigstens zum Theil ältere Compositionen, deren ursprüngliche Bestimmung wir aber nicht mehr angeben können. Die Originalarie »Durch die von Eifer entflammten Waffen« fand bald darauf im Weihnachts-Oratorium einen Platz. Der Anfangschor »Preise dein Glücke, gesegnetes Sachsen« wurde später, [461] wie es scheint in seiner ursprünglichen kürzeren Gestalt, in die H moll-Messe aufgenommen.51 Nur zwei Tage später, auf den 7. October, fiel der Geburtstag des immer noch in Leipzig verweilenden Königs. Für ihn hatte sich Bach durch Composition einer dramatischen Cantate augenscheinlich schon länger gerüstet und führte sie denn auch, jedenfalls mit seinem Verein, auf. An Schönheit und Gehalt steht die Musik dem »Hercules auf dem Scheidewege« und der Cantate zum Geburtstage der Königin gleich. Die Flüsse Weichsel, Elbe und Donau preisen ein jeder den Augustus, an welchem sie ein gleiches Recht zu haben glauben: Weichsel und Elbe als die bedeutendsten Flüsse Polens und Sachsens, Donau, weil die Königin Maria Josepha eine österreichische Prinzessin war. Ihre Ansprüche weist die Pleiße, Leipzigs Fluß, auf das rechte Maß zurück, so singen sie denn zum Schlusse dem Könige einen vierstimmigen Glückwunsch, nachdem sie das Werk gleichfalls durch einen vierstimmigen Gesang und die Aufforderung an ihre Wellen eingeleitet hatten, dieselben möchten, obgleich es sich eigentlich zieme »vor Verwunderung und Schüchternheit« nur gelinde zu murmeln, freudig an Ufer und Klippe emporrauschen. Dieses erste Stück ist wieder ein reizendes, romantisches Naturbild, bald leise schaukelnd, bald kräftig aufrauschend und im lieblichsten Farbenwechsel spielend. Bach wiederholte das Werk zum Namenstage des Königs (3. August) im Jahre 1736 oder 1737; für die Kirchenmusik hat er es soweit ersichtlich nicht ausgebeutet.52 Als König und Königin zur Ostermesse 1738 nach Leipzig gekommen waren, wartete ihnen Bach mit einer Abendmusik auf, welche ihm sogar eine gedruckte Kritik eintrug. Magister Birnbaum ließ sich nämlich ein Jahr darauf in einer Bachs Kunst gewidmeten Schrift über diese Composition also vernehmen: »Daß der Herr Hofcompositeur rührend, ausdrückend, natürlich, ordentlich, und nicht nach dem verderbten [462] sondern besten Geschmak setze, beweist insbesondere unwidersprechlich die von ihm verwichene Ostermesse vor unserer allerdurchlauchtigsten hohen Landesherrschaft bei Dero höchsten Anwesenheit in Leipzig öffentlich aufgeführte Abendmusik, welche mit durchgängigem Beifall angenommen worden.«53 Die Musik ist aber verloren gegangen. Endlich suchte auch Bach noch einmal die alte weimarische Cantate »Was mir behagt ist nur die muntre Jagd« hervor, um sie im Musikverein zu Königs Namenstag aufzuführen. Ob Augusts II. oder Augusts III., erfahren wir freilich nicht bestimmt, wahrscheinlicher ist aber das letzte, da Bach sich wie man nun gemerkt haben wird alle mögliche Mühe gab, um das Gefallen dieses Herrschers zu erregen.54

Von Gelegenheits-Cantaten des Zeitraums 1723–1734, welche öffentlich genannt werden können, insofern zu ihnen öffentliche Personen oder Anstalten die Veranlassung gaben, ist außerdem nur noch die Einweihungs-Musik für die umgebaute Thomasschule (5. Juni 1732) zu nennen.55 Private Gelegenheitsmusiken Bachs bestehen in einigen weltlichen Hochzeits-Cantaten; ihre Bestimmung war es nach altem Brauch, während der Hochzeitstafel gesungen zu werden. Sie enthalten nur Sologesang. Die älteste unter ihnen ist zuverlässig die Cantate »Weichet nur betrübte Schatten«56, sie gehört vielleicht gar noch in die Cöthener Zeit. Johannes Ringk hat sie uns in einer aus dem Jahre 1730 stammenden Handschrift überliefert. Ringk, zu Frankenhayn in Thüringen geboren, war zuerst Schüler Peter Kellners in Gräfenrode, eines begeisterten Verehrers Seb. Bachs, der sich viele Werke des Meisters abschrieb. Durch Kellner hat Ringk wahrscheinlich die Cantate kennen gelernt. Kam [463] Kellner als Cantor in Gräfenrode zu der Cantate, so muß es zwischen 1727 und 1730 gewesen sein, da er frühestens 1727 sein Amt dort antrat.57 Derselbe wirkte aber vorher in Frankenhayn, dem Heimathorte Ringks, wo er 1726 die Bachschen Sonaten und Suiten für Violine solo abschrieb; ja schon aus dem Jahre 1725 giebt es eine Kellnersche Copie einer Bachschen Orgelfuge58. Und da er 1719 Schüler des Organisten Schmidt zu Zella am Thüringerwalde war, der seit langem schon mit Bach in Verbindung gestanden zu haben scheint,59 so führen die Vermittlungswege ziemlich weit zurück.60 Der Text ist ein anmuthiges Frühlingsgedicht, das ungezwungen zu dem Liebesfrühling zweier Herzen hinüberleitet und durch decente Vermeidung der bei Hochzeitsgedichten herkömmlichen Schlüpfrigkeiten erfreulich überrascht. Die Composition beschäftigt nur den Solo-Sopran und zeichnet sich in dem ersten Stücke durch einen leisen romantischen Hauch aus. Für die Entstehung in früherer Zeit sprechen die knapperen Formen der Arien und noch ein Umstand. Die sechste der Violinsonaten mit obligatem Clavier61 ist bekanntlich zweimal von Bach umgearbeitet und zuletzt mit einem Allegro versehen, dessen Hauptgedanke aus der C dur-Arie unserer Cantate entnommen ist. Ich erwähnte früher die bräutliche Stimmung, welche in der Sonate, namentlich in dem Mittelsatze Cantabile, ma un poco Adagio walte. Wahrscheinlich, daß Bach als er die letzte Umarbeitung der Sonate vornahm diese Stimmung noch nachempfand und hierdurch darauf geführt wurde, aus einer derselben Zeit entstammenden wirklichen Brautmusik ein Motiv für das letzte Allegro zu bearbeiten. Merkenswerth ist noch eine zweite Übereinstimmung: der Hauptgedanke der D dur-Arie, welchen im Vorspiel die Oboe vorträgt, findet sich als Hauptgedanke der Bassarie in der Cantate »Liebster Gott, wann werd ich sterben« wieder.62 – Von einer weltlichen Hochzeits-Cantate zum 5. Februar 1728 ist [464] freilich der musikalische Theil verschollen,63 doch knüpft sich auch an die Picandersche Dichtung noch allerhand bemerkenswerthes. Das angesungene neuvermählte Paar waren der Leipziger Kaufherr Johann Heinrich Wolff und die Tochter des königlich-churfürstlichen Accise-Commissarius Hempel in Zittau64. Die Trauung fand um 12 Uhr Mittags durch den Archidiaconus Carpzov statt, und zwar »auf allergnädigsten Befehl« im Schellhaferischen Hause.65 Dieses lag in der Klostergasse und war für gesellige Zusammenkünfte beliebt; Görner pflegte dort sein Collegium musicum zu halten und der Hochzeitsschmaus, bei welchem Bachs Cantate zur Aufführung kam, wird ebendaselbst vor sich gegangen sein. Als Personen der Cantate traten die Pleiße und die Neiße auf; die Braut scheint sich demnach vor ihrer Verheirathung nicht in Zittau befunden zu haben. Wichtiger als diese Dinge ist, daß Bach später den Text zu Ehren des Raths der Stadt Leipzig selber umdichtete. Aus der Pleiße wurde Apollo (Tenor), aus der Neiße Mercurius (Alt); sie repräsentiren Wissenschaft und Handel, die beiden Ruhmessäulen der Stadt. Der Text, in Bachs eigner Handschrift erhalten, gewährt den interessanten Anblick, den Tonmeister in der mühseligen Arbeit des Verse- und Reime-Schmiedens zu belauschen. Daß er sich aber herbeiließ, in höchsteigener Person und in überschwänglichen Ausdrücken das Lob Leipzigs zu singen und des Rathes, der ihm so viel Verdruß bereitet hatte, daß er den Arientext dichten konnte:


Mit Lachen und Scherzen

Mit freudigem Herzen

Verleib ich mein Leipzig der Ewigkeit ein.

Ich habe hier meine Behausung erkoren

Und selber den Göttern geschworen,

Hier gerne zu sein,


ist merkwürdig genug. Wenn er auch die Worte dem Mercur in den [465] Mund legt, dergleichen ersinnt doch keiner über einen Ort, an dem er es selbst unausstehlich findet. Diese Parodie ist ein vollgültiges Zeugniß, daß es Bach in jener Zeit selber in Leipzig wohl behagte.66

Eine dritte weltliche Hochzeits-Cantate »O holder Tag, erwünschte Zeit« für Sopran füge ich hier gleich an, obgleich sie viel später, vielleicht erst 1749 componirt worden ist. Der junge Ehemann, an den sie sich wendet, muß ein Gönner der Musik gewesen sein, denn es heißt in ihr:


Hochtheurer Mann, so fahre ferner fort,

Der edlen Harmonie wie jetzt geneigt zu bleiben,

So wird sie dir dereinst die Traurigkeit vertreiben u.s.w.


Auch werden darin die Verächter und Verkleinerer der Musik nachdrücklichst behandelt, was eben 1749 zeitgemäß erscheinen mußte, nachdem im Frühling dieses Jahres der Rector Biedermann zu Freiberg durch sein Programm De vita musica die Musiker schwer beleidigt hatte. Wenn man aus der Sorgfalt, ja Eleganz, mit welcher Bach sein Manuscript herstellte, einen Schluß ziehen darf, so hat er der, in der That hervorragenden, Composition selbst einen bedeutenden Werth beigemessen.67 Mit anderm Text, der nur das Lob der Tonkunst zum Gegenstande nimmt (»O angenehme Melodei, Kein Anmuth, kein Vergnügen Kommt deiner süßen Zauberei Und deinen Zärtlichkeiten bei«) hat Bach die Cantate dann noch bei drei verschiedenen Gelegenheiten zum Vortrag gebracht. Einmal richtete er sich mit ihr an einen Sproß der gräflich Flemmingschen Familie, in welcher die Musik geliebt und gepflegt wurde.68 Eine [466] Arie ist entlehnt, nämlich aus einer Huldigungs-Musik vom Jahre 1737. Ein Günstling des Grafen Brühl, Johann Christian Hennicke, der vom Lakaien allmählig zum Reichsgrafen emporstieg, nahm am 28. September dieses Jahres auf der ihm als erbliches Lehen verliehenen Besitzung Wiederau die Huldigung entgegen. Picander und Bach hatten zu dieser Feierlichkeit eine Cantate gemacht, in welcher Schicksal, Glück, Zeit und der Elster-Fluß auftreten, und die dem Componisten namentlich in dem schwungvollen, frischen Anfangs- und Schlußchor und der originell-anmuthigen, klangschönen Alt-Arie ausgezeichnet gelungen war. Sie wird uns noch als Kirchen-Cantate wiederbegegnen.69 Eine andre Huldigungsmusik, die sogenannte Bauerncantate vom Jahre 1742, dürfen wir hier nicht einmal streifen, da ihre von den andern Gelegenheits-Cantaten ganz abweichende Art eine ausführlichere Besprechung an andrer Stelle erheischt. –

Außer den weltlichen Gelegenheitsmusiken hat Bach noch einige deutsche und italiänische Kammercantaten geschrieben, welche weniger durch äußere Veranlassungen hervorgerufen ihre Bestimmung überwiegend in sich selber tragen. Ihre Zahl ist nicht groß. Von andern Idealen erfüllt mochte sich Bach aus freien Stücken nur selten veranlaßt fühlen diese Gattung anzubauen. That er es einmal, so kann es bei seinem regen Interesse für die Erzeugnisse andrer Personen und Völker, bei dem Eifer, mit welchem er früher die instrumentale Kammermusik der Italiäner studirt hatte, nicht wunder nehmen, daß er auch dem italiänischen Kammergesange seine Aufmerksamkeit zuwendete. Davon ist die Composition italiänischer Texte das Anzeichen. Daß ihm an der italiänischen Poesie als solcher nicht viel gelegen war, bezeugt der Umstand, daß wenigstens einer der Texte offenbar der Feder eines Deutschen entstammt, der das Italiänische nur in unvollkommener Weise beherrschte. Eine dieser Cantaten »Andro dall colle al prato«, die für Sopran mit Begleitung von zwei Flöten, Streichquartett und Bass gesetzt war, ist verloren [467] gegangen.70 In einer andern »Amore traditore« wird eine Bassstimme von theilweise obligatem Cembalo begleitet. Dies ist nicht, wie man glauben könnte, eine Neuerung Bachs, sondern findet sich auch bei italiänischen und in italiänischer Weise gebildeten deutschen Componisten jener Zeit ziemlich häufig, so bei Porpora, Conti, Heinichen und andern.71 Vielmehr verhält sich grade Bach in der Cembalobegleitung, welche er der zweiten Arie seiner Cantate beigegeben hat, augenscheinlich den Italiänern nachbildend. Seine Art war es sonst nicht, eine obligate Stimme überwiegend in gebrochenen Harmonien zu führen, ebenso wenig liebte er es die obligate Behandlung nur stückweise anzuwenden. Die weiten Formen des Werks weisen auf die Zeit seiner vollsten Reife: erst durch den von Leipzig aus mit Dresden gepflogenen Verkehr lernte er auch die italiänische Gesangsmusik gründlich kennen.72 Die Spuren davon, namentlich Anklänge an Lotti, finden sich selbst in seinen Kirchencantaten hier und da. Eine Arie des Marziano aus Lottis Alessandro Severo:


10.

stimmt, was diesen Anfang betrifft, in allem wesentlichen mit dem Anfang der Bassarie aus Bachs Kirchencantate »Liebster Gott, wann werd ich sterben« und der D dur-Arie der Kammercantate »Weichet nur, betrübte Schatten« überein. In der von Lotti 1718 für Dresden componirten Oper L'Ascanio beginnt die erste Arie mit:


10.

[468] also ähnlich dem Anfange der D moll-Arie im vierten Theil von Bachs Weihnachts-Oratorium. Wenn Bach im Sicut erat in principio seines Magnificat den ersten Satz desselben in gedrängter Fassung wiederholt, so ahmt er hiermit die italiänischen Kirchencomponisten nach. Dasselbe geschieht in Leonardo Leos Dixit Dominus für Doppelchor und Instrumente (C dur), dasselbe in einem fünfstimmigen Dixit Lottis (A dur).73 Dieses letztere hat Bach auch sonst noch beim Schaffen seines Magnificat beeinflußt. Der großartige Chorschluß: dispersit superbos mente cordis sui hat sein Vorbild in Lottis fünfstimmigem Chor Conquassabit in terra capita multorum; die Arie Quia fecit mihi magna ist über ein Bassthema gebaut, das dem einer Alt-Arie in Lottis Werke ähnlich ist:


10.

74


Es mag hier daran erinnert werden, daß eine G moll-Messe Lottis von Bach während seiner mittleren Leipziger Periode eigenhändig abgeschrieben ist, wodurch also auch äußerlich seine Beschäftigung mit der Musik des italiänischen Meisters festgestellt wird.75 – Bei einer dritten italiänischen Kammercantate Bachs handelt es sich um ein wirkliches Ereigniß. Es kann aber aus dem Text nur undeutlich erkannt werden, da derselbe in unbehülflichem, theilweise fehlerhaftem und sinnlosem Italiänisch mit Untermischung einiger, offenbar aus italiänischen Originaldichtern aufgelesenen Brocken, also jedenfalls von einem Deutschen, abgefaßt ist. Ein Freund will in die Heimath zurückkehren, d.h. aus Deutschland nach Italien. Er [469] scheint in Anspach geweilt zu haben und freut sich, nunmehr dem Vaterlande wieder dienen zu können, nachdem sein Wirken in der Fremde nicht die gerechte Anerkennung und Unterstützung gefunden hat. Doch, meint der Dichter, werde die Gunst erlauchter Personen, die er sich in Anspach erworben hat, ihm helfen, im Vaterlande großes zu erreichen. Persönliche Beziehungen Bachs spielen augenscheinlich hinein. An einen befreundeten italiänischen Künstler zu denken – in der markgräflich anspachschen Capelle unter Pistocchi und Bümler (1696–1745) regierte der italiänische Geschmack, auch Torelli wirkte am Anfang des Jahrhunderts dort – verbieten aber wohl die Worte: Tuo saver al tempo e l'età contrasta, falls man den stümpernden Poeten überhaupt beim Worte nehmen darf. Die Composition, für Solosopran, Flöte und Streichquartett, verräth eingehendes Studium der italiänischen Kammermusik. Die Mischung, welche der italiänische und der original Bachsche Stil hier eingegangen sind, macht sie noch ungleich interessanter, als die Cantate »Amore traditore«. Ein hesperischer Duft schwebt um die Melodien; im zweiten Theile der ersten und in der ganzen zweiten Arie wird er besonders fühlbar, wogegen die einleitende Sinfonie (H moll), ein erster Concertsatz mit merkbarem Anklang an den ersten Satz des Violinconcerts in D moll,76 ganz die Bachsche Sprache redet.77

Zu den deutschen Kammer-Cantaten erhielt Bach theilweise wohl durch den musikübenden Kreis der eignen Familie die Anregung. Die sehr ausführliche Sopran-Cantate von der Vergnügsamkeit (»Ich bin in mir vergnügt, ein andrer mache Grillen«), die für Anna Magdalena Bach geschrieben sein könnte, fesselt die Aufmerksamkeit weniger durch besondern musikalischen Reiz, als dadurch daß sie überhaupt vorhanden ist.78 Die Musik ist von behaglicher Tüchtigkeit und nichts mehr. Aber daß sich Bach bewogen fühlte, den philisterhaft geschwätzigen Text nur zu componiren, charakterisirt den Mann, für dessen häuslichen Bürgersinn bei aller erreichten Kunstgröße und trotz aller von Fürsten und [470] Großen ihm erwiesenen Ehren die gemüthvolle Ruhe der Familie doch ihren höchsten Werth behielt:


Ruhig und in sich zufrieden

Ist der größte Schatz der Welt.

Nichts genießet, der genießet,

Was der Erdenkreis umschließet,

Der ein armes Herz behält.


Übrigens gleißen die allerhand Güter des Erdenkreises gelegentlich doch auch in den zufriedenen Familienkreis des Bürgers lockend hinein. Die kleinen Kämpfe, welche dann zwischen Vater und Kindern sich entspinnen können, haben Bach den Stoff zu einer scherzhaften Cantate gegeben. Der europäischen Gesellschaft war im 17. Jahrhundert durch den Caffee ein neues Genußmittel zugeführt. Wenn man Wein und Tabak79 in Liedern pries, meinten die Künstler könne man es auch mit dem Caffee thun. Den Anfang damit machten, wie es scheint, die Franzosen. In einer gegen 1703 zu Paris erschienenen Sammlung vonCantates françoises (Troisième livre Nr. 4) wird der Caffee in sehr distinguirter Form besungen. Die Deutschen waren nicht lässig solches nachzuahmen; schon Johann Gottfried Krause verfertigte 1716 den Text zu einer Caffee-Cantate.80 Unter den deutschen Städten zeichnete sich aber Leipzig durch eine besonders starke Neigung für das überseeische Product aus. Wenngleich der Genuß des Caffees bis zum siebenjährigen Kriege auf die wohlhabenderen Kreise beschränkt blieb, so mußte doch der Leipziger Rath schon 1697 den »ungebührlichen Thee- und Caffeeschenken« das Gewerbe legen, und 1725 hatte Leipzig nicht weniger als acht privilegirte Caffeehäuser.81 Picander fand hierin Stoff zur Satire. Er veröffentlichte im ersten Bande seiner Gedichte (1727) unter dem Titel »von allerhand Nouvellen« eine boshafte gereimte Zeitung, in welcher er unter der Form von Correspondenzen aus aller Herren Ländern naheliegende Verhältnisse durchhechelte. [471] So läßt er sich aus Paris berichten:82 »Hier ward vor wenig Tagen ein Königlich Mandat ans Parlament geschlagen, das hieß: Wir haben längst und leider wohl gespürt, daß blos durch den Caffee sich mancher ruinirt. Um diesem Unheil nun bei Zeiten vorzugehen, soll niemand sich Caffee zu trinken unterstehen, der König und sein Hof trinkt selben nur allein, und andre sollen nicht dazu befuget sein. Doch dann und wann wird man Permission ertheilen etc. etc. Drauf hörte man daselbst ein immerwährend Heulen; ach! schrie das Weibesvolk, ach nehmt uns lieber Brod, denn ohne den Caffee ist unser Leben todt« – – »Das alles aber brach doch nicht des Königs Sinn, und kürzlich starb das Volk als wie die Fliegen hin. Man trug, gleichwie zur Pest, so haufenweis zu Grabe und pur das Weibesvolk nahm so erschrecklich abe, bis da man das Mandat zerrissen und zerstört, so hat das Sterben auch in Frankreich aufgehört.« Einige Jahre später beutete er den Gegenstand für eine scherzhafte Cantate aus und Bach setzte sie um 1732 in Musik. Es war nichts neues, in dieser Form Zustände und Vorgänge des niederem Lebens komisch zu behandeln. Der »jenaische Wein- und Bierrufer« von Nikolaus Bach gehört in dieselbe Gattung.83 Andere Cantaten beschäftigten sich mit dem Zahnarzt, dem verliebten Nachtwächter, dem »weiblichen Magister«, selbst »der Leipziger Wurmkuchen-Frau«; die Komik war nicht immer die feinste.84 In der Picanderschen Caffee-Cantate will Vater Schlendrian der Tochter Lieschen, welche wie die gesammte Leipziger Frauenwelt von der Caffee-Leidenschaft hingenommen ist, diese austreiben. Alle Drohungen sind vergeblich, die äußerste, daß sie keinen Mann bekommen solle, scheint endlich zu wirken; aber Lieschen führt den Vater aufs Glatteis: während er geht und sich nach einem Schwiegersohn umsieht, »streut sie heimlich aus, kein Freier komm mir in das Haus, er hab es mir denn selbst versprochen und rück es auf der Ehestiftung ein, daß mir erlaubet möge sein, den Caffee wie ich will zu kochen«. Die Schlußwendung ist nicht von Picander, der sein Gedicht mit Lieschens Versprechen abschließt, gegen einen Ehemann das Caffeetrinken aufzugeben. Bach hat hier wohl selbst [472] Hand angelegt und durch Hinzufügung des schalkhaften Ausgangs verhütet, daß der Scherz ins Ordinäre verläuft; jedenfalls macht es seinem Geschmacke Ehre, diese und nicht die originale Fassung in Musik gesetzt zu haben. Die beiden Personen, denen nur noch ein erzählender Tenor beigegeben ist, sind scharf auseinander gehalten und trefflich charakterisirt. Der Alte brummt und poltert, Lieschen schwelgt in der Empfindung des Genusses, Schlendrian grübelt und dünkt sich wichtig, die Tochter hat über den zu erwartenden Bräutigam ihre helle Freude; sie ist leichtlebige aber unschuldige Jugend, er schwerfällig und altväterisch herbe. Das originelle Paar scheint Glück in der Welt gemacht zu haben. In den Frankfurter Nachrichten vom Jahre 1739 steht zu lesen: »Dienstags den 7. April wird ein fremder Musicus im Kauffhauß unter den N. Krämen ein Concert aufführen, in welchem u. A. der Schlendrian mit seiner Tochter Lissgen in einem Dramate wird gemacht werden«; das Billet kostete 30 Kreuzer, der Text 12.85 Es wird zwar nicht besonders bemerkt, daß es die Bachsche Composition war, die der »fremde Musicus« aufführte; aber wer hätte ein auf Leipziger Zustände gemünztes und von einem Leipziger Poeten mit Rücksicht auf Bach gefertigtes Gedicht noch in Musik setzen sollen?86

Einen heitern, zum Theil satirischen Charakter trägt auch eine dramatische Kammercantate größeren Stiles, »Der Streit zwischen Phöbus und Pan« betitelt. Picander dichtete sie 1731, und bei den sommerlichen Zusammenkünften des Musikvereins wird sie in eben demselben Jahre zuerst aufgeführt sein.87 Die altgriechische Sage läßt bekanntlich den Phöbus Apollo als citherspielenden Gott mit dem Marsyas, der Meister des Flötenspiels ist, wettstreiten; Apollo bleibt Sieger, und weil er als solcher mit dem Besiegten nach Belieben verfahren darf, zieht er dem Marsyas bei lebendigem Leibe die Haut ab. Die spätere Sage setzte an Stelle des Marsyas den [473] Hirtengott Pan, welcher ebenfalls dem Apollo unterliegt; doch trifft nicht ihn die Strafe sondern den phrygischen König Midas, dem Eselsohren wachsen, weil er das Spiel des Pan schöner gefunden hat. In dieser Form hat Picander die Sage aufgefaßt und als Quelle Ovids Metamorphosen XI, 146–179 benutzt. Außer den genannten wird noch der lydische Berggott Tmolus als Kampfrichter eingeführt und – wozu in Ovids Erzählung keine Veranlassung gegeben ist – Momus, der Gott des Spottes, und Mercurius als Veranstalter des Wettkampfes. Ein frischer, malerischer Chor der Winde, welche sich eiligst in ihr Verließ zurückziehen, damit für das Hin-und Wider-Schallen der Wettmusik in der Natur völlige Stille herrsche, leitet die Cantate ein. Dann treten die beiden Kämpfer einander gegenüber. Pan streicht prahlerisch die allmächtigen Wirkungen seiner Flöte heraus und reizt hierdurch Momus zu einer Spottarie. Mercurius ordnet den Kampf, der nun aber nicht durch Spiel, sondern durch Gesang ausgefochten wird. Phöbus singt zuerst eine Arie auf seinen Liebling den schönen Hyacinthus; Pan sodann ein lustiges Tanzlied, in dessen Mitteltheile er die tiefsinnige Weise seines Gegners verhöhnt. Der Urtheilsspruch erfolgt. Tmolus erklärt in einer lobpreisenden Arie Phöbus für den Sieger, Midas in gleicher Weise Pan und erhält dann seine Strafe. Mercur und Momus ziehen die Moral, und mit einem Schlußgesang auf die Kunst des Apollo schließt das Werk, welches wiederum, wenn man den Bachschen Stil für solche Sachen einmal zugiebt, ein Meisterstück mannigfaltiger Charakteristik ist. Es würde seinem poetischen Charakter nach mit Händels Acis und Wahl des Herakles in eine Gattung gehören, schlüge nicht auch hier die Allegorie vor. Eine hochgestellte Person anzusingen galt es diesmal nicht, dagegen aber eine angefeindete Kunstrichtung zu verherrlichen. Pans Flöte ergötzt den Wald und die Nymphen, er vertritt die gefällige, gemeinverständliche Musik; sein leichtes und ungezwungenes Lied hat dem Midas so wohl geklungen, »daß er es sich auf einmal gleich gemerket«. Die Kunst des Phöbus vereinigt Schönheit der Melodie mit Adel und Tiefsinn, sie ist dazu da, »die Götter zu vergnügen«; Tmolus sagt:


Phöbus, deine Melodei

Hat die Anmuth selbst geboren.

[474] Aber wer die Kunst versteht,

Wie dein Ton verwundernd geht,

Wird dabei aus sich verloren.


Beide Weisen sind berechtigt, werden einander stets gegenüber stehen, und wo es um die Kunstpflege wohl bestellt ist, wird letztere mehr gelten als die erstere. Insofern wäre in dem Drama nur ein allgemeingültiger Gedanke verkörpert, wenn nicht eine Beflissenheit hervorträte, die Musik des Pan geringwerthig darzustellen und zu verspotten, diejenige des Apollo aber dem meisternden Unverstande gegenüber zu erheben:


Du guter Midas, geh nun hin,

Und lege dich in deinem Walde nieder,

Doch tröste dich in deinem Sinn,

Du hast noch mehr dergleichen Brüder.

Der Unverstand und Unvernunft

Will jetzt der Weisheit Nachbar sein,

Man urtheilt in den Tag hinein,

Und die so thun,

Gehören all in deine Zunft.


und:


Labt das Herz, ihr holden Saiten,

Stimmet Kunst und Anmuth an.

Laßt euch meistern, laßt euch höhnen,

Sind doch euren süßen Tönen

Selbst die Götter zugethan.


Auch die Einführung des Mercur dürfte wohl eine Anspielung auf besondere Verhältnisse enthalten. Die Sage weiß nichts von seiner Theilnahme am Wettkampfe. Er ist allerdings der Vater des Pan, aber als solcher konnte er doch nicht wohl gegen diesen Partei ergreifen, wie er es hier schließlich thut. Dagegen personificirt er als Gott des Handels die Leipziger Bürgerschaft, wie Apollo gelegentlich die Gelehrtenwelt: in seiner Umdichtung der Cantate »Vergnügte Pleißenstadt« hat Bach beide in diesem Sinne auftreten lassen. Wäre es nur darauf angekommen, Phöbus und Pan als musikalische Gegensätze hinzustellen, so hätte dieses nach Maßgabe der Sage durch Vorträge auf der Leyer (Laute) und der Flöte geschehen müssen; oder, wenn doch einmal gesungen werden sollte, durfte man wenigstens erwarten, daß die Instrumente der Kämpfer [475] bei ihren Gesängen eine bevorzugte Rolle spielten. Daß Bach dieses nicht gethan hat, während er sich übrigens doch so leicht geneigt zeigt, äußerlichen Umständen musikalische Motive zu entnehmen, lehrt daß es ihm in der Hauptsache nicht sowohl auf eine Charakterisirung Apollos und Pans ankam, als nur auf den Gegensatz zwischen dem kunstvollen, gebundenen, ernsten und dem leichten, blos gefälligen Stil. Jenen vertrat, wie ihm nicht unbewußt war, er selber, diesen die Operncomponisten und überhaupt fast die ganze sonstige Musikerwelt. Sie hat in Pan ihren Patron, Apollo ist Bach, der sich also in der wunderschönen und mit ersichtlicher Hingabe geschriebenen H moll-Arie selbst abbildet, und ebenso im Mitteltheile der Arie des Pan (»Wenn der Ton zu mühsam klingt, Und der Mund gebunden singt, So erweckt es keinen Scherz«) in belustigender Ironie sich selbst persifflirt. Wer ist Midas? Natürlich ein Leipziger, denn des Midas Abgeneigtheit kann sich nur auf Bachs Gesangsmusik beziehen, und diese war in weiteren Kreisen noch nicht bekannt geworden, während seine Instrumentalmusik schon allgemeine Bewunderung fand. Wir kennen nur einen Leipziger, der gegen Bachs Vocalcompositionen seine tadelnde Stimme laut erhob: Johann Adolph Scheibe. Er war der Sohn des mehrfach erwähnten Orgelbauers Johann Scheibe, und 1708 geboren; seit dem Herbst 1725 studirte er auf der Universität und bildete sich zugleich zum Musiker aus. Als der Organist der Thomaskirche, Christian Gräbner, 1729 gestorben war, bewarb sich mit andern auch Scheibe um die Stelle. Unter den Richtern war Bach. Scheibes Probespiel scheint keinen günstigen Eindruck gemacht zu haben, jedenfalls erhielt nicht er das Amt, sondern Görner.88 Er blieb aber noch bis 1735 in Leipzig, wo er Clavierunterricht ertheilte und auch Compositionen von sich aufführte.89 1737 begann er in Hamburg den »Critischen Musikus« herauszugeben und griff in dem sechsten Stücke desselben sowohl Bach als Görner an, diesen weil er überhaupt ein hochmüthiger Nichtswisser sei,90 jenen wegen seiner verworrenen und schwülstigen Satzweise, die ebenso mühsam wie vergebens sei, weil sie wider die Vernunft streite. Dieses Urtheil, welches große [476] Aufregung in gewissen Kreisen und eine litterarische Polemik hervorrief, auf welche später zurückzukommen sein wird, muß man, wenngleich es auch vom musikalischen Standpunkte aus nicht unbegreiflich ist, doch mit Scheibes persönlichen Leipziger Erlebnissen in Verbindung bringen. Man muß es um so mehr nach dem, was Scheibe mit anerkennenswerther Offenheit über seine früheren Gesinnungen selbst sagt. »Vor einigen Jahren«, schreibt er unter dem 28. Juli 1739, »lebte in einer gewissen berühmten Stadt ein gewisser Mensch, den ich desto besser abschildern kann, weil ich von Jugend auf mit ihm umgegangen bin, und den ich so genau als mich selbst gekannt habe. Ich will ihn vorjetzo Alfonso nennen. Er ward durch gewisse Zufälle gezwungen, sich auf die Musik zu legen .... Indem er anfing selbst zu merken, wie er täglich stärker ward, so äußerte sich bei ihm zugleich ein heimlicher Neid über die Vorzüge andrer .... Wenn er die Verdienste erfahrener Männer erheben hörte, so beneidete er sie sogleich, bloß darum weil er nicht eine gleiche Geschicklichkeit besaß» .... Später »verwandelte sich endlich der Neid, der ihn gefesselt hielt, in eine Eifersucht, die ihn antrieb, den Verdiensten großer Männer nachzueilen. Und so überwand er sich nach und nach, daß er nunmehro vermögend war, den Ruhm geschickter Männer ohne roth zu werden anzuhören, und sie endlich selbst mit aufrichtigem Herzen zu erheben und ihren Verdiensten Recht zu geben«. Scheibe gesteht ausdrücklich, daß ihn diese Gesinnung auch zu Handlungen verleitet habe: »Vielleicht kennen meine Leser diesen Alfonso so gut als mich. Und vielleicht haben meine ehemaligen Handlungen mit den Handlungen des Alfonso eine große Ähnlichkeit gehabt.«91 Hiernach muß er damals gegen Bach allerhand verübt haben, was ihm später leid that, und die Kunstanschauungen, welche er auch in Hamburg bei geläuterter Gesinnung noch vertrat, werden, zumal da er wegen der mißglückten Orgelprobe gereizt sein mochte, mit doppelter Schärfe laut geworden sein. Daß Bach und sein Musikverein sich gegen dieselben wendete, obgleich der sie aussprach ein dreiundzwanzigjähriger Jüngling war, ist ganz begreiflich. Scheibe war ein fähiger Kopf, beeinflußte als solcher die Studenten und mochte unter ihnen eine [477] Partei gegen Bach gebildet haben.92 Ohne die Studenten konnte aber Bachs Collegium musicum nicht existiren. Wirklich haben auch jene oppositionellen Regungen weitere Wellenkreise geschlagen. Ludwig Friedrich Hudemann, Doctor der Rechte in Hamburg, ein tüchtiger Musik-Dilettant und mit Bach seit längerer Zeit näher befreundet, wie ein ihm gewidmeter Canon aus dem Jahre 1727 beweist, gab 1732 zu Hamburg »Proben einiger Gedichte« heraus, in welchen sich folgendes »An den Herrn Capell-Meister J.S. Bach« findet:


Wenn vor gar langer Zeit des Orpheus Harfen-Klang

Wie er die Menschen traf, sich auch in Thiere drang.

So muß es, großer Bach, weit schöner dir gelingen:

Es kann nur deine Kunst vernünftge Seelen zwingen.


Und dieses trifft gewiß mit der Erfahrung ein:

Oft sieht man Sterbliche den Thieren ähnlich sein,

Wenn ihr zu blöder Geist nicht dein Verdienst erreichet,

Und in der Urtheils-Kraft dem dummen Viehe gleichet.


Kaum treibst du deinen Schall an mein geschäftig Ohr,

So tönet, wie mich däucht, das ganze Musen-Chor.

Ein Orgel-Griff von dir muß selbst den Neid beschämen,

Und jedem Lästerer die Schlangen-Zunge lähmen.


Apollo hat dich längst des Lorbeers werth geschätzt,

Und deines Namens Ruhm in Marmor eingeätzt.

Du aber kannst allein durch die beseelten Saiten

Dir die Unsterblichkeit, vollkommner Bach, bereiten.93


Hudemann preist zwar zunächst Bach als Orgelspieler, in der letzten Strophe offenbar aber auch seine Musik im allgemeinen, und die Anwendung antiker Allegorien sowie der Gegensatz zwischen den »vernünftigen Seelen« und dem »dummen Vieh« macht es sogar wahrscheinlich, daß er Picanders Gedicht von dem bocksfüßigen Pan und dem eselsohrigen Midas gekannt habe.

[478] Die allegorisch-polemische Spitze schädigt den harmonischen Eindruck der Cantate trotz ihrer Frische, Reichhaltigkeit und drastischen Komik (die gespitzten Eselsohren S. 52, T. 19 ff. und späterhin sind belustigend genug), und drückt sie schon deshalb unter Händels gleichartige Werke. Aber sie ist ebendadurch von hervorragendem biographischen Interesse. Die Auseinandersetzungen, welche Bach 1714 mit den Hallenser Kirchenältesten, 1725 mit der Leipziger Universität hatte, bekunden ebenso wie der alsbald zu erzählende langwierige Hader mit dem Rector Ernesti eine gewisse streitfrohe Natur, die ihm mit der rabulistischen Orthodoxie seiner Zeit gemeinsam war. Hier haben wir einen Fall, wo er sich in Kunstangelegenheiten gegen seine Widersacher wehren zu müssen glaubte. Er griff nicht zur Feder, wie Mattheson; dazu war er ein zu echter Künstler. Aber er ließ auch nicht seine Compositionen rein durch sich für ihren Schöpfer wirken, wie Händel. Er führte seine Vertheidigung durch ein tendenziöses Kunstwerk.94 An dasselbe spinnen sich Fäden an, die in eine spätere Zeit hinüberleiten und wir werden in ihr den eben bezeichneten Zug noch mehre Male hervortreten sehen. Diese Zeit selbst, seine letzte Lebensperiode, hat aber ein wesentlich andres Aussehen, als die reichste und befriedigendste seines Schaffens, welche wir mit dem eigenthümlichen Werke »Phöbus und Pan« beschließen.

Fußnoten

1 S. S. 35 dieses Bandes.


2 S. S. 298, 299, 243 f., 433, 194 ff. dieses Bandes.


3 S. S. 334 f. dieses Bandes.


4 Der Brief ist vollständig mitgetheilt bei Förster, Friedrich August II. Potsdam, Riegel. 1839. S. 245–249.


5 Gretschel, Geschichte Sachsens. II, S. 589 ff.


6 S. S. 94 f. dieses Bandes.


7 Gretschel, a.a.O. S. 592 f. – Picander besang das Ereigniß in einem schwülstig-wässerigen Gedicht (I. Theil, S. 212–231).


8 S. Anhang A, Nr. 23.


9 Gretschel, a.a.O. S. 475.


10 Was behufs dieser Feier gedruckt wurde, nämlich 1) die lateinische Einladung durch den Rector der Universität, 2) der Text der Gottschedschen Ode, wie er in der Kirche unter die Anwesenden vertheilt wurde, 3) die Lob- und Trauer-Kede gehalten von Hanns Carl von Kirchbach, 4) eine Trauer-Ode vonM. Samuel Seidel – alles das findet sich in einem Bande vereinigt auf der königl. öffentlichen Bibliothek zu Dresden (Hist. Saxon. c. 232). – Den Verlauf der Feier beschreibt Sicul, Das thränende Leipzig. 1727.


11 S. S. 38 dieses Bandes.


12 Sie wurde in ausgefeilter Gestalt wieder abgedruckt in »Oden der Deutschen Gesellschaft in Leipzig«. Leipzig, 1728. S. 79 ff.


13 Am Schluß der autographen Partitur steht: »Fine SDG. aõ 1727. d. 15. Oct. J S Bach.« Auf dem Titel hat Bach als Tag der Aufführung den 18. October angegeben. Daß er sich hier im Datum geirrt hat, ist nach Auffindung des Originaldrucks der Ode, welcher den 17. October angiebt (s. oben Anmerk. 10) unzweifelhaft. Hätte die Feier aus irgend welchen Gründen um einen Tag verschoben werden müssen, so würde Sicul in seiner ausführlichen Beschreibung dessen jedenfalls Erwähnung gethan haben. Dies zur Berichtigung und Ergänzung des Vorworts von B.-G. XIII, 3.


14 Sicul, a.a.O. S. 22 f. – Vergl. Band I, S. 829.


15 Hiller, Lebensbeschreibungen. Leipzig, 1784. S. 56 und 197.


16 S. Band I, S. 543 ff.


17 Chrysander, Händel II, S. 445. – Trauermusiken auf hervorragende Persönlichkeiten mit verändertem Text als Kirchencantaten zu benutzen war unter den deutschen Capellmeistern und Cantoren jener Zeit allgemein üblich. Auch Johann Ernst Bachs Trauermusik auf den Tod des weimarischen Herzogs Ernst August Constantin (1758) erfuhr dieses Schicksal.


18 Sicul, ANNALIVM LIPSIENSIVM SECTIO XXIX. Leipzig, 1728.


19 Den Nachweis der Übertragung verdanken wir W. Rust; s.B.-G. XX2, S. X f. Hiernach ist das von mir Band I.S. 766 gesagte zu berichtigen. Das einzige Bedenken, welches etwa gegen das Ergebniß der Rustschen Untersuchung vorgebracht werden könnte, wäre, daß Forkel, welcher die Trauermusik im Autograph besaß und auch die Matthäuspassion kannte, die Übereinstimmung nicht bemerkt haben müßte. Indessen dürfte Forkels Kenntniß der Matthäus-Passion immerhin nur eine oberflächliche gewesen sein, s. seine Schrift über Bach S. 62. – Rust führt a.a.O. S. XIV unter den verloren gegangenen Gelegenheitscompositionen Bachs noch eine dritte Trauer-Cantate an (»Mein Gott, nimm die gerechte Seele«) mit Berufung auf Breitkopfs Verzeichniß von Michaelis 1761. Die Cantate findet sich hier (S. 23) allerdings angeführt, aber ohne Nennung des Componisten.


20 Ich entdeckte es 1876 in der Autographensammlung des Herrn W. Kraukling zu Dresden, welcher die Freundlichkeit hatte, mir es auf längere Zeit zur Benutzung zu überlassen. S. Anhang A, Nr. 51.


21 S. Band I, S. 618 f.


22 Die autographe Partitur dieser Ostercantate ist auf der königlichen Bibliothek zu Berlin.


23 Bei Picander I, S. 14 heißt es ausdrücklich: »Bey der ersten Geburths-Feyer der Durchlauchtigsten Fürstin zu Anhalt-Cöthen. 1726.« Da nun der Geburtstag am 30. November war, die Vermählung aber schon am 2. Juni 1725 statt fand, so folgt daraus wohl, daß am 30. Nov. 1725 die Fürstin nicht in Cöthen weilte. – Vrgl. Band I, S. 765.


24 S. S. 93 dieses Bandes. – Angezeigt in Breitkopfs Verzeichniß von Michaelis 1761, S. 33 unter »Promotions- und Ehrentags-Cantaten«.


25 S. S. 301 dieses Bandes.


26 Vogel, Continuation Derer Leipzigischen Jahrbücher von Anno 1714 bis 1728. Manuscript auf der Leipziger Stadtbibliothek. Fol. 32b. Hier ist auch der Text der bei dieser Gelegenheit musicirten Cantate mitgetheilt, der Componist derselben aber nicht genannt. Winterfeld, Ev. K. III, 262 vermuthet Bach als solchen, doch hat die Vermuthung bisher keinerlei Bestätigung erfahren.


27 Textanfang: »Die Freude reget sich, erhebt die muntern Töne«. Originalstimmen auf der königlichen Bibliothek zu Berlin. Die Stimmen sind nicht mehr vollständig, der Verlust läßt sich aber unter so bewandten Umständen verschmerzen. B.-G. XII2, S. V, Anmerk. ist hiernach zu berichtigen. – Übrigens war Bach, auch persönlich mit Rivinus befreundet, den er 1735 für seinen Sohn Johann Christian zu Pathen bat.


28 Scheibe (Critischer Musikus S. 540 ff.) giebt sogar bestimmte Regeln über die verschiedene Einrichtung derartiger Musiken, jenachdem sie auf dem Wasser oder Lande, im Zimmer oder Walde, in einer Gartenlaube oder auf einem mit Bäumen umschlossenen Platze aufgeführt werden sollen.


29 Chrysander, Händel II, S. 266.


30 S. S. 37 f. dieses Bandes.


31 Müller war 1684 geboren und starb 1761. Am 19. October 1731 wurde er außerordentlicher Professor. Über seine wissenschaftlichen Arbeiten berichten die »Leipziger Neuen Zeitungen von gelehrten Sachen« III, 224. 519. VI, 654. 672. XVII, 760. XX, 103. In Ch. E. Hoffmanns »Geographischem Schau-Platz Aller vier Theile der Welt«. Anderer Theil. befindet sich sein Kupferstich – der Zopf-Professor jener Zeit, wie er sein muß.


32 Picanders Gedichte I, S. 146 ff. – B-G. XI2, 139 ff.


33 »Hic vasto rex Aeolus antro

Luctantis ventos tempestatesque sonoras

Imperio premit ac vinclis et carcere frenat.

Illi indignantes magno cum murmure montis

Circum claustra fremunt.«


34 »celsa sedet Aeolus arce

Sceptra tenens mollitque animos et temperat iras.«


35 E.O. Lindner, Zur Tonkunst, S. 129 meint, die Arie »Wie will ich lustig lachen« habe einen wilden Humor, gegen den der gepriesene Polyphem Händels fast auf das Niveau des gewöhnlichen italiänischen Buffo zurücksinke. Ich verstehe nicht, wie man derart das Ganze über dem Einzelnen vergessen kann. Die Größe des unübertroffenen Händelschen Pastorals beruht in der vollkommenen Harmonie zwischen Gegenstand und musikalischer Ausführung. Bach hat stärkere Mittel aufgeboten, aber Garten-Pavillons schmückt man nicht mit Kirchthürmen.


36 Mittag, Leben und Thaten Friedrich Augusti III. Leipzig, 1737. S. 333 f. Anmerk.


37 Der Originaldruck des Textes befindet sich auf der königlichen öffentlichen Bibliothek zu Dresden, Hist. Polon. 672, 17. Daß Bach der Dichter ist, geht aus der Fassung des Titels klar hervor. Den Dichter namhaft zu machen, versäumte man bei solchen Gelegenheiten nicht, viel eher den Componisten. Daraus daß für das Datum eine Lücke gelassen ist, sieht man, daß der Text gedruckt wurde, ehe man den Tag der Krönung wußte. – Er ist mitgetheilt Anhang B, X, 2.


38 Leipziger Neue Zeitung von gelehrten Sachen XVII, S. 264. Das November-Stück der Acta Eruditorum von 1731 enthält in einem Elogium G. Cortii seine Biographie, welche für spätere Darstellungen als Quelle gedient hat. Dazu noch Sicul, Leipziger Jahr-Geschichte. 1720. S. 92, 127, 212. Korttes Schriften sind meistens philologischen Inhalts (Ausgaben von Ciceros Episteln, Sallust, Lucan u.s.w.).


39 S. Band I, S. 738 f.


40 S. Band I, S. 749.


41 S. Band I, S. 347.


42 Daß es wirklich August III. und nicht August II. war, sieht man aus dem Tenor-Recitativ »Ihr Fröhlichen, herbei«. Die hier angedeuteten kriegerischen Ereignisse passen nur auf August III. und sollen offen bar die Unruhen während der ersten Jahre seiner Regierung sein. Im Jahre 1733 wurde übrigens zum Namenstage des Königs eine Picandersche Cantate »Frohes Volk, vergnügte Sachsen« aufgeführt (s. Picanders Gedichte, IV, S. 14 ff.), die Bachsche Parodie also wahrscheinlich erst später. – B.-G. XX2, S. 73 ff.


43 In Breitkopfs Verzeichniß von Michaelis 1761, S. 33 steht sie unter »Promotions- und Ehrentags-Cantaten«.


44 Sicul (Das frohlockende Leipzig. 1728) beschreibt die Festlichkeiten. Er theilt auch den Cantatentext (»Entfernet euch, ihr heitern Sterne«) mit, welchen Bitter (I, 447 ff.) hat wiederabdrucken lassen.


45 Picanders Gedichte IV, S. 22 ff. Die autographe Partitur der Musik auf der königlichen Bibliothek zu Berlin.


46 H.-G. XVIII.


47 Vrgl. S. 404 f. und 417 dieses Bandes.


48 Die autographe Partitur derselben, auf der königl. Bibliothek zu Berlin befindlich, trägt am Schlusse den Vermerk »Fine DSGl. 1733 d. 7. Dec.« Der Autor ergiebt sich, wie bei der Umdichtung der Aeolus-Cantate, schon aus dem Titel des Originaldrucks, welcher sich ebenfalls auf der königlichen öffentlichen Bibliothek zu Dresden befindet (Hist. Saxon. c. 296, 27m.) Er verräth sich aber auch in der ungeschickten Fügung des Textes selbst und namentlich in einigen thüringisch-obersächsischen Provinzialismen, wie »zum Axen« für »zu den Axen«, »zum Sternen« für »zu den Sternen«, »seyn« für »sind«. Der Text ist mitgetheilt Anhang B, X, 3.


49 Vrgl. S. 404 f. dieses Bandes.


50 Mittag, a.a.O. S. 115 und 345.


51 Die autographe Partitur, mit der Überschrift »Drama per Musica overo Cantata gratulatoria«, ist auf der königl. Bibliothek zu Berlin; ein von Bach selbst geschriebener Text ist angeheftet. Daß Bach ältere Musik benutzte, ergiebt sich daraus, daß die Partitur zum größeren Theile als Beinschrift sich darstellt. Über die Feier selbst Mittag, a.a.O. S. 485 f., eine Stelle auf welche zuerst Bitter (II, 40 f.) hingewiesen hat. – Vrgl. noch S. 404 dieses Bandes.


52 B.-G. XX2, S. 3 ff. – S. Anhang A, Nr. 52.


53 Scheibe, Critischer Musikus. S. 997.


54 S. Band I, S. 559; in Folge eines Versehens ist dort »Geburtsfest« statt »Namensfest« gesetzt. – Spätere musikalische Festaufführungen fanden noch statt: am 30. April 1741, wo die Studenten den zum ersten Male in Leipzig anwesenden Churprinzen und Prinzen Xaverius eine Abendmusik brachten (Text auf der königl. öffentlichen Bibliothek zu Dresden, Hist. Saxon. c. 303), und 1747, wo bei erstmaliger Anwesenheit des churprinzlichen Ehepaares in Leipzig ein akademischer Actus in der Paulinerkirche gehalten wurde (Text ebenda, Hist. Saxon. c. 304). Ob aber Bach hierzu die Musik gemacht hat, ist nicht einmal vermuthungsweise zu sagen.


55 Vrgl. S. 93 dieses Bandes.


56 B.-G. XI2, S. 75 ff.


57 Gerber, L. I, Sp. 715.


58 S. Band I, S. 825.


59 Wohl derselbe Schmidt, der sich am 9. November 1713 ein Praeludium Bachs abschrieb; s. Band I, S. 430; Anmerk. 65.


60 Im Grasnickschen Nachlasse (jetzt auf der königlichen Bibliothek zu Berlin) befindet sich in Ringks Abschrift eine Clavierfuge Bachs in B dur, offenbar auch ein Werk aus seiner früheren Zeit.


61 S. Band I, S. 723 ff.


62 S. S. 263 ff. dieses Bandes.


63 Früherer Besitzer des Autographs war Aloys Fuchs in Wien.


64 Picander II, S. 379 ff. Der gedruckte Text enthält nur die Anfangsbuchstaben der Namen; um Vers und Reim zu vervollständigen, wolle man die Worte »Hempelin« und »Wolff« an den betreffenden Stellen einsetzen. Es folgt noch ein zweites Gedicht auf dieselbe Feier: »Der Liebes-Congreß zwischen dem Cupido, Wolff und Hampelmann«.


65 Traubuch zu St. Thomae, Jahrgang 1728, S. 172.


66 Das Autograph, einen auf drei Seiten beschriebenen Foliobogen, besaß der Rentier Herr Grasnick in Berlin. Jetzt ist es auf der königlichen Bibliothek daselbst. Ich theile das vollständige Gedicht mit allen verworfenen Lesarten und Correcturen mit Anhang B, X, 5.


67 Autograph auf der königlichen Bibliothek zu Berlin, dessen Papier übereinstimmt mit einer ebendaselbst befindlichen Cembalostimme zu Bachs »Musikalischen Opfer«. Dieses wurde 1747 componirt.


68 So von dem Generalfeldmarschall Jakob Heinrich von Flemming (gest. 1728) und dem Gouverneur der Stadt Leipzig Joachim Friedrich von Flemming (gest. 1740). – Von der Parodie ist nur die theilweise autographe Sopranstimme erhalten, sie bewahrt die königliche Bibliothek zu Berlin. Schrift und Papier aus Bachs spätester Zeit, nur der Umschlag, mit dem Wasserzeichen M A, ein Rest früherer Tage. Da die Musik mit Ausnahme des vorletzten Recitativs dieselbe geblieben ist, so hat ein eigentlicher Verlust nicht stattgefunden, was B.-G. XX2, S. XIV irrthümlicherweise behauptet wird.


69 B.-G. V, Nr. 30 und Vorwort. – Über Hennicke s. Gretschel III, S. 17. Ein anderes Gedicht auf ihn Picander V, S. 350 f.


70 Sie wird angeführt in Breitkopfs Verzeichniß von Michaelis 1770, S. 17


71 Eine Cantate »La dove in grembo« für eine Singstimme mit sehr brillanter Cembalo-Begleitung von Heinichen bewahrt die Musikaliensammlung des Königs von Sachsen zu Dresden. Die erste der 12 Cantaten Porporas, welche 1735 in London erschienen, enthält ein Recitativ mit gleichfalls reich ausgeführter Cembalo-Begleitung.


72 »Amore traditore« ist herausgegeben B.-G. XI2, S. 93 ff. Ein Autograph fehlt. Als Bachs Werk bezeugt in Breitkopfs Verzeichniß von Neujahr 1764, S. 32.


73 Beide in alten Handschriften in der Musikaliensammlung des Königs von Sachsen zu Dresden.


74 S. S. 210 und 209 dieses Bandes. – Händel scheint gleichfalls dieses Dixit gekannt zu haben. Das Thema der Amen-Fuge des »Messias« ist dem der Lottischen Schlußfuge nahe verwandt.


75 Die Abschrift befindet sich auf der königl. Bibliothek zu Berlin.


76 S. Band I, S. 735.


77 Das Werk ist in einer Handschrift aus Forkels Nachlasse auf der königl. Bibliothek zu Berlin.


78 B.-G. XI2, S. 105 ff.


79 Über Bachs Tabak-Lied s. Band I, S. 758. – Eine Stölzelsche Cantate für Bass »Toback du edle Panacee« auf der fürstlichen Hofkirchenbibliothek zu Sondershausen.


80 »Poetische Blumen von Joh. Gottfried Krausen. Erstes Bouquet. Langen-Saltza 1716.« S. 129.


81 Gretschel, a.a.O. II, S. 524.


82 S. 523.


83 S. Band I, S. 133 f.


84 Breitkopfs Verzeichniß von Michaelis 1761, S. 34 f.


85 Israël, Frankfurter Concert-Chronik von 1713–1780. Frankfurt am Main, 1876. S. 28.


86 Die Caffee-Cantate erschien in einer Ausgabe von S.W. Dehn bei Gustav Crantz in Berlin, in zweiter, durchgängig revidirter und berichtigter Ausgabe bei C.A. Klemm in Leipzig. – S. Anhang A, Nr. 53.


87 S. Anhang A, Nr. 36. – Herausgegeben B.-G. XI2, S. 3 ff.


88 S. Critischer Musikus S. 410.


89 Gerber, L. II, Sp. 413.


90 Vrgl. S. 34 f. dieses Bandes.


91 Critischer Musikus S. 445 und 446.


92 Ich bemerke, daß z.B. auch Georg Friedrich Einicke, der freilich erst 1732 die Leipziger Universität bezog, sowohl mit Bach als mit Scheibe verkehrte um sich in der Musik zu vervollkommnen; s. Marpurg, Kritische Briefe über die Tonkunst, II, S. 461.


93 Auf dieses Gedicht hat zuerst A. Dörffel aufmerksam gemacht (Musikalisches Wochenblatt. 1870. S. 272).


94 Schon S.W. Dehn hat im Octoberheft der Westermannschen Monatshefte von 1856 auf diese Bedeutung der Cantate »Phöbus und Pan« hingewiesen. Er ging von theilweise irrigen Voraussetzungen aus, und wurde deshalb von E.O. Lindner (Zur Tonkunst. Berlin, Guttentag. 1864. S. 87 ff.) getadelt. Aber das im Grunde richtige hat Dehn dennoch erkannt. In einer schönen kleinen Abhandlung, die auch eine ausführliche und feine musikalische Analyse enthält, hat ihm schon Dr. E. Baumgart (»Über den Streit zwischen Phöbus und Pan«, Verhandlungen der schlesischen Gesellschaft für vaterländische Cultur. Philosophisch-historische Abtheilung. Breslau, 1873.) wieder zu seinem Rechte zu verhelfen gesucht.

Quelle:
Spitta, Philipp: Johann Sebastian Bach. Band 2, Leipzig: Breitkopf & Härtel 1880..
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